Methodische Grundprinzipien
Mit der Nierenersatztherapie wird die exkretorische Funktion der Nieren künstlich ersetzt. Die Elimination wasserlöslicher, niedermolekularer Urämietoxine erfolgt in erster Linie durch Diffusion anhand eines Konzentrationsgradienten über eine semipermeable Membran, die Entfernung überschüssigen Wassers mittels Ultrafiltration anhand eines transmembranären Druckgradienten.
Bei dem extrakorporalen Verfahren der Hämodialyse (HD) werden heute ausschließlich biokompatible Kapillardialysatoren verwendet. Typische Behandlungszeiten liegen bei dreimal wöchentlich 4 bis 5 Stunden, bei nächtlicher Dialyse bei 3 × 8 Stunden pro Woche.
Bei der Peritonealdialyse (PD) wird das gut kapillarisierte Bauchfell als „innere” Dialysemembran verwendet. Das Dialysat (1,5–2 l) wird über einen permanent implantierten Katheter in den Bauchraum instilliert. Durch Glukosezusatz zur Dialyseflüssigkeit wird ein osmotischer Druckgradient aufgebaut. In regelmäßigen Abständen (z.B. alle 4 bis 5 Stunden) wird das mit Urämietoxinen angereicherte Dialysat gegen frische Dialyseflüssigkeit ausgetauscht. Die PD ist ein ambulantes Dialyseverfahren, das ununterbrochen durchgeführt wird (kontinuierliche ambulante Peritonealdialyse, CAPD). Alternativ können die Dialysatwechsel in kürzeren Abständen automatisiert mithilfe eines Dialysat-Cyclers während der Nachtruhe des Patienten erfolgen (automatisierte PD, APD).
Vorbereitende Maßnahmen
Bei fortschreitender Progression der durch ein chronisches Nierenleiden verursachten Niereninsuffizienz sollte der Patient bei Erreichen einer eGFR < 30 ml/min 1,73 m2 KOF (MDRD- oder CKD-EPI-Formel) vom Nephrologen über die anstehende Notwendigkeit der Nierenersatztherapie und ihre somatischen, sozialen und psychischen Konsequenzen informiert werden. Dazu gehört auch die Information über die Möglichkeiten der Nierentransplantation einschließlich der Lebendspende von Nieren (s. Beitrag G 14).
Ebenfalls zu diesem Zeitpunkt sollte eine Hepatitis-B- und Hepatitis-C-Diagnostik durchgeführt werden. Erforderlich ist die Bestimmung von HBsAg, Anti-HBs, Anti-HBc sowie Anti-HCV. Sind die drei Hepatitis-B-Marker negativ, sollte der Patient einen Hepatitis-B-Impfzyklus mit nachfolgender Serokontrolle auf Anti-HBs erhalten.
Bei Patienten, die vor der Einleitung einer Hämodialysetherapie stehen, muss ein dauerhafter Gefäßzugang geschaffen werden. Eine native arteriovenöse Fistel am Unterarm (Brescia-Cimino-Shunt), bei schlechten Gefäßverhältnissen am Oberarm, ist einer Gefäßprothese und ganz besonders einem zentralvenösen Katheter vorzuziehen (Empfehlungsgrad B, Evidenzstärke II b; 19). Der Zeitpunkt der Shunt-Anlage hängt von der Geschwindigkeit der Nierenfunktionsverschlechterung ab. Eingeplant werden sollte, dass eine Shunt-Punktion in der Regel erst 4 bis 6 Wochen nach Anlage erfolgen kann. Ist eine PD vorgesehen, sollte der Peritonealkatheter spätestens bei Erreichen einer eGFR von ca. 10–12 ml/min implantiert werden. Generell ist ein Dialysebeginn ohne elektiv vorbereiteten Zugang zu vermeiden, da diese Konstellation mit zentralvenösen Kathetern zu einer schlechteren Überlebensprognose des Patienten führt (Empfehlungsgrad B, Evidenzstärke IIb; 1).
