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10.1016/B978-3-437-41357-5.00006-5
978-3-437-41357-5
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Potenzial- und ZNS (zentrales Nervensystem):Magnetfeldentstehung\"\iMagnetfeldentstehung, ZNS\"\iGehirn:Magnetfeldentstehung\"\iMagnetfeldentstehung im ZNS. a Zustand in Ruhe. b Synapsenaktivierung: Ein lang gestreckter neuronaler Fortsatz, z.B. ein Dendrit, wird durch die Aktivierung einer exzitatorischen Synapse lokal begrenzt depolarisiert. Es entstehen primäre transmembranöse Ionenströme (Pfeil). c Potenzialänderungen: Es entstehen lokale Membranpotenzialänderungen und Potenzialgradienten entlang der Membran. d Sekundäre intrazelluläre lonenströme erzeugen Magnetfelder, sichtbar im MEG (Magnetenzephalogramm\"\iMagnetenzephalogramm); der extrazelluläre lonenstrom erzeugt Potenziale am Widerstand des Extrazellulärraums (R), sichtbar im EEG.

Entstehungsmechanismen von einzelnen Hirnrinde:Feldpotenziale\"\iFeldpotenzial:Hirnrinde\"\iFeldpotenzialen in der Hirnrinde. Die afferente Faser (rechts im mittleren Bild) wird am Pyramidenneuron elektrisch gereizt, das mit der Faser synaptisch verbunden ist, und es werden mit den intrazellulären Mikroelektroden ME1, 2, 3 Membranpotenziale und in seinem Umfeld mit den extrazellulären Elektroden E1, 2, 3 Feldpotenziale registriert. Es wird nur eine einzelne Potenzialschwankung ausgelöst. Die dadurch verursachten Potenzialänderungen sind durch Plus- und Minuszeichen, intra- wie extrazelluläre Ströme durch unterbrochene Pfeile gekennzeichnet. Der Reizzeitpunkt ist in den Ableitungen durch einen Punkt markiert. Weitere Erläuterungen s. Text.

Entstehungsmechanismen von wellenförmigen Potenzialfolgen in der Hirnrinde. Die afferente Faser wird elektrisch gereizt. Sowohl an ihr selbst als auch am synaptisch verbundenen Pyramidenneuron werden mit den intrazellulären Mikroelektroden ME1 und ME2 Membranpotenziale registriert. An der Kortexoberfläche werden mit einer extrazellulären Elektrode die Feldpotenziale EEG und DC abgeleitet. Weitere Erläuterungen s. Text.

Elektroenzephalogramm\"\iElektroenzephalogramm (EEG) des Menschen. a Ableitungsschema mit den internationalen Bezeichnungen der Elektroden. Schematische Darstellung von unipolarerAbleitung:unipolare und bipolarer AbleitungAbleitung:bipolare. b Frequenzbänder des EEG, s.a. Tab. 6.1. c EEG bei epileptischer Aktivität, oben = scharfe Wellen, unten = Spitze-Welle-Komplexe (Spikes and Waves). d Erlöschen der EEG-Tätigkeit beim Sterben.
[6.1, 6.2]

Mittelung von Signalen (Average-Average-Verfahren\"\iVerfahrenPotenzial:evoziertes). a Sinusschwingungen großer Amplitude, aber ohne konstante zeitliche Beziehung zur Mittelungsperiode (Zeitfenster der Analyse) sind von kleinen rechteckförmigen Signalen überlagert, die mit konstanter Latenz nach Beginn der Mittelungsperiode auftreten. Bei der Summation der Signale 1–4 löschen sich die großen Sinusschwingungen gegenseitig aus, während das kleine Rechtecksignal vergrößert (summiert) abgebildet wird. b Spontane EEG-Schwankungen großer Amplitude sind von evozierten Potenzialen kleiner Amplitude überlagert, die jeweils durch Lichtblitze zu Beginn der Mittelungsperiode ausgelöst werden. Nach der Summation der Signale von 200 Mittelungsperioden ist das visuell evozierte PotenzialPotenzial:evoziertes vergrößert dargestellt, während die spontanen, nicht reizkorrelierten Potenziale ausgelöscht sind.
[6.3]

Evozierte Potenziale. a SomatosensorischPotenzial:evoziertes evoziertes Potenzial (SEP) nach Stimulierung eines peripheren Nervs (N. medianusNervus:medianus). b AkustischPotenzial:evoziertes evoziertes Potenzial (AEP) nach Aktivierung des auditorischen Systems. c VisuellPotenzial:evoziertes evoziertes Potenzial (VEP) nach Stimulierung des visuellen Systems.

Langsame, ereignisbezogene Potenzial:ereignisbezogenes langsames\"\iPotenziale. a AkustischPotenzial:evoziertes evoziertes Potenzial (AEP) mit frühen „reizkorrelierten“ und späten „ereigniskorrelierten“ Komponenten. b Erwartungspotenzial\"\iErwartungspotenzial (Contingent Negative Contingent Negative Variation\"\iVariation, CNV) zwischen St1 (ankündigender Stimulus) und St2 (erwarteter Stimulus). c Bereitschaftspotenzial\"\iBereitschaftspotenzial der Hirnrinde vor einer Willkürbewegung, die zum Zeitpunkt 0 s (Abszisse) einsetzt.
[6.4]

Magnetresonanztomografie\"\iMagnetresonanztomografie (MRT). Elemente der Bildentstehung (Schema). Mit den erhaltenen Daten können Schnittbilder in jeder Ebene errechnet werden, hier z.B. ein medianer Sagittalschnitt durch den Schädel.
[L106/V137]

Positronenemissionstomografie\"\iPositronenemissionstomogramm (PET). Elemente der Bildentstehung (Schema). Nach Injektion von 18Fluor-Desoxy-Glukose kann sich z.B. bei einem Patienten mit Hirntumor ein roter runder Bezirk nachweisen lassen, der die verstärkte Anreicherung der markierten Glukose im Tumor anzeigt.
[L106/T185]

Schlaf:Elektroenzephalogramm\"\iElektroenzephalogramm:Schlaf\"\iElektroenzephalogramm (EEG) im Schlaf und Schlafverlauf. a EEG-Registrierungen im Wachzustand, während der Schlafstadien 1–4 und im REM-Schlaf. Mit α, β, ϑ, δ sind die charakteristischen EEG-Frequenzen der Stadien gekennzeichnet; S = Schlafspindel\"\iSchlafspindeln, K = K-K-Komplex\"\iKomplex (EEG-Kurven, registriert von Dr. I. Moraidis, Schlaflabor der Ruhrlandklinik, Universitätsklinik Essen, Leiter Prof. Dr. H. Teschler). b Schlafverlauf. Die Schlafstadien 1–4 werden mehrfach durchlaufen. Paradoxe Schlafphasen mit Rapid Eye Rapid Eye Movements\"\iMovements (REM-REM-Schlaf\"\iPhasen) unterbrechen die orthodoxen Schlafphasen etwa alle 90 Minuten.

REM-REM-Schlaf\"\iSchlaf. a Registrierung des EEG, des Elektrookulogramm, REM-Schlaf\"\iElektrookulogramms (EOG) und des Elektromyografie:REM-Schlaf\"\iElektromyogramms (EMG) der Nackenmuskulatur beim REM-Schlaf. b Altersabhängigkeit der Dauer des (paradoxen) REM-REM-Schlaf:Altersabhängigkeit\"\iSchlafs, des NREM-NREM-Schlaf:Altersabhängigkeit\"\iSchlafs und des Tiefschlaf:Altersabhängigkeit\"\iTiefschlafs (T).
[6.5]

Wichtige Kerngebiete für die Entstehung und Beendigung von NREM-NREM-Schlaf:Entstehung\"\i und REM-REM-Schlaf:Entstehung\"\iSchlaf. Orthodoxer SchlafSchlaf:orthodoxer wird regelmäßig mit einer NREM-Phase eingeleitet. An der Einleitung ist der Hypothalamus:Schlafentstehung\"\iHypothalamus beteiligt, der Raphekerne im Hirnstamm aktiviert. Sie projizieren einerseits auf die Nuclei solitarii und andererseits auf die pontinen Kerne. Als Transmitter fungiert hier Serotonin. Durch die Aktivität des Nucleus solitariusNucleus:solitarius wird das aktivierende retikuläre aufsteigende System (ARAS) gehemmt und damit die Aktivität des Thalamus und des Neokortex gedämpft. Als Konsequenz tritt orthodoxer Schlaf ein. Paradoxer SchlafSchlaf:paradoxer: Mit den oben beschriebenen Prozessen steigt die Aktivität in den pontinen Kernen. Neben weiteren Prozessen hemmen diese Kerne im weiteren Verlauf die kaudalen Anteile der Formatio Formatio reticularis:REM-Schlaf\"\ireticularis. Damit kommt es zu der für den REM-Schlaf typischen muskulären Erschlaffung. Beendet wird diese Schlafphase durch eine Hemmung pontiner Kerne durch noradrenerge Neurone des Locus coeruleus, die ihrerseits durch pontine Kerne aktiviert werden (Rückkoppelungshemmung).

Tägliche Schwankungen der bioelektrischen Aktivität des Nucleus suprachiasmaticusNucleus:suprachiasmaticus (SCN), der Körpertemperatur:tägliche Schwankungen\"\iKörpertemperatur und der Zahnschmerzschwelle.

Zirkadiane Schlaf-Wach-Schlaf-wach-Rhythmus:zirkadianer\"\iPeriodik (Schlafphasen: blaue Balken) sowie Maxima (⊤) und Minima (⊥) der Körpertemperatur im Verlauf einer Woche (Ordinate), wie sie der Beobachter des Experiments erlebt. Um Zeitverschiebungen im Verlauf einer Woche deutlich zu machen, sind in jeder Zeile jeweils 2 aufeinanderfolgende Tage abgebildet. Der 2. Tag wird in der nachfolgenden Zeile jeweils zum 1. Tag. a Bei Kontakt der Versuchsperson mit der Umwelt und ihren Zeitgebern beträgt die Dauer beider Perioden 24 Stunden. Beginn und Ende der Schlafphasen sowie die Maxima und Minima der Temperatur verschieben sich während der Zeit von Sonntag bis Sonntag nicht. b Nach Ausschaltung der externen Zeitgeber und bei künstlicher Beleuchtung schläft die Versuchsperson täglich 6 Stunden später ein, während sich die Periodik der Körpertemperatur kaum verändert.
[6.6]

Entwicklung eines bedingten Reflex:bedingter\"\iReflexes. a Zeitlicher Verlauf der Konditionierung. b Entwicklung eines neuen Erregungsausbreitungswegs nach wiederholter Paarung neutraler und unkonditionierter Stimuli.

Modellvorstellungen über die Organisation von Informationsspeichern im ZNS.
[6.7]

Mutmaßliche Strukturen für das Einlesen, Speichern und Abrufen von Signalen, die das Gehirn von Rezeptoren und aus eigenen Speichern erhält. Die verschiedenen Gedächtnisformen sind von links nach rechts in der Reihenfolge ihrer Reifung angeordnet.
[6.8]

Dynamische Erregungsspeicherung in 2 rückgekoppelten Neuronenverbänden. Der Verband A erhält über den Eingang 1 z.B. Informationen über einen visuellen Reiz (Futter), der Verband B über den Eingang 2 z.B. Informationen über einen akustischen Reiz (Ton). Die beiden Informationen kreisen in den Neuronenketten, bis sie durch neue Informationen überschrieben oder durch inhibitorische Synapsen (I, rot) gelöscht werden. Über die Neurone x und y sind die beiden rückgekoppelten Ketten verbunden (Hebb-Hebb-Synapse\"\iSynapse).

Versuchsanordnung zur Analyse plastischer Eigenschaften von exzitatorischen Synapsen an einer Pyramidenzelle des Hippocampus:Informationsspeicherung\"\iHippocampus. Afferente Fasern werden mit elektrischen Einzelimpulsen (St1) und Impulsserien (St2 und St3) bestimmter Intensität (I) gereizt; die resultierenden Erregungen werden an somanahen (E1) bzw. somafernen (E2) exzitatorischen Synapsen auf eine Pyramidenzelle übertragen, in deren Soma das Membranpotenzial (MP) gemessen wird.

Langzeitpotenzierung\"\iLangzeitpotenzierung somanaher Synapse:Langzeitpotenzierung\"\iSynapsen eines Hippocampus:Langzeitpotenzierung\"\iHippocampusneurons (nach dem Versuchsaufbau in Abb. 6.19). a Registrierungen von EPSP (ausgelöst durch Reizung von E1 mit Einzelreiz St1) vor und nach 8 s dauernder hochfrequenter Reizung mit St2. b Relative Änderungen der Amplituden der EPSP nach St2 (8 s).

