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Mehr InformationenB978-3-437-21214-7.00028-6
10.1016/B978-3-437-21214-7.00028-6
978-3-437-21214-7
Elsevier GmbH
Hereditäre und erworbene ThrombophilienThrombophiliehereditäreThrombophilieerworbene
Form | Ursachen |
Hereditäre Thrombophilien |
|
Erworbene Thrombophilien |
|
Unterschiede zwischen unfraktionierten (UFH) und niedermolekularen Heparinen (NMH)HeparinunfraktioniertesHeparinniedermolekulares
UFH | NMH |
Ähnliche Herstellungsmethoden aus porcinem Ausgangsmaterial | Unterschiedliche Herstellungsmethoden aus UFH |
Mittleres Molekulargewicht: 15.000 Da | Mittleres Molekulargewicht: 5.000 Da |
Standardisierung nach USP-Methode | Keine uniforme Standardisierung, Angabe meist in Anti-FXa-Einheiten |
Unvorhersagbare Dosis-Wirkungs-Beziehung | Vorhersagbare Dosis-Wirkungs-Beziehung |
Geringes HIT-Typ-II-Risiko | Sehr geringes HIT-Typ-II-Risiko |
Produkte untereinander austauschbar | Produkte nicht untereinander austauschbar |
USP= United States Pharmacopoea
Thrombophilie, thromboembolische Erkrankungen und antithrombotische Therapie
-
28.1
Thrombophilie (Hyperkoagulabilität)1074
-
28.2
Venöse thromboembolische Erkrankungen1081
-
28.3
Arterielle thromboembolische Erkrankungen1086
-
28.4
Antikoagulations-therapie1089
-
28.5
Fibrinolytika1094
28.1
Thrombophilie (Hyperkoagulabilität)
28.1.1
Grundlagen
Definition
Anamnese
-
▪
Thrombose in jungem Alter,
-
▪
idiopathische Thrombose,
-
▪
rezidivierende Thrombose,
-
▪
Thrombose an ungewöhnlichen Lokalisationen,
-
▪
familiäre Belastung.
Einteilung
28.1.2
Angeborener thrombophiler Zustand
Formen
Antithrombinmangel
Definition
Häufigkeit
-
▪
Der Antithrombinmangel ist eine autosomal-dominant vererbte Erkrankung mit unterschiedlicher Penetranz.
-
–
Unterschiedliche molekulare Varianten wurden bei den verschiedenen betroffenen Familien beschrieben und betreffen u. a. die Thrombin- oder Heparin-Bindungsstelle mit differenter Ausprägung der Thromboseneigung.
-
–
Das Risiko für heterozygote Typ-I-Merkmalsträger, im Laufe ihres Lebens eine Thrombose zu erleiden, liegt bei 80–90 %. Sie weisen i. d. R. Antithrombinspiegel von 40–60 % der Norm auf.
-
–
Merkmalsträger mit defekter Heparin-Bindungsstelle am AT weisen ein deutlich niedrigeres Risiko auf.
-
–
Exogene Ereignisse sind oft an der Auslösung einer Thrombose beteiligt.
-
!
Bei der Hälfte der Pat. kommt es spontan zur Thrombose.
-
-
▪
Prävalenz des symptomatischen Antithrombinmangels in der Allgemeinbevölkerung: 0,02–0,05. Ein asymptomatischer Mangel kommt wahrscheinlich 10-mal häufiger vor.
Thromboserisiko
-
▪
Bis zum 15. Lj. gering. Danach kommt es pro Lebensjahr bei 2–4 % der Betroffenen zu einer Thrombose.
-
!
Pat. mit Antithrombinmangel Typ I und gestörter Thrombininteraktion haben ein höheres Thromboserisiko als Pat. mit den anderen hereditären Mangelzuständen.
Therapie
Protein-C- und -S-Mangel
Pathophysiologie
-
▪
Protein CProtein C: Vitamin-K-abhängiges Protein, das die aktivierten Faktoren V und VIII inhibiert.
-
▪
Protein SProtein S:
-
–
In freier Form (30–40 %) Kofaktor des aktivierten Protein C für die Inaktivierung der Faktoren Va und VIIIa (s. u.).
-
–
Im Komplex mit dem C4b-Bindungsprotein (Akute-Phase-Protein) ohne Kofaktorfunktion (60–70 %).
-
Protein-C-Mangel
-
▪
Protein-C-MangelCa. 3 % aller Fälle von hereditärer Thrombophilie.
-
▪
Thromboserisiko: Basierend auf einer großen kollaborativen deutsch-österreichischen Studie wurden ein lebenslanges Thromboserisiko von 80 % und eine jährliche Inzidenzrate von 2,5 % bei heterozygoten Verwandten mit Protein-C-Mangel berechnet.
-
▪
Vererbung: autosomal-dominant mit variabler Penetranz.
-
▪
Homozygotie: sehr selten. Protein-C-Aktivität von 1–5 %. Auftreten einer schweren Purpura fulminans des PurpurafulminansNeugeborenen. Ein Protein-C-Konzentrat unter dem Namen Ceprotin® steht für diese sehr seltene Situation zur Verfügung.
-
!
Bei einem Teil der Pat. mit Protein-C-Mangel führt die Gabe von Vitamin-K-Antagonisten (VKA) zur „KumarinnekroseKumarinnekrose“ der Haut, die auf einer lokalen Venen verschließenden Thrombose des betroffenen Hautareals beruht. Man nimmt an, dass dies nach Therapiebeginn auf die initial schnellere Reduktion des ohnehin erniedrigten Protein-C-Spiegels zurückzuführen ist, ehe nachfolgend die Spiegel der anderen Vitamin-K-abhängigen Faktoren II, VII, IX und X in den therapeutischen Bereich abfallen.
Protein-S-Mangel
-
▪
Protein-S-MangelAutosomal-dominante Vererbung.
-
▪
Erworbener Protein-S-Mangel: bei ausgeprägten Akute-Phase-Reaktionen, bei Malignomen, während der Schwangerschaft und unter oralen Kontrazeptiva (meist: Abnahme des freien Protein S durch ansteigendes C4b-Bindungsprotein).
