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10.1016/B978-3-437-41357-5.00004-1
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Somatosensorik, Sinneskanäle\"\iSinneskanäle, Somatosensorik\"\iSinneskanäle der Somatosensorik. Berührungs-Berührungsreiz\"\i, Wärme-Wärmereiz\"\i und schmerzhafte Hitzereiz\"\iHitzereize werden auf unterschiedlichen Wegen vom Rezeptor bis zum somatosensorischen Kortex geleitet. Die Tastsinn, Afferenzen\"\iAfferenz:Tastsinn\"\iAfferenzen des Tastsinns verlaufen über die ipsilaterale Hinterstrangbahn, den Lemniscus medialis und den ventrobasalen Thalamus zum somatosensorischen Kortex, während die Schmerzen:Afferenz\"\iAfferenz:Schmerz\"\iAfferenzen von Schmerz und Temperatur:Afferenz\"\iAfferenz:Temperatur\"\iTemperatur über den kontralateralen Vorderseitenstrang zum ventrobasalen und medialen Thalamus:Temperatur\"\iThalamus:Schmerz\"\iThalamus und von dort zum somatosensorischen Kortex ziehen. Vom Vorderseitenstrang:Temperatur\"\iVorderseitenstrang:Schmerz\"\iTemperatur:Vorderseitenstrang\"\iSchmerzen:Vorderseitenstrang\"\iVorderseitenstrang gehen auf medullärer und mesenzephaler Ebene Kollateralen ab, die über Zwischenstationen zum Teil auf mediale und intralaminäre (unspezifische) Thalamuskerne projizieren. Thalamokortikale Fasern für Schmerz und Temperatur ziehen nicht nur zum somatosensorischen Kortex, sondern auch zum insulären Kortex und zum vorderen Gyrus cinguli (letzteres nicht dargestellt, da rostral zur Schnittebene).
[4.1]

Funktionelle Bildgebung der zerebralen Aktivitätsmuster nach Hitzereiz:funktionelle Bildgebung\"\iHitzereiz (obere Reihe) bzw. Wärmereiz:funktionelle Bildgebung\"\iWärmereiz (untere Reihe). Die regionale Hirndurchblutung nimmt beim Warmempfinden in Thalamus- und Kortexregionen zu, beim Hitzereiz zusätzlich in weiteren Hirnarealen, insbesondere in unspezifischen Thalamuskernen, im limbischen Kortex, der Insel und im frontalen Kortex. Die Bilder sind jeweils Subtraktionsbilder, die Aktivität bei Reizung mit Körpertemperatur ist subtrahiert. (PET-Messung bei 10 Probanden, Projektion auf MRT-Horizontalschnitte, Hitzereiz = 11 °C über, Wärmereiz = Temperatur unterhalb der individuellen Schmerzschwelle). (Wir danken Herrn Prof. Dr. Dr. Tölle, Neurologische Klinik der TU München, für die freundliche Überlassung dieses Bildes.)
[T542]

Mechanorezeptoren der behaarten und unbehaarten Haut und ihre Entladungsmuster. a Topografie und Morphologie der verschiedenen Mechanorezeptoren der Haut. b Entladungsmuster der von den Rezeptoren wegziehenden Axone bei einem mechanischen Stimulus (jeder senkrechte Strich entspricht einem Aktionspotenzial, AP). Merkel-Merkel-Tastzelle:Adaptation\"\iTastzellen und Ruffini-Ruffini-Körperchen:Adaptation\"\iKörperchen adaptieren langsam und übertragen daher sowohl die phasische als auch die statische Komponente des Reizes. Meissner-Meissner-Körperchen:Adaptation\"\iKörperchen sind schnell adaptierende Rezeptoren und erfassen nur die phasische Komponente. Ihre ultraschnelle Adaptation macht Pacini-Vater-Pacini-Körperchen:Adaptation\"\iPacini-Körperchen:Adaptation\"\iKörperchen zu Beschleunigungs- bzw. Vibrationsdetektoren.
[4.1]

Transduktion:SA-Rezeptor\"\iTransduktion:RA-Rezeptor\"\iSignaltransduktion:SA-Rezeptor\"\iSignaltransduktion:RA-Rezeptor\"\iSA-Rezeptor:Transduktion\"\iRA-Rezeptor:Transduktion\"\iTransduktion, Transformation:SA-Rezeptor\"\iTransformation:RA-Rezeptor\"\iSA-Rezeptor:Transformation\"\iRA-Rezeptor:Transformation\"\iTransformation und SA-Rezeptor:Konduktion\"\iRA-Rezeptor:Konduktion\"\iKonduktion:SA-Rezeptor\"\iKonduktion:RA-Rezeptor\"\iKonduktion bei RA- und SA-Rezeptoren. a Primärer Sinnesrezeptor mit Axonterminale als Ort der Transduktion. Die Transformation geschieht unmittelbar vor der ersten Myelinscheide. Die Konduktion erfolgt saltatorisch. b Das rasch abfallende Potenzial des RA-Rezeptors führt zu einer kurzen Salve von Aktionspotenzialen im Axon. c Das nur langsam abfallende Potenzial des SA-Rezeptors lässt dagegen das Axon während der gesamten Reizdauer feuern.
[4.2]

Schwellenkurven der Vibrationsempfindlichkeit von RA-Vibrationsempfinden:RA-Rezeptor\"\iRA-Rezeptor:Vibrationsempfinden\"\iRezeptoren. Meissner-Meissner-Körperchen:Vibrationsempfinden\"\iKörperchen reagieren zwischen 20 und 50 Hz am empfindlichsten, Pacini-Vater-Pacini-Körperchen:Vibrationsempfinden\"\iPacini-Körperchen:Vibrationsempfinden\"\iKörperchen haben ihr Empfindlichkeitsmaximum bei etwa 250 Hz.

Räumliche Kontrastverschärfung, räumliche\"\iKontrastverschärfung durch laterale HemmungHemmung:laterale. a Ein lokaler Hautreiz, rezeptives Feld\"\iHautreiz erregt mehrere partiell überlappende rezeptive FelderFeld:rezeptives mit unterschiedlicher Stärke. Bei der Umschaltung im Hinterstrangkern werden die schwächer aktivierten Afferenzen durch Vorwärts-Vorwärtshemmung:Kontrastverschärfung\"\i und Rückwärtshemmung:Kontrastverschärfung\"\iRückwärtshemmung weitgehend ausgeblendet (Winner-takes-all-Strategie). Absteigende Bahnen können das Ausmaß der Kontrastverstärkung beeinflussen. b Durch die laterale Hemmung wird der Erregungsgipfel von einem „Hemmungs-Tal“ umgeben. c Die Kontrastverschärfung durch laterale Hemmung erlaubt eine präzisere Lokalisation des Reizorts und verbessert die Zwei-Punkt-Zwei-Punkt-Diskrimination:Kontrastverschärfung\"\iDiskrimination.
[4.3, 4.4]

Rezeptive Felder von SA-SA-Rezeptor:rezeptives Feld\"\i und RA-RA-Rezeptor:rezeptives Feld\"\iRezeptoren. a, b Jeder farbig gefüllte Bereich steht für das rezeptive Feld einer Faser des N. medianusNervus:medianus. Die oberflächlich gelegenen Mechanorezeptor:rezeptives Feld\"\iMechanorezeptoren haben sehr viel kleinere Felder als die tiefer gelegenen. Letztere besitzen innerhalb eines großen Feldes (hellere Farbe) einen kleinen Bereich mit maximaler Empfindlichkeit (Punkt in dunklerer Farbe). Ruffini-Ruffini-Körperchen:rezeptives Feld\"\iKörperchen reagieren richtungsspezifisch (Pfeile) auf Hautdehnung. c Bei der Detailanalyse einzelner rezeptiver Felder sieht man bei oberflächlich gelegenen Rezeptoren viele Hot Spots (Farbintensität codiert Empfindlichkeit), da mehrere Meissner-Meissner-Körperchen:rezeptives Feld\"\iKörperchen von den Ästen einer einzigen Nervenfaser innerviert werden. Die tiefer gelegenen Rezeptoren werden dagegen im Verhältnis 1 : 1 innerviert, man findet nur einen Hot Spot.
[4.1]

Zwei-Punkt-DiskriminationZwei-Punkt-Diskrimination\"\iAuflösungsvermögen:räumliches in Abhängigkeit vom Messort auf der Körperoberfläche.
[4.5]

Entladungsraten von Kalt- und Warmfasern als Funktion der Hauttemperatur unter Steady-State-Bedingungen. Der Überlappungsbereich wird als Indifferenzzone bezeichnet. Manche Kaltfasern zeigen bei Erhitzung eine paradoxe Aktivitätszunahme (sog. Kaltparadox\"\iKaltparadox).

Kälte-Kälterezeptor\"\i, Wärme-Wärmerezeptor\"\i und Hitzerezeptor\"\iHitzerezeptoren. a Sekundärstruktur einer Untereinheit der betreffenden TRP-TRP-Kanal:Sekundärstruktur\"\iKanäle. Die Untereinheit besteht aus 6 Segmenten, die jeweils die Membran durchziehen, wobei die „Haarnadel“ zwischen Segment 5 und 6 den Ionenkanal auskleidet. Die Temperaturskala zeigt die Empfindlichkeit der Kanäle an. Einige Thermo-TRPs reagieren nicht nur auf thermische Reize, sondern auch auf natürliche Gewürzstoffe in Meerrettich, Minze, Temperaturwahrnehmung\"\iMinze oder Chili, Temperaturwahrnehmung\"\iChili, die dadurch simultane, zum Teil schmerzhafte Temperaturempfindungen hervorrufen können. b Elektrophysiologische Registrierung von Zellen, die entweder TRPM8 oder TRPV1 exprimieren. Ausschläge nach unten zeigen jeweils den Einstrom positiver Ladungsträger durch den betreffenden TRP-Kanal an (im „ungeklemmten“ Rezeptor würde daraus ein Rezeptorpotenzial entstehen). Die Messspuren wurden in der Spannungsklemme gewonnen (Haltepotenzial –60 mV, Kap. 3.1.2, Kap. 3.4.3) und zeigen Ionenströme an, die durch einen Kälte- bzw. Wärmesprung, durch Menthol oder durch Capsaicin hervorgerufen wurden.
[4.6]

Haut:Dermatome\"\iDermatom\"\iDermatome als radikulär innervierte Hautzonen. a Thorakaler Hautbereich mit den zugehörigen, auf der Höhe von T3, T4 und T5 in das Hinterhorn:Somatosensibilität\"\iHinterhorn des Rückenmarks mündenden somatosensorischen Afferenzen. Die Farbcodierung verdeutlicht die Überlappung der Dermatome. b Dermatome des menschlichen Körpers. Zur Verdeutlichung der Überlappung sind die Dermatome seitenalternierend dargestellt.
[4.7]

Thalamus:kortikale Projektionen, Somatosensibilität\"\iThalamuskerne mit den wichtigsten kortikalen Projektionen. Somatosensorische AfferenzenAfferenz:somatosensorische vom Gesicht ziehen via N. trigeminus zum VPMNucleus:ventralis posteromedialis, während die somatosensorischen Afferenzen des restlichen Körpers via Hinterstrangsystem/Lemniscus medialisLemniscus:medialis und Tractus spinothalamicusTractus:spinothalamicus des Vorderseitenstrangsystems zum Nucleus:ventralis posterolateralis, Somatosensibilität\"\iVPL ziehen. A = Nucleus anterior, CM = Nucleus centromedianus, DM = Nucleus dorsomedialis, IL = intralaminare Kerne, LP = Nucleus lateralis posterior, PF = Nucleus parafascicularis, PO = Nucleus posterior, Pu = Pulvinar, VA/VL = Nucleus ventroanterior bzw. ventrolateralis (Eingänge von Basalganglien bzw. Zerebellum), VPL/VPM = Nucleus ventralis posterolateralis bzw. posteromedialis (= ventrobasaler Komplex).

Thalamokortikaler Informationsfluss:thalamokortikaler\"\iInformationsfluss und Vigilanz:Somatosensibilität\"\iVigilanz. a Im Wachzustand:Somatosensibilität\"\iWachzustand leiten die thalamischen Umschalt-(Relais-)Neurone die sensorischen Informationen (rot) zuverlässig an den Kortex weiter. Durch depolarisierende Einflüsse retikulärer Kerngebiete (mesopontine cholinerge Kerne, noradrenerge Neurone des Locus coeruleus und serotonerge Neurone des Nucleus Nucleus:raphe, Somatosensibilität\"\iraphe) wird das Membranpotenzial der Umschaltneurone nahe der Entladungsschwelle gehalten; sie feuern bei überschwelliger Erregung einzelne Aktionspotenziale. Sensorische Afferenzen können die Umschaltneurone dadurch leicht erregen, der thalamokortikale Informationsfluss ist gesichert. b Mit zunehmender Schlaf:Somatosensibilität\"\iSchlaftiefe entfallen die depolarisierenden retikulären Einflüsse. Die Umschaltneurone beginnen spontan und synchron zu oszillieren, wobei Aktionspotenziale jetzt nicht einzeln, sondern in Salven abgefeuert werden. Diese Oszillationen übertragen sich auf den Kortex und erzeugen dort die für den Tiefschlaf charakteristischen langsamen δ-<03B4>-Welle:Schlaf\"\iWellen. Der Eigenrhythmus der Umschaltneurone ist äußerst stabil und kann durch sensorische Afferenzen nur sehr schwer durchbrochen werden (Kap. 6.2).

Thalamokortikale Projektion:thalamokortikale, Somatosensibilität\"\iProjektionsgebiete im somatosensorischen System. a Seitenansicht des Kortex mit den Regionen SI, SII und posteriorer Parietalkortex. b Parasagittaler Schnitt durch den somatosensorischen Kortex (Schnittführung entsprechend roter Linie in a. Pfeile zeigen die Projektionen vom ventrobasalen Thalamus (VPL/VPM) nach SI und die intrakortikalen Verbindungen zwischen den 4 Regionen von SI. Die Pfeildicke soll die Stärke der Projektionen andeuten. Die Area 4 gehört zum motorischen Kortex, Area 5 und die (hier nicht dargestellte) Area 7 bilden den posterioren Parietalkortex, der als höhere (integrativ-assoziative) somatosensorische Kortexregion dient.
[4.4]

Somatotope Karte der Körperoberfläche. Der Homunkulus:somatosensorischer Kortex\"\iHomunkulus zeigt schematisch die Topografie der Somatosensorik in der Großhirnrinde mit ausgedehnten Repräsentationen von Gesicht, somatosensorischer Kortex\"\iGesicht und Hand, somatosensorischer Kortex\"\iHand. Die funktionelle Zuordnung erfolgte anhand neurophysiologischer Kartierungsexperimente: Lokale elektrische Reizung entlang dem Gyrus postcentralisGyrus:postcentralis ruft beim wachen Patienten Empfindungen in der auf der Karte wiedergegebenen Körperregion hervor. Ebenso evoziert Reizung in der Peripherie ein elektrisches Potenzial im entsprechenden Kortexbereich.
[4.8]

Modularer Aufbau des somatosensorischen KortexKortex:somatosensorische. a Querschnitt durch den Gyrus postcentralisGyrus:postcentralis mit benachbarten Regionen. Innerhalb von SI verarbeiten die verschiedenen Areae unterschiedliche (Sub-)Modalitäten der Somatosensorik. b Ausschnittvergrößerung des in a dunkelblau gezeichneten Bereichs von Area Brodmann-Areal(e):3b\"\i3b mit den Repräsentationen der Finger 2–4. Die Informationen der SA-SA-Rezeptor:somatosensorischer Kortex\"\iRA-Rezeptor:somatosensorischer Kortex\"\i und RA-Rezeptoren werden separat in streng somatotopisch angeordneten Zellsäulen (Kolumnen) verarbeitet. Haupteingangsort der somatosensorischen Afferenzen ist Schicht IV. Efferenzen der verschiedenen Kortexschichten projizieren zu unterschiedlichen kortikalen und subkortikalen Zielen; a = Ausgang zu Area 1, 2 und SII, b = Eingang vom Thalamus, c = Ausgang zu Basalganglien, Hirnstamm, Rückenmark, d = Ausgang zum Thalamus.
[4.4]

Funktionelle Eigenschaften der primären nozizeptiven Nervenzelle. Periphere nozizeptive AfferenzenAfferenz:nozizeptive sind lang gestreckte Nervenzellen mit einem kontinuierlichen Axon von den peripheren Terminalen (im Bild in der Haut) bis zu den zentralen Terminalen im Hinterhorn des Rückenmarks. Die Zellkörper liegen in den Spinalganglien. Die peripheren Endigungen (Nozizeptor\"\iNozizeptoren) werden durch potenziell schädigende (noxische) Reize und durch Entzündungsmediatoren erregt. Eine besondere Eigenschaft, zusätzlich zur Reizaufnahme, sind efferente Funktionen dieser Neurone. Depolarisation der Nozizeptoren führt zur Freisetzung von Neuropeptide:Nozizeption\"\iNeuropeptiden (neurogene Entzündung).
[4.9]

Mechanismen der Transduktion:Nozizeption\"\iSignaltransduktion:Nozizeption\"\iNozizeption:Transduktion\"\iTransduktion und Nozizeptor:Sensibilisierung\"\iSensibilisierung von Nozizeptoren. Vielfältige Proteine in der Membran der Nozizeptoren bestimmen die elektrophysiologischen Eigenschaften und verändern die Empfindlichkeit. a Beispiele für ionotrope RezeptorproteineRezeptor:ionotroper und deren Aktivierung sind P2X-Rezeptor\"\iP2X (ATP), 5-5-HT3-Rezeptor\"\iHT3 (Serotonin:Entzündungsschmerz\"\iSerotonin) und der Vanilloidrezeptor Typ Vanilloidrezeptor Typ 1\"\i1 (TRPV1; Hitze, Säure, Capsaicin mit intrazellulärer Bindungsstelle, s. Pfeil). Diese Transduktionsproteine sind unspezifische Kationenkanäle, und ihre Öffnung führt auch zu einem Anstieg der intrazellulären Ca2+-Konzentration und zur möglichen Freisetzung von Neuropeptiden. b Beispiele für die Aktivierung von metabotropen RezeptorproteinenRezeptor:metabotroperRezeptor:metabotroper sind das Prostaglandin E2Prostaglandin(e):E2 (PGE2), Bradykinin:Entzündungsschmerz\"\iBradykinin und der Nervenwachstumsfaktor NGF (Nerve Growth NGF (Nerve Growth Factor):Entzündungsschmerz\"\iNerve Growth Factor:Entzündungsschmerz\"\iFactor). Die Bindung an die Rezeptoren (EP, B, TrkA) und nachfolgende Aktivierung der Proteinkinase AProteinkinase:A (PKA), der Proteinkinase CProteinkinase:C (PKC) und der Phosphatidylinositol-3-Phosphatidylinositol-3-Kinase (PI-3K):Entzündungsschmerz\"\iKinase (PI-3K) führt zur Phosphorylierung von TRPV1, wodurch sich die Empfindlichkeit der Nozizeptormembran erhöht (periphere Sensibilisierung). Darüber hinaus kommt es zur Phosphorylierung von spezifischen spannungsabhängigen NatriumkanälenNatriumkanal:spannungsabhängiger (Nav) was zur Sensibilisierung beitragen kann (gestrichelte Pfeile), (s. Text).
[4.10]

Projizierter Schmerzen:projizierte\"\iSchmerz. Aktionspotenziale, die entlang des Axons in einer afferenten Nervenfaser entstehen, werden vom ZNS immer auf den Ort der peripheren Endigung projiziert. Als Beispiel ist ein Bandscheibenvorfall, projizierter Schmerz\"\iBandscheibenvorfall der Halswirbelsäule dargestellt. Die ektope Erregung der spinalen Hinterwurzeln führt zu Schmerzen in den Hautarealen mit den peripheren Nervenendigungen (Darstellung für die zervikalen Segmente C6–C8).
[4.11]

Anatomische Grundlagen des übertragenen Schmerzen: übertragene\"\iSchmerzes. a Primär afferente Neurone aus der Haut und spinoviszerale Afferenzen aus den Eingeweiden konvergieren auf die gleichen Ursprungsneurone des Tractus spinothalamicusTractus:spinothalamicus. Dies kann dazu führen, dass ein viszeraler Schmerz an korrespondierenden Hautarealen (Head-Zonen) empfunden wird. b Hautareale (Head-Head-Zonen\"\iZonen), bei denen durch Erkrankungen von inneren Organen übertragene Schmerzen auftreten können. Diese Hautareale entsprechen einem oder mehreren Dermatomen (Hautsegmenten von Spinalnerven).
[4.12]

Neurotransmitter, Rezeptoren und Plastizität einer nozizeptiven Synapse des Rückenmarks. a Synaptische Kontaktstellen einer primär afferenten Nervenzelle und eines spinalen Interneurons mit der Membran einer Ursprungsnervenzelle des Tractus spinothalamicus im Hinterhorn des Rückenmarks. Die erregend wirksame Aminosäure Glutamat:nozizeptive Neurone\"\iGlutamat bindet an AMPA-AMPA-Rezeptor:nozizeptive Neurone\"\i und NMDA-NMDA-Rezeptor:nozizeptive Neurone\"\iRezeptoren; die Neuropeptide Substanz PSubstanz:P (erregend wirksam) und Enkephaline:nozizeptive Neurone\"\iEnkephalin (hemmend wirksam) aktivieren den NK1- bzw. den μ-Rezeptor. Der μ-Rezeptor ist ein Subtyp aus der Gruppe der Opioidrezeptor, nozizeptive Neurone\"\iOpioidrezeptoren. b Bei der Langzeitpotenzierung (zentralen Sensibilisierung) der synaptischen Erregung strömt zunächst Ca2+ durch den NMDA-Rezeptor (1). Dies ist nur möglich, wenn an einer depolarisierten Membran Glutamat an den Rezeptor bindet. Der Ca2+-Einstrom führt durch Aktivierung von Proteinkinasen zur Phosphorylierung des AMPA-Rezeptors und zu einer erhöhten Öffnungswahrscheinlichkeit. Dies bedeutet, dass synaptisch freigesetztes Glutamat nach der Potenzierung eine gesteigerte postsynaptische Erregung verursacht (2). Weiterhin führt der Ca2+-Einstrom zur Aktivierung von Transkriptionsfaktoren und zu Veränderungen der Genexpression. Die zentrale Sensibilisierung kann auch zu einer heterosynaptischen Potenzierung führen. Dabei wird ein vorher nur für nozizeptive Reize empfindliches Hinterhornneuron auch durch nichtnozizeptive Reize erregt.
[4.13, 4.14].

Deszendierende Bahnsysteme mit hemmender Wirkung an einem Ursprungsneuron des Tractus spinothalamicusTractus:spinothalamicus. a Bahnen vom Kortex bis zum Rückenmark. b Grundlagen der spinalen Hemmung:spinale\"\iHemmung: Absteigende monoaminerge Fasertrakte erregen durch Freisetzung von z.B. Serotonin:spinale Hemmung\"\iSerotonin ein spinales Interneuron. Die Erregung des Interneurons führt durch Freisetzung von körpereigenen Opioiden (z.B. Enkephaline:spinale Hemmung\"\iEnkephalin) dazu, dass die Erregung einer nozizeptiven Afferenz gehemmt wird. Dabei sind prä- und postsynaptische Mechanismen beteiligt.

Wirkungsmechanismen medikamentöser Schmerztherapie:medikamentöse\"\iSchmerztherapie. An einer afferenten nozizeptiven Nervenzelle können analgetisch wirksame Substanzen von der peripheren Terminale bis zu den synaptischen Endigungen im Rückenmark angreifen. Die 3 Hauptwirkungen sind die Hemmung der Bildung von Noxen und Entzündungsmediatoren (links), die Unterdrückung der Fortleitung von Aktionspotenzialen (Mitte) und die Hemmung der Erregbarkeit von spinalen nozizeptiven Nervenzellen durch Blockade des präsynaptischen Kalziumeinstroms bzw. durch Hyperpolarisation der postsynaptischen Membran nach Öffnung von Kaliumkanälen (rechts); EPSP = exzitatorisches postsynaptisches Potenzial, IPSP = inhibitorisches postsynaptisches Potenzial, G = G-Protein, AP = Aktionspotenzial.

Horizontalschnitt durch das menschliche Auge:Horizontalschnitt\"\iAuge (Schema).

Kardinalpunkte\"\iAuge:Kardinalpunkte\"\iKardinalpunkte des Auges nach Gullstrand (1909). Unter Ausnutzung der Gauß‘schen Näherung kann man für optische Systeme mit mehreren brechenden Oberflächen 6 Kardinalpunkte berechnen (vorderer [F1] und hinterer Brennpunkt\"\iBrennpunkt [F2], vorderer [K] und hinterer Knotenpunkt\"\iKnotenpunkt [K‘] und die Schnittpunktstelle der Hauptebenen [H und H‘] mit der optischen Achse). Mit ihnen können Position und Größe des Bilds für achsennahe Strahlen konstruiert oder berechnet werden. Die Werte für ein durchschnittliches menschliches Auge kann man dem schematischen Auge nach Gullstrand-Auge\"\iGullstrand entnehmen. Zum Beispiel lässt sich die retinale Bildvergrößerung aus dem Abstand des Knotenpunktes K‘ von der Netzhaut (= hintere Knotenlänge, 24,4–7,35 = 17,05) bestimmen: Bildgröße (mm) = tangens (Sehwinkel, in Grad) mal hintere Knotenlänge. Damit hat ein Gegenstand (z.B. Vollmond), der unter einem Sehwinkel von 1 Grad gesehen wird, eine Bildgröße auf der Netzhaut von etwa 0,29 mm. Beim menschlichen Auge liegen die beiden Hauptebenen und die beiden Knotenpunkte sehr nahe beieinander. Ein vereinfachtes Modell rechnet deshalb mit dem sog. reduzierten Auge:reduziertes\"\iAuge, das die gleiche Abbildungsgröße wie ein menschliches Auge besitzt, aber nur eine brechende Oberfläche mit dem Krümmungsradius von 5,5 mm. Es ist mit Wasser (n = 1,333) gefüllt. Wie beim menschlichen Auge betragen dann die vordere Brennweite (= hintere Knotenlänge) etwa 17 mm und die hintere Brennweite 22 mm.

Astigmatismus\"\iAstigmatismus. Bei einer astigmatischen Linse ist der Krümmungsradius (r) in den 2 Meridianen unterschiedlich. Entsprechend hat die Linse 2 unterschiedliche Brennweite:Astigmatismus\"\iBrennweiten, und ein Punkt wird nicht punktförmig, sondern als Strich abgebildet (horizontaler und vertikaler Brennpunkt). Auf Ebenen zwischen den beiden Brenn-„Punkten“ wird der „Punkt“ als Ellipse abgebildet, genau in der Mitte aber als Kreis. Beim regulären Astigmatismus stehen dabei die Meridiane mit der längsten und der kürzesten Brennweite senkrecht aufeinander.

Akkommodation\"\iAkkommodation. Nahpunkt\"\iNahpunkt ist der kürzeste Abstand vom Auge, Fernpunkt\"\iFernpunkt der größte Abstand, bei dem ein Gegenstand unter Einsatz der verfügbaren Akkommodationsbreite gerade noch scharf abgebildet werden kann. a Bei Fernakkommodation\"\iFernakkommodation ist der Ziliarmuskel entspannt und die Linse über die Zonulafasern durch Zug der elastischen Strukturen der Aderhaut abgeflacht. b Bei Nahakkommodation\"\iNahakkommodation ist der Ziliarmuskel kontrahiert, die Zonulafasem erschlaffen, und die Linse nimmt aufgrund ihrer Eigenelastizität eine eher kugelförmige Gestalt an. Dadurch verkürzt sich ihre Brennweite, und nach Gleichung (2) können Gegenstände in der Nähe scharf abgebildet werden.

