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10.1016/B978-3-437-22107-1.50075-3
978-3-437-22107-1
Elsevier Inc.
Phasen des Postreanimations-Syndroms (nach Nolan et al. 2008). ROSC = return of spontaneous circulation, Rückkehr des Spontankreislaufs.

Algorithmus zur Optimierung der Hämodynamik. MAP, mean arterial pressure (mittlerer arterieller Druck); HZV, Herzzeitvolumen; Hb, Hämoglobin; DO2, Sauerstoffangebot; GEDV-I, globaler enddiastolischer Volumenindex; LVEDA-I, Linksventrikulärer enddiastolischer Flächenindex; ZVD, zentraler Venendruck; CI, cardiac index (Herzindex); SCVO2, zentralvenöse Sauerstoffsättigung; EK, Erythrozytenkonzentrat.

Ablaufdiagramm der Hirntoddiagnostik gemäß Bundesärztekammer (BÄK 2008). EP, evozierte Potenziale.

Laborbestimmungen in der Postreanimationsbehandlung.
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Postreanimationsbehandlung von Patienten nach Herz-Kreislauf-Stillstand: Therapeutische Hypothermie
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Vorbemerkungen B 15 – 1
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Postreanimations-Syndrom B 15 – 2
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Therapie im Überblick B 15 – 7
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Therapiemaßnahmen im Einzelnen B 15 – 8
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Neurologische Prognose B 15 – 14
Kernaussagen
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Um die Behandlung nach plötzlichem Herztod, der noch immer mit einer sehr hohen Letalitätsrate verbunden ist, zu verbessern, muss die in den Leitlinien dargestellte Rettungskette konsequent umgesetzt werden. Die Postreanimationsbehandlung ist das vierte Glied in dieser Rettungskette.
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□
Die hohe Sterblichkeit im Krankenhaus nach plötzlichem Herztod ist durch kardiale Komplikationen aber insbesondere auch durch eine fehlende neurologische Erholung bedingt (Postreanimations-Syndrom).
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□
Therapieansätze mit nachgewiesenem Nutzen zur Vermeidung von Hirnschäden im Rahmen eines Postreanimations-Syndroms sind die therapeutische Hypothermie, die so schnell wie möglich begonnen werden sollte, sowie frühzeitige hämodynamische Stabilisierung, Atemwegssicherung und kontrollierte Normoventilation, Kontrolle zerebraler Krämpfe, kontrollierte Reoxygenation und eine supportive Intensivtherapie.
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□
Weitere Aspekte des Postreanimations-Syndroms sind eine Dysfunktion des Myokards und eine globale Ischämie aller Organsysteme, die zu einer systemischen Entzündungsreaktion führt („sepsis-like syndrome”). Therapeutische Schritte sind eine schnelle hämodynamische Stabilisierung, sowie Maßnahmen zur Stützung der Herzfunktion und Begrenzung der sepsisartigen Reaktion.
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Die dem Ereignis zugrunde liegende Erkrankung muss kausal therapiert werden.
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Die therapeutischen Maßnahmen in der Postreanminationsbehandlung müssen die hämodynamische Instabilität, das akute Koronarsyndrom als auslösende Ursache, die zerebrale Vulnerabilität und die Gefährdung von Niere, Leber, Darm und Lunge als Schockorgane berücksichtigen.
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□
Nach einer Reanimation ist das kontinuierliche Monitoring auf der Intensivstation zwingend erforderlich.
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□
Gut belegt ist inzwischen der zerebroprotektive Effekt einer therapeutischen Hypothermie.
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□
Für die therapeutische Hypothermie stehen verschiedene externe (z.B. Kühlelemente, wasserdurchströmte Matten) und interne (Kühlkatheter oder Infusion gekühlter balancierter Elektrolytlösungen) Kühlmethoden zur Verfügung.
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□
Die Zieltemperatur beträgt 33 °C Körperkerntemperatur und die Hypothermie sollte mindestens 12 Std. besser 24 Std. aufrechterhalten werden.
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□
Die therapeutische Hypothermie ist indiziert, wenn der Patient nach Wiederkehr einer Spontanzirkulation weiterhin komatös ist und erfordert zusätzlich eine Analgosedierung ggf. sogar eine Muskelrelaxation.