-
▪
Thromboserisiko: entspricht demjenigen der Pat. mit Protein-C-Mangel.
-
▪
Belastbare Prävalenzdaten für die Allgemeinbevölkerung liegen nicht vor.
Faktor-V-Leiden-Mutation (APC-Resistenz)
Ätiologie
Häufigkeit
Diagnostik
Vererbung
Thromboserisiko
-
▪
Bei heterozygoten Merkmalsträgern wird eine Erhöhung des Erstthromboserisikos auf das 5- bis 7-Fache gegenüber Gesunden angenommen. Das Rezidivthromboserisiko ist jedoch gegenüber Thrombosepatienten ohne APC-Resistenz nicht sicher erhöht.
-
▪
In der Mehrzahl der Fälle treten Thrombosen erst bei Vorliegen zusätzlicher Risikofaktoren (z. B. OP) auf. Es kann jedoch auch spontan zur „idiopathischen“ Thrombose kommen.
Prothrombinpromotor-Genmutation
Ätiologie
Häufigkeit
Thromboserisiko
-
▪
Erstthromboserisiko 2- bis 3-fach gegenüber Gesunden erhöht; Rezidivthromboserisiko nicht erhöht.
-
▪
Unter den Thrombosepatienten mit Prothrombinmutation in Leiden befanden sich 40 %, bei denen auch eine Faktor-V-Leiden-Mutation vorlag.
-
!
Bei kombinierten Defekten besteht eine deutlich erhöhte Rezidivthromboserate [Bleker et al. 2014]!
Hyperhomozysteinämie
Ätiologie
Häufigkeit
Thromboembolierisiko
28.1.3
Erworbener thrombophiler Zustand
Faktor-VIII-Spiegelerhöhung
-
▪
Faktor-VIII-SpiegelerhöhungErhöhte Faktor-VIII-Spiegel Thrombophilieerworbenekommen bei akuten venösen Thromboembolien (VTE) vor. Vor- oder fortbestehend erhöhte Spiegel sind ein Risiko für venöse und arterielle Thromboembolien. Die Risikoerhöhung ist spiegelabhängig.
-
▪
Der zur Thrombose führende Mechanismus ist derzeit noch ungeklärt. Unklar ist auch, ob eine beobachtete Faktor-VIII-Spiegelerhöhung genetisch bedingt, d. h. einem familiären Erbgang unterliegt, oder reaktiv ist.
-
▪
Prävalenz hoher Faktor-VIII-Spiegel bei Pat. mit venösen Thrombosen: ca. 20 % [Kraaijenhagen et al. 2000].
Bei der Diagnostik muss sichergestellt werden, dass die Faktor-VIII-Spiegelerhöhung nicht einer Akute-Phase-Reaktion entspricht (CRP mitbestimmen), sondern auch nach der akuten Thromboembolie dauerhaft persistiert, d. h., die Spiegel sollten bei mehrfachen Messungen > 150 % betragen.
Antiphospholipidsyndrom (APS)
Definition
Diagnostik
-
▪
Diagnosekriterien für das APS:
-
–
Vorliegen geeigneter klinischer Zeichen (s. u.),
-
–
Verlängerung eines phospholipidabhängigen Gerinnungstests,
-
–
pathologischer aPTT-Tauschtest,
-
–
Nachweis der Phospholipidabhängigkeit,
-
–
Fehlen eines spezifischen Inhibitors.
-
-
▪
Eine besonders hohe Sensitivität für das Lupusantikoagulans weisen die Kaolin Clotting Time (KCT) und die Dilute Russel's Viper Venom Time (DRVVT) auf.
-
▪
Diese funktionellen Nachweismethoden werden durch den immunologischen Nachweis von AK gegen Phospholipide, u. a. gegen Cardiolipin, β2-Glykoprotein und Annexin, ergänzt.
-
▪
Es wird eine Bestätigungsuntersuchung mit 8–12 Wo. Abstand zur Diagnosestellung gefordert.
Klinik
-
▪
venöse Thromboembolien,
-
▪
arterielle Thromboembolien,
-
▪
atypisch lokalisierte Thrombosen im Splanchnikusbebiet, an Nieren, Augen (Amaurosis fugax) und anderen Lokalisationen,
-
▪
kardiale und zerebrale Manifestationen (Herzinfarkt, Schlaganfall),
-
▪
rezidivierende Spontanaborte oder Fehlgeburten,
-
▪
neurologische Manifestationen (Migräne, neuropsychiatrische Erkrankungen und andere),
-
▪
Hautmanifestationen (Livedo reticularis),
-
▪
Thrombozytopenie,
-
▪
Catastrophic APS (CAPS), Kombination von rasch rezidivierenden, progredienten Infarkten in mehreren Organen, ARDS.
Therapie
Maligne Erkrankungen
Pat. mit malignen Erkrankungen, Thrombophiliebei malignen Erkrankungeninsbes. mit Pankreas-, Magen-, Bronchial- sowie gynäkologischen Beckenkarzinomen, unterliegen einem dauerhaft erhöhten Risiko, eine venöse und seltener auch eine arterielle Thromboembolie zu erleiden.
28.1.4
Thrombophiliediagnostik: Indikationen und Konsequenzen
Risikofaktoren
-
▪
klinische Risikofaktoren, z. B. OP, Trauma, Immobilisation, hohes Alter, Malignome etc.,
-
▪
kongenitale und erworbene Faktoren, die sich mittels klinisch-chemischer Testverfahren beschreiben lassen.
Screening
-
▪
positive Familienanamnese,
-
▪
rezidivierende idiopathische Thrombosen,
-
▪
Ereignis vor dem 50. Lj.,
-
▪
Thrombosen an ungewöhnlichen Lokalisationen (z. B. Mesenterialvenenthrombose),
-
▪
absehbare Konsequenz bei Nachweis eines Thrombophiliefaktors.