Abnahme der Alter:Akkommodationsbreite\"\iAkkommodationsbreite:Alter\"\iAkkommodationsbreite mit dem Alter. Scharfes Sehen in der Nähe ist beim Normalsichtigen im Alter nicht mehr möglich (Alterssichtigkeit\"\iAlterssichtigkeit, Presbyopie\"\iPresbyopie).

Sphärische Refraktionsfehler, sphärische\"\iAuge:Refraktionsfehler\"\iRefraktionsfehler. Jeweils oben ist der Strahlengang eingezeichnet, darunter als roter Balken der Bereich des scharfen Sehens durch Akkommodation. Bei der Emmetropie\"\iEmmetropie (Normalsichtigkeit\"\iNormalsichtigkeit) sind Brennweite und Achsenlänge genau aufeinander abgestimmt; der Bereich des scharfen Sehens reicht von unendlich bis zum Nahpunkt (N). Bei der Myopie\"\iMyopie (Kurzsichtigkeit\"\iKurzsichtigkeit) ist das Auge zu lang. Weiter entfernte Blickziele werden vor der Netzhaut scharf abgebildet. Zur optischen Korrektur (untere Bildhälfte) muss eine Zerstreuungslinse (–dpt) vorgesetzt werden. Bei Hyperopie\"\iHyperopie (Weitsichtigkeit\"\iWeitsichtigkeit) ist das Auge zu kurz. Die zusätzlich erforderliche Brechkraft kann durch vermehrte Akkommodation aufgebracht werden. Dabei verliert das Auge jedoch die Fähigkeit, sehr nahe befindliche Gegenstände scharf zu sehen. Ein Teil des Akkommodationsbereichs kann nicht genutzt werden, da der Fernpunkt jenseits von unendlich liegt. Zur Anpassung dient eine Sammellinse (+dpt).

Bestimmung sphärischer Refraktionsfehler, sphärische:Bestimmung\"\iRefraktionsfehler. Durch Vorsetzen einer Sammellinse mit der Brennweite f und anschließende Bestimmung des entferntesten Punkts P (Abstand a), an dem noch scharf gesehen werden kann, lässt sich nach der Formel der wahre Fernpunkt:wahrer\"\iFernpunkt (gültig für das Auge ohne Brillenkorrektur) bestimmen. Der sphärische Refraktionsfehler [dpt] entspricht dem Kehrwert des wahren Fernpunkts.

Ophthalmoskopie\"\iAugenhintergrund\"\iAugenhintergrund bei der Spiegelung im umgekehrten Bild. Die Macula:Ophthalmoskopie\"\iMacula (M) liegt etwa 15 Sehwinkelgrade von der Austrittsstelle des N. opticusNervus:opticus (Papilla n. optici, P) entfernt. Die etwas dickeren und dunkleren Venen (V) lassen sich von den dünneren und helleren Arterien (A) im oberen und unteren Gefäßbogen unterscheiden.
[O634]

Ophthalmoskopie\"\iOphthalmoskopie. a Beim Spiegeln im aufrechten Bild betrachtet der Untersucher den Augenhintergrund des Patienten direkt. Dabei benutzt er die Ophthalmoskopierlupe (L), um Refraktionsfehler auszugleichen. b Beim Spiegeln im umgekehrten Bild betrachtet er ein reelles Bild des Augenhintergrunds, das er mithilfe der Ophthalmoskopierlupe (L) erzeugt. Der Beleuchtungsstrahlengang ist rot dargestellt.

Bahn der Pupillenlichtreaktion:Bahnen\"\iPupillenlichtreaktion. Die Sehbahn ist der afferente Anteil und über verschiedene Bahnen mit der prätektalen Region (Area pretectalis) im dorsalen Mittelhirn, der Steuerzentrale der Pupillenlichtreaktion, verbunden. Die prätektalen Kerngebiete innervieren die beiden Edinger-Westphal-Nucleus:Edinger-Westphal\"\iKerne, die parasympathischen Anteile des Nucleus Nucleus:oculomotorius\"\ioculomotorius, in dem der efferente Anteil der Pupillenbahn beginnt. Im Ganglion ciliareGanglion:ciliare in der Orbita erfolgt eine Umschaltung. Es ist auch bekannt, dass die Sehrinde an der Pupillenlichtreaktion beteiligt ist. Der anatomische Verlauf dieser letztgenannten Verbindungen ist bislang nicht geklärt.

Regelkreis:Pupillenlichtreaktion\"\iPupillenlichtreaktion:Regelkreis\"\iRegelkreis der Pupillenlichtreaktion. Auf den eigentlichen Regelkreis wirken vielfältige kortikale und subkortikale Einflüsse zusätzlich ein. Eine hemmende Wirkung (rote Minuszeichen und Pfeile) auf parasympathische Anteile führt ebenso zu einer Pupillenerweiterung wie eine stimulierende Wirkung (grüne Pluszeichen und Pfeile) auf den Sympathikus. Ein nachlassender Sympathikotonus und ein gesteigerter parasympathischer Einfluss, z.B. eine nachlassende zentrale Hemmung bei Müdigkeit oder infolge bestimmter Drogen, führen zu einer Pupillenverengung.

Untersuchung der Pupille:Untersuchung\"\iPupillen mithilfe des Pupillenwechselbeleuchtungstest\"\iPupillenwechselbeleuchtungstests („Swinging-Flashlight-Swinging-Flashlight-Test\"\iTest“). 1–4: Normalbefund: Die Pupillen sind im Dunkeln (1) und Hellen (2) gleich weit. Sie reagieren bei Beleuchtung des rechten (3) und linken (4) Auges gleich. 5–6: Störung der Afferenz (Sehnerv, Netzhaut) des linken Auges: Beide Pupillen reagieren besser, wenn das rechte Auge beleuchtet wird (5), im Vergleich zur Beleuchtung des linken Auges (6). Man spricht von einer relativen afferenten Pupillenstörung:afferente\"\iPupillenstörung, in diesem Fall links. Eine solche, allerdings nach wenigen Minuten vorübergehende, afferente Pupillenstörung kann man im Experiment beobachten, nachdem man mit einem Auge etwa eine Minute in helles Licht geschaut hat oder, kontralateral, wenn man ein Auge für etwa 30 Minuten lichtdicht abklebt. Die Ursache dafür liegt in der seitenunterschiedlichen Adaptation der Netzhaut. Würden die Pupillen auf Beleuchtung des linken Auges gar nicht, bei Beleuchtung rechts aber normal reagieren, läge eine amaurotische Pupillenstarre:amaurotische\"\iPupillenstarre (Amaurose\"\iAmaurose = Erblindung) links vor, die Maximalausprägung einer afferenten Pupillenstörung. Die amaurotische Pupillenstarre ist ein sicherer Beweis dafür, dass ein Auge erblindet ist. 7–10: Störung der Pupillenstörung:efferente\"\iPupillenlichtreaktion rechts: In diesem Fall ist die Efferenz, hier die parasympathische Innervation, gestört. Die Pupillen sind unterschiedlich weit (Anisokorie), was im Hellen, wo die rechte Pupille sich verengen müsste, noch deutlicher wird (8). Wenn sie gar nicht mehr reagiert, spricht man von einer absoluten Pupillenstarre:absolute\"\iPupillenstarre. Die Reaktion der normal reagierenden linken Pupille ist gleich, unabhängig davon, ob sie selbst (direkte Lichtreaktion, 10) oder die rechte Pupille (indirekte oder konsensuelle Lichtreaktion, 9) beleuchtet wird. 11–12: Kombination einer efferenten und einer afferenten Pupillenstörung rechts: Die konsensuelle Lichtreaktion der linken Pupille (11) ist schwächer als die direkte Lichtreaktion. Bei diesem rechten Auge sind möglicherweise N. opticus und N. oculomotorius geschädigt.

Aufbau und neuronale Netzhaut:neuronale Verschaltung\"\iVerschaltung der Netzhaut:Aufbau\"\iNetzhaut (Schema). Zapfen:Verschaltung\"\iZapfen (Z) und Stäbchen:Verschaltung\"\iStäbchen (S) sind über verschiedene Bipolarzelle:Netzhaut\"\iBipolarzellen (flache Bipolarzellen, FB; invaginierende Bipolarzellen, IB; Stäbchen-Bipolarzellen, SB) als erste Neurone mit den Ganglienzellen des magnozellulären SystemsSystem:magnozelluläres (GM, helligkeitscodierende Neurone) und des parvozellulären SystemsSystem:parvozelluläres (GP, farbcodierende Neurone) als zweite Neurone verbunden (s.a. Tab. 4.5). Die Fotorezeptoren sind zusätzlich über Horizontalzelle:Netzhaut\"\iHorizontalzellen (H) oder über Amakrinzelle, Netzhaut\"\iAmakrinzellen (A) querverschaltet. Es kommen sowohl elektrotonische Gap Gap Junctions:Netzhaut\"\iJunctions (z.B. zwischen Zapfen und Stäbchen in der äußeren plexiformen Schicht) als auch chemische Synapse:Netzhaut\"\iSynapsen (z.B. in der inneren plexiformen Schicht) in der Netzhaut vor. Die Kerne der Fotorezeptoren bilden die äußere nukleäre Schicht, die der Bipolarzellen, Horizontalzellen, Amakrinzellen die innere nukleäre Schicht, während die Ganglienzellen, deren Axone den N. opticus bilden, die innerste Schicht der retinalen Neurone darstellen. Die Außensegmente der Fotorezeptoren stehen in innigem Kontakt mit den Pigmentepithelzellen. Die äußeren Schichten der Netzhaut werden „per diffusionem“ über die Aderhaut ernährt. Die inneren Schichten besitzen ein eigenes Kapillargeflecht.

Fotorezeptor:Aufbau\"\iFotorezeptoren und Retinoidstoffwechsel\"\iRetinoidstoffwechsel (Schema). a Das Stäbchen:Außensegment\"\iAußensegment der Stäbchen besteht aus zahlreichen übereinander geschichteten Membranscheiben (Vergrößerung rechts oben), in welche das Rhodopsin\"\iRhodopsinmolekül eingelagert ist. Im Inneren des in 7 α-Helizes angeordneten Opsins ist an Lysin-196 das Retinal angekoppelt, hier in der 11-cis-Form. Beide zusammen bilden das Rhodopsin. b Nach Belichtung wandelt sich das 11-cis-11-cis-Retinal\"\iRetinal in das all-trans-Retinal (Isomerisation) und schließlich in das all-trans-Retinol (Vitamin A) um. c Der Retinoidstoffwechsel zwischen Fotorezeptorzelle und retinalem Pigmentepithel: 11-cis-Retinal (11-cis-Ral) wird durch Licht (hν) innerhalb von Pikosekunden in das Stereoisomer all-trans-all-trans-Retinal\"\iRetinal umgewandelt (t-Ral) und dabei das aktive Fotoprodukt Metarhodopsin II (Rh∗) gebildet, das seinerseits den Fototransduktionsprozess in Gang setzt. Ein ATP bindender Kassettentransporter (ABCR) bewegt das all-trans-Retinal durch die Membran des Scheibchens in das Zytosol des Außensegments. Die all-trans-Retinol-Dehydrogenase (RDH) katalysiert die Reduktion des all-trans-Retinals (t-Ral) in all-trans-Retinol (t-Rol), das mithilfe eines Interfotorezeptor-Retinoid bindenden Proteins (IRBP) durch den subretinalen Raum hindurch in die Pigmentepithelzelle geschleust wird. Dort wird es mithilfe der Lezithin-Retinol-Acyltransferase (LRAT) verestert. All-trans-Retinylester (t-RE) wird mithilfe einer Isomerohydrolase (IMH) in 11-cis-Retinol (11-Rol) transformiert und wiederum in Esterform gespeichert oder durch eine 11-cis-Retinoldehydrogenase (11-RDH) zu 11-cis-Retinal (11-cis-Ral) umgewandelt. Dieses wiederum diffundiert mithilfe des Interfotorezeptor-Retinoid bindenden Proteins (IRBP) in den Fotorezeptor und verbindet sich wieder mit Opsin. Dadurch ist das Sehpigment wieder regeneriert und steht für eine erneute, durch Licht induzierte Aktivierung zur Verfügung. In der Pigmentepithelzelle gibt es ein wasserlösliches zelluläres Retinalaldehyd bindendes Protein (CRALBP), das für den Transport von und zur Leber verantwortlich ist, unterstützt durch das zelluläre retinolbindende Protein (CRBP).
[4.15]

Spektrale Empfindlichkeit und Verteilung der Fotorezeptor:Verteilung\"\iFotorezeptoren. a Die Sehfarbstoff:Empfindlichkeit\"\iSehpigmente der Zapfen:rotempfindliche\"\iRotzapfen\"\irotempfindlichen (R), Zapfen:grünempfindliche\"\iGrünzapfen\"\igrünempfindlichen (G) und blauempfindlichen (B) Zapfen:blauempfindliche\"\iBlauzapfen\"\iZapfen sind am empfindlichsten bei 567, 535 und 440 nm, während das hochempfindliche Stäbchensystem (S) ein Maximum bei etwa 500 nm besitzt. b Verteilung der Zapfen:Verteilung\"\iZapfenrezeptoren: Die Gesamthäufigkeit (Z) der Zapfen nimmt zur Netzhautperipherie erst stark, dann nur noch langsam ab. In der Foveola gibt es die meisten rot- und grünempfindlichen Zapfen (70.000 pro Quadratmillimeter), aber keine blauempfindlichen, die am häufigsten bei etwa 2–5° Exzentrizität (Abweichung von der Fixationsachse in Grad) zu finden sind. Stäbchenrezeptoren haben ihr Maximum bei ca. 15–20° Exzentrizität. c Mosaik der 3 Zapfentypen in der zentralen Netzhaut (Schema).

Transduktion:Fotorezeptoren\"\iSignaltransduktion:Fotorezeptoren\"\iFototransduktion\"\iFototransduktion. Im Dunkeln hält das zyklische Guanosinmonophosphat (cGMP) die Kationenkanäle (permeabel für Na+ und Ca2+) der zytoplasmatischen Membran im Außensegment der Fotorezeptoren geöffnet. Fällt Licht ein, wird Rhodopsin (Rh∗) aktiviert, das seinerseits über Transducin, ein Guanosin-bindendes Protein (G), eine Phosphodiesterase (PDE) aktiviert. Diese hydrolysiert cGMP zu GMP und die Kationenkanäle schließen sich innerhalb weniger Millisekunden. Es strömt damit sowohl weniger Na+ in die Zelle (was zur Hyperpolarisation führt) als auch weniger Ca2+, das durch den Na+/Ca2+-Austauscher weiter reduziert wird. Der nach einigen 100 ms reduzierte Ca2+-Spiegel ist ein „Anpassungssignal“, das über die Aktivierung einer Guanylatcyclase (Gc) wieder zur Erhöhung der cGMP-Konzentration führt. Dadurch öffnen sich die Kationenkanäle konzentrationsabhängig wieder. Das Ca2+-vermittelte Signal dient also auch einem Helligkeitsanpassungsprozess der Lichtadaptation.

Rezeptorpotenzial:Fotorezeptoren\"\iRezeptorpotenziale und Elektroretinogramm\"\iElektroretinogramm. a Die elektrische Antwort der Zapfen-Zapfen:Rezeptorpotenzial\"\i und der Stäbchen:Rezeptorpotenzial\"\iStäbchenrezeptoren auf Licht (grauer Balken = Lichtzeitdauer) bei Kaltblütern. Die Prozesse laufen langsamer ab als bei Warmblütern. b In dem von der Kornea abgeleiteten Elektroretinogramm (ERG) des Menschen lassen sich nach Dunkeladaptation Stäbchen:Elektroretinogramm\"\iStäbchenantworten (links) ableiten, nach Helladaptation Zapfen:Elektroretinogramm\"\iZapfenantworten (rechts). Positive Potenziale sind als positive Ausschläge nach oben, negative Potenziale als Ausschlag nach unten, der Moment der Lichtreizung ist durch die Pfeile dargestellt. Die Amplitude wächst mit zunehmender Belichtungsstärke, die Latenz zwischen Reiz und Antwortmaximum verkürzt sich dabei. Weitere Erläuterungen s. Text.
[4.16]

Verschaltung und Antwortverhalten retinaler Ganglienzelle:retinale\"\iGanglienzellen. a On-On-Neuron, Netzhaut\"\iNeurone depolarisieren nach Belichtung der vorgeschalteten Zapfen über invaginierende Bipolarzellen (IB), während Off-Off-Neuron, Netzhaut\"\iNeurone (die nach Belichtung hyperpolarisieren) über flache Bipolarzellen (FB) versorgt werden. Im Stäbchenmechanismus findet die Vorzeichenumkehr über 2 verschiedene Typen von Amakrinzellen statt (A II und A 13), die ihrerseits von einer einzigen Stäbchen-Bipolarzelle (SB) versorgt werden. OPL = äußere plexiforme Schicht; INL = innere nukleäre Schicht; IPL = innere plexiforme Schicht, mit Synapsenschicht der Off-Neurone (IPL a) und der On-Neurone (IPL b). Über Fortsätze in der invaginierenden Synapse modulieren die Horizontalzellen (H) die Weiterleitung der Lichtantwort. b Als einzige Zellen in der Netzhaut antworten die Ganglienzellen mit Entladungen von Aktionspotenzialserien. In Off-Neuronen wird die Spontanentladung der Aktionspotenziale durch Belichtung (hier 500 ms lang) unterdrückt, in On-Neuronen verstärkt.
[4.17]

Aufbau und Antwortverhalten einer farbantagonistisch organisierten System:parvozelluläres\"\iNeuron:farbcodierendes\"\iGanglienzelle:farbcodierende\"\iGanglienzelle. a Verschaltung einer farbantagonistischen Ganglienzelle (Gc) in der Netzhaut (Schema). Die spektral unterschiedlichen Fotorezeptoren hemmen (–) oder erregen (+) die Ganglienzelle über erregende (IN1) oder hemmende Interneurone (IN2); weitere Erläuterungen s. Text. b Durch die farbantagonistische Verschaltung kann eine Antwort auf ein bewegtes Objekt (Pfeil) erzeugt werden, das sich vom Hintergrund nur durch Farbe, aber nicht durch Helligkeit unterscheidet. c Die farbantagonistischen Ganglienzellen bilden sowohl On-Neurone als auch Off-Neurone. Dabei können die Rot- (R), Grün- (G) und Blauzapfen (B) in verschiedener Weise zusammenwirken; weitere Erläuterungen s. Text.
[4.18]

Farbdreieck\"\iFarbdreieck als Querschnitt durch eine Ebene gleicher Helligkeit in einem dreidimensionalen Farbenraum. Der Rotanteil einer Mischfarbe wird durch r, der Grünanteil durch g und der Blauanteil durch den verbleibenden Rest (1 – [r + g]) dargestellt. Bei angeborenen Farbensinnstörung:Farbdreieck\"\iFarbensinnstörungen werden nicht alle Farben verwechselt, sondern nur solche, die auf „Geradenbüscheln“ liegen, die sich in bestimmten Punkten schneiden („Verwechslungsgerade\"\iVerwechslungsgerade“). Die Lage der Punkte hängt vom Typ der Farbensinnstörung ab. a Die Verwechslungsgeraden der Rotschwachen (Protanomalie:Farbdreieck\"\iProtanomale) schneiden sich in der roten Ecke des Farbdreiecks. b Die Verwechslungsgeraden der Grünschwachen (Deuteranomalie:Farbdreieck\"\iDeuteranomale) schneiden sich außerhalb des Farbdreiecks. c Die Verwechslungsgeraden der Blauschwachen (Tritanomalie:Farbdreieck\"\iTritanomale) schneiden sich in der blauen Ecke des Farbdreiecks. d Die Lage der Verwechslungsgeraden und damit die Art der Farbensinnstörung wird durch die Verwechslung in Farbanordnungstests bestimmt.
[L106/E853]

Farbensinnstörung\"\iFarbensinnstörungen. Die aus spektralen Empfindlichkeitskurven errechnete Protanopie, Farbenwelt\"\iFarbenwelt der Protanopen (rechts oben), Deuteranopie, Farbenwelt\"\iDeuteranopen (rechts unten), Tritanopie, Farbenwelt\"\iTritanopen (links unten) im Vergleich zu Normalfarbsichtigen (links oben). Den Protanopen erscheinen rote Farben relativ dunkler. Der Deuteranope verwechselt sehr leicht rötliche mit grünlichen Farbtönen, während er bläuliche Farbtöne sehr gut wahrnehmen kann. Der Tritanope wiederum hat Schwierigkeiten, bläuliche und hellgelbe Farben zu unterscheiden (mit freundlicher Genehmigung von L. T. Sharpe, London, und H. Jägle, Regensburg).
[L106/T541]

Farbensinnstörung:Erfassung\"\iErfassung von Farbensinnstörungen. Auf pseudoisochromatischen Tafeln unterscheiden sich die Punkte nur durch ihren Farbton und ihre Sättigung, nicht jedoch durch ihren Helligkeitswert.

Bestimmung der Sehschärfe:Bestimmung\"\iSehschärfe. a Die Sehschärfe ist als Kehrwert des Winkels α (in Winkelminuten) definiert, der notwendig ist, um die Öffnung eines Landolt-Landolt-Ring\"\iRings (d) an der richtigen Position zu erkennen. Statt der Öffnung im Landolt-Ring können auch Sehzeichen verwendet werden, die aus Quadraten bestehen, deren Winkel ebenfalls α entspricht (z.B. Optotype F). Der Wert d entspricht der räumlichen Projektion auf die Netzhaut. b Typische Sehprobentafel mit Zahlen, Buchstaben, Landolt-Ringen, Snellen-Haken und Bildern für die Prüfung des Sehvermögens bei Kindern. Neben jeder Optotypenreihe ist (in sehr kleiner Schrift und hier nicht sichtbar) die Soll-Entfernung angegeben, in der die Optotypen erkannt werden sollten.

Kontrastübertragungsfunktion des menschlichen Auges für ein Schwarz-Weiß-Gitter, dessen Raumfrequenz (Zahl von Schwarz- Weiß-Zyklen pro Flächeneinheit) verändert wird (hohe Raumfrequenz = viele Gitterlinien = feines Gitter). Diese Funktion beschreibt die Empfindlichkeit des Kontrastsehens bei den verschiedenen Raumfrequenzen. Bei grauem Star rutscht die Kurve beispielsweise nach unten, bei grünem Star (Glaukom) nach links.
[4.19]

Verlauf der Dunkeladaptation und Purkinje-Verschiebung. a Nachdem das Auge belichtet wurde (Lampensymbol an der Abszisse), passt es sich in 2 Stufen an die (relative) Dunkelheit an: Die erste Phase wird vom Zapfenmechanismus gebildet (durchgezogene rote Linie), die zweite Phase vom Stäbchenmechanismus (durchgezogene blaue Linie). Am Übergang ergibt sich ein Knick (Kohlrausch-Knick). Fällt eines der beiden Systeme aus, ergibt sich eine monophasische Dunkeladaptation (gestrichelte rote oder blaue Linie). b Purkinje-Verschiebung. Die Gesamtheit der Zapfen bildet die Helligkeitsempfindlichkeitsfunktion Vλ, die der Stäbchen die Funktion V‘λ. Da sich beide Funktionen im langwelligen Bereich überkreuzen, erscheint ein rotes Licht bereits an der Sehschwelle farbig.

Retinitis pigmentosa. a Gesichtsfeldeinengung des linken und des rechten Auges. Vom normalen Gesichtsfeld (Abb. 4.52) ist lediglich eine kleine Restinsel verblieben. b Der rechte Augenhintergrund zeigt massive Pigmentierungen in der Peripherie, eine zentrale intakte Restinsel mit verbreitertem Wallreflex der Makula in der Mitte und einen sehr blassen Sehnervenkopf mit stark verengten arteriellen Gefäßen. c Links ein Elektroretinogramm, ausgelöst mit schwächeren Reizlichtern (untere Zeile) und stärkeren Reizlichtern (obere Zeile) bei einem normalsichtigen Patienten. Rechts sind die durch vergleichbare Blitze ausgelösten Elektroretinogramme einer Retinitis-pigmentosa-Patientin gezeigt. Durch schwache Reizlichter ist keine Antwort auslösbar. Stärkere Reizlichter zeigen eine Restantwort mit sehr kleiner Amplitude. d Die Dunkeladaptationskurve verläuft monophasisch. Im Vergleich zu Normalsichtigen (blaue Fläche) gibt es keinen Kohlrausch-Knick nach ca. 10 Minuten. Die Schwelle bleibt auch nach 45 Minuten noch deutlich erhöht.
[b: O634/a, c, d: L106]

Bewegungssehen\"\iBewegungssehen und räumlich-zeitliche Interpolation. a Werden Gitterlinien, die schräg nach oben rechts und nach unten rechts bewegt werden, übereinander projiziert, wird eine homogene Horizontalbewegung des Rautenmusters nach rechts wahrgenommen. b Die hellen Balken der oberen Reihe werden nacheinander kurz dargeboten, zunächst der linke Balken (mit „1“ gekennzeichnet), nach einer Verzögerung dt der zweite Balken (mit „3“ gekennzeichnet) im Abstand dx. Es folgen nacheinander die weiter rechts eingezeichneten Balken. Sind dt und dx klein, entsteht der Eindruck einer kontinuierlichen Bewegung (Scheinbewegung). Wird der untere Balken an jeder Station kurz nach dem oberen dargeboten, also „2“ kurz nach „1“, aber vor „3“, dann scheint der untere Balken hinter dem oberen herzulaufen, d.h., eine zeitliche Verzögerung wird als räumliche Versetzung wahrgenommen.

Horopter\"\iHoropterkreis und fiktives Mittelauge, fiktives\"\iMittelauge. Der Gegenstand A wird auf korrespondierende Punkte der Netzhaut projiziert. Im fiktiven Mittelauge, das den beidäugigen, als ein Bild empfundenen Seheindruck wiedergibt, wird er einfach und scharf gesehen, da die beiden Fixationslinien (blau gestrichelte Linie) zusammenfallen. Der Gegenstand B befindet sich außerhalb des Horopterkreises und wird links bzw. rechts der Fovea abgebildet. Projiziert man die beiden Objektlinien a und b in das fiktive Mittelauge als a‘ und b‘, entstehen ungekreuzte Doppelbilder:ungekreuzte\"\iDoppelbilder (Objekte innerhalb des Horopters werden auf die jeweils andere Seite der Fovea projiziert und verursachen gekreuzte Doppelbilder:gekreuzte\"\iDoppelbilder). Die Winkel α und β ergeben zusammen die Querdisparation\"\iQuerdisparation.

Das Gesichtsfeld\"\iGesichtsfeld und seine Gesichtsfeld:Bestimmung\"\iBestimmung. a, b Das monokulare Gesichtsfeld:monokulares\"\iGesichtsfeld des rechten Auges reicht 60° nach oben und 75° nach unten (a) sowie 60° nach nasal und 100° nach temporal (b). c Bei der Perimetrie\"\iPerimetrie werden Grenzen gleicher Empfindungsschwellen (Isopteren) für Lichtreizmarken bestimmt. Eine Isoptere für eine große Reizmarke, die von außen entlang verschiedener Meridiane an das Gesichtsfeld herangeführt wurde, ist als gestrichelte Linie eingezeichnet. Der horizontale und vertikale Meridian sind dargestellt. Der blinde Fleck:blinder, Gesichtsfeld\"\iFleck befindet sich am horizontalen Meridian etwa 15° temporal im Gesichtsfeld. Die Lage der Dinge im Gesichtsfeld wird so dargestellt, als ob der begutachtende Arzt die Welt durch die Augen des Patienten betrachten würde. d Bei der kinetischen Perimetrie werden Isopteren für verschieden helle, bewegte Reizmarken dargestellt. Die Außengrenze, d.h. die Basis des Empfindlichkeitsbergs (links, entsprechend der gestrichelten Linie in c), wird bestimmt, indem ein großer, heller Reiz von außen in das Gesichtsfeld hineinbewegt wird (horizontale Pfeile). Die höher gelegenen Isopteren des Empfindlichkeitswerts werden mit kleineren und/oder schwächeren Lichtreizmarken bestimmt. Die Isopterendarstellung rechts entspricht einem Blick von oben auf den Empfindlichkeitsberg. e Bei der statischen Perimetrie werden die Isopteren an vielen verschiedenen Gesichtsfeldorten ermittelt. Hierbei werden mit unbewegten Lichtpunkten jeweils Schwellenmessungen durchgeführt (vertikale Pfeile).

