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978-3-437-41357-5
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Modell funktionaler Anpassung:funktionale\"\iAnpassung. Reiz:funktionale Anpassung\"\iReize treffen auf individuelle physiologische Voraussetzungen (Prädisposition, Leistungsphysiologie\"\iPrädisposition), die die Belastungsreaktion\"\iBelastungsreaktion mitbestimmen. Sie münden in vielfältige zelluläre und molekulare Signalwege und lösen die eigentliche Anpassung aus. Eine erhöhte Leistungsfähigkeit ist der angestrebte Effekt.
[20.1]

Signale und Signalwege. NeuromechanischeReiz:neuromechanischer und metabolische ReizeReiz:metabolischer werden von der hormonellen Regulation und neuronalen Aktivierung moduliert. Die von diesen Reizen ausgelöste Signalkaskade hat eine große Plastizität. Es kann davon ausgegangen werden, dass auf diese Weise hochdifferenzierte Vorgänge der Proteinsynthese ausgelöst werden; mTOR = „mammalian target of rapamycin“, PGC-1 = „peroxisome proliferator-activated receptor gamma coactivator 1-alpha“.
[20.2]

Körperliche AktivitätAktivität:körperliche und Neuroplastizität. Körperliche Aktivität löst in der Peripherie des Körpers viele Signale aus (Abb. 20.2). Von einer Reihe der beteiligten Faktoren (z.B. BDNF [Brain-Derived Neurotrophic Factor], VEGF [Vascular Endothelial Growth Factor]VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor)\"\i, IGF-1 [Insulin-Like Growth IGF (Insulin-Like Growth Factor)\"\iFactor 1]) ist bekannt, dass sie sich über die Blut-Hirn-Blut-Hirn-Schranke:Gehirnplastizität\"\iSchranke (gestrichelte Linie) hinweg im Gehirn auf die Neuroplastizität auswirken können.
[20.3]

Deckung des Skelettmuskulatur:Energiebedarf\"\iEnergiebedarf:Skelettmuskulatur\"\iEnergiebedarfs der Skelettmuskulatur. Kontraktion und Relaxation des Skelettmuskels benötigen ATP. Im Zytosol der Zelle laufen die Prozesse des ATP-CP-Systems wie auch die der Glykolyse ab. Beide Mechanismen der ATP-Produktion sind vergleichsweise schnell und benötigen keinen Sauerstoff. Die Gesamtenergieausbeute ist dafür relativ gering. Die oxidative Phosphorylierung findet in den Mitochondrien statt und bezieht ihre Energie aus Kohlenhydraten und Fetten. Hier sind die Energiereserven theoretisch unbegrenzt.
[20.5]

Primär- und Sekundärtransport- und -verstoffwechslung von Laktat:Verstoffwechslung\"\iLaktat. Nach der Produktion in den schnellen ZuckungsfasernZuckungsfaser:Laktat\"\i wird Laktat zu verschiedenen Orten der Verstoffwechslung transportiert. Das unterstreicht seine Bedeutung als wichtiges Stoffwechselzwischenprodukt und Signalmolekül.

Herzzeitvolumen:Ruhe\"\iHerzminutenvolumen:Ruhe\"\iHerzminutenvolumen in Ruhe und unter Herzzeitvolumen:Belastung\"\iHerzminutenvolumen:Belastung\"\iBelastung. Es besteht eine große Reaktionsbandbreite auf initiale Belastungen zwischen Ruhe und hoher Belastung (Faktor 5). Dabei ist zu beachten, dass die prozentuale Versorgung des gastrointestinalen Systems und der Haut zugunsten des Myokards und der Skelettmuskulatur deutlich verringert wird. Nieren, Skelettsystem und Gehirn bleiben auf etwa dem gleichen Niveau.
[L190]

O2-Sauerstoffbedarf\"\iBedarf, O2-Sauerstoffschuld\"\iDefizit und EPOC (excess postexercise oxygen consumption)\"\iEPOC. Der Organismus benötigt zu Beginn und am Ende einer Belastung eine gewisse Zeit, um die Sauerstoffversorgung dem Bedarf anzupassen; EPOC = „excess postexercise oxygen consumption“.
[20.5]

