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978-3-437-22142-2
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Immunmodulatorische Stufentherapie der schubförmigen MS, update 2014 (Gold et al. 2014)
1 bei ≥ 2 schweren Schüben/J. auch als Primärtherapie möglich
2 Therapiewechsel auf dieser Eskalationsstufe noch nicht erprobt
3 Option bei schweren, stereoidresistenten Schüben

Häufige Nebenwirkungen der immunmodulatorischen Therapie.
Präparat | Nebenwirkung | Bemerkungen |
IFN-1 βb (Betaferon®, Extavia®) IFN-β1a (Rebif®, Plegridy®) s. c. Applikation |
• Kopfschmerz, Gliederschmerzen, Fieber • Müdigkeit • Rötung, Brennen, Verhärtung an der Injektionsstelle • Grippale Beschwerden • Kopfschmerzen, Myalgien |
• Prophylaktische Gabe von Paracetamol oder Ibuprofen vor Injektion • Injektion am Abend • Kühlung und Rotation der Injektionsstellen • Injektomat |
IFN-β1a (Avonex®) i. m. Applikation |
• Kopfschmerz, Gliederschmerzen, Fieber • Müdigkeit |
• Prophylaktische Gabe von Paracetamol oder Ibuprofen vor Injektion • Injektion am Abend |
Glatiramerazetat (Copaxone®) s. c. Applikation |
Rötung, Schwellung, Schmerzen und Juckreiz an der Injektionsstelle | • Meist geringer als bei IFN-β, kühlen • Injektomat • Regelhaft spontane Rückbildung innerhalb von 30 Sek. bis 30 Min. |
Lymphadenopathie | Regelhaft spontane Rückbildung innerhalb von 30 Sek. bis 30 Min. | |
Systemische Postinjektionsreaktion (SPIR) (ca. 10%) mit Herzrasen, Flush und Luftnot | ||
Teriflunomide (Aubagio®) p. o. | Obere Atemwegs- und Harnwegsinfektionen, Durchfall, Übelkeit, Parästhesie, Alopezie, Erhöhung der Leberenzyme | • Kontrolle der Leberparameter • Natürliche Ausscheidung nach Therapieende kann bis zu 24 Mon. betragen |
Dimethylfumarat (Tecfidera®) p. o. |
• Hitzegefühl, Diarrhö, Übelkeit, Oberbauch-/Abdominalschmerzen, Dyspepsie, Ketonkörper im Urin • Lymphopenie, Leukopenie • Erhöhung der Leberenzyme |
• Kontrolle der Leber- und Nierenparameter • Großes Blutbild vor Behandlungsbeginn sowie im Verlauf • Cave bei Lymphozyten von < 0,8 (bzw. 0,5) × 109/l |
Fingolimod (Gilenya®) p. o. | • Kopfschmerzen, Diarrhö, erhöhte Leberparameter • Virusinfektionen • Herzrhythmusstörungen |
Nach Einnahme der ersten Kps. ist eine 6-stündige EKG- Kontrolle obligat. Bei Auftreten von EKG-Veränderungen verlängert sich die Dauer der Monitorüberwachung |
Natalizumab (Tysabri®) | Überempfindlichkeitsreaktionen | Keine Kombination mit anderen Immunsuppressiva |
Kopfschmerzen, progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML) | • Therapiefreies Intervall bei Medikamentenumstellung beachten | |
• Kontraindiziert bei HIV und anderen chronischen Infektionen! | ||
Alemtuzumab (Lemtrada®) | • Autoimmunerkrankungen • Atemwegs-/Harnwegsinfektionen • Leuko-/Lymphopenie |
• Keine Kombination mit anderen Immunsuppressiva • Kontraindiziert bei HIV, anderen chronischen Infektionen und in der Schwangerschaft! |
Azathioprin (z. B. Imurek®) | Übelkeit, Erbrechen | Beginn mit einer Testdosis |
Transaminasenanstieg | Blutbild- und Leberwerte initial wöchentlich | |
Leukopenie, > 10 J.: leicht erhöhtes Malignomrisiko | • Therapiedauer möglichst auf < 10 J. begrenzen • Cave: nicht zusammen mit Allopurinol |
|
intravenöse Immunglobuline | Kopfschmerzen, Myalgien, Fieber | Langsame Infusionsgeschwindigkeit (< 4 g/h) |
Thrombosen, Nierenversagen (selten) | Cave: bei prädisponierenden Begleiterkrankungen | |
Anaphylaktische Reaktion | IgA-Mangel ausschließen | |
Mitoxantron (Ralenova®) | Übelkeit, Erbrechen | Antiemese prophylaktisch |
Blaufärbung des Urins | Renale Elimination | |
Haarausfall | Meist nur gering | |
Amenorrhö | Bis zu 50%, Kontrazeption! | |
Kardiotoxizität | Höchstdosis beachten! EKG mind. alle 12 Monate | |
Malignomrisiko (< 0,1%) | Bisher nur vereinzelte Fälle mit akuten Leukämien |
Präparate für die verlaufsmodifizierende Basistherapie der multiplen Sklerose.
Wirkstoff | Präparat | Dosierung, Anwendung | Bemerkungen |
Interferon-β1b | Betaferon® | 8 Mio. IE jeden 2. d s. c. | |
Interferon-β1a | Avonex® | 30 μg 1 × /Wo. i. m. | |
Rebif® | 22 μg oder 44 μg 3 × /Wo. s. c. | ||
Plegridy® | 125 μg s. c. alle 14 d | ||
Glatiramerazetat | Copaxone® | 20 mg/d s. c. | |
Dimethylfumarat | Tecfidera® | 2 × 240 mg/d p. o. | |
Teriflunomide | Aubagio® | 14 mg/d p. o. | |
Fingolimod | Gilenya® | 0,5 mg/d p. o. | Bei anhaltenden Schüben und Gd-Aufnahme unter o. g. Basistherapien bzw. primär hoch aktiven Patienten. |
Natalizumab | Tysabri® | 300 mg i. v. alle 4 Wo. | Bei anhaltenden Schüben und Gd-Aufnahme unter o. g. Basistherapien bzw. primär hoch aktiven Patienten. |
Alemtuzumab | Lemtrada® | Bei anhaltenden Schüben und Gd-Aufnahme unter o. g. Basistherapien bzw. primär hoch aktiven Patienten. | |
Azathioprin | Mehrere Anbieter |
Empfohlene Dosierung 2 mg/kg KG Anpassung nach Blutbildkontrolle | |
Mitoxantron | Ralenova® | 12 mg/m2 KOF i. v. alle 3 Mon. | Bei Versagen der Basistherapie |
IVIG | 10–15 g/Mon. | Können während der Schwangerschaft eingesetzt werden. |
Beginn und Dauer der immunmodulatorischen Therapie bei multipler Sklerose.
