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10.1016/B978-3-437-22107-1.50356-3
978-3-437-22107-1
Elsevier Inc.
Ursachen peripherer Fazialisparesen (Auswahl).
nukleär |
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faszikulär |
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im Kleinhirnbrückenwinkel |
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meningeale Prozesse |
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Hirnnervenneuritiden und -neuropathien |
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Felsenbeinabschnitt |
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extrakranialer Verlauf |
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toxisch |
|
Therapie der idiopathischen peripheren Fazialisparese.
Maßnahme | Empfehlungsgrad | NNT*) | Bemerkungen |
Prophylaxe sekundärer Schäden am Auge | |||
mechanisch akut | |||
|
A | ||
|
B | ||
mechanisch auf Dauer | |||
|
|||
|
|||
Medikamentös | |||
|
A | Schlierensehen | |
|
A | ||
spezielle Therapie (off label!) | |||
Prednisolon, Methylprednisolon (Beginn 1. oder 2. d) | |||
|
A | ? | kortikoidtypische Nebenwirkungen |
|
A | ? | |
|
A | 9 | |
Physiotherapie | |||
|
B |
*
NNT = Number Needed to Treat
Therapie des Spasmus facialis.
Maßnahme | Erfolg | Bemerkungen | Nebenwirkungen |
Carbamazepin | ca. 55% | Off-label-Anwendung | typische Nebenwirkungen von Antiepileptika*) |
|
|||
Gabapentin | ca. 55% | Off-label-Anwendung | |
|
|||
Botulinumtoxin | ca. 80% | Läsionen der Hirnnerven VII und VIII, trockenes Auge | |
Operation nach Janetta | > 90% |
*
Charakteristische Nebenwirkungen: Schwindel, Müdigkeit und Ataxie. Weitere Nebenwirkungen sind substanzspezifisch.
Läsionen der Hirnnerven – Fazialisparese
-
Vorbemerkungen P 10.6 – 1
-
Diagnostische Voraussetzungen P 10.6 – 2
-
Idiopathische periphere Fazialisparese (Bell's Palsy). . P 10.6 – 3
–
Therapie der ipFP P 10.6 – 3.1
-
Die periphere Fazialisparese im Rahmen anderer Grundkrankheiten P 10.6 – 4
-
Sonderformen der peripheren Fazialisparese P 10.6 – 5
–
Zoster oticus P 10.6 – 5.1
–
Heerfordt-Syndrom P 10.6 – 5.2
–
Melkersson-Rosenthal-Syndrom P 10.6 – 5.3
-
Besondere Phänomene im Bereich der Fazialismuskulatur P 10.6 – 6
–
(Postregeneratorische) Synkinesien P 10.6 – 6.1
–
Spasmus facialis P 10.6 – 6.2
–
Fazialismyokymie P 10.6 – 6.3
Kernaussagen
-
□
Die periphere Fazialisparese ist die häufigste Mononeuropathie der Hirnnerven.
-
□
Die Diagnose ist zunächst klinisch zu sichern und hinsichtlich Schädigungsart (axonal vs. Leitungsblock) und Schädigungsort elektrophysiologisch abzuklären.
-
□
Die Spontanprognose ist sehr günstig.
-
□
Wichtige Therapiemaßnahme ist der Schutz vor Sekundärschäden vor allem am Auge.
-
□
Therapie der Wahl ist Prednisolon.
-
□
Aufgrund eines Analogieschlusses ist aktives Üben unter Kontrolle der Muskeln der gesunden Seite vor dem Spiegel als Hilfe zur Regeneration zu empfehlen.
-
□
Andere Therapieverfahren sind wirkungslos oder obsolet!
P 10.6 – 1
Vorbemerkungen
-
•
Die zentrale Fazialisparese ist gewöhnlich durch Raumforderungen (Tumor, Blutung) oder Ischämie bedingt.
–
Sie präsentiert sich an Mundmuskeln (weniger Augenmuskeln) und lässt die Stirnmuskeln unbeteiligt.
–
Sie kann auch isoliert nur bei Willkürbewegungen (erhaltene Aktivierung beim Lachen) oder emotionalen Bewegungen (erhaltene willkürliche Aktivierung) auftreten.
–
Peripherer Nerv und Gesichtsmuskeln zeigen normale Funktion (Hopf et al. 1992).