Energiebereitstellende Systeme.ATP (Adenosintriphosphat):Bildungsrate
[20.4]
Energiesystem | O2-Bedarf | Chemische Reaktion | Bildungsrate ATP/s | ATP/mol Substrat | Zeitliche Kapazität |
ATP-CP | nein | Kreatinphosphat zu Kreatin | 10 | 1 | < 15 s |
Glykolyse | nein | Glukose zu Glykogen oder Laktat | 5 | 2–3 | ca. 1 min |
Oxidation (Kohlenhydrate) | ja | Glukose zu CO2 und H2O | 2,5 | 36–39 | ca. 90 min |
Oxidation (Fette) | ja | freie Fettsäuren oder Triglyzeride zu CO2 und H2O | 1 | > 100 | Tage |
Arbeits- und Leistungsphysiologie
-
20.1
Reize, Signalketten und Anpassung745
-
20.2
Gehirn748
-
20.3
Skelettmuskulatur750
-
20.4
Herz-Kreislauf-System753
Zur Orientierung
Die menschliche Gesundheit ist sehr eng an die Fähigkeit gebunden, körperlich wie geistig aktiv und leistungsfähig zu sein. Das gilt für die allgemeine Gesundheit und für die Leistungsfähigkeit in der beruflichen Arbeit oder im Sport. Dazu ist ein bestimmtes Maß an Reizen erforderlich, die zumindest leistungserhaltend oder aber steigernd sind. Das wiederum erfordert ein bestimmtes Maß an physiologischer Belastung und einer daraus resultierenden Anpassung. Ist dieses notwendige Maß nicht vorhanden, führt das im Allgemeinen zu Gewebeabbau und einer Verringerung der Leistungsfähigkeit. Physiologisch reicht das Spektrum von der sehr geringen körperlichen Belastung in der Mikrogravitation (Weltraum) über klinische Situationen (Bettlägerigkeit) und solche der körperlichen Aktivität für ältere Menschen und Kinder bis hin zu Belastungssituationen des Breiten-, Leistungs- und Extremsports.
LeistungsphysiologieFür die Arbeits- und Leistungsphysiologie sind die folgenden Begriffe und Definitionen relevant:
•
ArbeitArbeit (phys.): Produkt aus Kraft und Weg [Nm], gleichbedeutend mit mechanisch übertragener Energie [J]
•
EnergieEnergie: die Fähigkeit, Arbeit zu verrichten [J]
•
körperliche Aktivität:körperlicheAktivität: durch Muskelarbeit [Nm] und den damit verbundenen Energieumsatz [J] hervorgerufene Wirkungen auf den Organismus selbst und/oder auf die Umwelt
•
ReizReiz:Definition: physikalische oder physiologische Veränderung der Umgebung, die der Organismus wahrnimmt
•
BelastungBelastung: mechanische Einwirkungen (z.B. Kräfte [N], Drücke [N/cm2], Spannungen [N/cm2]) oder metabolischer Bedarf (Energie [J]) für Organe, Gewebe oder Zellen, die über das Ruheniveau hinausgehen
•
AnpassungAnpassung: funktionelle und/oder morphologische Veränderungen von Organen, Geweben oder Zellen, die zu Verringerung, Erhalt oder Erhöhung der Leistungsfähigkeit führen
•
BelastungsreaktionBelastungsreaktion: akute, äußerlich beobachtbare und messbare physiologische Antworten des Organismus auf einen Reiz
•
LeistungLeistung: Energieumsatz pro Zeiteinheit [J/s] oder [Watt]
•
LeistungsfähigkeitLeistungsfähigkeit: die Fähigkeit, gemäß bestimmten Anforderungen eine Leistung zu erbringen
•
TrainingTraining: systematische und geplante Belastungen des Organismus mit dem Ziel der Leistungserhaltung oder steigerung
20.1
Reize, Signalketten und Anpassung
20.1.1
Reize
Systematik
•
Energiebereitstellung:
–
anaerobe, alaktazide Ausdauer
–
anaerobe, laktazide Ausdauer
–
aerobe Ausdauer
•
Masse der eingesetzten Muskulatur:
–
allgemeine Ausdauer (> 1/6 der Skelettmuskulatur)
–
lokale Ausdauer (< 1/6 der Skelettmuskulatur)
•
Dauer der Aktivität:
–
Kurzzeitausdauer: ca. 45 s–2 min
–
Mittelzeitausdauer: 2–10 min
–
Langzeitausdauer: 10–180 min
–
Ultralangzeitausdauer: > 180 min
•
Ableitungen aus Kraft-Zeit-Funktionen:
–
Maximalkraft
–
Schnellkraft
–
Reaktivkraft
–
Kraftausdauer
•
phänomenologisch nach Bewegungsabläufen:
–
Wurfkraft
–
Sprungkraft
–
Stoßkraft
–
Sprintkraft u.v.a.m.
Metabolische und neuromechanische Reize
•