B 15 – 1
Vorbemerkungen
•
Selbst in den besten Rettungsdiensten erreichen nur etwa 50% der Patienten das Krankenhaus mit einem eigenen Kreislauf und nur 15% der Patienten können aus dem Krankenhaus nach Hause entlassen werden (Herlitz et al. 1999).
•
Zusammengefasst werden also nur 50% der Patienten nach plötzlichem Herztod reanimiert, die prähospitale Mortalität beträgt ca. 50% und die Sterblichkeit im Krankenhaus erreicht 70%.
Grundsätzlich gilt:
Die Behandlung nach plötzlichem Herztod kann nur verbessert werden, wenn die Rettungskette in Gänze Beachtung findet und konsequent umgesetzt wird.
B 15 – 2
Postreanimations-Syndrom
Grundsätzlich gilt:
Prinzipiell ist zu fordern, dass die zerebrale Wiederbelebung neben der kardialen Stabilisierung ein integraler Bestandteil jedweder Reanimationsbehandlung sein muss (Fischer 2007).
•
Schädigung des Gehirns nach Kreislauf-Stillstand und Reanimation (post cardiac arrest brain injury);
•
Dysfunktion des Myokards nach Kreislauf-Stillstand und Reanimation (post cardiac myocardial dysfunction);
•
systemische Ischämie/Reperfusionsreaktion und
•
die persistierende zugrunde liegende Pathologie.
B 15 – 3
Schädigung des Gehirns
•
Schon 12 Sekunden nach einem Kreislauf-Stillstand verliert der Patient das Bewusstsein, da die neuronalen Funktionen des ZNS komplett zum Erliegen kommen. Ein Null-Linien-EEG ist abzuleiten und auch die Hirnstammfunktionen kommen zum Erliegen. Zunächst ist noch eine Schnappatmung zu beobachten, die wenige Minuten später in einer Apnoe endet.
•
Besteht die zerebrale Ischämie weiter, ist nach etwa 5 Minuten eine Depolarisation umfassender Neuronenverbände zu beobachten, die früher als terminale Depolarisation (Bures u. Buresova 1957) bezeichnet wurde. Heutzutage wissen wir aber, dass die Wiederbelebung des Gehirns großer Säugetiere auch nach mehr als 11 Minuten Kreislauf-Stillstand mit nur geringen neurologischen Ausfällen möglich ist.
•
eine gestörte zerebrale Reperfusion im Sinne des No-Reflow-Phänomens (Fischer u. Hossmann 1995 und 1996, Fischer et al. 1996, Jarnum et al. 2009),
•
eine verminderte zerebrovaskuäre Autoregulation und die postischämische Hypoperfusion,
•
die Entwicklung eines Hirnödems, besonders nach einer Hypoxie (Iida et al. 1997, Morimmoto et al. 1993, Sakabe et al. 1987) sowie
•
die postischämische Neurodegeneration, welche sowohl die Nekrose als auch die Apoptose umfasst (Hossmann 1997, 1999 und 2001, Safar et al. 2002, Vaagenes et al. 1996).
Klinisches Bild
•
Koma,
•
zerebrale Krämpfe,
•
Myokloni,
•
kognitive Dysfunktionen,
•
persistierender vegetativer Status,
•
sekundärer Parkinsonismus,
•
kortikaler Schlaganfall,
•
spinaler Schlaganfall,
•
Hirntod.
Behandlungsoptionen
•
die therapeutische Hypothermie (33 °C für 12–24 Std.), welche so schnell wie möglich begonnen werden sollte (Bernard et al. 2002, Hypothermia after Cardiac Arrest Study Group 2002),
•
die frühzeitige hämodynamische Stabilisierung,
•
die Atemwegssicherung und kontrollierte Normoventilation,
•
die Kontrolle zerebraler Krämpfe,
•
die kontrollierte Reoxygenation mit einem SaO2 von 94–96%, bei Vermeiden von Hypoxämien sowie
•
die supportive Intensivtherapie.