Ein Screening kurz nach dem Zeitpunkt des klinischen Ereignisses ist i. d. R. nicht indiziert, da die aktuelle Therapie, aber auch die Thrombose selbst die Risikomarker nachhaltig beeinflussen können. Zudem muss die therapeutische Entscheidung über eine prolongierte Antikoagulation zu diesem Zeitpunkt noch nicht getroffen werden. Die Pat. werden i. d. R. für 3–6 Mon. antikoaguliert und sollten sich dann idealerweise nach Absetzen der Therapie zur Durchführung des Thrombophilie-Screenings wieder vorstellen. Bei fraglichen oder grenzwertigen Befunden sind diese noch einmal zu bestätigen. Molekularbiologische Befunde wie Faktor-V-Leiden- und Prothrombinmutation können jederzeit erhoben werden, eine Wiederholung ist i. d. R. nicht erforderlich.
Formen
-
▪
Antithrombin, Protein C und Protein S werden ausschließlich in der Leber synthetisiert. Bei einer chron. Lebererkrankung ist eine Beurteilung dieser Parameter hinsichtlich des Vorliegens eines kongenitalen Mangels nur sehr eingeschränkt (oder molekular) möglich. Protein C und Protein S sind Vitamin-K-abhängige Gerinnungsfaktoren und sollten erst nach vollständiger Normalisierung der INR bei Therapie mit VKA bestimmt werden.
-
▪
Protein S unterliegt zusätzlichen Einflussgrößen wie z. B. Akute-Phase-Reaktionen, Schwangerschaft und oraler Antikonzeption. Diese Faktoren können zu deutlich erniedrigten Protein-S-Werten führen. Die Beurteilung, ob ein kongenitaler Protein-S-Mangel vorliegt, ist daher häufig problematisch und oft nur durch mehrmalige Wiederholungsuntersuchungen, Nachweis erniedrigter Spiegel bei einem Elternteil oder molekulare Diagnostik zu klären.
-
▪
Das Phospholipidantikörpersyndrom wird durch eine sehr heterogene Gruppe von Phospholipidantikörpern verursacht. Aufgrund ihrer Heterogenität sollten in jedem Fall parallel ein gerinnungsphysiologischer LupusantikoagulanstestLupusantikoagulanstest (z. B. DRVVT, 28.1.3, „Antiphospholipidsyndrom [APS]“) sowie zwei immunologische Tests (Cardiolipin- und β2-Glykoprotein-I-AK) durchgeführt werden.
-
▪
Erhöhte Faktor-VIII-Spiegel finden sich bei Thrombosepatienten häufig als Risikofaktoren. Es ist wichtig, zu beachten, dass Faktor VIII ein Akute-Phase-Protein ist und es bei stationären Pat. zu sehr hohen Werten kommen kann. Zur Risikobeurteilung sind also nur Werte im Rahmen einer ambulanten Wiedervorstellung heranzuziehen. Des Weiteren empfiehlt sich die Bestimmung des Spiegels des CRP zum Ausschluss einer subklinischen Akute-Phase-Reaktion.
-
▪
Die Bedeutung der HyperhomozysteinämieHyperhomozysteinämie als Risikofaktor für venöse Thromboembolien ist noch nicht eindeutig geklärt. Die verschiedenen Studien erbringen widersprüchliche Resultate. Bei einer anhaltenden Hyperhomozysteinämie ist das Thromboserisiko wohl etwa 2-fach erhöht ist.
-
▪
Im Gegensatz zu den klassischen Thrombophilierisikofaktoren hat der Gerinnungsaktivierungsmarker D-Dimer hinsichtlich der Risikoabschätzung von Thromboserezidiven deutlich an Bedeutung gewonnen. Erhöhte D-Dimer-Werte, die 4 Wo. nach Absetzen der VKA gemessen werden, identifizieren eine Patientengruppe mit fortbestehend erhöhtem Risikos einer Rezidivthrombose.
28.2
Venöse thromboembolische Erkrankungen
28.2.1
Venöse Thrombosen
Häufigkeit
Pathogenese
-
▪
ThrombogeneseVirchow-TriasVirchow-Trias zur Thrombogenese (hat auch heute noch Gültigkeit):
-
–
Störungen der Gefäßintegrität,
-
–
Störungen des Blutflusses,
-
–
veränderte Blutzusammensetzung („Hyperkoagulabilität“).
-
-
▪
Bevorzugte Thromboselokalisation: zu 85–90 % die unteren Extremitäten, bedingt durch den erschwerten Blutrückfluss im Niedrigdruckgebiet des Venensystems.
-
–
Meist bildet sich der Initialthrombus im Bereich der Unterschenkel oder in traumatisch veränderten proximaleren Venenabschnitten.
-
!
Insbes. der frische, oft klinisch stumme Thrombus, der das Venenlumen noch nicht okkludiert, löst sich mit zunehmender Ausdehnung nach proximal leicht ab und führt dann zur Lungenembolie.
-
–
Der okkludierende Thrombus führt dazu, dass es zur Verlagerung des venösen Blutstroms in die oberflächlichen Beinvenen und Kollateralen mit konsekutiver Lumendilatation und Venenklappeninsuffizienz kommt. Folgen davon sind eine Erhöhung des postkapillären Venendrucks und Störungen des transkapillären Stoffaustauschs und dadurch die Entstehung von trophischen Störungen.
-
-
▪
Postthrombotisches SyndromSyndrom(e)postthrombotisches (PTS): In Abhängigkeit von der Ausdehnung des Verschlusses der tiefen Beinvenen und vom Ausmaß der funktionellen Störungen ist mit einem unterschiedlich häufigen Auftreten eines PTS nach 5–10 J. zu rechnen. Das Risiko ist bei einer 3- oder 4-Etagen-Thrombose wesentlich höher als bei einer alleinigen Unterschenkelvenenthrombose.
-
▪
LungenembolieLungenembolie: Die Verlegung der pulmonalen Strombahn durch einen oder mehrere Emboli führt in Abhängigkeit von der Gefäßobstruktion und der kardiopulmonalen Ausgangssituation zu akuten und/oder chron. Störungen des pulmonalen Gasaustauschs und der Rechtsherzfunktion.
-
!
