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978-3-437-24950-1
Elsevier GmbH
Diagnostische Empfehlungen bei Harninkontinenz der Frau. HarninkontinenzDiagnostik
Vor konservativer Therapie ausreichend |
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Vor operativer Therapie empfohlen |
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Anticholinergika in der Therapie der ReizblaseReizblaseAnticholinergikatherapie.
Wirkstoff | Präparat | Dosierung |
Darifenacin | Emselex® 7,5 und 15 mg Ret.-Tbl. | 2 × 7,5 mg/d oder 1 × 15 mg/d |
Oxybutynin | z. B. Dridase® 5 mg Tbl. | 3 × 2,5 mg/d bis 4 × 5 mg/d |
Kentera® Pflaster | 3,9 mg/24 h, Wechsel alle 3–4 d | |
Propiverin | Mictonetten® 5 mg Drg. | 2 × 5 mg/d (Kinder) |
Mictonorm® 15 mg Drg. | 2–3 × 15 mg/d | |
Solifenacin | Vesicur® 5 und 10 mg Filmtbl. | 1 × 5–10 mg/d |
Tolterodin | Detrusitol® 1 und 2 mg Tbl. und 4 mg Ret.-Kps. | 2 × 2 mg/d (Tbl.) und 1 × 4 mg/d (Ret.-Kps.) |
Trospiumchlorid | z. B. Spasmex® 15 und 30 mg Tbl. | 3 × 15 mg/d |
Harninkontinenz der Frau
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77.1
Vorbemerkungen579
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77.2
Diagnostik580
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77.3
Belastungsinkontinenz581
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77.4
Reizblase, Dranginkontinenz und überaktive Blase585
Kernaussagen
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•
HarninkontinenzHarninkontinenz ist ein Symptom mit multifaktoriellen Ursachen. Es bedarf einer sorgfältigen Differenzialdiagnostik, um eine Therapie mit Aussicht auf Erfolg durchführen zu können.
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•
Neben der Belastungsinkontinenz (Versagen des Verschlussmechanismus) stellt Dranginkontinenz (überaktive Blase) eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität dar. Es gibt auch Mischformen.
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•
Vor jeder Therapie sollten eine sorgfältige Anamnese und klinische Untersuchung erfolgen, ebenso eine Urinuntersuchung zum Ausschluss eines Harnwegsinfekts sowie eine Restharnbestimmung.
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•
Vor einer operativen Behandlung der Belastungsinkontinenz sollte immer ein konservativer Therapieversuch unternommen werden.
-
•
Die komplexe Pathophysiologie macht verständlich, dass es nicht die eine konservative oder die eine operative Strategie geben kann, sondern ein individuelles Konzept erarbeitet werden muss.
77.1
Vorbemerkungen
Grundsätzlich gilt
Die Harninkontinenz der Frau ist ein altersabhängiges Geschehen und von vielen weiteren Faktoren abhängig.
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•
Kongenitale Faktoren (u. a. Bindegewebe, Stoffwechsel, Lebensgewohnheiten)
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•
Gynäkologische Faktoren (u. a. Geburten, Hormonstatus, Operationen im Genitalbereich)
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•
Allgemeinmedizinische Faktoren (Adipositas, Diabetes mellitus, Ernährung, neuroorthopädische)
-
•
Extraurethrale Inkontinenz
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•
Belastungsinkontinenz
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•
Dranginkontinenz (überaktive Blase)
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•
Überlaufinkontinenz
-
•
Neurogene Inkontinenz
-
•
einem Urinverlust durch andere Kanäle als die Urethra (Ureterektopie, andere Fehlbildungen, Fisteln),
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•
einer Belastungsinkontinenz (Versagen des Verschlussmechanismus der Urethra),
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•
einer Überaktivität des Blasenmuskels (Overactive Bladder),
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•
einer Überlaufinkontinenz bei infravesikaler Obstruktion (bei der Frau eher selten, beim Mann z. B. durch Prostataadenom) und
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•
einer neurogenen Inkontinenz bei Störungen der komplexen Neuromodulation (z. B. durch Wirbelsäulenprobleme wie Bandscheibenprolaps, zentrale neurologische Erkrankungen, multiple Sklerose, Morbus Parkinson, diabetische Polyneuropathie).