B 15 – 4
Dysfunktion des Myokards
Klinisches Bild
•
vermindertes Herzminutenvolumen,
•
Hypotonie,
•
Arrhythmien,
•
akutes Koronarsyndrom ([Nicht-]ST-Hebungsinfarkt, [N]STEMI),
•
erneuter kardiovaskulärer Kollaps und Herz-Kreislauf-Stillstand.
Behandlungsoptionen
•
die frühe Revaskularisation bei akutem Myokardinfarkt (Akut-PCI, Thrombolyse),
•
die schnelle hämodynamische Stabilisierung mit
–
i.v.-Flüssigkeitstherapie zur Optimierung der Vorlast und
–
inotropen Substanzen (Noradrenalin, Dobutamin, Levosimendan [Koudouna et al. 2007, Cammarata et al. 2006]),
•
die intraaortale Ballongegenpulsation (IABP; Tennyson et al. 2002, Sanborn et al. 2000),
•
die Linksherzunterstützung mittels LVAD (left ventricular assist device) und
•
die extrakorporale Membran-Oxygenation (ECMO; Yu et al. 2007).
B 15 – 5
Systemische Ischämie/Reperfusionsreaktion
•
Viele Studien bestätigen die Aktivierung des Zytokinin- und Gerinnungssystems, sodass die Postreanimations-Krankheit auch als „sepsis-like-syndrome” beschrieben wurde (Adrie et al. 2002 und 2004).
•
SIRS (systemisches inflammatorisches Response-Syndrom),
•
gestörte Gefäßregulation,
•
aktivierte intravasale Gerinnung,
•
Suppression der Nebennieren,
•
gestörte Gewebsoxygenierung und Sauerstoffaufnahme und
•
verminderte Infektresistenz.
Klinisches Bild
•
Fieber,
•
Infektion,
•
Hyperglykämie,
•
multiple Organdysfunktionen wegen der Gewebshypoxie bis hin zum multiplen Organversagen,
•
Hypotension,
•
kardiovaskulärer Kollaps und Herz-Kreislauf-Stillstand.
Behandlungsoptionen
•
schnelle hämodynamische Stabilisierung (s.o.) mit
–
i.v.-Flüssigkeitstherapie zur Optimierung der Vorlast und
–
inotropen Substanzen (Noradrenalin, Dobutamin, Levosimendan),
•
die Hämofiltration mit hohem Umsatz (Laurent et al. 2005),
•
die Kontrolle der Temperatur,
•
die Kontrolle des Serum-Glukosewerts und Therapie mit Insulin sowie
•
bei Infektionen eine Antibiotika-Therapie.
B 15 – 6
Persistierende zugrunde liegende Pathologie
Grundsätzlich gilt:
Die dem Ereignis zugrunde liegende Erkrankung muss selbstverständlich kausal therapiert werden, insbesondere dann, wenn sie nach einer primär erfolgreichen Reanimation weiter fortbesteht.
•
COPD und Asthma (antiobstruktive Therapie, Anfallsprophylaxe),
•
ZNS-Erkrankungen,
•
Schlaganfall,
•
Lungenembolie (Thrombolyse, OP),
•
Vergiftung und Überdosierung (Antidot, Detoxikation),
•
Infektionen (Sepsis, Pneumonie etc.) und
•
Hypovolämie (Blutung, Dehydratation etc.).
B 15 – 7
Therapie im Überblick
Als Faustregel gilt:
Die therapeutischen Maßnahmen müssen berücksichtigen:
•
die hämodynamische Instabilität,
•
das akute Koronarsyndrom als auslösende Ursache,
•
die zerebrale Vulnerabilität und
•
die Gefährdung von Niere, Leber, Darm und Lunge als Schockorgane.
Zudem ist zu beachten, dass die Mikrozirkulationsstörung im Verlauf des Postreanimations-Syndroms durch die aktivierten proinflammatorischen und prokoagulatorischen Kaskaden verstärkt wird.
•
Komatöse Patienten werden intubiert und beatmet, der paCO2-Wert liegt im Normbereich, die Tidalvolumina sind auf 6 ml/kg KG und der positive endexspiratorische Druck (PEEP) ist auf 10 cmH2O zu begrenzen.