Übertragungseffizienz somaferner Synapsen (nach dem Versuchsaufbau in Abb. 6.19). Am Eingang E2 sind heterosynaptische Veränderungen nachweisbar, wenn der Eingang E1 mit dem Impulsmuster St2 gereizt wird. a Gleichzeitige, 8 s dauernde Reizung der Eingänge E1 und E2 mit gleichphasigen Reizen (mittlere Abbildung) vergrößert die Amplitude der durch St1 an E2 ausgelösten EPSP (Vergleich der rechten zur linken Abbildung; heterosynaptische Potenzierung). b Gegenphasige Stimulation von E1 und E2 (mittlere Abbildung) verringert die Amplitude der durch St1 an E2 ausgelösten EPSP (Vergleich der rechten zur linken Abbildung; heterosynaptische Depression).
[6.9]

Mögliche prä- und postsynaptische Mechanismen, die zur Langzeitpotenzierung:Mechanismen\"\iLangzeitpotenzierung beitragen. Präsynaptische Mechanismen: Eine hochfrequente Entladung der präsynaptischen afferenten Faser erhöht den Ca2+-Einstrom in den synaptischen Endknopf. Die erhöhte intrazelluläre Ca2+-KonzentrationKalziumkonzentration:intrazelluläre aktiviert u.a. die Adenylatcyclase (AC), die cAMP bildet, das seinerseits Proteinkinasen (PK) aktiviert. Die Proteinkinasen vermindern durch Phosphorylierung die Permeabilität eines Kaliumkanalproteins, sodass die Aktionspotenziale (AP) länger werden. Das führt zu einem zusätzlichen Ca2+-Einstrom und zu vermehrter Freisetzung von Transmittern. Postsynaptische Mechanismen: Vermehrter Ca2+-Einstrom durch Rezeptorkanäle bzw. Ca2+ Freisetzung aus dem ER (Ca2+ER) führt zur Exozytose zusätzlicher Rezeptoren (LTP). Endozytose von Rezeptoren führt zur LTD. Durch Eiweißsynthese werden die synaptischen Veränderungen konsolidiert.
[J787]

Gliederung des linken menschlichen Neokortex und laminärer Aufbau verschiedener neokortikaler Areale. a Lateralansicht mit farblicher Markierung des Okzipital-Okzipitallappen\"\i, Parietal-Parietallappen\"\i, Frontal-Frontallappen\"\i und Temporallappen\"\iTemporallappens. Gliederung der menschlichen Hirnrinde nach Brodmann-Areal(e)\"\iBrodmann (1909) aufgrund zytoarchitektonischer Merkmale in 52 Felder. b Lage unterschiedlicher sensorischer, motorischer und assoziativer Rindenfelder. Der primäre auditorische Kortex liegt auf der Heschl-Querwindung des Temporallappens innerhalb des Sulcus lateralis und ist nur teilweise sichtbar. c Zytoarchitektonische Gliederung des zerebralen Kortex. Mit Ausnahme des motorischen Kortex („agranulärer Kortex“) weist der Neokortex eine charakteristische 6-schichtige Struktur auf.
[6.10]

Kolumnäre Organisation und Informationsverarbeitung im zerebralen Kortex. a Schichtenspezifische afferente und efferente (rot) Verbindungen des Neokortex (Schema). Während Pyramidenzelle, Kolumnen\"\iPyramidenzellen in den supragranulären Schichten II/III in höhere kortikale Areale projizieren (z.B. V1 nach V2), weisen infragranuläre Pyramidenzellen „absteigende“ axonale Verbindungen auf (z.B. V2 nach V1). Sensorische Eingänge gelangen über den jeweiligen spezifischen Thalamuskern (z.B. Corpus geniculatum laterale, ventrobasaler Komplex) topografisch geordnet in die Schicht IV des entsprechenden primären kortikalen Areals (z.B. primärer visueller bzw. somatosensorischer Kortex). Von dort wird die Information sequenziell über die supragranulären Schichten II/III an Schicht V und schließlich Schicht VI weitergegeben. Schicht VI projiziert wiederum in Schicht IV und zurück in den Thalamus. Neben dieser intrakortikalen Informationsverarbeitung innerhalb einer funktionellen Kolumne existieren Wechselwirkungen zwischen benachbarten Kolumnen über horizontale Verbindungen. Weiterhin erhält der Kortex schichtenspezifisch kortikokortikale Eingänge aus anderen kortikalen Arealen (blau) und modulierende synaptische Eingänge aus den unspezifischen Thalamuskernen (grün). b Weitergehende kortikale Verarbeitung der sensorischen Information am Beispiel des somatosensorischen Systems. Die eingetragenen Zahlen geben die Brodmann-Felder an. Die kortikale Informationsverarbeitung beginnt in einem primären kortikalen Areal und wird über unimodale Assoziationskortex:unimodaler\"\iAssoziationskortizes an multimodale Assoziationskortizes im temporalen, parahippokampalen und zingulären Kortex weitergeleitet, wo sie u.a. auch emotional bewertet wird; CGL = Corpus geniculatum laterale, VB = ventrobasaler Komplex.

Parallele Verarbeitung visuellerSystem:visuelles Information im Kortex in 3 separaten Systemen. Der visuelle Reiz wird zunächst in einzelne Komponenten zerlegt, die jeweils nur eine bestimmte Eigenschaft des Gesamtbildes repräsentieren. Diese Teilbilder werden vermutlich dadurch zu einer integrierten visuellen Wahrnehmung zusammengeführt, dass räumlich getrennte, aber zeitlich synchron aktive Zellpopulationen jeweils kooperieren.

Visueller Hemineglect:visueller\"\iHemineglect. a MRT-Bild einer 68-jährigen Patientin mit einem Infarkt:visueller Hemineglect\"\iInfarkt im rechten Inferior-Parietallappen. b Registrierungen der Augenbewegungen der Patientin in (a) mit rechtshemisphärischem Infarkt. Die Patientin wurde aufgefordert, die T-Zeichen im Bild zu suchen, ignoriert jedoch alle Symbole im linken Gesichtsfeld. c–d Ein Patient mit einer Läsion in der rechten Hemisphäre ist nicht in der Lage, die Strukturen eines Würfels im linken Gesichtsfeld nachzuzeichnen.
[a, b: F424; c, d: 6.11]

Aktivitätsabhängige Reorganisation der Handrepräsentation im somatosensorischen KortexKortex:somatosensorischer. a, b Kortikale Repräsentation der Hand in der S1-Region eines Primaten (D1–D5: Daumen – kleiner Finger; P = Palmarregionen). c Kortikale Repräsentation der Hand unter normalen Bedingungen. d Amputation des Mittelfingers führt zum Verlust der D3-Repräsentation und zur Expansion von D2, D4 und P3 in die deafferenzierte Kortexregion. e Eine erhöhte taktile Stimulation des Zeige- und Mittelfingers über einen Zeitraum von wenigen Wochen induziert eine Expansion der D2- und D3-Repräsentation in das benachbarte Kortexareal. f Lokalisation, Orientierung und Stärke der mittels Magnetenzephalografie gemessenen Dipole nach somatosensorischer Stimulation des Daumens (D1) und kleinen Fingers (D5). Die an Kontrollpersonen (gelbe Pfeile) und an Streichinstrumentalisten (blaue Pfeile) gewonnenen Daten wurden auf das mittels MRT gewonnene Bild des Gehirns einer Kontrollperson projiziert. g Altersabhängige Verteilung der Dipolstärke des kleinen Fingers bei Streichinstrumentalisten (blaue Punkte) und bei Kontrollen (gelbe Punkte). Übung während der ersten 10 Lebensjahre führt zu einer vergrößerten Repräsentation des kleinen Fingers im somatosensorischen Kortex.
[L106/T489; a–e: 6.12, f–g: 6.13]

Somatosensorische kortikale Plastizität:Kortex\"\iPlastizität bei Erwachsenen. a, b Dreidimensionales MRT-Bild und mittels Magnetenzephalografie gewonnene Lokalisation der Finger und des Daumens im linken somatosensorischen Kortex eines Erwachsenen (vgl. farbcodierte Symbole des Daumens und der Finger in [c]). c Zweidimensionale Darstellung der in (b) gezeigten kortikalen Fingerrepräsentationen in der y-/z-Achse. Der Abstand zwischen der Repräsentation des Daumens (rotes Dreieck) und des kleinen Fingers (blaues Viereck) beträgt 12 mm. d Kortikale Repräsentation des Daumens und der Finger bei einem Erwachsenen mit Syndaktylie (angeborene Verwachsung bzw. Nichttrennung von Fingergliedern). Der Abstand zwischen der Repräsentation des Daumens und des kleinen Fingers beträgt nur 0,9 mm. e Gleicher Patient wie in (d), jedoch 26 Tage nach chirurgischer Trennung der Finger und des Daumens. Der Abstand zwischen der Repräsentation des Daumens und des kleinen Fingers ist auf 10,5 mm angestiegen.
[F422]

Spezialisierung der linken Hemisphäre für Sprachleistungen. a Asymmetrie des Temporallappen:Planum temporale\"\iTemporallappens bei Schnittführung in der Ebene der Fissura Sylvii [Sulcus lateralis cerebri]. Meist ist das linke Planum temporale größer als das rechte. Diese strukturelle Asymmetrie stellt die Grundlage der linkshemisphärischen Sprachdominanz dar. b Schematischer horizontaler Schnitt durch das menschliche Gehirn auf der Höhe des Corpus callosum. Verarbeitungsschritte (1–6) für das Erkennen und Benennen eines gesehenen Gegenstands nach dem Wernicke-Geschwind-Sprachverarbeitungsmodell. c Entsprechende Stationen wie b, auf die Oberfläche der linken Hemisphäre projiziert. d Modernes Modell der sprachrelevanten Kortexareale in der linken Hemisphäre.
[6.14]

Dominanz der linken Hemisphäre für Sprache. Sieht ein Split-Brain-Split-Brain-Patient\"\iPatient ein Wort, z.B. „Gabel“, in der linken Gesichtsfeldhälfte, so leugnet er, etwas zu sehen. Denn das Wort wird ausschließlich in der rechten Hemisphäre repräsentiert, die nicht zur Sprachproduktion in der Lage ist, während die linke Hemisphäre, die die Sprache kontrolliert, das Wort nicht „sieht“ (bei Präsentation des Wortes in der rechten Gesichtsfeldhälfte kann der Patient das Wort erkennen). Die linke Hand, die durch die rechte Hemisphäre kontrolliert wird, kann jedoch das entsprechende Objekt (die Gabel) korrekt aus einer Reihe von verdeckten Objekten durch Ertasten identifizieren.
[6.15]

Emotionale Verarbeitung von Emotionen:Verarbeitung von Musik\"\iMusik in der Positronenemissionstomografie:Musikverarbeitung\"\iPositronenemissionstomografie (PET), die die regionale Blutflussänderung als Indikator für die lokale Aktivität des Gehirns widerspiegelt. Es wurden für jede Versuchsperson diejenigen Stücke ausgewählt, bei denen es ihnen „kalt über den Rücken“ lief. Als Kontrollbedingung wurden emotional weniger aufwühlende Stücke gewählt. Die Untersuchung zeigt, dass bei der emotionalen Verarbeitung von Musik all jene Hirnareale beteiligt sind, für die Tierversuche eine Bedeutung für die Entstehung von Emotionen nachweisen konnten. a–c Regionen, für die sich positive Korrelationen zwischen regionalem Blutfluss und emotionaler Beteiligung ergaben: dorsomediales Mittelhirn links (Mb), rechter Thalamus (Th), Gyrus cinguli (AC), supplementär motorische Rinde (SMA), Zerebellum beidseits (Cb), ventrales Striatum links (VStr), Insula beidseits (In), orbitofrontaler Kortex rechts (Of). d–f Regionen, für die sich negative Korrelationen zwischen regionalem Blutfluss und emotionaler Beteiligung ergaben: ventromedialer präfrontaler Kortex (VMPF), visueller Kortex (VC), rechte Amygdala (Am), linker Hippocampus und Amygdala (H/Am).
[F423]

Erleben, Ausdrücken und Emotionen:Wahrnehmen\"\iWahrnehmen von Emotionen. Emotionen gehen mit subjektiv empfundenen Gefühlen einher, aber auch mit objektiv messbaren physiologischen Veränderungen. Wir können die Gefühlslage anderer durch die Wahrnehmung ihrer Gefühlsäußerungen (Gestik, Mimik, Sprachmelodie) erschließen. Gesichtsfotos, obere Reihe: typische Mimik bei Freude, Ärger, Überraschung, untere Reihe: Furcht, Trauer, Ekel.
[T516/L106]

Emotionen:Dimensionen\"\iDimensionen der Emotion. Emotionen lassen sich anhand dreier relativ unabhängiger Dimensionen klassifizieren: Valenz (Wertigkeit, positiv >> negativ), Erregung:Emotionsdimensionen\"\iErregung (Arousal, beruhigend >> erregend), Motivation:Emotionen\"\iMotivation (Annäherung >> Vermeidung).

Theorien zur Entstehung von Gefühle:Entstehung\"\iGefühlen und physiologischen Reaktionen. William James (1890) meinte, dass Emotionen nicht mit dem subjektiven „Gefühl“ beginnen, sondern dass erst die Wahrnehmung der durch den Stimulus ausgelösten vegetativen und somatischen Reaktionen zu einem Gefühlserlebnis führt. Cannon dagegen war der Meinung, dass die primäre Bewertung des wahrgenommenen Reizes durch das ZNS zu einem Gefühl führt, welches von somatischen und vegetativen Veränderungen begleitet wird. Die moderne biopsychologische Sichtweise integriert diese Sichtweisen dahin- gehend, dass sich die verschiedenen Ebenen wechselseitig beeinflussen können.

Vegetative Phobie:vegetative Reaktionen\"\iReaktionen bei Phobie. Herzfrequenz:Phobie\"\iHerzfrequenz und Blutdruckanstieg:Phobie\"\iBlutdruckveränderungen von Patienten mit einer Phobie beim Betrachten von Bildern, die für die spezielle Phobie relevantes Material abbildeten. Bei nichtphobischen Kontrollprobanden wurden keine wesentlichen Veränderungen der vegetativen Reaktionen beobachtet. Die Befunde belegen, dass die vegetative Begleitreaktion der Emotion „Angst“ unterschiedlich ausgeprägt sein kann.
[6.16]

Aufbau der Amygdala\"\iAmygdala und über den Nucleus Nucleus:centralis, Emotionen\"\icentralis vermittelte physiologische Effekte. Vereinfachte Darstellung des anatomischen Aufbaus der Amygdala und ihrer Verbindungen. Der Nucleus lateralisNucleus:lateralis erhält schnelle, unpräzise Informationen aus dem Thalamus sowie langsamere, aber genauere Informationen aus dem Assoziationskortex. Zentrale Koordinationsinstanz für die Auslösung der physiologischen Reaktionen bei Furcht und Bedrohung ist der Nucleus centralis, dessen Verbindungen und wichtigste physiologische Effekte dargestellt sind.

