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10.1016/B978-3-437-58303-2.00019-4
978-3-437-58303-2
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PersönlichkeitsstörungenPersönlichkeitsstörungenICD-10-Klassifikation nach ICD-10 (F6)PersönlichkeitsstörungenspezifischePersönlichkeitsstörungenkombinierte
Spezifische Persönlichkeitsstörungen (F60) |
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Kombinierte und sonstige Persönlichkeitsstörungen (F61) | |
Andauernde Persönlichkeitsänderungen, nicht Folge einer Schädigung oder Krankheit des Gehirns (F62) |
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Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit (Big Five)soziale VerträglichkeitPersönlichkeitFünf-Faktoren-ModellOffenheitNeurotizismusIntroversionGewissenhaftigkeitFünf-Faktoren-Modell, PersönlichkeitExtraversionBig Five, Persönlichkeitsmodell
Dimension | Kriterien |
Extraversion/Introversion | Beschreiben das nach außen oder innen gerichtete Verhalten und Erleben einer Person in der Bandbreite kontaktfreudig bis verschlossen |
Soziale Verträglichkeit | Beschreibt das Maß an sozialer Integration in der Bandbreite friedfertig bis streitsüchtig |
Offenheit | Beschreibt die Fähigkeit einer Person, sich neuen Erfahrungen zu stellen, aus ihnen zu lernen und sich neuen Situationen anzupassen, von kreativ bis fantasielos |
Gewissenhaftigkeit | Beschreibt die Art, wie eine Person mit Aufgaben und Anforderungen umgeht, von gründlich bis nachlässig |
Neurotizismus | Beschreibt das Maß der emotionalen Stabilität einer Person oder auch deren Außenreizabhängigkeit von entspannt bis überempfindlich |
Differenzialdiagnosen der soziale PhobieDifferenzialdiagnosenSchizoide PersönlichkeitsstörungDifferenzialdiagnosenPersönlichkeitsstörungenDifferenzialdiagnosenParanoide PersönlichkeitsstörungDifferenzialdiagnosenNarzisstische PersönlichkeitsstörungDifferenzialdiagnosenHistrionische PersönlichkeitsstörungDifferenzialdiagnosenDissoziale PersönlichkeitsstörungDifferenzialdiagnosenÄngstlich-vermeidende PersönlichkeitsstörungDifferenzialdiagnosenAnankastische (zwanghafte) PersönlichkeitsstörungDifferenzialdiagnosenAbhängige (asthenische) PersönlichkeitsstörungDifferenzialdiagnosenPersönlichkeitsstörungenBorderline-PersönlichkeitsstörungDifferenzialdiagnosen
Persönlichkeitsstörung (PS) | Differenzialdiagnosen |
Paranoide PS |
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Schizoide PS |
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Dissoziale PS |
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Emotional-instabile PS |
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Histrionische PS |
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Anankastische PS |
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Ängstlich-vermeidende PS |
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Abhängige PS |
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Narzisstische PS |
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Häufigkeit und Geschlechtsverteilung der PersönlichkeitsstörungenPersönlichkeitsstörungenPrävalenzPersönlichkeitsstörungenGeschlechtsverteilung in der Allgemeinbevölkerung
Art der Persönlichkeitsstörung | Geschlechtsverteilung | Häufigkeit in der Allgemeinbevölkerung (%) |
Paranoide PS | M > F | ca. 2 |
Schizoide PS | M > F | < 2 |
Dissoziale PS | M > F | bis zu 5 |
Emotional-instabile PS | F > M | ca. 2 |
Histrionische PS | F > M | 2–3 |
Anankastische PS | M > F | ca. 2 |
Ängstlich-vermeidende PS | F > M | ca. 1 |
Abhängige PS | F > M | ca. 1 |
Narzisstische PS | M > F | < 1 |
Komorbiditäten bei Schizoide Persönlichkeitsstörungkomorbide StörungenPersönlichkeitsstörungenKomorbiditätenParanoide Persönlichkeitsstörungkomorbide StörungenNarzisstische Persönlichkeitsstörungkomorbide StörungenHistrionische Persönlichkeitsstörungkomorbide StörungenDissoziale Persönlichkeitsstörungkomorbide StörungenÄngstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörungkomorbide StörungenAnankastische (zwanghafte) Persönlichkeitsstörungkomorbide StörungenAbhängige (asthenische) Persönlichkeitsstörungkomorbide StörungenPersönlichkeitsstörungenBorderline-Persönlichkeitsstörungkomorbide Störungen
Persönlichkeitsstörung | Komorbiditäten |
Paranoide PS |
|
Schizoide PS |
|
Dissoziale PS |
|
Emotional-instabile PS |
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Histrionische PS |
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Anankastische PS |
|
Ängstlich-vermeidende PS |
|
Abhängige PS |
|
Narzisstische PS |
|
Persönlichkeitsstörungen und Störungen des Verhaltens
-
19.1
Persönlichkeitsstörungen260
-
19.2
Abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle276
-
19.3
Schädlicher Gebrauch von nicht abhängigkeitserzeugenden Substanzen278
Kapitelübersicht
Menschen mit PersönlichkeitsstörungenPersönlichkeitsstörungen sind von deutlichen Abweichungen in der Wahrnehmung, dem Denken, dem Fühlen und der Gestaltung sozialer Beziehungen geprägt. Starre und unflexible Verhaltens- und Denkmuster entwickeln sich dabei bereits in der Kindheit oder Jugend und bleiben dauerhaft bestehen. Sie erschweren oder machen den Umgang mit neuen Lebenssituationen unmöglich und führen zu persönlichem Leid und deutlichen Einschränkungen im beruflichen und sozialen Bereich. Je nach charakterlicher Ausprägung werden verschiedene (z. B. narzisstische, emotional-instabile oder ängstlich-vermeidende) Persönlichkeitsstörungen unterschieden.
Das Zustandekommen der Störungen wird als Wechselspiel aus neurobiologischen und psychosozialen Faktoren verstanden. Persönlichkeitsstörungen werden meist als ich-synton erlebt, d. h., das eigene Erleben und Verhalten wird als zur eigenen Person passend und damit nicht veränderungswürdig erlebt. Erst der äußere Leidensdruck wie Probleme im zwischenmenschlichen oder beruflichen Bereich oder das massive Drängen der Umgebung auf eine Therapie bringt den Betroffenen in die Behandlung.