•
Eine therapeutische Hypothermie sollte fortgeführt oder spätestens auf der Intensivstation induziert werden: anzustreben sind 32–34 °C für 12–24 Std., die Wiedererwärmung muss stets sehr langsam erfolgen (s.u.).
•
Der Blutzucker sollte engmaschig kontrolliert und mit Insulin auf Werte < 150 mg/dl gesenkt werden.
•
Zerebrale Krämpfe sind umgehend medikamentös zu behandeln.
•
Hypoglykämien und Hyperthermien sind zu vermeiden.
B 15 – 8
Therapiemaßnahmen im Einzelnen
Monitoring und Überwachung
•
12-Kanal-EKG durch Notarzt oder spätestens bei der Aufnahme im Krankenhaus, um ein STEMI frühzeitig zu diagnostizieren.
•
EKG kontinuierlich (zentrale Alarme und Registrierung),
•
Pulsoxymetrie,
•
invasive arterielle und zentralvenöse Druckmessung,
•
Kontrolle der Urinproduktion pro Stunde und Tag über einen Blasenkatheter,
•
Temperaturmessung
–
Bluttemperatur via PICCO (Pulse Contour Cardiac Output) oder Pulmonaliskatheter sowie
–
wenn nötig nasopharyngeal oder ösophageal
•
Blutgasanalyse und
•
klinisch neurologische Überwachung, ggf. EEG.
•
Messung des Herzminutenvolumens (HZV), des systemischen Gefäßwiderstandes und der kardialen volumetrischen Vorlastparameter mittels transpulmonaler Thermodilutionsverfahren,
•
Echokardiographie und
•
globalen Parametern der O2-Versorgung, z.B. Laktat, zentralvenöse Sauerstoffsättigung (SCVO2).
CAVE:
! Besonders gefährdet sind Patienten nach einem hypoxischen Geschehen (u.a. Opiatintoxikation, Lungenembolie, Strangulation und Beinaheertrinken), bei diesen sind Hirndruckkrisen bis hin zur Einklemmung zu beobachten.
B 15 – 9
Hämodynamische Stabilisierung und Reperfusion des Myokards
Grundsätzlich gilt:
Nach einer Reanimation ist das kontinuierliche Monitoring auf der Intensivstation zwingend erforderlich, um Arrhythmien, Hypotonien, Hypoxämien oder Kreislauf- und Organinsuffizienzen rechtzeitig erkennen und behandeln zu können.
1.
Zunächst ist die Vorlast des Herzens zu optimieren, um unter Ausnutzung des Frank-Starling-Mechanismus die Herzleistung zu optimieren.
Hierbei wird die Vorlast des Herzens mittels wiederholter Flüssigkeitsgaben (ca. 500 ml in 30 Min.) gesteigert, HZV, arterieller Druck, zentralvenöser Druck und die volumetrischen Vorlastparameter der transpulmonalen Thermodilutionsverfahren werden überprüft. Ist keine weitere Steigerung des Schlagvolumens mehr zu erzielen, ist die Vorlast optimiert.
2.
Im nächsten Schritt wird der periphere Widerstand angepasst, hierzu wird in der Regel Noradrenalin in langsam steigenden Dosierungen appliziert (Beginn mit 0,1 μg/kg KG/Min.).
In der Postreanimationsphase ist ein zerebraler Perfusionsdruck (CPP) von ≥ 70 mmHg anzustreben.
3.
Bleibt das Herzminutenvolumen unter der Norm zurück und/oder gibt es Zeichen einer nicht adäquaten O2-Versorgung des Organismus (erhöhte Serum-Laktat-Werte, SCVO2 < 70%), so ist das Herzminutenvolumen mit positiv inotrop wirkenden Substanzen zu steigern. Dobutamin ist das Medikament der ersten Wahl (Beginn mit 2,5 μg/kg KG/Min.), neuere Studien haben die Wirksamkeit von Phosphodiesterase-3-Hemmern und Calcium-Sensitizern gezeigt.
4.
Im Rahmen der kardiopulmonalen und zerebralen Reanimation ist zu beachten, dass eine ausreichende Sauerstofftransportkapazität für die O2-Versorgung der Organe erforderlich ist und die Hämoglobinkonzentration ≥ 10 g% betragen sollte.