Furchtkonditionierung\"\iAmygdala:Furchtkonditionierung\"\iFurchtkonditionierungsexperiment bei einem gesunden menschlichen Probanden. Rechts ist die Aktivierung der rechten Amygdala (weißer Pfeil) durch einen neutralen Reiz gezeigt, der im Verlauf des Experiments mit einem aversiven lauten Ton gekoppelt war. Der Erwerb der Reizassoziation im Verlauf des Experiments ist auf der linken Seite gezeigt. Dargestellt ist das BOLD-BOLD-Signal:Furchtkonditionierung\"\iSignal („blood oxygen dependent signal“) in der funktionellen MRT, das umso stärker ist, je mehr die untersuchte Region durchblutet wird. Dieses Signal erreicht in der Amygdala ca. 10 Sekunden nach der Präsentation des konditionierten Reizes sein Maximum, wird aber im Verlauf des Experiments (von den frühen zu den späten Scans) schwächer. Daraus ist zu schließen, dass die Amygdala vor allem beim Erwerb der Assoziation aktiv ist.
[F461]

Verschiedene Stadien der Abwehrreaktion\"\iAbwehrreaktion. Unterschiedliche physiologische Systeme reagieren mit verschiedener Geschwindigkeit als Funktion des emotionalen Erregungsausmaßes.
[6.17]

Aggressivität im Labor. Die Versuchsperson spielt im Kernspintomografen mehrfach ein Reaktionsspiel gegen einen friedlichen (niedrige Provokation) oder einen aggressiven Spieler (hohe Provokation), wobei der Gewinner den Verlierer jeweils durch einen lauten, aversiven Ton bestrafen kann und die Lautstärke (als Aggressivitätsindex) gewählt werden kann. Zu Beginn des Versuchs wird der Versuchsperson mitgeteilt, ob sie gegen den aggressiven oder friedlichen Gegner spielt. Die Hirnaktivierung in dieser Phase zeigt eine vermehrte Aktivität im Gyrus cinguliGyrus:cinguli und der anterioren Insel bei Spielen gegen den provokanten, aggressiven Gegner (oben). Diese Hirnareale sind mit der emotionalen Bewertung von Situationen, die Insel speziell, mit negativen Emotionen befasst. Gewinnt der Proband und darf den Gegner bestrafen, führt dies zu einer intensiven Aktivierung des ventralen Striatums, eines wichtigen Teils des Belohnungssystems (unterer Hirnschnitt, nach Daten von Krämer, Jansma, Tempelmann, Münte).
[T516]