Die starren, verzerrten Denk- und Verhaltensmuster, die hohe Komorbiditätsrate (z. B. Alkohol- und Drogenabusus), das erhöhte Suizidrisiko, der meist geringe innere Leidensdruck, verbunden mit der Schwierigkeit, ein Gleichgewicht zwischen wertschätzender, akzeptierender Therapeutenhaltung und gleichzeitiger Motivation zur Veränderung zu schaffen, machen die Therapie von Persönlichkeitsstörungen zu einer besonderen Herausforderung. Nur Therapeuten mit ausreichender Erfahrung und ständiger Supervision sollten Persönlichkeitsstörungen behandeln. Borderline-Patienten, die unter einem besonders hohen Suizidrisiko leiden, sollten nur vom Psychiater oder von speziell geschulten psychologischen Psychotherapeuten therapiert werden. Integrative und störungsspezifische Psychotherapieprogramme haben die besten Aussichten auf einen Behandlungserfolg. Über 50 % der Patienten profitieren von einer Psychotherapie.
ImpulskontrollstörungenImpulskontrollstörungen sind charakterisiert durch wiederholte Handlungen, die keine vernünftige Motivation haben, nicht kontrolliert werden können und häufig den Interessen der betreffenden Person oder anderer Menschen schaden. Den Handlungen liegt ein dranghafter Impuls zugrunde.
19.1
Persönlichkeitsstörungen
19.1.1
Definition
19.1.2
Klassifikation nach ICD-10
Gut zu wissen Persönlichkeitsstörungentriadisches SystemPersönlichkeitsstörungen wurden im triadischen SystemTriadisches SystemPersönlichkeitsstörungen den psychogenen Krankheiten zugeordnet und als „abnorme PersönlichkeitabnormePersönlichkeiten“ oder „Psychopathien“Psychopathie bezeichnet. Der Begriff der CharakterneurosenCharakterneurose entstammt der psychoanalytischen Tradition und basiert auf dem Neurosenkonzept, hebt aber ebenfalls die Akzentuierung bestimmter Persönlichkeitsmerkmale hervor (Kap. 13.2.1).
19.1.3
Symptomatik spezifischer Persönlichkeitsstörungen
Paranoide Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.0)
Fall
Paranoide Persönlichkeitsstörung – „Man verbündet sich gegen mich“
Definition
Symptomatik
Therapeutische Hinweise
Typische Paranoide PersönlichkeitsstörungDenkinhalteDenkinhalteparanoide PersönlichkeitsstörungDenkinhalte paranoider Persönlichkeiten sind: „Traue nur dir selbst, anderen kann man nicht vertrauen“ und „Sie wollen mich alle nur hintergehen und mich verletzten, ich muss wachsam sein“.
-
•
Misstrauen und eine starke Neigung, Erlebtes zu verdrehen, indem neutrale oder freundliche Handlungen anderer als feindlich oder verächtlich fehlgedeutet werden
-
•
Übertriebene Empfindlichkeit gegenüber Kritik, Beleidigungen, Rückschlägen und Zurücksetzungen
-
•
Tendenz zu überhöhtem Selbstwertgefühl, ständige Selbstbezogenheit
-
•
Empfindliche, sensitive, unbelehrbar rechthaberische Haltung
-
•
Häufiges, ungerechtfertigtes Misstrauen und Eifersucht gegenüber der sexuellen Treue des Ehe- oder Sexualpartners
-
•
Streitsüchtiges und beharrliches, situationsunangemessenes Bestehen auf den eigenen Rechten
-
•
Ungerechtfertigte Gedanken an Verschwörungen als Erklärungen für die Ereignisse in der näheren Umgebung und in aller Welt
-
•
Sozialer Rückzug und Vereinsamung
Erläuterungen zum Fall
Misstrauen, übertriebene Empfindlichkeit, rechthaberische Haltung und „Verschwörungstheorien“
Tendenz zu überhöhtem Selbstwertgefühl und ständiger Selbstbezogenheit
Ungerechtfertigtes Misstrauen gegenüber der Treue des Partners
Sozialer Rückzug und Vereinsamung
Differenzialdiagnose
Merke
Das von paranoiden Patienten erlebte Misstrauen und die vermeintliche Verschwörung um sie herum führen nicht selten zu starken Paranoide PersönlichkeitsstörungAngststörungenAngststörungenparanoide PersönlichkeitsstörungÄngsten vor der ungerechtfertigt wahrgenommenen Bedrohung.
Fall
Paranoide Persönlichkeit – „Nur böse Absichten“
Schizoide Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.1)
Fall
Schizoide Persönlichkeitsstörung – „Ich bin am liebsten allein“
Definition
Symptomatik
Therapeutische Praxis
Typische Schizoide PersönlichkeitsstörungDenkinhalteDenkinhalteschizoide PersönlichkeitsstörungDenkinhalte schizoider Persönlichkeiten sind: „Beziehungen zu anderen schränken mich nur ein und stören“ und „Am liebsten bin ich allein, dann komme ich besser zurecht“.
-
•
Anhedonie (Anhedonieschizoide PersönlichkeitsstörungUnvermögen zum Erleben von Freude)
-
•
Introvertiertheit und Verschlossenheit, Distanziertheit
-
•
Reduzierte Fähigkeit, Gefühle auszudrücken oder adäquat auf Gefühle anderer zu reagieren
-
•
Schwache Reaktion auf Lob und Kritik
-
•
Mangelndes Interesse an sexuellen Erfahrungen mit einem anderen Menschen
-
•
Übermäßige Inanspruchnahme durch Fantasie und Introvertiertheit
-
•
Einzelgängerische Aktivitäten
-
•
Deutlicher Mangel im Erkennen und Befolgen gesellschaftlicher Regeln mit der Folge von exzentrischem Verhalten
-
•
Mangel an engen, vertrauensvollen Beziehungen
-
•
Neigung zu Isolation und Vereinsamung infolge mangelhafter sozialer Anpassungsfähigkeit
Erläuterungen zum Fall
Introvertiertheit, Distanziertheit, Mangel an engen Beziehungen
Schwache Reaktion auf Lob und Kritik
Einzelgängerische Aktivitäten und fehlendes Gespür für soziale Situationen
Dissoziale Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.2)
Fall
Dissoziale Persönlichkeitsstörung – „Der Draufgänger“
Definition
Symptomatik
Erläuterungen zum Fall
Der Jugendliche im Fallbeispiel hat ohne Rücksicht auf die Folgen mehrfach kriminelle Handlungen begangen (z. B. Sachbeschädigung) und Gewalt gegenüber anderen angewandt. Ein Unrechtsbewusstsein ist bei ihm nicht entwickelt. Er kennt kein Verantwortungsgefühl, sondern rechtfertigt sein Verhalten damit, sich das zu holen, was er wolle oder ihm seines Erachtens zustehe. Dass er dabei nicht nur die Gefühle anderer Menschen verletzt, ist ihm nicht bewusst.
