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10.1016/B978-3-437-24950-1.00104-9
978-3-437-24950-1
Elsevier GmbH
Forensische Psychiatrie und Psychotherapie
-
104.1
Vorbemerkung826
-
104.2
Gesetzliche Voraussetzungen fürdie Zwangsunterbringung in der Psychiatrie827
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104.3
Maßregelvollzug und Maßregelbehandlung829
-
104.4
Allgemeine Therapieprinzipien831
-
104.5
Behandlungsplan832
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104.6
Behandlung spezieller Störungen834
Kernaussagen
-
•
Psychiatrie, forensischePsychotherapie, forensischeZwangseinweisungen in die Psychiatrie sind öffentlich-rechtlich, betreuungsrechtlich und strafrechtlich geregelt. Sie sind möglich, wenn der Patient psychisch krank ist, sich oder andere gefährdet und wenn eine Behandlung oder Überwachung auf einer geschlossenen Station notwendig ist, er dieses aber ablehnt.
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•
Zwangsbehandlungen sind für betreute Personen durch das Betreuungsrecht geregelt, im Maßregelvollzug ist eine Regelung auf Landesebene in den Maßregelvollzugs- oder Unterbringungsgesetzen gefordert.
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•
Voraussetzung einer Unterbringung in der forensischen Psychiatrie nach § 63 StGB (psychiatrischer Maßregelvollzug) ist eine erhebliche und anhaltende psychische Störung im Sinne der Eingangsmerkmale des § 20 StGB, eine hierdurch zumindest erheblich beeinträchtigte oder aufgehobene Schuldfähigkeit zum Tatzeitpunkt sowie die durch diese Störung bedingte erhebliche Gefährlichkeit für die Allgemeinheit. Die Entlassung erfolgt nach Reduktion der störungsbedingten Gefährlichkeit oder wenn die weitere Fortdauer der Unterbringung unverhältnismäßig wäre.
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•
Maßregelvollzug nach § 63 StGB setzt Gefährlichkeit aufgrund einer anhaltenden psychischen Störung oder Krankheit voraus, am häufigsten sind schizophrene Störungen, Persönlichkeitsstörungen, Paraphilien und Intelligenzmängel; Personen mit der Doppeldiagnose Psychose und Sucht sowie Suchtkranke mit einer komorbiden Persönlichkeitsstörung stellen besondere Anforderung an Planung und Durchführung der Behandlung. Ziel des Maßregelvollzugs nach § 63 StGB ist Besserung und Sicherung.
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•
Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB setzt eine Substanzabhängigkeit und eine positive Behandlungsaussicht voraus.
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•
Die Behandlung im Maßregelvollzug nach § 63 und § 64 StGB wird durch rechtliche und organisatorische Rahmenbedingungen, Behandlungsgrundlage, Therapieziele und Risikomanagement bestimmt, orientiert sich darüber hinaus aber an allgemeinpsychiatrischen und psychotherapeutischen Standards.
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Behandlung im Maßregelvollzug berücksichtigt nicht nur die „primären Störungen“, sondern ganz besonders auch die begleitenden Störungen und erfolgt multimodal und interdisziplinär, umfassend, intensiv, direkt und strukturiert, da die Fähigkeiten der Patienten zur Risikoerkennung und zum Risikomanagement defizitär sind, häufig zudem Alkohol- und Drogenkonsum, dissoziale Persönlichkeitsstörung und intellektuelle Minderbegabung als Begleitstörungen (Komorbidiäten) vorliegen.
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Die erfolgreichen Behandlungsmaßnahmen orientieren sich an dem Risiko-, Bedürfnis- und Ansprechbarkeitsprinzip (Risk-Need-Responsivity) und sind der multimodalen, kognitiven Verhaltenstherapie zuzuordnen, deliktorientiert und dienen der Reduktion der störungsbedingten Gefährlichkeit.
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Therapien im Maßregelvollzug sind entsprechend dem Störungs- und Risikoprofil für die Aufnahme-, die Behandlungs- und die Re-Integrationsphase zu planen. Lockerungen sind Bestandteile der Behandlung und dienen der Festigung und Erprobung des erreichten Therapiefortschritts. Über sie wird in einem strukturierten und transparenten Verfahren entschieden und dokumentiert; die Umsetzung wird vorbereitet, der Verlauf überwacht, nachbearbeitet und dokumentiert.
