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Lokal begrenzte Nierentumoren können meistens organerhaltend operiert werden.
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Hierzu stehen minimalinvasive (laparoskopische und robotisch assistierte laparoskopische) sowie offene Operationsverfahren zur Verfügung.
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Die Operabilität von solitären Metastasen sollte geprüft werden, bevor eine systemische Therapie erfolgt.
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Multiple Metastasen können mit zielgerichteten Therapien der Angiogenese-Inhibition behandelt werden.
H 15 – 1
Vorbemerkungen
Häufigster solider Tumor des Nierenparenchyms ist das Nierenzellkarzinom (80%). Es ist der dritthäufigste urologische Tumor. Weitere Tumoren der Niere stellen gutartige Onkozytome oder Angiomyolipome dar. Die Inzidenz des Nierenzellkarzinoms hat in den letzten zwei Jahrzehnten für beide Geschlechter zugenommen. Zusätzlich hat sich das Erscheinungsbild des Nierenzellkarzinoms grundlegend geändert. Führte früher die klassische Symptomtrias Makrohämaturie, tastbarer Tumor und Flankenschmerz zur Diagnose, so werden heutzutage durch Anwendung von Ultraschall und CT im Rahmen von Check-up- und Früherkennungsstrategien 70% der diagnostizierten Nierentumoren als asymptomatische Zufallsbefunde erkannt.
H 15 – 2
Diagnostische Maßnahmen
Neben der körperlichen Untersuchung und der Urinuntersuchung (Mikro-/Makrohämaturie) steht an erster Stelle der diagnostischen Maßnahmen die Ultraschalluntersuchung. Sie hat eine hohe Sensitivität (96%) und Spezifität (bis zu 100%). Auch bei kleineren Tumoren (< 3 cm) ist die Sensitivität der Sonographie mit 79% hoch.
Das sonographische Erscheinungsbild des Nierenzellkarzinoms ist von seiner Größe abhängig. Große Tumoren sind vorwiegend echoinhomogen mit zystischen, soliden und teils verkalkten Arealen, kleine Tumoren sind eher homogen. Das benigne Angiomyolipom ist homogen echoreich („hyperechoisch”) und lässt sich differenzialdiagnostisch damit gut von allen anderen soliden Nierentumoren abgrenzen. Angiomyolipome > 6 cm sollten operativ entfernt oder selektiv embolisiert werden, um der erhöhten Rupturgefahr zu begegnen.
Die
Computertomographie gibt zusätzlich Auskunft über die lokale Tumorausbreitung und eine mögliche Veneninvasion. Die
Angiographie (als MR-Angiographie) ist selten indiziert.
H 15 – 3
Therapie
Das lokalisierte, organbegrenzte Nierenzellkarzinom ist nur durch komplette operative Exzision zu heilen, da das Nierenzellkarzinom weder chemosensibel noch radiosensibel ist.
Beim
metastasierten Nierenzellkarzinom (Fernmetastasierung) ist die
Prognose ungünstig. In dieser Situation kommt eine
multimodale Behandlung mit allen Therapieoptionen in Betracht:
•
Chirurgische Entfernung des Primärtumors
•
Gegebenenfalls Resektion von Metastasen
•
Adjuvante Immun-/Angiogenese-Inhibition
•
Palliative Bestrahlung
•
Neue antitumoröse Strategien im Rahmen von Studien
H 15 – 3.1
Operative Verfahren
Standardverfahren der Behandlung des Nierenzellkarzinoms sind die radikale
Tumornephrektomie und die
organerhaltende Nierentumorresektion. Die Differenzialindikation für eine der beiden Vorgehensweisen richtet sich nach
•
Tumorgröße,
•
Tumorstadium,
•
Lokalisation des Tumors,
•
Funktion der Gegenniere,
•
Allgemeinzustand und
•
Alter des Patienten.
Radikale Tumornephrektomie
Die
radikale Tumornephrektomie unter Mitentfernung der Fettkapsel und Durchführung einer regionären Lymphadenektomie (ggf. mit Entfernung der Nebenniere) wird retroperitoneal über einen Flankenschnitt oder transperitoneal über eine hohe quere Oberbauchinzision oder mediane Laparotomie) durchgeführt. Eine Entfernung der Nebenniere ist bei radiologischem oder intraoperativem Verdacht auf eine Metastasierung indiziert.
•
Der Eingriff kann laparoskopisch, retroperitoneoskopisch oder offen chirurgisch durchgeführt werden.
•
Der thorakoabdominelle Zugangsweg ist indiziert bei großen Tumoren am Oberpol.
•
Die Tumornephrektomie ist indiziert bei großen Tumoren, lokal fortgeschrittenen Tumorstadien (T2–T4) und Infiltration von Gefäßen oder benachbarten Organen.