•
Die periphere Fazialisparese (pFP) kann im Pons (nukleäre oder faszikuläre pFP), im Kleinhirnbrückenwinkel, im Felsenbein und extrakranial entstehen.
Der Entstehungsort grenzt die Ursachenmöglichkeiten ein.
P 10.6 – 2
Diagnostische Voraussetzungen
-
•
Nukleäre Läsionen sind häufig von einer Abduzensparese begleitet.
-
•
Intrapontine Läsionen im Brückenfuß führen häufig zu zentralmotorischer Hemiparese der Gegenseite.
-
•
Läsionen im Kleinhirnbrückenwinkel können gleichzeitig Hörstörungen, Schwindel oder multiple Läsionen der kaudalen Hirnnerven hervorrufen.
-
•
Läsionen im Felsenbein können von Störungen der Tränensekretion (N. petr. superf. major), Geschmacksstörungen (Chorda tympani) und Hyperakusis (N. stapedius) begleitet sein. Bei der idiopathischen pFP erlauben diese Symptome jedoch keine Höhenlokalisation (Esslen 1977, Dulguerov et al. 1989).
-
•
Läsionen im extrakranialen Verlauf weisen nie Geschmacksstörung und Hyperakusis auf.
-
•
Bilaterale pFP kommen vornehmlich bei Borreliose (Angerer et al. 1993) und Prozessen der Meningen (chron. Meningitis, Meningeosis carcinomatosa) vor.
-
•
Schirmer-Test zur Prüfung der Tränensekretion: Ein 5 mm breiter Filterpapierstreifen wird hinter das Unterlid „eingehängt”. Als normal gilt eine Befeuchtungsstrecke von 30 mm, als vermindert eine Befeuchtungsstrecke von < 15 mm in 5 Min.
-
•
Geschmacksprüfung: Watteträger mit süßer (20-prozentige Zuckerlösung), salziger (10-prozentige Kochsalzlösung) oder saurer (5-prozentige Zitronensäurelösung) Lösung befeuchten, eine Zungenhälfte bestreichen und bei vorgestreckter Zunge den Geschmack angeben lassen. Die Bewertung erfolgt im Seitenvergleich.
-
•
Bei speziellen Fragen Stapediusreflex (Rosen u. Sellars 1980), z. B. zur Lokalisation bei Felsenbeinfraktur.
–
Nervenerregbarkeitstest: Nach Reizung des Nervs (Foramen stylomastoideum) wird die Muskelamplitude (sehr geeignet M. nasalis) im Seitenvergleich bestimmt.
–
Bei Axonschädigung nimmt die Amplitude ab dem 5. d ab und erreicht zwischen dem 7. und 10. d ihr Minimum.
-
•
Sofern > 10% der Amplitude der Gegenseite erhalten bleibt, ist die Prognose günstig (Mamoli 1976).
-
•
Magnetstimulation kortikal und kanalikulär: Sie vermag in den ersten beiden Tagen komplette oder inkomplette Leitungsblocks im Kleinhirnbrückenwinkel und Felsenbeinkanal nachzuweisen und zu differenzieren (Rösler et al. 1995, Rimpiläinen et al. 1997).
-
•
Nadel-Elektromyographie (EMG) und Blinkreflex: Beide Verfahren geben erst im späteren Verlauf Hinweise über Regeneration und Prognose.
P 10.6 – 3
Idiopathische periphere Fazialisparese (Bell's Palsy)
-
•
inkomplette Lähmung,
-
•
frühe Rückbildungstendenz (nach 3–5 Wo.),
-
•
junges Alter sowie
-
•
geringe Pathologie der elektrophysiologischen Befunde.
-
! Weniger günstig ist die Prognose in der Schwangerschaft (Gillman et al. 2002).
P 10.6 – 3.1
Therapie der ipFP
-
•
allgemeine Maßnahmen,
-
•
spezielle Therapieverfahren,
-
•
Maßnahmen zur Anregung der Regeneration.
Allgemeine Maßnahmen
Symptomatische Schmerzbehandlung
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•
Meist genügen Acetylsalicylsäure (500–1.000 mg/d) oder Ibuprofen (500 mg/d).
Maßnahmen zur Verhütung von Sekundärschäden
-
•
Uhrglasverband (vor allem nachts, tags genügt mitunter eine Seitenschutzbrille),
-
•
Augensalbe nachts (Dexpanthenol-/Regepithelsalbe),
-
•
Konjunktiva-Benetzungsmittel tagsüber (künstliche Tränenflüssigkeit).
