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10.1016/B978-3-437-22107-1.50321-6
978-3-437-22107-1
Elsevier Inc.
Funktionelle und vegetative Symptome bei Fibromyalgie (mod. nach Dettmer u. Chrostek 1991). In der leeren Spalte ist bei der Anamnese jeweils „ja” oder „nein” einzutragen.
Parameter, Symptom | zutreffend? |
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Dolorimetrie an den „Tender Points” (mod. nach Dettmer u. Chrostek 1991). In den leeren Spalten sind die Messwerte einzutragen.
Tender Points | Dolorimetrie | |
gemessener Wert rechts | gemessener Wert links | |
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Kontrollpunkte | ||
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Extraartikuläre weichteilrheumatische Erkrankungen (Weichteilrheumatismus) –Fibromyalgie-Syndrome
Kernaussagen:
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Die Fibromyalgie ist eine Ausschlussdiagnose, objektive Tests fehlen.
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Die Schmerzschwelle an den „Tender Points” lässt sich von der Schmerzschwelle an den Kontrollpunkten differenzieren.
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Bei weniger als 9 positiven „Tender Points” und mehr als 4 positiven Kontrollpunkten muss die Diagnose einer primären Fibromyalgie angezweifelt werden.
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Die Fibromyalgie ist eine benigne Erkrankung, sie resultiert in keiner organisch körperlichen Behinderung. Die Lebensqualität der Betroffenen ist jedoch häufig stark eingeschränkt.
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Es werden nach jahrelangem Verlauf „Spontanheilungen” beobachtet.
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Prinzipiell kann jedes Lebensalter betroffen sein. Der Häufigkeitsgipfel liegt im erwerbsfähigen Alter.
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Eine kausale Therapie ist aufgrund der unbekannten Ursache nicht möglich. Vielmehr ist die Therapie polypragmatisch und individuell angepasst.
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Die Behandlung besteht aus medikamentösen, nicht-medikamentösen und adjuvanten Verfahren.
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Häufig ist ein multi-/interdisziplinärer Therapieansatz erforderlich.
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Bei Verdacht auf eine affektive Mitbeteiligung hat in der Regel eine sorgfältige psychosomatische Abklärung zu erfolgen, um komorbide Depressivität oder Angst, das Bestehen einer eigentlichen somatoformen Störung, eine psychische Traumafolgestörung und/oder auch eine komplexe psychosoziale Belastungssituation zu identifizieren.
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Fibromyalgie-Patienten profitieren in der Regel von einer multimodalen Schmerztherapie unter Einsatz von kognitiv-verhaltenstherapeutischen Gruppenansätzen, Relaxationsübungen und psychologischer Unterstützung.
O 15.4 – 1
Vorbemerkungen
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Insbesondere die Sehnenansätze („Tender Points”) scheinen bei dieser Erkrankung gereizt zu sein. Das bildet sich dahingehend ab, dass die mechanische Schmerzschwelle an diesen Punkten im Vergleich zur Umgebung deutlich gesenkt ist.
Prognose
✓
Je nach beruflicher Anforderung ist es durchaus möglich, dass der Fibromyalgie-Patient/die Fibromyalgie-Patientin nicht mehr seinen/ihren Arbeitsaufgaben in vollem Umfang gewachsen ist.
O 15.4 – 2
Diagnostik
Klinisches Bild
Grundsätzlich gilt:
Diagnostische Kriterien gibt es nicht.
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Die ACR-Kriterien wurden für Studien entwickelt.
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Es sind komplett subjektive Kriterien. Ein Goldstandard fehlt.
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Zur Schmerzschwellenbestimmung wird der Daumen des Untersuchers benutzt.
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Die ACR-Kriterien kennen keine Kontrollpunkte.
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Vegetative und funktionelle Symptome sind nicht definiert.
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Schmerzerkrankungen anderer Ursache werden nicht ausgeschlossen.
Als Faustregel gilt:
Mit einer Schmerzschwellenbestimmung (Dolorimetrie) kann man semi-objektiv die Schmerzschwelle an den „Tender Points” und auch im Bereich von Muskelbäuchen (so genannte Kontrollpunkte) verifizieren.
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Wenn sich deutlich abzeichnet, dass die Schmerzschwelle an den „Tender Points” niedriger als an den Umgebungspunkten ist, ist dies ein Hinweis auf das Vorliegen einer Fibromyalgie.
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Sollten sich die Kontrollpunkte hinsichtlich der mechanischen Schmerzschwelle nicht von den „Tender Points” unterscheiden, muss die Diagnose angezweifelt werden und nach weiteren differenzialdiagnostischen Erkrankungen gesucht werden.
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Für die Diagnosestellung ist eine Anzahl von mindestens 9 positiven „Tender Points” (von 24 gemessenen) erforderlich.
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Bei der Prüfung der Kontrollpunkte dürfen maximal 4 Kontrollpunkte ebenfalls dieses Kriterium erfüllen.