-
•
Herzloses Unbeteiligtsein gegenüber den Gefühlen anderer sowie Mangel an eigenen Gefühlen
-
•
Missachtung sozialer Normen, Regeln und Verpflichtungen, ausgeprägte und anhaltende Fahrlässigkeit und Verantwortungslosigkeit
-
•
Keine Hemmungen oder Probleme, Beziehungen zu knüpfen, jedoch Unfähigkeit zur verbindlichen Gestaltung und Pflege längerer Beziehungen
-
•
Sehr geringe Frustrationstoleranz und niedrige Schwelle für aggressives, auch gewalttätiges Verhalten
-
•
Mangelndes oder nicht vorhandenes Schuldbewusstsein, keine oder nur sehr eingeschränkte Fähigkeit, aus Erfahrungen zu lernen (z. B. Bestrafung)
-
•
Auffällige Tendenz, andere zu beschuldigen oder vordergründige Rationalisierungen zur Legitimierung des eigenen Verhaltens anzubieten, durch das Betroffene in Schwierigkeiten mit der Gesellschaft geraten ist
Merke
Die Störung des Sozialverhaltensstörungendissoziale PersönlichkeitsstörungDissoziale PersönlichkeitsstörungSozialverhaltensstörungenSozialverhaltens bei dissozialen Persönlichkeitsstörungen beginnt oft schon vor der Vollendung des 15. Lj. Erste Anzeichen in der Kindheit sind: gehäuftes Lügen, Stehlen, Schulschwänzen, Fortlaufen von zu Hause, früher Konsum von Nikotin, Alkohol oder Drogen. Typische Denkinhalte von dissozialen Persönlichkeiten sind: „Ich muss mir holen, was mir zusteht“, „Ich kann mir nur selber helfen“ und „Ich muss sehen, wo ich bleibe, das machen doch alle“.
Emotional-instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ (ICD-10: F60.3)
Fall
Eine 28-jährige Patientin Persönlichkeitsstörungenemotional-instabile vom Borderline-TypEmotional-instabile PersönlichkeitsstörungBorderline-TypBorderline-PersönlichkeitsstörungFallbeispielwird nachts mit ihrer Freundin in der chirurgischen Ambulanz der Klinik vorstellig, weil sie sich mit Zigaretten vielfache Brandwunden am Unterarm zugefügt hat. Dem psychiatrischen Konsiliararzt wird berichtet, dass die Patientin multiple vernarbte Schnittwunden an beiden Unterarmen aufweist. Die Patientin weigert sich zunächst, sich mit dem Psychiater zu unterhalten, fällt aber bald der berichtenden Freundin ins Wort. Die Freundin sei schuld, dass sie wieder hier gelandet sei. Wenn sie sie nicht verlassen hätte, wäre sie heute Abend nicht so entsetzlich allein und innerlich leer gewesen. Sie sei so „taub“ gewesen und gleichzeitig habe sie eine wahnsinnige Anspannung gequält, sie habe keinen Ausweg gewusst. Zunächst wollte sie sich mit ein „bisschen Wein und Fernsehen“ ablenken, das habe aber nicht geholfen. Dann habe sie begonnen, sich mit der Zigarette zu verbrennen, um „sich spüren“ zu können. Das habe irgendwie geholfen, und sie habe dann ihre Freundin angerufen, um sich helfen zu lassen, weil bei ihrer Therapeutin nur der Anrufbeantworter an war. Die Freundin relativiert das Geschehene, sagt, dass sie sie nicht verlassen, sondern nur, um sich konzentriert auf einen Vortrag vorzubereiten, bei ihrem Bruder einquartiert habe, weil sie sonst zu sehr von der Freundin abgelenkt worden wäre.
Definition
Merke
Schwere Borderline-Störungen gehören in die Behandlung eines Psychiaters.
Symptomatik
Therapeutische Praxis
Typische Denkmuster von DenkinhalteBorderline-PersönlichkeitsstörungBorderline-PersönlichkeitsstörungDenkinhalteBorderline-Patienten sind: „Meine Gefühle überrollen mich, ich kann sie nicht kontrollieren“ und „Allein komme ich nie zurecht, ich brauche jemanden, der mich beschützt“.
-
•
Gestörte Affektregulation mit niedriger Reizschwelle zu Gefühlsausbrüchen, lang dauernde Spannungszustände oder schneller Wechsel der stark ausgeprägten Stimmungszustände
-
•
Unvermögen, einzelne Gefühle differenziert und in angemessener Stärke zu empfinden
-
•
Chronisches Gefühl der Leere
-
•
Impulsives und selbstschädigendes Verhalten wie Substanzmissbrauch, riskante Verhaltensweisen (Balancieren auf Brückengeländer, zu schnelles Autofahren), Fressattacken
-
•
Wiederkehrende Suiziddrohungen oder Suizidversuche
-
•
Unfähigkeit, Situationen oder Reaktionen vorauszusehen und das eigene Handeln entsprechend zu steuern
-
•
Identitätsstörungen in Bezug auf Selbstbild, Selbstwertgefühl, Geschlechtsidentität („Ich möchte lieber ein Junge/Mädchen sein“) und Sexualität
-
•
Vorübergehendes paranoides Erleben, Albträume und Flashbacks an traumatische Ereignisse, Derealisations- und Depersonalisationserleben in Krisensituationen
-
•
Mangelndes Durchhaltevermögen, Schwierigkeiten in der Beibehaltung von Handlungen oder Aufgaben, die nicht unmittelbar belohnt werden, z. B. häufiger Schul- oder Arbeitsplatzwechsel
-
•
Extreme Angst vor dem Alleinsein mit verzweifelten Bemühungen, dies zu verhindern
-
•
Neigung zu intensiven, aber instabilen und häufig wechselnden Beziehungen
Erläuterungen zum Fall
Emotionale Instabilität, innere Leere
Vorübergehendes psychotisches Erleben
Große Angst vor dem Alleinsein
Gestörtes Selbstbild
Impulsives riskantes Verhalten, Suizidgedanken- und -handlungen
Merke
Suiziddrohungen (Kap. 21) Borderline-PersönlichkeitsstörungSuizidalitätSuizidalitätBorderline-Persönlichkeitsstörungvon Borderline-Patienten müssen unbedingt ernst genommen und entsprechend therapiert werden, z. B. durch stationäre Aufnahme. Es ist wichtig, dass die Patienten den Zusammenhang zwischen ihren Äußerungen und den daraus folgenden Konsequenzen verstehen lernen und Drohungen nicht als „Druckmittel“ einsetzen.