In Deutschland sterben ca. 30.000–40.000 Pat./J. an den Folgen einer Lungenembolie.
Klinisches Bild und Diagnostik
Klinische Zeichen
-
▪
Meist unspezifisch. Thrombose, venöseDiagnostik
-
▪
Akuter Verschluss einer singulären proximalen tiefen Beinvene: rasch auftretende schmerzhafte Schwellung des distalen Extremitätenanteils, im Extremfall bis zum Befund der Phlegmasia coerulea Phlegmasia coerulea dolensdolens.
-
▪
Allmählicher Verschluss der mehrfach angelegten Unterschenkelvenen, bevorzugt beim immobilisierten Pat.: oft keine Beschwerden.
-
!
Die sog. klinischen Zeichen (z. B. nach Homann, Payr) weisen nur eine geringe Spezifität auf.
Diagnostik
-
▪
Initiales Instrument der Diagnostik ist die Einschätzung der klinischen Wahrscheinlichkeit (KW; am besten mithilfe validierter Scoringsysteme → Wells-Score).
-
▪
Der D-Dimer-D-Dimer-Test, venöse ThromboseTest (27.1.7) besitzt einen hohen negativen prädiktiven Wert. In den meisten Labors liegt der Richtwert bei < 0,5 µg/ml. Neuerdings wird ein altersadaptierter Grenzwert (bei > 50 J.: Altesjahrzehnt × 0,01 µg/ml) empfohlen. Bei Einsatz sensitiver ELISA-Tests war in prospektiven Studien die Sensitivität so hoch, dass bei negativem Testergebnis und niedriger KW auf eine weitere apparative Diagnostik verzichtet werden kann. Bei hoher KW hilft die D-Dimer-Bestimmung diagnostisch nicht weiter. Da der D-Dimer-Wert jedoch bei sehr vielen anderen Grundkrankheiten erhöht ist, ist der positive prädiktive Wert praktisch null.
-
▪
Als bildgebend nachweisender Test – Durchführung indiziert bei hoher KW oder niedriger KW und erhöhtem D-Dimernachweis – wird die Kompressions- oder farbkodierte Duplexsonografie durchgeführt. Sie besitzt proximal, bei erfahrenen Untersuchern aber auch im Unterschenkelbereich eine vergleichbare Aussagekraft wie die früher favorisierte Phlebografie.
Prophylaxe [AWMF-S3 Leitlinie Prophylaxe der venösen Thromboembolie {VTE}]
-
▪
Weitestgehende Vermeidung der perioperativen Immobilisierung.
-
▪
Prophylaktische Behandlung mit akut wirksamen Antikoagulanzien, wobei darauf zu achten ist, dass für ein hohes Risiko (z. B. Totalendoprothese) auch das entsprechende, für hohe Risiken zugelassene Präparat eingesetzt wird.
-
–
NMH: nur 1 × tgl. s. c. Injektion, oft präoperativ beginnend. Wenige Fälle von heparininduzierter Thrombozytopenie Typ II (HIT II; s. u.).
-
–
Pentasaccharid Fondaparinux (Arixtra®): Das synthetische Präparat entfaltet seine ausschließliche Aktivität gegen Faktor Xa [Turpie et al. 2002]. Im Bereich der Hüft- und Kniegelenkersatzoperationen war Fondaparinux gegenüber dem NMH Enoxaparin (Clexane® 40) überlegen. Dosierung: 2,5 mg s. c. 6–24 h nach OP.
-
–
Die direkten nicht Vitamin-K-abhängigen oralen Antikoagulanzien (DOAC/NOAC) Dabigatranetexilat (150–220 mg 1 × tgl.), Rivoraxaban (10 mg 1 × tgl.) und Apixaban (2 × 2,5 mg tgl.) sind bei Hüft- und Kniegelenkersatz zur Thromboseprophylaxe zugelassen und zeigen bei postoperativem Beginn ein zumindest gleichwertiges Nutzen-Risiko-Profil wie das NMH Enoxaparin (Clexane® 40).
-
–
Unfraktioniertes Heparin (UFH) in einer Dosis von 2–3 × 5.000 IE/d s. c. sollte auch aufgrund des HIT-II-Risikos nur bei Kontraindikationen gegen andere Antikoagulanzien, insbes. bei Pat. mit schwerer Niereninsuffizienz angewendet werden.
-
–
Das perioperative Tragen von medizinischen Thromboseprophylaxestrümpfen sachgerechter Anpassung wird für Pat. mit Kontraindikationen zur medikamentösen Thromboembolieprophylaxe empfohlen. Bei höherem und hohem Thromboembolierisiko wird die Durchführung einer intermittierenden pneumatischen Kompression empfohlen.
-
Auch für schwerer kranke Patienten in konservativen Fächern gelten die Regeln der Thromboseprophylaxe. Die Studien in der Inneren Medizin belegen die Wirksamkeit der medikamentösen Thromboembolieprophylaxe insbes. mit NMH oder Fondaparinux.
Therapie [AWMF S2-Leitlinie Venenthrombose und Lungenembolie. Diagnostik und Therapie]
Akuttherapie
-
▪
Überlegenheit der NMH gegenüber den UFH:
-
–
Bessere Bioverfügbarkeit (etwa 90 %). Dadurch berechenbare Wirkung → regelhafte Laborüberwachung entbehrlich.
-
–
Überwiegend Spiegel im „therapeutischen Bereich“.
-
–
Nur ein- oder zweimal tgl. s. c. Injektion erforderlich.
-
–
Geringeres Risiko für HIT II als UFH.
-
-
▪
Zur Therapie zugelassene NMH:
-
–
EnoxaparinEnoxaparin (Clexane®).
-
–
NadroparinNadroparin (Fraxiparin®, Fraxodi®).
-
–
TinzaparinTinzaparin (innohep®, 20.000 Anti-Xa-E/ml).
-
–
DalteparinDalteparin (Fragmin®)
-
–
CertoparinCertoparin (Monoembolex®, 8.000 IE).
-
–
ReviparinReviparin (Clivarin®/Clivarodi®).