Indikation für interventionelle kardiologische Verfahren (PTCA)
✓
Es hat sich erwiesen, dass eine PCI im Temperaturbereich von 32–34 °C komplikationslos durchgeführt werden kann.
–
Kardiovaskuläre Effekte der therapeutischen Hypothermie sind in der Regel eine Bradykardie und ein Anstieg des Blutdrucks.
–
Der Einfluss der Hypothermie auf die myokardiale Kontraktilität ist variabel und hängt von Herzfrequenz und Vorlast ab.
–
Bei den meisten Patienten aber steigt die Kontraktilität, obwohl bei manchen Patienten eine milde diastolische Funktionsstörung zu beobachten ist.
–
Klinisch relevante Arrhythmien treten meist nur auf, wenn die Kerntemperatur auf unter 30 °C absinkt.
B 15 – 10
Therapeutische Hypothermie
Vorbemerkungen
Studienlage
•
Es zeigte sich, dass nur 6 Patienten gekühlt werden müssen, um das zusätzliche Überleben eines Patienten mit guter neurologischer Erholung zu sichern („number needed to treat”, NNT = 6). Schon im Juni 2003 hat die „ALS-Task Force” des ILCOR-Gremiums die Konsequenzen aus den im New England Journal publizierten Studien gezogen und – im Vorgriff auf die erst im Jahre 2005 publizierten Reanimationsrichtlinien – die therapeutische Hypothermie empfohlen (Nolan et al. 2003): „Bewusstlose Erwachsene mit Spontankreislauf nach präklinischer Reanimation sollten für 12–24 Stunden auf 32–34 °C gekühlt werden, wenn der Initialrhythmus Kammerflimmern war. Diese Kühlung kann auch für andere Initialrhythmen oder die innerklinische Reanimation von Vorteil sein.”
•
Wenn auch in diesen Studien nur Patienten mit bekanntermaßen besserer Prognose (Alter < 75 Jahre, Kammerflimmern) eingeschlossen wurden, so zeigen doch die Daten aus dem Hypothermieregister und verschiedene Kasuistiken klar, dass auch Patienten von der therapeutischen Hypothermie profitieren, die nicht im Kammerflimmern aufgefunden wurden oder im Krankenhaus reanimiert wurden.
•
Mittlerweile wird die therapeutische Hypothermie auch für Neugeborene empfohlen, die nach einer komplizierten Geburt eine moderate bis schwere Enzephalopathie erlitten haben (Hoehn et al. 2008).
•
Nach Schlaganfall und Schädel-Hirn-Trauma ist die Studienlage bis heute nicht eindeutig, dennoch kann die therapeutische Hypothermie gerade bei anders nicht zu beherrschendem Hirndruck eine letzte Therapieoption sein (Polderman u. Herold 2009).
Indikation
CAVE:
! Eine Hypothermie sollte nicht induziert werden, wenn der Kreislauf-Stillstand extrem kurz war, z.B. beobachtete Asystolie unter Monitoring mit sofortigem Beginn der Thoraxkompressionen und Wiederherstellung des Kreislaufs innerhalb von 2 Minuten.
Kontraindikationen
-
•
Der Wille des Patienten, auf intensivmedizinische Maßnahmen unter diesen Umständen verzichten zu wollen, soweit dieser nachvollziehbar artikuliert wurde,
-
•
eine maligne Grunderkrankung mit infauster Prognose,
-
•
eine manifeste Gerinnungsstörung,
-
•
schweres Trauma,
-
•
ein therapiefreies Intervall (Kollaps bis Beginn suffizienter Basismaßnahmen) von mehr als 15 Minuten.
B 15 – 11
Methoden der Kühlung
Als Faustregel gilt:
Die Anwendung der therapeutischen Hypothermie setzt eine kontinuierliche und verlässliche Temperaturmessung voraus.
Externe Oberflächenkühlung
•
Die einfachste Kühlmethode ist die oberflächliche Kühlung durch Eisbeutel, Kühlelemente und das Abwaschen mit Wasser zur Ausnutzung der Verdunstungskälte. Letzteres Verfahren nutzt den physikalischen Effekt – einem Körper wird Energie in Form von Wärme entzogen, wenn an seiner Oberfläche – wie beim Schwitzen – eine Flüssigkeit in den gasförmigen Aggregatzustand gebracht wird.