Histrionische Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.4)
Fall
Histrionische Persönlichkeitsstörung – „Was für ein Aufruhr!“
Definition
Gut zu wissen Die früher gebräuchliche Bezeichnung „hysterische“ Persönlichkeitsstörung wurde zugunsten von „histrionisch“ aufgegeben, weil der Begriff „Hysterie“ abwertend und negativ besetzt ist. PersönlichkeitsstörungenhysterischeHysterische Persönlichkeitsstörung
Symptomatik
Therapeutische Praxis
Typische Grundüberzeugungen von Menschen mit einer histrionischen Persönlichkeitsstörung sind: „Ich bin eh nichts wert und unattraktiv“ und „Allein könnte ich mein Leben nicht meistern“.
-
•
Übertriebene Selbstdarstellung, theatralisches und dramatisierendes Verhalten, überschwängliche Gefühlsäußerungen und -ausbrüche
-
•
Suggestibilität (leichte Beeinflussbarkeit durch Personen oder Ereignisse)
-
•
Extreme Stimmungsschwankungen, flüchtige und oberflächliche Emotionen, schon Kleinigkeiten lösen eine starke emotionale Erregung aus (Affektlabilität)
-
•
Ausgeprägtes Bedürfnis nach spannungsvollen Erlebnissen und aufregenden Aktivitäten, in denen die betroffene Person im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht
-
•
Häufig auffallendes Äußeres und intensive Beschäftigung mit dem äußeren Erscheinungsbild (Kleidung, Frisur, Schminke)
-
•
Unangemessenes oder übertriebenes sexuell verführerisches Verhalten
Therapeutische Praxis
Konversionssymptome, die bei histrionischen Persönlichkeiten auftreten, wirken in ihrer Dramatik und Theatralik oft gespielt. Die Betroffenen erleben diese Symptome aber in der Regel als bedrohlich und täuschen im Allgemeinen auch eine psychogene AmnesieAmnesiepsychogene nicht vor.
-
•
Fortwährend manipulatives Verhalten zur Befriedigung eigener Bedürfnisse
-
•
Egozentrik (starke Selbstbezogenheit, mangelnde Empathie)
-
•
Starke Diskrepanz zwischen dem scheinbar sicheren Auftritt nach außen und der leichten Beeinflussbarkeit und Verletzbarkeit der Gefühle
-
•
Konversionen, d. h. die Übertragungen von Gefühlen auf somatische Bereiche, sind oft symptomatisch für manipulatives Verhalten und dramatische Selbstdarstellung. Klassisch sind sexuelle Darbietungsposen (KonversionshysterieKonversionshysterie), aber auch körperliche Ausfallerscheinungen wie z. B. Herz- und Atembeschwerden oder Taubheitsgefühle und Lähmungen. Dabei werden offensichtliche Aspekte der eigenen Psyche so stark von äußeren Erscheinungen abgelöst, dass den Betroffenen der Zusammenhang nicht mehr bewusst ist.
Erläuterungen zum Fall
Die Suizidgedanken sind als Dissoziative Störungenhistrionische PersönlichkeitsstörungHistrionische PersönlichkeitsstörungKonversionsstörungenAppell zu verstehen und damit ein manipulativer Akt, die eigene Bedrängnis offenkundig zu machen. Der Gedanke, einen Suizidalitäthistrionische PersönlichkeitsstörungHistrionische PersönlichkeitsstörungSuizidalitätSuizid zu begehen, wird geäußert und dazu genutzt, um auf ein tiefer liegendes, ernsthaftes Problem aufmerksam zu machen (z. B. die eigene Hilflosigkeit, das Bedürfnis nach Anerkennung und liebevoller Zuwendung). Ein ähnliches Muster zeigt sich auch im übrigen Verhalten. Daher sind derartige Andeutungen und Suiziddrohungen durchaus sehr ernst zu nehmen.
Dramatische Selbstdarstellung
Bedürfnis nach Anerkennung
Manipulatives Verhalten
Merke
Suizidalitäthistrionische PersönlichkeitsstörungHistrionische PersönlichkeitsstörungSuizidalitätTrotz des dramatischen Verhaltens sollten Suizidäußerungen oder -handlungen von histrionischen Persönlichkeiten ernst genommen werden. Durch das impulsive Verhalten kann aus einer Suiziddrohung ein tatsächlicher Suizid werden.
Anankastische (zwanghafte) Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.5)
Fall
Anankastische Persönlichkeitsstörung – „Ordentlich und reinlich“
Definition
Symptomatik
Therapeutische Praxis
Typische Denkinhalteanankastische (zwanghafte) PersönlichkeitsstörungDenkinhalte von Anankastische (zwanghafte) PersönlichkeitsstörungDenkinhalteMenschen mit einer anankastischen Persönlichkeitsstörung sind: „Entweder ich mache eine Sache richtig, oder ich mache sie gar nicht“ und „Wenn ich kein System habe, versinkt alles im Chaos“.
-
•
Unentschiedenheit, Zweifel und außerordentliche Vorsicht als Ausdruck einer tiefen persönlichen Unsicherheit
-
•
Unverhältnismäßige Gewissenhaftigkeit, außerordentliches Pflichtgefühl, Skrupelhaftigkeit und extreme Leistungsbezogenheit unter Vernachlässigung von Vergnügen und zwischenmenschlichen Beziehungen
-
•
Pedanterie und Konventionalität mit eingeschränkter Fähigkeit zum Ausdruck wahrer Gefühle, „Haarspalterei“
-
•
Rigidität, Ungehorsam und starrer Eigensinn, wobei von anderen die Unterordnung eigener Eigenarten und Gewohnheiten erwartet wird
-
•
Bedürfnis nach frühzeitiger, detaillierter und unveränderbarer Vorausplanung aller Aktivitäten
Erläuterungen zum Fall
Anankastische Persönlichkeiten sind im Kindesalter oft gefällige Kinder. Der Mangel an Unternehmungslust und die zwanghaften Züge haben dann noch wenig Befremdliches, was sich mit zunehmendem Alter ändert.