Schubförmiger Verlauf | • Mindestens zwei funktionell relevante Schübe in den letzten beiden Jahren oder • Auftreten eines schweren Krankheitsschubs mit schlechter Remissionstendenz |
Beginn | |
Beginn der Therapie bereits nach dem ersten Schub | Wenn bei Nachweis intrathekaler IgG-Synthese und subklinischer Dissemination nach Ausschluss anderer Ursachen • sich im Kernspintomogramm eine funktionell deutlich beeinträchtigende Schubsymptomatik unter Kortison-Stoßtherapie innerhalb von 2 Mon. nicht ausreichend zurückbildet oder • im Kernspintomogramm eine hohe Läsionslast (> 6 Herde) im kraniellen MRT vorhanden ist oder • im Kernspintomogramm aktive Entzündungsherde (Gadoliniumaufnahme oder eindeutige Zunahme der T2-Läsionen im kraniellen Kernspintomogramm) in einer Folgeuntersuchung innerhalb von 6 Mon. nachweisbar sind |
Dauer | |
Eine Fortführung der Therapie unter neurologischer Kontrolle ist gerechtfertigt, wenn | • Im Verlauf weiterhin ein Therapieeffekt nachweisbar ist (z. B. reduzierte Schubzahl und -schwere im Vergleich zur prätherapeutischen Phase, verminderte Krankheitsprogression) und • wenn keine schwerwiegenden Nebenwirkungen die Lebensqualität des Patienten einschränken |
Medikamentöse Therapie der Spastik bei Multipler Sklerose (Auswahl).
Substanz | Dosierung (Tagesdosis) | Kontraindikationen | Nebenwirkungen |
Baclofen | 2 × 5 mg bis 4 × 30 mg (max. 150 mg/d) | • Epilepsie • Schwangerschaft • Stillzeit |
• Schwäche • Schwindel • Verwirrtheit • Ataxie • Anfälle • Atemdepression |
Tizanidin | 3 × 2 mg bis max. 36 mg/d | • Epilepsie • Schwangerschaft • Stillzeit |
• Hypotonie • Mundtrockenheit • Nausea • Durchfall • Transaminasenanstieg |
Tolperison | 300–450 mg/d | • Myasthenia gravis • Schwangerschaft • Stillzeit |
• Müdigkeit • Schwäche |
Gabapentin | 300–2.400 mg/d (max. 3.600 mg/d) | • Akute Pankreatitis • Schwangerschaft • Stillzeit |
• Müdigkeit • Schwindel • Nausea • Allgemeine Schwäche • Pankreatitis |
Sativex® | Dosistitration erforderlich; 1–12 Sprühstöße/d | • Anamnese oder Verdacht auf eine psychiatrische Grunderkrankung • Suchtanamnese |
• Schwindel • Schwere Herz-Kreislauf-Erkrankung |
Fampyra® | 2 × 10 mg ret./d | • Niereninsuffizienz • Krampfleiden |
• Harnwegsinfekte • Insomnie • Tremor • Kopfschmerzen |
Therapie der Blasenfunktionsstörungen (mod. nach Wolinsky 2004).
Symptom | Therapie | Besonderheiten |
Detrusor-Hyperaktivität | Oxybutinin, Tolterodin, Darifenacin, Propiverin, Fesoterodin, Trospiumchlorid | Nebenwirkungen unter Tolterodin geringer |
Sphinkterdysfunktion | Reduktion der Aktivität durch α-Rezeptorenblocker | Verminderte Schließfunktion des externer Sphinkters durch Spasmolytika |
Restharnbildung > 100 ml | • Cholinergika • (Einmal-)Katheterisierung • Eventuell Ansäuerung des Urins |
Begleitmedikation mit anticholinergen Effekten reduzieren Gefahr chronischer Infekte |
Reduktion der Urinproduktion | Desmopressin-Nasenspray (1 Hub = 20 μg) | Gefahr der Flüssigkeitsretention und Hyponatriämie, nur sporadische Anwendung |
Multiple Sklerose
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Vorbemerkungen P 5 – 1
-
Allgemeine Therapiegesichtspunkte und
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diagnostische Voraussetzungen P 5 – 2
-
Therapie des akuten MS-Schubs P 5 – 3
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Therapie der schubförmigen MS P 5 – 4
-
Immunmodulatorische Therapie bei anderen Verlaufsformen P 5 – 5
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Symptomatische Therapie der MS P 5 – 6
Kernaussagen
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□
Die quantitative Erfassung der Krankheitsaktivität mittels validierter Skalen ist sowohl zu Therapiebeginn als auch kontinuierlich während der Behandlung zur Verlaufskontrolle unerlässlich.
-
□
Von großer Bedeutung ist die Darstellung der subklinischen Krankheitsaktivität beim ersten Schub gemessen an der Läsionslast im T2-gewichteten MRT-Bild, da sie einen hohen prädiktiven Wert für den Krankheitsverlauf besitzt.
-
□
Von einem Schub der MS ist auszugehen, wenn neue Symptome zentralnervöser Genese auftreten oder wenn es zum erneuten Aufflackern bereits zuvor aufgetretener klinischer Ausfälle kommt.
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□
Als Standardtherapie des akuten MS-Schubs gilt die intravenöse Applikation von hoch dosiertem Methylprednisolon. In der Therapieeskalation zunächst therapierefraktärer Schübe kommt dann auch eine Plasmaseperation bzw. Immunadsorption in Betracht.
-
□
Die immunmodulatorische Basistherapie mit rekombinantem β-Interferon, Glatirameracetat, Dimethylfumarat und Teriflunomide hat sich in Studien inzwischen als wirksam erwiesen in Bezug auf die deutliche Reduktion von Anzahl und Schwere der Schübe, verminderte Krankheitsaktivität neuer Gd-Läsionen im MRT und eine verminderte Krankheitsprogression. Sowohl für die β-Interferone als auch für Copaxone liegen positive Studienergebnisse beim klinisch isolierten Syndrom sowie bei Kindern und Jugendlichen vor.