Gesichtsfeld:Ausfälle\"\iGesichtsfeldausfälle bei Läsionen der Sehbahn. a Sehbahn:Läsionen\"\iSehbahn; blau rechte Gesichtsfeldhälfte, grün linke Gesichtsfeldhälfte, jeweils mit Projektion. Die Läsionen 1–5 sind durch rote Balken dargestellt. b Konsequenz der Läsionen in a für das Gesichtsfeld: 1 = Zentralskotom\"\iZentralskotom rechts infolge einer Makulablutung, 2 = bitemporale Hemianopsie:bitemporale\"\iHemianopsie infolge einer Läsion im Bereich des Chiasmas, 3 = homonymes Skotom:homonymes\"\iSkotom im rechten Gesichtsfeld infolge einer Verletzung im linken Tractus opticus, 4 = parazentrales Skotom:parazentrales\"\iSkotom des linken Auges infolge eines den Sehnerv im papillomakulären Bündel schädigenden Glaukoms, 5 = homonyme Hemianopsie:homonyme\"\iHemianopsie nach einem Infarkt:Sehrinde\"\iInfarkt im Bereich der rechten Sehstrahlung oder Sehrinde, manchmal mit Aussparung der Makula.

Parallele Informationsverarbeitung im Sehsystem. Das magnozelluläre SystemSystem:magnozelluläres (schwarze Zellen) und das parvozelluläre SystemSystem:parvozelluläres (hellgraue Zellen) der Netzhaut (Tab. 4.5) projizieren über das Corpus geniculatum laterale (CGL) in die übereinanderliegenden Schichten 4A, 4B und 4C, α bzw. β, der primären Sehrinde (V1). Der Colliculus superior erhält Eingang sowohl vom magnozellulären System der Netzhaut als auch vom visuellen Kortex. In den oberen Schichten von V1 findet eine funktionelle Segregation der Farben- (in „blobs“ [s. Text] angeordnet), der Form- („interblob“-Region) und der Bewegungswahrnehmung statt, die auf separaten Verschaltungen in die visuelle Area 2 (V2) weitergegeben wird. In V2 sind Farben-, Form-, Bewegungs- und Tiefensehen nebeneinander streifenförmig abwechselnd angeordnet. Von dort wird die Information auf getrennten Wegen zum einen über V4 (hauptsächlich Farben- und Formsehen) nach Area IT (inferotemporaler Kortex), zum anderen nach V5 (hauptsächlich Tiefen- und Bewegungswahrnehmung) weitergeleitet. Zur Topografie von V1, V2, V5; s.a. Abb. 4.58b.
[4.19]

Kortikale Antwortspezifität am Beispiel einer einfachen („simple“) Zelle. Weitere Erläuterungen s. Text. Oben: erregende (+) und hemmende (–) Feldgebiete sowie Lichtreiz. a Orientierungsspezifität für den vertikalen Reiz ergibt sich aus der Orientierung der Längsachse des erregenden Felds. b Richtungsspezifität für die Bewegung nach rechts ist die Folge einer stärkeren Hemmung von rechts, die die Antwort auf eine Bewegung nach links abschwächt. c Zusätzlich hemmende Gebiete an den Enden des erregenden Felds. Diese Endhemmung bedingt eine Längenspezifität.

Organisation der primären Sehrinde, primäre:Organisation\"\iSehrinde. Schema der Ein- und Ausgänge der primären Sehrinde (links, gelb markiert) und räumliche Anordnung der okulären Dominanzsäule, okuläre\"\iDominanzsäulen, der Orientierungssäulen (die bevorzugte Orientierung wird durch rote Balken angegeben) und der eingelagerten nicht orientierungsspezifischen Cytochromoxidase-„blobs“ (blau) in einer Hyperkolumne\"\iHyperkolumne (rechts, hellbraun). Die Zahlen an den Eingängen vom kontra- und ipsilateralen Auge des Corpus geniculatum laterale geben die Herkunft aus den jeweiligen magno- (1, 2) und parvozellulären (3, 5 und 4, 6) Schichten an.

Augenmuskeln:Hauptzugrichtung\"\iHauptzugrichtungen der 6 Augenmuskeln des linken Auges. Das rechte Auge verhält sich spiegelbildlich.
[4.20]

Augenbewegung:Koordination\"\iAugenbewegungen und ihre Koordination. a Horizontale Augenbewegung:horizontale\"\iAugenbewegungen, getrennt für rechtes und linkes Auge (Schema). Ein Zielobjekt rechts wird zuerst durch eine Sakkaden\"\iSakkade, gefolgt von einer Korrektursakkade, fixiert. Die langsame Bewegung des Ziels nach links wird verfolgt. Eine Annäherung des Objekts löst eine Konvergenz aus (gegenläufige Richtung der Vergenzbewegung!). Dann folgen eine Fixationsperiode und als Antwort auf das nach rechts bewegte Streifenmuster ein optokinetischer Nystagmus:optokinetischer\"\iNystagmus. b Die wichtigsten neuronalen Zentren zur Kontrolle von Augenbewegungen sind einem paramedianen Sagittalschnitt des Gehirns schematisch überlagert; CGL = Corpus geniculatum laterale; CS = Colliculi superiores; FAF = frontales Augenfeld (Area 8); MST = mediosuperiorer temporaler Kern; MT = mittlere temporale Region (Teil von V5); NP = pontine Kerne (Nuclei pontis); NV = Vestibulariskern; PPRF = parapontine Formatio reticularis; PT = Prätektum; riMLF = rostraler interstitieller Kern des medialen longitudinalen Faszikulus; III = Kern des N. oculomotorius; IV = Kern des N. trochlearis; VI = Kern des N. abducens.
[4.21]

Illusionen\"\iIllusionen und optische Täuschung, optische\"\iTäuschungen. a Zweideutige Figuren: Vase und Gesichter. b Konturbildung: schnüffelnder Hund. c Dreieck nach Penrose-Dreieck\"\iPenrose. d Müller-Lyer-Müller-Lyer-Illusion\"\iIllusion.

Größenwahrnehmung\"\iGrößenwahrnehmung. Die scheinbare Tiefe der perspektivischen Zeichnung genügt, um die 3 gleich großen Figuren unterschiedlich groß erscheinen zu lassen (nach von Campenhausen).

Schallwelle\"\iSchallwelle (Schema). Der alternierend helle und dunkle Hintergrund zeigt die periodische Kompression und Verdünnung der Luft durch die longitudinale Schwingung der Teilchen.

Schallwelle:Formen\"\iSchallwellenformen. a Ton\"\iTon als Sinusschwingung (einfachste Form des Schalls). b Klang\"\iKlang, aus mehreren Sinusschwingungen zusammengesetzt. c Geräusch\"\iGeräusch, bestehend aus zahlreichen Frequenzen ohne regelhaften Bezug zueinander.

Hörbereich\"\iHörbereich des menschlichen Ohrs. Die dargestellten Linien sind Kurven gleicher Lautstärke:Isophone\"\iLautstärkepegel (Isophone\"\iIsophone), also gleicher Lautstärkeempfindung. Bei unterschiedlichen Frequenzen sind unterschiedliche Schalldruckpegel erforderlich, um die gleiche Lautstärkeempfindung hervorzurufen! Definitionsgemäß ist der Lautstärkepegel bei 1 kHz gleich dem Schalldruckpegel. Die Schwellenkurve entspricht der 4-phon-Isophone. Der eingetragene Hauptsprachbereich gibt den für das Sprachverständnis besonders wichtigen Frequenz- und Schalldruckpegelbereich an.

Anatomie des menschlichen Ohrs. Halbschematischer Querschnitt durch das äußere Ohr:äußeres\"\iOhr (mit Ohrmuschel und äußerem Gehörgang), Mittelohr\"\iMittelohr und Innenohr\"\iInnenohr (mit Cochlea und Vestibularapparat). Der Mittel-/Innenohrbereich (im Kreis) ist im Vergleich zum Außenohr vergrößert dargestellt.
[L190]

Aufbau der Cochlea:Aufbau\"\iCochlea. a Der Längsschnitt durch die Cochlea zeigt die schneckenförmig gewundene Anordnung der Flüssigkeitsräume (Scala Scala:vestibuli\"\ivestibuli, Scala Scala:media\"\imedia, Scala Scala:tympani\"\itympani) sowie des Spiralganglions. Die Pfeile verdeutlichen den kontinuierlichen Verlauf mit dem Übergang von Scala vestibuli in Scala tympani am Helicotrema. b Histologischer Querschnitt durch die Flüssigkeitsräume und das Corti-Organ (Schema). c Corti-Corti-Organ\"\iOrgan im Rasterelektronenmikroskop. Man erkennt eine Reihe von Stereozilien, Haarzelle:kochleäre\"\iStereozilienbündeln der inneren Haarzellen sowie 3 Reihen von V-förmigen Stereozilienbündeln der äußeren Haarzellen, darunter deren säulenförmige Zellkörper. Die normalerweise über dem Organ liegende Tektorialmembran wurde hier entfernt.
[O645; 4.22]

Frequenzdispersion\"\iFrequenzdispersion durch die Cochlea:Frequenzdispersion\"\iCochlea. a Komponenten, die an Schallleitung und verarbeitung beteiligt sind. Die Cochlea ist „entrollt“ gezeichnet. b Mechanisch wichtige Komponenten der Schallverarbeitung: 2 Flüssigkeitsräume werden durch die elastische kochleäre Trennwand voneinander getrennt. c Die kolbenartige Bewegung des Stapes:Frequenzdispersion\"\iStapes auf dem ovalen FensterFenster:ovales führt zu Druckdifferenzen zwischen Scala vestibuli und Scala tympani und zur Auslenkung der kochleären Trennwand (Pfeile; oben und Mitte). Aufgrund der zum Apex abnehmenden Steifigkeit der Basilarmembran bildet sich bei schallinduzierter Vibration des Stapes eine Wanderwelle, deren Amplitude ein lokales Maximum ausbildet (unten). d Der Ort des Wanderwellenmaximums ist frequenzabhängig. Unterschiedliche Frequenzkomponenten des Schalls werden auf unterschiedliche Bereiche der Cochlea „abgebildet“ und so aufgetrennt (Bewegungsamplituden der Gehörknöchelchen und der Basilarmembran sind stark übertrieben dargestellt).
[4.1]

Auslenkung der Stereozilienbündel, Basilarmembran\"\iBasilarmembran:Stereozilienbündel\"\iStereozilienbündel durch die Schwingung der Basilarmembran. Die in der Tektorialmembran befestigten Stereozilien der äußeren Stereozilien, Haarzelle:kochleäre\"\iHaarzelle:Stereozilien\"\iHaarzellen werden durch eine Scherbewegung zwischen Corti-Organ und Tektorialmembran abgekippt. Deren Drehpunkte sind angedeutet. Die inneren Stereozilienbündel werden von der Flüssigkeitsströmung im subtektorialen Raum bewegt. Die Stereozilien werden alternierend nach außen und innen verkippt.

Mechanoelektrische Transduktion:Haarzellen\"\iSignaltransduktion:Haarzellen\"\iTransduktion. a Die Auslenkung des elastischen Stereozilienbündels ist der adäquate Reiz für die Haarzelle. Auslenkung in Richtung auf die längsten Stereozilien dehnt die zwischen den Stereozilien aufgespannten Tip Tip Links:Transduktion\"\iLinks und ist exzitatorisch, Auslenkung in Gegenrichtung lockert die Tip Links und ist inhibitorisch. b Die hochaufgelöste rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines Ausschnitts aus einem Haarbündel zeigt die Tip Links zwischen jeweils einem kleineren und dem nächstgrößeren Stereozilium. c Modell der mechanoelektrischen Transduktion: Bei Dehnung der Tip Links öffnen die Transduktionskanäle, und die Haarzelle wird durch K+-Kalium:Einwärtsstrom, Haarzellen\"\iEinstrom depolarisiert; umgekehrt führt die Lockerung der Tip Links zum Schließen der Kanäle und zur Hyperpolarisation:Haarzelle\"\iHyperpolarisation. d Ableitung des Rezeptorpotenzial:Haarzellen\"\iHaarzelle:Rezeptorpotenzial\"\iRezeptorpotenzials einer inneren Haarzelle bei Beschallung mit einem 300-Hz-Ton. Die Amplitude des Rezeptorpotenzials steigt mit zunehmendem Schalldruckpegel allmählich an.
[a: L106 – b: F457/4.23 – c, d: F458/4.24]

Ionen- und Potenzialverteilung in der Ionenkonzentration:Cochlea\"\iCochlea:Potenzialverteilung\"\iCochlea:Ionenverteilung\"\iCochlea. Durch aktiven K+-Transport erzeugt die Stria Stria vascularis:Endolymphe\"\ivascularis die Endolymphe mit hoher K+-Konzentration und ein positives endokochleäres Potenzial. Über der apikalen Membran der Haarzellen summieren sich das Membranpotenzial der Haarzelle und das endokochleäre Potenzial zu einer großen elektrischen Triebkraft (intrazellulär negativ) für den K+-Einstrom durch die Transduktionskanäle.

Aktive kochleäre Verstärkung, kochleäre\"\iVerstärkung. a Vergrößerung und Verschärfung der Wanderwelle:kochleäre Verstärkung\"\iWanderwelle durch den aktiven mechanischen Verstärkungsmechanismus (Schema). b De- und hyperpolarisierende Phasen des Rezeptorpotenzials lösen schnelle Kontraktions-Elongations-Zyklen der äußeren Haarzellen aus, die wiederum die Basilarmembran:Verstärkungsmechanismus\"\iBasilarmembranschwingung verstärken (positive Rückkoppelung). Die Elektromotilität der äußeren Haarzellen wird durch spannungsabhängige Konformationsänderungen des Membranproteins Prestin generiert.

Synaptische Transmission und Hörnerv:Signalcodierung\"\iSignalcodierung im Hörnerv. Die depolarisierende Phase des periodischen Rezeptorpotenzials löst an der afferenten Synapse der inneren HaarzelleHaarzelle:innere über die Öffnung spannungsgesteuerter Kalziumkanäle die Transmitterfreisetzung aus. Exzitatorische postsynaptische Potenziale in den afferenten Nervenendigungen (nicht dargestellt) lösen phasengekoppelte Aktionspotenziale aus. Die Stimulusgröße wird über die Frequenz der Aktionspotenziale codiert und darüber, dass erst mit zunehmender Stimulusgröße zusätzliche Hörnervenfasern (Neuron 2 mit höherer Erregungsschwelle) rekrutiert werden.

Elektrokochleogramm\"\iElektrokochleogramm (Schema). Mit einer durch das Trommelfell gestochenen Nadelelektrode werden am runden FensterFenster:rundes Reizfolgepotenziale gemessen. Das Summenaktionspotenzial ist bei Stimulusbeginn (An) und ende (Aus) als langsamere Variation des Messsignals zu erkennen. Seine Hauptkomponenten werden mit N1 und N2 bezeichnet. Das Mikrofonpotenzial\"\iMikrofonpotenzial gibt anhaltend die Frequenz des akustischen Reizes (unten) wieder.
[4.25]

Aufbau des zentralen auditorischen SystemsSystem:auditorisches. Dargestellt sind nur die wichtigsten von der linken Cochlea ausgehenden aufsteigenden Projektionen (blau). Durch ausgiebige kontralaterale Projektionen wird ein großer Teil der Information aus der linken Cochlea in der rechten Gehirnhälfte verarbeitet. Zusätzlich sind diejenigen Projektionen aus der rechten Cochlea dargestellt (rot), die die erste binaurale Verschaltung in der superioren Olive bilden.

Schwellenaudiometrie\"\iAudiometrie:Schwellen-\"\iSchwellenaudiometrie. Bei der Tonschwellenaudiometrie wird der Hörverlust, also die Abweichung der gemessenen Hörschwelle von der Normschwelle, nach unten aufgetragen. Dargestellt sind typische Audiogramme des gesunden Gehörs, bei Schallempfindungsstörung:Schwellenaudiometrie\"\iSchallempfindungsschwerhörigkeit (z.B. Lärmschwerhörigkeit) und bei Schallleitungsstörung:Schwellenaudiometrie\"\iSchallleitungsschwerhörigkeit (z.B. Otosklerose). Das Audiogramm des gesunden Gehörs liegt bei 0 dB Hörverlust, da keine Abweichung von der Hörschwellenkurve (= 4-phon-Isophone) in Abb. 4.63 vorliegt.

Elektrische Reaktionsaudiometrie, elektrische\"\iERA (elektrische Reaktionsaudiometrie)\"\iReaktionsaudiometrie. Mit Elektroden auf der Kopfoberfläche können die Summenpotenziale der auditorischen Bahnen des Hirnstamms abgeleitet werden (BERA). Für die Funktionsprüfung des Gehörs werden Latenzen und Amplituden der Wellenmaxima ausgewertet, die in charakteristischer Weise innerhalb von 10 ms nach einem Klick-Stimulus auftreten. Aufgrund der Signalamplituden im μV-Bereich müssen ca. 100–1.000 Registrierungen gemittelt werden.

Larynx:Aufbau\"\iKehlkopf:Aufbau\"\iKehlkopf (halbschematisch).

Phonation:Stimmbandstellung\"\iStimmbandstellung bei verschiedenen Funktionen des Kehlkopfs (rote Pfeile deuten die Zugrichtung der intrinsischen Muskeln an). a Ruhestellung. b Erweiterung der Stimmritze beim Atmen durch den M. cricoarytenoideus posterior (Postikus). c Flüsterstellung mit Verengung durch den M. cricoarytenoideus lateralisMusculus:cricoarytenoideus („Flüsterdreieck“). d Vollständiger Verschluss zu Beginn der Phonation durch die beiden Mm. Musculus:arytenoideus\"\iarytenoidei.

Aufbau des häutigen Labyrinth:häutiges\"\iLabyrinths. Endolymphraum des Vestibularapparats (grün), Sinnesepithelien (rot) und afferente Nervenbahnen (blau).

Mechanoelektrische Transduktion:Vestibularapparat\"\iSignaltransduktion:Vestibularapparat\"\iTransduktion und Signalcodierung, Vestibularapparat\"\iSignalcodierung im Vestibularsystem. Die Haarzellen sind morphologisch und funktionell polarisiert. Auslenkung des Haarbündels in Richtung Kinozilium (blau) führt zur Depolarisation:Haarzelle\"\iDepolarisation, Auslenkung in Gegenrichtung zur Hyperpolarisation:Haarzelle\"\iHyperpolarisation. Die vestibulären Nervenfasern sind spontan aktiv. Ihre Impulsrate wird über die synaptische Aktivität bei Depolarisation der Haarzelle erhöht, bei Hyperpolarisation erniedrigt.
[4.26]

Bau und Funktionsweise der Maculaorgan\"\iMaculaorgane (a, b, c) und der Bogengangsorgane\"\iBogengangsorgane (d, e). a Maculaorgan mit aufliegender Otolithenmembran (Schema). b Die Verschiebung der Otolithenmembran bei Neigung oder Linearbeschleunigung des Vestibularsystems lenkt die Haarbündel der vestibulären Haarzellen aus.c Orientierung der polaren Haarbündel in der Macula utriculi. Die Pfeilspitzen markieren die Position des Kinoziliums. Durch die Ausrichtung der mechanosensitiven Achsen der Haarbündel sind alle Richtungen abgedeckt. In der Mitte des Epithels verläuft die als Striola\"\iStriola bezeichnete Grenze, an der sich spiegelbildlich orientierte Haarzellen gegenüberstehen. d Ampulle eines Bogengangs (Schema). e Adäquater Reiz für den Bogengang ist eine Drehung, die die Cupula gegen die träge Endolymphe bewegt und dadurch verbiegt.
[4.27]

Erregungsablauf in den Bogengangsafferenzen bei anhaltender Rotation nach rechts, angegeben in Aktionspotenzialen pro Sekunde. Aufgrund der Rückstellung der Cupula kommt es nur zu einer vorübergehenden Aktivitätszunahme in der rechten Bogengangsafferenz, beim Abbremsen zu einer Inhibition. Die Aktivität der beiden Bogengänge ändert sich stets gegensinnig.

Abhängigkeit der Aktivität von linker und rechter Bogengangsafferenz von der erreichten Winkelgeschwindigkeit, Bogengangsorgane\"\iWinkelgeschwindigkeit. Die initiale Erregung der Afferenzen wurde aus Experimenten wie in Abb. 4.81 gewonnen. In Ruhe sind linke und rechte Bogengangsafferenz gleich erregt. Bei Drehung nach rechts überwiegt die Aktivität der rechten Afferenz, bei Drehung nach links die Aktivität der linken.

Lage der paarigen Bogengangsorgane:Lage\"\iBogengangsorgane beim Blick von oben (Schema). Alle 3 Bogengänge eines Labyrinth:Bogengänge\"\iLabyrinths stehen senkrecht aufeinander. Die horizontalen Bogengänge liegen in einer Ebene; sie sind empfindlich für Rotation um dieselbe Achse. Dagegen liegen der hintere linke und der vordere rechte Bogengang in derselben Ebene (blau hervorgehoben).

Projektionen des vestibulären Systems. Die Auslösung und Richtung des horizontalen vestibulookulären Reflexes bei Rechtsdrehung des Kopfes sind schematisch dargestellt: Aktivitätserhöhung (+) im rechten horizontalen Bogengang führt zur Kontraktion der linken Mm. recti. Die Aktivitätsverminderung der linken vestibulären Afferenz:vestibuläre\"\iAfferenz (–) wirkt synergistisch. Inhibitorische Verschaltungen zu den Augenmuskeln sind der Übersichtlichkeit halber nicht dargestellt.

Nystagmus:physiologischer\"\iNystagmus bei Rotation auf einem Drehstuhl. Nach dem Andrehen kommt es erst zu kompensatorischen langsamen Augenbewegungen gegen die Drehrichtung und schnellen Augenrückholbewegungen in Drehrichtung. Bei anhaltender Rotation geht der Nystagmus aufgrund der Rückstellung der Cupula zurück. Nach dem Abbremsen tritt ein spiegelbildlicher postrotatorischer Nystagmus:postrotatorischer\"\iNystagmus auf, da die Cupula in Gegenrichtung ausgelenkt wird. Dieser zeitliche Verlauf spiegelt das Erregungsverhalten der Bogengangsafferenzen wider (Abb. 4.81).

Geschmackspapillen\"\iGeschmackspapillen, Geschmacksknospen\"\iknospen und verteilung. a Die 3 Typen von Geschmackspapillen und ihre Verteilung auf der Zunge. b Aufbau und Innervation einer Geschmacksknospe. Am apikalen Pol der Geschmacksknospe bildet sich ein flüssigkeitsgefüllter Porus. Die Mikrovilli der Geschmackszellen ragen in den Porus hinein. Die Geschmackszellen werden von afferenten Nervenfasern innerviert. c Die Geschmacksqualitäten sind nicht topografisch auf der Zungenoberfläche verteilt, sondern können an jedem Ort der Zunge nachgewiesen werden. Die markierten Gebiete sind lediglich Orte mit etwas erhöhter Empfindlichkeit.

Gustatorische Transduktion:gustatorische\"\iSignaltransduktion:gustatorische\"\iSignaltransduktion. a Salzig: Na+-Ionen fließen durch ENaC-Kanäle in die Zelle. b Sauer: Protonen (H+) aktivieren Kationenkanäle oder inhibieren Kaliumkanäle. c Bitter: Bitterstoffe aktivieren eine G-Protein-gekoppelte Enzymkaskade, an deren Ende TRPM5-Kanäle geöffnet werden, durch die Ca2+ in die Zelle einströmt. Für umami und süß werden andere Rezeptoren benötigt, die Enzymkaskade ist aber vermutlich gleich.

Geschmacksbahnen des Menschen. Die Geschmacksnerven enden im Nucleus tractus solitariiNucleus:tractus solitarii. Die für den Geschmack relevanten Ganglien der 3 Hirnnerven sind rechts neben dem Nucleus tractus solitarii zu erkennen: von oben nach unten das Ganglion geniculi des N. facialis (N. VII), das Ganglion superius (petrosum) des N. glossopharyngeus (N. IX) und das Ganglion superius (nodosum) des N. vagus (N. X). Die ersten kortikalen Stationen, Gyrus postcentralisGyrus:postcentralis, Operculum und Insel werden über den Nucleus ventralis posteromedialisNucleus:ventralis posteromedialis im Thalamus erreicht.

Nasenhöhle\"\iNasenhöhle und Riechschleimhaut\"\iRiechschleimhaut. a Längsschnitt durch die menschliche Nase mit Blick auf die Seitenwand der Nasenhöhle. Drei Conchae ragen aus der Seitenwand in die Höhle. Zwischen den angeschnittenen Stirn- (rechts) und Keilbeinhöhlen (links) liegt das Riechepithel und darüber die Siebbeinplatte und der Bulbus Bulbus olfactorius\"\iolfactorius. Von dort führt der Tractus Tractus:olfactorius\"\iolfactorius zu den primären olfaktorischen Zentren. Die kortikale Geruchsprojektion liegt oberhalb der Augenhöhle im Stirnhirn, praktisch unmittelbar über den Bulbi. b Aufbau der Riechschleimhaut. Zur Vereinfachung wurde nur eine Zelllage des oft mehrreihigen Epithels gezeichnet.
[a: 4.28; b: L106/M579]

Olfaktorische Transduktion:olfaktorische\"\iSignaltransduktion:olfaktorische\"\iSignaltransduktion. Duftstoffe binden an einen Duftstoffrezeptor (OR) und aktivieren ihn. Der Duftstoffrezeptor interagiert mit einem G-Protein (Golf). Das Golf wiederum stimuliert eine Adenylatcyclase (AC), die aus ATP den intrazellulären Botenstoff cAMP synthetisiert. cAMP öffnet cAMP-gesteuerte Ionenkanäle = CNG-CNG-Kanal, Geruchsorgan\"\iKanäle und führt damit zu einem Na+- und Ca2+-Einstrom. Ca2+ aktiviert Cl–-Kanäle, was durch den Ausstrom von Cl– die Depolarisation verstärkt. Ca2+ bildet aber auch mit Calmodulin (CaM) einen Komplex, der die cAMP-Empfindlichkeit der CNG-Kanäle vermindert und eine Phosphodiesterase (PDE) aktiviert, die cAMP zu AMP abbaut. Die Ca2+-vermittelten Mechanismen (rot) führen also zum Abschalten der Kaskade und zur Adaptation.

Bulbus Bulbus olfactorius\"\iolfactorius (Schema): Mehr als 1.000 Geruchszellen, die den gleichen Duftstoffrezeptortyp exprimieren, konvergieren in einem Glomerulus auf eine postsynaptische Mitralzelle. Die Axone der Mitralzelle\"\iMitralzellen und Büschelzelle\"\iBüschelzellen bilden den Tractus Tractus:olfactorius\"\iolfactorius. Periglomeruläre Zelle:periglomeruläre\"\iZellen und Körnerzelle:Bulbus olfactorius\"\iKörnerzellen bilden laterale inhibitorische Verschaltungen aus. Schwarze Pfeile symbolisieren erregenden, rote Pfeile hemmenden synaptischen Eingang.