-
–
Die vier erstgenannten NMH werden gewichtadaptiert dosiert, Certoparin in einer fixen Standarddosis (2 × 8.000 E/d).
-
-
▪
Die Studien zur Akut- und Sekundärprophylaxe mit NOAC/DOACDOACNOAC siehe DOACAntikoagulanziendirekte orale siehe DOACAntikoagulanzienneue orale siehe DOAC belegen eine der bisherigen Standardtherapie mindestens ebenbürtige Wirksamkeit und Sicherheit.
-
–
ApixabanApixaban (Eliquis®).
-
–
DabigatranDabigatran (Pradaxa®).
-
–
EdoxabanEdoxaban (Lixiana®).
-
–
RivaroxabanRivaroxaban (Xarelto®).
-
–
Die Studien mit den DOAC/NOAC zeigen für Rivaroxaban (2 × 15 mg/d für 3 Wo., dann 20 mg/d) und Apixaban (2 × 10 mg/d für 7 Tage, dann 2 × 5 mg/d), dass auch bereits initial (vgl. unten) VTE sicher und wirksam oral antikoaguliert werden können.
-
Sekundärprophylaxe (3–6 Mon.) und Langzeitantikoagulation (> 6 Mon.) mit oralen Antikoagulanzien
-
▪
Wird die Antikoagulation mit ApixabanApixaban oder RivaroxabanRivaroxaban eingeleitet, erfolgt die Sekundärprophylaxe weiterhin mit diesen Medikamenten in angepasster Dosierung (s. o.). Für Apixaban belegt die Zulassungsstudie die Wirksamkeit und Sicherheit einer reduzierten Dosis (2 × 2,5 mg/d) für die Langzeitantikoagulation.
-
▪
Bei parenteraler Akutantikoagulation (UFH/NMH/Fondaparinux) sollte, sofern keine weiteren invasiven Eingriffe bevorstehen, überlappend auf VKA (PhenprocoumonPhenprocoumon [Marcumar®] oder WarfarinWarfarin [Coumadin®]) umgesetzt werden. Bei zweimaligem (ca. 24 h Abstand) Erreichen einer INR, gemessen mit der Thromboplastinzeit (Quick-Wert), von > 2 kann die parenterale Antikoagulation beendet werden.
-
▪
Alternativ kann nach etwa einwöchiger Therapie mit parenteralen Antikoagulanzien auf DabigatranDabigatran (2 × 150 mg/d) oder EdoxabanEdoxaban (1 × 60 mg/d) gewechselt werden, wobei nicht überlappt wird (→ 1. orale Dosis zum Zeitpunkt der ansonsten nächsten parenteralen Antikoagulanziengabe; „switchen“).
-
▪
Bei Schwangeren wird die Antikoagulation mit NMH aufgrund des fetalen Fehlbildungsrisikos der VKA prolongiert, i. d. R. bis 4–6 Wo. post partum. U. U. erfolgt nach 4–6 Wo. eine leichte Dosisreduktion, um Blutungskomplikationen wie retroplazentare Hämatome etc. vorzubeugen. Eine Kontrolle der Anti-Faktor-Xa-Aktivität 3–4 h nach s. c. Gabe mit ggf. notwendiger Dosisanpassung wird empfohlen, um eine adäquate Antikoagulation sicherzustellen.
-
▪
Bei Malignompatienten mit akuter VTE sollen Akutbehandlung und Sekundärprophylaxe mit NMH erfolgen, für die mehrere Studien eine Überlegenheit dieser Form der Antikoagulation gegenüber der Standardtherapie aus NMH und VKA gezeigt haben.
-
▪
Dauer: Bei einer ersten venösen Thrombose beträgt die Mindestdauer der oralen Antikoagulation 3 Monate. Verschiedene Studien führten zu unterschiedlichen Ergebnissen und Empfehlungen der Therapiedauer. Oft kam es bei Vergleichsgruppen mit unterschiedlicher Therapiedauer im längerfristigen Verlauf nach Beendigung der Antikoagulation zu einer Angleichung der Rezidiv-VTE-Raten („Catch-up Phenomenon“). Daher ist i. d. R. nach 3–6 Mon. die grundsätzliche Entscheidung unter Einbeziehung der Patientenpräferenz für oder gegen eine prolongierte Antikoagulation zu treffen. Eine regelmäßige Nutzen-Risiko(Blutung!)-Evaluation sollte erfolgen. Die Empfehlungen von Bauer [2003] entsprechen in etwa dem aktuellen Konsens [AWMF S2-Leitlinie Venenthrombose und Lungenembolie. Diagnostik und Therapie]:
-
–
2 oder mehr unprovozierte („idiopathische“) Thrombosen,
-
–
eine idiopathische Thrombose in Gegenwart eines Antithrombinmangels oder bei Antiphospholipidantikörpersyndrom,
-
–
eine idiopathische lebensbedrohliche Thrombose (z. B. nahezu tödliche Lungenembolie, zerebrale, mesenteriale oder Pfortadervenenthrombose),
-
–
eine idiopathische Thrombose in Gegenwart von mehr als einem genetischen zur Thrombophilie prädisponierenden Faktor.
-
Die früher verordnete „Bettruhe“ und Krankenhausaufnahme bei akuter venöser Thrombose wird heute nicht mehr empfohlen. Ggf., z. B. bei belastungsabhängigen Schmerzen, werden Schmerzmittel und z. B. Unterarmgehhilfen verordnet. Abhängig von der kardiovaskulären Gesamtsituation lassen sich die meisten venösen Thrombosen ambulant behandeln.
-
▪
Ein Wadenkompressionsstrumpf (Klasse II) zur Reduktion des Risikos eines PTS ist bei proximaler tiefer Venenthrombose unerlässlich.
-
▪
Die systemische Fibrinolysebehandlung mit z. B. Streptokinase oder Urokinase wurde weitgehend verlassen (fehlende Langzeitdaten, Blutungskomplikationen). Der Einsatz – meist lokoregionärer Katheterverfahren – erfolgt nur in besonderen Fällen, z. B. Beckenvenenthrombose [AWMF S2-Leitlinie Venenthrombose und Lungenembolie. Diagnostik und Therapie].