–
Dieses Verfahren ist gemessen am materiellen Einsatz sehr preisgünstig, jedoch für die Pflegekräfte zeitlich aufwändig.
–
Zudem sind die Kühlgeschwindigkeit gering, die Steuerbarkeit eingeschränkt und die Kühlkapazität limitiert.
✓
So ist es mit dieser Methode zum Teil nicht möglich, muskuläre athletische Patienten innerhalb von mehreren Stunden auf 33 °C zu kühlen.
✓
Cave: Vorsicht mit alkoholischen Lösungen zur oberflächlichen Kühlung, diese können bei einer Defibrillation in Brand geraten und zu Verbrennungen führen!
•
In der europäischen multizentrischen Studie („Hypothermia after Cardiac Arrest”, HACA) wurde zur Oberflächenkühlung ein Bett mit Luftkühlung verwendet. Diese Technik ist derzeit aber nicht mehr verfügbar.
•
Verschiedene Hersteller bieten wasserdurchströmte Matten an, welche auf der Haut fixiert werden. Die Temperatur des Patienten wird mittels einer rückgekoppelten Steuerung über die Vorlauftemperatur und Vorlaufgeschwindigkeit des Wassers als Kühlmittel geregelt.
•
Ohne Steuerung, aber mit großer Kühlgeschwindigkeit überzeugt eine weitere externe Kühlmethode, bei der Kühlelemente, welche mit einer Graphit-Wasser-Emulsion gefüllt sind, direkt auf die Haut aufgebracht werden. Dieses Verfahren kann auch außerhalb des Krankenhauses, direkt am Ort des Kreislauf-Stillstands zum Einsatz kommen.
Interne Kühlung
-
•
Ein einfaches Verfahren zur internen Kühlung, welches ebenfalls schon durch den Notarzt begonnen werden kann, ist die Infusion kalter Flüssigkeiten. Mittlerweile sind eine Vielzahl von Studien publiziert worden, die klar zeigen, dass die Applikation von bis zu 30 ml/kg KG 4 °C kalter Lösung innerhalb von 60–180 Min. effektiv eine Hypothermie induzieren kann ohne relevante Nebenwirkungen zu bedingen.
–
Es empfiehlt sich balancierte Lösungen zu verwenden, um den Säure-Basen-Haushalt und die Serumelektrolyte möglichst wenig zu beeinflussen.
–
Die Volumengabe stabilisiert den Kreislauf, da viele Patienten nach plötzlichem Herztod einen Volumenmangel aufweisen. Es scheint ungefährlich zu sein, prähospital mit der raschen Infusion von 1 l balancierter Elektrolyt-Lösung zu beginnen.
✓
Dennoch sollten größere Volumengaben besser unter kontrollierten Bedingungen erfolgen, da bei schlechter kardialer Pumpfunktion eine kardiale Dekompensation prinzipiell möglich ist.
-
•
Für die Anwendung der therapeutischen Hypothermie in der Klinik sind spezielle Katheter zur endovaskulären Kühlung entwickelt worden.
–
Bei diesen Systemen wird ein Katheter entweder über die Vena jugularis interna, die Vena subclavia oder die Vena femoralis in Richtung des rechten Vorhofs vorgeschoben.
–
Steriles Wasser wird über einen Wärmetauscher gekühlt durch einen Kreislauf des Katheters geleitet und kühlt somit den Patienten von innen.
–
Über eine Rückkoppelung der Körperkerntemperatur werden Vorlauftemperatur und Vorlaufmenge geregelt.
–
Den höheren Kosten dieser Systeme stehen eine exzellente Steuerbarkeit und eine hohe Temperaturkonstanz gegenüber. Zudem ist der Personalaufwand sowohl in der Phase der Aufrechterhaltung als auch der Wiedererwärmung (s.u.) gering.
–
Die zu erzielende Kühlgeschwindigkeit hängt im Wesentlichen von der Vorlauftemperatur und von der Oberfläche des Kühlkatheters ab.