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□
Bei Patienten, die nicht ausreichend mit o. g. Basistherapeutika stabilisiert werden können bzw. primär hochaktiv sind, existieren mit dem Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptorantagonist Fingolimod sowie den monoklonalen Antikörpern Natalizumab und Alemtuzumab Therapiealternativen. Unter dieser Medikation wird ebenfalls eine deutliche Reduktion von Anzahl und Schwere der Erkrankungsschübe und von neu auftretenden T2-Läsionen erreicht. Die Möglichkeit der Entwicklung schwerwiegender Nebenwirkungen erfordert aber besondere Sorgfalt bei der Indikationsstellung sowie im Therapieverlauf.
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□
Für die Behandlung der rasch schubförmig progredienten Verlaufsform liegt mit Mitoxantron ein weiteres evaluiertes Therapiekonzept vor, das allerdings mit der Gefahr erheblicher Nebenwirkungen einhergeht.
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□
Fatigue, Depression und kognitive Defizite sowie Einschränkungen der Informationsverarbeitung und Aufmerksamkeit sind häufige und den Patienten stark einschränkende Symptome. Zumindest Fatigue und Depression können medikamentös behandelt werden.
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□
Zur Vermeidung von Sekundärfolgen und zur Verbesserung funktioneller Einschränkungen gehört die Krankengymnastik auf neurophysiologischer Grundlage zur Basisversorgung von MS-Patienten mit Gehbehinderung oder Koordinationsstörungen.
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□
Die medikamentöse Behandlung von spastischen Symptomen – meist Gehbehinderung – erfolgt primär mit Baclofen und Tizanidin. Neue Therapiealternativen stehen mit dem Cannabinoid Nabiximols und dem Kaliumkanalblocker 4-Aminopyridin zur Verfügung.
P 5 – 1
Vorbemerkungen
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•
Aktuell geht man von weltweit ca. 2 Mio. Betroffenen aus, in Deutschland werden mindestens 180.000 Erkrankte geschätzt.
-
•
Dabei sind Frauen 2- bis 3-mal so häufig betroffen wie Männer.
-
•
Selten beginnt die Erkrankung jenseits des 60. Lebensjahres oder bei Kindern < 10 J.
P 5 – 2
Allgemeine Therapiegesichts-punkte und diagnostische Voraussetzungen
Grundsätzlich gilt:
Die kontinuierliche medizinische Betreuung von MS-Patienten sollte möglichst rasch nach der Diagnosestellung einsetzen, um die vielfältigen Fragen, die sich oft durch die Diagnose MS eröffnen, proaktiv aufzunehmen und so ein vertrauensvolles und stabiles Betreuungsverhältnis aufzubauen.
-
•
eine frühzeitige Aufklärung über die möglichen Symptome und Verlaufsformen der Erkrankung,
-
•
die gezielte Reduktion bereits bestehender Symptome durch Anwendung medikamentöser und/oder physikalischer Maßnahmen,
-
•
eine konsequente Schubbehandlung und
-
•
eine verlaufsmodifizierende Therapie mit immunmodulatorischen Präparaten.
-
•
Zur Darstellung des klinischen Befunds kommen seit Jahren etablierte Skalen, wie die Expanded Disability Status Scale (EDSS) und der Multiple Sclerosis Functional Composite (MSFC) zur Anwendung (Gold et al. 2014). Diese validierten Skalen ermöglichen eine Erfassung und quantitative Darstellung klinischer Symptome und dienen daher zur Verlaufskontrolle unter der Behandlung. Sie sollten auch bei stabilem Verlauf mindestens einmal im Jahr erhoben werden (Gold et al. 2014).
-
•
die Lumbalpunktion,
-
•
evozierte Potenziale und im Besonderen
-
•
die Kernspintomographie (MRT) sowohl des Kraniums als auch der spinalen Achse.
-
•
Je höher Läsionslast/-volumen zu Beginn, umso höher die Wahrscheinlichkeit für das Erreichen einer höhergradigen körperlichen Behinderung bzw. Entwicklung einer sekundären Progredienz im Verlauf (Swanton et al. 2014).
P 5 – 3
Therapie des akuten MS-Schubs
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•
wenn neue Symptome zentralnervöser Genese auftreten oder
-
•
wenn es zum erneuten Aufflackern bereits zuvor aufgetretener klinischer Ausfälle kommt, die subjektiv klar berichtet oder durch die Untersuchung objektiviert werden können.
-
•
Diese Ereignisse müssen mind. 24 h anhalten und mit einem Zeitintervall von 30 d zu vorausgegangenen Schüben aufgetreten sein.
-
•
Sie dürfen darüber hinaus nicht durch Änderungen der Körpertemperatur (Uhthoff-Phänomen) oder im Rahmen von Infektionen erklärbar sein.
!
Einzelne kurz dauernde paroxysmale Episoden – wie z. B. tonische Spasmen – werden definitionsgemäß nicht als Schub eingeordnet.
Multiple Episoden dieser Art mit einer Dauer > 24 h werden jedoch ebenfalls als Schub angesehen.
-
•
Vorzugsweise sollten je 1 g Methylprednisolon an drei aufeinanderfolgenden Tagen unter Magenprotektion und Thromboseprophylaxe verabreicht werden.
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!
Regelmäßige Kontrollen des Blutdrucks, Blutzuckers sowie der Elektrolyte sind während der Steroidpulstherapie obligat.
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•
Zum oralen Ausschleichen (max. über 14 d) liegen keine evidenzbasierten Daten vor, sodass hier individuell nach Verträglichkeit und Effektivität der intravenösen Therapie sowie in Abhängigkeit einer bestehenden Sekundärprophylaxe entschieden werden sollte.
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•
In Ausnahmefällen, in denen eine i. v. Applikation nicht umsetzbar ist, kann eine orale Methylprednisolon-Pulstherapie mit 500 mg/d über 5 d in Erwägung gezogen werden.
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•
Bei ausbleibender bzw. mangelhafter klinischer Beschwerdebesserung 14 d post Steroidpulstherapie erfolgt eine zweite Steroidpulstherapie mit erhöhter Dosis von 2 g Methylprednisolon/d an 5 aufeinanderfolgenden Tagen (Gold et al. 2014).