Sinnesmodalitäten. HyperosmieBeispiele für Modalitäten und die zugeordneten KakosmieSubmodalitäten.Sinnesmodalität
Modalität (Beispiele) | Submodalitäten (Qualitäten) |
Tastsinn | Berührung, Druck, Dehnung und Vibration |
Propriozeption | Lage-/Stellungssinn, Bewegungssinn und Kraftsinn |
Temperatursinn | Wärmesinn und Kältesinn |
Sehen | Helligkeit, Form, Farbe und Bewegung |
Konduktion der verschiedenen Modalitäten. Für jede Modalität gibt es spezifische Sinneskanäle.Oberflächensensibilität:A<03B2>-FasernModalität:KonduktionII-Fasern, TiefensensibilitätIb-Fasern, TiefensensibilitätIa-Fasern, TiefensensibilitätC-Fasern:TemperaturleitungC-Fasern:SchmerzleitungA<03B4>-Fasern:TemperaturleitungA<03B4>-Fasern:SchmerzleitungA<03B2>-Fasern:Oberflächensensibilität
Modalität | Fasern | Leitungsbahn |
Temperatur | Aδ-Fasern und C-Fasern | Vorderseitenstrang (Kreuzung im Rückenmark) |
Schmerz | ||
Oberflächensensibilität | Aβ-Fasern | Hinterseitenstrang (Kreuzung im Hirnstamm) |
Tiefensensibilität | Ia-, Ib-, und II-Fasern |
Rezeptoren, Afferenzen und Empfindungen der Hautrezeptoren.Vater-Pacini-Körperchen:EigenschaftenRuffini-Körperchen:EigenschaftenPacini-Körperchen:EigenschaftenNervenendigung, freieMerkel-Tastscheibe:EigenschaftenMeissner-Körperchen:EigenschaftenHaarfollikelrezeptor:EigenschaftenC-Fasern:MechanorezeptorenA<03B4>-Fasern:MechanorezeptorenA<03B2>-Fasern:MechanorezeptorenAdaptation:MechanorezeptorenRezeptor:HautReiz:adäquater
Morphologie | Afferente Fasergruppe | Adäquater Reiz | Adaptation | Empfindung, Funktion |
Merkel | Aβ | Hautdeformation | SA | Druck, besonders gute räumliche Auflösung |
Ruffini | Aβ | Hautdeformation, Abscherung | SA | Druck, Scherkräfte |
Meissner | Aβ | Vibration | RA | Hautkontakt, niederfrequente Vibration (20–50 Hz), Wahrnehmung entgleitender Greifobjekte |
Haarfollikel | Aβ, Aδ | Abscherung, Vibration | RA | Hautkontakt, Berührung |
Pacini | Aβ | Vibration | RA | höherfrequente Vibration (ca. 250 Hz) |
freie Nervenendigung | C (niederschwellig) | Hautdeformation | SA | Berührung bei sozialen Kontakten |
freieNervenendigung | Aδ, C(hochschwellig) | Hautdeformation, Kälte, Wärme, Gewebeschädigung | langsam oder fehlend | Hautschädigung, Temperatur, Schmerz |
Charakteristika von Stäbchen und Zapfen.Zapfen:CharakteristikaStäbchen:Charakteristika
Kriterium | Stäbchen | Zapfen |
Anzahl | 120 Millionen | 6 Millionen |
Lichtempfindlichkeit | dämmerungsempfindlich | tageslichtempfindlich |
höchste Dichte | parafoveal bei 15–20 Sehwinkelgrad | Foveola |
Funktion | Dämmerungssehen | Tagessehen, Farbensehen |
Unterschiede zwischen farb- und helligkeitscodierenden Neuronen.System:parvozelluläresSystem:magnozelluläresNeuron:helligkeitscodierendesNeuron:farbcodierendes
Kriterium | Farbcodierende Neurone, parvozelluläres System | Helligkeitscodierende Neurone, magnozelluläres System |
Morphologie | sehr klein | groß |
Axone | dünn | dick, schnell leitend |
Lokalisation | Mitte der Netzhaut | periphere Netzhaut |
Erregung | tonische Erregung, relativ langsam | phasische Erregung, schnell |
Farbcodierung | ja | nein |
Helligkeitskontrast | mäßig | sehr gut |
Bewegungssehen | mäßig | sehr gut |
Schalldruckpegel typischer Schallquellen.SchallquelleSchalldruckpegel:Schallquellen
Schalldruckpegel (dB SPL) | Schallquelle |
140 | Düsenjet |
120 | Schuss, naher Donner |
110 | Trillerpfeife (25 cm Abstand) |
100 | Diskothek |
80 | Autobahn (25 m Abstand) |
60 | normale Unterhaltung |
40 | leise Unterhaltung |
30 | Flüstern |
20 | ländliche Stille |
0 | absolute Stille |
Schalldruck und Lautstärke. Bei 1 kHz entsprechen sich Lautstärke- und Schalldruckpegel.Schalldruck:Lautstärke
Charakteristikum | Maß | Einheit | |
Schalldruck | physikalische Größe | Schalldruckpegel | dB |
Lautstärke | frequenzabhängige Empfindung | Lautstärkepegel | phon |
Formen der Nystagmusprüfung.Lagerungsnystagmus, PrüfungNystagmus:kalorischerNystagmus:postrotatorischerNystagmus:optokinetischer
Nystagmus | Reiz | Richtung des Nystagmus | Besonderheiten |
kalorischer N. | Spülen des Gehörgangs mit kaltem oder warmem Wasser | bei Kälte von der gespülten Seite weg, bei Wärme zur gespülten Seite hin | selektive Stimulation einer Seite möglich |
postrotatorischer N. | Stoppen der Rotation des Patienten auf einem Drehstuhl | gegen die Rotationsrichtung | Vergleich mit dem Nystagmus bei Beginn der Rotationsbewegung möglich |
optokinetischer N. | Rotation einer Streifentrommel um den Patienten | gegen die Bewegungsrichtung der Trommel | vestibuläres System nicht stimuliert |
Lagerungs-N. | Lageänderung | verschieden, abhängig vom Ort der Schädigung | tritt nur bei zentral- oder peripher-vestibulären Schädigungen auf (pathologischer N.) |
Unspezifische Entdeckungsschwelle einzelner Geschmacksstoffe beim Menschen.Saccharose:EntdeckungsschwelleNikotin:EntdeckungsschwelleNaCl:EntdeckungsschwelleKochsalz:EntdeckungsschwelleGlukose:EntdeckungsschwelleChinin, Entdeckungsschwelle
Geschmacksqualität | Substanz | Schwelle (mol/l) |
süß | Saccharose | 0,01 |
Glukose | 0,08 | |
Saccharin | 0,000023 | |
bitter | Chininsulfat | 0,000008 |
Nikotin | 0,000016 | |
salzig | NaCl | 0,01 |
CaCl2 | 0,01 | |
sauer | Salzsäure | 0,0009 |
Zitronensäure | 0,0023 |
Vergleich zwischen olfaktorischem und gustatorischem System.Sinneszelle:olfaktorisches SystemSinneszelle:gustatorisches SystemSystem:olfaktorischesSystem:gustatorisches
Kriterium | Olfaktorisches System | Gustatorisches System |
Sinneszellen | primäre Sinneszellen mit Zilien im Riechepithel des oberen Nasenraums (auch freie Endigungen des N. trigeminus) | sekundäre Sinneszellen mit Mikrovilli, in Geschmacksknospen, vorwiegend auf Papillen der Zunge |
Hirnnerven | I (V) | VII, IX, X |
erste zentralnervöse Umschaltung | Bulbus olfactorius | Nucleus tractus solitarii (Hirnstamm) |
kortikale Repräsentation | piriformer Kortex, orbitofrontaler Kortex | Gyrus postcentralis, Insel, orbitofrontaler Kortex |
Repertoire adäquater Reize | groß; einige tausend; vorwiegend organische und leicht flüchtige Stoffe | klein; nur 5 Grundqualitäten; organische oder anorganische, wasserlösliche, nicht flüchtige Stoffe |
Empfindlichkeit | für einige Substanzen sehr hoch | für Bitterstoffe hoch, sonst relativ gering |
biologische Funktion | Fern- und Nahsinn, Nahrungskontrolle, Verdauungsreflexe, Kommunikation zwischen Individuen, Fortpflanzung | Nahsinn, Nahrungskontrolle, Steuerung der Nahrungsaufnahme, Verdauungsreflexe |
Sensorisches System
-
4.1
Somatoviszerale Sensibilität56
-
4.2
Nozizeption und Schmerz73
-
4.3
Visuelles System84
-
4.4
Auditorisches System123
-
4.5
Vestibuläres System141
-
4.6
Gustatorisches System149
-
4.7
Olfaktorisches System155
Zur Orientierung
Das klassische Konzept der 5 Sinne (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen) ist der Abgrenzung weiterer Modalitäten gewichen, über deren Gesamtanzahl allerdings keine Einigung besteht. Im Folgenden werden im Kap. 4.1 die somatoviszerale Sensibilität, die Modalitäten Tastsinn (Oberflächensensibilität), Propriozeption (Tiefensensibilität), Temperatursinn und Juckempfindung besprochen, im Kap. 4.2 der Schmerzsinn (Nozizeption) und in den dann folgenden Kapiteln nacheinander das Sehen (Kap. 4.3), das Hören (Kap. 4.4), der Gleichgewichtssinn (Kap. 4.5), das Schmecken (Kap. 4.6) und das Riechen (Kap. 4.7).
4.1
Somatoviszerale Sensibilität
Zur Orientierung
Im Gegensatz zu den anderen sensorischen Systemen, die jeweils über ein einziges Sinnesorgan (Auge, Ohr, Nase, Zunge) verfügen, umfasst die somatoviszerale Sensibilität ein weitverzweigtes Netz komplexer Subsysteme, deren Rezeptoren in der Haut, dem Bewegungsapparat und den Eingeweiden liegen. In der Haut analysiert eine ganze Batterie unterschiedlicher Messfühler mechanische und thermische Einwirkungen auf die Körperoberfläche. Die Hand ist ein hoch entwickeltes und sehr empfindliches Tastorgan. Bei der taktilen Erfassung eines Gegenstands müssen die sensorischen Informationen der palmaren Hautrezeptoren mit der Motorik der tastenden Finger verrechnet werden – eine äußerst komplexe Leistung, die sonst nur das visuelle System vollbringt. Mechanorezeptoren im skelettomuskulären System fungieren als periphere Sensoren bei der Steuerung der Willkürmotorik. Chemo- und Mechanorezeptoren in den Eingeweiden liefern dem ZNS kontinuierlich Informationen über den Funktionszustand der inneren Organsysteme.
4.1.1
Grundlagen
Einteilung und Leistungen der Somatosensibilität
•
die Oberflächensensibilität mit Messfühlern in der behaarten und unbehaarten Haut
•
die Tiefensensibilität (Propriozeption) mit Messfühlern in Skelettmuskeln, Sehnen und Gelenken
•
die viszerale Sensibilität (Enterozeption)
•
Tastsinn (Oberflächensensibilität)
•
Propriozeption (Tiefensensibilität)
•
Temperatursinn
•
Schmerzsinn (Nozizeption)
•
Juckempfindung
Reize, Rezeptoren und Sinneskanäle
Reize
MERKE
Der adäquate Reiz ist derjenige physikalische oder chemische Stimulus, der die geringste Energie benötigt, um an einem bestimmten Rezeptor eine Änderung des Membranpotenzials hervorzurufen.
Rezeptoren
MERKE
Der Prozess, bei dem ein externer Reiz vom Rezeptor in ein nach Reizstärke abstufbares elektrisches Potenzial (sog. Rezeptorpotenzial:SinnesrezeptorRezeptorpotenzial) umgesetzt wird, wird als Transduktion:SomatosensibilitätSignaltransduktion:SomatosensibilitätTransduktion bezeichnet (s.a. Kap. 4.1.2).
•
im Bereich des Rezeptors keine spannungsabhängigen Natriumkanäle vorhanden sind und
•
der Kationen-Strom durch mechanosensitive Kanäle (s.u.) nicht regenerativ ist, also nicht die lawinenartige Alles-oder-nichts-Umpolung des Membranpotenzials auslöst, die durch die Aktivierung von spannungsabhängigen Natriumkanälen zustande kommt (vgl. Kap. 3.2.1).
Sinneskanäle
Klinik
SynästhesieDas Gesetz der hohen Spezifität der Sinneskanäle ist bei der Synästhesie partiell aufgehoben. Es handelt sich dabei um das Phänomen, dass ein Sinnesreiz bei normalem Tagesbewusstsein gleichzeitig und unwillkürlich eine Mitempfindung in einer zweiten Sinnesmodalität hervorruft: Ein Klang, ein Wort oder ein Buchstabe ist z.B. mit einer bestimmten Farbwahrnehmung assoziiert. Die Koppelung ist fix, d.h., der akustische Reiz ruft bei wiederholter Präsentation immer die gleiche Farbe hervor, und sie ist unidirektional, d.h., die visuelle Stimulation mit der zuvor synästhetisch wahrgenommenen Farbe lässt nicht umgekehrt den Buchstaben erscheinen. Synästhesien treten mit einer Häufigkeit von etwa 1 : 2.000 in der Bevölkerung auf und sind familiär gehäuft. Auch bei Normalpersonen können durch Halluzinogene (LSD) kurzzeitig Synästhesien hervorgerufen werden. Die Ursache der Synästhesien ist unklar. Diskutiert werden sowohl funktionelle Störungen als auch strukturelle Abnormitäten im Sinne zusätzlicher assoziativer Nervenbahnen zwischen den verschiedenen sensorischen Kortexarealen. Mit bildgebenden Verfahren lässt sich zeigen, dass bei Synästhetikern ein synästhetisch wirkender Reiz nicht nur in seinem modalitätsspezifischen Kortexareal Aktivität auslöst, sondern auch in dem Kortexareal, in dem die mit empfundene Sinnesmodalität lokalisiert ist.
Verarbeitung im Gehirn
4.1.2
Reizaufnahme und weiterleitung
Mechanorezeptoren der Haut
Lokalisation
•
Merkel-Tastzelle (Merkel-Tastzelleauch Merkel-Zell-Axon-Komplex bzw. – beim Auftreten in Clustern – Merkel-Tastscheibe Merkel-Tastscheibegenannt) in der basalen Epidermis, umhüllen die Terminale eines Axons, das beim Eintritt in die Epidermis seine Markscheide verliert
•
Meissner-Körperchen Meissner-Körperchenin der oberflächlichen Dermis
•
Ruffini-Körperchen Ruffini-Körperchenim Bindegewebe der Dermis
•
(Vater-)Pacini-Körperchen Vater-Pacini-KörperchenPacini-Körperchenin der tiefen Dermis, im subkutanen Fettgewebe und, in den proximalen Phalangen, nahe dem Periost
•
(leicht modifizierte) Merkel-Tastscheiben, die auch als Pinkus-Iggo-Tastscheiben Pinkus-Iggo-Tastscheibebezeichnet werden
•
Haarfollikelrezeptoren
Antwortverhalten
MERKE
Rezeptoren, die die Änderungen der Druckintensität erfassen, sind DifferenzialrezeptorDifferenzialrezeptoren, Rezeptoren, die sowohl die statische als auch die phasische Komponente des Reizes erfassen, sind Proportional-Differenzial-Proportional-Differenzial-RezeptorRezeptoren (PD-PD-RezeptorRezeptoren).
Adaptation
•
SA-Rezeptoren („SA-Rezeptorslowly adapting“)
•
RA-Rezeptoren („RA-Rezeptorrapidly adapting“)
MERKE
Das unterschiedliche Adaptationsverhalten von Rezeptoren beruht wesentlich auf dem Feinbau der nichtneuronalen Gewebekapsel, die das nicht myelinisierte Axonterminale einschließt.
Mechanosensorische Transduktion
Transformation
•
Bei einem RA-Rezeptor RA-Rezeptor:Transformationfällt das Rezeptorpotenzial Rezeptorpotenzial:RA-Rezeptorrasch ab. Die Entladungsschwelle wird daher nur kurz überschritten, sodass nur eine kurze Salve von Aktionspotenzialen generiert werden kann, bevor das Axon wieder verstummt.
•
Das Rezeptorpotenzial eines SA-Rezeptors SA-Rezeptor:TransformationRezeptorpotenzial:SA-Rezeptorbleibt dagegen sehr viel länger oberhalb der Entladungsschwelle. Nach der initialen Salve kann man daher eine kontinuierliche (tonische) Entladung von Aktionspotenzialen beobachten.
Vibrationsempfinden
Rezeptive Felder
Klinik
Zwei-Punkt-DiskriminationKlinisch lässt sich das Auflösungsvermögen der Oberflächensensibilität anhand der Zwei-Punkt-Diskrimination bestimmen. Hierbei wird der minimale Abstand gemessen, den 2 gleichzeitig auf die Haut gebrachte taktile Stimuli (z.B. die beiden Spitzen eines Zirkels) haben müssen, um als räumlich getrennte Reize erkannt zu werden. Die Zwei-Punkt-Diskrimination kann – je nach sensorischer Bedeutung des betreffenden Hautareals – zwischen 2 mm auf der Fingerbeere des Daumens und 47 mm auf dem Unterschenkel schwanken (Abb. 4.8).
Funktionelle Bedeutung
Mechanorezeptoren für die Propriozeption
MERKE
Die Tiefensensibilität besteht aus den Submodalitäten Lage- bzw. Stellungssinn, aus dem Bewegungssinn (Kinästhesie) und aus dem Kraftsinn.
Charakteristika der Rezeptoren
•
Muskelspindeln sind parallel zu den Fasern der Arbeitsmuskulatur angeordnet und registrieren als Dehnungsrezeptoren die Muskellänge. Sie können schnell oder langsam adaptieren (Kap. 5.5.2).
•
Golgi-Sehnenorgane sitzen am Übergang von Muskeln zu Sehnen, also seriell zu den Muskelfasern, und messen die Kraftentfaltung im Muskel. Es handelt sich dabei um SA-Rezeptoren (Kap. 5.5.3).
•
Schnell und langsam adaptierende Mechanorezeptoren der Gelenkkapsel vermitteln statische und dynamische Informationen über die Stellung und Bewegung von Gelenken.
Funktionelle Bedeutung
Klinik
Mechanorezeptoren der KreuzbänderDie in den Kreuzbändern des Kniegelenks nachweisbaren Mechanorezeptoren tragen zur Koordination der am Kniegelenk angreifenden Muskelgruppen bei und unterstützen die aktive Stabilisierung des Gelenks. Orthopädische Chirurgen bevorzugen daher bei der Endoprothetik des Knies kreuzbanderhaltende Eingriffe, weil eine solche Knieprothese während des Gehens in der Ebene und beim Treppensteigen effizienter arbeitet als eine Knieprothese, bei deren Implantation die Kreuzbänder reseziert wurden.
Thermorezeption
Charakteristika der Rezeptoren
•
Kälterezeptoren Kälterezeptor:Empfindlichkeitsbereichregistrieren Temperaturen von etwa 0–26 °C.
•
Wärmerezeptoren Wärmerezeptor:Empfindlichkeitsbereichreagieren auf Temperaturen von etwa 27–42 °C.
•
Hitzerezeptoren Hitzerezeptor:Empfindlichkeitsbereichsprechen auf Temperaturen von ≥ 42 °C an.
MERKE
Die Impulsrate der Kaltfasern hat ein Maximum bei 23–28 °C, die Warmfasern entladen am höchsten bei 38–43 °C (Abb. 4.9).
Temperaturwahrnehmung
•
durch die Umgebungstemperatur, die Umgebungstemperatur, Temperaturwahrnehmungsich der Haut über Strahlung, Konvektion und Konduktion mitteilt
•
durch die Körperkerntemperatur, die Körperkerntemperatur:Temperaturwahrnehmungüber den Blutkreislauf an die Körperoberfläche dringt
Klinik
Falsches TemperaturempfindenZu Abweichungen zwischen subjektiv empfundener und objektiv messbarer Umgebungstemperatur kann es kommen, wenn die Hautdurchblutung deutlich zu- oder abnimmt und sich dadurch die Hauttemperatur der Kerntemperatur annähert bzw. sich von ihr entfernt. Beim Raynaud-Syndrom kommt es anfallsweise zu einer extremen arteriellen Vasokonstriktion in den Extremitäten. Aufgrund der deutlich herabgesetzten Hauttemperatur frieren die Patienten stark, auch wenn die Außentemperatur im Komfortbereich ist. Umgekehrt ist das Wärmegefühl, das nach Alkoholgenuss auftritt, neben zentralnervösen Wirkungen auch der alkoholbedingten peripheren Vasodilatation zuzuschreiben.
Juckreiz (Pruritus)
Charakteristika der Rezeptoren
Klinik
Juckreiz bei chronischen ErkrankungenBei verschiedenen chronischen Erkrankungen wie z.B. atopischer Dermatitis, Neuropathien und chronischen Leber- und Nierenerkrankungen liegt dem Juckreiz ein komplexes Zusammenspiel zwischen Keratinozyten, eosinophilen Granulozyten, Mastzellen, T-Zellen und prurizeptiven Nervenendigungen zugrunde. Entsprechend vielfältig sind die beteiligten Mediatoren (Substanz P, β-Endorphine, Serotonin, Acetylcholin, Interleukine u.a.). Daneben sorgt die Ausschüttung von neurotrophen Substanzen wie Nerve Growth Factor (NGF) möglicherweise für eine Aussprossung prurizeptiver Nervenfasern. Häufig kommt es bei den Patienten durch Sensibilisierung der Nervenfasern bereits zu einem Juckempfinden bei schwacher mechanischer Reizung (z.B. durch Wollfasern). Man bezeichnet dieses Phänomen als Alloknesis.
Funktionelle Bedeutung
Viszerale Sensibilität
Charakteristika der Rezeptoren
Funktionelle Bedeutung
•
intraluminale Drücke (z.B. Druckrezeptoren im Aortenbogen und in der Karotisgabel),
•
den Füllungszustand von Hohlorganen (z.B. Lunge, Vorhof, Enddarm und Blase) und
•
Scherkräfte (z.B. in der Darmwand).
•
die Organfunktion erheblich gestört ist (z.B. Gallenkolik)
•
das Gewebe geschädigt ist (z.B. Herzinfarkt)
•
wie bei der Blasenfüllung durch Willkürmotorik Abhilfe möglich ist
MERKE
Im Rückenmark finden sich keine Neurone, die nur auf viszerale Reize reagieren.
4.1.3
Vom peripheren Nerv zum Thalamus
Peripherer Nerv und Hinterwurzel
Klinik
Neurologisch-topische DiagnostikDermatomDie Zuordnung von Dermatomen zu Wurzelsegmenten ist ein wichtiges Hilfsmittel bei der neurologisch-topischen Diagnostik von Schädigungen der Wirbelsäule (z.B. Wirbelfraktur) und der Hinterwurzeln (z.B. Bandscheibenvorfall, Radikulitis). Dabei überlappen benachbarte Dermatome erheblich (für Berührung mehr als für Schmerzempfinden), weil einerseits Fasern mehrerer peripherer Nerven eine Hinterwurzel bilden und andererseits ein peripherer Nerv Fasern von mehreren benachbarten Hinterwurzeln enthält. Durch diese Redundanz verursacht die isolierte Schädigung einer einzigen Hinterwurzel nur ein moderates sensibles Defizit im betreffenden Dermatom (während die Sensibilität im Versorgungsgebiet eines peripheren Nervs komplett ausfällt, wenn er durchtrennt wird).
Hinterstrangsystem
Klinik
Degeneration der HintersträngeErkrankungen mit einer Degeneration des Hinterstrangsystems (z.B. Friedreich-Ataxie) gehen mit kutanen Sensibilitätsstörungen einher:
•
Vibrationsempfinden und Zwei-Punkt-Diskrimination sind vermindert.
•
Zahlen, mit dem Zeigefinger auf die Haut „geschrieben“, werden (mit geschlossenen Augen) nicht erkannt.
•
Der Ausfall der Tiefensensibilität führt zu Störungen im Erkennen von geführten Bewegungen.
•
Das Fehlen propriozeptiver (Rück-)Meldungen äußert sich in einer sensiblen Gangunsicherheit (Gangataxie), die sich besonders bei fehlender Augenkontrolle manifestiert.
Tabes dorsalisVor Einführung der Antibiotikatherapie war die „Rückenmarkschwindsucht“ (Tabes dorsalis) eine typische Spätfolge der unbehandelten Syphilis (Lues); die Hinterstränge und Hinterwurzeln waren entzündlich-degenerativ geschädigt. Die daraus resultierende, geradezu pathognomonische Gangunsicherheit der Spät-Syphilitiker hat Thomas Mann in der Novelle „Tristan“ (1903) beschrieben, als er die Insassen des Sanatoriums „Einfried“ vorstellte: „Mehrere Herren mit entfleischten Gesichtern werfen auf jene unbeherrschte Art ihre Beine, die nichts Gutes bedeutet.“
Lemniskales System und Thalamus
•
VBN besitzen streng somatotopisch geordnete rezeptive Felder, d.h., die Stimulation benachbarter Hautareale aktiviert benachbarte VBN. Die rezeptiven Felder sind an den Fingerspitzen klein und werden umso größer, je weiter proximal die Hand gereizt wird. Dies erklärt die hohe räumliche Auflösung in der Fingerbeere.
•
Die Intensität eines peripheren Stimulus wird durch die Impulsrate, mit der ein VBN entlädt, codiert.
•
VBN sind spezifisch für eine Submodalität, d.h., ein VBN, das Submodalität:ventrobasale Umschaltneuronedurch Vibrationsreize erregt wird, reagiert nicht auf statischen Druck, und umgekehrt.
MERKE
Im somatosensiblen System werden die verschiedenen Eigenschaften eines externen Reizes auf separaten Bahnen und mit hoher Genauigkeit an den Kortex übermittelt.
Signalweiterleitung und Bewusstseinszustand
4.1.4
Somatosensorischer Kortex
Aufbau und Projektionen
MERKE
Alle Neurone einer Kolumne erhalten Input vom gleichen Hautareal und vom gleichen Rezeptortyp, d.h., Kolumnen sind orts- und submodalitätsspezifisch.
Funktion
•
In Area 3aBrodmann-Areal(e):1–3 sind propriozeptive Informationen repräsentiert.
•
Neurone der Area 3b erhalten Informationen von SA- und RA-Rezeptoren der Haut.
•
Area 1 erhält nur Input von kutanen RA-Rezeptoren.
•
Area 2 integriert propriozeptive Informationen mit den taktilen Informationen, die sie aus den Areae 3b und 1 erhält.
MERKE
Der sensorische Kortex bildet einen Gegenstand nicht realitätsgetreu ab, sondern „konstruiert“ ihn neu.
4.1.5
Subjektive Sinnesphysiologie – Psychophysik
MERKE
Die Fähigkeit, Intensitätsunterschiede zwischen 2 Reizen wahrzunehmen, hängt nicht von der absoluten, sondern von der relativen Größendifferenz ab.
MERKE
Nach dem Weber-Fechner-Gesetz nimmt die Empfindungsintensität:Weber-Fechner-GesetzEmpfindungsintensität proportional dem Logarithmus der relativen Reizstärke zu.
ZUSAMMENFASSUNG
Grundlagen der Somatosensorik
Reizaufnahme und weiterleitung
•
Merkel-Tastzellen haben die kleinsten rezeptiven Felder und erlauben daher die höchste räumliche Auflösung. Sie reagieren besonders empfindlich auf die Konturen eines Gegenstands und tragen so zur Formerkennung eines ertasteten Objekts bei.
•
Meissner-Körperchen sprechen an, wenn Gegenstände beim Greifen aus der Hand zu rutschen drohen, und sorgen für die Anpassung der Griffkraft.
•
Pacini-Körperchen fungieren aufgrund ihrer extrem schnellen Adaptation als Beschleunigungs- bzw. Vibrationsdetektoren.
•
Ruffini-Körperchen sind morphologisch und funktionell mit den Golgi-Sehnenorganen verwandt und stehen vor allem im Dienst der Propriozeption.
Weiterleitung zum Thalamus
Psychophysik
4.2
Nozizeption und Schmerz
Zur Orientierung
SchmerzenSchmerzen sind ein häufiger Grund, warum Patienten ärztliche Hilfe suchen. Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis und gehört in das Gebiet der subjektiven Sinnesphysiologie. Nozizeption ist der Begriff für die objektiv-neuronale Sinnesphysiologie des Schmerzes. Dazu gehören die Funktionen von afferenten nozizeptiven Nervenfasern, die spinale und supraspinale Organisation der Nozizeption und das deszendierende Hemmsystem.
4.2.1
Reizaufnahme und weiterleitung
Nozizeptive Afferenzen und Nozizeptoren
•