Beispiel A – extremer neuromechanischer Reiz:neuromechanischerReiz:Bodenkontakt im leichtathletischen Weitsprung auf dem Brett, vertikale Bodenreaktionskräfte von bis zu 12.000 N, Zeitspanne von 120 ms mit maximaler Impulsrate der Motoneuronen aufgrund exzentrischer Kontraktion der unteren Streckschlinge (z.B. M. quadriceps femoris, M. gastrocnemius), höchste mechanische Belastungen von u.a. Aktin-Myosin-Koppelungen, Z-Scheiben, Bindegewebe, Knorpel, Sehnen.
•
Beispiel B – extremer metabolischer Reiz:metabolischerReiz:Langzeitbelastungen, z.B. im 20-fach-Ironman-Triathlon mit einer Belastungsdauer von ca. 650 h und einem mittleren Energieumsatz pro Tag von 30–35 MJ.
MERKE
Metabolische Reize führen zu einer Erhöhung des Energiebedarf:metabolischer ReizEnergiebedarfs und der Energiebereitstellung/Zeiteinheit (= Leistung) über das Ruheniveau hinaus (Syn.: Ausdauer:metabolischer ReizAusdauer).
Neuromechanische Reize führen zu einer Erhöhung der neuromuskulären Ansteuerung (z.B. Innervationsfrequenz) und mechanischen Belastung der beteiligten Gewebe (z.B. Sarkomer, Sehne) über das Ruheniveau hinaus (Syn. Kraft, neuromechanischer ReizKraft).
Umfänge und Intensitäten
MERKE
Zur genaueren Beschreibung von Reizen werden Intensitäts- und Umfangsmaße verwendet. Intensitäten können durch physikalische (z.B. Geschwindigkeit, Kraft) und physiologische Kenngrößen ausgedrückt werden (z.B. Herzfrequenz, Sauerstoffaufnahme). Umfänge werden durch die Dauer der Reizwirkung, durch die Länge von Strecken oder die Zahl von Wiederholungen bewegter Lasten charakterisiert.
20.1.2
Signalketten und Anpassung
Prädisposition
Initiale Belastungsreaktion
Signaltransduktion
•
Bei neuromechanischen ReizenReiz:neuromechanischer spielt ein Rapamycin bindendes Protein (das „mammalian target of mTOR (mammalian target of rapamycin)rapamycin“, mTOR) eine sehr wichtige Rolle. Dieses für Überleben, Wachstum und Proliferation von Zellen wichtige Enzym bildet den Anfang einer Kaskade von Signalwegen, wobei eine Aktivierung von mTOR zu einer Phosphorylierung von Schlüsselproteinen führt. Auslöser dieser Kaskade und Hochregulierung von mTOR können neuromechanische Reize auf Zellebene (Extrazellularmatrix) sein, aber auch wachstums- und ernährungsbedingte Faktoren.
•
Metabolische ReizeReiz:metabolischer führen z.B. dazu, dass der erhöhte O2-Bedarf nachreguliert wird. Der akute Energiestatus der Zelle wird dabei insbesondere durch das Enzym AMP-aktivierte Proteinkinase (AMPK; nicht identisch mit der cAMP-Kinase) überwacht, dessen Aufgabe u.a. darin besteht, die Zelle vor einem ATP-Mangel zu schützen. Bei metabolischen Reizen konvergieren mehrere Signalwege zu „peroxisome proliferator-activated receptor gamma coactivator 1-alpha“ (PGC-1α), dem eine wichtige Koordinationsfunktion („master integrator“) für verschiedene transkriptionale und posttranskriptionale Abläufe zugeschrieben wird.
Längerfristige Anpassung
•
Metabolische ReizeReiz:metabolischer führen zu Anpassungen des kardiovaskulären Systems (z.B. Vergrößerung des Herzvolumens, Angio- und/oder Vaskulogenese), der energiebereitstellenden Systeme (z.B. Zahl und Größe der Mitochondrien) und von Transportsystemen (z.B. Monocarboxylattransporter [MCT]).
•
Bei ausreichend langen und überschwelligen neuromechanischen ReizenReiz:neuromechanischer können kontraktile Gewebe hypertrophierenHypertrophie:Skelettmuskulatur (Skelettmuskulatur), aber auch bradytrophe Gewebe in ihren Eigenschaften verändert werden (z.B. Sehnensteifigkeit).
MERKE