Frequenzbänder des EEG beim Menschen.Wachzustand:EEG-FrequenzenTiefschlaf:EEG-FrequenzenSchlaf:EEG-FrequenzenSäuglinge:EEG-FrequenzenJugendliche:EEG-FrequenzenElektroenzephalogramm:FrequenzbänderAktivitätsniveau:EEG-Frequenzen<03D1>-Welle:EEG-Frequenzen<03B4>-Welle:EEG-Frequenzen<03B2>-Welle:EEG-Frequenzen<03B1>-Welle:EEG-Frequenzen
Wellen | Frequenz | Bezug zum Reifungsgrad | Bezug zum Aktivitätsniveau |
α-Wellen | 8–13/s | Jugendliche und Erwachsene | entspannter Wachzustand bei geschlossenen Augen |
β-Wellen | 14–30/s | Jugendliche und Erwachsene | Wachzustand bei geöffneten Augen |
ϑ-Wellen | 4–7/s | Säuglings- und Kleinkindalter | Übergang vom Wachzustand zum Schlaf beim Erwachsenen |
δ-Wellen | 0,5–3/s | Säuglings- und Kleinkindalter | Tiefschlaf (alle Altersstufen) |
Schlafstadien anhand des EEG.TiefschlafSchlafspindelK-Komplex<03D1>-Welle:Schlafstadien<03B4>-Welle:Schlafstadien<03B2>-Welle:Schlafstadien
Stadium | Schlaftiefe | EEG-Kennzeichen |
1 | Einschlafphase |
|
2 | leichter Schlaf |
|
3 | mittlere Schlaftiefe |
|
4 | Tiefschlaf |
|
Charakteristika von REM- und NREM-Schlaf.REM-Schlaf\bNREM-Schlaf\b
Kriterium | REM-Schlaf | NREM-Schlaf |
vegetative Funktionen | beschleunigt | niedrig |
Hirndurchblutung | nach NREM-Schlaf Wiederanstieg auf das Ausgangsniveau | Absinken um 10% |
Berichte über Träume | häufig | selten |
Sprechen im Schlaf | sehr selten | häufig |
Implizite und explizite Gedächtnisinhalte.
Kriterium | Implizite Gedächtnisformen | Explizite Gedächtnisformen |
Unterformen |
|
|
Arbeitsfähigkeit | ab dem Babyalter | ca. ab dem 4.–5. Lebensjahr |
Informationsspeicherung | nonverbal | eher verbale Speicherung |
Funktion und Lokalisation der wichtigsten kortikalen Areale.Brodmann-Areal(e):42Brodmann-Areal(e):41Brodmann-Areal(e):22Brodmann-Areal(e):21Brodmann-Areal(e):20Brodmann-Areal(e):19Brodmann-Areal(e):18Brodmann-Areal(e):17Brodmann-Areal(e):8Brodmann-Areal(e):7Brodmann-Areal(e):6Brodmann-Areal(e):5Brodmann-Areal(e):2Assoziationskortex:limbischerAssoziationskortex:posterior-parietalerAssoziationskortex:inferior-temporalerAssoziationskortex:parieto-temporo-okzipitalerAssoziationskortex:präfrontaler
Kortikales Areal | Brodmann-Areal | Funktion |
primärer somatosensorischer Kortex (S1) | 1, 3a, 3b, Teile von 2 | Proprio-, Mechano-, Nozi-, Thermozeption |
sekundärer somatosensorischer Kortex (S2) | Teile von 2 | Proprio-, Mechano-, Nozi-, Thermozeption |
posterior-parietaler Assoziationskortex | 5, 7 | somatosensorisch, visuell |
primärer visueller Kortex (V1, Area striata) | 17 | Form-, Farben-, Bewegungs-, Tiefensehen |
sekundärer visueller Kortex (V2) | 18 | Form-, Farben-, Bewegungs-, Tiefensehen |
tertiärer visueller Kortex (V3) | Teile von 19 | hauptsächlich Formsehen |
V4 | Teile von 19 | hauptsächlich Farbensehen |
mediotemporaler Kortex (V5, MT) | Teile von 19 | hauptsächlich Bewegungssehen |
inferior-temporaler Assoziationskortex | 20, 21 | visuell |
primärer auditorischer Kortex (A1) | 41 | Tonfrequenzen |
sekundärer auditorischer Kortex (A2) | 42 | Geräusche, Melodien, Wörter, Sätze |
Wernicke-Sprachzentrum (meist links) | 22 | Sprachverständnis |
Broca-Sprachzentrum (meist links) | 44, 45 | Sprachproduktion |
parieto-temporo-okzipitaler Assoziationskortex | 39, 40 (19, 21, 22, 37) | Sprache, höhere sensorische Funktionen |
primärer motorischer Kortex (M1) | 4 | Ausführung motorisches Programm |
prämotorischer Kortex | 6, 8 | Abruf und Koordination motorisches Programm |
präfrontaler Assoziationskortex | rostral zu 6, 8 | Bewegungsplanung, kognitives Verhalten |
limbischer Assoziationskortex | 23, 24, 38, 28, 11 | Gefühle und Gedächtnis |
Aphasien und ihre jeweiligen Läsionsorte und Sprachdefizite.Wernicke-AphasieNachsprechaphasieLeitungsaphasieBroca-AphasieAphasie:sensorischeAphasie:motorischeAphasie:globaleAphasie:motorischeAphasie:sensorische
Aphasiesyndrom | Läsionsorte (linkshemisphärisch) | Sprachstörungen |
Broca-Aphasie (motorische Aphasie) | vorderes Mediastromgebiet, inferofrontal | gestörte Sprachproduktion und Wortfindung, Agrammatismus, undeutliche Artikulation |
Wernicke-Aphasie (sensorische Aphasie) | hinteres Mediastromgebiet, Gyrus temporalis superior | gestörtes Sprachverständnis, Neologismen, Paragrammatismus, „Leersprache“ |
globale Aphasie | große Läsionen im Mediastromgebiet, frontoparieto-temporal einschließlich subkortikal | Sprachverständnis und produktion gestört, Neologismen, Agrammatismus, Sprachautomatismen |
Leitungsaphasie (Nachsprechaphasie) | Fasciculus arcuatus, Inselregion | Störung des Nachsprechens, Paraphasie und grafie |
amnestische Aphasie | parietotemporal, inferofrontal | Wortfindungsstörungen |
transkortikale motorische Aphasie | mesialer und prämotorischer Frontallappen | Sprachantriebshemmung, Nachsprechen und Sprachverständnis gut erhalten |
transkortikale sensorische Aphasie | parieto-temporo-okzipitales Grenzgebiet | gestörtes Sprachverständnis, Wortfindungsstörungen |
Integrative Funktionen des Nervensystems
-
6.1
Hirnfunktionen im Spiegel des EEG250
-
6.2
Schlaf-Wach-Rhythmus258
-
6.3
Lernen und Gedächtnis265
-
6.4
Integrative Funktionen des Kortex275
-
6.5
Emotionen289
Zur Orientierung
Der neuronale Impulszustrom zum Neokortex führt zu Potenzialschwankungen in der Hirnrinde, die im Elektroenzephalogramm (EEG) erfasst werden können. Damit besteht die Möglichkeit, im Spiegel des EEG komplexe Hirnfunktionen zu untersuchen, unabhängig davon, ob es sich dabei um normale oder krankhafte Veränderungen handelt. Mit weiteren Untersuchungsverfahren (MEG, MRT, PET) ist es möglich, Hirnfunktionen zu lokalisieren und ihre Störungen zu erfassen.
Die Aufnahmebereitschaft des Gehirns ist zyklischen Schwankungen unterworfen. Diese Schwankungen der Aufmerksamkeit entstehen durch langsame, periodische Änderungen der bioelektrischen Aktivität von Neuronen im Hypothalamus und im Hirnstamm. Diese Zellen modulieren als „innere Uhren“ unter dem Einfluss von Zeitgebern der Umwelt den Impulszustrom zum Neokortex und dessen Aktivitätsniveau, was sich z.B. im Schlaf-Wach-Rhythmus äußert.
Durch Verknüpfung von Signalen aus den verschiedenen sensorischen Kanälen entstehen im Gehirn Erregungskonstellationen, die nach einem Vergleich mit bereits gespeicherten Informationen als „bedeutungsvoll“ erkannt und u.U. abgespeichert werden. Diese integrativen Lern-, Gedächtnis- und Selektionsfunktionen zentraler Neuronenverbände sind Voraussetzungen dafür, dass wir unsere Umwelt erkennen, Bewusstsein entwickeln und komplexe motorische Programme erlernen können.
Für das Wiedererkennen und das Erlernen ausgefeilter motorischer Handlungen sind komplexe sensomotorische Integrationsleistungen des Kortex erforderlich, die auf bestimmten Bau- und Verarbeitungsprinzipien des Kortex basieren. Diese Prinzipien sind für das Verständnis von Hirnfunktionsstörungen beim Ausfall von Hirnarealen und der sie verbindenden Bahnen (z.B. bei Hirnblutungen) von hoher Relevanz.
Unser Denken und Handeln wird aber nicht nur von kognitiven Prozessen bestimmt, die vor allem im Kortex stattfinden. Denken, Handeln und Bewusstsein sind stets auch affektiv getönt. Diese Emotionen, zu deren Entstehung das limbische System und der Hypothalamus wesentlich beitragen, sind oft die Triebfedern für Planen und Handeln.
6.1
Hirnfunktionen im Spiegel des EEG
6.1.1
Elektroenzephalogramm
Zur Orientierung
Von der Schädeloberfläche lassen sich Potenzialschwankungen ableiten, die in der Hirnrinde entstehen und als Elektroenzephalogramm (EEG) bezeichnet werden. Das EEG ist im Wesentlichen auf synaptische Aktivität zurückzuführen; darüber hinaus tragen Gliazellen zur Entstehung niederfrequenter Anteile des EEG bei. Nicht nur sensorische Reizungen rufen typische EEG-Potenziale (evozierte Potenziale) hervor; auch „Verarbeitungsprozesse“ im Kortex, wie Erwartungen und Vorbereitungen von motorischen Handlungen, werden durch Hirnpotenziale reflektiert. Bioelektrische Potenziale des Nervengewebes lassen sich nicht nur durch intrazelluläre Elektroden aus dem Zellinneren, sondern auch durch extrazelluläre Elektroden aus dem Umfeld von Nerven- und Gliazellen ableiten. Potenziale, die mit extrazellulären Elektroden erfassbar sind, werden als Feldpotenziale bezeichnet. Sie können räumlich so weit ausgedehnt sein, dass sie auch an der Oberfläche von Hirnstrukturen und selbst an der Schädeloberfläche als Elektroenzephalogramm (EEG) registrierbar sind (vgl. auch EKG).
Entstehung von Feldpotenzialen und Magnetfeldern
Entstehung von einzelnen Feldpotenzialen in der Hirnrinde
•
Membranpotenzial 1: Wird durch elektrische Stimulation in der afferenten Faser ein Aktionspotenzial ausgelöst, strömen an den Synapsen positiv geladene Ionen ein. Dadurch entsteht im Bereich der Mikroelektrode 1 ein exzitatorisches postsynaptisches Potenzial (EPSP; s.a. Kap. 3.4.3). Das EPSP bewirkt eine Potenzialdifferenz zu den übrigen Membranabschnitten (Verteilung der Plus- und Minuszeichen). Damit entstehen intra- und extrazelluläre elektrotonische Ionenströme (s.a. Kap. 3.3).
•
Membranpotenziale 2 und 3: Durch den Zufluss positiver Ladungen finden im Bereich der Mikroelektroden 2 und 3 (ebenso wie an der Mikroelektrode 1) Depolarisationen statt, die mit zunehmender Entfernung von den Synapsen eine geringere Steilheit und Amplitude aufweisen.
•
Feldpotenzial 1: An der extrazellulären Elektrode 1, die in der Nähe der oberflächennahen Synapsen lokalisiert ist, induziert der Abstrom von positiven Ionen aus dem Extrazellulärraum in das Neuron ein negatives Feldpotenzial.
•
Feldpotenziale 2 und 3: Auf die extrazelluläre Elektrode 3 strömen – bildlich gesprochen – positive Ladungen zu, sodass hier ein positives Feldpotenzial entsteht. Im Bereich zwischen den extrazellulären Elektroden 1 und 3 findet eine Polungsumkehr der Feldpotenziale statt. Am Umkehrpunkt (Elektrode 2) selbst entsteht kein Feldpotenzial.
MERKE
Insgesamt ist das oberflächennahe Feldpotenzial im Modellversuch der Abb. 6.2 immer dann negativ, wenn eine oberflächennahe exzitatorische (wie abgebildet) oder eine tiefe inhibitorische Synapse aktiviert wird. Es ist dagegen positiv, wenn eine oberflächennahe inhibitorische oder eine tiefe exzitatorische Synapse aktiviert wird.
Entstehung wellenförmiger Feldpotenziale in der Hirnrinde (Elektroenzephalogramm)
•
Membranpotenzial 2: In der afferenten Faser treten zunächst gruppierte Aktionspotenziale auf, die vorübergehend durch eine länger anhaltende Entladungsserie ersetzt werden.
•
Membranpotenzial 1: Die aufsteigenden Aktionspotenziale lösen an den oberflächlichen Dendriten des Neurons einzelne EPSP aus. Die EPSP summieren sich bei gegebener Entladungsfrequenz zu größeren lokalisierten Depolarisationen. Aufgrund ihres Entstehungsmechanismus sind diese Depolarisationen dem Muster des afferenten Impulszustroms zeitlich eng zugeordnet.
•
Feldpotenziale 1 und 2: Durch die exzitatorische synaptische Aktivität entstehen extrazelluläre Stromflüsse (s.a. Abb. 6.2), die wiederholt negative Feldpotenzialschwankungen an der Hirnoberfläche auslösen (Feldpotenzial 1). Folgen afferente Impulsgruppen periodisch aufeinander, so entstehen sinusförmige Potenzialschwankungen, die aus technischen Gründen in der Regel mit Wechselspannungsverstärkern (AC-Verstärker; AC = Alternating Current) registriert und als Elektroenzephalogramm (EEG) bezeichnet werden. AC-Verstärker bedingen durch ihre Filtereigenschaften, dass langsame Potenzialschwankungen nicht registriert werden.
Klinik
DC-PotenzialeDas mittlere Erregungsniveau der Hirnrinde spiegelt sich in den niederfrequenten Komponenten des DC-Potenzials wider. Das DC-Potenzial verlagert sich:
•
in negative Richtung bei anhaltender sensorischer Reizung, beim Übergang vom Schlaf- in den Wachzustand, bei epileptischen Anfällen, bei leichtem Sauerstoffmangel oder bei Applikation exzitatorischer Transmitter
•
in positive Richtung beim Übergang vom Wach- in den Schlafzustand, bei zunehmender Narkosetiefe, bei Erhöhung des Kohlendioxiddrucks oder bei Applikation inhibitorischer Transmitter
Insgesamt geht also eine Steigerung des kortikalen Aktivitätsniveaus mit einer negativen, eine Verminderung des Erregungsniveaus mit einer positiven Abweichung des DC-Potenzials einher.
Ableitung des EEG beim Menschen
Elektrodenplatzierung und Frequenzbänder
Klinik
EpilepsieMit Epilepsie (griech. epilambanein = über etwas hereinbrechen; überraschen) bezeichnet man eine Krankheit, bei der es aufgrund einer Fehlleistung des Gehirns wiederholt zu plötzlich auftretenden, vorübergehenden Funktionsstörungen des Organismus kommt, ohne dass – wenigstens bisher – eine konkrete Ursache klinisch erkennbar ist. Die Funktionsstörungen betreffen oft die Muskeltätigkeit, sodass Muskelzuckungen und Stürze häufig sind. Sie können aber auch auf den Bereich der Empfindungen oder Wahrnehmungen oder auf den vegetativen Ver- oder Entsorgungsteil des Organismus beschränkt sein.
EEG-VeränderungenZahlreiche Funktionsstörungen des Gehirns gehen mit typischen Veränderungen der EEG-Wellen einher. Daher hat das EEG in der medizinischen Diagnostik eine besondere Bedeutung erlangt:
•
Spitze-Welle-Komplexe: Bei einem epileptischen Anfall sind EEG-Wellen hoher Amplitude nachzuweisen, die als Spitzenpotenziale oder als Spitze-Welle-Komplexe in Erscheinung treten (Abb. 6.4c).
•
