© 2022 by Elsevier GmbH
Bitte nutzen Sie das untenstehende Formular um uns Kritik, Fragen oder Anregungen zukommen zu lassen.
Willkommen
Mehr InformationenB978-3-437-23751-5.10014-7
10.1016/B978-3-437-23751-5.10014-7
978-3-437-23751-5
Elsevier GmbH
Entscheidungsbaum unter Berücksichtigung der fetalen Anatomie, Fruchtwassermenge, Doppler von A. umbilicalis und A. cerebri media IUGR, intrauterine Wachstumsrestriktion:EntscheidungsbaumB978-3-437-23751-5.10014-7#idx9Intrauterine Wachstumsrestriktion (IUGR):EntscheidungsbaumB978-3-437-23751-5.10014-7#idx8
[nach Baschat 2010]. AU Abdomenumfang [A300–157]

CTG im Vergleich zum arteriellen und venösen Dopplerfrequenzspektrum bei einem wachstumsretardierten Kind in der 27. SSW
[T156]

Stufenschema der Überwachung und Entscheidung zur Entbindung
[nach Baschat 2010]
Befund | Interpretation | Maßnahme |
|
|
|
Umverteilung des Blutflusses | ||
|
|
|
Signifikante Umverteilung des Blutflusses | ||
|
|
> 34 SSW: Entbindung< 32 SSW:
|
Fetale Beeinträchtigung | ||
|
|
> 32 SSW: Entbindung< 32 SSW:
|
Fetale Dekompensation | ||
|
|
Sofortige Entbindung im Perinatalzentrum Level I |
ACM A. cerebri media, BPS biophysikalisches Profil, SSW Schwangerschaftswoche, RDS respiratory distress syndrome
Übersicht über evidenzbasierte Medizin zur intrauterinen Wachstumsretardierung
Aussage | Grad der Evidenz | Literatur | Bewertung |
Überwachung, klinisches Management | |||
Dopplersonografie reduziert die perinatale Mortalität | Ia | Alfirevic | Anhand von 20 randomisierten Studien wird der Einsatz der Dopplersonografie im klinischen Management bestätigt |
Dopplersonografie (Ductus venosus) | III | Baschat | Observationsstudie bei 121 Feten mit IGUR. Feten mit Doppleralteration im venösen Gefäßschenkel haben ein schlechteres perinatales Outcome |
Im Risikokollektiv sind serielle Ultraschalluntersuchungen mit Biometrie und Dopplersonografie sinnvoll | Ia | Alfirevic | Anhand von 20 randomisierten Studien wird der Einsatz der Verlaufsuntersuchungen befürwortet |
Low-dose-Aspirin-Gabe nur bei anamnestischem Risiko für Präeklampsie sinnvoll | Ia | Duley | Metaanalyse von 39 Studien. Aspirin zeigte keinen Einfluss auf die Wachstumsrestriktion, sondern nur auf die Wiederholungsrate der Präeklampsie |
Lungenreifeinduktion mit Kortikoiden reduziert Lungenunreife | Ia | Crowley | Review von 18 Studien. Reduktion der Lungenunreife auch bei Frühgeborenen mit Wachstumsrestriktion |
Entbindung, wenn Risiko der Frühgeburtlichkeit gering, oder bei Zeichen akuter fetaler Asphyxie | IV | GRIT-Studie | Es herrscht weiterhin große Unsicherheit, wann der optimale Entbindungszeitpunkt in Abhängigkeit von der Gestationszeit und den Überwachungsparametern (Doppler, CTG) für den Fetus ist |
Rasche Entbindung oder Zuwarten hat keinen Einfluss auf das Outcome von Kindern im Alter von 2 Jahren | Ia | Thornton | Studie an 548 Kindern, wobei eine Gruppe mit rascher Entbindung gegen eine Gruppe mit abwartendem Verhalten randomisiert wurde. Bei Zuwarten keine Zunahme der Mortalität und kein signifikanter Unterschied des Griffiths developmental score mit 2 Jahren |
Ia | Walker | Follow-up-Studie an Kindern der oben beschriebenen Auswertung mit bekanntem Outcome (N 302) im Alter von 6–13 Jahren. Kein klinisch signifikanter Unterschied zwischen rascher Entbindung und abwartendem Verhalten bzgl. geistiger und motorischer Entwicklung. |
Intrauterine Wachstumsrestriktion
-
14.1
Definition 322
-
14.2
Epidemiologie 322
-
14.3
Ätiologie und Pathophysiologie 322
-
14.4
Klinik und Diagnostik 323
-
14.5
Überwachung 325
-
14.6
Therapie und Prophylaxe 328
-
14.7
Langzeitentwicklung 329
-
14.8
Evidenzbasierte Medizin und Leitlinien 330
14.1
Definition
Das Schätzgewicht liegt in den Normkurven unterhalb der 10. Perzentile.