28.2.2
Lungenembolie
Häufigkeit
Diagnostik und Schweregrade
-
▪
Auch hier steht am Anfang die Festlegung der klinischen Wahrscheinlichkeit (KW) einer LE, bevorzugt mithilfe validierter Instrumente (Wells-Score, revidierter Genfer Score).
-
▪
Der Nachweis im Normbereich liegender D-Dimer-Spiegel schließt eine akute LE bei nicht hoher KW weitestgehend aus.
-
▪
Bei hoher KW oder nicht hoher KW mit erhöhten D-Dimer-Werten erfolgt zum Nachweis einer LE vorzugsweise die Spiral-CT.
-
▪
Bei V. a. LE bei hämodynamisch stabilem Pat. und nachgewiesener akuter tiefer Venenthrombose gilt die Diagnose einer LE als bestätigt.
-
▪
Schweregrad I (klein, kardiovaskulär stabil, keine Rechtherzbelastung) → Antikoagulation.
-
▪
Schweregrad II (submassiv, kardiovaskulär stabil, Zeichen der Rechtsherzbelastung) → Antikoagulation, im Einzelfall Fibrinolyse.
-
▪
Schweregrad III (massiv, kardiovaskulär kompromittiert, Schock) → Fibrinolyse.
-
▪
Schweregrad IV (fulminant, Schock, Reanimation) → Fibrinolyse oder Embolektomie.
Therapie
-
▪
Die antithrombotische BehandlungLungenembolieTherapie mit Antikoagulanzien entspricht der Therapie akuter Venenthrombosen.
-
▪
NMH: Aufgrund des pathophysiologischen Zusammenhangs der LE mit einer tiefen Venenthrombose sind grundsätzlich alle zur TVT-Behandlung zugelassenen NMH geeignet. Einzelne, z. B. Tinzaparin (innohep®) und Enoxaparin (Clexane®), haben in Deutschland explizit die Zulassung zur Behandlung der LE.
-
▪
Fondaparinux, Apixaban und Rivaroxaban sind mindestens gleichwertige Alternativen der Initialbehandlung.
-
▪
Fibrinolytika sind Medikamente der Wahl in den Stadien III und IV. Aufgrund der akuten Patientengefährdung werden in Analogie zum Vorgehen bei Myokardinfarkt hoch dosierte Kurzzeitlysen bevorzugt: rt-PA (Actilyse®, 100 mg/2 h) und Urokinase (z. B. Urokinase-HS medac®, rheothromb®; 3 Mio. IE/2 h). Die initial oder begleitend begonnene Antikoagulation wird nach Einsatz des Fibrinolytikums fortgesetzt.
-
▪
Embolektomie unter Verwendung des kardiopulmonalen Bypasses: im Stadium IV bei Verfügbarkeit einer herzchirurgischen Abteilung. Bei Nichtverfügbarkeit einer herzchirurgischen Abteilung fibrinolytische Therapie unter Reanimationsbedingungen, um den drohenden letalen Verlauf abzuwenden.
-
▪
Nachfolgend Umsetzen der Antikoagulation i. d. R. auf orale Antikoagulanzien (VKA, DOAC/NOAC).
28.3
Arterielle thromboembolische Erkrankungen
28.3.1
Arteriosklerose
28.3.2
Medikamentöse Thrombozytenfunktionshemmung
Medikamente
-
▪
Acetylsalicylsäure,
-
▪
ADP-Rezeptor-Inhibitoren,
-
▪
Glykoproteinrezeptorantagonisten.
Acetylsalicylsäure (ASS)
Wirkung
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▪
Thrombozytenfunktionshemmung durch irreversible Acetylierung der Zyklooxygenase 1 (COX-1). Eine einmalige ASS-Gabe führt zur Enzyminaktivierung, die für die gesamte thrombozytäre Lebensdauer erhalten bleibt.
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Klinische Wirksamkeit über einen weiten Dosisbereich von 50–1.500 mg.
Dosierung
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Aufgrund der gastrointestinalen NW wird ASS als antithrombotisches Medikament im niedrigen Dosisbereich von 75–375 mg/d eingesetzt, in vielen Fällen ist 100 mg/d die Standarddosis.
Da die Wirkung über die gesamte Lebensdauer der primär exponierten Thrombozyten anhält, resultiert nach Absetzen ein über einige Tage abnehmendes mäßig erhöhtes Blutungsrisiko.
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In Studien wurde gezeigt, dass ASS die Inzidenz eines Rezidivs nach Myokardinfarkt, aortofemoralem Bypass, Angioplastie bzw. Stent-Implantation wie auch nach arteriosklerotisch bedingter zerebraler Ischämie um 25–30 % senken kann.
ADP-Rezeptor-Inhibitoren
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ADP-Rezeptor-InhibitorenClopidogrelClopidogrel (Plavix®, Iscover®) hat Ticlopidin aufgrund des günstigeren Nebenwirkungsprofils (weniger Agranulozytosen, mikroangiopathische Hämolysen und erworbene Hemmkörperhämophilien) abgelöst.
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Hemmung der ADP-abhängigen Plättchenaktivierung. Dadurch Verlängerung der Blutungszeit und Normalisierung einer verkürzten Plättchenüberlebenszeit.
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Dosierung: 1 × 75 mg/d.
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Der thrombozytenfunktionshemmende Effekt tritt bei der Standarddosierung von 75 mg im Gegensatz zu ASS erst nach 24–48 h ein. Eine früher einsetzende antithrombotische Wirkung ist durch eine hohe Loading Dose von 300 mg oder neuerdings sogar von 600 mg möglich.
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Einsatz bei ähnlichen Indikationen wie ASS.
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Zur Rezidivprophylaxe der arteriosklerotisch verursachten TIA und des Schlaganfalls wahrscheinlich effektiver als ASS.