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•
Einweisung und Entlassung aus dem Maßregelvollzug orientieren sich u. a. an der Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit. Die Entscheidungen der Gerichte stützen sich auf entsprechende prognostische Einschätzungen der forensischen Psychiater/Psychologen.
104.1
Vorbemerkung
104.2
Gesetzliche Voraussetzungen für die Zwangsunterbringung in der Psychiatrie
-
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nach den Landesgesetzen zur Gefahrenabwehr (PsychKG),
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•
nach dem Betreuungsrecht (BGB) und
-
•
nach dem Strafrecht (StGB).
Öffentlich-rechtlich geregelte Zwangseinweisung
-
•
Feststellung einer psychischen Störung/Krankheit,
-
–
die zu erheblicher Eigen- oder Fremdgefährdung führt, die nur durch Unterbringung und Behandlung in einer psychiatrischen Klinik abzuwenden ist.
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–
Bei Nichtbehandlung besteht eine akute, unmittelbare Gefahr für den Patienten und/oder Dritte bzw. deren Eigentum.
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-
•
Die Einsichts- und Urteilsfähigkeit (freie Willensbildung) des Patienten sind krankheitsbedingt stark beeinträchtigt.
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•
Die Zusammenhänge zwischen psychischer Erkrankung und drohender Eigen- oder Fremdgefährdung müssen objektivierbar sein.
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•
Eine Besserung des Krankheitszustands aufgrund der Behandlung ist zu erwarten.
Grundsätzlich gilt
Der Arzt selbst darf die zwangsweise Verbringung nicht anordnen, er kann sie beim Ordnungsamt oder beim Polizeivollzugsdienst nur anregen.
Zivilrechtlich geregelte Zwangseinweisung
Strafrechtlich geregelte Zwangseinweisung
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•
Sichere Feststellung mindestens einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit bei Begehung der Tat (§ 21 StGB positiv).
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•
Die psychische Störung entspricht einem der Eingangsmerkmale des § 20 StGB und ist ein überdauernder Zustand.
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•
Die Straftat muss symptomatisch aus der vorliegenden psychischen Störung hervorgehen.
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•
Weitere erhebliche rechtswidrige Taten infolge der Störung sind mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten.
-
•
Die Allgemeinheit ist gefährdet; Selbstgefährdung reicht nicht aus.
Problem der Zwangsbehandlung
-
•
Der Betreute kann wegen einer psychischen Krankheit, einer geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln.
-
•
Die Behandlung ist zeitlich befristet.
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•
Es wurde versucht, den Betreuten von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen.
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•
Die Zwangsmaßnahme ist erforderlich, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden. Dies kann durch keine andere zumutbare Maßnahme erreicht werden und der Nutzen der Zwangsmaßnahme überwiegt die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich.
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•
Es ist ein Verfahrenspfleger bestellt.
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•
Ein Genehmigungsbeschluss des Gerichts bezeichnet die Maßnahme konkret.
§ 8a Nds. MRVG
Behandlung der Anlasserkrankung gegen den natürlichen Willen zur Erreichung des Vollzugsziels
Nur möglich, wenn
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1.
die untergebrachte Person zur Einsicht in die Schwere ihrer Krankheit und die Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen oder zum Handeln gemäß solcher Einsicht krankheitsbedingt nicht fähig ist,
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2.
eine Patientenverfügung im Sinne des § 1901a Abs. 1 Satz 1 BGB, deren Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen und die die Durchführung der Behandlung untersagt, nicht vorliegt,
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3.
die untergebrachte Person über die beabsichtigte Behandlung und ihre Wirkungen in einer ihren Verständnismöglichkeiten und ihrem Gesundheitszustand entsprechenden Weise angemessen informiert worden ist,
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4.
der ernsthafte, mit dem erforderlichen Zeitaufwand und ohne Ausübung von Druck unternommene Versuch einer zuständigen Ärztin oder eines zuständigen Arztes, eine auf Vertrauen gegründete Zustimmung zu der Behandlung zu erreichen, erfolglos geblieben ist,
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5.
die Behandlung dem Ziel dient, die untergebrachte Person entlassungsfähig zu machen,
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6.
die Behandlung zur Erreichung ihres Ziels geeignet, nach ihrer geplanten Art und Dauer einschließlich der Auswahl und Dosierung der Medikamente sowie der begleitenden Kontrollen erforderlich ist, weniger eingreifende Behandlungen aussichtslos sind und
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7.
der Nutzen der Behandlung die mit ihr einhergehenden Belastungen und den möglichen Schaden bei Nichtbehandlung deutlich überwiegt.