Spreading Depression (SD): Dabei erlischt das EEG in einem eng umschriebenen Bereich für bis zu 2 Minuten. Es entsteht eine negative DC-Potenzialschwankung hoher Amplitude. Die SD wandert mit einer Geschwindigkeit von wenigen Millimetern pro Minute über die Kortexoberfläche und kann im visuellen System z.B. wandernde Skotome verursachen. Möglicherweise spielen die SD auch eine Rolle bei der Ausbildung von Symptomen der Migräne.
•
EEG-Verlangsamung: Degenerative Veränderungen im Gehirn führen in der Regel zu einer allgemeinen Verlangsamung des EEG. Dabei können auch im Wachzustand ϑ-Wellen und vereinzelt steile Wellen eingelagert sein. Bei einer Mangeldurchblutung des Hirngewebes ist das EEG ebenfalls verlangsamt. Nimmt die Durchblutung weiterhin ab, werden ϑ-Wellen mit zunächst großer und danach abnehmender Amplitude registriert.
•
Null-Linien-EEG: Mit dem Hirntod erlischt das EEG irreversibel (Abb. 6.4d).
Evozierte Potenziale
MERKE
Evozierte Potenziale sind durch Reizung eines Sinneskanals entstandene, sog. reizkorrelierte Potenziale und äußern sich als zusätzliche EEG-Wellen.
Klinik
Evozierte PotenzialeVeränderungen der Latenzen sowie der Formen und Amplituden der evozierten Potenziale weisen auf funktionelle Störungen in den entsprechenden Sinneskanälen hin und sind demzufolge für die klinische Diagnostik bedeutsam. Mithilfe der Ableitung akustisch evozierter Potenziale (AEP) kann man eine Hörstörung schon im Säuglingsalter sowie bei Patienten erkennen, die bei der Diagnostik nicht mitarbeiten können oder wollen. Die nach 50 ms auftretende positive Welle (p50) des AEP wird auch zur Diagnostik funktioneller Störungen kognitiver Prozesse (Neuigkeitserkennung) genutzt, bei gleichartigen Doppelreizen ist die zweite p50 deutlich reduziert („sensory gating“); bei Präsentation eines abweichenden Reizes bleibt sie hoch. Bei der Multiplen Sklerose findet man häufig als eines der ersten Symptome eine charakteristische Verlängerung der Latenz der visuell evozierten Potenziale (VEP).
Langsame ereignisbezogene Potenziale
MERKE
Ereignisbezogene Potenziale folgen evozierten Potenzialen und werden kognitiven Prozessen wie Aufmerksamkeit und Erwartung des Reizes zugeordnet.
6.1.2
Ergänzende Untersuchungsmethoden
•
das Magnetenzephalogramm (MEG)
•
die Magnetresonanztomografie (MRT) und die funktionelle Magnetresonanzbildgebung (Imaging; fMRT)
•
das Positronenemissionstomogramm (PET)
MEG
MRT und fMRT
PET
ZUSAMMENFASSUNG
EEG
Weitere Untersuchungsmethoden
•
Magnetenzephalogramm (MEG): Registrierung von Magnetfeldern, die durch die Ausgleichsströme (s.o.) entstehen. Im Vergleich zum EEG erlaubt es die bessere räumliche Auflösung von Erregungsprozessen in subkortikalen Strukturen.
•
Funktionelle Magnetresonanzbildgebung (fMRT) und Magnetresonanztomografie (MRT): Sie ermöglicht die präzise Zuordnung von Hirnstrukturen und Hirnfunktionen.
•
Positronenemissionstomografie (PET): Nach Gabe von Tracern lassen sich u.a. der Hirnstoffwechsel und die Dichte von Rezeptoren für Transmitter darstellen.
6.2
Schlaf-Wach-Rhythmus
Zur Orientierung
Die Aktivität vieler Neurone des ZNS ändert sich periodisch. Das äußert sich u.a. im Schlaf-Wach-Rhythmus, aber auch in Schwankungen des Wachniveaus und der Schlaftiefe. Alle genannten spontanen Schwankungen sind auf „innere Uhren“ zurückzuführen. Oszillationen der Schlaftiefe, die den Schlafverlauf charakterisieren, lassen sich durch Bestimmungen der Weckreizschwellen erfassen. Sie spiegeln sich aber auch in typischen EEG-Mustern wider, nach denen Schlafstadien definiert werden. So nimmt die Frequenz des EEG im orthodoxen Schlaf mit zunehmender Schlaftiefe ab. Im paradoxen Schlaf ähnelt das EEG dagegen dem eines wachen Menschen. Gleichzeitig ist dabei aber die Weckschwelle hoch und der Muskeltonus besonders niedrig. In diesem Schlafstadium treten schnelle, ungerichtete Augenbewegungen (Rapid Eye Movements) auf, nach denen dieses Stadium auch als REM-Schlaf bezeichnet wird.
Auch in der Wachphase ist die Leistungsbereitschaft des Menschen periodischen Schwankungen unterworfen. So besteht in der Regel eine maximale Leistungsfähigkeit in den frühen Morgenstunden und am späten Nachmittag. Ein erstes Leistungstief tritt gegen Mittag und ein zweites, ausgeprägtes Leistungstief kurz nach Mitternacht auf. Diesem zweiten Leistungstief entgehen wir in der Regel durch den Schlaf, in dem „Erholungsprozesse“ die Leistungsbereitschaft wiederherstellen. Das ZNS hat die Aufgaben, zum einen Schlaf einzuleiten und so lange aufrechtzuerhalten, dass eine ausreichende Erholung möglich ist. Zum anderen soll es den Schlaf möglichst nachts eintreten lassen.
Zum besseren Verständnis des Schlafs sind verschiedene Teilaspekte zu analysieren. So sind neben der Phänomenologie des Schlafs die Fragen nach den Mechanismen, die zum Schlaf führen, und nach der Rhythmogenese der Schlaf-Wach-Periodik von Bedeutung.
6.2.1
Phänomenologie des Schlafs
Charakteristische Veränderungen im Schlaf
•
Die Pupillen sind eng gestellt (Schlafmiosis).
•
Die mittlere Schlaf:MiosisMiosis:SchlafHerzschlagfrequenz nimmt ab.
•
Der Herzfrequenz:SchlafGefäßtonus sinkt, und der arterielle BlutdruckBlutdruck:arterieller nimmt im Mittel ab.Blutdruckabfall:Schlaf
Klinik
ApnoeTreten im Schlaf mehr als 10 Atempausen von mindestens 10 Sekunden Dauer pro Stunde auf, so definiert dies eine Schlafapnoe, die u.U. behandelt werden muss (s.a. Kap. 10.6.2).
Schlafstadien
MERKE
Orthodoxer Schlaf = NREM-Schlaf = „slow-wave-sleep“; paradoxer Schlaf = REM-Schlaf = „fast-wave-sleep“.
MERKE
Schlaf ist nicht als unspezifische Reduktion neuronaler Aktivität aufzufassen und nicht mit dem Zustand der Bewusstlosigkeit während einer Narkose zu vergleichen.
6.2.2
Schlafentstehung
Schlafmechanismen
•
Raphekerne des Hirnstamms setzen Serotonin im Hirnstamm:SchlafentstehungSchlaf-Wach-Serotonin:SchlafentstehungRhythmus frei; wird die Serotoninfreisetzung dieser Kerngebiete unterbunden, bleiben orthodoxe und paradoxe Schlafphasen aus.
•
Neurone des Nucleus tractus solitariiNucleus:tractus solitarii sind an der Entstehung von orthodoxem Schlaf beteiligt, indem sie das aufsteigende retikuläre Aktivierungssystem (ARAS) hemmen und damit das Wachniveau senken.
•
Weitere für den Schlaf wichtige Kerngebiete finden sich im basalen Vorderhirn und im Hypothalamus.
Klinik
SerotonineinflussDa das blutdrucksenkende Pharmakon Reserpin auch Serotonin entspeichert, tritt bei Patienten, die mit hohen Dosen an Reserpin behandelt werden, oft Schlaflosigkeit (Insomnie) auf. Durch den Serotonin-Präkursor Tryptophan kehrt orthodoxer Schlaf u.U. zurück, während der paradoxe Schlaf weiterhin ausbleibt.
HypothalamustumorenSeit Langem ist bekannt, dass Tumoren im Hypothalamus je nach Lokalisation zu abnormer Schläfrigkeit (Somnolenz) oder Schlaflosigkeit führen können und dass elektrische Reizung der hypothalamischen Area praeoptica im Tierexperiment Schlaf auslöst.
Klinik
Kataplexie, NarkolepsieEreignen sich REM-Phasen-analoge Episoden im Wachzustand spontan oder nach starken Emotionen, lösen sie einen oft vollständigen Tonusverlust (Kataplexie) und Sekunden bis Minuten dauernde, nicht zu unterdrückende Schlafanfälle aus, die sich im Abstand von ca. 90 Minuten wiederholen können. Dieses Krankheitsbild der Hypersomnie, zu der eine gesteigerte Müdigkeit während des Tages gehört, wird als Narkolepsie bezeichnet. Narkolepsie wird z.B. durch Pharmaka behandelt, die die hemmende Wirkung der adrenergen Locus-coeruleus-Neurone auf die cholinergen REM-On-Neurone verstärken oder die Aktivität dieser REM-On-Neurone direkt unterdrücken.
MERKE
Schlaf wird durch verschiedene, zum Teil weit auseinanderliegende Strukturen eingeleitet. Ein isoliertes Schlafzentrum scheint es nicht zu geben. Daher werden zusätzliche Strukturen für die Synchronisierung der schlafinduzierenden Prozesse und für die Schlafrhythmogenese benötigt.
Rhythmogenese des Schlafs
6.2.3
Zirkadiane Rhythmik
Endogene Oszillatoren und externe Zeitgeber
MERKE
Externe Zeitgeber wirken unterschiedlich stark auf endogene Rhythmen, je nachdem um welchen Rhythmus es sich handelt und in welcher Phase sich der Rhythmus gerade befindet.
Organisation der Schrittmacher
•
periodische Helligkeitsschwankungen aufgrund der Tag-Nacht-Folge
•
Kenntnis der Uhrzeit
Klinik
JetlagDie Abhängigkeit der Schlaf-Wach-Periodik von Zeitgebern wird nicht nur durch ihre Ausschaltung im Experiment deutlich. Sind die Signale der Zeitgeber z.B. nach einem Transatlantikflug zeitlich verschoben, können erhebliche Schlafprobleme, Vigilanzstörungen, Unwohlsein und andere Symptome des „Jetlags“ auftreten. Flüge nach Westen, die den Tag künstlich verlängern, führen zu geringeren Diskrepanzen zwischen den verschobenen Zeitgebersignalen und den endogenen Schlaf-Wach-Perioden (die bei den meisten Menschen 25 bis 26 Stunden betragen) als Flüge nach Osten. So führen z.B. Flüge von Europa in die USA in der Regel zu kürzeren und leichteren Jetlag-Symptomen als die Rückflüge. In der Regel dauert es mehr als eine Woche, bis die nach der Rückkehr erneut verschobenen Zeitgeber mit der Schlaf-Wach-Periodik und den anderen Rhythmen wieder resynchronisiert sind. Dauer und Ausmaß der Jetlag-Störungen lassen sich deutlich mindern, wenn die betroffenen Personen ihre Aktivität sofort den neuen Zeitgebern anpassen. Zu dieser beschleunigten Adaptation trägt u.a. bei, dass die Aktivität der Effektoren die zirkadianen Generatoren rückwirkend beeinflusst (s.o.). Ausgiebiger Aufenthalt im Sonnenschein beschleunigt zusätzlich die Verschiebung der Schlaf-Wach-Phasen. Schließlich kann auch die Einnahme von Melatonin das „phase setting“ und damit die Resynchronisierung der externen und internen Rhythmen erleichtern.
NachtarbeitBesonders problematisch kann die zirkadiane Rhythmik für Menschen sein, die nachts arbeiten. Wenn sich ihre sozialen Zeitgeber vor allem aus dem Lebensrhythmus der Familie ergeben, können sie kaum eine Übereinstimmung ihrer „inneren Uhr“ und ihres Schlaf-Wach-Rhythmus erreichen. So ist ihr Schlaf nach der Arbeitsschicht in der Regel zu kurz, da die „innere Uhr“ sie auf eine ergotrope Phase vorzubereiten sucht. Während der Nachtarbeit sind solche Personen u.U. auf eine trophotrope Phase eingestellt. Die Aufmerksamkeit kann dann so weit herabgesetzt sein, dass z.B. Unfallrisiken erhöht sind. Schließlich können sich unabhängig von Unfallfolgen neben Schlafstörungen weitere erhebliche gesundheitliche Störungen entwickeln, wenn sich die innere Uhr, die uns auf die Möglichkeiten und Risiken der nächsten Stunden vorbereiten soll, über mehrere Tage nicht mit der Umwelt synchronisieren lässt.
6.2.4
Schlafentzug
Klinik
Schlafentzug als antidepressive TherapieBei depressiven Patienten finden sich oft Störungen des Schlafmusters. So ist die Dauer ihrer Tiefschlafphasen in der Regel verkürzt, und REM-Phasen mit negativem Trauminhalt haben einen erhöhten Anteil am Gesamtschlaf. Werden diese Patienten in der 2. Nachthälfte gezielt wach gehalten, um ihren REM-Schlaf zu verkürzen, bessert sich bei der Hälfte während der Schlafentzugsbehandlungen ihre Stimmung deutlich (wer sonntags bis zum Mittag schläft, ist danach häufig verstimmt!). Erfolgreiche Behandlungen depressiver Patienten mit trizyklischen Antidepressiva normalisieren nicht nur ihre Stimmungslage, sondern auch ihre Schlafstruktur.
ZUSAMMENFASSUNG
Schlafphänomenologie
Schlafentstehung
Zirkadiane Rhythmik
6.3
Lernen und Gedächtnis
Zur Orientierung
Wir lernen, wenn wir unser Wissen vermehren. Wir haben gelernt, wenn wir zufällige Handlungen, die sich als vorteilhaft erwiesen haben, gezielt wiederholen und Handlungen meiden, die uns schaden. Die Fähigkeit zu lernen setzt voraus, dass wir Informationen über Handlungen, Erfolge, Misserfolge u.a. abrufbar speichern. Diese Speicher sind unser Gedächtnis, das mehrstufig organisiert ist. Zunächst werden in einem sensorischen Gedächtnis und anschließend in einem Kurzzeitgedächtnis Informationen analysiert und in flüchtiger Form „bioelektrisch“ über Sekunden bis Minuten aufbewahrt. Insbesondere bedeutungsvolle Daten werden anschließend in Langzeitgedächtnissen auf molekularer Ebene gespeichert.
6.3.1
Lernen
Klassische Konditionierung
MERKE
Im Gegensatz zu unbedingten Reflexen erlöschen bedingte Reflexe, wenn sie nicht regelmäßig durch enge zeitliche Koppelung von unbedingten und bedingten Reizen benutzt oder verstärkt werden.
Operante (instrumentelle) Konditionierung
Klinik
BiofeedbackOperante Konditionierungen werden in der sog. Verhaltensmedizin in zunehmendem Umfang erfolgreich bei der Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Kopfschmerzen, Haltungsstörungen u.a. eingesetzt. Wird einem Patienten z.B. kontinuierlich die Höhe seiner Herzschlagfrequenz gemeldet und eine deutliche Senkung der Schlagfrequenz belohnt, erwirbt der Patient mit dieser Biofeedback-Methode eine gewisse Kontrolle über diesen wichtigen kreislaufphysiologischen Parameter. Entsprechend können Patienten sogar ihre Wahrnehmungsprozesse widerspiegelnde ereigniskorrelierte Potenziale (Kap. 6.1.1) beeinflussen und damit z.B. Schmerzempfindungen kontrollieren. Mit den Techniken der operanten Konditionierung erlaubt Biofeedback also dem Patienten, durch Rückmeldung und Belohnung (positiver Verstärker) gestörte Organfunktionen zu normalisieren und Empfindungen zu beeinflussen.
Kognitive Leistungen