Es sind primäre Sinneszellen (Sinneszelle:primäre Kap. 4.1.1) mit Zellkörpern in den Spinalganglien und dem Ganglion des N. trigeminus.
•
Ihre zentralen Fortsätze enden mit Synapsen an Neuronen im Rückenmark und Hirnstamm.
MERKE
Nozizeptoren sind die peripheren Nervenendigungen einer spezialisierten Gruppe von afferenten Nervenfasern.Tyrosinkinase-A-Rezeptor:SchmerzunempfindlichkeitSchmerzunempfindlichkeit, angeboreneNGF (Nerve Growth Factor):SchmerzunempfindlichkeitNerve Growth Factor:SchmerzunempfindlichkeitNatriumkanal:Schmerzunempfindlichkeit
Klinik
Angeborene SchmerzunempfindlichkeitEin klinischer Beweis für spezifische nozizeptive Afferenzen ist eine sehr seltene Krankheit mit angeborenem Fehlen des Schmerzempfindens. Die Erkrankung macht sich bereits im ersten Lebensjahr bemerkbar. Extremitäten und Zunge werden häufig verletzt und verbrannt, ohne dass es zu Schmerzäußerungen kommt. Bei der sensorischen Testung kann zwischen verschiedenartigen mechanischen Reizen wie „spitz“ und „stumpf“ unterschieden werden. Die Schmerzwahrnehmung bei Nadelreizen ist dagegen stark herabgesetzt. Die Ursache für das beschriebene Krankheitsbild sind Mutationen im Rezeptor für den Nervenwachstumsfaktor (Nerve Growth Factor, NGF). NGF ist in der Embryonalentwicklung für die Anlage von nozizeptiven Afferenzen notwendig. Mutationen im Rezeptor für NGF (Tyrosinkinase-A-Rezeptor; s.a. Kap. 19.2.1) führen dazu, dass weniger dünne myelinisierte und nicht myelinisierte Fasern in peripheren Nerven gebildet werden.
Eine weitere Erkrankung mit angeborener Schmerzunempfindlichkeit (und Anosmie) wurde bei Familien in und aus Pakistan gefunden. Hier liegt die Ursache in einer Nonsens-Mutation im Gen für den spannungsabhängigen TTX-sensitiven Natriumkanal Nav1.7.
Klinik
GallenkolikBei der Gallenkolik werden viszerale Nozizeptoren erregt. Die genauen Mechanismen der mechanischen Signaltransduktion an der nozizeptiven Membran sind nicht bekannt. Es ist wahrscheinlich, dass die normalerweise nicht erregten (stummen) Nozizeptoren in der Wand der Gallenblase zuerst durch Entzündung und/oder Gallenstau sensibilisiert werden. Mechanische oder chemische Reize können diese Nozizeptoren dann erregen; es kommt zu heftigen Schmerzzuständen durch die Kontraktion der Gallenblase.
Erregung von Nozizeptoren
MERKE
Nozizeptoren reagieren auf Reize, die zu einer Zellschädigung führen können, und auf Substanzen, die bei einer örtlichen Entzündung in den Extrazellulärraum gelangen.
Transduktion an Nozizeptoren
•
Der Vanilloidrezeptor Typ 1 (TRPV1) aus der Familie der TRP-Kanal:Vanilloidrezeptor Typ 1Transient-Receptor-Vanilloidrezeptor Typ 1Potential-Kanäle (TRP-Kanäle) wird durch noxische Hitze, Azidose, Capsaicin und wahrscheinlich auch durch Capsaicin:Vanilloidrezeptor Typ 1endogene Lipidmediatoren erregt. Capsaicin ist der scharfe Inhaltsstoff von Paprikaschoten und erzeugt auf der Haut und den Schleimhäuten eine als brennend und/oder stechend charakterisierbare Empfindung.
•
P2X-Rezeptoren werden durch einen Anstieg der extrazellulären ATP-KonzentrationP2X-Rezeptor geöffnet. Dies kann Folge einer Zellschädigung sein, da die ATP-Konzentration im Intrazellulärraum sehr hoch ist.
•
Der 5-HT3 genannte Rezeptor ist ein Kationenkanal mit einer 5-HT3-RezeptorBindungsstelle für Serotonin. Kationenkanal:5-HT3-RezeptorSerotonin ist eine wichtige Komponente des Serotonin:Entzündungsschmerzentzündlichen chemischen Milieus und wird aus aktivierten Thrombozyten freigesetzt.
•
Der TRPA1-Rezeptor, ein weiterer Vertreter aus der TRP-Kanal:TRPA1-RezeptorFamilie der TRPTRPA1-Rezeptor-Kanäle, wird durch Kälte und viele exogene und endogene Irritanzien erregt. Aktivierend wirken z.B. Senföl, Nikotin, Formalin und endogene Lipidmediatoren. Es wirdNikotin:TRPA1-Rezeptor eine kausale Bedeutung des Rezeptors bei entzündlichen Darmerkrankungen, bei Asthma und bei einer neuropathiebegleitenden Kälteallodynie angenommen.
•
Der epitheliale Natriumkanal (ENaC) und weitere ENaC (epithelialer Natriumkanal):Entzündungsschmerznatriumpermeable Kanäle der Natriumkanal:epithelialerENaC-Familie wie der säuresensitive Kanal ASIC („acid-sensing ion channel“) transduzieren mechanische und ASIC (acid-sensing ion channel):Nozizeptorensaure Reize. Die funktionelle Rolle dieser Kanäle auf nozizeptiven Fasern ist jedoch ungeklärt.
•
Das Nonapeptid Bradykinin entsteht durch proteolytische Spaltung aus dem Plasmaglobulin BradykininKininogen und ist in entzündlichen Exsudaten zu finden. Die Rezeptoren für Bradykinin sind an G-Proteine gekoppelt. G-Protein:RezeptorWerden sie aktiviert, entsteht über die daraufhin aktivierte Phospholipase C (PLC) und Phospholipase:CPhospholipase A2 (PLA2) Phospholipase:ADiacylglycerol (DAG) und Inositoltrisphosphat (IP3), die über nachfolgende Effektoren, Inositoltrisphosphat:Bradykinininsbesondere die Proteinkinase C, zur Phosphorylierung von TRPV1 und zu einer Abnahme der Temperaturschwelle für den Hitzeschmerz führen. Die Schwelle kann dabei so weit sinken, dass die Körpertemperatur zum Schmerzreiz wird. Phosphoryliert werden aber auch spezifische, in der Membran von Nozizeptoren vorhandene, TTX-insensitive spannungsabhängige NatriumkanäleNatriumkanal:spannungsabhängiger (Nav1.8, Nav1.9). Dadurch sinkt die Aktionspotenzialschwelle, und Nervenimpulse werden leichter ausgelöst. Die Aktivierung der PLA2 führt zur Synthese von Arachidonsäure, die ihrerseits die Prostaglandinsynthese steigert.
•
Prostaglandine sind ebenfalls Bestandteile von Prostaglandin(e):Entzündungsschmerzentzündetem Gewebe. Sie werden durch die Zyklooxygenase-Enzyme aus der ubiquitären Arachidonsäure gebildet. Prostaglandine aktivieren über einen Anstieg der cAMP-Konzentration die Proteinkinase A. Der nächste Proteinkinase:ASchritt in der Signaltransduktion ist dann die Phosphorylierung von TRPV1, Nav1.8 und Nav1.9 (s.o).
•
NGF aus Mastzellen und Makrophagen NGF (Nerve Growth Factor):EntzündungsschmerzNerve Growth Factor:Entzündungsschmerzbindet an Tyrosinkinase-A-Rezeptoren (TrkA-Rezeptoren). Ihre Tyrosinkinase-A-Rezeptor:EntzündungsschmerzAktivierung erhöht über die Effektoren, d.h. die Phosphatidylinositol-3-Kinase (PI-3K) und die Proteinkinase C, die Proteinkinase:CEmpfindlichkeit von TRPV1, TRPA1, Nav1.8 und Nav1.9.
MERKE
Hyperalgesie = verstärkte Schmerzempfindlichkeit auf noxische Reize; Allodynie = Schmerzhaftigkeit nichtnoxischer Reize; periphere Sensibilisierung = Steigerung der Empfindlichkeit von Nozizeptoren.ZahnschmerzenSonnenbrand:NozizeptionHyperalgesie:ZahnschmerzenAllodynie:Sonnenbrand
Klinik
SonnenbrandBeim Sonnenbrand führen normalerweise schmerzlose mechanische und thermische Reize in den betroffenen Hautstellen zu schmerzhaften Empfindungen (Allodynie). Die Beteiligung von Prostaglandinen kann dabei aus der therapeutischen Wirksamkeit von Hemmstoffen der Zyklooxygenase abgeleitet werden.
ZahnschmerzenEntzündliche Veränderungen in der Zahnpulpa führen dort zur Sensibilisierung von Nozizeptoren. Durch die Senkung der Reizschwelle können vorher unterschwellige Reize, wie z.B. Kälte, nun lang anhaltende Schmerzen auslösen (Hyperalgesie).
Nozizeptor: Afferenz und Efferenz
Klinik
Entzündungsschmerz, ArthritisNeurogene Mechanismen sind an den Symptomen von chronischen Entzündungen beteiligt. Arthritis bezeichnet die Entzündung in einem Gelenk und führt zu Schmerzen, Rötung und Schwellung. Es wird angenommen, dass geschädigte Zellen und Immunzellen der Gelenkkapsel durch Freisetzung verschiedener Substanzen (z.B. H+, Serotonin, Bradykinin, Prostaglandine und Zytokine) eine Sensibilisierung von Nozizeptoren verursachen. Als Folge davon führt die Freisetzung von Substanz P und CGRP aus den nozizeptiven Nervenendigungen zur Schwellung und Rötung des betroffenen Gelenks. Der Tumornekrosefaktor (TNF) ist ein wichtiges Zytokin, d.h. regulatorisches Protein im Zusammenspiel von Immunzellen, Nervenfasern und Entzündung. Hemmstoffe des TNF reduzieren die Entzündung und vor allem den Schmerz bei Arthritis.
MigräneAuch an der Pathogenese der Migräne scheint die neurogene Entzündung beteiligt zu sein. Im Anfall findet man bei Patienten erhöhte Blutkonzentrationen von CGRP. Dieser Befund weist darauf hin, dass eine CGRP-vermittelte neurogene Vasodilatation für die Schmerzentstehung wichtig sein könnte. Möglicherweise führt die Freisetzung von Neuropeptiden aber auch zu einer Sensibilisierung von Nozizeptoren in der Gefäßwand. Triptane sind die wirksamsten Medikamente zur Behandlung akuter Migräneanfälle. Diese Substanzen sind Agonisten an spezifischen Serotoninrezeptoren und sollen die Freisetzung von vasoaktiven Neuropeptiden aus Nervenendigungen hemmen, verursachen aber auch direkt eine Kontraktion von Blutgefäßen.
Konduktion von nozizeptiver Information
MERKE
Dünn myelinisierte Axone haben eine Nervenleitungsgeschwindigkeit von bis zu 20 m/s und können die Empfindung eines „hellen“ Schmerzes auslösen. Nicht myelinisierte Axone leiten Aktionspotenziale mit ca. 1 m/s und können zu „dumpfen“ Schmerzen führen.
•
Atrophie und Degeneration von Axonen
•
kollaterales Sprossen von zentralen und peripheren Axonterminalen
MERKE
Bei Schädigungen oder Erkrankungen eines peripheren Nervs entstehen Aktionspotenziale entlang der Axone. Diese ektope Erregungsbildung wird vom ZNS immer als Erregung der peripheren Endigungen gedeutet und erklärt das Phänomen des projizierten Schmerzes.Zoster-NeuralgieStumpfschmerzPhantomschmerz:NervenverletzungNeuropathie:autonomeNerv:VerletzungHyperalgesie:Zoster-NeuralgieAllodynie:Zoster-NeuralgieNeuropathie:diabetische
Klinik
Häufige Ursachen für neuropathische Schmerzen sind metabolische Störungen (z.B. Diabetes mellitus), Virusinfektionen (z.B. Herpes-zoster-Infektion) und Nervenverletzungen (z.B. nach einer Amputation).
Diabetische NeuropathieSchmerzhafte Missempfindungen sind eines der vielfältigen klinischen Symptome der diabetischen Neuropathie. Trotz intensiver Forschung nach möglichen vaskulären und/oder metabolischen Ursachen ist die Pathogenese dieser Schmerzen weitgehend unbekannt. Ziel der Therapie ist die Normalisierung des Blutzuckerspiegels. Die diabetische Stoffwechsellage kann auch die Erregungsfortleitung in spinoviszeralen Afferenzen (z.B. vom Herzen) beeinträchtigen (autonome Neuropathie). Als eine der Folgen empfinden die betroffenen Patienten trotz einer Myokardischämie keinen Schmerz. Damit fehlt die natürliche Warnung für eine rechtzeitige Therapie.
Zoster-NeuralgieNach dem Abklingen einer Zoster-Erkrankung (Gürtelrose) persistieren Viren in den Spinal- und Trigeminusganglien und können ektope Erregungsbildung und Sensibilisierung der afferenten nozizeptiven Nervenfasern mit Allodynie und Hyperalgesie als Folge auslösen.
NervenverletzungDie Durchtrennung eines peripheren Nervs ist unvermeidlich bei Amputationen. Bei Schmerzen nach einer Amputation unterscheidet man zwischen dem Stumpfschmerz und dem sog. Phantomschmerz. Zum Stumpfschmerz führen Aktionspotenziale, die am Ort der Schädigung in den nozizeptiven Afferenzen ausgelöst werden (z.B. durch Entzündung, Ischämie und mechanische Reize). Davon zu trennen ist der Phantomschmerz, ein in die amputierte Extremität projizierter Schmerz durch neuropathische Veränderungen in allen Anteilen des nozizeptiven Systems (von der primären Afferenz bis zum Kortex; Kap. 4.2.3).
4.2.2
Spinale Organisation der Nozizeption
Anatomie des spinalen Hinterhorns
MERKE
Die Konvergenz von somatischen und viszeralen Afferenzen führt zum Phänomen des „übertragenen“ Schmerzes.
Klinik
Übertragener Schmerz bei KoronarinsuffizienzSpinoviszerale Afferenzen des Herzens werden durch die Ischämie des Herzmuskels bei reduzierter Durchblutung der Koronargefäße erregt und erreichen das Rückenmark auf der Höhe der oberen Thorakalsegmente. In den gleichen Segmenten enden auch die somatischen Afferenzen aus der linken Schulter/Armregion.
Durch die Konvergenz an spinalen Neuronen ist damit die zum ZNS weitergeleitete Information ungenau, und die Erregung der kardialen Afferenzen wird als Schmerz auf die Schulter-Arm-Region übertragen.
Synapsen und Neurotransmitter
•
AMPA- und Kainat-Rezeptoren, deren Aktivierung zu Glutamatrezeptorschnellen AMPA-Rezeptor:Glutamatrezeptorenerregenden postsynaptischen Potenzialen Kainat-Rezeptor:Glutamatrezeptorenführt
•
NMDA-Rezeptoren, die besonders gut für Ca2+ permeabel sind und eher spätere, lang anhaltende NMDA-Rezeptor:nozizeptive NeuroneDepolarisationen verursachen
MERKE
Neurotransmitter der spinalen nozizeptiven Neurone:
•
Glutamat: erregende Wirkung, ionotrope AMPA-, Kainat- und NMDA-Rezeptoren
•
Substanz P: erregende Wirkung, metabotroper Neurokinin-1-Rezeptor
•
körpereigene Opioidpeptide: hemmende Wirkung, metabotrope μ-, δ- und κ-Opioidrezeptoren
Klinik
Sekundäre HyperalgesieEin klinisches Beispiel für zentrale Sensibilisierung ist das Phänomen der sekundären Hyperalgesie. Zu trennen ist dieser Zustand von der Sensibilisierung des peripheren Nozizeptors mit der örtlich begrenzten Abnahme der Erregungsschwelle. Unter bestimmten Umständen kann man nach einer peripheren Schädigung zeitlich verzögert beobachten, dass auch solche Hautareale eine Hyperalgesie und Allodynie zeigen, die außerhalb der Schädigung liegen. Dafür werden Verstärkungsmechanismen der synaptischen Übertragung und eine strukturelle Reorganisation im Hinterhorn des Rückenmarks, d.h. eine zentrale Sensibilisierung, verantwortlich gemacht. Ein Beispiel dafür ist der neuropathische Schmerz, der nach einer Zoster-Erkrankung auftreten kann. Die betroffenen Patienten beschreiben dabei Hyperalgesie und Allodynie in Hautarealen, die außerhalb der in der Akutphase der Erkrankung betroffenen Hautregion auftreten.
4.2.3
Zentrale Organisation von Nozizeption und Schmerz
•
wird nach Ort, Reizstärke und Reizdauer beurteilt
•
führt auch zu einem emotionalen Erlebnis
•
zieht motorische und vegetative Reaktionen nach sich
Aufsteigende Bahnen
Klinik
Dissoziierte Empfindungsstörung, SyringomyelieDie Kreuzung von Fasern des Tractus spinothalamicus lateralis zur Gegenseite erklärt Empfindungsstörungen bei Verletzungen oder Erkrankungen des Rückenmarks. Bei einer halbseitigen Durchtrennung tritt eine dissoziierte Empfindungsstörung auf (Brown-Séquard-Syndrom). Dabei werden unterhalb des betroffenen Rückenmarksegments schmerzhafte Reize nur ipsilateral, aber nicht kontralateral zur Läsion wahrgenommen. Für Berührungsreize gilt das Gegenteil. Zum vollständigen Verlust des Schmerzempfindens kann die Syringomyelie, eine Krankheit mit Erweiterung des Zentralkanals im Rückenmark, führen. Dabei werden beidseitig die nozizeptiven Fasern bei der Kreuzung im Zentrum des Rückenmarks geschädigt.
Schmerzverhalten, Schmerzempfindung
Klinik
PhantomschmerzNach einer Amputation können Phantomschmerzen bereits nach wenigen Tagen, aber auch erst nach Monaten auftreten. Mit dem Begriff Phantomschmerz wird ein in die amputierte Extremität projizierter Schmerz bezeichnet. Der Schmerzcharakter ist variabel von brennend bis einschießend. An der Pathogenese sind neuropathische Veränderungen in allen Anteilen des nozizeptiven Systems (von der primären Afferenz bis zum Kortex) beteiligt. Eine wichtige Komponente sind dabei Veränderungen in nozizeptiven Funktionen des Kortex. Diese Aussage wird aus Beobachtungen nach Amputation einer Hand abgeleitet. Bei diesen Untersuchungen wurden mit funktioneller MRT Kortexareale ausgemessen, die eine Aktivierung bei Bewegungen der Lippen zeigen. Bei amputierten Patienten ohne Phantomschmerz und gesunden Kontrollen sind diese Kortexareale auf beiden Gehirnhälften gleich groß. Dagegen fand man bei Patienten mit Phantomschmerz eine asymmetrische kortikale Repräsentation der Lippenregion und eine Ausweitung in das benachbarte Kortexareal der amputierten Hand. Eine derartige kortikale Umstrukturierung könnte deshalb auch an der Genese des Phantomschmerzes beteiligt sein.
Deszendierende Hemmung
4.2.4
Schmerztherapie
Medikamentöse Schmerztherapie
•
Hemmung der Bildung von Noxen und Entzündungsmediatoren
•
Blockade der Aktionspotenzialfortleitung
•
prä- und postsynaptische Hemmung von nozizeptiven Neuronen des ZNS
Klinik
NarkoseBei der Narkose soll das Bewusstsein ausgeschaltet, die Muskulatur entspannt und das Schmerzempfinden vollständig unterdrückt werden. Viele Inhalationsanästhetika sind zwar gut narkotisch, aber nur schwach analgetisch wirksam und können deshalb mit N2O (Lachgas) kombiniert werden. N2O ist analgetisch wirksam, führt jedoch in den üblichen Konzentrationen nicht zur Bewusstlosigkeit. Auch viele der Injektionsanästhetika sind nicht ausreichend analgetisch wirksam und müssen mit einem Opioid zur Ausschaltung der Schmerzempfindung kombiniert werden.
MERKE
Die Wirkprinzipien der medikamentösen Schmerztherapie sind:
•
Die Bildung von Noxen und Entzündungsmediatoren wird gehemmt.
•
Die Fortleitung von Aktionspotenzialen wird unterdrückt.
•
Die Erregbarkeit von spinalen und supraspinalen nozizeptiven Nervenzellen wird gehemmt.
Nichtmedikamentöse Schmerztherapie
MERKE
Bei der nichtmedikamentösen Schmerztherapie wird versucht, die körpereigenen Mechanismen der Schmerzunterdrückung zu aktivieren.
ZUSAMMENFASSUNG
Reizaufnahme und -weiterleitung
Schmerzweiterleitung
Plastizität des nozizeptiven Systems
Schmerztherapie
4.3
Visuelles System
Zur Orientierung
Das Sehsystem ist der leistungsfähigste Fernsinn des Menschen und liefert mehr Information an das Gehirn als alle anderen Sinnessysteme zusammen. Das Auge als Aufnahmeorgan hat eine kugelige Form, etwa 24 mm im Durchmesser. Seine Form bewahrt es sehr präzise durch die zähe weiße Sklera (Lederhaut, Abb. 4.24) und den recht genau geregelten Augeninnendruck. Die von der Chorioidea (Aderhaut) versorgte Retina (Netzhaut) ist entwicklungsgeschichtlich ein Teil des Gehirns. Der optische Apparat, bestehend aus Kornea (Hornhaut) und Linse, wirft ein verkleinertes, umgekehrtes Bild auf die Netzhaut. Dieses Bild wird von den Fotorezeptoren der Netzhaut registriert. Nach Vorverarbeitung in der Retina wird die Information über den N. opticus, das Chiasma opticum und die Sehstrahlung zur primären Sehrinde geleitet (Abb. 4.33), wo sie nach verschiedenen Modalitäten verarbeitet wird.System:visuelles
4.3.1
Einleitung
•
Räumliches Auflösungsvermögen: Einzelne Details von weniger als 1 Sehwinkelminute werden bei einem großen beidäugigen Gesichtsfeld von über 180° aufgelöst.
•
Adaptationsfähigkeit: Durch die Anpassungsfähigkeit des Auges an verschiedene Adaptation:AugeHelligkeitswerte der Umgebung können Objekte über Auge:Adaptationsfähigkeiteinen Leuchtdichtebereich von mehr als 10 Dekaden erkannt werden.
•
Zeitliches Auflösungsvermögen: Die Verarbeitungsgeschwindigkeit des Sehsystems ist Auflösungsvermögen:Augeaußerordentlich hoch (wie z.B. beim Tischtennisspielen).
•
Auge:AuflösungsvermögenKontrastsehen: Gegenstände können bei geringen Lichtunterschieden erkannt werden.
•
Farbensehen: Gleich helle Objekte können durch KontrastsehenSpektralanalyse unterschieden werden.
4.3.2
Geometrische Optik
Anwendung am menschlichen Auge
Optische Grundlagen
MERKE
Die Brechkraft des Systems Luft-Kornea beträgt ca. 48,8 dpt, die des Systems Luft-Kornea-Kammerwasser ca. 31,66 dpt.
Optische Qualität und Abbildungsfehler des menschlichen Auges
Klinik
AstigmatismusDie Brechkraft der Kornea ist in vertikaler Richtung oft stärker als in horizontaler (Astigmatismus „mit der Regel“), sodass ein Gegenstandspunkt nicht punktförmig, sondern als Strich oder elliptische Scheibe abgebildet wird (Abb. 4.26). Ursache ist wahrscheinlich der konstante Druck der Lider. Als physiologischer Astigmatismus gelten dabei Werte bis zu 0,5 dpt. Astigmatismus ist gerade bei Kleinkindern weit verbreitet und geht später zurück.
Beim regulären Astigmatismus stehen die 2 Meridiane maximaler und minimaler Brechkraft nahezu (± 10°) senkrecht aufeinander (Abb. 4.26), beim schiefen dagegen schräg. Diese beiden Formen des Astigmatismus können durch astigmatische (zylindrische) Brillengläser ausgeglichen werden. Beim irregulären Astigmatismus können die Achsen kaum definiert werden, da die Oberfläche der Kornea – meist durch Verletzungen – unregelmäßig ist. Er kann durch Kontaktlinsen oft etwas korrigiert werden. Dabei füllt der Tränenfilm die unregelmäßige Oberfläche zwischen Kontaktlinse und Kornea auf und bewirkt so wieder eine homogene optische Oberfläche.
Akkommodation
MERKE
Die aktive Änderung der Brechkraft des Auges bezeichnet man als Akkommodation. Die maximal erreichbare Änderung der Brechkraft bezeichnet man als Akkommodationsbreite.
MERKE
Diese Formel lässt sich einfach merken als:
Akkommodationsbreite in dpt = 1/Nahpunkt in [m] – 1/Fernpunkt in [m].
MERKE
Die Kontraktion des ZiliarmuskelsMusculus:ciliaris verringert die Spannung der Zonulafasern, AkkommodationZonulafasern, die die Linse bei entspannter Akkommodation flach ziehen. Ohne die Wirkung der Zonulafasern kugelt sich die (jugendliche) Linse ab.
Klinik
Alterssichtigkeit (Presbyopie)Die Linse wächst zeitlebens. Da sie durch die Linsenkapsel keine Zellen abstoßen kann, vergrößert und verdichtet sich der Linsenkern zunehmend (Alterskern). Parallel dazu ist die Linse immer weniger verformbar, und auch die anderen Strukturen (Aderhaut, Ziliarmuskel) verlieren an Elastizität. Dadurch nimmt die Akkommodationsbreite mit dem Alter ab (pro 5 Jahre ca. 0,75 dpt). Während Kinder im gesamten Entfernungsbereich von unendlich bis auf etwa 5–7 cm (Nahpunkt) scharf sehen können, rückt der Nahpunkt mit zunehmendem Alter immer weiter weg (Abb. 4.28). Da das Auge die zusätzliche Brechkraft nicht mehr aufbringen kann, ist eine zusätzliche Sammellinse notwendig, um den Nahpunkt wieder an die Arbeitsentfernung anzupassen. „Alterssichtigkeit“ ist streng von der echten Weitsichtigkeit zu unterscheiden, bei der der Akkommodationsbereich normal sein kann, das Auge aber zu kurz ist.
Kurzsichtigkeit (Myopie)Das Auge ist im Verhältnis zu seiner Brennweite zu lang (Abb. 4.29, Mitte). Der Sehbereich, in dem durch Akkommodation fokussiert werden kann, verschiebt sich in die Nähe. Die Stärke der Myopie (in dpt) kann durch den Kehrwert des Fernpunkts abgeschätzt werden (Abb. 4.27). Liegt der Fernpunkt bei 0,5 m, beträgt das Ausmaß der Myopie (nach Formel 3) 2 Dioptrien. Zur optischen Korrektur muss eine Streulinse mit negativer Brechkraft (–dpt) vorgesetzt werden, die die Brennweite des Gesamtsystems verlängert (Abb. 4.29, Mitte unten).
Für eine Normalsichtigkeit (Emmetropie) müssen die Länge des Auges und dessen Brennweite genau übereinstimmen (Abb. 4.29, links). Verändert sich die Augenlänge nur um etwa 0,1 mm (d.h. ca. 0,27 dpt), ist die Sehschärfe bereits wahrnehmbar verschlechtert, da die Tiefenschärfe des menschlichen Auges etwa 0,4 dpt beträgt. Dies kann aber umgekehrt auch als physiologischer Anpassungsprozess verstanden werden, wenn z.B. ein Erstklässler eine Myopie entwickelt: Durch die vermehrte Naharbeit wird die retinale Bildqualität schlechter, und das Auge wächst in die Länge (Tierexperimente weisen auf diesen Zusammenhang hin).