-
•
Sollte im Anschluss an den zweiten Steroidpuls erneut keine bzw. ungenügende Beschwerderückbildung auftreten, gilt die therapeutische Plasmapherese (PE) bzw. Immunadsorption innerhalb von 4–6 Wo. nach dem Auftreten klinischer Beschwerden als etablierte Eskalationstherapie (Schilling et al. 2006, Schröder et al. 2009). Die Immunadsorption scheint der Plasmapherese gleichwertig, benötigt keine Albuminsubstitution und beeinträchtigt kaum die Blutgerinnung (Schimrigk et al. 2012).
•
Bei anhaltender klinischer Verschlechterung und Nichtansprechen auf eine erste Steroidpulstherapie kann die PE auch parallel zur zweiten Steroidpulstherapie eingeleitet werden (Schilling et al. 2006).
•
Die Effektivität von intravenösen Immunglobulinen als Alternative zur PE bei steroidrefraktären Erkrankungsschüben ist zurzeit nicht evidenzbasiert belegt.
ESKALIERENDE SCHUBBEHANDLUNG
Zusammenfassend wird derzeit folgendes Vorgehen zur eskalierenden Schubbehandlung bei funktionell beeinträchtigenden Schüben – motorische, zerebelläre oder Hirnstammsymptomatik sowie schwere Optikusneuritis – vorgeschlagen (Gold et al. 2014):
•
Nach standardisierter, quantitativer neurologischer Untersuchung (EDSS und MSFC), Ausschluss eines akuten Infekts und unter Beachtung der Kontraindikationen für eine Kortikosteroidtherapie wird die intravenöse Stoßtherapie möglichst innerhalb von 3–5 d nach Beginn der klinischen Symptomatik mit einer Dosierung von 1 g Methylprednisolon an 3 aufeinanderfolgenden Tagen unter Magenschutz und bei Immobilisierung auch unter Thromboseprophylaxe begonnen.
•
Ausdehnung der Behandlungsdauer auf 5 d falls klinisch keine eindeutige Rückbildungstendenz der Schubsymptomatik erkennbar ist.
•
Eine max. 14-tägige, orale Ausschleichphase ist individuell nach Verträglichkeit festzulegen und besonders bei Patienten mit noch nicht ausreichender Besserung der Symptome nach i. v. Therapie anzustreben.
•
Erneute quantitative neurologische Untersuchung 2 Wo. nach Beendigung der Kortikosteroidtherapie. Bei ungenügender Besserung erfolgt eine erneute intravenöse Kortikosteroidpulstherapie mit erhöhter Dosis von bis zu 5 × 2 g Methylprednisolon/d (Durchführung wie oben angegeben).
•
Erneute quantitative neurologische Untersuchung 2 Wo. nach Beendigung der Kortikosteroidtherapie.
•
Falls auch hierunter keine befriedigende Rückbildung der Schubsymptomatik eingetreten ist, sollte die Option einer Plasmapherese bzw. Immunadsorption nach Rücksprache mit einem hierauf spezialisierten MS-Zentrum in Betracht gezogen werden.
•
Bei kontinuierlicher Verschlechterung der Symptomatik trotz 5-tägiger Kortikoidstoßtherapie und steroidrefraktären Erkrankungsschüben in der Vergangenheit kann eine Plasmapherese bzw. Immunadsorption auch bereits auf der zweiten Therapiestufe anstelle einer Wiederholung der Steroidtherapie in Erwägung gezogen werden.
•
Bei schweren, protrahiert verlaufenden Schüben und anhaltender subklinischer Krankheitsaktivität kann von der oben genannten bzw. im Kasten beschriebenen Sequenz der einzelnen Therapieschritte abgewichen und ggf. schon frühzeitig die Entscheidung zur eskalierten Immuntherapie getroffen werden. In jedem Fall sollte bei kompliziert verlaufenden Schüben das Behandlungsprozedere mit einem MS-Zentrum abgesprochen werden.
P 5 – 3.1
Verträglichkeit, Langzeitbehandlung
Als Faustregeln gelten:
-
•
Glukokortikosteroide stellen unverändert eine wichtige Säule in der Therapie des akuten MS-Schubs dar.
-
•
Bei sorgfältiger Prüfung der Indikation, rascher Dosissenkung nach der Stoßtherapie und entsprechendem Therapiemonitoring sind die Nebenwirkungen gering und meistens gut beherrschbar.
-
!
Um die individuelle Verträglichkeit der Glukokortikosteroide und auch das Ansprechen besser beurteilen zu können, wird zumindest für die erste Kortisonstoßtherapie empfohlen, diese unter stationären Bedingungen durchzuführen.
•
Der potenzielle Nutzen regelmäßiger Kortikosteroid-Pulstherapien im Rahmen einer prospektiven, randomisierten, einfach verblindeten Phase-II-Studie erbrachte zwar eine geringere Zunahme anhaltend hypointenser T1-Läsionen als Hinweis für strukturelle Schädigungen und auch eine signifikante Reduktion der Progressionswahrscheinlichkeit über einen Beobachtungszeitraum von 5 J., aber Effekte auf die Schubrate oder Reduktion der T2-Läsionen im Verlauf der Untersuchung traten nicht auf.
•
Aufgrund der fehlenden Verblindung der klinischen Untersucher müssen auch die Befunde zur Krankheitsprogression mit Vorsicht betrachtet werden.
•
Die Bedeutung dieser prophylaktischen Maßnahme wird erst im Rahmen einer prospektiven, verblindeten Phase-III-Untersuchung festgelegt werden können.
P 5 – 3.2
Intrathekale Applikation von Kortikosteroiden
•
Hierbei hat sich zu Beginn der Therapie die 3- bis 4-malige intrathekale Gabe von jeweils 60 mg kristallinem Triamcinolon in 2- bis 3-tägigem Abstand zur Abschätzung eines Therapieeffekts bewährt.
•
Bei gutem Ansprechen und guter Verträglichkeit kann diese Therapieform ggf. in vierteljährlichen Abständen durchgeführt werden.
!
Eine Dauerbehandlung sollte jedoch kritisch hinterfragt werden, da sich auch unter der intrathekalen Steroidtherapie unerwünschte Arzneimittelnebenwirkungen wie eine Nebennierenrindeninsuffizienz oder Osteoporose manifestieren können.