Untergruppe der SGA-Feten (small for gestational Small for gestational ageB978-3-437-23751-5.10014-7#idx5:subtopicage). Ca. 50–70 % der SGA-Kinder sind aufgrund ihrer genetischen Determination klein. Sie haben ihr Wachstumspotenzial voll erreicht.
14.2
Epidemiologie
-
Betroffen sind ca. 3–5 % aller Feten.
-
Die perinatale Morbidität und Mortalität der IUGR-Feten liegt erheblich über der des Normalkollektivs. Unterhalb der 1. Gewichtsperzentile versterben ca. 15 von 100 Kindern.
-
46 % aller intrauterin verstorbenen Feten zeigen eine Wachstumsrestriktion.
-
Assoziation der intrauterinen Wachstumsrestriktion mit einer erhöhten Inzidenz im Erwachsenenalter von:
–
Koronaren Herzerkrankungen.
–
Hypertonie.
–
Diabetes mellitus.
14.3
Ätiologie und Pathophysiologie
14.3.1
Grundlagen
14.3.2
Intrinsische Faktoren
-
Bedingen die proportionierte Form der IUGR. Das Verhältnis zwischen Kopf und Thorax liegt im Normbereich.
-
Betreffen ca. 20 % der IUGR-Feten.
-
Faktoren:
–
Bei genetischer Diagnostik werden häufig Triploide, Trisomie 13, 18 oder 21, Rubinstein-Taybi-Syndrom, Cornelia-de-Lange-Syndrom oder Silver-Russell-Syndrom gefunden.
–
Maternale Infektionen wie Röteln, Zytomegalie, Toxoplasmose, Listeriose oder Malaria.
-
Prognose: Sehr ungünstig.
Je früher sich eine fetale Wachstumsrestriktion manifestiert, desto höher ist der Anteil chromosomaler Störungen. Dies gilt v. a. für die intermediären Formen zwischen 16. und 24. SSW.
14.3.3
Extrinsische Faktoren
Schwangerschaftsinduzierte Hypertonie (SIH, 17.2), Präeklampsie und HELLP-Syndrom. Diese bedingen eine uteroplazentare Dysfunktion, die eine inadäquate Metabolitenzufuhr zum Fetus nach sich zieht. SIH und Präeklampsie können aufgrund thrombophiler Erkrankungen entstehen (z. B. Protein-C/S-Mangel, Faktor-V-Leiden-Mutation, Antiphospholipid-Syndrom).
Maternale Hypotonie.
Mehrlingsschwangerschaft.
Erhöhte psychosoziale Belastung.
Exogene Noxen (z. B. Nikotin, Alkohol und Drogen).
Pathophysiologische Regulationsmechanismen des Fetus bei uteroplazentarer Dysfunktion
Eine verminderte Sauerstoffzufuhr versucht der Fetus zunächst über eine erhöhte Extraktion am plazentaren Gefäßbett auszugleichen.
Bei weiterbestehender Hypoxie kommt es zu einer Umverteilung des Herzzeitvolumens zugunsten der zentralen Organe wie Gehirn, Herz und Nebennieren. Durch ein sog. preferential streaming im Bereich des Ductus venosus und des Foramen ovale wird vermehrt sauerstoffreiches Blut zum Gehirn und Herzen geleitet.
Fortbestehende Hypoxie steigert die Erythropoese.
Die Sauerstoffbindungskapazität des fetalen Blutes nimmt zu.
Der Fetus senkt seinen Energiebedarf durch eingeschränktes Körperwachstum und reduzierte Atem- und Körperbewegungen.
14.4
Klinik und Diagnostik
14.4.1
Vorgehen
Ca. 40 % aller Kinder unter der 10. Gewichtsperzentile und 46 % aller Kinder über der 90. Perzentile sind normalwüchsig. Sie haben ihr genetisches Wachstumspotenzial voll ausgeschöpft.