Weitsichtigkeit (Hyperopie)Das Auge ist zu kurz, die Brechkraft von Hornhaut und Linse also relativ zu niedrig (Abb. 4.29, rechts). Um das Auge in den „Normalzustand“ zu versetzen, muss durch Akkommodation zusätzliche Brechkraft aufgebracht werden (wenn die Akkommodationsbreite noch ausreicht). In keinem Fall ist es aber möglich, noch so weit zu akkommodieren, dass auch sehr nahe Gegenstände scharf gesehen werden. Um das Ausmaß der Hyperopie und die Akkommodationsbreite zu bestimmen, muss zunächst eine Sammellinse vorgesetzt werden, die die „zusätzliche“ Akkommodation ausschaltet und den Fernpunkt in einen messbaren Bereich bringt (Abb. 4.30). Die Brennweite f einer Vorsatzlinse muss natürlich berücksichtigt werden, wenn das Ausmaß der Hyperopie berechnet wird (Abb. 4.30): Liegt der Fernpunkt P nach Vorsetzen einer +5-dpt-Sammellinse bei 2 m (Distanz a), beträgt die Hyperopie +5 dpt – 0,5 dpt = 4,5 dpt („wahrer Fernpunkt“ bei Distanz p). Im Falle eines Nahpunkts von 25 cm beträgt die von der Vorsatzlinse unbeeinflusste Akkommodationsbreite bei diesem Beispiel 3,5 dpt (nach Formel 6: 1/0,25 m – 1/2 m = 4 dpt – 0,5 dpt = 3,5 dpt). Damit kann dieses Auge ohne Vorsatzlinse auch bei stärkster Akkommodationsanstrengung selbst in der Ferne kein scharfes Bild mehr erhalten, weil das Ausmaß der Hyperopie größer als die Akkommodationsbreite ist.
MERKE
Als sphärische Refraktionsfehler, sphärischeRefraktionsfehler werden die Myopie (Kurzsichtigkeit, das Auge ist zu lang) und die Hyperopie (Weitsichtigkeit, das Auge ist zu kurz) bezeichnet.
Ophthalmoskopie
Klinik
Pathologische Veränderungen des AugenhintergrundesMithilfe des Augenspiegels lassen sich viele wichtige Strukturen des Augeninneren beurteilen. So können z.B. kleine Punktblutungen bei Diabetes mellitus, Degenerationen des Pigmentepithels bei altersbedingter Makuladegeneration, Veränderungen der Gefäße bei Bluthochdruck, eine Aushöhlung des Sehnervenkopfs nach Untergang von Sehnervenfasern bei Glaukom oder auch ein Verschluss eines Arterienastes festgestellt werden. Der Augenspiegel gehört daher zu den wichtigsten Instrumenten bei der Beurteilung von generalisierten Gefäßerkrankungen oder neurodegenerativen Prozessen, da er einen direkten Blick auf die neuronalen Strukturen und die Gefäße erlaubt.
4.3.3
Pupille
Normale Pupillenfunktion
Pupillenlichtreaktion
•
Sie kann sich bis etwa 8 mm erweitern und bis etwa 2 mm verengen. Dies entspricht einem Flächenverhältnis von 16 : 1, also wenig mehr als einer Dekade. Da das Auge aber einen wesentlich größeren Helligkeitsunterschied von 10 Dekaden, vom Waldspaziergang im Mondschein bis zur mittäglichen Gletscherwanderung bei vollem Sonnenlicht (10–6–104 cd/m2) verarbeiten kann, sind weitere Anpassungsmechanismen (Sehpurpurbleichung, neuronale Adaptation) erforderlich.
•
Sie fungiert im optischen Apparat des Auges als Aperturblende: Sie steuert den Lichteinfall, ohne das Bildfeld zu begrenzen, da sie sehr nahe an der optischen Hauptebene lokalisiert ist.
•
Sie reagiert sehr schnell auf Licht (Latenz 0,2–0,5 s). Die Reaktion wird über einen Regelkreis gesteuert, dessen Aufgabe es ist, die retinale Lichtdichte möglichst konstant zu halten und damit die Blendung zu verringern (s.u.).
Nahreaktion, Konvergenzreaktion
Klinik
Licht-Nah-DissoziationWeil die Bahnen für die Pupillenlichtreaktion und die Nahreaktion unterschiedlich verlaufen, kann eine Schädigung im dorsalen Mittelhirn dazu führen, dass die Pupillenlichtreaktion ausfällt, die Nahreaktion aber erhalten bleibt. Man spricht dann von der „Licht-Nah-Dissoziation“ der Pupillen.
Physiologische Einflüsse auf die Pupille
MERKE
Die nicht seltene physiologische Anisokorie bezeichnet zeitweilig oder ständig ungleich große, aber sonst normal reagierende Pupillen.
Pupillenstörungen
MERKE
Mydriasis = Pupillenerweiterung, Miosis = Pupillenverengung, Anisokorie = ungleich weite Pupillen.
Klinik
Relative afferente PupillenstörungNervus:oculomotoriusGanglion:ciliareWird die afferente Pupillenbahn z.B. am Sehnerv einseitig geschädigt, ist dies zunächst nicht zu sehen, weil die Pupillen isokor sind. Fällt Licht in das gesunde Auge, verengen sich beide Pupillen. Wenn das von einem Sehnervenschaden betroffene Auge beleuchtet wird, reagieren sie dagegen schwächer, d.h., sie kontrahieren langsamer und werden nicht so eng wie bei Beleuchtung des gesunden Auges, weil im Mittelhirn von der kranken Seite weniger Lichtinformation ankommt (so, als sei es dunkler geworden).
Amaurotische PupillenstarreWenn eine Afferenz völlig ausgefallen ist, lässt sich keine Pupillenlichtreaktion über dieses Auge mehr auslösen. Beleuchtet man das Partnerauge, so reagiert die Pupille des blinden Auges konsensuell mit (wenn der efferente Anteil intakt ist). Man spricht in diesem Fall von einer amaurotischen Pupillenstarre, dem objektiven Beweis einer einseitigen Erblindung.
Horner-SyndromEin Ausfall des Sympathikus, der auch den Müller-Oberlidmuskel innerviert, führt zu einer Verengung der Pupille (Miosis) und der Lidspaltenweite (Ptosis). Die Symptome sind Teil des Horner-Syndroms.
Absolute PupillenstarreBei Unterbrechung des N. oculomotorius kommt es zur absoluten Pupillenstarre. Die direkte und indirekte Lichtreaktion sowie die Nahreaktion der betroffenen Pupille fallen aus. Bei Schädigung der kurzen Ziliarnerven zwischen Ganglion ciliare und Pupillensphinkter bleibt meist eine verlangsamte „tonische“ Nahreaktion der Pupille erhalten. Diese Störung wird Pupillotonie genannt.
Einflüsse auf die Pupillenmuskulatur
Klinik
Prüfung der sympathischen Innervation des AugesMit Kokain-Augentropfen kann man testen, ob die sympathische Innervation des Auges intakt ist. Im Normalfall schütten die an der Innervation beteiligten Neurone durch ihre spontane Aktivität immer wieder etwas Noradrenalin aus. Dies wird hauptsächlich durch Rückresorption aus dem synaptischen Spalt inaktiviert, bevor es die Pupille erweitern kann. Kokain hemmt diese Rückresorption und die Konzentration des Noradrenalins im synaptischen Spalt steigt an, sodass es schließlich wirksam wird. Wenn die Sympathikusbahn unterbrochen ist (Horner-Syndrom), fehlt die spontane neuronale Aktivität, und Kokain bleibt wirkungslos: Die Pupille erweitert sich nicht.
4.3.4
Augeninnendruck
Kammerwasser
Tonometrie
Klinik
GlaukomDurch eine Abflussbehinderung oder eine seltenere starke Erhöhung der Kammerwasserproduktion steigt der Augeninnendruck an. Hält dieser Druck länger an, werden auch die Sehnervenfasern im Bereich der Papilla n. optici komprimiert und gehen dadurch langsam zugrunde. Es entsteht ein Glaukom (grüner Star). Meist sind zunächst die Fasern der Ganglienzellen betroffen, die das Gesichtsfeld in der mittleren Peripherie versorgen. Da die Sehschärfe in der Regel zunächst intakt bleibt, werden die peripher gelegenen Gesichtsfeldausfälle vom Patienten sehr spät bemerkt. Allerdings können auch andere Mechanismen, z.B. Durchblutungsstörungen des Sehnervenkopfes, das Bild eines Glaukoms verursachen („Glaukom ohne Hochdruck“).
Pupillenverengende Mittel verbessern den Kammerwasserabfluss, pupillenerweiternde Mittel (z.B. Atropin) verschlechtern ihn. Pupillenerweiternde Medikamente sind deshalb bei Glaukomverdacht strengstens zu meiden.
4.3.5
Signalverarbeitung in der Netzhaut
Grundlagen
Aufbau der Netzhaut
Fotorezeptoren
•
Die Zapfendichte ist in der Fovea centralis (Durchmesser ca. 1,5 Stäbchen:Häufigkeitmm) und der Foveola (Vertiefung in der Fovea Zapfen:Häufigkeitcentralis mit einem Durchmesser von ca. 0,3 mm) am höchsten (Abb. 4.38b). Dadurch ist die räumliche Auflösung in Fovea centralisdiesem Bereich am besten. Zum Lesen ist ein Gesichtsfeld von etwa 6 Sehwinkelgrad Breite und 3 Sehwinkelgrad Höhe erforderlich.
•
Die meisten der für das Dämmerungssehen notwendigen Stäbchen finden sich parafoveal bei etwa 15–20 Sehwinkelgrad. Deshalb betrachten Astronomen lichtschwache Sterne nicht mit der Foveola, sondern mit einem parafovealen Bereich.
Sehfarbstoff
Klinik
NetzhauterkrankungenPunktmutationen oder Deletionen können in fast jedem Protein des Retinoidstoffwechsels zu hereditären Netzhauterkrankungen führen:
•
Retinitis pigmentosa: Rezessive und dominante Formen werden durch Mutationen und Deletionen im Rhodopsin oder auch im CRALBP, im CRBP oder im LRAT hervorgerufen.
•
Nachtblindheit (Nyktalopie): Sie kann z.B. durch bestimmte Mutationen im Rhodopsin oder im 11-RDH hervorgerufen werden.
•
Zapfendystrophien: Die Makula betreffende Zapfendystrophien werden häufig durch Mutationen im ABCA4-Gen (Stargardt-Makuladegeneration) oder auch durch Mutationen in Enzymen oder Kanälen der Fototransduktionskaskade (Abb. 4.39; Phosphodiesterase, Kationenkanal und viele andere) hervorgerufen.
•
Kongenitale Blindheit: Eine Mutation im RPE65, das die Isomerase (IMH in Abb. 4.37c) steuert, ist verantwortlich für kongenitale Blindheit (Leber-kongenitale Amaurose). Im Tiermodell kann das Wildtyp-Gen bereits in die Pigmentepithelzelle eingeschleust und das IMH aktiviert werden, sodass die hereditär bedingte Unterbrechung der Regeneration des Retinoidstoffwechsels beseitigt wird.
Bei einem Vitamin-A-Mangel entsteht nach einiger Zeit insbesondere in den Stäbchen ein Sehfarbstoffmangel und damit die Nachtblindheit.
MERKE
Die Existenz von Fotorezeptoren mit unterschiedlichen spektralen Absorptionseigenschaften ist Voraussetzung für das Farbensehen.
Entstehung und Weiterleitung der Erregung
Fototransduktion
•
Verengung der Pupille (Abb. 4.35)
•
Ausbleichung des Sehfarbstoffs, d.h., die Konzentration aktivierbarer Rhodopsinmoleküle wird vermindert
•
verminderte AktivierbarkeitPupille:Helladaptation der Guanylatcyclase (durch hohen Verbrauch)
•
herabgesetzte Sehfarbstoff:HelladaptationTransmitteraktivität der Synapse (durch die verstärkte Hyperpolarisation am Innensegment)
Elektroretinogramm
Klinik
Elektroretinografie bei degenerativen NetzhauterkrankungenBei degenerativen Erkrankungen der Netzhaut sind deren elektrische Antworten vermindert (Abb. 4.49). Die Elektroretinografie erlaubt sehr genaue Messungen der retinalen Lichtempfindlichkeit, sie ermöglicht die Differenzierung der Funktion von Stäbchen und Zapfen und ist deshalb insbesondere bei der Abklärung von heredodegenerativen Netzhauterkrankungen, Intoxikationen und vaskulären Erkrankungen von Bedeutung.
Verarbeitung der elektrischen Signale in der Netzhaut
Die Netzhaut: ein Rechenwerk
Rezeptive Felder
MERKE
Das rezeptive Feld ist derjenige Netzhautbezirk, über den ein bestimmtes Neuron erregt oder gehemmt werden kann.
Farbcodierende Neurone
Helligkeitscodierende Neurone
MERKE
Im Zentrum der Netzhaut wird die Farbe der Objekte durch Zellen des parvozellulären Systems unter Verzicht auf zeitliche Auflösung analysiert. In der peripheren Netzhaut werden eher schnelle Bewegungen durch Zellen des magnozellulären Systems unter Verzicht auf Farbcodierung vermittelt.
4.3.6
Retinale Wahrnehmungsmechanismen
Farbensehen
Farbdreieck
•
die Mischverhältnisse der Lichtquanten durch 3 Zapfen mit unterschiedlichen Sehpigmenten analysiert werden
•
die Reizzustände der einzelnen Fotorezeptoren durch die Gegenfarbenverschaltung der farbcodierenden Neurone verglichen werden
MERKE
Auf der Ebene der Fotorezeptoren gilt die von Maxwell, Young und Helmholtz vorgeschlagene trichromatische Theorie, trichromatischeTheorie, während in den nachgeschalteten Netzhautneuronen die von Hering vorgeschlagene GegenfarbentheorieGegenfarbentheorie eines antagonistischen Rot/Grün-, Blau/Gelb- und Weiß/Schwarz-Prozesses gilt.
Farbmischungen
Klinik
FarbensinnstörungenDie Gene für das Opsin der Rot- und Grünzapfen liegen auf dem X-Chromosom. Dementsprechend kommen Störungen des Farbensinns bei Männern sehr viel häufiger vor als bei Frauen. Etwa 8% der männlichen Bevölkerung sind farbuntüchtig, entweder protanomal (rotschwach), protanop (rot„blind“), deuteranomal (grünschwach) oder deuteranop (grün„blind“). Da das Opsin der Blauzapfen auf einem Autosom rezessiv vererbt wird, sind die Tritanomalie („Blauschwäche“) und die Tritanopie (Blau„blindheit“) selten (Abb. 4.44). Rot- oder grünschwache Personen sind nicht farbenblind. Sie haben durchaus Farbempfindungen, auch im Rot- bzw. Grünbereich. Sie verwechseln jedoch Farben in einer gesetzmäßigen Weise, die sich durch die Verwechslungsgerade im Farbdreieck darstellen lässt (Abb. 4.43).
Die Farbenblindheit kann aber auch komplett sein, sodass das Sehen ausschließlich von Stäbchen vermittelt wird (Stäbchenmonochromasie). In diesem Fall können nur verschiedene Grauwerte unterschieden werden. Die Sehschärfe ist sehr starkbeeinträchtigt. Stäbchenmonochromaten leiden auch stark unter Blendung (Fotophobie). Hinzu kommt ein Nystagmus. In seltenen Fällen können neben den Stäbchen auch noch die Blauzapfen intakt sein (X-chromosomal rezessiv vererbte Blauzapfenmonochromasie).
Die Feststellung von Störungen des Farbensinns ist in vielen Bereichen des Berufslebens, bei denen es auf gute Farberkennung ankommt, wichtig (z.B. Kapitäne, Piloten, Designer, Zahnärzte, Elektroniker, Lokomotivführer). Oft gelten bestimmte gesetzliche Regelungen. Ein einfaches Verfahren, Farbensinnstörungen festzustellen, bieten die „pseudoisochromatischen“ Tafeln (Abb. 4.45). Auf diesen Tafeln sind Zahlen oder Figuren durch farbige Punkte dargestellt, wobei die Helligkeit so angeglichen ist, dass die Punkte nur aufgrund ihres Farbtons unterschieden werden können („Isochromasie“). Kombiniert man Punkte in verschiedenen Farben und Helligkeitsabstufungen, lassen sich Farbensinnstörungen relativ sicher erfassen. Die Zuordnung zu einer bestimmten Gruppe von Farbensinnstörungen ist jedoch nicht eindeutig möglich. Bei den Farbanordnungstests werden dem Probanden Klötzchen in allen Farben des sichtbaren Spektrums vorgelegt, die er in einer möglichst harmonischen Reihe sortieren muss. Aus der Lage der Achse der Verwechslungen lassen sich der Typ der Farbensinnstörung und sein Ausmaß bestimmen.
Farbkonstanz
Sehschärfe, Kontrast
Räumliches Auflösungsvermögen
MERKE
Das räumliche Auflösungsvermögen ist die Fähigkeit des visuellen Systems, 2 Punkte als getrennt wahrzunehmen
MERKE
Die Dichte der Fotorezeptoren ist in der Foveola der Netzhaut am höchsten. Dementsprechend ist dort die Auflösung am besten.
Bestimmung der Sehschärfe
Kontrastsehen
MERKE
Physikalisch gesehen ist „Kontrast“ der Helligkeitsunterschied zweier benachbarter Flächen (SimultankontrastSimultankontrast) oder zweier Flächen, die zeitlich hintereinander dargeboten werden (SukzessivkontrastSukzessivkontrast).
Adaptation
Dunkeladaptation
•
In den ersten Minuten nimmt die Empfindlichkeit durch die erhöhte Bildung von aktivierbarem Sehfarbstoff (Abb. 4.39) sehr rasch zu. In der 6.–8. Minute wird ein Plateau erreicht.
•
Danach wird ein Knick messbar (Kohlrausch-Knick), auf den eine Empfindlichkeitssteigerung (Schwellensenkung) folgt.Sehfarbstoff:Dunkeladaptation
MERKE
Bei der Dunkeladaptation findet ein Übergang vom Zapfen:DunkeladaptationZapfensehen (Tagessehen, photopisches SehenSehen:photopisches) auf das Stäbchen:DunkeladaptationStäbchensehen (Nachtsehen, skotopisches SehenSehen:skotopisches) statt. Damit verschiebt sich auch die Empfindlichkeit des Auges von Grün nach Blaugrün (Purkinje-Purkinje-VerschiebungVerschiebung).
Helladaptation
Klinik
NyktalopieEs gibt eine Reihe von erblichen Netzhauterkrankungen, bei denen die Dunkeladaptation gestört ist. Verbunden mit einem Stäbchenverlust ergibt sich eine monophasische Dunkeladaptationskurve, in der nur noch der Zapfenanteil gemessen werden kann (gestrichelte rote Linie in Abb. 4.48a). Man nennt dies Nyktalopie (im europäischen Sprachraum fälschlicherweise gelegentlich auch Hemeralopie genannt).
StäbchenmonochromasieEs gibt auch erbliche Defekte, bei denen die Rot-, Grün- oder Blauzapfen gänzlich oder teilweise fehlen (komplette oder inkomplette Stäbchenmonochromasie). Die Dunkeladaptationskurve verläuft dann ebenfalls monophasisch, jedoch entlang der Stäbchenfunktion (gestrichelte blaue Linie in Abb. 4.48a).
Retinitis pigmentosaIn Deutschland sind ca. 30.000 Patienten von einer der Formen der Retinitis pigmentosa betroffen, die sowohl autosomal dominant, autosomal rezessiv und X-chromosomal rezessiv auftreten kann. Es sind über 160 Genorte bekannt, deren Veränderung diese Netzhautdegeneration mit sehr ähnlichen phänotypischen Endstrecken auslösen kann. Die Mutationen und Deletionen können sowohl Proteine in den Pigmentepithelzellen, in der Fototransduktionskaskade, im Vitamin-A-Zyklus, aber auch in Ionenkanälen, Transport- und Strukturproteinen betreffen. Beispielsweise kann eine Punktmutation (mit der Folge des Austauschs einer Aminosäure im Rhodopsinmolekül) zum Untergang von Stäbchen in der Netzhautperipherie führen (typische Pigmentablagerungen in Abb. 4.49b, „Zellschutt“). Dadurch ist die Empfindlichkeit bei der Dunkeladaptation stark herabgesetzt. Wenn das retinale Pigmentepithel auch betroffen ist, könnn auch die Zapfen, die neben den degenerierten Stäbchen stehen, zugrunde gehen. Dann ist das Gesichtsfeld stark eingeengt (Abb. 4.49a). Die Zapfen im Zentrum der Netzhaut (Abb. 4.38) bleiben dagegen oft länger erhalten und ermöglichen ein einigermaßen intaktes Restsehvermögen durch eine makuläre Insel, mit der z.B. Fernsehen und Lesen möglich ist. Wenn sich diese kleine Insel auch noch verringert, können nur noch Einzelbuchstaben erkannt werden; bei vielen Patienten verschwindet in höherem Lebensalter auch dieser Sehrest. Durch den Untergang von Ganglienzellen und Ganglienzellfasern zeigt der Sehnervenkopf Atrophieerscheinungen. Die die Gefäße umschlingenden Hyperpigmentierungen führen zu einer massiven Gefäßeinengung. Inzwischen gibt es eine Reihe von therapeutischen Ansätzen, die bereits in klinischen Studien erprobt werden. Mit Wachstumsfaktoren, die im Augeninneren in einem „drug delivery system“ langsam freigesetzt werden, versucht man, den Degenerationsprozess aufzuhalten. Auch eine Gen-Ersatztherapie wird in mehreren Studien, z.B. bei Patienten mit RPE65-Mutationen oder Stargardt'scher Makuladegeneration, erfolgreich erprobt. Bei völlig blinden Patienten mit Retinitis pigmentosa kann ein gewisses Sehvermögen auch durch elektronische Netzhautimplantate wiederhergestellt werden, etwa durch subretinale lichtempfindliche Photodiodenfelder mit Verstärkern und Multielektroden („Retina Implant“) oder epiretinale Elektrodenanordnungen, die durch eine Kamera angesteuert werden. Auch präklinische Versuche, in der zytoplasmatischen Membran verbliebener Netzhautzellen lichtempfindliche Kanäle einzubauen („Optogenetics“) sind vielversprechend. Therapien für die klinische Anwendung bei degenerativen Netzhauterkrankungen sind deshalb in den nächsten Jahren zu erwarten.
Weitere Wahrnehmungseigenschaften der Netzhaut
Nachbilder
Zeitliche Übertragungseigenschaften der Netzhaut
Bewegungssehen und Scheinbewegung
Räumliches Sehen
MERKE
Die binokulare Fusion beim beidäugigen Sehen PresbyosmieHyposmie\bBulbus olfactorius:AnosmieAnosmieAnosmie:partiellekommt dadurch zustande, dass Geruchsblindheiteinzelne Netzhautorte der beiden Retinae korrespondieren, also neuronal im ZNS konvergieren.
MERKE
Der Horopter ändert sich deshalb in Abhängigkeit von der Akkommodation, also von der Lage der Fixationspunkte beider Augen zueinander.
Klinik
StrabismusWird ein fixierter Gegenstand nicht auf korrespondierenden Netzhautpunkten der Fovea abgebildet, bezeichnet man das als Schielen (Strabismus). Ändert sich der Winkel, in dem beide Augen zueinander stehen, plötzlich, z.B. durch eine Verletzung oder Lähmung, entstehen bei allen Blickrichtungen Doppelbilder, an denen der gelähmte Muskel beteiligt ist.
SchielamblyopieBei schielenden Kindern besteht die Gefahr einer Schielamblyopie: Werden die durch das Schielen entstehenden Doppelbilder dauernd unterdrückt, unterbleibt die Ausbildung der Gestalterkennung in den Sehrindenarealen, die vom schielamblyopen Auge Eingang erhalten. Es handelt sich hierbei um einen erworbenen zentralen Defekt, der spätestens am Ende der ersten Lebensdekade nicht mehr korrigierbar ist. Durch eine Schielbehandlung oder durch Üben des schwächeren Auges, indem beide Augen abwechselnd abgedeckt werden, lässt sich die Schielamblyopie vermeiden.
4.3.7
Neurophysiologie der zentralen Sehbahn
Sehbahn und Gesichtsfeld
Verlauf
MERKE
Im Chiasma opticum kreuzen die nasalen Fasern, während die temporalen Fasern ungekreuzt weiterlaufen.
Retinotopie
Gesichtsfeld
MERKE
Als monokulares Gesichtsfeld wird derjenige Ausschnitt unserer Umwelt bezeichnet, den wir mit unbewegtem Auge, Kopf und Körper wahrnehmen können.
Klinik
GesichtsfeldausfälleBereiche mit einem Ausfall der visuellen Wahrnehmung werden Skotome genannt. Ein physiologisches Skotom von 5° Durchmesser ist der blinde Fleck (Austrittsort des Sehnervs aus dem Auge) im temporalen Gesichtsfeld. Er wird bei beidäugigem Sehen nicht relevant, da der korrespondierende Bereich im jeweils anderen Auge im nasalen Gesichtsfeld normal abgebildet ist. Beim Sehen mit einem Auge wird der blinde Fleck spontan nicht wahrgenommen, da er zentral durch Informationen aus der Umgebung aufgefüllt wird. In der Perimetrie mit kleinen Reizmarken ist der blinde Fleck im temporalen Gesichtsfeld nachweisbar.SkotomGesichtsfeld:AusfälleFleck:blinder, GesichtsfeldSkotom:physiologisches
Läsionen der SehbahnAusfälle in der Sehbahn sind z.B. durch Schädigung von Fasern der retinalen Ganglienzellen beim grünen Star (Glaukom), durch Tumoren, Entzündungen, Verletzungen oder Durchblutungsstörungen der Netzhaut, des Sehnervs oder in den weiteren Abschnitten der Sehbahn möglich. Aus der Ausdehnung, Form und Lage der jeweiligen Skotome in den Gesichtsfeldhälften beider Augen kann auf den Ort der Schädigung geschlossen werden (Abb. 4.53):
•
Ein Ausfall in nur einem Auge deutet auf eine Schädigung vor der Sehnervenkreuzung hin, also im Bereich des N. opticus oder der Netzhaut (1 und 4 in Abb. 4.53).
•
Eine bitemporale Hemianopsie beruht oft auf einem Hypophysentumor, der medial auf die kreuzenden Fasern im Chiasma drückt, die die temporalen Gesichtsfelder beider Augen repräsentieren (2 in Abb. 4.53).
•
Tritt die Störung nach dem Chiasma auf, sind wegen des gekreuzten Verlaufs der Fasern von beiden Netzhauthälften immer Bereiche homonymer Halbfelder betroffen (3 und 5 in Abb. 4.53).
Weiterer Verlauf und Umschaltung der Sehbahn
Subkortikale Zentren
MERKE
CGL: Umschaltung des Tractus opticus mit der Möglichkeit, die Signalübertragung anzupassen.
Primäre Sehrinde
MERKE
In den übereinanderliegenden 6 Schichten der Sehrinde (V1) laufen subkortikale Signale ein (4, 6), werden verarbeitet und innerhalb des Großhirns (2, 3) oder über efferente Neurone zurück in subkortikale Kerngebiete (5, 6) verschaltet.
•
Kortex:primärer visuellerOrientierungsspezifität liegt vor, wenn Zellen bevorzugt auf Kontraste mit bestimmter Orientierung im Raum reagieren.
•
Orientierungsspezifität, visueller KortexRichtungsspezifität unterscheidet Bewegung in eine gegebene Richtung von derjenigen in die entgegengesetzte Richtung.
•
Richtungsspezifität, visueller KortexLängenspezifität entsteht durch Hemmungsmechanismen („Endhemmung“), die die Antwort auf einen Reiz bestimmter Länge begrenzen.Längenspezifität, visueller Kortex
•
Einfache Zellen („simple cells“) besitzen Zelle:visueller Kortexkleine rezeptive Felder. Sie antworten am besten, wenn der Reiz exakt in ihren länglichen erregenden Feldregionen lokalisiert ist.
•
Komplexe Zellen („complex cells“) reagieren demgegenüber unabhängig vom Ort der Reizung innerhalb ihrer größeren rezeptiven Felder mit denselben Antwortspezifitäten wie die einfachen Zellen (Ortsinvarianz).
•
Hyperkomplexe Zellen zeichnen sich durch Endhemmung aus (Abb. 4.55c). Sie können bezüglich ihrer anderen Feldeigenschaften „einfach“ oder „komplex“ sein.
Klinik
Über die Kenntnis der spezifischen visuellen Verarbeitung in höheren Hirnregionen lassen sich auch spezifische klinische Ausfälle erklären.