–
Die intravaskulären Kühlkatheter können zugleich als intravenöser Zugang genutzt werden.
B 15 – 12
Phasen der Kühlung
Induktionsphase
•
Eine schnelle Induktion ist anzustreben, weil die Schädigung des Gehirns mit Beginn der Reperfusion beginnt und somit eine schnelle Kühlung – aller Wahrscheinlichkeit nach – die neurologische Erholung verbessert.
•
Erfolgt die Kühlung mittels der Infusion von 4 °C kalter balancierter Vollelektrolyt-Lösung, so ist eine Dosierung von 20–30 ml/kg KG über einen Zeitraum von 1–3 Std. zu wählen.
–
Diese Technik kann und sollte im Notarztdienst begonnen werden. War dies der Fall, sind die infundierten Flüssigkeitsmengen entsprechend zu berücksichtigen.
–
Mit dieser Technik ist die Induktion der Hypothermie in < 2 Stunden möglich und anzustreben.
•
Erfolgt die Kühlung über die externe Applikation von Kühlelementen, Eisbeuteln und durch das Ausnutzung der Verdunstungskälte, so ist die Gefahr der zu tiefen, überschießenden Kühlung zu beachten, da verzögert kaltes Blut aus der Peripherie nach zentral gelangen kann.
•
Erfolgt die Kühlung mit endovaskulären Kühlkathetern
–
so wird die maximale Kühlgeschwindigkeit gewählt, da insbesondere bei kleinen Kathetern die Kühlung eher langsam erfolgt.
✓
Ist die Zieltemperatur nicht innerhalb von 60 Min. erreicht, sollte die Applikation kalter Infusionslösungen, als auch die Oberflächenkühlung mit einfachen Hilfsmitteln erwogen werden.
Induktion der Hypothermie im Notarztdienst
Aufrechterhaltung
•
Erfolgt die Aufrechterhaltung der Hypothermie mit externen Methoden, so ist die Temperatur kontinuierlich zu überwachen, um die Kühlelemente rechtzeitig wechseln oder entfernen zu können.
•
Werden zur Kühlung Systeme verwendet, welche über eine rückgekoppelte Regelung verfügen, so erfolgt die Aufrechterhaltung in der Regel automatisch. Dennoch sollte die Temperatur weiterhin durch das Pflegepersonal engmaschig beobachtet werden, da insbesondere die Regelung bei den externen Systemen nicht immer optimal funktioniert.
Wiedererwärmung
•
Die Wiedererwärmung erfolgt passiv.
•
Eine Wiedererwärmungsrate von 0,5 °C/Std. sollte nicht überschritten werden.
✓
Erfolgt eine manuelle Steuerung der Temperatur, müssen bei einer zu raschen passiven Erwärmung erneut Kühlmaßnahmen – wenn auch kurzfristig – eingeleitet werden.
•
Wenn die Temperatur 35 °C übersteigt, werden Analgosedierung und Muskelrelaxation (s.u.) beendet.
Normothermie nach Wiedererwärmung
Als Faustregel gilt:
Auch nach den 24 Stunden aktiver Kühlung soll die Temperatur ≤ 37 °C bleiben.
•
Jede Wärmezufuhr wird gestoppt.
•
Wenn nötig können Medikamente eingesetzt werden (Metamizol, Perfalgan und andere).
•
Gegebenenfalls wird eine aktive Kühlung durchgeführt.
Mögliche Komplikationen der Hypothermie
•
Hypovolämie,
•
Elektrolytveränderungen und Herzrhythmusstörungen,
•
Koagulopathie,
•
Pneumonie,
•
Sepsis.
B 15 – 13
Beatmung und weitere Maßnahmen
Beatmung
Als Faustregel gilt:
Die therapeutische Hypothermie ist indiziert, wenn der Patient nach Wiederkehr einer Spontanzirkulation weiterhin komatös ist und erfordert zusätzlich eine Analgosedierung ggf. sogar eine Muskelrelaxation.
✓
Insofern ist eine maschinelle Beatmung primär nach Reanimation obligat, der Patient kann erst nach mindestens 24 Std. Beatmung in die Weaningphase überführt werden.