§ 8b Nds. MRVG
Behandlung ohne Einwilligung oder gegen den natürlichen Willen zur Abwehr erheblicher Gefahren
Eine Behandlung der untergebrachten Person ist gegen ihren natürlichen Willen auch zur Abwehr einer erheblichen Gefahr für ihr Leben oder ihre Gesundheit oder zur Abwehr einer erheblichen Gefahr für das Leben oder die Gesundheit einer anderen Person zulässig.
104.3
Maßregelvollzug und Maßregelbehandlung
§ 63 StGB
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.
§ 64 StGB
Einweisung in eine Entziehungsanstalt
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hangs erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
Diagnostisches Spektrum
Was ist Maßregelbehandlung?
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Zur Behandlung der chronisch-dynamischen Risikofaktoren eignen sich die Therapie der psychischen Störung/Krankheit, die Suchtbehandlung, das Problemlösetraining, die Milieutherapie, schulische und berufliche Bildung, Vermittlung sozialer und alltäglicher lebenspraktischer Kompetenzen.
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•
Zur Identifizierung der akut-dynamischen Risikofaktoren eignet sich u. a. die Erstellung eines „Deliktzirkels“. Hierzu werden das Verhalten im Tatvorfeld, die Tat und das Tatnachverhalten analysiert, interne und externe Warnzeichen auf der Verhaltensebene beschrieben und für jedes Warnzeichen konkrete Handlungsalternativen (Coping-Strategien) entwickelt. Weiterhin werden Förderung der Opferempathie, Übernahme der Verantwortung für das gesamte eigene Verhalten sowie Aufgabe der Verleugnung und Bagatellisierung angestrebt.
Grundsätze für die Behandlung von psychisch kranken Straftätern
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•
Entscheidend sind nicht nur Verhaltensänderungen, sondern vor allem auch Einstellungsänderungen.
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•
Einstellungsänderungen müssen an objektiv erkennbaren Verhaltensweisen überprüfbar sein.
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•
Psychodynamische Erklärungsmodelle dienen nicht der Entschuldigung, sondern allenfalls dem Verständnis und der Grundlage für Einstellungsänderungen.
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•
Therapeuten treffen die Entscheidungen und behalten die Autorität bei der Behandlung.
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•
Therapeuten gestalten aktiv das Geschehen und überprüfen Erfolg und Misserfolg.
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•
Der tatsächlich vom Patienten geleistete aktive Beitrag an der Therapie ist erkennbar.
104.4
Allgemeine Therapieprinzipien
Relapse Prevention (Rückfallvermeidungsmodell)
Risk-Need-Responsivity-Prinzip (RNR)
Good-Lives-Model (GLM)
Reasoning and Rehabilitation Program (R & R)
Module des R & R-Programms
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•
Problemlösen
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•
Soziale Fertigkeiten
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•
Verhandlungsfertigkeiten
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•
Umgang mit Emotionen
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Kreatives Denken
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Werte
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•
Kritisches Urteilen
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•
Fertigkeiten im Überblick
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•
Kognitive Übungen
Durchführungen des R & R-Programms
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•
35 vorstrukturierte Sitzungen à 2 h
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•
Gruppengröße: 6–8 Teilnehmer
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•
Unterrichtsmanual mit konkreten Handlungsanweisungen
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•
Schulung für Trainer → Ausbildung durch entsprechend ausgebildete „Instruktoren“ (Trainer der Trainer) ist Voraussetzung für Durchführung
Angewendete Techniken
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•
Gruppendiskussion
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•
Sokratischer Dialog
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•
Modeling
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•
Rollenspiele
-
•
Denkspiele
-
•
Hausaufgaben
-
•
Dilemma-Diskussionen
-
•
Entspannungstechnik
104.5
Behandlungsplan
Drei Phasen des Behandlungsplans
Aufnahmephase
Behandlungsphase
Reintegrationsphase
Bestandteile eines Behandlungsplans im Maßregelvollzug
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•
Behandlungsplan (Dauer der Gültigkeit)
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•
Patient: Name, Vorname, Geburtsdatum, -name
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•