6.3.2
Gedächtnis
Gedächtnis: Speichern und Vergessen
Sensorisches Gedächtnis
Kurzzeitgedächtnis
•
ein phonologischer Speicher, der sprachbezogene Informationen aus dem auditorischen oder visuellen System aufnimmt
•
eine artikulatorische Kontrolle, die auf innerem Sprechen basiert
•
ein visuell-räumlicher „Notizblock“, der z.B. für die Bildung räumlicher Vorstellungen verantwortlich sein soll
Langzeitgedächtnis
•
die sich als bedeutungsarm erwiesen haben,
•
die vor langer Zeit abgespeichert und vor langer Zeit zum letzten Mal abgerufen worden sind,
•
bei denen die Motivationslage zum Zeitpunkt der Einspeicherung oder des Abrufs gering ist.
•
Priming: Dies ist ein vorbewusstes Gedächtnis, das bereits im PrimingBabyalter arbeitet. Es erlaubt das Wiedererkennen von Sinneseindrücken und Reizen und funktioniert auch dann, wenn die neuen Sinneseindrücke vorausgegangenen nur ähnlich sind. Auch Erwachsene benutzen das Priming, wenn sie neuartige Reize von bekannten abgrenzen oder wenn sie unvollständige Wörter, Sätze oder Bilder vervollständigen.
•
Prozedurales Gedächtnis: Dieses Verhaltensgedächtnis entwickelt Gedächtnis:prozeduralessich ebenfalls im Babyalter. Es speichert nicht verbalisierte Informationen darüber, wie etwas geschieht (z.B. wie man beim Krabbeln schnell vorankommt, aber auch, wie ein Schlips geknotet wird oder wie man Fahrrad fährt).
•
Semantisches Gedächtnis: Das semantische Gedächtnis speichert Gedächtnis:semantischesBedeutungen von Begriffen, Zeichen und Symbolen, wie z.B. die Information, dass Rom die Hauptstadt von Italien ist.
•
Episodisches Gedächtnis: Im episodischen Gedächtnis werden dagegenGedächtnis:episodisches persönlich erlebte, durch Ort und Zeit definierbare Erfahrungen gespeichert, wie z.B. Erinnerungen an eine schöne Reise.
Lokalisation der Speicher
Hirnstrukturen für die Speicherung
Nachweis speicherrelevanter Hirnstrukturen
Klinik
Anterograde AmnesieDer Hippocampus, der Mandelkern und weitere Strukturen des limbischen Systems sind daran beteiligt, zu speichernde Inhalte zu sortieren, sie miteinander zu verbinden, emotional zu tönen und aus dem Kurzzeitgedächtnis in das deklarative Langzeitgedächtnis zu überführen. Bei diesen komplexen Aufgaben spielen räumlich eng begrenzte Strukturen eine Schlüsselrolle. Daher muss ihr Ausfall zu schweren Störungen führen:
•
Hippocampusläsionen: Patienten mit bilateralen Läsionen des Hippocampus können sich zwar an lang zurückliegende Ereignisse erinnern und neue Ereignisse so lange im Kurzzeitgedächtnis „behalten“, wie sie sie memorieren. Neue Informationen in das deklarative Langzeitgedächtnis zu überführen ist ihnen jedoch unmöglich (anterograde Amnesie). Dagegen können sie nach wie vor Informationen im prozeduralen Langzeitgedächtnis speichern. Ein solcher Patient kann also neue Geschicklichkeiten entwickeln, ohne es zu bemerken (s.o.).
•
Alzheimer-Krankheit: Die Unfähigkeit, Informationen zu konsolidieren, ist nicht nur nach akuten Läsionen im limbischen System, sondern auch bei degenerativen Veränderungen und Verlust von Neuronen vor allem im Bereich des Hippocampus und des Mandelkerns bei Patienten mit präseniler Demenz (Alzheimer-Krankheit) zu beobachten.
•
Korsakow-Syndrom: Störungen des deklarativen Gedächtnisses finden sich auch, wenn z.B. bei chronischen Alkoholikern mit Thiaminmangel Elemente des sog. Papez-Kreises geschädigt sind. So liegt beim Korsakow-Syndrom eine Merkschwäche mit zeitlicher und örtlicher Desorientierung vor. Zu diesen (auch für emotionelle Tönungen offensichtlich wichtigen) Elementen des Papez-Kreises gehören der Hippocampus, die Corpora mammillaria, der Hypothalamus, anteriore und dorsomediale Kerngebiete des Dienzephalons und der Gyrus cinguli, der wieder mit dem Hippocampus, aber auch mit dem Neokortex verbunden ist. Im präfrontalen Kortex werden die Signale zeitlich und örtlich analysiert. Schwer erkrankten Korsakow-Patienten gelingt es weder, Signale ausreichend zu analysieren, noch, Informationen in das deklarative Gedächtnis zu überführen.
Retrograde AmnesieBei diesem Gedächtnisverlust gehen Erinnerungen an Zeitabschnitte verloren, die vor einer Störung der Hirnfunktion liegen. Ursachen einer solchen retrograden Amnesie können z.B. sein:
•
Gehirnerschütterung (Commotio cerebri), Narkose, schwere Hypoglykämie, Hypothermie oder Elektroschock: Durch diese Ereignisse wird vor allem das Primärgedächtnis betroffen, während das sekundäre Langzeitgedächtnis weniger und das tertiäre Langzeitgedächtnis in der Regel nicht gestört wird. Diese Beobachtung deutet darauf hin, dass das Kurzzeit- und das Langzeitgedächtnis unterschiedlich speichern.
•
Schäden im basalen Stirnhirn: Sie behindern offensichtlich den Abruf von Informationen, die vor der Schädigung gespeichert worden sind. Es hat sich gezeigt, dass Läsionen des rechten Frontallappens eher den Abruf aus dem episodischen Gedächtnis erschweren, während linksseitige Schäden eher das semantische Gedächtnis betreffen (Kap. 6.4).
SprachstörungenAktivierungsmuster der Hirnrinde zeigen, dass Mutter- und Fremdsprachen in der Regel in unterschiedlichen kortikalen Strukturen gespeichert werden. Von mehrsprachigen Patienten mit Temporallappenepilepsie wird berichtet, dass sie während der Anfallsentwicklung von ihrer Muttersprache in eine Fremdsprache wechseln. Zudem können Läsionen im perisylvischen Bereich des Frontallappens selektiv nur eine Sprache beeinträchtigen. Funktionelle Magnetresonanzbilder (fMRT; Kap. 6.1.2) haben bestätigt, dass tatsächlich motorische Programme für Fremdsprachen, die nach dem 10. Lebensjahr gelernt worden sind, in einem Bereich des Broca-Areals (Brodmann-Areal 44; Abb. 6.23) verankert sind, das etwa 1 cm von den Speicherstrukturen für die Muttersprache entfernt ist. Wurde die 2. Sprache vor dem 8. Lebensjahr gelernt, ist eine solche räumliche Trennung nicht nachzuweisen.
Mechanismen der Informationsspeicherung im ZNS
Bioelektrische Phänomene
MERKE
Die Übertragungseffizienz von Synapsen hängt von der vorausgegangenen bioelektrischen Aktivität der betroffenen Neurone ab.
•
Wird der Eingang 1 mit Einzelreizen (St1 in Abb. 6.19) aktiviert, sind in der Registrierung des Membranpotenzials stereotype EPSP zu sehen (Abb. 6.20a, obere 2 Kurven).
•
Wird der Eingang 1 aber für wenige Sekunden mit Reizserien stimuliert (St2 in Abb. 6.19), nimmt die Amplitude der durch Einzelreize ausgelösten EPSP nach dieser Stimulation rasch zu (Abb. 6.20a, untere 2 Kurven und Abb. 6.20b). Die gesteigerte synaptische Übertragungseffizienz bleibt über Stunden und Tage gesteigert. Dieses Phänomen wird als Langzeitpotenzierung (Long-Term-Potentiation, LTP) bezeichnet.
•
Reizserien lösen Langzeitpotenzierungam Eingang E2 (LTP (Long-Term-Potentiation)somaferne Synapse) keine LTP aus (ohne Abbildung).
•
Werden die Eingänge E1 und E2 gleichzeitig und phasengleich stimuliert (Abb. 6.21a), ist auch bei Einzelreizen des Eingangs E2 ein vergrößertes EPSP zu sehen („heterosynaptische“ LTP).
•
Werden die Eingänge E1 und E2 abwechselnd, gegenphasig gereizt, nimmt die Amplitude der EPSP über lange Zeit ab (Abb. 6.21b). Gleiches gilt, wird Eingang E1 über mehr als 10 Minuten niederfrequent (1/s) gereizt wird. Dieses Phänomen wird als Langzeitdepression (Long-Term-Depression, LTD) bezeichnet.
Molekulare Mechanismen
•
Summationsvorgänge können über eine verstärkte Depolarisation einzelner Dendritenabschnitte zur Aktivierung spannungsgesteuerter Kalziumkanäle und entsprechend einem lokalen Ca2+-Einstrom führen.
•
Ca2+ kann aber auch durch NMDA-Rezeptoren in die Zelle einströmen. Dazu müssen 2 Voraussetzungen NMDA-Rezeptor:Koinzidenzdetektionerfüllt sein:
–
Glutamat muss an den NMDA-Rezeptor binden (Kap. 3.4.2).
–
Die Glutamat:Koinzidenzdetektionpostsynaptische Zellmembran muss so stark depolarisiert sein, dass Magnesiumionen, die diesen Kanal normalerweise blockieren, aus der Kanalpore austreten und den Ca2+-Einstrom zulassen. Die Depolarisation ist dabei z.B. durch somatische Aktionspotenziale möglich, die sich in den Dendritenbaum ausbreiten (sog. „back-propagating spikes“) oder auch durch Koaktivierung anderer Glutamatrezeptoren (z.B. AMPA-Rezeptoren, Kap. 3.4.2), welche keinen Magnesiumblock zeigen).
•
Ca2+ kann weiter über IP3-Rezeptoren aus dem endoplasmatischen Retikulum (ER) freigesetzt werden. Auch hierfür müssen 2 Voraussetzungen erfüllt sein:
–
Glutamat muss an metabotrope Glutamatrezeptoren binden, die über Aktivierung der Phospholipase C die Phospholipase:Clokale Produktion von IP3 bewirken (Kap. 3.4.2).
–
Die postsynaptische Ca2+-Konzentration muss z.B. durch Aktivierung spannungsgesteuerter Kalziumkanäle bereits leicht erhöht sein, um eine optimale Aktivierung der IP3-Rezeptoren am ER bewirken zu können, an denen Ca2+ als Koagonist wirkt.
•
Präsynaptisch kann die Anzahl der sog. aktiven Zonen verändert werden, also der Orte, an denen Neurotransmitter vesikulär freigesetzt werden können. Außerdem kann die Freisetzungswahrscheinlichkeit der Vesikel variiert werden (diese liegt für ein einzelnes präsynaptisches Aktionspotenzial typischerweise deutlich unter 50%). Auch der Ca2+-Einstrom in den Endknopf kann moduliert werden (Abb. 6.22).
•
Postsynaptisch kann insbesondere die Dichte der Glutamatrezeptoren durch Endo- bzw. Exozytose verändert werden, wodurch die postsynaptischen Antworten skaliert werden (Abb. 6.22).
•
Ebenso sind gemeinsame prä- und postsynaptische Prozesse zu beobachten, bei denen entweder neue Synapsen gebildet oder bestehende abgebaut werden. Gliazellen scheinen an dem Abbau von Synapsen, dem sog. „pruning“, maßgeblich beteiligt zu sein.
MERKE
Signifikante Änderungen der bioelektrischen Aktivität können in Neuronenverbänden zu Langzeitpotenzierung und Langzeitdepression führen. Diese Veränderungen der synaptischen Übertragungseffizienz, die auf prä- und postsynaptischen Prozessen beruhen können, verlöschen innerhalb von etwa 1 Stunde, wenn sie nicht durch strukturelle Änderungen konsolidiert und damit ins Langzeitgedächtnis überführt werden.
Abruf von Gedächtnisinhalten
ZUSAMMENFASSUNG
Lernformen
Gedächtnisspeicher
•
Im sensorischen Gedächtnis werden die von den Sinneszellen einlaufenden Informationen für Bruchteile einer Sekunde gespeichert. Dabei werden sie auf ihre globale Bedeutung untersucht und evtl. umcodiert.
•
Im Kurzzeitspeicher (primäres Gedächtnis) werden wenige ausgewählte Informationen für Sekunden zwischengespeichert. Dabei löschen sie ältere Daten. Im primären Gedächtnis findet auch eine Verbalisierung der Informationen statt. Werden die verbalisierten Informationen „memoriert“, kann die Speicherzeit auf Minuten ausgedehnt werden.
•
Aus diesem Gedächtnis gelangen die Informationen schließlich in das sekundäre und das tertiäre Gedächtnis, wo Informationen gespeichert werden, die längerfristig benötigt werden. Während die Zugriffszeit auf Daten im sekundären Gedächtnis relativ lang ist, erinnern wir uns an Daten aus dem tertiären Gedächtnis in kürzester Zeit.
Explizites und implizites Gedächtnis
Langzeitspeicherung von Informationen
6.4
Integrative Funktionen des Kortex
Zur Orientierung
Der Neokortex wird strukturell und funktionell in mehr als 50 Areale untergliedert, die durch einen modularen und üblicherweise 6-schichtigen Aufbau charakterisiert sind. Innerhalb einer kortikalen Kolumne wird der thalamokortikale Eingang über intra- und interlaminäre Verbindungen verarbeitet (s.a. Kap. 4.1.4). Die in mehrere Teilaspekte zerlegte Information wird parallel über unterschiedliche Signalwege in anderen Kortexarealen weiterverarbeitet und in multimodalen Assoziationsarealen mit anderen Sinneseindrücken verglichen. Störungen dieses kortikalen Informationsweges durch Schädigungen in bestimmten kortikalen Arealen führen zu spezifischen Ausfällen wie Agnosien, Neglect und Apraxien. In den primären sensorischen und motorischen Arealen ist die Umwelt oder der eigene Körper topografisch repräsentiert. Diese geordnete Repräsentation des personalen Raums ist durch Erfahrung und pathophysiologische Ereignisse modifizierbar.
Die beiden kortikalen Hemisphären unterscheiden sich nicht nur in ihrer Struktur, sondern auch in ihrer Funktion. Das für die Sprachproduktion verantwortliche Broca-Areal und das für das Sprachverständnis relevante Wernicke-Areal sind üblicherweise linkshemisphärisch lokalisiert. Schädigungen in diesen Regionen oder in anderen an Sprachleistungen beteiligten Strukturen führen zu definierten Sprachstörungen (Aphasien). Die beiden Hirnhälften unterscheiden sich auch hinsichtlich der Lokalisation bestimmter sensorischer und motorischer Fähigkeiten, wobei für diese Funktionen auch geschlechtsspezifische Unterschiede zu beobachten sind. Die beiden Hirnhälften sind über die Faserbündel im Corpus callosum und in der vorderen Kommissur miteinander verbunden. Eine operative Durchtrennung dieser Verbindungen („Split-Brain“) oder Schädigungen dieser Strukturen (Diskonnektivitätssyndrom) führen zu Sprach- und Wahrnehmungsstörungen.
6.4.1
Gliederung des Kortex
Strukturelle Gliederung des Kortex
•
frontaler Kortex (Lobus frontalis)
•
parietaler Lobus:frontalisKortex (Lobus parietalis)
•
temporaler Lobus:parietalisKortex (Lobus temporalis)
•
okzipitaler Lobus:temporalisKortex (Lobus occipitalis)
•