P 5 – 4
Therapie der schubförmigen MS
P 5 – 4.1
Immunmodulatorische Behandlung
β-Interferone
-
•
Für die drei gentechnologisch hergestellten Präparate (IFN-1β, Betaferon®, Extavia®; IFN-β1a, Avonex® und IFN-β1a, Rebif®) liegen überzeugende Studienevidenzen aus mehreren multizentrischen, placebokontrollierten Studien mit mind. 2-jährigen Behandlungsphasen für die Wirksamkeit bei Verlaufsformen der MS mit Schüben vor (Gold et al. 2014). In diesen Studien konnte gezeigt werden, dass mit IFN-β-Präparaten
–
eine mindestens 30-prozentige Schubreduktion,
–
eine deutliche Reduktion der Schubschwere,
–
eine bis zu 70% verminderte Krankheitsaktivität neuer Gd-Läsionen im MRT und
–
eine verminderte Krankheitsprogression erreicht werden konnte.
-
•
Auch wenn sich bei den einzelnen Präparaten graduelle Unterschiede in der Ausprägung der Effektstärken nachweisen ließen, so ergaben sich doch keine widersprüchlichen Ergebnisse, was die Validität der erhobenen Befunde unterstützt.
-
•
Mittlerweile wurden alle drei Substanzen auch bei Patienten mit klinisch isoliertem Syndrom sowie bei MS im Kindesund Jugendalter erfolgreich getestet.
-
•
Zudem gelten aufgrund der mittlerweile vorliegenden Datenlage sowohl die Langwirksamkeit als auch die Sicherheit der IFN-β-Präparate als allgemein anerkannt (Rio et al. 2005).
-
•
Direkte Vergleichsstudien von Rebif® vs. Avonex® bzw. Betaferon® vs. Avonex® sind aufgrund methodischer Mängel nur eingeschränkt beurteilbar.
-
•
Die Bestimmung neutralisierender Antikörper (NAB) sollte bei klinisch anhaltenden Schubereignissen bzw. MR-tomographisch dokumentierter Erkrankungsprogression erfolgen. Diesbezüglich muss aber festgehalten werden, dass erst nach einer Latenz von 6–12 Mon. ein Therapieeffekt abschließend beurteilt werden kann.
Peginterferon beta-1a
-
•
eine signifikante jährliche Schubreduktion um 35,6% (2-wöchige Gabe) bzw. 27,5% (4-wöchige Gabe),
-
•
eine Reduktion der Behinderungsprogression um 38% (beide Dosisintervalle) und
-
•
eine Abnahme neuer und vergrößerter hyperintenser T2-Läsionen um 67% (2-wöchige Gabe) bzw. 28% (4-wöchige Gabe).
Glatiramerazetat
-
•
Anhand der vorliegenden Befunde lässt sich im Vergleich zu den IFN-β-Substanzen ein anderer, multifaktorieller Wirkmechanismus postulieren. So scheint die immunmodulatorische Wirkung von Glatiramerazetat auf dessen Einfluss auf die T-Zelldifferenzierung, Induktion von antiinflammatorisch wirkenden Th2-polarisierten T-Zellen sowie Produktion und Sekretion neuroprotektiver Faktoren (z.B. von BDNF) zu beruhen.
Dimethylfumarat
-
•
die jährliche Schubrate um 44% (CONFIRM) bzw. 53% (DEFINE),
-
•
das Fortschreiten der Behinderung gemessen anhand des EDSS um 38% (DEFINE) und
-
•
die Anzahl neuer oder vergrößerter MRT-Läsionen signifikant um 70–80%.
•
Leuko-/Lymphopenie,
•
Anstieg der Leberparameter und
•
Ketonkörper im Urin.
•
Kontrolle der Leber- und Nierenfunktion
•
Bestimmung der Leukozyten- und Lymphozytenzahl alle 2–3 Mon.
CAVE
-
!
Kürzlich wurde der erste Fall einer tödlich verlaufenden PML-Infektion unter Therapie mit DMF und ohne vorherige Risikofaktoren bekannt. Kontrollen der Leukozyten- und Lymyphozytenzahl alle 6–8 Wo. sind daher unter DMF unerlässlich. Das Aussetzen der Medikation ist ab einer Leukopenie < 3.000/μl bzw. Lymphopenie > 500/μl indiziert.
Teriflunomide
-
•
die jährliche Schubrate um 31,5% (TEMSO) bzw. 36,3% (TOWER) sowie
-
•
den Patientenanteil mit anhaltender Behinderungsprogression um 29,8% (TEMSO) bzw. 31,5% (TOWER).
-
•
Lymphopenie,
-
•
Thrombopenie,
-
•
Haarausdünnung und
-
•
Anstieg der Leberparameter.
CAVE
-
!
Während der Schwangerschaft und Stillzeit ist die Einnahme kontraindiziert.
Fingolimod
-
•
eine signifikante Reduktion der Schubrate,
-
•
eine Behinderungsprogression und
-
•
eine Anzahl entzündlicher MS-Läsionen sowie
-
•
eine Überlegenheit gegenüber einer Therapie mit Placebo bzw. i. m. verabreichtem IFN-β.
-
•
Differenzialblutbild, Leberparameter, BSG, Schwangerschaftstest, VZV-Serologie und ggf. Impfung bei fehlendem Impfschutz. Tbc-, HIV- sowie Hepatitis-B- und -C-Screening sind empfehlenswert.
-
•
MRT des Schädels nativ und mit Kontrastmittel
-
•
EKG
-
•
Ophthalmologischer Ausschluss eines Makulaödems
-
•
Dermatologisches Hautscreening zum Ausschluss etwaiger Präkanzerosen
-
•
Unter Therapie mit Fingolimod sollen Blutbild inklusive Differenzialblutbild sowie GOT, GPT und GGT zunächst 2 und 4 Wo. nach Therapiebeginn kontrolliert werden, dann alle 12 Wo.
-
•
Eine ophthalmologische Verlaufskontrolle soll nach 12 Wo. stattfinden,
-
•
eine dermatologische Verlaufskontrolle nach 12 Mon.
CAVE
-
!
6 h nach Einnahme der ersten Kps. ist eine Monitorüberwachung zum Ausschluss von bradykarden Rhythmusstörungen obligat. Bei einer (reversiblen) Bradykardie unter 40/Min. nach Einnahme soll auch nach Einnahme der zweiten Kps. eine 6-stündige Monitorüberwachung erfolgen. Bei Therapiepausen von > 14 d können die Erstdosierungseffekte auftreten.
-
!
Bei bestätigter Lymphopenie < 200/μl muss Fingolimod ausgesetzt werden. Eine Wiederaufnahme ist erst ab Lymphozytenwerten > 600/μl möglich.
-
!
Im Jahr 2013 wurden zwei tödlich verlaufende Fälle eines hämophagozytischen Syndroms unter Therapie mit Fingolimod bekannt.