•
SaO2 > 95%,
•
paO2 100–150 mmHg,
•
paCO2 40–45 mmHg und
•
pH 7,3–7,5.
•
Das Tidalvolumen soll bei 4–6 ml/kg KG liegen,
•
der PEEP bei ≤ 10 mmHg.
•
Der Patient sollte mit 30° Oberkörper-Hochlagerung in Neutralposition gelagert werden, wenn der zerebrale Perfusionsdruck mehr als 70 mmHg beträgt. Dies dient der Pneumonieprophylaxe und verbessert die zerebrale Perfusion.
Analgosedierung
•
Zunächst ist eine tiefe Sedierung anzustreben (z.B. RAMSAY-Score 4–5).
•
Es sollten gut steuerbare Pharmaka, welche nicht zu aktiven Metaboliten abgebaut werden, verwendet werden (z.B. Propofol, Remifentanil, Sufentanil).
•
Die Analgosedierung wird in der Wiedererwärmungsphase bei > 35 °C gestoppt.
Muskelrelaxierung bei Kältezittern
Als Faustregel gilt:
Lässt sich ein Kältezittern nicht durch das Vertiefen der Analgosedierung beherrschen, so ist eine Muskelrelaxation indiziert.
✓
Da sich die Wirkdauer auch der Muskelrelaxanzien unter der Hypothermie verlängert, sollte die neuromuskuläre Transmission überwacht werden. Entsprechende Geräte werden von den Anästhesieabteilungen vorgehalten.
•
Eine komplette Relaxierung ist allerdings selten erforderlich.
•
Die kontinuierliche Relaxierung wird bei 35 °C beendet.
Behandlung von zerebralen Krämpfen
CAVE:
! Zerebrale Krämpfe erhöhen den Sauerstoffverbrauch der Neurone, die zerebrale Durchblutung kann bei verminderter metabolischer Koppelung nicht adäquat gesteigert werden, daher ist umgehend eine antikonvulsive Therapie erforderlich (Benzodiazepine, Barbiturate, Levetiracetam, etc.).
Ernährung und Homöostase
Als Faustregel gilt:
Die Serumglukose-Konzentration ist engmaschig zu überwachen, der Wert sollte 150 mg/dl nicht überschreiten, gegebenenfalls muss Insulin verabreicht werden.
•
die Flüssigkeitsbilanz: 50 ml/kg KG/24 Std.;
•
der Hämatokrit (HKT): 30–45%;
•
die parenterale und enterale Ernährung: sie sollte so früh wie möglich begonnen werden.
CAVE:
! Bis 48 Std. nach ROSC (Wiedereinsetzen des Spontankreislaufs) dürfen Dextrose und hypotone Lösungen nicht intravenös appliziert werden, da es sonst zum Auftreten eines Hirnödems kommen kann.
Elektrolyte, Labor und Blutgase
B 15 – 14
Neurologische Prognose
•
der Neurostatus (Bewusstseinslage, Pupillenreaktion, Hirnstammreflexe, Reaktion auf Schmerzreize, sowie die Medianus-SEPs [somatisch evozierte Potenziale]) werden jeweils 24, 48 und 72 Std. nach ROSC ermittelt.
•
Ein persistierendes Koma nach 72 Std. mit fehlender motorischer Antwort auf einen Schmerzreiz und Verlust der kortikalen SEP-Antwort beidseits weisen auf eine schlechte neurologische Prognose hin (vegetativer Status oder Tod).
•
NSE- und S100β-Verlaufswerte sind hilfreich.
•
Eine CT- oder besser MRT-Untersuchung im Verlauf kann multiple Pathologien des Postreanimationssyndroms aufdecken, u.a. akute ischämische Läsionen in allen Hirnregionen, im Sinne von „Wasserscheiden-Infarkten” (Jarnum et al. 2009).
Hirntod, Therapiereduktion
Grundsätzlich gilt:
Die Therapie sollte für 7 Tage aufrechterhalten werden, wenn eine motorische Antwort auf Schmerzreize vorhanden ist.
Literatur
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Behandlungsleitlinien
Behandlungsleitlinien zur PostreanimationsbehandlungBernard et al., 2002
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