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Nach Angioplastie mit Stent wird derzeit die indikations- und Stenttyp-abhängige 4-wöchige bis 6-monatige Kombination von ASS und Clopidogrel – z. T. als Tripletherapie bei zusätzlicher Indikation zur Antikoagulation (z. B. Vorhofflimmern) empfohlen. Anschließend wird die Plättchenfunktionshemmung mittels eines Medikamentes – meist ASS – fortgesetzt.
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Glykoprotein-(GP-)IIb-/-IIIa-Rezeptor-Antagonisten
Wirkung
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Glykoprotein-IIb-/-IIIa-Rezeptor-AntagonistenGP-IIb-/-IIIa-Rezeptorblockade durch monoklonale AK (Abciximab®) und niedermolekulare Substanzen wie Integrelin® und Tirofiban®.
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Inhibition der durch alle Agonisten ausgelösten Plättchenaggregation durch Blockade der Fibrinogenrezeptoren und damit Verhinderung der Brückenbildung zwischen den aktivierten Plättchen.
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Die Wirkung lässt sich mit einer medikamentös induzierten Glanzmann-Thrombozytopenie vergleichen.
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In klinischen Studien haben sich die parenteral applizierbaren GP-IIb-/-IIIa-Rezeptor-Antagonisten als erfolgreich bei der Akutprophylaxe der Re-Stenosierung nach primär erfolgreicher PTCA oder Stent-Implantation bei akutem Koronarsyndrom erwiesen.
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NW, insbes. von Abciximab: Thrombozytopenie.
Die Anwendung der GPIIb/IIIa-Inhibitoren geht mit vermehrten Blutungskomplikationen einher [Coller 2001].
28.4
Antikoagulationstherapie
28.4.1
Unfraktioniertes Heparin (UFH)
Wirkung
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HeparinunfraktioniertesGerinnungshemmung durch Bindung an Antithrombin (AT).
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Durch Bindung des AT an Heparin kommt es zur Konformationsänderung von AT, sodass dieser Inhibitor um ein Vielfaches beschleunigt eine Reihe aktivierter Gerinnungsfaktoren inhibiert, wobei die Faktoren IIa (Thrombin) und Xa im Vordergrund stehen. Aber auch weitere Serinproteasen werden inhibiert.
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Die Hemmung von Thrombin führt zur messbaren Verlängerung der Werte bestimmter Gerinnungsglobaltests. So wird in der Praxis die Verlängerung der aPTT und der Thrombinzeit (TZ) zur Therapieüberwachung eingesetzt.
Dosierung
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Therapeutische Dosis:
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Beim Erwachsenen 5.000 IE als Bolus, 1.200–2.000 IE/h. Z. T. auch deutlich höhere Dosierung erforderlich.
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Mit starken differenten interindividuellen Dosierungen ist zu rechnen. Dies liegt sowohl an der schlechten Bioverfügbarkeit der Substanz (unspezifische Proteinbindung von > 70 %, insbes. an Akute-Phase-Proteine) als auch an der zu behandelnden Grundkrankheit.
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HWZ: dosisabhängig. Bei 5.000 IE i. v.: ca. 90 min.
Nebenwirkung: heparininduzierte Thrombozytopenie Typ II (HIT II)
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Wichtigste NW bei Therapie mit Heparinen.Thrombozytopenieheparininduzierte siehe HIT HIT II
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Häufigkeit: Bei 0,5–5 % der Pat. kann es unter UFH-Therapie zu einem Abfall der Thrombozytenzahlen auf < 50 % des Ausgangswerts kommen.
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Dieser Abfall der Thrombozytenzahlen kann zusammen mit venösen und/oder arteriellen Thromboembolien aufgrund weißer Plättchenthromben auftreten (White Clot Syndrome) oder auch solchen Komplikationen vorausgehen. Die resultierenden Gefäßverschüsse können lebensbedrohlich sein.
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Verlauf: Der Abfall der Thrombozytenzahlen beginnt – typisch für einen Immunmechanismus – erst zwischen dem 5. und dem 22. Tag nach Heparin-Exposition, kann jedoch deutlich früher nach Re-Exposition auftreten. Die AK, die sich vorrangig gegen den Plättchenfaktor 4 (PF4) richten und die meist vom IgG-Typ sind, führen zur Ausbildung von Immunkomplexen (PF4-Heparin-IgG). Durch Bindung dieser Immunkomplexe an thrombozytäre FcγIIa-Rezeptoren werden Thrombozyten aktiviert. Derart aktivierte Plättchen setzen vermehrt PF4 frei, was wiederum eine Verstärkung der genannten Reaktionen auslöst. Dies kann zu venösen und/oder arteriellen Thromboembolien führen, die Thrombozytopenie ist meist Ausdruck der Elimination antikörperbeladener Plättchen im RES.
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!
Der Behandler sollte bei fortgeführter Heparin-Anwendung in den ersten 3 Therapiewochen regelmäßig Kontrollen der Thrombozytenzahlen durchzuführen.
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Diagnostik: An eine HIT II ist zu denken, wenn die Thrombozytenzahl um ≥ 50 % abnimmt oder wenn sie auf Werte < 100.000/µl abfällt. Die Verdachtsdiagnose einer HIT II kann durch entsprechende Testverfahren weiter abgesichert werden. ELISA-Tests weisen PF4-Heparin-Komplexe und Funktionstests die gesteigerte Plättchenreagibilität durch Untersuchung der Aggregation bzw. Freisetzungsreaktionen nach; in Deutschland kommt meist der heparininduzierte Plättchen-Aktivierungstest (HIPA-Test) zur Anwendung.
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Therapie: Bereits bei begründetem Verdacht auf eine HIT II ist Heparin sofort abzusetzen und durch alternative, keine HIT auslösenden antithrombotischen Medikamente (bevorzugt Danaparoid, Hirudin oder Agratroban) zu ersetzen, da der zur Heparin-Anwendung führende thrombophile Zustand nicht nur anhält, sondern durch die HIT sogar verstärkt ist. Erst nach 10–14 Tagen sollte auf VKA umgesetzt werden (28.4.6) [Greinacher 2015].
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Die Thrombozytenzahlen steigen regelhaft 3 Tage nach Absetzen von Heparin an und erreichen innerhalb von 10 Tagen den Normalbereich, u. U. kommt es zu einer reaktiven Thrombozytose.