Bei lokal begrenztem Tumorstadium ohne Lymphknotenbeteiligung liegt die tumorspezifische 5-Jahres-Überlebensrate über 90%.
Organerhaltende Nierentumorchirurgie
Die organerhaltende Nierentumorchirurgie ist Therapie der Wahl bei bilateralem Nierenzellkarzinom und Tumoren in Einzelnieren (z. B. unilaterale Nierenagenesie, operative Restniere oder irreversibler Funktionsverlust der kontralateralen Niere durch benigne Erkrankungen und chronische Niereninsuffizienz [imperative Indikation]). Durch die zunehmende Zahl kleiner, asymptomatischer Nierentumoren hat der Organerhalt auch bei Patienten mit gesunder Gegenniere einen zunehmenden Stellenwert bekommen. Für kleine (< 7 cm), peripher sitzende Tumoren ist die organerhaltende Nierentumorchirurgie heute ein Standardverfahren mit vergleichbaren tumorspezifischen Überlebensraten zur Tumornephrektomie. Die Ergebnisse bei Vorliegen einer gesunden Gegenniere (elektive Indikation) zeigen mit 98% ein hohes tumorspezifisches Überleben, eine niedrige Komplikationsrate und den Erhalt der Nierenfunktion im Langzeitverlauf.
Bei imperativer Indikation, d. h. bilateralem Tumor, Einzelniere, Niereninsuffizienz, erfolgt der Organerhalt, um einer Nierenersatztherapie (Dialyse, Transplantation) vorzubeugen. Die tumorspezifische Überlebensrate ist hier vom Tumorstadium abhängig. Die 5-Jahres-Überlebensraten sind 95% für pT1- und pT2-, 85% für pT3a- und 59% für pT3b-Tumoren.
Eine spezielle Gruppe stellen Tumoren mit zentraler Tumorlokalisation dar. Der Organerhalt bei imperativer Indikation erfordert eine spezielle Operationstechnik (Ischämie, Hypothermie, in situ oder extrakorporal) und ein hohes Maß an operativer Erfahrung, um einen komplett von gesundem Parenchym umgebenen hilären Tumor zu resezieren. Die Ergebnisse sind vergleichbar mit denen der imperativen Gruppe. Ein Vermeiden der Hämodialyse gelingt bei den meisten Patienten. Die organerhaltende Operation kann offen, laparoskopisch oder robotisch assistiert laparoskopisch erfolgen.
H 15 – 3.2
Vorgehen bei Metastasierung
Die Metastasierung des Nierenzellkarzinoms erfolgt in regionäre Lymphknoten und/oder als Fernmetastasen vorwiegend in Lunge und Skelett.
Behandlung des Primärtumors
Beim metastasierten Nierenzellkarzinom sollte, wenn es der Allgemeinzustand des Patienten erlaubt, eine Tumornephrektomie im Sinne einer Tumorreduktion vor einer adjuvanten Immuntherapie (Interferon/Interleukin) erfolgen. In zwei prospektiven, randomisierten Studien konnte für die kombinierte Tumornephrektomie und Immuntherapie ein Vorteil bezüglich der Tumorprogression gegenüber der alleinigen Immuntherapie aufgezeigt werden.
Die Nierenarterienembolisation kann bei Patienten mit transfusionspflichtiger Hämaturie aufgrund unstillbarer Blutung indiziert sein, um auf diese Weise eine Blutstillung zu erreichen. Sie erfolgt mittels transfemoraler, permanenter Katheterembolisation der tumorversorgenden Nierenarterie. Temperaturerhöhung (Resorptionsfieber), Blutdruckanstieg und Ischämieschmerz sind mögliche Begleiterscheinungen nach der Tumorembolisation. Dieses Verfahren wird heutzutage aber nur noch selten notwendig.
Behandlung von Lymphknotenmetastasen
Ein
therapeutischer Effekt der Lymphadenektomie ist
bisher nicht belegt. In einer großen retrospektiven Analyse konnte nachgewiesen werden, dass eine Lymphadenektomie bei den Patienten einen Vorteil erbrachte, bei denen Lymphknotenmetastasen in der Bildgebung (CT) detektiert wurden. Dies ist im Sinne der Tumorreduktion vor adjuvanter Behandlung zu interpretieren. Der Vorteil der Lymphadenektomie liegt im exakteren Staging und der daraus resultierenden Indikation, eine adjuvante Therapie einzuleiten.
Behandlung von Fernmetastasen
Die operative Behandlung von Fernmetastasen umfasst so unterschiedliche Therapieansätze wie Metastasenresektion mit kurativer und palliativer Intention und Versorgung pathologischer Frakturen.