Azathioprin
P 5 – 4.2
Antikörpertherapie, Immunglobuline
Natalizumab
-
•
eine Reduktion der jährlichen Schubrate um 68%,
-
•
eine Reduktion der Behinderungsprogression um 42% sowie
-
•
eine Reduktion neu aufgetretener hyperintenser T2-Läsionen gegenüber Placebo um 83% dokumentiert werden.
CAVE
-
!
Aufgrund der in den Jahren 2008–2014 aufgetretenen Fälle einer sogenannten progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML) erfordert die Gabe von Natalizumab sowohl bei der Therapieeinleitung als auch im Verlauf besondere Sorgfalt (Kappos et al. 2011, Sorenson et al. 2012).
-
•
bei Patienten mit hoher Krankheitsaktivität trotz Behandlung mit einem IFN-β-Präparat bzw.
-
•
bei unbehandelten Patienten mit hoch aktiver schubförmig remittierender MS (≥ 2 behindernde Schübe/J.) und einem signifikanten Anstieg der T2-Läsionslast oder kontrastmittelaufnehmender Herde.
•
einem chronisch-progredienten Erkrankungsverlauf sowie
•
HIV-Infektion und chronischen Virusinfektionen dar (Gold et al. 2009).
Als Faustregel gilt:
Bei entweder klinisch oder MR-tomographisch dokumentierter Erkrankungsprogression unter Natalizumab sollten umgehend Indikationsstellung sowie das Vorliegen neutralisierender Antikörper gegen Natalizumab geprüft werden.
-
!
Bei ca. 6% der Patienten kommt es im Verlauf zur Bildung von neutralisierenden Antikörpern gegen Natalizumab, welche neben ihren funktionell beeinträchtigenden Eigenschaften auch mit einem erhöhten Risiko für Infusionsreaktionen assoziiert sind.
CAVE
-
!
Die Kombination von Natalizumab mit einem anderen Immunsuppressivum muss aufgrund des erhöhten PML-Risikos strikt vermieden werden.
-
•
Die Schubrate wurde um etwa 50% reduziert,
-
•
das Voranschreiten der Behinderung verlangsamte sich um 42% und
-
•
es traten etwa ein Viertel weniger neue bzw. vergrößerte T2-Läsionen im MRT auf.
•
In der ersten Phase werden 12 mg/d an 5 aufeinanderfolgenden Tagen,
•
in der zweiten Phase an drei aufeinanderfolgenden Tagen verabreicht.
•
Ein dritter Behandlungszyklus nach weiteren 12 Mon. kann in Abhängigkeit des klinischen Verlaufs in Erwägung gezogen werden.
•
bei Patienten mit hoher Krankheitsaktivität trotz Behandlung mit einem IFN-β-Präparat bzw.
•
bei unbehandelten Patienten mit hoch aktiver schubförmig remittierender MS (≥ 2 behindernde Schübe/J.) und einem signifikanten Anstieg der T2-Läsionslast oder kontrastmittelaufnehmender Herde.
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ein chronisch-progredienter Erkrankungsverlauf,
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eine HIV-Infektion und chronische Virusinfektionen sowie
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eine Schwangerschaft.
CAVE
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Aufgrund des gehäuften Auftretens zum Teil schwerwiegender sekundärer Autoimmunstörungen wie immunthrombozytopenische Purpura und dem nachhaltigen Eingriff in das Immunsystem ist eine klare Indikationsstellung sowie Nachsorge zwingend erforderlich. Nach Beendigung der Therapie sind monatliche Kontrolluntersuchungen von Thrombozyten und Kreatinin bis zu 4 J. nach der letzten Applikation notwendig.
IVIG
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Die Anwendung von intravenösen Immunglobulinen (IVIG) hat Ihren festen Stellenwert zur Schubprophylaxe in der Postpartalperiode und Stillzeit.
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Uneinheitlich ist ihr Stellenwert bei der Behandlung der schubförmigen MS.
P 5 – 4.3
Chemotherapie
Mitoxantron
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Im Rahmen einer multizentrischen europäischen Studie konnte gezeigt werden, dass durch dreimonatige Gaben selbst bei bereits vorangeschrittener aktiver MS eine signifikante Reduktion der Schubzahl und eine Verminderung der Krankheitsprogression gegenüber Placebo erreicht werden kann.
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Ebenso ergab sich ein dosisabhängiger Effekt auf kernspintomographische Verlaufsparameter wie Gadolinium-anreichernde Herde oder die T2-Läsionslast.
Nebenwirkungen
CAVE
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Männliche Patienten müssen vor Therapieinitiierung mit Mitoxantron über die Möglichkeit einer Samenspende informiert werden, auch die sehr seltene Möglichkeit eines therapieassoziierten Lymphoms muss besprochen werden.
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Bei weiblichen Patienten muss immer ein negativer Schwangerschaftstest vor der Mitoxantrongabe vorliegen.
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Vor einer geplanten Schwangerschaft sollte Mitoxantron für mindestens 6 Mon. beendet sein.
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Die Haupteinschränkung der Therapie liegt in dem Risiko einer kumulativen Kardiotoxizität, welches ab einer Gesamtdosis von 140 mg/m2 KOF deutlich ansteigt. Aus diesem Grund sind vor der Erstapplikation sowie im Verlauf regelmäßige EKG-Untersuchungen und transthorakale Echokardiographien inklusive Bestimmung der linksventrikulären Ejektionsfraktion erforderlich.
Indikation und Therapiedurchführung
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Die Therapie erfolgt nach Infektausschluss durch Infusionen von zunächst 12 mg/m2 KOF Mitoxantron in 3-monatigen Abständen unter begleitender antiemetischer Medikation (Gold et al. 2014).
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Eine Induktionstherapie mit drei Infusionen jeweils im Abstand von 1 Mon. ggf. in Kombination mit einer Kortikosteroid-Pulstherapie kann bei besonders schweren Verläufen sinnvoll sein (Zingler et al. 2005).
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Der Leukozytennadir (ca. 7–14 d nach Infusion) ist in einem Chemotherapiepass zu dokumentieren.
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Eine Reduktion der Dosis für die Pulstherapie auf 5 mg/m2 KOF Mitoxantron sollte innerhalb eines Jahres nach Stabilisierung der Krankheit (keine neuen Schübe, keine EDSS-Progression) angestrebt werden.