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•
Führen die Hustenstöße während der Füllungszystometrie zum synchronen Harnverlust (positiver Hustentest während der Füllungszystometrie), spricht man von der urodynamischen Belastungsinkontinenz.
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•
Bei der überaktiven Blase (ungehemmte Kontraktionen der Blasenmuskulatur, durchaus auch unter Belastungsbedingungen) wird der Urin aktiv durch Kontraktion der Blase ausgepresst.
Cave
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!
Die allein anamnestisch und klinisch erstellte Diagnose ist mit einer Fehlerquote von ca. 30% behaftet, sodass erst eine urodynamische Untersuchung (Blasendruckmessung) sicherstellt, dass Belastungsinkontinenz Harnverlust in Abwesenheit jeglicher Detrusorkontraktionen bedeutet.
77.2
Diagnostik
77.2.1
Anamnese
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•
Art und Dauer der Harninkontinenz, Nykturie,
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•
bisherigen Therapien,
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•
Geburten,
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•
früheren chirurgischen Eingriffen (insbesondere im kleinen Becken),
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sozialem Umfeld, beruflicher Tätigkeit,
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•
Mobilität,
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mentalem Zustand,
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•
durch Erfassung der Komorbidität (z. B. chronische Bronchitis, Nikotinabusus, Asthma),
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•
Medikamentenanamnese besonders im Hinblick auf inkontinenzfördernde Mittel,
-
•
Sexualanamnese,
-
•
Stuhlanamnese besonders im Hinblick auf Obstipation und/oder Stuhlinkontinenz.
Merke
Es gibt keine wissenschaftliche Evidenz darüber, dass der Einsatz von Fragebögen bei der Harninkontinenzbeurteilung das Therapieergebnis beeinflusst.
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•
Miktionshäufigkeit,
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•
entleertem Harnvolumen,
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Häufigkeit der Inkontinenzepisoden,
-
•
Schweregrad des Harnverlusts,
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•
Zahl der erforderlichen Vorlagen bzw. Wäschewechsel und
-
•
der Trinkmenge.
Merke
Miktionstagebücher (Miktionsprotokolle), die über 3–7 d geführt werden, sind eine zuverlässige Methode für die Quantifizierung des durchschnittlichen Miktionsvolumens und der Miktionshäufigkeit während des Tages und der Nacht. Miktionsprotokolle werden eingesetzt, um harninkontinenzbegleitende Blasenspeicher- und Blasenentleerungsstörungen zu erfassen und zu bewerten.
77.2.2
Klinische Untersuchung
-
•
Palpation des Abdomens: Feststellung des Spannungszustands des Abdomens, Ausschluss eines Tumors im kleinen Becken oder einer vollen Blase.
-
•
Inspektion des äußeren Genitales: Fehlbildungen, Entzündungen, Tumoren.
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•
Spekulumeinstellung: Prolaps, Fisteln, Vaginalhautbeschaffenheit (Östrogenisierungsgrad), Veränderung des Prolaps beim Husten oder Pressen.
-
•
Hustentest: Die Patientin wird aufgefordert, mit gefüllter Blase (Volumen > 200 ml) wiederholt im Liegen und im Stehen zu husten.
-
!
Ein beobachteter hustensynchroner Harnaustritt aus der Harnröhre gilt als klinischer Nachweis einer Belastungsinkontinenz.
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-
•
Erfassung des neurourologischen Status:
-
–
Sensibilität der Segmente S2 bis S4 (Reithosengebiet)
-
–
Analsphinktertonus, Kontraktion, Reflexe
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-
•
Urinanalyse (Streifentest, gegebenenfalls Kultur, gegebenenfalls mikroskopische Untersuchung)
-
•
Restharnbestimmung (sonographisch oder Einmalkatheterismus)
77.2.3
Funktionsdiagnostik
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•
Harnröhrentonus (gemessen als Harnröhrenverschlussdruck in Ruhe)
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•
Drucktransmission auf Blasenhals und proximale Harnröhre bei Belastung (passive Drucktransmission, gemessen als Druckerhöhung im Stressprofil)
-
•
Kontraktion der quer gestreiften Sphinkter- und Beckenbodenmuskulatur (aktive Drucktransmission, gemessen als Druckerhöhung im Stressprofil)
-
•
Eine routinemäßige urodynamische Untersuchung ist vor einer konservativen Therapie der Harninkontinenz nicht indiziert.
