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978-3-437-22107-1
Elsevier Inc.
Artifizielle Störungen
Kernaussagen
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Artifizielle Störungen zeichnen sich durch eine heimliche invasive Selbstbeschädigung des eigenen Körpers oder durch eine stellvertretende Schädigung eines kindlichen Körpers aus.
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Zu Grunde liegt eine schwere persönlichkeitsstrukturelle Störung, es können drei verschiedene Syndrome (Kerngruppe artifizielle Störung, Münchhausen-Syndrom und Münchhausen-by-proxy-Syndrom) unterschieden werden.
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Primäre therapeutische Ziele sind eine angemessene Diagnosenstellung, der Aufbau einer stabilen Arzt-Patient-Beziehung, indirekte Konfrontationsarbeit mit dem destruktiven Agieren, Erhöhung der Motivation zur Psychotherapie und die Einleitung einer psychotherapeutischen Behandlung.
Q 7.2 – 1
Diagnostische Voraussetzungen
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Die Symptome werden heimlich erzeugt, Arzt und soziale Umgebung werden über die Ätiologie im Unklaren gelassen.
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Die selbst- oder fremdschädigenden Handlungen werden zumindest teilweise in einem Zustand qualitativer Bewusstseinsveränderung unternommen, der als hochangespannter, dissoziativer Zustand beschrieben werden kann.
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Sie unterliegen häufig Verleugnungs- und Abspaltungsprozessen, sind dem Patienten oft nicht bewusst, ein Motiv bleibt in der Arzt-Patient-Beziehung zumeist unklar.
Definition:
Unter dem Begriff der artifiziellen Störungen werden körperliche oder psychische Krankheitssymptome zusammengefasst, die durch den Betroffenen selbst vorgetäuscht, aggraviert oder von ihm selbst künstlich erzeugt werden.
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die Kerngruppe artifizieller Störungen mit invasiver, z.T. letaler Selbstschädigung,
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das Münchhausen-Syndrom, bei dem die Betroffenen mit erfundenen oder inszenierten Beschwerden von einer Klinik in die nächste ziehen, um sich diagnostischen und therapeutischen Eingriffen zu unterziehen („Behandlungswandern”),
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das Münchhausen-by-proxy-Syndrom, bei dem eine primäre Bezugsperson anstelle eigener Selbstbeschädigung einer nahen Bezugsperson, zumeist ihrem Kind, Schaden zufügt.
Q 7.2 – 2
Therapie
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Die Betroffenen verwickeln ihre behandelnden Ärzte in der Regel in ein komplexes Beziehungsgeflecht, in dem sie sich initial als „ideale Patienten” mit hoher Bereitschaft auch zu invasiven diagnostischen und therapeutischen Interventionen anbieten.
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Im Verlauf führen evident werdende Verhaltensauffälligkeiten und die Erfolglosigkeit der Interventionen im Normalfall zu aufkommenden Zweifeln an der „Echtheit” der Beschwerden, manchmal zu detektivisch anmutenden Maßnahmen und schließlich zu einer direkten Konfrontation durch die Behandler (cave!), die durch aggressive Impulse, da sie getäuscht wurden, gekennzeichnet sind.
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Häufig folgt dann ein Beziehungsabbruch des Patienten, der sich abgelehnt und gedemütigt fühlt.
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In der Regel wird bei einem anderen Arzt dann dasselbe Erkrankungs- und Beziehungsmuster wiederholt, wobei in der Literatur insgesamt eine infauste Prognose mit hohen Invalidisierungs- und Mortalitätsraten beschrieben wird.
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Bevor eine „Überführung” bzw. direkte Konfrontation des Patienten erfolgt, sollte im Rahmen einer indirekten Konfrontationsarbeit versucht werden, mit dem Patienten vor dem Hintergrund seiner meist hochproblematischen Lebenssituation und Vorgeschichte
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ein differenziertes Krankheitskonzept zu erarbeiten und
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ihn zu einer weiterführenden stationären psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung zu motivieren, die in vielen Fällen zwingend indiziert ist.
CAVE:
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Bei vitaler Gefährdung des Patienten oder der betroffenen Kinder hat eine Behandlung auch gegen den expliziten Willen des Patienten zu erfolgen.
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Bei (unmittelbarer) Gefährdung des Kindes im Rahmen eines Münchhausen-by-proxy-Syndroms ist Anzeige zu erstatten, das Jugendamt einzuschalten, um eine richterliche Entscheidung zum weiteren Schutz des misshandelten Kindes zu erwirken.
Q 7.2 – 3
Kasuistik
Anamnese
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In der psychiatrischen Exploration zeigt sich zunächst eine psychische Inhalte stark abwehrende Patientin mit dem Krankheitskonzept einer organischen Gelenkerkrankung und einer rein chirurgischen Behandlungsmotivation.
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In der biographischen Anamnese wird eine Vorgeschichte als körperlich und sexuell misshandeltes Heimkind deutlich, spätere Partnerschaften sind durch sich wiederholende Gewaltübergriffe gekennzeichnet.
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Nach zwei rein ambulant gemeisterten Suizidversuchen in den letzten Tagen vor der Aufnahme erfolgte die artefizielle Selbstbeschädigung, nachdem sich der aktuelle Partner von der Patientin trennen wollte.
Therapie
Literatur
Fiedler, 1999
Fliege et al., 2002
Freyberger and Stieglitz, 2004
Freyberger et al., 1994