-
•
Goldgewichtlidimplantate sowie
-
•
die Unterlidektropiumkorrektur oder Tarsoraphie (Catalano et al. 1995).
Spezielle Therapieverfahren
Als Faustregeln gelten:
-
•
Kortikoide sind das Mittel der Wahl (Salinas et al. 2010).
-
•
Prednisolon 60 mg/d über 5 d mit Dosisreduktion über 4 d (Engstrom et al. 2008, Heckmann et al. 2012) verkürzt die Erholungszeit und verbessert die Restfunktion.
-
•
1 mg/kg KG/d (max. 70 mg) über 5 d mit Reduktion über 6 d (Shafshak et al. 1994) oder
-
•
2 × 25 mg/d über 10 d (Sullivan et al. 2007).
Die NNT (Number Needed to Treat) wird dafür mit neun Patienten angegeben (Gilden u. Tyler 2007).
-
!
Ein früher Therapiebeginn, möglichst schon am 1.–3. d, ist zur Erreichung einer optimalen Therapiewirkung wichtig (Shafshak et al. 1994, Sullivan et al. 2007). Ab der zweiten Krankheitswoche ist eine Kortisontherapie nicht mehr sinnvoll.
Indikation
-
•
Patienten, die lediglich inkomplette Lähmungen aufweisen (z. B. erhaltener Lidschluss), bedürfen keiner Kortikoidtherapie, da sie eine extrem günstige Prognose haben.
-
•
Bei Kindern wird die Kortisontherapie nicht empfohlen (Salman u. McGregor 2001).
-
•
Patienten mit kompletter und solche mit progredienter Parese sollten indessen stets mit Kortikoiden behandelt werden.
Maßnahmen zur Anregung der Regeneration
-
•
Die Aktivierung der Muskeln der gesunden Gesichtsseite aktiviert zugleich die Neurone der kranken Seite. Deshalb ist wiederholtes Anspannen jedes einzelnen Gesichtsmuskels vor dem Spiegel über 3 Min. mehrmals pro Tag zu empfehlen, was der Patient selbst durchführen kann (Glocker u. Hopf 1997).
!
Sobald sich (pathologische) Mitbewegungen zwischen zwei Muskeln erkennen lassen, ist eine Eisbehandlung der Gesichtspartie vor jeder Übungsbehandlung angebracht.
-
•
In Spätstadien kann Botulinumtoxininjektion mildernd genutzt werden (Roggenkämper et al. 1994).
Ineffektive und obsolete Therapien
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•
Aciclovir und ähnliche Virustatika sind bei der ipFP wirkungslos (Engstrom et al. 2008).
-
•
Für Vitamine (Vitamin B1, B6, B12) konnte keine Wirkung gezeigt werden.
-
•
Ebenso unwirksam sind sogenannte Grippemittel und nicht steroidale Antirheumatika.
-
•
Akupunktur hat einen keinen Wirkungsnachweis erbracht (Chen et al. 2010).
-
!
Elektrotherapie der Gesichtsmuskeln oder Stimulationsserien des Fazialisnervs werden eher als schädlich (regenerationsverzögernd) eingeschätzt (Targan et al. 2000).
-
! Aus dem „Stennert-Schema” ist nur das Kortison wirksam, die zur „Verbesserung der rheologischen Bedingungen” gedachten Infusionen (Dextrane usw.) sind nicht nur ohne Wirkungsnachweis sondern gefährden den Patienten (anaphylaktischer Schock). Deshalb ist diese Therapiekombination heute obsolet.
-
!
Die chirurgische Dekompression bei der ipFP ist wegen fehlenden Wirkungsnachweises (Friedman 2000) und schwerwiegender Komplikationsmöglichkeiten obsolet (Morrow 2000, Holland u. Weiner 2004).
P 10.6 – 4
Die periphere Fazialisparese im Rahmen anderer Grundkrankheiten
P 10.6 – 5
Sonderformen der peripheren Fazialisparese
P 10.6 – 5.1
Zoster oticus
-
•
häufig intensive Schmerzen (besonders bei älteren Patienten),
-
•
schwere Ausprägung (gewöhnlich komplette Lähmung),
-
•
häufig Geschmacksstörung,
-
•
öfter Hyperakusis.
-
!