Rigidität und Vorausplanen von Aktivitäten
Vernachlässigung von sozialen Kontakten und Vergnügungen
Ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.6)
Fall
Ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung – „Angst vor den Kollegen“
Definition
Symptomatik
Therapeutische Praxis
Typische Denkinhalte von ängstlich-vermeidenden Persönlichkeiten: „Ich bin nicht liebenswert“ und „Wenn andere wüssten, wie ich eigentlich bin, würden sie sich von mir abwenden“.
-
•
Häufige, länger anhaltende Gefühle von Angst, innerer Anspannung und Besorgnis
-
•
Häufige Gefühle von Unsicherheit, Unvollkommenheit oder Minderwertigkeit
-
•
Vermeiden oder Auslassen von sozialen Kontakten
-
•
Beständige Sehnsucht nach Zuwendung, Zuneigung, Anerkennung und Akzeptanz
-
•
Minderwertigkeitsgefühle
-
•
Tendenz zur Überbewertung potenzieller Gefahren und Risiken alltäglicher Situationen
-
•
Tendenz zur Vermeidung bestimmter Aktivitäten, in erster Linie im sozialen Kontakt mit anderen, allerdings ohne das Ausmaß einer Phobie
-
•
Eingeschränkte Lebensführung wegen des gesteigerten Bedürfnisses nach Gewissheit, Schutz und Sicherheit
Erläuterungen zum Fall
Vermeiden sozialer Bindungen
Angst vor Ablehnung bei gleichzeitiger Sehnsucht nach Nähe
Abhängige (asthenische) Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.7)
Fall
Abhängige Persönlichkeitsstörung – „Ohne dich kann ich nicht sein!“
Definition
Symptomatik
Therapeutische Praxis
Typische Denkinhalte Denkinhalteabhängige (asthenische) Persönlichkeitsstörungvon Abhängige (asthenische) PersönlichkeitsstörungDenkinhalteMenschen mit einer abhängigen Persönlichkeitsstörung sind: „Allein bin ich völlig hilflos“ und „Ich kann nur leben, wenn ich eine starke und lebenstüchtige Person an mich binde“.
-
•
Aufgrund der entwickelten Sichtweise „ich bin hilflos und schwach“ wird in allen möglichen Lebenssituationen Unterstützung und Beistand durch andere Personen – insbesondere den Partner oder die Partnerin – gesucht und gebraucht
-
•
Zurückstellung oder Unterordnung der eigenen Bedürfnisse unter die anderer Personen, zu denen eine Abhängigkeitsbeziehung besteht; übertriebene Nachgiebigkeit gegenüber den Wünschen und Bedürfnissen anderer
-
•
Neigung, anderen die Verantwortung für (eigene) Fehler oder Missgeschicke zu übertragen; geringe Bereitschaft, Eigenverantwortung zu übernehmen und selbstständig für sich zu sorgen
-
•
Wichtige Entscheidungen werden häufig anderen überlassen
-
•
Bereitschaft, materielle und psychische Opfer (Kränkungen) in Kauf zu nehmen, um eine Beziehung aufrechtzuerhalten oder zu „retten“; „Beziehung um jeden Preis“
-
•
Erhebliche Verlust- und Trennungsangst
-
•
Erleben von innerer Leere oder Zerstörtheit und bei Beendigung einer engen Beziehung Erleben totaler Hilflosigkeit
Erläuterungen zum Fall
Im Beispiel ist der Frau die Selbstständigkeit schon in jungen Jahren „abgenommen“ worden. Die Mutter hat ihre Tochter anscheinend nie erwachsen werden lassen. Die Abhängigkeit von ihr setzt sich folglich in den Beziehungen fort.
Keine Übernahme von Verantwortung und Abhängigkeit von Unterstützung anderer
Unterordnung eigener Bedürfnisse
Ausgeprägte Ängste vor dem Verlassenwerden
Narzisstische Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.8)
Fall
Narzisstische Persönlichkeitsstörung – „Ich bin etwas Besonderes“
Definition
Gut zu wissen Die Bezeichnung „Narzissmus“ geht auf die griechische Mythologie zurück: Narziss, der schöne Sohn des Flussgottes Kephisos, verliebt sich in sein eigenes Spiegelbild, das er im Wasser erblickt hat. Er ist so in sich verliebt, dass er die Liebe der Nymphe Echo zurückweist. Aus lauter Stolz auf seine eigene Schönheit verschmäht er die Liebe der Nymphe und tötet sich, getrieben von unstillbarer Selbstliebe, mit einem Dolch. Nach Ovid wuchs an der Stelle, an der sein Blut den Boden berührte, eine Narzisse.
Symptomatik
Therapeutische Praxis
Typische Narzisstische PersönlichkeitsstörungDenkinhalteDenkinhaltenarzisstische PersönlichkeitsstörungDenkinhalte bei der narzisstischen Persönlichkeitsstörung sind: „Ich bin etwas Besonderes und habe einen VIP-Status verdient“ und „In Beziehungen werde ich abgewertet und verliere meine Autonomie“.
-
•
Außerordentliches Bedürfnis nach Anerkennung, Anklang und Bewunderung; jede Niederlage und jeder Misserfolg werden im Sinne einer „narzisstischen KränkungNarzisstische Kränkung“ übermäßig stark erlebt
-
•
Neid auf andere (oder die Überzeugung, andere seien neidisch auf den Betroffenen oder missgünstig)
-
•
Fortwährendes Bedürfnis, die eigene Größe, Bedeutung und Macht darzustellen, äußert sich durch:
-
–
Übertriebene Darstellung der eigenen Leistungen, Fähigkeiten und Künste
-
–
Übertriebene Anspruchshaltung („Das wird mir doch niemand vorenthalten!“)
-
–
Identifikation mit außergewöhnlichen Menschen („Seht nur, ich bin in bester Gesellschaft! Nur die Crème de la Crème ist bei mir zu Gast!“), „Sich-Schmücken“ mit bemerkenswerten Persönlichkeiten
-
-
•
Tendenz zum Schwarz-Weiß-Denken: einerseits Neigung zur Überidealisierung, andererseits zu sehr schneller Abwertung (z. B. jemanden erst „auf das Podest stellen und anbeten“ und kurz darauf „vom Sockel stoßen“)
Erläuterungen zum Fall
Übermäßige Bedürftigkeit nach Anerkennung und Bewunderung, übersteigerte Anspruchshaltung
Tendenz zur Schwarz-Weiß-Malerei, fehlende Empathie für andere
Gefahr der Suizidalität in narzisstischen Krisen
Andauernde Persönlichkeitsänderung (ICD-10: F62)
Fall
„Ich lebe, mein Freund ist tot“
-
•
Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung
-
•
Andauernde Persönlichkeitsänderung nach psychischer Krankheit
-
•
Sonstige und nicht näher bezeichnete andauernde Persönlichkeitsänderung
Definition
Symptomatik
-
•
Feindliche oder misstrauische Haltung gegenüber der Umwelt
-
•
Ständige Angst
-
•
Sozialer Rückzug
-
•
Gefühl der Leere und Hoffnungslosigkeit
-
•
Chronisches Gefühl von Nervosität, ständiges Gefühl der Bedrohung
-
•
Entfremdung
Gut zu wissen
KZ-KZ-SyndromSyndrom: Die Verfolgungssituationen im Dritten Reich stellten eine bisher in der Psychiatrie nicht bekannte Extrembelastung dar. Bei einem Teil der Häftlinge von Konzentrationslagern entstanden nicht mehr ausgleichbare Dauerschäden. Die KZ-Haft unterschied sich von anderen Extrembelastungen durch die absolute Entwürdigung, die vollständige Sinn- und Wertberaubung der persönlichen Existenz. Auch noch 71 Jahre nach Kriegsende sind bei den ehemals Inhaftierten Folgen der KZ-Haft nachweisbar.