Neuromechanische und metabolische Reize können physikalisch und physiologisch recht gut beschrieben werden. Ihre Auswirkungen auf den Organismus sind im Zusammenhang individueller Voraussetzungen (Prädisposition) zu sehen. Die Signalkaskade hat letztlich das Ziel, auf Proteinebene die Masse zu erhöhen (z.B. Muskel oder Mitochondrien), die Aktivität zu verbessern (z.B. verbesserte Rekrutierung der α-Motoneurone), die Funktion und die Lokalisation zu verändern (z.B. ein Shift von langsamen zu schnellen Zuckungsfasern in der Kniegelenkstreckmuskulatur). Der Zeitgang der angestrebten Anpassungen hängt jedoch sehr stark vom belasteten physiologischen System ab: Respiratorische Funktionen und Wasserhaushalt lassen sich sehr schnell wieder herstellen, während die Expression neuer oder die Umwandlung vorhandener Muskelfasern mehrere Wochen dauern kann.
20.2
Gehirn
20.2.1
Initiale Belastungsantwort
20.2.2
Chronische Anpassungen
•
Der BDNF (Brain-Derived Neurotrophic Factor)BDNF (Brain-Derived Neurotrophic Factor) gilt als ein Schlüsselregulator und kann bei chronischer körperlicher Aktivität verstärkt nachgewiesen werden.
•
Für den IGF-1 (Insulin-Like Growth IGF (Insulin-Like Growth Factor)Factor 1) gilt Ähnliches. Er besitzt zudem eine hohe biologische Potenz bei der Proliferation und Differenzierung von Körperzellen.
Klinik
Verbunden mit dem demografischen Wandel nimmt die Zahl neurologischer und neurodegenerativer Erkrankungen zu. Bereits heute leben in Deutschland mehr als eine Million Menschen mit Demenzerkrankungen. Geschätzte 40 Milliarden Euro pro Jahr könnten eingespart werden, wenn sich der Beginn von Demenzen um durchschnittlich 5 Jahre verzögern ließe. Metabolische und neuromechanische Reize sind geeignet, über Wachstumsfaktoren und entsprechende Signalketten zu einer verbesserten Synaptogenese, adulten Neurogenese und Angiogenese beizutragen. Durch Erhöhung der kortikalen Aktivität kann das Gehirn auch selbst neurotrophe Vorgänge auslösen.
20.3
Skelettmuskulatur
20.3.1
Initiale Belastungsreaktion
Neuronale Reaktionen
Metabolische Reaktionen
Energiebereitstellende Systeme
MERKE
Der Organismus besitzt auf die jeweilige Belastung abgestimmte Systeme zur Energiebereitstellung. Sind die energetischen Anforderungen pro Zeiteinheit hoch (z.B. schnelles Laufen), wird zunächst das ATP-CP-System genutzt. Dessen Kapazitäten sind nach ca. 12–15 s erschöpft und die Glykolyse wird genutzt. Das ist mit einer Verringerung der ATP-Produktion pro Zeiteinheit verbunden. Der pH-Wert sinkt und Laktat wird produziert. Bei individuell unterschiedlichen Maxima der Laktatkonzentration und Minima des pH-Wertes muss die körperliche Arbeit eingestellt werden.
Laktat
MERKE
Früher wurde Laktat als Ursache für Muskelermüdung, Schäden und Überlastungen angesehen. Heute stehen die vielfältigen positiven Signaleigenschaften im Vordergrund.
20.3.2
Chronische Anpassung
•
verbesserte Rekrutierung und Synchronisierung der motorischen Einheiten
•
Erhöhung der Entladungsfrequenz der α-Motoneurone
•
Reduktion der autogenen Inhibition
•
Reduktion der Antagonistenaktivität und damit Optimierung der Gelenksteifigkeit
20.4
Herz-Kreislauf-System
20.4.1
Initiale Belastungsantwort
Hämodynamik
Ventilation und Sauerstoffaufnahme
20.4.2
Chronische Anpassung
•
maximale Sauerstoffaufnahme (VO2max)
•
Herzgröße und Schlagvolumen
•
Hämoglobinmenge und konzentration
•
Größe und Zahl der Mitochondrien
•
Zahl der Laktattransporter
Klinik
Die positive, volkswirtschaftliche Bedeutung von chronischer körperlicher Aktivität als Gegenmaßnahme gegen Übergewicht und Adipositas mit allen daraus resultierenden Folgeproblemen (z.B. Bluthochdruck, Diabetes) ist anerkannt. Weil Übergewicht und Adipositas vor allem bei Kindern häufiger werden, wird die Bedeutung auch der erhöhten metabolischen Aktivität, d.h. eines erhöhten Energieumsatzes, noch zunehmen.
ZUSAMMENFASSUNG
Menschliche Gesundheit und Leistungsfähigkeit hängen physiologisch eng zusammen. Dabei sind nicht in erster Linie Höchstleistungen in Arbeit und Sport gemeint. Vielmehr geht es darum, Organe und deren Funktionen auf ein Leistungsniveau zu bringen oder es dort zu halten, das Aktivität und Mobilität sicherstellt.