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Therapiealgorithmus. ErfrierungTherapiealgorithmus
Patienten mit Erfrierungsverletzungen werden im Krankenhaus versorgt! | |
Bei Aufnahme |
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Weitere Behandlung |
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Ergänzende Maßnahmen |
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Fotodokumentation bei Aufnahme und im Verlauf |
Erfrierungen
Kernaussagen
•
ErfrierungIntensität und Dauer der Erfrierung sind maßgeblich für das Trauma.
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Entzündungsmediatoren wie Thromboxan A2 und Prostaglandin führen zu Vasokonstriktion und vermehrter Adhärenz von Leukozyten. Dies führt zu progressiver Gewebeschädigung durch Mikrothrombenbildung und Ischämie.
•
Die Diagnosestellung erfolgt anhand von Anamnese und Klinik, Röntgen, 3-Phasen-Szintigraphie, Angiographie, Thermographie und Kernspintomographie.
•
Die präklinische Therapie umfasst das Ausschalten der Noxe mit Schonung der Extremität sowie bei globaler Unterkühlung die Sicherung der Vitalfunktion. Eine insuffiziente Erwärmung muss vermieden werden, eine mechanische Wiedererwärmung etwa durch Massage ist nicht indiziert.
•
In der Klinik erfolgt die rasche Wiedererwärmung mit dem Wasserbad unter aktiver Mobilisation, wenn die Körperkerntemperatur über 35°C liegt. Weitere Maßnahmen sind Hochlagerung, Tetanusprophylaxe, Penicillingabe und ggf. Kompartmentspaltung.
•
Ein schnelles Auftauen in der Klinik verkürzt die Ischämie und reduziert die Gewebeschädigung.
•
Eine zu frühe Amputation ist nicht angezeigt, da es ein großes Erholungspotenzial des betroffenen Gewebes gibt.
108.1
Vorbemerkungen
•
1. Phase: Unterkühlung, Gefrieren
Der Gefrierpunkt des Gewebes liegt bei −2°C. Ist diese Temperatur erreicht, kommt es zu einer Kristallisation im extrazellulären Gewebe. Die Zellzerstörung verläuft über die Dehydratation, eine Größenzunahme der Kristalle und eine Zerstörung der Zellmembranen.
•
2. Phase: Wiedererwärmung
Im Rahmen der Wiedererwärmung kommt es zu einer starken Schwellung des Gewebes durch eine Umkehr des osmotischen Gradienten. Flüssigkeit wandert von extrazellulär nach intrazellulär. Endothelzellen sind dabei besonders vulnerabel.
•
3. Phase: fortschreitender Gewebeschaden
Durch eine hohe Konzentration von Thromboxan A2 und Prostaglandin F werden Thrombozyten und Leukozyten adhärent, Mikrothromben bilden sich, die Viskosität des Blutes steigt an. Die resultierende Ischämie führt zu einer fortschreitenden Gewebeschädigung mit Nekrosebildung.
•
4. Phase: Endstadium
Die Erfrierung kann zu drei möglichen Resultaten führen:
–
Restitutio ad integrum,
–
Heilung des Gewebes mit Restdefekten,
–
Nekrosebildung.
108.2
Diagnostik
Als Faustregel gilt
•
Prognostisch günstig nach der Wiedererwärmung sind
–
eine normale Hautfarbe und -temperatur,
–
Spitz- und Stumpfunterscheidungsfähigkeit sowie
–
Blasenbildung mit einem klaren Sekret.
•
Prognostisch ungünstig nach der Wiedererwärmung sind
–
eine persistierende Zyanose,
–
das Ausbleiben eines Wiedererwärmungsödems und Blasenbildung mit dunklem Sekret.
Hier ist davon auszugehen, dass auch tiefere Schichten bereits geschädigt worden sind.
•
konventionelle Röntgenuntersuchung,
•
3-Phasen-Szintigraphie,
•
Angiographie,
•
Thermographie und
•
Kernspintomographie.
108.3
Therapie
Präklinische Therapie
•
Die betroffenen Areale sollten vor einem weiteren Wärmeverlust durch das Entfernen von nassen kalten Kleidern und das Aufbringen von isolierenden Maßnahmen geschützt werden.
•
Eine insuffiziente Erwärmung sollte vor der Möglichkeit einer definitiven, dauerhaften Erwärmung vermieden werden, da die Gewebeschädigung durch wiederholte Gefrier- und Tauphasen verstärkt wird.
•
Ibuprofen mit 12 mg/kg KG kann bereits präklinisch gegeben werden (Evidenzlevel 3).
Cave
!
Auf mechanische Manipulationen wie z. B. Massagen der betroffenen Areale muss verzichtet werden.
•
Keine Gabe von Alkohol, da es durch Vasodilatation zu einem Steal-Phänomen kommen und so die Schädigung verstärkt werden kann.
Definitive Therapie
•
Durch eine schnelle Wiedererwärmung kann die Schädigung durch eine Verkürzung der Einwirkzeit der Kälte verringert werden.
•
Eine aktive Mobilisation der betroffenen Extremität ist wünschenswert.
•
Im Rahmen der Wiedererwärmung sollte auf eine ausreichende Analgesie z. B. in Form von Morphin i. v. geachtet werden.
•
Verbandwechsel sollten wie bei Verbrennungen unter sterilen Kautelen erfolgen.
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In der Folge sollte zur Vermeidung einer zu starken Ödembildung auf eine Hochlagerung geachtet werden.
•
NSAR wie z. B. Ibuprofen sind sinnvolle ergänzende Maßnahmen, um die posttraumatische Schwellung zu minimieren.
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Eine Faszienspaltung sollte bei dem V. a. auf ein sich entwickelndes Kompartmentsyndrom durchgeführt werden.
•
Eine Tetanusprophylaxe ist obligat.
•
Obligat ist auch die Gabe von Penicillin oder bei etwaiger Allergie ein Makrolidantibiotikum als Schutz vor einer bakteriellen Infektion.
Cave
!
Die Indikation zu einer Extremitätenamputation sollte sehr zurückhaltend gestellt werden, da es bei dieser Art der Verletzung ein sehr großes Erholungspotenzial gibt. Erst nach definitiver Demarkierung einer Nekrosezone nach einigen Wochen kann u. U. eine Amputation durchgeführt werden.
Ergänzende Therapieformen
1.
Hyperbarer Sauerstoff: Dies wird eher nicht empfohlen, da nur einzelne Fallberichte existieren. In kontrollierten Tierversuchen konnte kein positiver Effekt durch hyperbaren Sauerstoff in Bezug auf den Zelltod festgestellt werden.
2.
Sympathektomie: Innerhalb von 24 h nach dem Trauma ist dies eine sinnvolle ergänzende Maßnahme z. B. mit der Anlage eines Plexuskatheters mit einem guten Effekt auf das Gesamtergebnis.
3.
Lysetherapie: Innerhalb von 24 h nach dem Trauma sinnvoll, falls keine Kontraindikationen wie z. B. Schwangerschaft, Schädel-Hirn-Trauma, Knochenbrüche, Gerinnungsstörungen oder Thrombozytenfunktionsstörungen vorliegen.
4.
Vasodilatatoren: Groechenig et al. konnten einen positiven Effekt durch den Einsatz von Prostaglandin I2 auf die Amputationsrate bei Fingererfrierungen nachweisen.
Literatur
Entin and Baxter, 1952
Flatt, 1980
Greenwald et al., 1998
Groechenig, 1994
Hallam et al., 2010
Langer et al., 2006
McAdams, 2006
Morris, 2002
Özyazgan et al., 1998
Sachs et al., 2015