Aufklärung und Wahl des Verfahrens der Nierenersatztherapie
Rechtzeitig vor Eintreten der Dialysepflicht soll der behandelnde Nephrologe den Patienten und seine Angehörigen über alle möglichen Behandlungsverfahren und Organisationsformen der Nierenersatztherapie informieren, um dem Patienten die Möglichkeit zur individuellen und informierten Mitentscheidung zu geben. Hierbei sollen sowohl die medizinischen Notwendigkeiten als auch die physischen, psychischen und sozialen Lebensbedingungen des Patienten und seiner Familie einfließen. Sofern keine Kontraindikationen (schwere abdominelle Vorerkrankungen oder Operationen, unzureichende Kooperationsfähigkeit des Patienten, ungeeignetes soziales Umfeld, Adipositas permagna) bestehen, kann die PD ein hohes Maß an Patientenautonomie im Vergleich mit der Zentrumshämodialyse ermöglichen. Hinsichtlich Überlebenswahrscheinlichkeit und Komplikationsrate sind HD- und PD-Verfahren als grundsätzlich gleichwertig anzusehen (Empfehlungsgrad B, Evidenzstärke II c; 23). Begleiterkrankungen wie eine schwere Herzinsuffizienz oder pulmonale Hypertonie als (relative) Kontraindikationen der HD sprechen für die Auswahl des kontinuierlichen PD-Verfahrens.
Indikation zum Beginn der Nierenersatztherapie
Bei der Entscheidung zur Aufnahme der Dialysebehandlung werden Lebensalter, Allgemeinzustand, Komorbidität, Laborwerte und niereninsuffizienzbedingte Symptomatik berücksichtigt. Bei engmaschiger Führung und Kontrolle des Patienten sowie optimierter Behandlung der Folgekrankheiten der chronischen Niereninsuffizienz kann mit der Dialyseeinleitung in vielen Fällen bis zum Auftreten erster urämischer Symptome (Inappetenz, Übelkeit, Überwässerung, Hyperkaliämie) abgewartet werden.
Studien zeigen, dass die Sterblichkeit zunimmt, wenn der Dialysebeginn erst bei einer GFR < 6 ml/min erfolgt (
2). Ein frühzeitiger Beginn des Nierenersatzverfahrens für alle Patienten bereits bei einer GFR 10–14 ml/min führt hingegen nicht zu einer prognostischen Verbesserung (
Empfehlungsgrad A, Evidenzstärke I b; 3). Profitieren von einem frühzeitigen Beginn könnten v.a. Patienten mit begleitender Herzinsuffizienz
(Empfehlungsgrad C).
Absolute Indikationen zum Beginn der Nierenersatztherapie sind:
–
Abfall der Kreatinin-Clearance < 6 ml/min 1,73 m2 KOF oder höhere GFR-Werte mit eindeutiger urämischer Symptomatik bzw. Zeichen der deutlichen Malnutrition,
–
diätetisch und medikamentös nicht korrigierbare schwere Hyperkaliämie > 7,0 mmol/l,
–
schwere, medikamentös nicht zu korrigierende metabolische Azidose,
–
durch hoch dosierte Diuretikatherapie nicht zu beherrschende Überwässerung mit drohender Linksherzinsuffizienz und interstitiellem Lungenödem,
–
Mangelernährung, Katabolismus,
–
therapeutisch schlecht beeinflussbare schwere renale Anämie,
–
therapieresistente arterielle Hypertonie,
–
Perikarditis, Perikarderguss,
–
periphere und zentrale Neuropathie, insbesondere beim Vorliegen motorischer Ausfälle,
–
Verschlechterung des Allgemeinzustands und der urämischen Symptomatik (z.B. gastrointestinale Symptomatik, Pruritus).