-
•
Vor operativen Eingriffen – insbesondere Rezidiveingriffen – sollte eine urodynamische Untersuchung durchgeführt werden, um die Patientin mit größtmöglicher Sorgfalt zu beraten und der richtigen Therapie zuzuführen.
77.2.4
Endoskopie
77.2.5
Morphologie
77.3
Belastungsinkontinenz
77.3.1
Konservative Therapie
Verhaltenstherapie
Als Faustregel gilt
Übergewicht ist ein unabhängiger Risikofaktor für die Entwicklung einer Belastungsinkontinenz. Eine Gewichtsreduktion kann zu einer Besserung der Symptome führen (Evidenzgrad Ib, Empfehlungsgrad B/C).
Physiotherapie
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•
In der Schwangerschaft und nach der Geburt sollte ein Beckenbodentraining zur Prävention und Therapie einer Inkontinenz eingesetzt werden.
-
•
Beckenbodentraining sollte auch bei älteren Patientinnen durchgeführt werden.
-
•
Ein Beckenbodentraining zur Therapie einer Belastungsinkontinenz ist einer Nichtbehandlung überlegen.
-
•
Nach einem Beckenbodentraining berichten Frauen im Vergleich zu Frauen ohne Training häufiger über eine Heilung oder Verbesserung der Inkontinenzsymptomatik; eine Reduktion der durchschnittlichen Anzahl der täglichen Inkontinenzepisoden ist nachweisbar.
Als Faustregel gilt
Vor einer operativen Therapie ist ein Beckenbodentraining im Rahmen konservativer Erstmaßnahmen zu empfehlen (Evidenzgrad Ia, Empfehlungsgrad A).
Sonstige Maßnahmen
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•
Beckenbodentraining mit Biofeedback,
-
•
Elektrostimulationsbehandlung,
-
•
Vaginalkonen,
-
•
Vibrationstherapie und
-
•
hochenergetische Magnetfeldbehandlung.
Cave
-
!
Über die Anwendung von Biofeedback, Elektrostimulation, Vaginalkonen, Vibrationstherapie und Magnetfeldbehandlung im Rahmen der physiotherapeutischen Behandlung der Belastungsinkontinenz liegen keine ausreichenden Daten vor. Eine Empfehlung ist nicht möglich.
Medikamentöse Therapie
Als Faustregel gilt
Duloxetin kann zur Behandlung der Belastungsinkontinenz eingesetzt werden (Evidenzgrad Ia). Gleichzeitiges Beckenbodentraining hat einen positiv synergistischen Effekt. Erhebliche Nebenwirkungen schränken den Einsatz im klinischen Alltag allerdings ein.
Hilfsmittel
Als Faustregel gilt
Die begrenzte Datenlage zeigt mit eingeschränkter „Evidenz“, dass intravaginale Hilfsmittel in der Behandlung von Stressinkontinenz bei Frauen hilfreich sein können. Ausreichende Evidenz für eine Überlegenheit dieser Therapieform gegenüber anderen konservativen Therapieformen liegt jedoch nicht vor.
77.3.2
Operative Therapie
-
•
Patientinnen, denen eine retropubische Schlinge angeboten wird, müssen über das höhere perioperative Komplikationsrisiko im Vergleich zur transobturatorischen Schlingeneinlage aufgeklärt werden (Empfehlungsgrad A).
-
•
Patientinnen, denen eine transobturatorische Schlinge vorgeschlagen wird, sollten über das langfristig höhere Dyspareunie- und Schmerzrisiko informiert werden (Empfehlungsgrad A).