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Vegetative und funktionelle Symptome werden definiert.
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Neben der Schmerzschwelle an den „Tender Points” werden auch Kontrollpunkte untersucht.
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Anstatt des Daumens zur Bestimmung der Schmerzschwelle wird ein Gerät, das Dolorimeter, verwendet.
Tender Points und Schmerzschwelle
Ein „Tender Point”, gemessen mit dem Dolorimeter, gilt als positiv, wenn der Patient bei einer Schmerzschwelle ≤ 2 kp/1,27 cm2 Schmerzen angibt.
O 15.4 – 3
Therapie
✓
Eine kausale Therapie ist aufgrund der nicht bekannten Ursache nicht möglich.
Medikamentöse Behandlung
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Medikamentös haben sich in verschiedenen randomisierten kontrollierten klinischen Studien niedrig dosierte Antidepressiva, insbesondere das Amitriptylin als „Basistherapie” herauskristallisiert.
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Weitere Substanzen, wie Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer können ebenfalls effektiv sein.
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In den USA sind die Substanzen Pregabalin (ein Antiepileptikum), Duloxetin (ein Antidepressivum) und Milnazipran (ein Antidepressivum) für die Behandlung der Fibromyalgie zugelassen.
In Europa ist die Zulassung dieser Mittel für diese Indikation bisher nicht erfolgt (Stand 2010).
✓
Wichtig ist, den Circulus vitiosus zwischen Schmerz-Muskelverspannung-Schmerz zu durchbrechen.
CAVE:
! Der systemische Einsatz von Glukokortikoiden und Benzodiazepinen zur Behandlung der primären Fibromyalgie ist kontraindiziert.
Nicht-medikamentöse Therapie
✓
Eine Überforderungssymptomatik durch die physikalische Therapie ist dringend zu vermeiden.
Als Faustregel gilt:
In einem interdisziplinären Setting ist auf eine moderate physische Rekonditionierung zu achten, ohne den Patienten zu überfordern.
Psychotherapie
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die Schmerzverarbeitung zu verbessern,
•
die Schmerzschwelle anzuheben und
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den Patienten Coping-Mechanismen an die Hand zu geben, um die Krankheit besser bewältigen zu können und trotz Schmerzen im Alltag besser funktionieren zu können.
Sonstige Behandlungsmöglichkeiten
O 15.4 – 4
Psychosomatische Aspekte
Grundsätzlich gilt:
Chronischer Schmerz, affektive Auslenkung (Depression) und Stress interagieren auf der Grundlage einer vermehrten Vulnerabilität.
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Eine wesentliche Subgruppe innerhalb des Spektrums der Fibromyalgie hat jedoch keinerlei psychiatrische Komorbidität.
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Bei einer Subgruppe (meist handelt es sich um Patientinnen) mit affektiver Komorbidität lässt sich auch durch eingehendere Abklärung öfters ein Hintergrund mit biographischer Traumatisierung (Missbrauch, Gewalterfahrung) nachweisen.
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Bei Verdacht auf eine affektive Mitbeteiligung hat in der Regel eine sorgfältige psychosomatische Abklärung zu erfolgen, um komorbide Depressivität oder
Angst, das Bestehen einer eigentlichen somatoformen Störung, eine psychische Traumafolgestörung und/oder auch eine komplexe psychosoziale Belastungssituation zu identifizieren (s. auch Kap. O 15.6).
•
Patientinnen mit psychischer Traumatisierung bedürfen einer spezialisierten Einzelpsychotherapie, die hier nicht näher ausgeführt werden kann.
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Bei Vorliegen von Angststörungen oder Depression soll nach üblichen Richtlinien (Psychotherapie in Kombination mit Antidepressiva ist die Regel) vorgegangen werden.
•
Im Falle des Bestehens einer eigentlichen somatoformen Störung sollte überlegt werden, ob hinsichtlich einer dafür spezifischen psychodynamischen Therapie die Ressourcen auf der Ebene der Persönlichkeitsstruktur bestehen.
Grundsätzlich gilt:
Fibromyalgie-Patienten profitieren in der Regel von einer multimodalen Schmerztherapie unter Einsatz von kognitiv-verhaltenstherapeutischen Gruppenansätzen, Relaxationsübungen und psychologischer Unterstützung.
•
Spezialisierte Rehabilitationseinrichtungen sind in der Lage, durch fein aufeinander abgestimmte interdisziplinäre Therapieansätze, den Betroffenen zumindest für eine gewisse Zeit eine Linderung der Symptomatik zu verschaffen.
Literatur
Arnold et al., 2008
Baranowsky et al., 2009
Bennett et al., 2003
Chappell et al., 2009
Dettmer and Chrostek, 1991
Gräfe et al., 1999
Jeschonneck et al., 2000
Lautenschläger et al., 1988
Mease et al., 2009
Moret and Briley, 2006
Müller and Lautenschläger, 1990
Sprott and Müller, 1998
Sprott, 1998