Rechtsgrundlage der Unterbringung
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Einweisungsdelikt(e) und -urteil (inkl. evtl. Parallelstrafe)
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•
Einweisungsdiagnosen, Einweisungsgutachten
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Eckpunkte der Biographie, Sozialisation
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Sexualanamnese, Suchtanamnese
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•
Krankenvorgeschichte (Eigenanamnese)
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Testpsychologische Befunde
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•
Untersuchungsbefunde (bei Aufnahme, aktuelle Befunde)
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•
Aktuelle Diagnose/n (Behandlungsdiagnosen)
-
•
Forensische Anamnese (BZR-Auszug, evtl. Vorgutachten)
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•
Delinquenzhypothese
-
•
Risikofaktoren (delinquenzrelevante Faktoren)
-
•
Protektive Faktoren, Resilience
-
•
Behandlungsziele (kurz-, mittel-, langfristig) und Zielkriterien
-
•
Behandlungsmaßnahmen, -programm (kurz-, mittel-, langfristig)
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•
Einschätzung des Patienten
Lockerungen
Voraussetzungen
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•
Ausführungen (mit Personalbegleitung)
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–
Stabile und belastbare Beziehung des Patienten zum therapeutischen Personal.
-
–
Keine erhöhte oder unkontrollierte Neigung zu impulsivem Handeln.
-
-
•
Ausgang (ohne Personalbegleitung)
-
–
Patient erkennt potenziell risikoträchtige Situationen und Risikofaktoren, kann angemessen damit umgehen bzw. sich rechtzeitig beim Personal Hilfe holen.
-
–
Individuelle Rückfallvermeidungsstrategien wurden erarbeitet und erprobt.
-
-
•
Beurlaubungen (Vorbereitung der Entlassung)
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–
Patient hat die erarbeiteten Therapieziele stabil internalisiert.
-
–
Belastbare und verlässliche Coping-Strategien wurden ausgebildet.
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Zielsetzung
Merke
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•
Lockerungen sind therapeutische Maßnahmen, sie müssen vorbereitet, kontrolliert und bearbeitet (ausgewertet) werden.
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•
Lockerungen sind zu dokumentieren, nicht nur ihr objektiver Verlauf, sondern auch die Argumente dafür oder dagegen.
-
•
Die Lockerung muss verantwortet werden können, also kein Versuch-Irrtum-Vorgehen.
Stellungnahmen nach § 67e StGB
Prüfung der Fortdauernotwendigkeit
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•
Worin bestand die in den Taten/der Tat zutage getretene Gefährlichkeit?
-
•
Besteht diese Gefährlichkeit weiterhin?
-
•
Wenn nein, was hat sich geändert?
-
•
Ist eine Entlassung aus der Maßregel verantwortbar? Gegebenenfalls unter welchen Bedingungen?
-
•
Wenn nein, was hat zu erfolgen, damit eine Entlassung verantwortet werden kann?
-
•
Wenn die Gefährlichkeit weiterhin besteht, was hat zu erfolgen, damit sie sich verringert?
Gefährlichkeit und Fortdauernotwendigkeit
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Patient: Name, Vorname, Geburtsdatum, -name
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•
Rechtliche Grundlage der Unterbringung
-
•
Einweisungsdelikt(e) und -urteil (inkl. evtl. Parallelstrafe)
-
•
Aktuelle Diagnose/n (Behandlungsdiagnosen)
-
•
Angaben zur Gefährlichkeit
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–
Delinquenzhypothese
-
–
Forensische Anamnese (Vorstrafen)
-
–
Risikofaktoren (delinquenzrelevante Faktoren)
-
-
•
Behandlungsprogramm
-
•
Lockerungsstatus
-
•
Therapie und Verlauf
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–
Bearbeitung des Problemverhaltens, der Problemeinstellungen
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–
Deliktbearbeitung
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–
Überblick über den letzten Behandlungszeitraum
-
–
Besondere Vorkommnisse
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–
Selbsteinschätzung des Patienten
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-
•
Prognose, Prognoseverfahren
-
–
Risikofaktoren
-
–
Protektive Faktoren, Resilience
-
-
•
Einschätzung des Verlaufs und der Gefährlichkeit
-
•
Stellungnahme der Klinik
-
–
Bei Fortdauernotwendigkeit: Entlassungshindernisse
-
–
Bei Entlassung: Empfehlung für Auflagen, Weisungen
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Ambulante Nachsorge
Merke
Während der bedingten Entlassung aus der Unterbringung und der ambulanten Behandlung besteht eine Offenbarungspflicht der Therapeuten gegenüber der Strafvollstreckungskammer und anderen an der ambulanten Behandlung beteiligten Personen.