Durch permanente Todesfurcht, Ermordung von Angehörigen und Miterleben von Hinrichtungen berichten einige Überlebende von einer „Überlebensschuld“.Überlebensschuld, KZ-Syndrom Sie haben das Gefühl, Schuld auf sich geladen zu haben, weil sie – im Gegensatz zu Angehörigen oder anderen Mithäftlingen – überlebt haben. Angenommen wird, dass für das Durchhalten feste religiöse oder politische Überzeugungen von großer Bedeutung waren und dass die starken Veränderungen der Persönlichkeit durch irreversible Schädigungen des Gehirns (pseudoeneurasthenisches SyndromPseudoneurasthenisches Syndrom; organische Wesensänderung) begünstigt wurden. Ursache dafür waren traumatische oder dystrophe (durch Unterernährung verursachte) Hirnschädigungen. Die geschilderte Symptomatik erfordert oft intensive und langfristige psychotherapeutische Betreuung. Verfolgte haben Anspruch auf Entschädigung nach dem Bundesentschädigungsgesetz, wenn sie durch Haft im Konzentrationslager, Ghettoaufenthalte oder außergewöhnliche Belastungen beim Leben im Versteck und in der Illegalität einen nicht unerheblichen körperlichen oder gesundheitlichen Schaden erlitten haben.
Ergänzende Krankheitsbilder nach traditionellem Ansatz
Depressive Persönlichkeitsstörung
Hyperthyme Persönlichkeitsstörung
Asthenische Persönlichkeitsstörung
Sensitive Persönlichkeitsstörung
Schizotype Persönlichkeitsstörung
19.1.4
Diagnostik
-
•
Deutliche Unausgeglichenheit in den Einstellungen und im Verhalten in Funktionsbereichen wie
-
–
Affektivität
-
–
Antrieb
-
–
Impulskontrolle
-
–
Wahrnehmen
-
–
Denken
-
–
Beziehungen zu anderen
-
-
•
Das abnorme Verhaltensmuster ist durchgängig vorhanden, also nicht auf Episoden psychischer Krankheiten begrenzt.
-
•
Das abnorme Verhalten ist tiefgreifend und in vielen persönlichen und sozialen Situationen eindeutig unpassend.
-
•
Die Störung beginnt immer in der Kindheit oder Jugend und manifestiert sich auf Dauer im Erwachsenenalter.
-
•
Die Störung führt zu deutlichem subjektivem Leiden, manchmal erst im späteren Verlauf.
-
•
Die Störung ist meist mit deutlichen Einschränkungen der beruflichen und sozialen Leistungsfähigkeit verbunden.
Merke
Persönlichkeitsstörungen sind trotz der manchmal leicht falsch zu verstehenden Bezeichnungen wie z. B. „paranoide“ oder „schizoide Persönlichkeitsstörung“ keine „verwässerten“ oder leichten Formen von Psychosen. Sie sind eigenständige Krankheitsbilder mit eigenen Diagnosekriterien.
19.1.5
Krankheitsverlauf und Epidemiologie
Verlauf
Merke
Menschen mit Persönlichkeitsstörungen haben ein deutlich erhöhtes Suizidrisiko von 2–6 %. 8–10 % der Borderline-Patienten versterben durch Suizid!
Epidemiologie
Merke
Persönlichkeitsstörungen sind häufig mit einer Abhängigkeit von psychotropen Substanzen verbunden. Komorbide Suchterkrankungen zeigen sich besonders häufig bei dissozialen Persönlichkeitsstörungen (> 30 %).
19.1.6
Ätiologie
Neurobiologische Aspekte
Merke
Trotz Hinweisen auf neurobiologische Entstehungsfaktoren der Persönlichkeitsstörungen darf nicht vergessen werden, dass diese nur im Zusammenhang mit der psychosozialen Entwicklung interpretiert werden sollten.
Psychoanalytische Aspekte
Therapeutische Praxis
Überidealisierung und Entwertung – Wie können diese – häufig bei narzisstischen und Borderline-Persönlichkeitsstörungen auftretenden Verhaltensweisen – erklärt werden? Ein „gesunder Narzissmus“ oder eine angemessene Selbstliebe ist für die menschliche Entwicklung genauso wichtig wie z. B. der Ausdruck von Aggression, Angst oder Sexualität. Durch frühkindliche Erfahrungen kann es jedoch passieren, dass das Selbstwertgefühl gestört wird, insbesondere, wenn das Kind spürt und erlebt, dass es selbst oder bestimmte Verhaltensweisen von den Eltern nicht akzeptiert werden. Dies kann eine narzisstische Störung bewirken, indem das Kind beginnt, eigene Leistungen übertrieben darzustellen („Ich bin die Tollste!“) und gleichzeitig die Leistungen anderer abzuwerten („Ihr könnt doch gar nichts!“). Auch eine Identifikation mit Persönlichkeiten, die über ein hohes Maß an Anerkennung oder einen hohen Status verfügen („Seht, wer zu meinem Bekanntenkreis gehört!“), dient dann bewusst oder unbewusst dem Zweck, das gestörte Selbstbild nach außen hin zu festigen. Die Identifizierung mit einer bestimmten Person und deren Idealisierung kann auch Aufsehen und Anerkennung durch das Umfeld erzeugen („Seht nur, welch wunderbarer Mann mich an seine Seite genommen hat!“ – „Dieser begnadete Therapeut räumt mir seine kostbare Zeit ein!“). Entspricht die idealisierte Person nicht den Erwartungen der narzisstischen Person, bedeutet es für diese eine schwere Verletzung des Selbstwertgefühls. Um den eigenen Selbstwert vermeintlich (wieder-)herzustellen, wird die idealisierte Person in der Folge deutlich abgewertet („Ich habe all mein Vertrauen in sie gesetzt, aber sie hat es verspielt, dieses arme, unfähige Ding!“ – „Ich habe so sehr an Ihr Können geglaubt, aber Sie können es auch nicht besser. Sie sind genauso unfähig wie die anderen Therapeuten!“).