ProsopagnosieBei beidseitigen Schädigungen des inferioren Temporallappens und des medialen temporookzipitalen Übergangsbereichs findet man z.B. eine Prosopagnosie, die Unfähigkeit, Gesichter verschiedener Personen zu unterscheiden.
BewegungsagnosieDemgegenüber haben Patienten, die an umschriebenen bilateralen Läsionen der Areae MT und MST leiden, Störungen der Bewegungswahrnehmung von Objekten im Raum (Akinetopsie, Bewegungsagnosie).
Objektive Prüfung der Sehbahnfunktion
Klinik
VEP bei multipler SkleroseBei demyelinisierenden Erkrankungen, etwa der multiplen Sklerose, ist die Latenzzeit in der Regel deutlich verlängert und die Amplitude verringert. Die Messung der VEP ist als diagnostisches Verfahren in der Neurologie und Ophthalmologie sehr gebräuchlich.
4.3.8
Augenbewegungen
Augenmuskeln und Innervation
Augenbewegungen
MERKE
Die Richtung des Nystagmus wird nach der Richtung der schnellen Phase (Sakkade) benannt.
Koordination der Augenbewegungen
Klinik
Das okulomotorische System besitzt getrennte Kontrollsysteme für die verschiedenen Augenbewegungen. Dadurch bietet es Neurologen und Ophthalmologen die besondere Möglichkeit, ohne großen technischen Aufwand aus Fehlfunktionen auf die Lokalisation von Schäden im ZNS zu schließen.
Strabismus, DiplopieMuskuläre Fehlstellungen oder Fehlinnervationen führen zu Strabismus (Schielen) und Diplopie (Doppeltsehen).
Horizontale BlicklähmungBei Läsionen der PPRF sind keine horizontalen Sakkaden zur ipsilateralen Seite der Läsion möglich. Läsionen im Abduzenskern oder im frontalen Augenfeld und in den Colliculi superiores können ähnliche horizontale Blicklähmungen bedingen. Allerdings kann die ausgefallene Bewegung nach PPRF-Läsion über den VOR noch ausgelöst werden, nicht jedoch nach Abduzenskernläsionen.
Vertikale BlicklähmungNur beidseitige riMLF-Läsionen führen zur vertikalen Blicklähmung (Sakkaden).
Bewusste BewegungenEinseitige Läsionen im frontalen Augenfeld führen zu einer Lähmung für bewusste Bewegungen auf die gegenüberliegende Seite, nach beidseitigen Läsionen sind nach beiden Seiten alle bewussten lateralen Blickwendungen ausgefallen.
NystagmusLäsionen im Hirnstamm nahe dem Nucleus praepositus hypoglossi und Läsionen in den Vestibulariskernen führen zum Spontannystagmus (nicht durch externe Reizung ausgelöster Nystagmus). Ausfälle im Flocculusbereich des Zerebellums erzeugen einen langsameren, zentripetalen Nystagmus (zur Fovea hin), da die neue Position nach Sakkaden nicht festgehalten werden kann und das Auge deshalb wiederholte Fixationssakkaden ausführt.
Sakkadische DysmetrieLäsionen im Vermisbereich des Zerebellums führen zu einer sakkadischen Dysmetrie (Fehllänge der Sakkaden).
FolgebewegungenLäsionen im parietotemporalen Kortex betreffen besonders ipsilateral gerichtete Folgebewegungen.
4.3.9
Optische Täuschungen
ZUSAMMENFASSUNG
Geometrische Optik
Pupille
Augeninnendruck
Signalverarbeitung in der Netzhaut
Wahrnehmungsmechanismen
Zentrale Sehbahn
Augenbewegungen
Optische Täuschungen
4.4
Auditorisches System
Zur Orientierung
Schall ist ein wichtiger Informationsträger. Es ist die Aufgabe System:auditorischesdes Gehörs, diese Informationen aufzufangen und zu analysieren. Dadurch kann der Mensch auch mit geschlossenen Augen komplexe Ereignisse erfassen, hoch entwickelte Musik genießen, vor allem aber über Sprache verbal kommunizieren. Aufgrund der zentralen Rolle für die zwischenmenschliche Kommunikation und die Informationsaufnahme kommt dem Hörsinn eine ebenso wichtige Rolle zu wie dem Sehsinn.
Die zentrale Aufgabe des Ohrs besteht in der Umsetzung des mechanischen Reizes in ein Muster elektrischer Signale. Ort dieser mechanoelektrischen Transduktion sind die Haarzellen, die Mechanorezeptorzellen des Innenohrs. Die Funktion des auditorischen Systems beginnt aber schon mit der Schallaufnahme durch äußeres Ohr und Mittelohr und schließt die neuronale Analyse der akustischen Signale durch die zentrale auditorische Bahn mit ein.
Die Leistungen des menschlichen Gehörs sind erstaunlich: Die leisesten wahrnehmbaren Töne bewegen die Sinnesrezeporen um weniger als den Durchmesser eines Wasserstoffatoms; der nutzbare Bereich erstreckt sich bis zu Reizamplituden, die mehr als 1 Million Mal größer sind. Ebenso können Töne nur minimal unterschiedlicher Frequenzen voneinander unterschieden werden. Der Schlüssel für die hohe Sensitivität des Gehörs ist vor allem im Innenohr zu suchen. Hier findet eine raffinierte mechanische Reizanalyse statt, die der sensorischen Transduktion vorgeschaltet ist. Essenzieller Bestandteil dieses Vorgangs ist der „kochleäre Verstärker“, ein Mechanismus, der aktiv mechanische Energie liefert und dadurch die Sensitivität des Innenohrs dramatisch steigert. Ein analoger Mechanismus der Signalvorverstärkung existiert in keinem anderen Sinnessystem.
Das Innenohr ist aber auch sehr anfällig für Schädigungen, u.a. durch akustische Überstimulation. Innenohrschwerhörigkeit ist irreversibel, da sie meist durch die Schädigung und den Untergang der Haarzellen zustande kommt. Aus diesem Grund gibt es bisher keine kausale Therapie für Innenohrschwerhörigkeiten.
4.4.1
Physiologische Akustik
Physik des Schalls
•
Die Frequenz wird in Frequenz, SchallSchwingungen pro Sekunde (s–1 = Hz) angegeben. Ihr Schall:Frequenzentspricht der subjektive Sinneseindruck „Tonhöhe“, wobei hohe Frequenzen als hoher Ton und niedrige Frequenzen als tiefer Ton empfunden werden.
•
Die Schallamplitude wird als Schalldruck in Pascal (Pa = N × m–2) oder als Schalldruckpegel (in dB SPL, s.u.) angegeben. Ihr subjektives SchalldruckKorrelat ist die empfundene Lautstärke.
•
Die einfachste Form des Schalls, eine Sinusschwingung, wird als Ton bezeichnet (Abb. 4.62a). Reine Töne sind in unserer Umwelt selten, werden aber z.B. als Signaltöne in technischen Geräten verwendet („Piepston“).
•
TonKlänge (z.B. ein auf einem Musikinstrument gespielter „Ton“) sind aus mehreren Sinusschwingungen zusammengesetzt, einem Grundton und einem oder mehreren Obertönen, deren Frequenzen Klangganzzahlige Vielfache des Grundtons sind (Abb. 4.62b). Die relativen Amplituden der verschiedenen Obertöne machen die Klangfarbe aus, z.B. den Unterschied zwischen gleich hohen Klängen, die auf verschiedenen Instrumenten gespielt werden.
•
Schall, der aus zahlreichen Frequenzen besteht, die keinen regelhaften Bezug zueinander aufweisen, nehmen wir als Geräusch wahr (Abb. 4.62c).
MERKE
Sprache enthält sowohl Klänge (Vokale) als auch Geräusche (Konsonanten).
Sinnesleistungen des Ohrs
Hörbereich
MERKE
Die Hörschwelle ist der niedrigste Schalldruck, der zu einer Schallempfindung führt.
MERKE
Der physikalische Schalldruckpegel ist das logarithmische Maß für den Schalldruck. Er hat die Einheit dB. Schalldruck und Schalldruckpegel hängen z.B. folgendermaßen zusammen:
•
Verzehnfacht sich der Schalldruck, nimmt der SPL um 20 dB zu.
•
Verdoppelt sich der Schalldruck, nimmt der SPL um 6 dB zu.
MERKE
Die empfundene Lautstärke wird als Lautstärkepegel (in phon) quantifiziert, der dem SPL bei 1 kHz gleichgesetzt ist. Alle Töne auf einer Isophone werden als gleich laut empfunden wie ein 1-kHz-Ton der gleichen dB-Stärke, d.h., bei 1 kHz ist der Lautstärke- gleich dem Schalldruckpegel.
Amplituden- und Frequenzdiskriminierung
4.4.2
Aufbau des Ohrs
Mittelohr
Aufbau
Funktion
MERKE
Die Funktion des Mittelohrs ist die Impedanzanpassung durch Erhöhung der Druckamplitude, um die Schallenergie effektiv aus dem gasförmigen ins wässrige Medium einzukoppeln.
Luft- und Knochenleitung
Innenohr
Cochlea
Haarzellen
4.4.3
Funktionsweise der Cochlea
Signalverarbeitung
Kochleäre Mechanik I: Frequenzdispersion
MERKE
In der Cochlea verläuft die Schallschwingung als Wanderwelle auf der kochleären Trennwand vom ovalen Fenster zum Helicotrema. Aufgrund der mechanischen Eigenschaften der Basilarmembran bildet die Wanderwelle ein Maximum aus, dessen Lage frequenzspezifisch ist (für hohe Frequenzen basal – also nahe dem ovalen Fenster –, für niedrige Frequenzen apikal). Verschiedene Frequenzen werden dadurch auf unterschiedliche Bereiche der Cochlea aufgetrennt (Frequenzdispersion).
Mechanoelektrische Transduktion durch die Haarzellen
•
Wird das Haarbündel in exzitatorischer Richtung ausgelenkt, werden die Tip Links weiter gedehnt und zusätzliche Transduktion:HaarzellenTransduktionskanäle geöffnet. Der nun fließende Transduktionsstrom Signaltransduktion:Haarzellendepolarisiert die Haarzelle.
•
Die Auslenkung des Bündels in inhibitorischer Richtung lockert (entdehnt) die Tip Links, Transduktionskanäle schließen sich, und die Zelle hyperpolarisiert (Abb. 4.68c).
MERKE
Durch die Basilarmembranschwingung werden die Stereozilienbündel der Haarzellen ausgelenkt, was über die Dehnung der Tip Links zum Öffnen bzw. Schließen von Transduktionskanälen führt.
•
Als endokochleäres Potenzial bezeichnet man das positive elektrische Potenzial Potenzial:endokochleäresder Scala media von +80 bis +100 mV gegenüber der Scala vestibuli und Scala tympani. Es wird von der Stria vascularisScala:media erzeugt.
•
Das Membranpotenzial der Haarzelle (ca. –40 bis –70 Stria vascularis:endokochleäres PotenzialmV) ist ein normales K+-Diffusionspotenzial (Kap. 3.1.1), das sich über der basolateralen Membran der Membranpotenzial:HaarzelleHaarzelle einstellt: Hier befinden sich offene Kaliumkanäle, und es herrscht der normale Konzentrationsgradient mit hoher intrazellulärer und niedriger extrazellulärer (3 mmol) K+-Konzentration.
MERKE
Beim Öffnen der Transduktionskanäle kommt es zum depolarisierenden Rezeptorpotenzial durch Einstrom von K+ aus der Endolymphe.
Der Transduktionsstrom wird von der Summe aus endokochleärem Potenzial und Membranpotenzial der Haarzelle angetrieben.
Klinik
Erbliche SchwerhörigkeitEines von 1.000 neugeborenen Kindern leidet unter einer angeborenen Schwerhörigkeit, bei einem weiteren Tausendstel kommt es noch vor dem Erwachsenwerden zu einem meist progressiven Hörverlust. Beim überwiegenden Teil dieser kongenitalen Schwerhörigkeiten handelt es sich um eine erbliche (hereditäre) Taubheit. Erbliche Schwerhörigkeit kann isoliert (nichtsyndromisch) oder zusammen mit anderen klinischen Defekten (syndromisch) auftreten.
•
Mehr als 100 Genloci für nichtsyndromische Schwerhörigkeit sind bis heute beschrieben, und über 40 der verursachenden Gene und der von ihnen codierten Proteine sind bereits identifiziert worden. Die meisten nichtsyndromischen Schwerhörigkeiten sind Schallempfindungsstörungen und beruhen auf Fehlfunktionen im Innenohr.
•
Noch größer ist die Zahl von syndromischen Schwerhörigkeiten: Es sind hunderte von Syndromen beschrieben, die außer Defekten anderer Organsysteme auch Schwerhörigkeit umfassen; mehr als 100 Verursachergene wurden bisher identifiziert.
Es folgen 3 Beispiele, die aufschlussreich im Hinblick auf die Funktion der Cochlea sind:
Myosin 7a (Myo7a)Mutationen in diesem nicht in Muskelzellen vorkommenden „unkonventionellen“ Myosin wurden bei Patienten mit nichtsyndromischer Schwerhörigkeit und dem sog. Usher-Syndrom gefunden. Beim Usher-Syndrom tritt kongenitale Schwerhörigkeit kombiniert mit retinaler Degeneration (Retinitis pigmentosa) auf, die schließlich zur Erblindung führt. In der Cochlea findet man Myo7a vor allem in den Haarbündeln der inneren und äußeren Haarzellen. Mutationen in Myo7a resultieren in der Disorganisation und Degeneration der Haarbündel, es ist also essenziell für die Bildung und Aufrechterhaltung der korrekten Haarbündelstruktur. Die resultierende Schwerhörigkeit kann daher auf die gestörte mechanoelektrische Transduktion aufgrund defekter Haarbündel zurückgeführt werden.
KCNQ1/KCNE1Das Jervell- und Lange-Nielsen-Syndrom (JLN) geht auf Mutationen in den Genen für KCNQ1 oder KCNE1 zurück, die zusammen einen spannungsgesteuerten Kaliumkanal bilden. Es ist durch schwere kardiale Arrhythmien und gleichzeitige Schwerhörigkeit gekennzeichnet. Dies lässt sich einfach verstehen, betrachtet man die Funktion des Kanals in beiden Organen. Der Herz-Phänotyp resultiert aus der wichtigen repolarisierenden Funktion des Kanals in den Kardiomyozyten (IKS). Im Innenohr ist KCNQ1/KCNE in der Stria vascularis exprimiert und entscheidend an der K+-Sekretion in die Endolymphe beteiligt. Bei Defektmutationen im Kanal wird zu wenig Endolymphe produziert, und der Endolymphraum kollabiert.
Connexin 26 (Cx26)Man schätzt, dass bis zu 40% aller kongenitalen Schwerhörigkeiten in Südeuropa und den USA durch Mutationen in dem Gen für Connexin 26 zustande kommen. Cx26 ist eines von 16 verschiedenen Connexinen, die Zell-Zell-Kanäle bilden, aus denen wiederum die Gap Junctions aufgebaut sind (Kap. 3.4.1). In der Cochlea verbinden aus Cx26 aufgebaute Gap Junctions die Stützzellen im Corti-Organ untereinander und mit den umgebenden Epithelien sowie verschiedene Zelltypen der Stria vascularis miteinander. Die dadurch gebildeten epithelialen Netzwerke dienen wohl vor allem als Rezirkulationswege für die K+-Ionen, die die Endolymphe durch die Haarzellen verlassen. Ausfall oder Fehlfunktion von Cx26 führt daher zu Störungen der Ionenhomöostase des Innenohrs.
Kochleäre Mechanik II: der kochleäre Verstärker
MERKE
Die äußeren Haarzelle:äußereHaarzellen bilden den kochleären Verstärker, sie sind elektromotil. Die inneren Haarzelle:innereHaarzellen dagegen sind die eigentlichen Rezeptorzellen der Cochlea, die afferente Information über den Hörnerv an das ZNS weitergeben. Der Verlust der äußeren Haarzellen führt daher zu Schwerhörigkeit bis etwa 60 dB, wohingegen der Verlust der inneren Haarzellen oder Hörnerven die völlige Taubheit (im betroffenen Frequenzbereich der Cochlea) nach sich zieht.
Synaptische Transmission an der inneren Haarzelle
Prinzipien der Schallcodierung im auditorischen Nerv
MERKE
In der inneren HaarzelleHaarzelle:innere ist die Stimulusamplitude durch die Größe des Rezeptorpotenzials codiert, im Hörnerv über die Aktionspotenzialfrequenz. Der große dynamische Bereich (120 dB) wird durch Rekrutierung von Neuronen unterschiedlicher Schwelle abgedeckt.
•
Tonotopie bzw. Ortscodierung
•
Periodizitätsanalyse bzw. Schall:FrequenzPhasenkoppelung
Reizfolgepotenziale
4.4.4
Architektur und Funktion der Hörbahn
Auf- und absteigende Bahnen
•
Das neuronale Signal erreicht über 4–6 Verschaltungsstationen den auditorischen Kortex.
•
Das Prinzip der Tonotopie bleibt erhalten: Viele Neurone in den Projektionsgebieten der auditorischen Bahnen bis hinauf in den auditorischen Kortex Tonotopie:Hörbahnbesitzen charakteristische Frequenzen. Innerhalb Hörbahn:Tonotopiedes jeweiligen Kerngebiets sind die Neurone so angeordnet, dass ihre charakteristische Frequenz entlang einer morphologischen Achse systematisch von tiefen zu hohen Frequenzen variiert. Auch die Projektion von einem Kern auf den nächsten folgt daher dem tonotopen Prinzip.
•
Die Signale eines jeden primären auditorischen Neurons werden divergent auf verschiedene Kerne des Hirnstamms verschaltet. In diesen parallelen Kanälen werden jeweils spezifische Attribute des Schalls analysiert.
•
Neurone aus verschiedenen Hirnstammkernen projizieren in die kontralaterale Gehirnhälfte. Binaurale konvergente Verschaltungen ermöglichen die Verrechnung von Signalen aus beiden Ohren. Sie dienen z.B. der Schalllokalisierung.
Nucleus cochlearis
Oliva superior
•
Die mediale superiore Olive (MSO) wertet Zeitunterschiede aus.
•
Die laterale superiore Olive (LSO) wertet Intensitätsunterschiede aus.
Colliculus inferior
Weiterer Verlauf zum Kortex
4.4.5
Schwerhörigkeit und audiometrische Testverfahren
Hörschäden und Hörverlust
Klinik
SchallleitungsstörungUrsache des Hörverlusts ist hier eine verringerte Schalleinkoppelung ins Innenohr, also meist eine Funktionsstörung des Mittelohrs, z.B. beim Paukenerguss oder durch Fixierung der Stapes-Fußplatte bei Otosklerose.
SchallempfindungsstörungenSie werden auch als sensorineuraler Hörverlust bezeichnet und beruhen auf Defekten des Innenohrs oder Schäden in der sich anschließenden Hörbahn, sog. retrokochleären Schäden.
•
Retrokochleäre Schäden: Ein klinisch wichtiges Beispiel sind Akustikusneurinome (Kleinhirnbrückenwinkeltumor), also benigne Tumoren der Schwann-Zellen des N. vestibulocochlearis, die durch Quetschung des Nervs zu Hörstörungen führen. Rechtzeitige operative Entfernung kann in der Regel das Hörvermögen bewahren.
•
Innenohrschäden: Sie gehen meist auf eine Schädigung oder den Verlust der Haarzellen und/oder der Hörnervenfasern zurück. Dieser Verlust ist irreversibel, da im Corti-Organ keine Haarzellproliferation stattfindet, die untergegangene Haarzellen ersetzen könnte. Haarzellverlust kann durch ototoxische Substanzen hervorgerufen werden, z.B. durch Aminoglykosid-Antibiotika (z.B. Streptomycin) oder Zytostatika (Cisplatin). Die weit häufigere Ursache ist jedoch eine Lärmexposition. Überstimulation kann zunächst zu einer reversiblen Schwellenabwanderung (TTS, „temporary threshold shift“) führen, die im Laufe von Stunden oder Tagen wieder zurückgeht. TTS nach lauter Beschallung wird oft als „taube Ohren“ empfunden. Ab einem bestimmten Schalldruckpegel und bei längerer Expositionsdauer kommt es aber zu einem irreversiblen Hörverlust (PTS, „permanent threshold shift“). Die zellulären Schäden beim Schalltrauma sind abgeknickte oder verschmolzene Stereozilien, fehlende Haarbündel und schließlich Verlust der Haarzellen. Schalldruckpegel von 90 dB(A) gelten bereits als gehörschädigend – in Diskotheken werden typische Werte von 100 dB(A) und darüber gemessen (eine Erhöhung um 6 dB SPL entspricht einer Verdopplung (!) des Schalldrucks). Besonders schädigend ist Impulslärm hoher Schalldruckpegel, wie er etwa von Schusswaffen oder Knallkörpern ausgeht.
PresbyakusisTypischerweise steigen mit zunehmendem Alter die Hörschwellen an. Darüber hinaus leiden ca. 25% der über 65-Jährigen in westlichen Industriegesellschaften unter einer ausgeprägten Altersschwerhörigkeit (Presbyakusis).
Audiometrie
•
Subjektive Audiometrie: Diese Verfahren beruhen auf der Wahrnehmbarkeit oder Unterscheidbarkeit auditorischer Reize durch den Patienten. Die einfachsten subjektiven audiometrischen Standardtests (Weber- und Rinne-Versuch) kommen mit einer Stimmgabel aus, um einen Hörverlust zu diagnostizieren. Sie ermöglichen bereits die Differenzierung zwischen Schallleitungs- und Schallempfindungsstörung.
•
Objektive Audiometrie: Diese Verfahren nutzen elektrisch oder akustisch messbare Signale des auditorischen Systems. Sie können auch bei Patienten eingesetzt werden, die nicht ihre Höreindrücke berichten können (z.B. Säuglinge, s.u.), und liefern Informationen über die Ursache des Hörverlustes, die mit subjektiven Methoden nicht gewonnen werden können.
Subjektive Verfahren
Objektive Verfahren
4.4.6
Sprechen
•
die Phonation (Stimmbildung) durch den Kehlkopf und
•
die anschließende Artikulation, die Modulation der erzeugten Luftschwingungen mit dem Mund-Rachen-Raum.
Phonation
MERKE
Bei der Stimmbildung (Phonation) führt der hohe subglottische Druck zum repetitiven Öffnen und Schließen der Stimmritze und damit zur Schwingung von Stimmlippen und Luftsäule.
Artikulation
4.4.7
Ausblick
ZUSAMMENFASSUNG
Schall und Hören
Aufgaben von äußerem, Mittel- und Innenohr
•
Frequenzanalyse: Die über Gehörknöchelchen und ovales Fenster eingekoppelte Schallwelle verläuft als Wanderwelle auf der kochleären Trennwand von basal nach apikal. Aufgrund der abnehmenden Steifigkeit der Basilarmembran durchläuft die Wanderwelle ein Maximum, dessen Lage frequenzabhängig ist. Dadurch findet eine Frequenzdispersion statt, sodass basale Haarzellen durch hohe Frequenzen und apikale Haarzellen durch niedrige Frequenzen stimuliert werden.
•
Mechanoelektrische Transduktion: Sie findet an den inneren und äußeren Haarzellen statt. Der adäquate Reiz ist die Auslenkung ihrer Haarbündel durch die Basilarmembranschwingung. Dies führt über die Dehnung der Tip Links zur Öffnung von Transduktionskanälen. Der resultierende K+-Einwärtsstrom aus der Endolymphe depolarisiert die Haarzelle.
Signalweiterleitung und auswertung
Schwerhörigkeit
Sprechen
4.5
Vestibuläres System
Zur Orientierung
Um Körperhaltung und System:vestibuläresBewegungen zu koordinieren und um visuelle Informationen Gleichgewichtssystemsinnvoll zu interpretieren, braucht das Gehirn Informationen über die Lage des Körpers sowie über Bewegungen relativ zur Umwelt. Es ist Aufgabe des Vestibular- oder Gleichgewichtssystems, diese Informationen zu gewinnen, indem es Dreh- und Linearbeschleunigungen (einschließlich der Erdbeschleunigung) misst. Das Vestibularorgan ist Teil des Innenohrs, und seine Funktionsprinzipien als mechanosensorisches Organ gleichen im Grundsatz denen des Hörorgans. Die Funktion des vestibulären Systems ist eng mit der Motorik verknüpft. Die vestibulären Afferenzen bilden den sensorischen Eingang einer Reihe von Reflexbögen, die eine konstante Ausrichtung der Augen bei Bewegung des Kopfes gewährleisten und die Körperhaltung stabilisieren. Normalerweise ist uns die Existenz dieses Sinnessystems kaum bewusst, erst Ausfall oder Schädigung des Vestibularsystems mit Gleichgewichtsstörungen, Schwindel und visuellen Störungen macht seine Bedeutung drastisch klar.
4.5.1
Aufbau des Vestibularapparats
4.5.2
Funktionsweise der Vestibularorgane
Sensorische Transduktion
•
Der adäquate Reiz ist die Haarzelle:vestibuläreAuslenkung des Haarbündels entlang einer mechanosensitiven Achse, die vom Kinozilium zum kleinsten Stereozilium weist (s.u.).
•
Scherung des Haarbündels in Richtung des Kinoziliums führt zum Öffnen von Transduktionskanälen und nachfolgend einem depolarisierenden Rezeptorpotenzial.
•
Durch das Rezeptorpotenzial wird vermehrt Neurotransmitter (Glutamat) freigesetzt.
•
Dadurch erhöht sich die Frequenz der Aktionspotenziale in der afferenten Nervenfaser.
Maculaorgane
MERKE
Die Maculaorgane haben eine statische Funktion zur Bestimmung der Kopfneigung und eine dynamische Funktion zur Registrierung von Linear-(Translations-)Beschleunigungen.
Bogengangsorgane
MERKE
Adäquater Reiz für die Haarzellen der Bogengangsorgane ist eine Winkelbeschleunigung. Jeder Bogengang ist für Rotation um eine der 3 Raumachsen empfindlich. Im Bereich physiologischer Stimuli codiert die Aktivität der Bogengangsafferenz die Winkelgeschwindigkeit.
4.5.3
Architektur und Funktion der zentralen vestibulären Verschaltungen
Vestibuläre Bahn
•
Ein großer Teil der aufsteigenden Bahnen endet in den Augenmuskelkernen (Kerne der 3 Hirnnerven N. oculomotorius [III], N. trochlearis [IV] und N. abducens [VI]).
•
Absteigende Bahnen ziehen durch Tractus vestibulospinalis und reticulospinalis zur Medulla und in das Rückenmark, wo sie auf Motoneurone der Skelettmuskulatur verschaltet sind.
•
Alle Vestibulariskerne projizieren über Moosfasern ins Zerebellum. Die Zielregionen (Nodulus, Flocculus, Paraflocculus, Uvula) werden als Vestibulozerebellum zusammengefasst. Zum Teil werden diese Bereiche auch direkt von den Axonen primärer vestibulärer Neuronen innerviert.
•
Über den Thalamus als Relaisstation erreichen aufsteigende Bahnen aus allen Vestibulariskernen den Kortex.
•
Jeder Vestibulariskern projiziert auf andere ipsilaterale sowie über die vestibuläre Kommissur auf kontralaterale Vestibulariskerne.
Reflexe
Vestibulookuläre Reflexe und Nystagmus
MERKE
Als Richtung des Nystagmus wird definitionsgemäß die Richtung der schnellen Phase angegeben, die der Drehrichtung des Kopfes entspricht.
MERKE