Effloreszenzen aus Zosterbläschen können nur am Trommelfell und äußerem Gehörgang lokalisiert sein, was das Auffinden erschwert, oder sogar ganz fehlen (Furuta et al. 2000, Hato et al. 2007).
Therapie
P 10.6 – 5.2
Heerfordt-Syndrom
-
•
pFP (bei 1 von 3 Patienten beidseitig),
-
•
Parotisschwellung und Uveitis,
-
•
eventuell Fieber (Glocker et al. 1999).
P 10.6 – 5.3
Melkersson-Rosenthal-Syndrom
-
•
rezidivierender orofazialer Schwellung,
-
•
pFP (mit Neigung zu Rezidiven) und
-
•
Lingua plicata, die aber nur bei 25% der Patienten vorkommt (Greene u. Rogers 1989).
P 10.6 – 6
Besondere Phänomene im Bereich der Fazialismuskulatur
P 10.6 – 6.1
(Postregeneratorische) Synkinesien
Als Faustregel gilt:
Alle pFP weisen später Synkinesien auf, wenn im akuten Stadium eine axonale Degeneration entstanden und Regeneration eingetreten ist. Das Ausmaß hängt von der Zahl der regenerierten Axone ab.
-
•
Eindeutiges Merkmal sind streng synchrone Aktivierungen von perioralen und periorbitalen, selten frontalen oder nasalen Fazialismuskeln bei willkürlicher oder reflektorischer (Blinzeln) Aktivierung.
-
•
Die synchronen Entladungen sind im EMG gut nachweisbar, oft sogar im Rhythmus einzelner motorischer Einheiten.
-
!
Die Aktivierung überdauernde rhythmische Antworten gehören nicht hierzu, sondern entsprechen dem Spasmus facialis (▸ Spasmus facialis P 10.6 – 6.2).
Therapie
-
•
In der Phase der Regeneration kann man, wenn sich erste Synkinesien zeigen, versuchen, diese durch Eisbehandlung zu unterdrücken.
-
•
In späteren Stadien kommen Teildurchtrennungen von Fazialisästen zu besonders stark betroffenen Muskeln in Betracht.
!
Das bringt jedoch nur mäßige Effekte, dafür Narben im Gesicht und es birgt die Gefahr der kompletten Durchtrennung solcher Äste mit Lähmungen.
-
•
Botulinumtoxininjektionen helfen ebenfalls nur teilweise.
P 10.6 – 6.2
Spasmus facialis
-
!
Beschreibungen eines Fazialisspasmus als Folge einer pFP sind in aller Regel Interpretationsfehler.
-
•
Regelmäßig ist zunächst der M. orbicularis oculi betroffen.
-
•
Die Ausbreitung erfolgt über Monate und Jahre eventuell auf sämtliche Fazialismuskeln einer Seite (einschließlich Stirnmuskeln und Platysma).
Therapie
-
•
Antiepileptika wie Carbamazepin oder Gabapentin,
-
•
Injektion von Botulinumtoxin (Glocker et al. 1995) und
-
•
die Dekompression nach Janetta (Barker et al. 1995; ▸ Tabelle 3).
P 10.6 – 6.3
Fazialismyokymie
LITERATUR
Adour et al., 1978
Angerer et al., 1993
Barker et al., 1995
Catalano et al., 1995
Chen et al., 2010
Dulguerov et al., 1999
Engstrom et al., 2008
Esslen 1977
Friedman 2000
Furuta et al., 2000
Gilden et al., 2007
Gillman et al., 2002
Glocker et al., 1995
Glocker et al., 1997
Glocker et al., 1998
Glocker et al., 1999
Greene et al., 1989
Gutmann et al., 1993
Hato et al., 2007
Heckmann et al., 2012
Hellebrand et al., 2006
Holland et al., 2004
Hopf et al., 1992
Katusic et al., 1986
Mamoli 1976
May et al., 1985
Morrow 2000
Peitersen, 2002
Peitersen E: Bell's palsy: the spontaneous course of 2500 peripheral facial nerve palsies of different etiologies. Arch Otolaryngol (Suppl.) (2002) 4–30Rimpiläinen et al., 1997
Roggenkämper et al., 1994
Rosen et al., 1980
Rösler et al., 1995
Rowland et al., 2002
Salinas et al., 2010
Salman et al., 2001
Shafshak et al., 1994
Shapiro et al., 2003
Sullivan et al., 2007
Targan et al., 2000
Yoritaka et al., 2001