Kognitive und lerntheoretische Aspekte
19.1.7
Therapie
Psychotherapie
Therapeutische Praxis
Persönlichkeitsstörungen stellen eine große Herausforderung an den Therapeuten dar und verlangen viel Erfahrung und Geschick im Umgang mit dem Erkrankten. Der Therapeut sollte sich in regelmäßiger Supervision befinden.
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Personzentrierte Gesprächstherapie in Form von Einzelsitzungen
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Gruppentherapie (z. B. Training sozialer Kompetenzen)
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Ggf. Paartherapie oder Familiengespräche
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Herausarbeiten von situativen Konfliktfeldern und Einbettung in den persönlichen biografischen Lebenskontext
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Korrektur dysfunktionaler Grundannahmen
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Verbesserung der Eigenwahrnehmung von Gefühlen und Bedürfnissen sowie der Empathiefähigkeit (Wahrnehmung von Gefühlen anderer)
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Entwickeln von sozialen Fertigkeiten und Strategien zur Angstbewältigung
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Selbstbehauptungs- und Selbstsicherheitstraining
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Rollenspiel
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Psychoedukation (Informationen, Krankheitskonzept)
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Gestalttherapie
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Psychodrama
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Musiktherapie
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Autosuggestive Entspannungsübungen
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Hypnose
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Soziotherapeutische Maßnahme, z. B. Beschäftigungs- und Arbeitstherapie, Wiederaufnahme der Berufstätigkeit, therapeutische WG
Gut zu wissen Für wenige Persönlichkeitsstörungen liegen manualisierte, störungsspezifische Behandlungsprogramme vor wie z. B. die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT)Persönlichkeitsstörungendialektisch-behaviorale Therapie (DBT)Dialektisch-behaviorale Therapie (DBT) nach Linehan, Persönlichkeitsstörungen nach Linehan, die Übertragungsfokussierte Übertragungsfokussierte PsychotherapiePersönlichkeitsstörungenPersönlichkeitsstörungenübertragungsfokussierte PsychotherapiePsychotherapie (Transference-Focused Psychotherapy, Transference-Focused Psychotherapy (TFP)PersönlichkeitsstörungenTFP) nach Kernberg sowie die Schematherapie nach Young für Borderline-Störungen.
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Therapievereinbarung (z. B. Dauer und Anzahl der Sitzungen, Kostenübernahme, Umgang in Krisensituationen, Formulierung von realistischen Therapiezielen)
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Aufbau einer tragfähigen therapeutischen Beziehung (Gleichgewicht schaffen zwischen akzeptierendem und wertschätzendem Verhalten und Motivation zur Veränderung)
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Verbesserung psychosozialer Kompetenzen (Verantwortungsbewusstsein, Gestaltung sozialer Kontakte)
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Einbeziehung des psychosozialen Umfelds in die Therapie (z. B. Beratung von Angehörigen, juristische Maßnahmen als Schutz vor übergriffigen Angehörigen)
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Bearbeitung dysfunktionaler Schemata und Verhaltensmuster
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Ressourcenorientierung (Förderung von positiven Bewältigungsstrategien und Fähigkeiten)
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Transfer der in der Therapie gewonnenen Erfahrungen in den Alltag
Therapeutische Praxis
PsychotherapiePersönlichkeitsstörungenPersönlichkeitsstörungenPsychotherapieZiel der Psychotherapie bei Persönlichkeitsstörungen ist nicht die vollständige Heilung, sondern eine zufriedenstellende Lebensführung im sozialen und beruflichen Bereich trotz charakterlicher Besonderheiten. Dazu gehören das Erlernen erfolgreicher Strategien für den Umgang mit psychosozialen Herausforderungen, die Festigung des Selbstwertgefühls und Selbstbilds, eine bessere Wahrnehmung der eigenen und fremden Gefühle und Bedürfnisse sowie ein Verständnis des eigenen Erlebens vor dem jeweiligen biografischen Hintergrund.
Pharmakotherapie
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Behandlung komorbider psychischer Störungen (z. B. Depression, Angststörung, Zwangsstörung)
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Beruhigungsmittel bei akuter Suizidalität
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Schlafmittel bei ausgeprägten Schlafstörungen
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Lithium oder SSRI bei aggressiven Durchbrüchen (dissoziale Persönlichkeitsstörung)
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Antipsychotika (Neuroleptika) bei akuter innerer Anspannung
19.2
Abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle
Definition
Merke
Impulskontrollstörungen weisen folgende Charakteristika auf:
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Hohe Komorbidität mit Persönlichkeitsstörungen
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Auszuschließen sind psychotische Störungen (F2), Intelligenzminderungen (F7)
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Impulshaftes Handeln dieser Störungen im Rahmen einer Abhängigkeitserkrankung (F1)
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Abgrenzung von kriminellen Handlungen (z. B. Brandstiftung im Rahmen eines Versicherungsbetrugs oder als Racheakt)
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Es gelten prinzipiell dieselben therapeutischen Vorgehensweisen wie bei den Persönlichkeitsstörungen
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Bei pathologischem Glücksspiel auf fachspezifische Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen hinweisen oder auch eine Schuldenberatung vorschlagen
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Einige dieser Verhaltensweisen können direkt (F63.1/F63.2) oder indirekt (F63.0) zu strafrechtlicher Verfolgung führen (rechtsanwaltliche Vertretung vorschlagen)
Klassifikation nach ICD-10
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Pathologisches SpielenPathologisches Spielen (F63.0)
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Pathologisches BrandstiftenPathologische Brandstiftung (PyromaniePyromanie; F63.1)
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Pathologisches StehlenPathologisches Stehlen (KleptomanieKleptomanie; F63.2)
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Pathologisches HaareausreißenPathologisches Haareausreißen (TrichotillomanieTrichotillomanie; F63.3)
Merke
Die Störungen der Impulskontrolle weisen eine Nähe zu anderen psychischen Störungsbildern wie den stoffgebundenen Abhängigkeitserkrankungen (F1; Kap. 10), den affektiven Störungen (F3; Kap. 12), den Zwängen (F42; Kap. 13.4) und der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS; Kap. 20.4.2) auf.