104.6
Behandlung spezieller Störungen
104.6.1
Schizophrene Störung
Umgang mit psychotischen Patienten
-
•
Informationen einfach, übersichtlich vermitteln
-
•
Klarer, eindeutiger Kommunikationsstil
-
•
Verantwortlichkeit im Behandlungsteam transparent, genau definiert
-
•
Behandlungsplanung verständlich, nachvollziehbar
Merke
Lithium und Carbamazepin können die antiaggressive Wirkung der Neuroleptika bei psychotischen Patienten verstärken.
104.6.2
Persönlichkeitsstörungen
Merkmale wirksamer Behandlungsverfahren bei Persönlichkeitsstörungen
-
•
Strukturierung der therapeutischen Interventionen
-
•
Förderung der Compliance
-
•
Klare Fokussierung der Behandlung, konkrete Zielvereinbarung
-
•
Hohe theoretische Kohärenz für Therapeut und Patient
-
•
Langzeitbehandlung
-
•
Belastbare und flexible therapeutische Beziehung
-
•
Aktive Haltung des Therapeuten
-
•
Enge Zusammenarbeit mit psychosozialen Diensten
Medikamentöse Behandlung
104.6.3
Intelligenzminderung
-
•
hohe Bedürfnisspannung durch vielfache Zurücksetzungen, Misserfolge, Beziehungsenttäuschungen,
-
•
geringe Flexibilität (Fixierung auf ein Ziel),
-
•
reduziertes Problemlösungsrepertoire,
-
•
geringe Kompetenz zur adäquaten Bedürfnisbefriedigung sowie
-
•
mangelhafter Überblick über den Zusammenhang von Handlungen und Handlungsauswirkungen
Psychotherapeutische Behandlung intelligenzgeminderter Patienten
-
•
Direktive, stark strukturierte Verhaltenstherapie
-
•
Einfache Sprache
-
•
Geringes Abstraktionsniveau, konkretes Vorgehen
-
•
Kurze, höher frequente Sitzungen
-
•
Symptom- und Kompetenzorientierung
-
•
Kleine therapeutische Einheiten
-
•
Viele Wiederholungen
Pharmakologische Therapie bei Aggressionen intelligenzgeminderter Patienten
-
•
Zuclopenthixol (Evidenzgrad Ib); Dosierung: 3 Gaben/d bis max. 20 mg/d (= Tageshöchstdosis) oder
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•
Risperidon (Evidenzgrad Ib); Dosierung: 0,5–4 mg/d.
104.6.4
Sexuelle Deviation
Cave
-
!
Sadistische Präferenzstörung und dissoziale bzw. antisoziale Persönlichkeitsstörung mit deutlich psychopathischen Anteilen sorgfältig hinsichtlich einer Gruppentherapie prüfen.
-
•
Deliktrekonstruktion, Deliktszenario,
-
•
kognitive Umstrukturierung,
-
•
Opferempathie,
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•
Biographie, Persönlichkeit und
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•
Rückfallprävention mit Identifizierung individueller Hochrisikosituationen.
Behandlungsprogramm für Sexualstraftäter (BPS)
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•
Ausgangsüberlegung: Sexualstraftaten stehen oft im Zusammenhang mit diversen Entwicklungsstörungen, Mängel in der Kommunikation, der Stressbewältigung, der Problemlösefähigkeit, der Introspektion sowie in der Selbstreflektion und der Empathiefähigkeit.