-
•
Patientinnen, die eine Therapie mit einer autologen Faszienschlinge erhalten, müssen über das hohe Risiko von Blasenentleerungsstörungen und die Notwendigkeit eines intermittierenden Selbstkatheterismus aufgeklärt werden; es sollte sichergestellt werden, dass sie dazu fähig und damit einverstanden sind (Empfehlungsgrad A).
Kolposuspension
Offene Kolposuspension
-
•
Bei 6,6% der Patientinnen kam es postoperativ zu einer überaktiven Blase (1,9–16,6%).
-
•
Bei 12,5% (6–37,2%) kam es vorübergehend zu Blasenentleerungsstörungen und bei 3,5% persistierten diese.
-
•
Bei 22,1% (9,5–38,2%) der Patientinnen kam es nach der Kolposuspension zu einem Deszensus, der aber meistens asymptomatisch war. Nur ca. 5% der Patientinnen benötigen eine zweite Operation zur Behebung des Deszensus.
Merke
Die offene Kolposuspension ist die Inkontinenzoperation mit der höchsten Effektivität in der Langzeitbeobachtung in der Primär- und der Rezidivsituation (Evidenzgrad Ia).
-
!
Blasenentleerungsstörungen, Detrusorüberaktivität und Descensus genitalis können als Folge der Kolposuspension auftreten (Evidenzgrad I).
Laparoskopische Kolposuspension
Cave
-
!
Wegen der mangelhaften Datenlage ist eine Empfehlung zur laparoskopischen Kolposuspension nicht möglich.
Autologe abdomino-vaginale Schlingen
-
!
BelastungsinkontinenzSchlingen, autologeAutologe Schlingen, welche am Blasenhals platziert werden, müssen von den alloplastischen Bändern, welche in Harnröhrenmitte eingelegt werden, unterschieden werden.
Indikationen
-
•
Als Indikation gelten eine kurze funktionelle Harnröhrenlänge und Rezidivinkontinenz nach anderen Inkontinenzoperationen.
-
•
Eine spezielle Indikation ist die Versorgung von Harnröhrenarrosionen mit Urethra-Scheiden-Fisteln nach Implantation alloplastischer Bänder.
Komplikationen
Als Faustregel gilt
Autologe Schlingen sind effektiv zur Behandlung der Belastungsinkontinenz (Evidenzgrad III, Empfehlungsgrad B).
Alloplastische suburethrale, spannungsfreie Schlingenoperationen (TVT, TOT und TVT-O)
Retropubische Verfahren
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•
Die Erfolgsraten für die retropubische TVT-Einlage rangieren zwischen 84 und 95%. Im Langzeit-Follow-up werden Heilungsraten von 73–81% nach 5–6 bis zu 17 Jahren gesehen (Nilsson et al. 2013).
-
•
Die Ergebnisse sind für die Mischinkontinenz schlechter als für die reine Belastungsinkontinenz.
-
•
Komplikationen:
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–
Bei den intraoperativen Komplikationen sind die Blasenperforationen mit 0,8–21% am häufigsten.
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–
Einzelne schwere Komplikationen wie Darmverletzungen, Urethraverletzungen und Gefäßverletzungen mit schweren Nachblutungen sowie Todesfälle sind beschrieben.
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–
4–11% der Patientinnen haben postoperativ Blasenentleerungsstörungen, bei 1–3% muss deshalb das Band suburethral durchtrennt werden.
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–
De-novo-Drangsymptome werden bei 9–33% der Patientinnen beschrieben.
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–
Banderosionen sind als Spätkomplikation selten (< 1%). Allerdings sind Perforationen von Polypropylenbändern nach Jahren in die Blase oder den Darm berichtet worden.
-
Transobturatorische Verfahren
Fazit
Als Faustregel gilt
Die retropubische Implantation von TVT-Bändern ist genauso effektiv wie die Kolposuspension zur Behandlung der Belastungsinkontinenz (Evidenzgrad I/II).
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•
Große Kohortenstudien und Langzeitbeobachtungsstudien über sieben Jahre beschreiben eine Heilungsrate von 81% und eine Besserungsrate von 94% für den retropubischen Zugang (Evidenzgrad II).