Ätiologie
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Lernprozesse:
Das Verhalten wird durch positiv empfundene Gefühle wie Euphorie, Lust, Spannungsabbau, Beruhigung aufrechterhalten.
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Persönlichkeitsfaktoren:
Um eine mögliche Langeweile zu verhindern, werden neue Reize und Erregungen gesucht.
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Neurobiologische Faktoren
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Veränderungen im NeurotransmittersystemNeurotransmittersystemImpulskontrollstörungen (Serotonin- und Dopaminsystem)
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Andere psychische Erkrankungen, z. B. die Pyromanie oder Kleptomanie als Begleitsyndrom einer affektiven oder dissozialen Persönlichkeitsstörung
Therapie
19.2.1
Pathologisches Spielen (Glücksspiel)
Diagnostische Kriterien – Symptomatik
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Wiederholte (2 oder mehr) Episoden von Glücksspiel in einem Zeitraum von mindestens 1 Jahr.
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Diese Episoden bringen den Spielenden keinen Gewinn und werden trotz subjektiven Leidensdrucks im täglichen Leben aufrechterhalten.
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Die „Spieler“ beschreiben einen intensiven Drang zum pathologischen Spielen, den sie nur sehr schwer kontrollieren können. Die Betroffenen erklären, dass sie nicht in der Lage sind, das Glücksspiel durch Willensanstrengung zu stoppen.
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Die Personengruppe ist ständig mit ihren Gedanken oder Vorstellungen vom Glücksspiel beschäftigt.
19.2.2
Pathologische Brandstiftung (Pyromanie)
Symptomatik
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Zwei oder mehrere vollzogene Brandstiftungen ohne erkennbare Motive
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Die Betroffenen beschreiben einen intensiven Drang, Feuer zu legen, und berichten von Spannungen vorher und Erleichterung nachher.
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Die Betroffenen beschäftigen sich ständig mit Gedanken oder Vorstellungen des Feuerlegens oder denken ständig an die mit den Handlungen verbundenen Umstände (Feuerwehr zu rufen, Brand zu löschen etc.).
19.2.3
Pathologisches Stehlen (Kleptomanie)
19.2.4
Trichotillomanie
Diagnostische Kriterien
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Sichtbarer Haarverlust aufgrund der anhaltenden und wiederholten Unfähigkeit, Impulse des Haareausreißens zu widerstehen
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Der Patient beschreibt einen intensiven Drang, die Haare auszureißen mit einer zunehmenden Spannung vorher und einem Gefühl von Erleichterung nachher
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Fehlen einer vorbestehenden Hautentzündung, nicht im Zusammenhang mit Wahn oder Halluzinationen
19.3
Schädlicher Gebrauch von nicht abhängigkeitserzeugenden Substanzen
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Psychotrope Substanzen, die keine Abhängigkeit erzeugen (z. B. AntidepressivaAntidepressivaschädlicher Gebrauch)
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LaxanzienLaxanzien, schädlicher Gebrauch (AbführmittelAbführmittel, schädlicher Gebrauch)
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Analgetika, die ohne Verschreibung freiverkäuflich (rezeptfrei) erworben werden können (Paracetamol, Aspirin) Analgetikaschädlicher Gebrauch
Verständnisfragen
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Begeben sich Menschen mit Persönlichkeitsstörungen von sich aus häufig in therapeutische Behandlung? Welche Beschwerden stehen im Vordergrund?
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Nennen Sie die Kennzeichen der paranoiden Persönlichkeitsstörung? Gegen welche Störungen muss sie unbedingt abgegrenzt werden?
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Was sind die ersten Anzeichen einer dissozialen Persönlichkeitsentwicklung?
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Was sind die Merkmale einer Borderline-Persönlichkeitsstörung? Warum gehört ihre Behandlung vornehmlich in fachärztliche oder fachtherapeutische Hand?
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Menschen mit Konversionssyndromen wie Atemnot und Herzschmerzen leiden oft an einer Persönlichkeitsstörung. Um welche Persönlichkeitsstörung handelt es sich? Was sind weitere Merkmale der Störung?
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Wie müssen Suizidäußerungen von Menschen mit Persönlichkeitsstörungen eingeschätzt werden?
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Was versteht man unter einer narzisstischen Krise, und worin besteht ihre Gefahr?
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Was ist das KZ-Syndrom? Zu welchem Krankheitsbild wird es nach ICD-10 gerechnet?
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Welche Kriterien rechtfertigen allgemein die Diagnose „Persönlichkeitsstörung“? Welche Rolle spielt das Zeitkriterium?
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Was halten Sie von der Aussage: „Persönlichkeitsstörungen sind im Grunde leichte Psychosen, also kein eigenständiges Krankheitsbild“?
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Was versteht man unter dem Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeit?
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Was wissen Sie über den Verlauf von Persönlichkeitsstörungen? Welche komorbiden Störungen sind häufig?
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Erklären Sie die Begriffe „Idealisierung“ und „Entwertung“ aus psychoanalytischer Sicht anhand einer Persönlichkeitsstörung.
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Welche Bedeutung haben dysfunktionale Annahmen aus lerntheoretischer Sicht für die Entstehung und Aufrechterhaltung von Persönlichkeitsstörungen?
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Wie werden Persönlichkeitsstörungen behandelt? Warum stellen sie eine große Herausforderung an den Therapeuten dar?
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Welche Voraussetzungen sollten gegeben sein, bevor Sie mit der Psychotherapie eines persönlichkeitsgestörten Klienten beginnen? Welche Therapieprinzipien sollten Sie dabei beachten, was sind die Ziele der Therapie? Was versteht man unter Hierarchisierung der Problemfelder?
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Erarbeiten Sie die unterschiedliche „Zwangssystematik“ aus folgenden Störungsbildern. In welcher Form tritt sie auf:
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a.
Bei psychischen Störungen?
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b.
Bei neurotischen Störungen?
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c.
Bei Persönlichkeitsstörungen?
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Was versteht man unter Trichotillomanie?
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Welches Motiv geht der pathologischen Brandstiftung voraus?
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Was „verliert“ der Patient in Bezug auf das pathologische Glücksspiel?