© 2019 by Elsevier GmbH
Bitte nutzen Sie das untenstehende Formular um uns Kritik, Fragen oder Anregungen zukommen zu lassen.
Willkommen
Mehr InformationenB978-3-437-22107-1.50254-5
10.1016/B978-3-437-22107-1.50254-5
978-3-437-22107-1
Elsevier Inc.
Substanzen, die mit einer medikamentös-induzierten Agranulozytose in Zusammenhang gebracht werden (Auswahl).
Analgetika, Antipyretika und Antirheumatika |
|
Antibiotika und Sulfonamide |
|
Antidiabetika |
|
Antiepileptika |
|
Antihypertensiva |
|
Antiparkinsonmittel | • L-Dopa |
Phenothiazine und andere Neuroleptika |
|
Thyreostatika |
|
Sonstige |
|
Störungen der Leukozyten mit besonderer Berücksichtigung der Agranulozytose
Kernaussagen
-
□
Es werden angeborene und erworbene (oft medikamentös induzierte) Störungen der Granulopoese unterschieden.
-
□
Unabhängig von der Ursache der Erkrankung sind wichtige Symptome: schwere Allgemeinerscheinungen, rezidivierende Infekte, Fieber/Schüttelfrost, Schleimhautnekrosen und Mundulzerationen.
-
□
Die rasche supportive Therapie (Hygiene, Isolation, Schleimhautpflege, selektive Darmdekontamination mit Antibiotika) ist entscheidend für den Behandlungserfolg.
-
□
Patienten mit Störungen der Granulopoese und Nachweis einer Infektion (Fieber, Sepsis) sollten unverzüglich mit intravenösen Breitband-Antibiotika behandelt werden.
-
□
Der Einsatz von G-CSF kann erfolgreich die Granulopoese stimulieren und damit zu einem günstigen Verlauf von Komplikationen beitragen.
-
□
Therapie der Wahl bei schweren angeborenen Störungen ist die allogene Stammzelltransplantation.
L 6 – 1
Vorbemerkungen
•
Neutropenien (< 1,8 × 109/l) haben eine geringe Bedeutung, solange die Granulozyten nicht unter 1 × 109/l abfallen.
•
Unter 1 × 109/l steigt die Häufigkeit von Infektionen an.
•
Bei Werten unter 0,5 × 109/l sind schwere Infektionen häufig.
•
Bei Agranulozytose (< 0,2 × 109/l) ist mit lebensbedrohlichen Infektionen zu rechnen. Wesentliche Kennzeichen der Agranulozytose sind fast völliges Fehlen der Granulozyten im peripheren Blut und im Knochenmark je nach Stadium und Typ fast völliges Fehlen der Granulozytenvorstufen oder Linksverschiebung der Granulopoese ohne Ausreifung.
•
schwere Allgemeinerscheinungen,
•
rezidivierende Infekte,
•
Fieber, Schüttelfrost,
•
Nausea,
•
Arthralgien,
•
Schleimhautnekrosen, besonders Mundulzerationen (Angina agranulocytotica).
L 6 – 2
Krankheitsbilder
Medikamentös induzierte Agranulozytose
•
Beim Typ I kommt es dosisunabhängig kurze Zeit nach Medikamentenexposition zu einem raschen Leukozytenabfall auf niedrigste Werte. Klassisches auslösendes Medikament ist Aminophen-azon (“Amidopyrin”). Ein Immunmechanismus ist sicher.
•
Beim Typ II tritt die Granulopenie allmählicher auf und ist dosisabhängig. Klassisches auslösendes Medikament ist Phenothiazin. Die Typ-II-Agranu-lozytose ist weniger durch eine Zerstörung der pe-ripheren Granulozyten, sondern mehr durch eine Hemmung der Granulopoese gekennzeichnet. Dementsprechend ist das Knochenmark stark hypozellulär, und die Leukozytopenie tritt allmählicher und häufig ohne die genannten dramatischen klinischen Erscheinungen auf.
Chronische angeborene oder erworbene Neutropenien
•
Chronische idiopathische (familiäre) Neutropenien.
•
Zyklische Neutropenie mit regelmäßig wiederkehrenden Infektionen und mit Fieber. Im 21-Tage-Zyklus kommt es immer wieder zum Verschwinden der Granulozyten. Es handelt sich um eine Störung der hämatopoetischen Stammzelle.
•
Kongenitale, hypoplastische Neutropenie (autosomal-rezessiv vererbte Störung der Granulopoese – Kostmann-Syndrom).
Autoimmunneutropenien
•
die dominant und nicht geschlechtsgebunden vererbte Pelger-Huet-Anomalie: brillenförmige Bi-Segmentierung des Granulozytenkernes,
•
die rezessiv vererbte Alder-Reilly-Anomalie: große azurophile und basophile zytoplasmatische Granula,
•
die dominant vererbte May-Hegglin-Anomalie: basophile und pyroninophile Einschlüsse in neutrophilen, eosinophilen, basophilen Granulozyten und Monozyten; Thrombozytopenie mit Riesenthrombozyten und
•
die autosomal-dominant vererbte hereditäre Übersegmentierung neutrophiler Granulozyten.