Begleittherapie
Allgemeines Behandlungsziel ist die Sicherung des Überlebens bei möglichst niedriger Morbidität und Mortalität und einer Lebensqualität, die es dem Patienten ermöglicht, seinen Aktivitäten weitgehend uneingeschränkt nachzugehen. Dies erfordert neben dem Ersatz der exkretorischen Nierenfunktion auch eine Therapie der typischen Begleitkrankheiten
–
renale Anämie,
–
sekundärer Hyperparathyreoidismus; Störungen des Kalzium-/Phosphat- und Knochenstoffwechsel,
–
metabolische Azidose,
–
Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Die
renale Anämie entsteht durch eine verkürzte Erythrozytenüberlebenszeit sowie durch eine inadäquate Erythropoietinsynthese und -wirkung. Eine Korrektur erfolgt durch die Verminderung der urämischen Intoxikation durch Dialyse und die Substitution von rekombinantem humanem Erythropoietin bzw. seiner Derivate. Ein vorliegender Eisenmangel muss korrigiert werden. Empfohlene Ziel-Hämoglobinwerte liegen zwischen 10 und 12 g/dl (
Empfehlungsgrad C; L5,
13). Hämoglobinwerte > 13 g/dl sollen nicht angestrebt werden. Es gibt Hinweise auf eine Prognoseverschlechterung durch hohe Erythropoietindosen (
18). Eisenmangel ist beim Dialysepatienten aufgrund verminderter Eisenresorption bei erhöhten Hepcidin-Spiegeln, Interaktion mit Medikamenten und Eisenverlusten durch Blutabnahmen häufig und führt zu unzureichender Erythropoietinwirkung. Deswegen ist die Überwachung des Eisenstatus durch Kontrolle von Serum-Ferritin und Transferrinsättigung (Zielwerte: Ferritin 200–500 ng/ml, Transferrinsättigung > 20% [
Empfehlungsgrad B; L5,
13]) erforderlich. Bei nachgewiesenem Eisenmangel ist die intravenöse Eisensubstitution der oralen Applikation vorzuziehen (
Empfehlungsgrad A, Evidenzstärke I b; 4). Die häufige chronische Inflammation (z.B. erhöhtes CRP) führt zu einer Störung der Eisenverfügbarkeit (hohes Ferritin, niedrige Transferrinsättigung) und zu verminderter Erythropoietinwirkung.
Die Veränderungen des Kalzium- und Phosphatstoffwechsels sowie der sekundäre Hyperparathyreoidismus werden heute nicht mehr ausschließlich unter dem Aspekt der renalen Osteopathie gesehen. Neben typischen Knochenveränderungen mit hohem („high turn-over”, Osteitis fibrosa) oder niedrigem („low turn-over”, adynamer Knochen) Knochenumsatz, die beide die Frakturgefährdung steigern, sind zunehmend die ebenfalls mit dem Mineralstoffwechsel eng verbundenen Gefäßkalzifizierungen ins Blickfeld gerückt.
Die therapeutischen Bemühungen müssen dahin gehen, sowohl eine Hyperphosphatämie als auch eine hohe exogene Kalziumbeladung (Diät, Medikamente, Dialyseflüssigkeit) und einen exzessiven Hyperparathyreoidismus zu vermeiden. Hierzu stehen heute zahlreiche Angriffspunkte und Pharmaka zur Verfügung.
Maßnahmen zur Begrenzung der Hyperphosphatämie sind neben ausreichender Dialysequantität und diätetischer Phosphatrestriktion (Ziel: 800–1000 mg/Tag) die Einnahme oraler Phosphatbinder (kalziumhaltig oder nicht kalziumhaltig). Eine eindeutige Überlegenheit bestimmter Phosphatsenker konnte nicht gezeigt werden. Bei Verwendung kalziumhaltiger Präparate ist die exogene Kalziumlast einzukalkulieren, Hyperkalzämien sind zu vermeiden.
Der
sekundäre Hyperparathyreoidismus (sHPT) kann durch aktives Vitamin D und seine Derivate oder Calcimimetika behandelt werden. Der Zielbereich des Parathormons liegt beim Zwei- bis Neunfachen des oberen Grenzwerts des jeweiligen Messverfahrens (
Empfehlungsgrad C; L2). Therapierefraktäre Verläufe stellen eine Indikation zur Parathyreoidektomie dar. Risikofaktoren für eine progrediente Gefäßverkalkung sind hohes Alter, lange Dialysezeit, hohes Serum-Phosphat und hohe Kalziumbelastung. Regelmäßige Diagnostik hinsichtlich des Vorliegens von Gefäßkalzifikationen ist nicht erforderlich; sie kann jedoch z.B. im Rahmen der Transplantationsvorbereitung wünschenswert sein. Dann sind lateral-abdominelle Nativröntgenaufnahmen der Aorta sowie eine Beurteilung der Herzklappen durch Echokardiographie sinnvoll (
Empfehlungsgrad C; L2). Knochendichtemessungen sind bei Dialysepatienten nicht indiziert, da sie die vielfältigen Formen der Knochenveränderung nicht differenzieren können und kaum Vorhersagekraft für Frakturen haben (
Empfehlungsgrad B, Evidenzstärke II a;
L2,
12).