-
•
Dementsprechend sind die Schwerpunkte im deliktunspezifischen Teil:
-
–
Gesprächsverhalten
-
–
Selbst- und Fremdwahrnehmung
-
–
Rückmeldung geben und empfangen
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–
Wahrnehmung von Gefühlen
-
–
Moralisches Handeln und Empathie
-
–
Kontakt- und Kommunikationstraining
-
–
Geschlechtsrollenstereotypen
-
–
Stressmanagement
-
–
Suchtmittelkontrolle
-
–
Menschliches Sexualverhalten
-
-
•
Schwerpunkte im spezifischen Teil für Sexualstraftäter:
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–
Persönliche Lebensgeschichte
-
–
Kognitive Verzerrungen
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–
Stufen der Begehung von Sexualstraftaten
-
–
Scheinbar belanglose Entscheidungen
-
–
Risikosituationen
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–
Problem der unmittelbaren Befriedigung
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–
Kontrolle sexueller Fantasien
-
–
Ablauf der Straftat (Deliktszenario)
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–
Opferempathie
-
–
Rückfallprävention
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Sex Offender Treatment Program (SOTP)
Behandlung mit SSRI
-
•
Gute Verträglichkeit
-
•
Keine Toleranzentwicklung
Behandlung mit Cyproteronacetat (CPA)
-
•
Wirkmodus: kompetitiver Testosteronrezeptorblocker mit antigonadotroper und gestagener Wirkung
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•
Dosierung: 50–200 mg/d p. o. oder 300–600 mg i.m. alle 10–14 d
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•
Wirklatenz: 1 Wo. bis 4 Mon.
-
•
Therapiedauer: keine klaren Richtlinien, evtl. Dauertherapie?
Procedere für die Behandlung mit CPA
-
•
Einwilligungserklärung: alle möglichen UAW, einschließlich irreversibler Hypogonadismus bei jahrelanger Anwendung, aufführen
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•
Nebenwirkungen:
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–
Blutdruckveränderungen, Ischämie, Verschlechterung von Herzfehlern
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–
Erhöhtes Risiko für Phlebitis, Thrombosen und Embolie, Anämie
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–
Osteoporose
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–
Gewichtszunahme, Gynäkomastie
-
–
Trockene Haut, Haarverlust
-
–
Müdigkeit, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Antriebsschwäche, depressive Symptome
-
–
Schwindel, Brechreiz, Obstipation
-
-
•
Kontraindikationen:
-
–
Allergie gegen CPA
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–
Aktive Hypophysenpathologie
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–
Thromboembolien in der Vorgeschichte
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–
Schwere Leberschäden, -tumoren
-
-
•
Voruntersuchungen:
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–
FSH, LH, Testosteron
-
–
Prolactin
-
–
Gewicht, RR, EKG
-
–
Serumkalzium und Phosphat
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–
Blutzucker und Leberenzyme
-
–
Harnstoff, Kreatinin
-
–
Osteodensitometrie
-
-
•
Verlaufsuntersuchung:
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–
Testosteron zuerst monatlich, dann alle 4 Mon.
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–
Kardiovaskulärer Status alle 3 Mon.
-
–
LH und Prolactin alle 6 Mon.
-
–
Regelmäßige Gewichtskontrolle
-
–
Leberfunktion
-
–
Harnstoff, Kreatinin alle 6 Mon.
-
–
Blutzucker
-
–
Osteodensitometrie alle 12 Mon.
-
–
Kalzium und Phosphat
-
104.6.5
Suchterkrankungen
Literatur
Andrews and Bonta, 2010
AWMF (DGPPN), 2017
AWMF (DGPPN): Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde. Band 8 Störungen der sexuellen Präferenz, https://www.dgppn.de/_Resources/Persistent/c5adae23b60f6f7d22c16a46998a866c9db9fa3a/s1-LL-Stoerung%20sexuelle%20Praeferenz.pdf (letzter Zugriff: 27. September 2017)Berner et al., 2007
Bohus et al., 2009
Gaebel and Falkai, 2006
Hanson and Bussiére, 1998
Kröber et al., 2006
Müller-Isberner and Eucker, 2012
Nedopil and Müller, 2012
Rettenberger and von Franqué, 2013
Wanberg et al., 1998