-
•
In Bezug auf Heilungs- und Besserungsraten sind die retropubische und die transobturatorische Vorgehensweise als gleichwertig zu betrachten (Evidenzgrad I/II).
Injektionstechniken
-
!
Die gegenwärtige Datenlage ist dünn. Es gibt nur eine prospektive randomisierte Studie mit kurzem Nachuntersuchungsintervall (12 Mon.), die einen Vergleich zwischen operativen Therapieoptionen versus einer Injektionstechnik (Kollagen) durchgeführt hat.
Cave
Aufgrund der fehlenden Langzeitdaten kann eine Empfehlung für eine Primärtherapie der Stressharninkontinenz durch Bulking Agents nicht ausgesprochen werden.
-
!
Es ist davor zu warnen, diese vermeintlich einfache und „minimalinvasive Technik“ als Ersteingriff bei jungen Frauen nach Entbindung oder noch nicht abgeschlossener Familienplanung anzuwenden, denn auch bei der Injektion werden neuromuskuläre Strukturen beeinträchtigt oder zerstört, die die Chancen einer standardisierten Operation beeinträchtigen.
Indikation und Ergebnisse
Nebenwirkungen
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Fremdkörperreaktionen (Granulome)
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•
Allergie
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•
Harnwegsinfekte
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Hämaturie
-
•
Blasenentleerungsstörung (meist reversibel)
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•
Urgency (de novo)
-
•
Arrosionen
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•
Abszesse
-
•
Paraurethrale Zystenbildung
Fazit
Als Faustregel gilt
Injektionstechniken haben schlechtere Langzeitergebnisse als andere Inkontinenzoperationen (Evidenzgrad III und IV, Empfehlungsgrad C).
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•
In Anbetracht der Datenlage sollte die Operation nicht bei Patientinnen angewendet werden, bei denen andere effektivere Operationsmethoden geeignet sind.
-
•
Für Patientinnen mit extensiven Komorbiditäten oder Ablehnung einer anderen Operationsmethode kann die Injektionstherapie eine sinnvolle Option für eine Verbesserung der Symptome sein.
Artifizieller Sphinkter
-
!
Diese Behandlung ist nur indiziert, wenn alle anderen operativen Behandlungsmaßnahmen fehlgeschlagen sind.
77.3.3
Belastungsinkontinenz und Descensus genitalis
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•
Bei einer manifesten Belastungsinkontinenz und einem Deszensus an der vorderen Scheidenwand sollte immer eine Korrektur des Deszensus erfolgen. Der Patientin sollte die gleichzeitige Korrektur der Inkontinenz angeboten werden (Expertenmeinung, Evidenzgrad IV).
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•
Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie bei larvierter Belastungsinkontinenz werden in der Leitlinie „Diagnostik und Therapie des Descensus genitalis“ gegeben (www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/015-006.html).
77.4
Reizblase, Dranginkontinenz und überaktive Blase
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Vulvovaginitis
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•
Adnexprozesse
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•
Myome, Ovarialtumoren
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•
Urethraldivertikel
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•
Interstitielle Zystitis
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•
Harnwegsentzündungen
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Blasentumoren
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•
Uogenitale Altersatrophie
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•
Infravesikale Obstruktion (z.B. Prolaps, Meatusstenose)
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•
Narben im Genitalbereich
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•
Fremdkörper
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•
Medikamente (Diuretika)
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Strahlenblase
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Sexuelle Praktiken
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•
Hygienemaßnahmen
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•
Erfolglose konservative Therapie
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•
Hinweise auf Mischinkontinenz
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•
Hinweise auf De-novo-Drangsymptomatik nach einer Inkontinenzoperation
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•
Verdacht auf Blasenentleerungsstörungen
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•
Hinweise auf neurogene Grunderkrankungen
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•
1. Stufe der Therapie: Blasentraining, Physiotherapie und medikamentöse Therapie.
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•
2. Stufe der Therapie: Instillationen (inklusive Botoxinjektion), Neuromodulation und gegebenenfalls operative Therapie.
77.4.1
Psychotherapie
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!