Im primären somatosensorischen Kortex im Kortex:somatosensorischerGyrus postcentralis ist die gesamte Gyrus:postcentralisKörperoberfläche topografisch – mit unterschiedlicher Gewichtung der einzelnen Körperregionen – repräsentiert (Somatotopie, Abb. 4.15). Im primären somatosensorischen Kortex existieren 4 nahezu vollständige Karten mit unterschiedlichen Funktionen in den Arealen 1 (sensorische Information aus der Haut), 2 (Muskel- und Gelenkinformation), 3a (Propriozeption der Gliedmaßen) und 3b (Tastsinn).
•
Eine nahezu spiegelbildliche topografische Organisation findet man im primär-motorischen Kortex (Area Kortex:primär-motorischer4 = M1) im Gyrus praecentralis (motorischer Homunkulus, Abb. 5.27).
•
Weitere geordnete Repräsentationen des personalen Raums findet man im primären visuellen Kortex (Retinotopie) und primären auditorischen Kortex (Tonotopie).Jackson-Epilepsiemarch of convulsion
Klinik
Jackson-EpilepsieDie topografische Aggression:antisoziale PersönlichkeitsstörungAbbildung einer Körperhälfte im kontralateralen somatosensorischen Kortex wird klinisch bei der Jackson-Epilepsie deutlich (benannt nach dem Neurologen John H. Jackson). Dabei beginnt der Anfall gewöhnlich mit einem Taubheitsgefühl oder einem Brennen und Prickeln (Parästhesie) in den Fingerspitzen einer Körperhälfte und breitet sich dann graduell über Hand, Arm, Schulter und Rücken bis hinab in das Bein aus (sog. „march of convulsion“). Dieses Ausbreitungsmuster spiegelt die somatosensorische Repräsentation im Gyrus postcentralis wider (Abb. 4.15).
Funktionelle Gliederung des Kortex
6.4.2
Informationsverarbeitung im Kortex
Verarbeitung sensorischer Information
•
Über die kortikothalamische Projektion der Schicht-VI-Pyramidenzellen wird eine Rückmeldung zum Thalamus gegeben.
•
Schicht-V/VI-Pyramidenzellen projizieren in subkortikale Regionen.
•
Pyramidenzellen der Schicht II/III projizieren ipsilateral über aufsteigende Assoziationsfasern in „höhere“ (z.B. sekundäre, tertiäre) Kortexareale und über Kommissurenbahnen (Corpus callosum und Commissura anterior) in den kontralateralen Kortex.
•
die Wahrnehmung von Farben („Parvo-Blob-Bahn“)
•
die Wahrnehmung von Formen („Parvo-Interblob-Bahn“)
•
die Wahrnehmung von Bewegung (magnozelluläre Bahn)
•
Der Wo?-Weg erhält Informationen vom magnozellulären System und verläuft über den mediotemporalen Kortex (V5, MT) in den parietalen Kortex und schließlich präzentral in motorische Areale.
•
Der Was?-Weg integriert Informationen vom magno- und parvozellulären System und führt über V4 zum inferior-temporalen AssoziationskortexAssoziationskortex:inferior-temporaler und schließlich zu frontobasalen Gedächtnisstrukturen (bewusste Wahrnehmung).
MERKE
Wahrnehmung ist also selbst ein konstruktiver Prozess, der nicht nur von den Eigenschaften des Reizes, sondern auch von der jeweiligen Struktur und Funktion des Wahrnehmenden abhängt. RindenblindheitProsopagnosie:FormenParietallappen:HemineglectHirninfarkt:AgnosieHemineglectAstereognosieAkinetopsieAgnosie:FormenInfarkt:GehirnKortex:somatosensorischerKortex:visuellerAchromatopsieOkzipitallappen:Achromatopsie
Klinik
Das Prinzip der seriellen und parallelen Informationsverarbeitung im Kortex hat zur Folge, dass nach kortikalen Läsionen, z.B. infolge eines Hirninfarkts, Sinnessysteme entweder fast vollständig ausfallen oder aber nur in spezifischen Aspekten funktionell beeinträchtigt sind. Es treten Agnosien (Störungen des Erkennens sensorischer Reize trotz intakter Wahrnehmung durch die Sinnesrezeptoren) auf.
AstereognosieDer Ausfall des primären somatosensorischen Kortex führt zu Propriozeptionsdefiziten und Dysfunktionen in der Fähigkeit, Größe, Struktur und Form von Objekten zu unterscheiden (Astereognosie). Der Ort, die Größe und die Intensität eines somatosensorischen Reizes können nicht mehr genau beurteilt werden. Hingegen ist die Wahrnehmung von Schmerz und Temperatur nur wenig beeinträchtigt.
RindenblindheitDer Verlust des primären visuellen Kortex führt zu erheblichen Defiziten in der bewussten Sehwahrnehmung (sog. Rindenblindheit). Kortikale Läsionen in sekundären und höheren Arealen führen hingegen zu komplexen Defekten der räumlichen Wahrnehmung, der visuomotorischen Integration und der gerichteten Aufmerksamkeit. Bei Ausfall der sekundären Sehrinde ist die Fähigkeit, Gegenstände, Formen und Zeichen zu verstehen, beeinträchtigt.
HemineglectNach Läsionen im hinteren Parietallappen (Abb. 6.26a) kann eine Agnosie auftreten, die sich durch bemerkenswerte Defizite bei der Wahrnehmung räumlicher Beziehungen oder des eigenen Körpers äußert. Die betroffenen Patienten verlieren die Wahrnehmung der kontralateralen Raum-/Körperhälfte. Trotz unbeeinträchtigter Körpersensibilität (Funktion von S1) ignorieren sie eine Körperhälfte und die halbe sie umgebende Welt (Hemineglect). Registriert man bei Patienten mit einem visuellen Hemineglect Augenbewegungen, ist zu sehen, dass sie ein komplettes Gesichtsfeld nicht wahrnehmen (Abb. 6.26b). Dementsprechend kleiden diese Patienten auch nur eine Körperhälfte an, rasieren nur das halbe Gesicht und kopieren z.B. beim Zeichnen nur die halbe Vorlage (Abb. 6.26d). Bei einem motorischen Neglect wird z.B. ein Arm nicht bewegt. Gelegentlich wird sogar eine Extremität als Fremdkörper empfunden.
ProsopagnosieNach Läsionen im rechtshemisphärischen infero-okzipito-temporalen Kortex kann eine Prosopagnosie (Unfähigkeit, Gesichter zu erkennen) auftreten, die sich in folgenden Formen äußern kann:
•
als totale Prosopagnosie (Gesichter werden überhaupt nicht erkannt)
•
als emotionale Prosopagnosie (emotionale Komponente des Gesichtsausdrucks wird nicht erkannt)
•
als personale Prosopagnosie (Unfähigkeit, vertraute Gesichter wiederzuerkennen)
AkinetopsieEine Läsion im parieto-temporo-okzipitalen Kortex (Area V5) kann eine Akinetopsie, also den selektiven Ausfall der Bewegungswahrnehmung, verursachen.
AchromatopsieDer Verlust der Farbwahrnehmung (Achromatopsie) tritt nach einer Läsion im inferomedialen Anteil des Okzipitallappens auf (Area V4).
Verarbeitung motorischer Information
Klinik
Apraxien sind motorische Defizite bei der Ausführung erlernter zweckmäßiger Bewegungen oder Handlungen. Sie treten nach Läsionen im supplementär-motorischen Areal oder im posterior-parietalen Assoziationskortex auf. Apraktiker weisen weder eine Muskelschwäche noch eine Empfindungslosigkeit auf und sind in der Lage, einfache Bewegungen korrekt auszuführen. Hingegen können sie keine komplexen Handlungen vollbringen, die auf einer geplanten Strategie oder einer Folge von Muskelkontraktionen beruhen, wie z.B. Haare kämmen, Zähne putzen, ein Glas Wasser einschenken.
Ideomotorische Apraxie, ParapraxieBei einer ideokinetischen oder ideomotorischen Apraxie sind Störungen der Zielbewegungen und der Gestik zu beobachten (Parapraxien). An sich richtige Einzelbewegungen werden in falscher Reihenfolge ausgeführt und durch unnötige zusätzliche Bewegungen ergänzt, auch mit falscher Zielsetzung (z.B. Reiben der Zigarette statt des Streichholzes an der Streichholzschachtel).
Ideatorische ApraxieEine Störung in der Erstellung eines Handlungskonzepts für eine komplizierte mehrteilige Bewegung wird als ideatorische Apraxie bezeichnet und äußert sich in unvollständigen Handlungsabläufen trotz richtiger Einzelakte („Handlungssalat“).
Konstruktive ApraxieEine konstruktive Apraxie liegt vor, wenn gestaltende Handlungen, wie Zeichnen, Herstellung dreidimensionaler Formen (Modellieren), nur eingeschränkt ausgeführt werden.
6.4.3
Kortikale Plastizität
•
Bei Primaten verschwindet nach dem Verlust des Mittelfingers die entsprechende kortikale Repräsentation von D3, und die benachbarten Finger- (D2 und D4) und Palmarbereiche (P3) nehmen diesen Platz ein (Abb. 6.27a–d).
•
Eine intensive Aktivierung von einzelnen Fingern durch Training oder Stimulation führt zu einer Expansion der entsprechenden kortikalen Repräsentation in benachbarte Bereiche und Areale (Abb. 6.27e).
•
Bei Musikern, die in ihrer Kindheit ein Streichinstrument erlernten, wurde mit nichtinvasiven Verfahren (z.B. Magnetenzephalografie, Kap. 6.1.2) beobachtet, dass die Repräsentation des linken Daumens und kleinen Fingers im rechten somatosensorischen Kortex im Vergleich zu altersgleichen Kontrollen und Personen, die erst im späten Jugendalter ein Streichinstrument erlernten, signifikant vergrößert war (Abb. 6.27f, g). Offensichtlich handelt sich hierbei um ein Beispiel für entwicklungsabhängige kortikale Plastizität.
MERKE
Eine intensive Aktivierung von einzelnen Fingern durch Training oder Stimulation führt zu einer Expansion der entsprechenden kortikalen Repräsentation in benachbarte Bereiche und Areale (Abb. 6.27).
MERKE
Sowohl die elektrophysiologischen Untersuchungen an nicht humanen Primaten als auch die Studien mit bildgebenden Verfahren am Menschen belegen, dass die interne Repräsentation des personalen Raums durch Erfahrungen und pathophysiologische Ereignisse veränderbar ist.
Klinik
PhantomschmerzenPhantomempfindungen und schmerzen bei Patienten mit amputierten Gliedmaßen sind vermutlich auf kortikale Repräsentationsneukartierungen der fehlenden Extremität zurückzuführen (Kap. 4.2.3).
KortexläsionenEin besseres Verständnis der bei der Neukartierung von kortikalen Repräsentationen beteiligten molekularen und zellulären Mechanismen kann dazu führen, dass neue Therapiestrategien z.B. nach Hirninfarkt entwickelt werden können.
SprachenshiftDie Plastizität ist im unreifen Kortex von Kindern und Jugendlichen deutlich ausgeprägter als im Kortex von Erwachsenen (Abb. 6.27g). So kann die Sprachkompetenz noch bis zur Pubertät recht problemlos von der linken zur rechten Hemisphäre verlagert werden („Sprachenshift“). Dies wurde bei rechtshändigen Kindern beobachtet, die nach normaler Hirnentwicklung eine Rasmussen-Enzephalitis der linken Hemisphäre entwickelten und bei denen eine Hemisphärektomie vorgenommen wurde. Trotz fehlender linker Hemisphäre zeigten die Kinder eine normale Sprachentwicklung.
HirnoperationenEine derartige Plastizität in der Sprachkompetenz ist im Kortex Erwachsener nicht mehr anzutreffen. Neurochirurgische Eingriffe in der Nähe kortikaler Sprachregionen erfordern daher eine vorangegangene detaillierte und individuelle Kartierung des Kortex mit neuropsychologischen, elektrophysiologischen und bildgebenden Verfahren.
6.4.4
Sprache, Hemisphärendominanz und Lateralisation
Sprachdominanz
Strukturunterschiede
•
Bei 65% war dasPlanum temporale Planum temporale links größer als rechts,
•
bei 11% war das rechte Planum temporale größer,
•
bei 24% wurde kein Größenunterschied beobachtet.
Klinik
Das Konzept der üblicherweise linkshemisphärischen Sprachdominanz geht auf den französischen Chirurgen und Anthropologen Pierre Paul Broca zurück, der 1864 seine Studien an 8 Patienten mit Läsionen im hinteren Bereich des linken Lobus frontalis, heute als Sprachzentrum von Broca bezeichnet, veröffentlichte.
Motorische AphasieDie Patienten wiesen allesamt Störungen der Sprachproduktion auf, sie konnten weder grammatikalisch korrekt in ganzen Sätzen sprechen noch sich schriftlich äußern. Hingegen konnten sie einzelne Wörter von sich geben und ohne Schwierigkeiten eine Melodie singen. Derartige Sprachstörungen, die nicht auf Störungen der Sprachlautbildung (Artikulation) beruhen, werden als Aphasien bezeichnet. Die Broca-Aphasie wird aufgrund der gestörten Sprachproduktion auch als motorische Aphasie bezeichnet.
Zeichensprachen-AphasieAuch die Kompetenz für Zeichensprache ist interessanterweise linkshemisphärisch lokalisiert, obwohl für die dafür erforderlichen räumlich konstruktiven Aufgaben die rechte Hemisphäre dominant ist. Eine sog. Zeichensprachen-Aphasie ist nur bei Patienten mit linkshemisphärischen Läsionen zu beobachten.
Sensorische AphasieIm Jahre 1876 beschrieb der deutsche Neurologe Carl Wernicke einen Aphasietyp, bei dem das Sprachverständnis, nicht aber die Sprachproduktion gestört war. Wernickes Patient konnte zwar sprechen, aber nicht verstehen, was sein Gesprächspartner oder er selbst sagte. Eine derartige Sprachstörung wird als Wernicke-Aphasie oder auch sensorische Aphasie bezeichnet.
Weitere Aphasiesyndrome mit charakteristischen Sprachfehlern treten nach Läsionen anderer kortikaler Areale, subkortikaler Regionen oder auch nach Läsionen des Fasciculus arcuatus auf (Tab. 6.6).
Wernicke-Geschwind-Modell
•
Verschiedene Strukturen der Sprachfunktion sind offensichtlich nicht berücksichtigt: Die in Tab. 6.6 genannten Sprachstörungen treten üblicherweise nur nach ausgedehnten Läsionen auf, nicht nach eng auf die Sprachregion von Broca oder von Wernicke begrenzten Läsionen; auch für die Sprachfunktion wichtige subkortikale Strukturen, wie der linke Thalamus oder der linke Nucleus caudatus, werden in dem Wernicke-Geschwind-Modell nicht berücksichtigt.
•
Die Information eines gelesenen Wortes wird nicht in das Wernicke-Areal verschaltet (Pfeil 4 in Abb. 6.29b, c), sondern gelangt vom visuellen Assoziationskortex direkt zum Broca-Areal. Gelesene Wörter werden also nicht in eine auditorische Assoziationskortex:visuellerRepräsentation umgewandelt. Gemäß der parallelen Funktionsweise des Gehirns werden visuelle und auditorische Informationen eines Wortes vermutlich unabhängig voneinander in modalitätsspezifischen Bahnen verarbeitet, die jeweils über einen eigenen Eingang in das Broca-Areal projizieren.