Eine therapeutische Gabe von aktiven Vitamin-D-Metaboliten bei Dialysepatienten erfolgt zur Unterdrückung des sekundären Hyperparathyreoidismus. Bei niedrigen PTH-Werten besteht jedoch die Gefahr der Induktion einer adynamen Knochenkrankheit. Bei Neigung zur Hyperkalzämie gibt es die Möglichkeit, modifizierte Vitamin-D-Präparate mit geringerer Stimulation der Kalziumresorption zu applizieren. Die Mehrzahl der chronisch Nierenkranken leidet unter einem Mangel an (inaktiven) Vitamin-D-Vorstufen. Eine Substitution mit Cholecalciferol kann die Entwicklung eines sHPT verzögern und wird bei Mangel allgemein empfohlen.
Mehr als 50% der enorm hohen Sterblichkeit chronischer Dialysepatienten werden durch
Herz-Kreislauf-Komplikationen verursacht (
20). Wichtigste morphologische Korrelate sind die Linksherzhypertrophie (bis 80% der Patienten), die Gefäßkalzifizierung mit Verlust der Elastizität (Mediasklerose) und die Atherosklerose mit Plaquebildung, Okklusion und ischämischem Organschaden. Therapeutische Ansatzpunkte sind die Optimierung des kardiovaskulären Risikoprofils, wobei keine Evidenzbasis für die bei Dialysepatienten anzustrebenden Blutdruckwerte besteht. Antihypertensive Medikation bei Dialysepatienten senkt generell das Herz-Kreislauf-Risiko (
11); als Zielwerte werden prädialytisch < 140/90 mmHg vorgeschlagen (
Empfehlungsgrad C; L1). Chronische Volumenüberladung ist zu vermeiden, Nikotinabstinenz ist ratsam. Die Therapie der Hypercholesterinämie mit Statinen konnte trotz erheblicher LDL-Absenkung keinen Überlebensvorteil für die Patienten erreichen (
8,
22). Eine Kalziumüberladung sollte vermieden werden. Das für Dialysepatienten typische Syndrom aus systemischer Inflammation, partieller Resistenz gegen Erythropoietin und Malnutrition ist eng mit hoher kardiovaskulärer Sterblichkeit vergesellschaftet. Der Nachweis einer therapeutischen Zugänglichkeit steht jedoch noch aus.
Die
renale metabolische Azidose trägt durch Stimulation von Osteoklasten und kataboler Stoffwechselprozesse zur Verminderung von Knochen- und Muskelmasse bei. Der Ausgleich der metabolischen Azidose ist eine Säule in der Behandlung der renalen Osteopathie und bei der Prophylaxe bzw. Therapie einer Malnutrition (
10). Die Behandlung der renalen metabolischen Azidose besteht in der Zufuhr von Bikarbonat, entweder während der Hämodialyse über das Dialysat oder peroral durch Gabe von Hydrogencarbonat. Behandlungsziel ist eine Blut-Bikarbonat-Konzentration zwischen 22 und 24 mmol/l, bei HD-Patienten vor der Dialysebehandlung, bei PD-Patienten zu jedem Zeitpunkt
(Empfehlungsgrad B).
Autorenadressen
Prof. Dr. med. Matthias Girndt
Klinik für Innere Medizin II
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Ernst-Grube-Str. 40
06120 Halle (Saale)
Prof. Dr. med. Reinhard Brunkhorst
KRH Klinikum Siloah-Oststadt-Heidehaus
Klinik für Nephrologie, Angiologie und Rheumatologie
Stadionbrücke 4
30459 Hannover
Prof. Dr. med. Ralf Schindler
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Campus Virchow-Klinikum
Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Nephrologie und Intensivmedizin
Augustenburger Platz 1
13353 Berlin
Prof. Dr. med. Martin K. Kuhlmann
Vivantes Klinikum im Friedrichshain
Klinik für Innere Medizin – Nephrologie
Landsberger Allee 49
10249 Berlin