Behandlungserfolge werden deutlich von der Kompetenz des konsultierten Fachvertreters bestimmt. Schnelle Erfolge sind zumeist nicht zu erwarten.
Verhaltenstherapie
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•
Information der Patientin über ihre Blase und wie Kontinenz erzielt werden kann.
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•
Führen eines Miktionstagebuchs und anschließend Erstellen eines „Stundenplans“, nach dem die Patientin auf die Toilette geht. Dabei ist das Ziel, die Intervalle zwischen den Miktionen und die Füllvolumina sukzessive zu vergrößern.
-
•
Positive Verstärkung und psychologische Unterstützung durch medizinisches Personal.
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•
Gelegentlich Miteinbeziehen von Entspannungstechniken.
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•
Reduzieren der Koffeinmenge.
Fazit
77.4.2
Physiotherapie
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•
Eine 2015 durchgeführte Cochrane-Analyse hat erbracht, dass Patientinnen mit Beckenbodentraining eher über einen Therapieerfolg der Inkontinenz berichten als Patientinnen ohne Training.
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•
Eine Studie mit insgesamt 103 Patientinnen verglich den Effekt von Beckenbodentraining, Beckenbodentraining mit Biofeedback und Beckenbodentraining mit Elektrostimulation bei Patientinnen mit OAB miteinander. Elektrostimulation hatte dabei den größten Therapieerfolg.
77.4.3
Lokale und systemische Östrogenisierung
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•
In dieser Analyse wurden insgesamt 2.926 Patientinnen aus 28 Studien ausgewertet. Es zeigte sich eine subjektive Heilungs- und Verbesserungsrate der Dranginkontinenz unter Östrogenen von 57% vs. 28% unter Placebo. Für Patientinnen mit überaktiver Blase war die Heilungs- und Verbesserungsrate um ein Viertel höher als bei Patientinnen mit Belastungsinkontinenz.
-
•
Als Nebenwirkungen wurden Brustspannen, geringe vaginale Blutung (Spotting) und Übelkeit angegeben.
-
•
Patientinnen, die mit Kombinationspräparaten (Östrogen und Progesteron) behandelt wurden, hatten eine geringere Heilungs- und Verbesserungsrate.
77.4.4
Medikamentöse Therapie
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•
Anticholinergika vs. andere Therapieoptionen: Die Cochrane-Datenanalyse, in der Anticholinergika mit nichtmedikamentösen Therapieoptionen (z. B. Elektrostimulation, Beckenbodentraining mit Biofeedback, Blasentraining) verglichen wurden, ergab eine Überlegenheit der Anticholinergika gegenüber den anderen Therapieoptionen, es zeigte sich jedoch ein größerer Therapieerfolg bei der gleichzeitigen Anwendung der Anticholinergika und eines Blasentrainings (Evidenzgrad 2).
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•
Anticholinergika vs. Placebo: Die Cochrane-Datenanalyse, in der Anticholinergika mit Placebo verglichen wurde, schloss insgesamt 11.956 Patienten aus insgesamt 61 Studien mit ein. Anticholinergika zeigten eine signifikant höhere Heilungs- und Verbesserungsrate der OAB, eine Verminderung der Inkontinenzepisoden sowie der Miktionsfrequenz und eine mäßige Verbesserung der Lebensqualität gegenüber Placebo (Evidenzgrad II).
Welches Anticholinergikum?
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•
Die Nice-Guidelines (www.nice.org.uk) empfehlen aus pekuniären Gründen den vorrangigen Einsatz von Oxybutynin.
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•
Eine Cochrane-Analyse aus dem Jahr 2012 hat sich ebenfalls mit diesem Thema befasst. Hierbei konnten jedoch nur die Wirkstoffe Oxybutynin und Tolterodin miteinbezogen werden. Es zeigte sich, dass Tolterodin dem Wirkstoff Oxybutynin in Bezug auf die Nebenwirkung „Mundtrockenheit“ überlegen ist. 2 × 1 mg Tolterodin ist eventuell ausreichend und reduziert das Risiko der Mundtrockenheit. Retardpräparate (z. B. Oxybutynin-Pflaster oder Tolterodin-Retardkapseln) reduzieren ebenfalls das Risiko der Mundtrockenheit.