30 % der scheinbar normalwüchsigen Kinder sind wachstumsretardiert.
Individualized birthweight ratio: Berücksichtigung von Schwangerschaftsalter, Parität, fetalem Geschlecht, maternalem Gewicht und Größe sowie der ethnischen Zugehörigkeit.
Ponderalindex: Einfache Annäherung, der sich aus dem Quotienten von Geburtsgewicht und Scheitel-Steiß-Länge ergibt. Erst postnatal bestimmbar.
14.4.2
Diagnostische Verfahren
Bestimmung des exakten Gestationsalters
-
Regelanamnese.
-
Ultraschalluntersuchung im 1. Trimenon.
-
Ergeben sich Abweichungen von 1 Woche, muss das exakte Schwangerschaftsalter mittels wiederholter Sonografie im 1. Trimenon geklärt werden.
Symphysen-Fundus-Abstand
-
Erlaubt eine klinische Einschätzung des fetalen Wachstums in der 2. Schwangerschaftshälfte.
-
Pathologische Befunde sind Anlass für eine weitere sonografische Abklärung.
Sonografie
Morphologische Diagnostik
Sonografische Biometrie
-
Der positive Vorhersagewert sonografisch bestimmter Variablen hinsichtlich einer IUGR wurde in zahlreichen Studien untersucht. Die besten Werte erzielte der fetale Abdomenumfang.
-
Verhältnis von Kopf- und Abdomenumfang zur Unterscheidung einer proportionierten von einer dysproportionierten IUGR.
-
Gehäuft bei IUGR-Feten: Eine fortgeschrittene plazentare Verkalkung und eine reduzierte Fruchtwassermenge.
Genetische Diagnostik
-
Ab 11. SSW kann bei v. a. chromosomalen Anomalien eine Choriozottenbiopsie durchgeführt werden.
-
Nach 13 SSW lässt sich mittels Amniozentese Fruchtwasser für eine In-situ-Hybridisierung gewinnen.
-
!
Bei der FISH-Diagnostik werden chromosomale Aberrationen (z. B. Deletionen) nicht erfasst.
-
!
Bei einer spät diagnostizierten IUGR kann eine rasche Karyotypisierung aus Trophoblastzellen oder Lymphozyten (Nabelvenenpunktion) erfolgen.
Infektionsdiagnostik
Bei jeder fetalen Wachstumsrestriktion an infektiöse Ursachen denken.
Ggf. Röteln (18.1.4), Zytomegalie (18.1.6), Toxoplasmose (18.3.2), Listeriose (18.2.3), Malaria (18.3.1) u. a. abklären.
Thrombophiliediagnostik
14.5
Überwachung
Ziel: Erkennen der pathophysiologischen Mechanismen, mit denen der Fetus dem reduzierten Substratangebot begegnet.
-
Sonografische Biometrie:bei IUGRB978-3-437-23751-5.10014-7#idx12Biometrie ermittelt v. a. die Maße von Kopf und Abdomen.
-
Bei Werten unterhalb der 10. Perzentile wöchentlich kontrollieren und weitere Diagnostik veranlassen.
Bei IUGR-Feten Non-Stress-Test:bei IUGRB978-3-437-23751-5.10014-7#idx13fehlen häufig die sporadisch auftretenden Akzelerationen als Ausdruck einer verminderten fetalen Aktivität.
Die Feten haben oft aufgrund eines gesteigerten Sympathikotonus eine etwas höhere Basalfrequenz.
Bei fortdauernder Hypoxie Abnahme der Kurz- und Langzeitvariabilität.
!
Pharmaka können zu einer vorübergehenden Verminderung von Kindsbewegungen und einer Einschränkung der Oszillation führen (z. B. Kortison zur Lungenreifeinduktion, Benzodiazepine).
!
Der Wehenbelastungstest weist keinen evidenzbasierten Benefit auf und gilt daher als obsolet.
!
Ein Oligohydramnion unabhängig vom Score weiter abklären.
Indirekter Dopplersonografie:bei IUGRB978-3-437-23751-5.10014-7#idx16Hinweis auf die Widerstandsverhältnisse in verschiedenen maternalen und fetalen Gefäßabschnitten möglich.