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Als kumulative Höchstdosis wird derzeit 140 mg/m2 KOF empfohlen.
P 5 – 4.4
Verlaufsmodifizierende Basistherapie
1.
Beginn einer immunmodulatorischen Therapie mit einem rekombinanten Interferon-β-Präparat, Glatiramerazetat, Dimethylfumarat oder Teriflunomide möglichst frühzeitig nach Diagnosestellung bei aktivem Verlauf (s. u.).
2.
In Abhängigkeit von der individuellen Situation des Patienten – z. B. begleitende Autoimmunerkrankungen – kommen weitere Substanzen wie z. B. Azathioprin oder Immunglobuline (Dosierung: 10–15 g/Mon.) für die Basistherapie infrage. Aufgrund der eingeschränkten Erkenntnisse bzgl. optimaler Dosis und auch Effekten auf die subklinische Krankheitsaktivität im MRT werden diese Präparate derzeit als Reservemittel der Basistherapie betrachtet.
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Insbesondere zur Schubprophylaxe während der Schwangerschaft und Stillperiode erscheint die monatliche Immunglobulingabe (Dosierung 0,2–0,4 g/kg KG) als sinnvolle Alternative (Durelli et al. 2002).
3.
Bei nicht tolerablen, lokalen Nebenwirkungen an der Haut unter s. c. applizierten Präparaten Umstellung auf die zugelassene i.m. Applikationsform oder ein p. o. verfügbares Präparat.
4.
Bei anhaltender oder zunehmender Krankheitsaktivität unter der begonnenen Basistherapie kommt die Therapieeskalation auf Natalizumab, Fingolimod oder Alemtuzumab bzw. ggf. Umstellung auf eine andere Basistherapie infrage (▸ Abb. 1).
P 5 – 5
Immunmodulatorische Therapie bei anderen Verlaufsformen
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Bei Patienten mit gesicherter SPMS und nur geringer Behinderungszunahme in den letzten 2 J. oder fehlenden Schüben bzw. fehlender subklinischer Krankheitsaktivität im MRT (neue T2-Läsionen oder Gadolinium-aufnehmende Herde) erscheint eine Behandlung mit IFN-β wenig sinnvoll.
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Bei rascher Progredienz sollte nach Rücksprache mit einem MS-Zentrum die Therapie mit Mitoxantron erwogen werden.
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Aufgrund einer negativ verlaufenen Studie von intravenösen Immunglobulinen bei SPMS kann diese Therapieoption für diese Verlaufsform der MS nicht empfohlen werden.
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Die bisherigen Therapiestudien mit rekombinanten IFN-β-Präparaten haben meist keine signifikante Abnahme der Erkrankungsprogression eruieren können.
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Für den Nutzen einer Therapie mit Glatiramerazetat oder IVIG bei PPMS liegt ebenfalls keine Evidenz vor (Wolinsky et al. 2007, Pöhlau et al. 2007).
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Bei rascher Progredienz können eine Glukokortikoid-Stoßtherapie und eine Therapie mit Mitoxantron in Erwägung gezogen werden (s. o.).
Grundsätzlich gilt:
Vor Beginn einer immunmodulatorischen Therapie muss der Patient über die Wirkansätze und möglichen Nebenwirkungen der Behandlung gemäß der vorhandenen Produktinformation aufgeklärt werden und der Verlauf unter der Therapie muss standardisiert dokumentiert werden.
P 5 – 5.1
Kombinationstherapien
P 5 – 5.2
Therapieaussichten
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Laquinimod (ABR-215062) ist ein oral verfügbarer Immunmodulator. In einer Phase-III-Studie (ALLEGRO) reduzierte Laquinimod im Vergleich zu Placebo die jährliche Schubrate signifikant um 24%. Darüber kam es zu einer ebenfalls signifikanten Reduktion des Progressionsrisikos (EDSS) um 36% (Thöne und Gold 2013).
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Daclizumab gehört zur Gruppe der monoklonalen Antikörper und wurde bei schubförmig verlaufender MS erfolgreich in Phase-IIb-Studien (SELECT, SELECTION) getestet. Kürzlich wurden auch die Ergebnisse der Phase-III-Studie DECIDE vorgestellt. Der Wirkstoff, der alle 4 Wo. s. c. appliziert werden muss, reduzierte gegenüber Placebo die Schubrate innerhalb eines Jahres um 54%. Zudem verzögerte Daclizumab die Behinderungsprogression und zeigte positive Effekte auf die MR-tomographisch gemessene Behinderungsprogression (Milo 2014).
P 5 – 6
Symptomatische Therapie der MS
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Die effektive Reduktion von Symptomen wie Spastik, Ataxie, Blasenstörung, Schmerzen/Dysästhesien, Depression oder Fatigue kann somit zur Verbesserung der Ausübung von Alltagsaktivitäten und zur sozialen Integration des Patienten beitragen.
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Die Vereinbarung realistischer Therapieziele ist zur Aufrechterhaltung der Compliance wichtig.
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Vor Einleitung symptomatischer Therapien sollte nach verstärkenden Faktoren gefahndet werden. So kann es z. B. im Rahmen eines Harnwegsinfekts zur deutlichen Zunahme oder auch zum erstmaligen Auftreten einer Spastik kommen, die vermehrte Ermüdbarkeit kann Folge einer häufigen Nykturie sein.
P 5 – 6.1
Fatigue, Depression und kognitive Defizite
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Da die Alltagsrelevanz aller genannten Symptome für Berufstätigkeit und Lebensqualität groß ist und die Symptome von den Patienten als sehr belastend empfunden werden, sollte neben allgemeinen Maßnahmen wie Einhaltung regelmäßiger Ruhepausen, Vermeidung von Hitze, Reduktion potenziell sedierender Medikamente (falls möglich) ein medikamentöser Therapieversuch unternommen werden.
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Zudem sollten etwaige organische Ursachen wie z. B. eine Hypothyreose oder medikamentenassozierte Effekte ausgeschlossen werden.
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Modafinil (Vigil®), 200 mg/d p. o. (morgens)
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Amantadin (z. B. PK Merz®), 2–3 × 100 mg/d p. o. bzw. 2 × 150 mg/d
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Pemolin (z. B. Tradon®), cave: Leberfunktionsstörungen!
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Sinnvoll erscheint neben kognitiver Rehabilitation und dem Erlernen von Kompensationsstrategien eine frühe immunmodulatorische Behandlung, wobei auch hier die Datenlage spärlich ist.