28.4.2
Niedermolekulare Heparine (NMH)
Medikamentenprofil
Wirkung
Einsatzbereiche
28.4.3
Fondaparinux
Kumulation bei schwerer Niereninsuffizienz, da die Elimination analog den NMH überwiegend über die Niere erfolgt.
28.4.4
Danaparoid
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DanaparoidDanaparoid (Orgaran®) ist ein Gemisch aus Heparinoiden, das wegen seines geringen Sulfatierungsgrads und seiner Heparin-Freiheit nur selten Kreuzreaktionen mit den HIT-II-AK zeigt.
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Seit 1999 in Deutschland zur Fortsetzung der antithrombotischen Therapie bei HIT II nach Heparin zugelassen. Nicht immer verfügbar.
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Dosierung zur Prophylaxe: 2 × 750 IE/d s. c.
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Dosierung zur Therapie: 200–400 IE/h nach einem initialen Bolus von 2.500 IE i. v.
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Biologische HWZ: > 24 h.
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Elimination: zu 50 % renal, daher Kumulationsgefahr bei Niereninsuffizienz.
28.4.5
Direkte Thrombininhibitoren
Hirudine
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GentechnologischThrombininhibitoren, direkte hergestellte HirudinHirudine sind im Gegensatz zu Heparinen kleine Polypeptide.
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Die Thrombinbindung ist unabhängig von AT. Im Gegensatz zu Heparin, das nur zirkulierendes Thrombin bindet, kann Hirudin auch fibringebundenes Thrombin hemmen.
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HWZ: 2 h.
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Im niedrigen Konzentrationsbereich kann die Hirudin-Therapie mittels aPTT oder TZ überwacht werden, in höheren Bereichen stellt die Ecarin Clotting Time (ECT) eine probate Methode zur Antikoagulationskontrolle dar.
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Rekombinantes Hirudin ist in Deutschland als LepirudinLepirudin (Refludan®) zur Behandlung der HIT II zugelassen. Nicht ständig verfügbar.
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Therapeutische Dosis von Lepirudin: 0,2–0,4 mg/kg KG als Bolus, nachfolgend 0,1–0,15 mg/kg KG/h.
Agratroban
Dabigatranetexilat
28.4.6
Vitamin-K-Antagonisten (VKA)
Wirkung
Präparate
Da eine Vielzahl von Medikamenten zu Wechselwirkungen mit Kumarinderivaten führt, ist bei jedem Wechsel einer Begleitmedikation eine engmaschigere Gerinnungskontrolle notwendig. Die individuelle Dosis der Kumarinderivate zeigt starke individuelle Schwankungen. Die mittlere Erhaltungsdosis für Phenprocoumon beträgt 1,5–3 mg/d (½–1 Tbl./d).
Nebenwirkungen
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Neben Blutungen (oft durch ungenügende Überwachung) selten Kumarinnekrose (bevorzugt bei Protein-C-Mangel), Haarausfall, Transaminasenaktivitätsanstiege bis sehr selten fulminante Hepatitis.
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Überwachung: Thromboplastinzeit (Quick-Wert). Das Ergebnis sollte wegen der besseren Vergleichbarkeit immer als International Normalized Ratio (INR) angegeben werden.
Indikationen
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Sekundärprophylaxe der venösen Thromboembolie,
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nach Herzklappenersatz,
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bei chron. Vorhofflimmern [Ezekowitz und Falk 2004].
Kontraindikation
Überdosierung mit aktiver Blutung
28.4.7
Direkte Faktor-Xa-Inhibitoren
28.5
Fibrinolytika
Streptokinase
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Standarddosierung (Thrombose): initial 250.000 IE über 20–30 min, anschließend 100.000 IE/h i. v.
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Ultrahohe Dosierung (Thrombose): initial 250.000 IE über 20–30 min, anschließend 1,5 Mio. IE/h, jeweils über 6 h. Wiederholung nach 24 h, bis zu 5-mal.
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Dosierung bei akutem Myokardinfarkt: 1,5 Mio. IE über 1 h i. v. ohne Initialgabe.
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NW: bei kurzzeitiger Dauer (1 h) selten. Meist Blutungen aus Punktionsstellen, Hämaturie, allergische Reaktionen, Transaminasenaktivitätserhöhung. Bei mehrtägiger Lyse deutliche Zunahme der Komplikationsrate.
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Sk wird heute praktisch nicht mehr eingesetzt.
Urokinase
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Dosierung bei akutem Myokardinfarkt und akuter LE: 3 Mio. IE als Infusion über 1–2 h. Akut auch als Bolus möglich.
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Dosierung bei peripheren venösen und arteriellen Verschlüssen: unterschiedliche Schemata. Nach Bolus von z. B. 250.000 IE meist 100.000 IE/h als Erhaltungstherapie über mehrere Tage.
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NW: Blutungskomplikationen. Keine allergischen Manifestationen.
Rekombinanter Gewebeplasminogenaktivator (rt-PA)
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Indikationen: akuter Myokardinfarkt innerhalb von 6 h nach Symptombeginn, akuter Zerebralinsult innerhalb von 3–4 h, akute LE.
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Dosierung: Kurzzeitlysen z. B. in Anlehnung an GUSTO-Studie: 15 mg als Bolus, 50 mg über 30 min und 35 mg über 60 min i. v. Alternativ: 100 mg über 60–90 min i. v.
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NW: Blutungen, selten (Häufigkeit ca. 1 %) – je nach Alter und Gefäßstatus – auch zerebrale Blutungen.
Literatur
AWMF S2-Leitlinie, 2015
AWMF S3-Leitlinie, 2015
Bauer, 2003
Bleker et al., 2014
Coller, 2001
de Groot and Urbanus, 2015
Ezekowitz and Falk, 2004
CLINICAL, 2015
Hiller, 2012
Jackson and Becker, 2014
Kraaijenhagen et al., 2000
Patscheke, 2003
Petzborn, 2009
Schulz et al., 2011
Turpie et al., 2002
Wells and Forster, 2001