Qualitative Granulozytopathien mit Funktionsstörungen
•
Chediak-Higashi-Syndrom
•
Lazyleukocyte-Syndrom
•
C3-Komplement-Rezeptordefizienz
•
Hyperimmunglobulin-E-Syndrom mit rezidivierenden Infektionen (Hiob-Syndrom)
•
Myeloperoxidase-Defekt
•
Chronische Granulomatose
•
Spezifischer Granulationsdefekt.
L 6 – 3
Therapie
CAVE:
! Oberster Grundsatz ist die rasche Erkennung der Ursache und das sofortige Absetzen aller potenziell krankheitsauslösenden Medikamente.
L 6 – 4
Supportive Therapie
•
strikte Hygiene, ggf. keimarme Räume und Isolationsbedingungen,
•
Diätberatung hinsichtlich keimarmer Nahrung,
•
selektive Darmdekontamination (Vermeiden einer gramnegativen Sepsis),
•
Mukositisprophylaxe einschließlich oraler antimykotischer Therapie (antiseptische Mundspülungen mehrmals täglich, Mundpflege).
•
Bei Anzeichen einer Infektion (Fieber, Schüttelfrost, lokale Erscheinungen): sofortige intravenöse Antibiotikatherapie mit einem Breitbandantibiotikum (z.B. Carbapeneme).
•
In schweren Fällen: Granulozytentransfusionen (nur an einem hämatologischen Zentrum).
L 6 – 5
Hämatopoetische Wachstumsfaktoren
•
Sind reichlich Promyelozyten vorhanden, erübrigt sich meist ein Einsatz von G-CSF (granulocyte colony-stimulating factor).
•
Ist das Knochenmark ohne nachweisbare Granulopoese, kann ein Versuch mit G-CSF (z.B. Neupogen® oder Granocyte® 1–3 μg/kg KG/Tag s.c.) erwogen werden. Ein Anstieg der Granulozyten ist zunächst innerhalb von 1–2 Tagen zu erwarten (Mobilisation der blutgefäßständigen Granulozyten).
•
Bei chronischer Neutropenie mit rezidivierenden Infektionen sollte eine Behandlung mit G-CSF langfristig durchgeführt werden.
L 6 – 6
Weitere Behandlungsmöglichkeiten
-
•
Bei Neutropenie mit Milzvergrößerung kann in Einzelfällen die Splenektomie die Neutropenie beheben. Sie ist aber nur bei Infektionen in der Vorgeschichte indiziert (vorher: Pneumokokken-Impfung!).
-
•
Infektionen erfordern den frühzeitigen Einsatz einer breitbasigen anttischen Therapie und bei bestehendem Antikörpermangel eine Substitution mit Immunglobulinen.
-
•
Bei der chronischen Granulomatose des Kindesalters ergibt sich durch biochemische Untersuchungen an Granulozyten die Möglichkeit der Erfassung von Überträgerinnen. Dadurch wird eine genetische Beratung und pränatale Diagnostik ermöglicht. Als Therapie der chronischen septischen Granulomatose ist die lebenslange Gabe von Co-trimoxazol anerkannt, wodurch die Patienten völlig beschwerdefrei werden können.
-
•
Patienten mit Autoimmun-Neutropenie sollten eine immunsuppressive Behandlung mit Prednison (1,5–2 mg/kg KG) bzw. mit Cyclosporin A (adaptiert an den Serumspiegel, monoklonaler Nachweis: 150–200 ng/ml) erhalten.
L 6 – 7
Stammzelltransplantation/Gentherapie
Als Faustregel gilt:
Die Leitlinien “Aplastische Anämie und verwandte Zytopenien” finden Sie im Internet unter www.dgho.de
L 6 – 8
Kasuistik
-
•
Klinische Untersuchung.
-
•
Röntgen-Thorax und CT Thorax ergeben ausgedehnte Pneumonie rechts ohne pilztypische Infiltrate.
-
•
Blutbild: Hb 11,8 g/dl; Thrombo 109/nl; Leuko 2,2/nl, Granulo 0,3/nl.
-
•
Tumorsuche: Es finden sich keine Hinweise auf Bronchial-, Kolon oder Nierenzellkarzinom.
-
•
Die Knochenmarkpunktion ergibt eine fast vollständig fehlende Granulopoese bei normaler Erythropoese und gesteigerter Megakaryopoese.
-
•
Bronchoskopie: Kein Erregernachweis.
•
Breitbandantibiotikatherapie mit Imipenem und Vancomycin i.v.,
•
Prednison 2 mg/kg KG für 4 Wochen sowie
•
initial G-CSF 300 ?g/Tag s.c.
Weiterführende Literatur
Athens, 1993
Claas, 1987
Coates and Baehner, 1999
Zeidler et al., 1990