P 5 – 6.2
Spastik
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Vor Einleitung einer medikamentösen Therapie sollten immer etwaige auslösende Faktoren wie Infekte, Blasen- oder Darmentleerungsstörungen, schlecht angepasstes Schuhwerk oder dysfunktionaler Rollstuhl eliminiert werden.
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Auch im Rahmen einer IFN-β-Therapie kann es passager zur Zunahme einer vorbestehenden Spastik kommen.
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Da es unter der medikamentösen Behandlung einer Spastik oft zur Reduktion der Muskelkraft kommt, sollte die Dosis möglichst gering gehalten und ggf. bedarfsangepasst modifiziert werden, was u. a. variable Tagesdosen nötig macht.
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Zudem empfinden manche Patienten die Streckspastik der Beine als vorteilhaft beim Stehen, Gehen und Transfer.
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Für die am häufigsten eingesetzten Mittel Baclofen und Tizanidin konnte die Wirksamkeit in placebokontrollierten Studien nachgewiesen werden.
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Ebenso liegen kleinere Untersuchungen zum Einsatz von Gabapentin, Dantrolen, intrathekales Baclofen und Botulinumtoxin vor, wobei letztere Verfahren erst bei voll ausgeschöpfter Kombinationstherapie mehrerer Antispastika nur in erfahrenen Therapiezentren zur Anwendung kommen sollten.
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Für den Einsatz von Cannabinoiden liegen inzwischen mehrere Studien mit der Substanz Nabiximols vor, die einen Therapieversuch rechtfertigen. Im Jahr 2011 wurde unter dem Handelsnamen Sativex® das erste Cannabinoid zur Behandlung der Spastik bei MS in Europa als oromukosales Spray zugelassen.
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Eine weitere Alternative ist der Kaliumkanalblocker 4-Aminopyridin (Fampridin®). Therapieresponder zeigen eine Zunahme der Gehstrecke und -geschwindigkeit.
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Im Rahmen eines individuellen Heilversuchs kann die intrathekale Eingabe von Triamcinolon in Erwägung gezogen werden. Unkontrollierte Studien berichten von einer Zunahme der Gehstrecke und -geschwindigkeit.
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Neben der medikamentösen Therapie spielt in der Spastikbehandlung die Krankengymnastik eine zentrale Rolle. Hierbei werden besonders die Bewegungsabläufe unter Vermeidung spastikauslösender Muster optimiert und die motorische Restfunktion (Gehen, Transfer) trainiert. So wird auch der Entwicklung von Kontrakturen vorgebeugt und bei pflegebedürftigen Patienten das Auftreten von Dekubiti verringert.
Grundsätzlich gilt:
Zur Vermeidung von Sekundärfolgen und zur Verbesserung funktioneller Einschränkungen gehört die Krankengymnastik auf neurophysiologischer Grundlage zur Basisversorgung von MS-Patienten mit Gehbehinderung oder Koordinationsstörungen.
P 5 – 6.3
Störungen der Blasen- und Sexualfunktion
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Vor Beginn einer medikamentösen Therapie sollten eine Flüssigkeitsbilanzierung sowie ein Miktionsprotokoll über mehrere Tage angelegt werden. Durch Umverteilung der Flüssigkeitsmengen lassen sich oft schon Besserungen der Funktionsstörungen erreichen.
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Als Nächstes sollten eine Restharnbestimmung und ggf. eine weiterführende urologische Abklärung inklusive einer urodynamischen Untersuchung und Sonographie der Harnwege folgen.
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Medikamente der ersten Wahl zur Behandlung der Detrusor-Hyperreflexie sind Anticholinergika (z. B. Oxybutinin oder Tolterodin), welche zum Teil auch als Retardpräparate zur Verfügung stehen (Toosy et al. 2014).
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In schweren Fällen kann zudem ein Therapieversuch mit intranasalem Desmopressin bzw. die intravesikale Applikation von Botulinumtoxin in Erwägung gezogen werden.
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Obligatorisch ist in allen Fällen aber die regelmäßige sonographische Restharnbestimmung, da Restharnmengen > 100 ml mit einem erhöhten Risiko für Harnwegsinfektionen einhergehen.
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Neben der medikamentösen Therapie stellen die saubere intermittierende Selbstkatheterisierung, um eine vollständige Blasenentleerung zu ermöglichen, bzw. die suprapubische Dauerableitung mögliche Therapiealternativen dar (▸ Tabelle 5).
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Überzeugend konnte im Rahmen placebokontrollierter Studien der Effekt von Phosphodiesterase-5-Inhibitoren, z. B. Sildenafil in einer Dosis von 25–100 mg oder Tadalafil und Vardenafil (jeweils bis 20 mg) bei Erektionsstörung männlicher MS-Patienten nachgewiesen werden (Henze et al. 2004; Fowler et al. 2005; Lombardi et al. 2012).
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Als nichtmedikamentöser Therapieansatz kommt die kognitive Verhaltenstherapie infrage.
P 5 – 6.4
Schmerzen und sensible Missempfindungen
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die Trigeminusneuralgie (häufigste Form akuter Schmerzen bei MS),
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ein positives Lhermitte-Symptom sowie
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schmerzhafte tonische sogenannte paroxysmale Hirnstammanfälle.
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Zur Behandlung der Trigeminusneuralgie hat sich zudem Misoprostol, ein Prostaglandin-E1-Analogon als wirksam gezeigt.
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Bei chronischen Schmerzen und schmerzhaften Dysästhesien ist auch ein Therapieversuch mit Amitriptylin gerechtfertigt.
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Morphinpräparate sollten der Eskalationstherapie bei chronischen Schmerzzuständen Vorbehalten bleiben.
P 5 – 6.5
Ataxie und Tremor
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Propranolol (80–120 mg/d),
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Primidon (150–300 mg/d),
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Carbamazepin (400–600 mg/d),
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Clozapin (12,5–75 mg/d),
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Gabapentin (900–2.400 mg/d) oder auch
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Clonazepam (0,5–2,0 mg/d) und
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Topiramat (2 × 25–100 mg/d).
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Zusammenfassend muss jedoch festgehalten werden, dass sich die Therapie von Tremor und Ataxie häufig frustran gestaltet und keine einheitliche Therapieempfehlung existiert.
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Schimrigk et al., 2012
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Sorenson and Bertolotto-Edan, 2012
Swanton et al., 2014
Thöne and Gold, 2013
Toosy et al., 2014
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Wolinsky et al., 2007
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