Der frühdiastolische beidseitige Notch in der A. uterina (5.3) ist z. B. in hohem Maße mit einer gestörten Trophoblastinvasion assoziiert. Sein Persistieren über die 24. SSW hinaus gilt als Prädiktor einer Störung der uteroplazentaren Entwicklung. Das Auftreten einer Präeklampsie, IUGR, einer vorzeitigen Plazentalösung oder eines intrauterinen Fruchttodes liegt dann bei 30–50 %.
Bei IUGR-Feten findet sich gehäuft eine verminderte enddiastolische Flussgeschwindigkeit oder ein Nullfluss in der A. umbilicalis (5.3): Ausdruck einer gestörten Reifung des plazentaren Strombetts.
Bei Fortschreiten der intrauterinen Hypoxie kommt es zu einer fetalen Herzkreislaufzentralisation mit gesteigerter zerebraler Perfusion (brain sparing) aufgrund einer Abnahme des Gefäßwiderstandes in der A. cerebri media.
!
Eine Normalisierung der erhöhten zerebralen enddiastolischen Flussgeschwindigkeit wird bei präterminalen IUGR-Feten beobachtet (Abb. 14.2): Ausdruck eines Hirnödems oder/und einer myokardialen Dysfunktion. Eine normale zerebrale Blutflussgeschwindigkeit ist also auch bei einer hochpathologischen Situation zu beobachten.
!
Bei der dekompensierten Hypoxämie mit Azidämie kommt es zu einer Pulsatilitätserhöhung in den herznahen venösen Gefäßen. Dann diastolischer Rückfluss im Ductus venosus nachweisbar, der eine kardiale Dysfunktion aufgrund einer Myokardischämie widerspiegelt (Abb. 14.2). Kinder mit derartigen Störungen des Herz-Kreislauf-Systems haben eine sehr schlechte neurologische Langzeitprognose.
14.6
Therapie und Prophylaxe
14.6.1
Therapeutisches Vorgehen
Deshalb alle Zusatzrisiken, die die uteroplazentare Durchblutung belasten, reduzieren: Stressabschirmung, Bettruhe usw.
Exogene Noxen wie Nikotin oder Koffein vermeiden.
14.6.2
Medikamentöse Therapie
Kontraindiziert
-
Betablocker nicht einsetzen, da sie die Herz-Kreislauf-Zentralisation des ohnehin schon belasteten Fetus zusätzlich beeinträchtigen und über den Glukosestoffwechsel sowie über den Uterusbasaltonus wachstumsrestringierend wirken.
-
Betasymphatikomimetika ebenfalls vermeiden, da sie hypoxämische CTG-Alterationen maskieren.
Indiziert
ASS reduziert thromboembolische Ablagerungen im intervillösen Raum und hat einen vasodilatorischen Effekt.
Indikationen:
–
Vorausgegangene Schwangerschaften: Schwere Präeklampsie oder IUGR vor der 32. SSW.
–
Pathologisches Flussmuster in der A. uterina im 2. Trimenon oder bereits nachgewiesene IUGR.
Aufgrund der zirkadianen Rhythmik ASS abends einnehmen.
Dosis: 100 mg/d.
Einnahme ab der 12. SSW.
In der 37. SSW ASS absetzen, um das Blutungsrisiko bei der anstehenden Entbindung zu reduzieren.
ASS-Prophylaxe senkt das Präeklampsierisiko um 15 %, die perinatale Mortalität um 14 % und die Frühgeburtlichkeit um 8 %.
!
Keinen Effekt zeigt die ASS-Prophylaxe bei bereits vorbestehender Hypertonie, Nierenerkrankung oder Diabetes mellitus.
14.7
Langzeitentwicklung
Ein gering, aber signifikant verminderter IQ.
Häufiger: Konzentrationsschwäche, Hyperexzitabilität, Stimmungsschwankungen, Ängste.
Vermehrt leichtere neurologische Beeinträchtigungen.
Neonatale Mortalität signifikant erhöht.
Die neurologische und psychomotorische Entwicklung verzögert.
!
Frühgeborene IUGR-Kinder haben kein erhöhtes Risiko für eine peri-/intraventrikuläre Hirnblutung oder eine periventrikuläre Leukomalazie.
Literatur
Alfirevic and Neilson, 1995
Baschat, 2010
Baschat et al., 2000
Bucher and Schmidt, 1993
Crowley, 2001
Duley et al., 2001
GRIT Study Group, 1996
Neilson, 2001
Thornton et al., 2004
Walker et al., 2011