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•
Neuere Studien vergleichen die Wirkstoffe Solifenacin (5 mg) und Tolterodin (ret., 4 mg) und zeigen eine signifikant größere Verbesserung in Bezug auf die Inkontinenz und die Anzahl der benötigten Vorlagen unter Solifenacin.
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•
In einer kleineren randomisierten Studie, bei der Propiverin (2 × 15 mg) mit Tolterodin (2 × 2 mg) miteinander verglichen wurde, zeigte sich eine Äquieffektivität in Bezug auf die Wirksamkeit und Tolerabilität der beiden Substanzen.
Kontraindikationen und Nebenwirkungen
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das Risiko einer Harnretention,
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•
gerade bei älteren Frauen ein unbehandeltes Engwinkelglaukom,
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•
Myasthenia gravis,
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•
schwere Colitis ulcerosa und ein
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•
toxisches Megakolon.
77.4.5
Vesikale Instillationen
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•
Die Blaseninstillation nach Hohlbrugger wird wie folgt durchgeführt: 1 Amp. Verapamil 5 mg (z. B. Isoptin®) plus 10.000 IE Heparin (Liquemin®) über Katheter in die Blase füllen, Katheter mit 5 ml NaCl-Lösung nachspülen. Die Mixtur verbleibt zwei Stunden in der Blase.
Therapiedauer: 3 ×/Wo. über 6 Wo.
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•
Die Applikation von Resiniferitoxin (RTX) oder Capsaicin einmalig im Abstand von 3 Mon. RTX ist dabei nebenwirkungsärmer als Capsaicin. Beide bewirken eine Blockade der C-Fasern und führen damit zur Senkung der Hyperkontraktilität und Anhebung der Blasenkapazität.
-
•
Die intravesikale Instillation von Oxybutinin zeigt nicht die Nebenwirkungen der oralen Medikation und führt ebenso zur cholinergen Blockade.
Elektromotorische Medikamentenverabreichung (Electro Motive Drug Administration, EMDA)
-
•
Infektion des Harntrakts
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•
Allergie/Überempfindlichkeit gegenüber Medikamenten zur Lokalanästhesie
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•
Massive intravesikale Blutungen
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•
Schwangerschaft
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•
Patientinnen, die als Monoaminoxidasehemmer klassifizierte Medikamente einnehmen
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•
Herzschrittmacher
Als Faustregel gilt
Die Effizienz von Elektrostimulationsverfahren in der Behandlung der überaktiven Blase gilt als gesichert. Für die chronischen Verfahren liegen aber eindeutig bewertbare Ergebnisse mit ausreichenden Patientenzahlen noch nicht vor.
77.4.6
Botulinumtoxin-Injektion in die Harnblase
77.4.7
Periphere und sakrale Neuromodulation
Essentials für den Hausarzt
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•
Bei der Therapie der Belastungsinkontinenz gilt das Prinzip: konservativ vor operativ.
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•
Eine operative Behandlung ist dann indiziert, wenn eine konservative Behandlung von der Patientin abgelehnt wird oder diese versagt oder nicht den gewünschten Effekt gezeitigt hat.
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•
Unter den operativen Verfahren ist die Einlage eines alloplastischen Bandes unter der Urethra die am wenigsten invasive Methode mit guten Langzeitdaten.
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•
Der Einsatz von Botox oder Elektrostimulationsverfahren bei der überaktiven Blase (OAB) sollte spezialisierten Zentren vorbehalten bleiben.
Literatur
Adams et al., 2006
Ayeleke et al., 2015
DeLancey, 2005
Höfner and Jonas, 2000
Kuuva and Nilsson, 2006
Madhuvrata et al., 2012
Nilsson et al., 2013
Petri and Kölbl, 2013
Reisenauer et al., 2013
Tunn et al., 2010
Ward and Hilton, 2002