Die Behandlung von Fernmetastasen ist grundsätzlich individuell zu planen. Das Spektrum reicht von
•
der operativen Versorgung pathologischer Frakturen,
•
palliativer Bestrahlung von Knochenmetastasen,
•
Systemtherapie (Immuntherapie/Angiogenese-Inhibition) bis
•
zur Exzision von Hirn-, Lungen-, Knochen- und Lebermetastasen.
Einzelne Metastasen lassen sich in kurativer Intention exzidieren. Patienten, bei denen einzelne Metastasen mehr als zwei Jahre nach erfolgter Operation des Primärtumors auftreten, scheinen von einem aggressiven operativen Vorgehen am meisten zu profitieren.
H 15 – 3.3
Systemische Therapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms
Eine adjuvante Strahlentherapie des Primärtumors ist nicht indiziert, da das Nierenzellkarzinom eine sehr geringe Strahlensensibilität aufweist. Eine palliative Strahlentherapie kann bei symptomatischen oder frakturgefährdeten Knochenmetastasen indiziert sein. Eine Hormontherapie mit Gestagenen und Androgenen ist umstritten. Neuere Untersuchungen sprechen gegen ihre Wirksamkeit beim Nierenzellkarzinom. Jahrzehntelang galt die Immuntherapie mit Interferon/Interleukin-2 als Standardtherapie, mit partiellen Remissionen bei etwa ⅓ der Patienten und bis zu 10% kompletten Remissionen (überwiegend bei Lungenfiliae).
Seit 2007 stehen zielgerichtete Therapien der Angiogenese-Inhibition zur Verfügung. Diese Substanzen (z.B. AVASTIN®) greifen direkt den vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor (vascular endothelial growth factor, VEGF) oder dessen Signaltransduktion über Tyrosinkinasen (Sutent®, Votrient®, Inlyta®, Nexavar®) an. Ferner kann der mTOR-Signalweg (mechanistic Target of Rapamycin) durch Torisel® oder Afinitor® inhibiert werden. Neuartige Ansätze im Rahmen von klinischen Studien umfassen Immunund Gentherapie.
H 15 – 3.4
Immuntherapie
In den letzten 15 Jahren wurden verschiedene Zytokine (Interferon/Interleukin) eingesetzt. Für immunologische Therapiekonzepte (unspezifische Immunisierung, aktiv-spezifische Immunisierung) sind Tumorremissionen von 0–40% berichtet worden. Dabei scheint die Patientenselektion einen entscheidenden Einfluss auf das Therapieergebnis zu haben. Die Immuntherapie kann bei einem Teil der Patienten vorübergehende Remissionen erzielen, wobei es bei den verschiedenen Therapieansätzen zu gravierenden Nebenwirkungen kommen kann. Für die aktiv-spezifische Immunisierungstherapie werden heute neue Hoffnungen in die Vakzinierungstherapie gesetzt. Des Weiteren werden zielgerichtete immuntherapeutische Ansätze aktuell in Phase-II- und Phase-III-Studien geprüft.
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Bei Patienten mit metastasiertem Nierenzellkarzinom sollte zunächst die Frage der Operabilität einzelner Metastasen geklärt werden.
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Im Fall der multiplen Metastasierung kommen die Angiogenese-Inhibitoren sowie bei selektierten, nicht operativ resektablen Patienten alternativ eine Therapie mit Interleukin-2 (IL-2) zum Einsatz.
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Die Therapiewahl sollte immer individuell mit dem Patienten besprochen und sich nach Komorbiditäten, Komedikation, sozialer Unterstützung und dem Alter des Patienten richten.
H 15 – 3.5
Tumornachsorge und Prognose
Die Nachsorge konzentriert sich vorwiegend auf die Erfassung von Lokalrezidiven oder Metastasen nach kurativ operativer Therapie bzw. deren Progress unter Palliativtherapie.
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Vierteljährliche Kontrolle: Laboruntersuchungen (Blutbild, harnpflichtige Substanzen) und klinische Untersuchungen, nach dem ersten Jahr halbjährlich.
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Halbjährlich: Röntgen-Thorax, Sonographie der Niere und Leber, nach zwei Jahren jährlich.
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Bei Patienten nach organerhaltender Nierentumorresektion: zusätzlich Computertomographie der Nieren zum Ausschluss eines Lokalrezidivs. In einigen Zentren wird ein stadienadaptiertes, individuelles Follow-up favorisiert, wobei für Patienten mit günstigem Prognoseprofil prolongierte Nachsorgeintervalle für erforderlich gehalten werden.
Die 5-Jahres-Überlebensraten sind im Wesentlichen vom Tumorstadium und vom histologischen Differenzierungsgrad zum Zeitpunkt der Diagnose abhängig.