Wada-Test
•
Erwartungsgemäß haben nahezu alle Rechtshänder (96%) eine linkshemisphärische Sprachdominanz.
•
Bei 70% der Linkshänder ist das Sprachzentrum ebenfalls in der linken Hirnhälfte lokalisiert.
•
Bei 15% der Linkshänder liegt die Sprachdominanz rechtshemisphärisch.
•
Bei den übrigen 15% wird Sprache in beiden Hirnhälften verarbeitet (das Sprachvermögen wurde weder durch eine rechtsseitige noch durch eine linksseitige Injektion von Natriumamobarbital beeinträchtigt).
Interaktionen zwischen den Hemisphären
Klinik
WortblindheitIn den 90er-Jahren des 19. Jahrhunderts beschrieb der französische Neurologe Jules Déjerine bei einem Patienten eine bemerkenswerte Lesestörung (Alexie, Wortblindheit). Der Patient konnte zwar geschriebene Wörter fehlerfrei abschreiben und erkennen, war jedoch nicht in der Lage, den Sinn gelesener Wörter zu verstehen. Hingegen konnte er die Bedeutung von laut buchstabierten Wörtern erkennen. Die Autopsie in diesem und ähnlich gelagerten Fällen ergab, dass eine Schädigung im linken visuellen Kortex und im hinteren Teil des Corpus callosum (Splenium) vorlag. Bei diesem sog. hinteren Diskonnektivitätssyndrom (Déjerine-Syndrom) kann die visuelle Information aus dem linken Gesichtsfeld aufgrund der Schädigung des Spleniums nicht von der rechten Hemisphäre in den Gyrus angularis und die Sprachfelder der linken Hemisphäre weitergeleitet werden.
Läsionen in AssoziationskortizesEin anderer Patient von Déjerine konnte problemlos sprechen und auch Sprache verstehen, war jedoch nicht in der Lage, zu lesen oder zu schreiben (Alexie mit Agrafie). Dieser Patient und andere Personen mit vergleichbaren Lese- und Schreibstörungen wiesen Läsionen im Gyrus angularis und Gyrus supramarginalis auf (Abb. 6.29d), wo visuelle, auditorische und taktile Informationen integriert werden. Patienten mit Läsionen in diesen multimodalen Assoziationskortizes können visuelle Symbole, wie Buchstaben, nicht mehr mit dem Klang assoziieren. Auch laut buchstabierte Wörter oder erhabene, in Papier geprägte Buchstaben können aufgrund der auditorischen bzw. taktilen Defizite im Gyrus angularis und Gyrus supramarginalis nicht erkannt werden. Die Übertragung der Sinneswahrnehmung in die Sprachzentren ist gestört.
Hemisphärenunterschiede
Klinik
HemisphärenunterschiedeBei fast allen psychiatrischen und vielen neurologischen Erkrankungen liegt vermutlich eine Störung der Balance der beiden Hirnhemisphären vor, die zugrunde liegenden Mechanismen dieser Dysfunktionen sind jedoch noch nicht vollständig aufgeklärt.
EmotionenDie unterschiedliche Bedeutung der beiden Hemisphären für positive und negative Emotionen wird auch bei fast allen psychiatrischen Störungen mit negativem Affekt (Depression, Phobie, Panikstörung) deutlich. Bei diesen Erkrankungen wurde eine Überaktivierung der rechtshemisphärischen frontalen Regionen beobachtet. Auch chronische Schmerzzustände scheinen zu einer vermehrten Aktivierung von Hirnstrukturen in der rechten Hemisphäre zu führen.
AphasienAphasien treten nicht nur bei Frauen, sondern auch bei mehrsprachig aufgewachsenen Personen und Personengruppen mit Bild- und Zeichensprachen – wie in Japan – seltener auf, vermutlich weil hier die Sprachfunktionen in mehreren Hirnregionen lokalisiert sind (Abb. 6.29d).
DyslexieEine Dyslexie (erschwertes Lesevermögen oft in Kombination mit einer Sprachschwäche) tritt vermutlich infolge einer frühen Wahrnehmungsstörung der Lautunterscheidung auf und wird auf Dysfunktionen des linken Temporallappens zurückgeführt.
AutismusBei Autisten ist die linke Hemisphäre bei Sprachleistungen weniger aktiv, und sie sind häufig Linkshänder. Hingegen sind Autisten zeichnerisch und in repetitiver Motorik oft besonders „begabt“, was auf eine Disinhibition und ein Übergewicht der rechten Hemisphäre nach Beeinträchtigung der linken Hemisphäre hinweist.
SchizophrenieBei Schizophrenie-Patienten sind häufig Aufmerksamkeitsstörungen (rechtshemisphärisch) und akustische Halluzinationen (linkshemisphärisch) zu beobachten.
ZUSAMMENFASSUNG
Der zerebrale Kortex des Menschen wird aufgrund seiner zytoarchitektonischen und funktionellen Merkmale in mehr als 50 unterschiedliche Areale gegliedert. Neokortikale Areale sind üblicherweise in 6 Schichten aufgebaut und funktionell in sog. Kolumnen organisiert. Afferente sensorische Information aus den spezifischen Thalamuskernen wird zunächst in den primären kortikalen Arealen durch intra- und interlaminäre Wechselwirkungen verarbeitet und anschließend an uni- und multimodale Assoziationskortizes weitergeleitet (serielle und parallele Informationsverarbeitung). Sowohl sensorische als auch motorische Areale zeigen spezifische topografische Repräsentationen körpereigener Funktionen oder der Umwelt („Homunkulus“) und bil den gemeinsam eine geordnete Repräsentation des personalen Raums. Diese kortikalen Repräsentationen sind erfahrungsabhängig durch Übung oder infolge pathophysiologischer Ereignisse (z.B. Hirninfarkt oder Amputation einer Extremität) modifizierbar. Die für Sprache relevanten Hirnstrukturen (u.a. Broca- und Wernicke-Areal) sind üblicherweise linkshemisphärisch lokalisiert. Läsionen in diesen Bereichen führen zu Störungen der Sprachproduktion (Broca-Aphasie), des Sprachverständnisses (Wernicke-Aphasie) oder zu anderen Sprachdefiziten. Die beiden in ihrer Struktur und Funktion unterschiedlichen Hirnhälften sind über die Kommissurenfasern miteinander verbunden.
6.5
Emotionen
Zur Orientierung
ZNS (zentrales Nervensystem):EmotionenDie Wissenschaft tut sich mit der Definition der Emotionen schwer, nicht zuletzt deshalb, weil die subjektive Erfahrung von Emotionen, „das Gefühl“, unmittelbar mit dem Problem des Bewusstseins zu tun hat. Bei der Entstehung von Emotionen wirken 3 Klassen von Prozessen mit: solche, die die Wahrnehmung eines Stimulus vermitteln, solche, die für die emotionalen Veränderungen im Körper sorgen, und schließlich solche, die das „Fühlen“ der Emotion vermitteln. Emotionen steuern, direkt oder indirekt, das willkürliche und unwillkürliche Verhalten. Das ausgelöste Verhalten ist häufig auf den auslösenden Stimulus gerichtet und hat das Wohlbefinden und nicht zuletzt das Überleben des Organismus zum Ziel.
MERKE
Emotionen:DefinitionEmotionen sind mehr oder weniger starke Gemütsbewegungen, die eng mit unbewussten Inhalten, Instinktreaktionen und vegetativen Antworten gekoppelt sind. Emotionen können aber auch als Reaktionsmuster definiert werden, die durch spezifische reale oder vorgestellte Objekte, Ereignisse oder Personen ausgelöst werden.
6.5.1
Charakteristika von Emotionen
•
Valenz: Die Valenz des Stimulus beschreibt,Reiz:emotionserzeugender ob dieser eher positiv oder eher negativ erlebt wird.
•
Erregung: Allerdings Valenz, Reizkönnen gleichermaßen (z.B. positiv) bewertete Reize entweder eher beruhigend und erregungsmindernd wirken, etwa Erregungdas Bild einer Rose, oder aber erregungssteigernd, etwa ein Aktfoto. Dies wird durch die Erregungsdimension (Arousal) erfasst.
•
Motivation, Handlungsdisposition: Letztlich sind emotionale Arousal, EmotionenReaktionen auch durch Handlungsdispositionen Motivation:Emotionengekennzeichnet, d.h., sie bereiten den Körper darauf vor, bestimmte Handlungen (z.B. Angriff, Flucht) auszuführen. Diese Vorbereitung äußert sich in zahlreichen körperlichen Reaktionen: Emotionen werden begleitet von Veränderungen im somatischen und autonomen Nervensystem sowie im endokrinen System (z.B. Ausschüttung von Glukokortikoiden, sympathikoadrenerge Reaktionen).
6.5.2
Mit Emotionen einhergehende Reaktionen
Emotionen und peripheres Nervensystem
Peripher-physiologische Reaktionen
Klinik
HypomimieWie sehr wir bei der Beurteilung des emotionalen Zustands eines Gegenübers auf die Mimik angewiesen sind, zeigen Patienten mit einer Parkinson-Erkrankung, bei denen sich das Gesicht oft „maskenartig“ verändert, was als Hypomimie bzw. Amimie bezeichnet wird. Nicht selten werden diese Patienten aufgrund ihrer Ausdruckslosigkeit für teilnahmslos und dement gehalten.
Emotionen und zentrales Nervensystem
Amygdala
Klinik
Klüver-Bucy-SyndromIn den 30er Jahren beschrieben Heinrich Klüver und Paul Bucy bei Rhesusaffen, denen sie beidseits die vorderen Anteile des Temporallappens entfernt hatten, ein eigentümliches Syndrom. Die operierten Affen neigten dazu, sich alle erreichbaren Gegenstände in den Mund zu stecken, und zeichneten sich durch ein ausgeprägtes Sexual- und Fressverhalten aus. Darüber hinaus waren ihre Furcht- und Ärgerreaktionen beeinträchtigt. Auch beim Menschen wird ein solches Syndrom z.B. als Folge einer Herpes-simplex-Virus-Enzephalitis oder nach einem Schädel-Hirn-Trauma beobachtet. Die mangelnde Furchtreaktion wird auf eine Zerstörung der Amygdala zurückgeführt.
Urbach-Wiethe-SyndromSehr selektive Schädigungen der Amygdala werden auch beim Urbach-Wiethe-Syndrom (Hyalinosis cutis et mucosae), einer seltenen autosomal rezessiven Erkrankung, berichtet, die auf dem langen Arm des Chromosoms 1 codiert ist. Solche Patienten konnten sich z.B. nicht an emotional getönte Geschichten erinnern, und sie konnten weder die Furcht in einer Stimme heraushören noch negative Emotionen in Gesichtern wahrnehmen.
Mesolimbisches System
Weitere emotionsverarbeitende Strukturen
Klinik
Verletzung des orbitofrontalen KortexLäsionen des orbitofrontalen Kortex legen nahe, dass dieser Hirnbereich in der Modulation von emotionalem Handeln eine wichtige Rolle spielt: Solche Patienten sind unfähig, auf Belohnungen zu warten (Verstärkeraufschub), und können auch nicht aus Bestrafungen lernen. Phineas Gage, ein 25-jähriger Vorarbeiter beim Eisenbahnbau in Neu-England, löste 1848 beim Feststopfen von Sprengstoff mit einer Eisenstange versehentlich eine vorzeitige Explosion aus, bei der seine Eisenstange mit großer Wucht den orbitofrontalen Kortex durchbohrte. Trotz eines ca. 3 cm breiten Penetrationskanals überlebte Gage, und seine Motorik, Sensorik, Sprache, Gedächtnis und Koordination waren völlig unbeeinträchtigt. Er wies jedoch fortan eine ausgesprochene Persönlichkeitsänderung auf und war nun launisch, ungeduldig, respektlos und schwankend in seinen Zukunftsplänen. Er konnte seinem Beruf nicht mehr nachgehen und hat in der Folgezeit häufig Wohnort und Arbeitsplatz gewechselt. Emotional war er unberechenbar und aufbrausend geworden.
Abwehrkaskade
•
Bei niedriger bis mittlerer Erregung kommt es zunächst zu einer Orientierung von Aufmerksamkeit hin auf den Stimulus. Diese Orientierung wird von einer Hemmung der Erregung:AbwehrkaskadeSchreckreaktion und einer parasympathisch ausgelösten Verlangsamung des Herzschlags begleitet.
•
Sodann entwickelt sich die Abwehrreaktion, die durch eine Verstärkung der Schreckreaktion gekennzeichnet ist. Unmittelbar vor der resultierenden „Aktion“ kommt es zu einer Erhöhung der Herzfrequenz, die sympathisch gesteuert ist.
Klinik
PhobienBei Patienten mit spezifischen Phobien, etwa einer Angst vor Spinnen, verstärkt sich diese Abwehrreaktion, und in der Regel steigt die Herzfrequenz unmittelbar an, weil diese Patienten sich schon in einem späteren Stadium der Abwehrkaskade befinden.
6.5.3
Aggression
•
furchtinduzierte Emotionen:AggressionAggression als Zeichen der Verteidigung (s.o.)
•
Beuteaggression, die zur Nahrungsbeschaffung notwendig ist
•
mütterliche Aggression (Verteidigung der Jungtiere)
•
Aggression zwischen männlichen Tieren (beim Kampf um weibliche Tiere sowie um die Dominanz in einer Gruppe)
Klinik
Antisoziale PersönlichkeitsstörungBetroffene sind häufig schon im Kindesalter über die Missachtung von Regeln und Normen (Vandalismus, Stehlen, Erpressen) auffällig und zeigen als Erwachsene Gereiztheit, körperlich aggressives Verhalten und Rücksichtslosigkeit. Es zeigt sich eine Unfähigkeit, aus Bestrafungen zu lernen. Man unterscheidet Untertypen mit eher instrumentell-dissozialem bzw. impulsiv-feindseligem Verhalten. Interessanterweise ist der Schreckreflex bei Kriminellen mit einer antisozialen Persönlichkeitsstörung konstant abgeschwächt. Diese nicht empathischen Menschen aktivieren ihre Abwehrkaskade nicht und bleiben emotional kalt. In bildgebenden Studien sind Veränderungen in Struktur und Funktion des orbitofrontalen Kortex nachgewiesen worden.
ZUSAMMENFASSUNG
Emotionen sind vielschichtig und gehen mit Änderungen des Gefühls – im körperlichen Zustand sowie im Ausdruck – einher. Zu den primären Emotionen, aus denen sich andere ableiten, werden Glück, Trauer, Furcht, Wut, Überraschung und Ekel gezählt. Zentrale Strukturen der Emotionsverarbeitung sind die Amygdala, der orbitofrontale Kortex und das zentrale Höhlengrau (vorwiegend für die Verarbeitung negativer Emotionen) und das mesolimbische System (positive Emotionen). Eine wichtige Funktion dieser Hirnstrukturen ist die Vermittlung von emotionalen Lernsignalen (z.B. bei der Furchtkonditionierung). Der Hypothalamus kann als Vermittlerstruktur für viele der autonomen, peripher-physiologischen Antworten aufgefasst werden, mit denen Emotionen typischerweise einhergehen (z.B. Blutdruck, Herzfrequenz, Hautleitwert).
Die Funktion von Emotionen auf Reize und Ereignisse besteht in der Auslösung von bestimmten Handlungen (Vermeidung/Annäherung). Aggression ist eine wichtige Form emotionalen Verhaltens, die verschiedene Funktionen (Verteidigung, Beutemachen, Dominanzstreben) hat.