Vestibulookuläre Reflexe werden durch eine Verschaltung der vestibulären Afferenzen auf die Motoneurone der externen Augenmuskeln vermittelt. Sie dienen der Fixierung der Augenstellung bezüglich der Umwelt und äußern sich bei anhaltender Bewegung als Nystagmus.
Klinik
SpontannystagmusOhne einen Beschleunigungsreiz weisen linke und rechte vestibuläre Bogengangsafferenzen die gleiche Ruheaktivität auf (Abb. 4.82). Jede Abweichung von dieser Symmetrie wird als Bewegung interpretiert. Kommt es aufgrund pathologischer Vorgänge zu einer solchen Asymmetrie, z.B. bei Ausfall eines Labyrinths, führt dies zu einer fehlerhaften Bewegungsempfindung sowie durch das Ungleichgewicht in der Aktivität der vestibulookulären Bahnen zu einem Spontannystagmus. Fällt z.B. der linke horizontale Bogengang aus, wird eine Drehung zur rechten, intakten Seite empfunden, und ebenso tritt ein Nystagmus zur rechten Seite auf. Spontannystagmen weisen also auf Störungen des vestibulären Systems hin. Ein Spontannystagmus kann ebenso bei Läsionen des zentralen vestibulären Systems auftreten.
Optokinetischer Reflex
•
Bei länger anhaltenden Rotationen Reflex:vestibulookulärergeht die Erregung der Bogengangsafferenzen zurück (Abb. 4.81); in dieser Situation kann das optokinetische System die kompensatorischen Augenreflexe aufrechterhalten.
•
Die Bogengänge sind für sehr langsame Bewegungen nicht besonders empfindlich, während das visuelle System hier optimal arbeitet.
MERKE
In der normalen Situation (offene Augen, freie Bewegung im Raum) werden die okulären Reflexe über eine Kombination von vestibulären und visuellen Eingängen gesteuert.
Klinik
Getrennte Untersuchung der SystemeFür die klinische Diagnostik, bei der die Beobachtung des Nystagmus für die selektive Funktionsprüfung des vestibulären oder optokinetischen Systems benutzt wird (s.u.), ist es dagegen notwendig, beide sensorischen Eingänge zu trennen, indem der Patient entweder im Dunkeln auf einem Drehstuhl rotiert oder zur Auslösung des optokinetischen Nystagmus eine Streifentrommel um den ortsfesten Patienten herum gedreht wird.
Vestibulospinale Reflexe
Plastizität des vestibulären Systems
Kortikale Projektionen: bewusste Lagewahrnehmung
Klinik
Drehschwindel (Vertigo)Einer der häufigsten Gründe für den Arztbesuch ist Schwindel. Dieses recht unspezifische Symptom kann neben vestibulären Störungen viele andere Ursachen haben, u.a. Kreislaufschwäche (mit Unterversorgung des ZNS), Dehydratation oder Alkoholintoxikation. Aufgrund der sehr zuverlässigen vestibulookulären Reflexe lässt sich eine vestibuläre Ursache in der Regel anhand eines pathologischen Nystagmus diagnostizieren. Oft, etwa bei peripheren vestibulären Störungen, tritt ein Spontannystagmus auf. Spezielle Formen von Spontannystagmus können auf zentrale Schädigungen hinweisen. Auslösung von kalorischem, postrotatorischem und optokinetischem Nystagmus (s.u.) dienen zur Identifizierung der Störung.
Benigner paroxysmaler LagerungsschwindelDurch in der Endolymphe des Labyrinths flottierende Partikel, in der Regel losgelöste Otolithen der Maculaorgane, können die Haarzellen der Bogengangsorgane inadäquat stimuliert werden (Canalolithiasis). Dies führt zu Schwindel, Fallneigung und Übelkeit insbesondere bei Lageänderungen, z.B. beim Aufstehen, Hinlegen oder Umdrehen im Liegen. Entsprechend kann bei diesen Lagerungsänderungen ein atypischer Nystagmus beobachtet werden. Zur Therapie des paroxysmalen Lagerungsschwindels dienen gezielte Lagerungsmanöver, mit denen die fehllokalisierten Otolithen ausgespült werden.
Morbus MenièrePlötzliche und wiederkehrende Schwindelattacken kennzeichnen den Morbus Menière. Diese Attacken können von wenigen Minuten bis zu vielen Stunden dauern und mild bis schwer verlaufen. Sie sind mit auditorischen Störungen (Tinnitus, Hörverlust) verbunden. Der Hörverlust tritt zunächst während der Attacken auf und wird schließlich chronisch, typischerweise mit dem Tieffrequenzbereich beginnend. Die Ursache des Morbus Menière ist weitgehend unverstanden, jedoch scheint generell ein endolymphatischer Hydrops vorzuliegen. Darunter versteht man eine pathologische Erweiterung des Endolymphvolumens. Folgen der gestörten Endolymph-Homöostase sind wohl Übererregung und Schädigung von Haarzellen und/oder afferenten Nervenendigungen.
4.5.4
Funktionsprüfung des vestibulären Systems
•
die Lage des Patienten verändert Nystagmus:Prüfungwird (Lage- und Lagerungsprüfung)
•
kalorisch stimuliert wird
•
der Patient auf einem Drehstuhl gedreht wird
•
eine Streifentrommel um den Patienten herum rotiert wird (optokinetische Stimulation)
•
Die sog. Frenzel-Brille, eine stark brechende Brille (ca. +15 dpt), erlaubt die visuelle Beobachtung der Augenbewegung durch den Arzt und verhindert gleichzeitig die Fixation durch den Patienten.
•
Bei der Videookulografie wird der Nystagmus mitFrenzel-Brille einer Kamera aufgenommen und automatisiert ausgewertet.
•
Die Elektronystagmografie (ENG) ist ein objektives Messverfahren zur Registrierung der VideookulografieAugenbewegungen. Dabei werden kleine elektrische Potenziale (10–200 μV), die durch die Bulbusbewegungen hervorgerufen werden, mit Klebeelektroden Elektronystagmografieabgeleitet. Die Elektroden werden um das Auge herum angebracht und greifen so einen bewegungsabhängigen Teil des korneoretinalen Bestandspotenzials ab.
•
Kalorische PrüfungAls wichtiger Funktionstest der Bogengänge wird die sog. kalorische Reizung verwendet. Durch seine Lage ist der horizontale (laterale) Bogengang einer Nystagmus:PrüfungTemperaturänderung durch Spülen des äußeren Gehörgangs mit warmem (44 oC) bzw. kaltem (30 oC) Wasser zugänglich. Dies führt zur Aktivierung bzw. Inhibierung der Bogengangsafferenz und löst einen kalorischen Nystagmus aus. Die klinische Relevanz dieses Verfahrens ergibt sich aus der selektiv einseitigen Stimulation, während die rotatorische Prüfung stets beidseitig stimuliert. Lange ging man davon aus, dass die Erwärmung bzw. Nystagmus:kalorischerAbkühlung der Endolymphe auf einer Seite des Bogengangs zu einer Endolymphströmung aufgrund der temperaturabhängig veränderten Dichte der Endolymphe führt. Da ein kalorischer Nystagmus aber auch in der Schwerelosigkeit auftritt, müssen wohl auch andere Faktoren, z.B. eine direkte Temperaturabhängigkeit der Haarzellerregung oder der synaptischen Transmission, eine Rolle spielen.
ZUSAMMENFASSUNG
Aufbau und Funktion der Vestibularorgane
Zentrale Verschaltungen
Funktionsprüfung
4.6
Gustatorisches System
Zur Orientierung
Die chemischen Sinne – der Geschmacks- und der Geruchssinn – sind unsere „ältesten“ System:gustatorischesSinne. Bevor Organismen sehen oder hören konnten, waren sie in der Lage, auf Stoffe zu reagieren, die sie zu Nahrungsquellen leiteten oder Gefahr signalisierten; und Organismen wurden von Lockstoffen angezogen, die von ihren Paarungspartnern freigesetzt worden waren. Seit den Anfängen des Lebens bestand die biologische Funktion der chemischen Sinne aber nicht nur darin, stoffliche Informationen zu liefern, sondern unmittelbar Verhalten auszulösen. Ernährungsphysiologisch wertvolle Nahrung muss „Wohlgeschmack“, verbunden mit Lust hervorrufen, damit die Nahrungsaufnahme stimuliert wird. Der Geruch eines Raubtieres muss bei der Beute Flucht- oder Aggressionsverhalten auslösen, der Geruch eines Paarungspartners Sexualverhalten. Die chemischen Sinne wurden deshalb in der Evolution der Wirbeltiere eng mit dem limbischen System verbunden, das Gefühle und Stimmungen kontrolliert. Es bleibt uns meist verborgen, wie sehr die chemischen Sinne unser Verhalten, unsere Stimmungen und Gefühle beeinflussen. Und doch schlägt sich diese enge Verknüpfung sogar in unserem Sprachgebrauch nieder. Wir machen ein „saures Gesicht“, finden kleine Kinder „süß“, können unangenehme Menschen „nicht riechen“ und haben manchmal einfach „die Nase voll“.
4.6.1
Geschmack – im engen Sinne
MERKE
Der Geschmackssinn kontrolliert die Nahrungsaufnahme und reflektorische Vorgänge im oberen Gastrointestinaltrakt (Speichelsekretion, kephalische Phase der Magensaftsekretion, Würgereflex).
•
Umami, süß: Der Begriff „umami“ leitet sich vom japanischen Wort „Geschmack:Qualitäten\bumai“ (Wohlgeschmack) ab. „Umami“ wird vor allem durch die AminosäureGeschmack:umami Glutaminsäure bzw. deren Natriumsalz, Umamidas Natriumglutamat, ausgelöst. Natriumglutamat wird oft fälschlicherweise als Geschmacksverstärker bezeichnet. Auch 5‘-Ribonukleotide (WohlgeschmackGMP oder IMP) lösen diese Geschmacksqualität aus bzw. potenzieren die Wirkung von Natriumglutamat. Glutaminsäure ist ein Proteinbestandteil, und Nukleotide kommen konzentriert im zellkernreichen Muskelgewebe vor. Die Geschmacksempfindung „umami“ zeigt also Natriumglutamat, Umamian, dass die Nahrung proteinreich ist. Kalorienreiche Nahrung wird durch dieGlutamat:Umami Geschmacksqualität „süß“ (Kohlenhydrate, Zucker) charakterisiert. Die ernährungsphysiologisch wichtigen Geschmacksempfindungen „umami“ und „süß“ gehen mit Lustempfindung einher und stimulieren die Nahrungsaufnahme. Schon Neugeborene zeigen Reaktionsmuster, z.B. Lächeln und Saugverhalten, die diese Hedonie widerspiegeln („gustofaziale Reflexe“).
•
Bitter, sauer, salzig: „Bitter“ und „sauer“ sind Warnsignale. Viele Pflanzen bilden zu ihrer VerteidigungReflex:gustofazialer giftige Stoffe, die bitter schmecken, z.B. die Alkaloide Koffein, Nikotin oder Strychnin. Geschmack:bitterStarker Bittergeschmack löst Würge- und Brechreflexe aus und schützt Geschmack:sauerso vor Vergiftungen. „Sauer“ warnt vor unreifen Früchten und verdorbenen Speisen („Vergärung“). Schließlich sind „sauer“ und „salzig“ Geschmacksqualitäten, die der Regulation unseres Wasser-, Mineral- und Säure-Basen-Haushalts dienen.
MERKE
Es gibt 5 Geschmacksqualitäten: süß, sauer, salzig, bitter und umami.
•
die unspezifische Entdeckungsschwelle, bei der zwar ein Stoff geschmeckt, aber noch nicht identifiziert werden kann („es schmeckt nach irgendetwas“),
•
die Erkennungsschwelle, die in der Regel um den Faktor 2–5 höher Entdeckungsschwelle:Geschmackliegt.
4.6.2
Bau der Geschmacksorgane
Geschmacksknospen
•
Die Papillae vallatae (GeschmackspapillenWallpapillen) sind mit 1–3 mm Durchmesser die größten Geschmackspapillen. Beim Menschen sind 7–15 dieser Papillen V-förmig auf der Zungenoberfläche, nahe dem Papillae:vallataeZungengrund, angeordnet. Jede Wallpapille ist von einem Graben umgeben, in Wallpapilledessen Wänden ca. 100–150 Geschmacksknospen zu finden sind. Auf dem Boden des Grabens befinden sich die Ausführungsgänge der Von-Ebner-Spüldrüsen.
•
Die Papillae foliatae (Blätterpapillen, 15–30) sind Ausstülpungen am hinteren Seitenrand der Zunge. Sie tragen jeweils 50–100 Geschmacksknospen.
•
Die Papillae fungiformes (Papillae:foliataePilzpapillen, 150–400) besitzen jeweils nur 2–4 BlätterpapilleGeschmacksknospen. Sie liegen auf der Zungenoberfläche, vor allem in einem ca. 1,5 cm breiten Papillae:fungiformesStreifen entlang dem Zungenrand.
Geschmacksverteilung, Geschmackszellen
MERKE
Im Prinzip kann jede Geschmacksqualität an jedem Ort der Zunge nachgewiesen werden, auch wenn dazu unterschiedliche Konzentrationen an Geschmacksstoffen nötig sind.
•
Das hintere Zungendrittel mit den Papillae vallatae und foliatae wird überwiegend von Fasern des IX. Hirnnervs, desHirnnerv:Geschmack N. glossopharyngeus, versorgt.
•
Die vorderen zwei Drittel der Zunge mit den Papillae fungiformes werden von einem Ast des VII. Hirnnervs (N. Nervus:glossopharyngeusfacialis), der Chorda tympani, innerviert.
•
Im Rachen und Kehlkopfbereich wird die Nervus:facialisVersorgung der Geschmackszellen vom X. Hirnnerv, dem N. vagus, übernommen.
MERKE
Geschmackszellen sind sekundäre Sinneszellen ohne Axon. Sie werden von afferenten Nervenfasern des Aδ- oder C-Typs versorgt. Man findet sie auf der Zunge in den Papillae vallatae und foliatae im hinteren Zungendrittel (N. glossopharyngeus), den Papillae fungiformes im vorderen Zungenbereich (N. facialis) und im Kehlkopf- und Rachenbereich (N. vagus).
4.6.3
Funktionsweise des Geschmacksorgans
Chemoelektrische Transduktion
•
Die Geschmackszelle braucht spezifische Rezeptormoleküle.
•
In der Zelle muss sich ein Rezeptorpotenzial ausbilden (das Membranpotenzial der Zelle wird positiver, sie depolarisiert).
•
An der Synapse muss der Transmitter freigesetzt werden, damit die afferente Faser erregt wird.
Salzig und sauer
•
für Kationen: NH4+ > K+ > Ca2+ > Na+ > Li+ > Mg2+
•
für Anionen: SO42– > Cl– > Br– > I– > HCO3– > NO3–
•
Protonen kontrollieren die Signaltransduktion:sauerAktivität von Ionenkanälen, die für Kaliumionen permeabel sind. Diese Permeabilität bewirkt unter Ruhebedingungen, dass Kalium aus der Zelle ausströmt, wodurch das negative Membranpotenzial entsteht. Wenn Protonen die Kanäle blockieren, wird der Kaliumausstrom gestoppt, und die Zelle depolarisiert.
•
Protonen aktivieren Kationenkanäle, es kommt zum Einstrom von Natriumionen und zur Depolarisation.
•
Protonen fließen durch einen Protonenkanal in die Geschmackszelle. Es kommt zur Depolarisation und zur Ansäuerung des intrazellulären Milieus.
•
Vermutlich aktiviert die Bindung des Geschmacksstoffes an das Rezeptormolekül ein G-Protein, das seinerseits die PLCβ2 aktiviert.
•
Die PLCβ2 synthetisiert den intrazellulären Botenstoff IP3, der Ca2+ aus intrazellulären Speichern freisetzt. Dieser Vorgang könnte die TRPM5-Kanäle aktivieren.
•
Durch die geöffneten Kanäle strömt Ca2+ in die Zelle ein; die Zelle depolarisiert.
Codierung und Adaptation
Spezialisten oder Generalisten
MERKE
Manche Geschmacksfasern reagieren nur auf eine Geschmacksqualität, andere zeigen ein breites Reizspektrum. Die Geschmacksqualität wird durch den Vergleich der Antworten vieler Fasern festgestellt (Across-the-Fibre-Across-the-Fibre-Pattern:GeschmackPattern).
Adaptation
MERKE
Adaptation ist in den Geschmackszellen möglich (Adaptation im strengen Sinn), evtl. aber auch im ZNS (Habituation).
4.6.4
Zentrale Verschaltung und Regulation
Bahnenverlauf
•
Ein Teil der Fasern projiziert über die Brücke zum HypothalamusLemniscus:medialis und zur Amygdala im limbischen System und endet dort in gemeinsamen Projektionsarealen mit EingängenHypothalamus:Geschmacksnerven aus dem olfaktorischen System. Diese Projektionen sind wahrscheinlich Amygdala:Geschmacksnervendie Grundlage für die emotionale Komponente der Geschmackswahrnehmung. Ein anderer System:limbischesTeil der Fasern zieht zu den vegetativen Vaguskernen (Verdauungsreflexe).
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Fasern für die bewusste Geschmackswahrnehmung ziehen vom Nucleus tractus solitarii zum Nucleus ventralis posteromedialis des Thalamus. Von hier aus projizieren die Axone des 3. Neurons zur Großhirnrinde. Sie enden in den primären Geschmacksfeldern Nucleus:ventralis posteromedialisim unteren Gyrus postcentralis (nahe den somatosensorischen Feldern für die Mundhöhle), im Operculum und in der Insel. Sekundäre Geschmacksfelder finden sich im Gyrus:postcentralisorbitofrontalen Kortex.
Geschmacksregulation
Klinik
Störungen im Geschmackssinn können im Prinzip auf allen Ebenen des gustatorischen Systems auftreten.
HypogeusieVerminderte Geschmackswahrnehmung (Hypogeusie) kann durch Schädigung der Geschmackszellen (Verbrennungen, toxische Einwirkung), der Geschmacksnerven oder auch durch ungenügende Speichelsekretion verursacht werden. Auch nach oraler Einnahme gewisser Medikamente, z.B. Penicillamin oder L-Dopa, wurde sie vorübergehend beobachtet. Im Alter geht die Geschmacksempfindung zurück; dabei scheint die Zahl der Geschmacksknospen abzunehmen.
AgeusieBei der totalen Ageusie ist die Empfindung für alle Geschmacksqualitäten, bei der partiellen Ageusie für eine oder mehrere Qualitäten verloren gegangen.
DysgeusieUnter Dysgeusie versteht man das Auftreten unangenehmer Geschmacksempfindungen ohne adäquaten Reiz (vermutlich durch unspezifische Reizung der Geschmacksnerven oder zentralnervöse Vorgänge).
Verminderte BitterwahrnehmungFür die Bitterwahrnehmung ist seit Langem ein autosomaler Erbgang bekannt, der zu „Schmeckern“ oder „Nichtschmeckern“ für eine bestimmte Bittersubstanz (Phenyl-Thio-Harnstoff) führt. Das Gen, das diesem Erbgang zugrunde liegt, codiert für einen der T2-Rezeptoren (Bitterrezeptoren). Die Schädigung des N. glossopharyngeus (nach Operationen, z.B. Tonsillektomie) kann zu weitgehendem Verlust des Bittergeschmacks führen, da der hintere Zungenbereich, den er innerviert, am empfindlichsten für Bitterstoffe ist.
Geschmacksstörung im vorderen ZungenbereichDie Chorda tympani zieht an der Innenseite des Trommelfells durch das Mittelohr. Bei Ohrenentzündungen bzw. nach Ohrenoperationen kann es deshalb zu (vor allem einseitigen) Geschmacksstörungen im vorderen Zungenbereich kommen. Ähnliche Störungen können bei Fazialisparesen (z.B. durch Fazialiskompression) auftreten.
ZUSAMMENFASSUNG
Geschmack
Geschmackszellen
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Papillae vallatae und foliatae im hinteren Zungenbereich, N. glossopharyngeus
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Papillae fungiformes im vorderen Zungenbereich, Chorda tympani des N. facialis
Transduktion
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salzig: Na+-Ionen aus dem Speichel fließen durch ENaC-Kanäle in die Geschmackszellen
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sauer: Protonen (H+) binden entweder an Kationenkanäle und aktivieren dadurch einen Na+-Einstrom oder an Kaliumkanäle und inhibieren den K+-Ausstrom – beides führt zur Depolarisation der Zelle
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Zucker (süß), Aminosäuren (umami) und Bitterstoffe (bitter) binden an spezifische G-Protein-gekoppelte Rezeptoren und aktivieren eine Enzymkaskade. An deren Ende werden TRPM5-Kanäle aktiviert, und es kommt zum Ca2+-Einstrom und zur Depolarisation
Geschmacksnerven, zentrale Verschaltung
4.7
Olfaktorisches System
Zur Orientierung
Man schätzt, dass der Mensch einige tausend Düfte unterscheiden kann. Natürliche Düfte sind meist System:olfaktorischesGemische aus verschiedenen Substanzen, von denen eine oder wenige als „Leitindikator“ für die Identifizierung des Duftes dienen. Verglichen mit anderen Säugetieren scheint der Geruchssinn beim Menschen an Bedeutung verloren zu haben. Dennoch ist seine biologische Funktion auch bei uns wichtig; sie ist uns nur meist nicht bewusst.
4.7.1
Was ist Geruch?
Aufgaben des Geruchs
Duftstoffe
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Niedrige Wahrnehmungsschwellen (107 Moleküle/ml Luft) besitzt der Mensch für Schwefelwasserstoff (faule Erkennungsschwelle:DuftstoffeEier) oder Skatol (Fäkalien). Man kann abschätzen, dass bei dieser Konzentration nur wenige Duftstoffmoleküle zu einer Sinneszelle gelangen.
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Geraniol (Rosenöl) wird dagegen erst bei 1014 Molekülen/ml Luft wahrgenommen.
MERKE
Duftstoffe sind kleine, fettlösliche, leicht flüchtige Substanzen.
4.7.2
Bau des Geruchsorgans
Nasenhöhle
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Regio respiratoria: Die beiden unteren Conchae sind Concha nasalismit respiratorischer Schleimhaut bedeckt. Dieses Flimmerepithel dient der Erwärmung, der Anfeuchtung und der Reinigung der Atemluft.
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Regio olfactoria: Auf der oberen Concha, auf der Regio:respiratoriaNasenkuppel und auf den oberen Teilen des Septums findet man die Riechschleimhaut.
Riechschleimhaut
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Geruchszellen (olfaktorische sensorische Neuronen)
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Stützzellen
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Basalzellen
MERKE
Die Regio olfactoria des Menschen enthält Basalzellen, Stützzellen und 10–30 Millionen Geruchszellen, die ständig durch Basalzellen erneuert werden. Geruchszellen sind primäre bipolare Sinneszellen. Sie besitzen einen Dendriten mit Zilien und ein ableitendes Axon.
4.7.3
Funktionsweise des Geruchsorgans
Rezeptoren
MERKE
Duftstoffrezeptoren sind G-Protein-gekoppelte Rezeptoren. Von den ca. 1.000 menschlichen Genen, die für Duftstoffrezeptoren codieren, sind nur ca. 350 Gene funktionell.
Signaltransduktion
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die Enzymkaskade selbst, da ein Duftstoffrezeptor mehrere G-Proteine aktiviert und die Adenylatcyclase viele cAMP-Moleküle synthetisiert
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einströmende Ca2+-Ionen aktivieren einen besonderen Typ von Cl–-Kanälen, durch die Cl–-Ionen vom Zellinneren in den Mukus fließen – dadurch wird das Zellinnere positiver, die Depolarisation also verstärkt
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In welchem Ausmaß die beiden Mechanismen das Signal verstärken, wird kontrovers diskutiert.
MERKE
Die Bindung des Duftstoffes an den Rezeptor in der Zilienmembran aktiviert ein G-Protein und die Adenylatcyclase. Das cAMP aktiviert direkt CNG-Kanäle, durch die Na+ und Ca2+ in die Zelle strömen. Die Zelle depolarisiert und feuert Aktionspotenziale.
Adaptation
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Adaptation:GeruchsorganDas Ca2+ bindet an ein kleines Protein, Calmodulin (CaMGeruchsorgan:Adaptation). Der Ca2+-CaM-Komplex interagiert mit den CNG-Kanälen und verringert deren cAMP-Empfindlichkeit; deshalb schließen die Kanäle wieder.
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Außerdem aktiviert der Ca2+-CaM-Komplex eine Phosphodiesterase (PDE), Calmodulin:Geruchsorgandie das cAMP zu AMP abbaut.
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Da die interne Ca2+-Konzentration in der Signalentstehung und in der Adaptation eine wichtige Rolle spielt, wird der Zeitverlauf der olfaktorischen Antwort auch durch Ca2+-Transporter kontrolliert.
4.7.4
Architektur der zentralen Verschaltung
Bahnenverlauf
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Nucleus olfactorius anterior, Mitralzelleder über die vordere Kommissur zum kontralateralen Bulbus Büschelzelleprojiziert
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entorhinaler Kortex, von wo aus die Information zum Hippocampus weitergeleitet wird
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Nucleus:olfactorius anteriorpiriformer Kortex, eine wesentliche Station zur Duftdiskriminierung
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Kortexgebiete über der Kortex:entorhinalerAmygdala und von dort zum Hypothalamus und zum Tegmentum (emotionale Komponente des Riechens)
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Tuberculum olfactorium, von wo aus die Information zumKortex:piriformer Nucleus medialis dorsalis des Thalamus weitergeleitet wird und von dort weiter zum orbitofrontalen Kortex
Mechanismen der Duftstofferkennung
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Periglomeruläre Zellen sind äußerst heterogen, die meisten Zellen sind jedoch vermutlich Duftstoff:Erkennunginhibitorisch (sie enthalten den inhibitorischen Transmitter GABA).
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Körnerzellen bilden keine Axone aus, sondern sind lokal Zelle:periglomerulärearbeitende Interneurone. Sie erhalten u.a. synaptischen Eingang von Kollateralen GABA:periglomeruläre Zellender Mitralzellaxone und bilden mit Mitral- und Büschelzellen dendrodendritische Verknüpfungen, die zu Körnerzelle:Bulbus olfactoriuslateraler Inhibition und zu negativer Rückkoppelung führen (rekurrente Hemmung, vergleichbar der Renshaw-Hemmung bei den α-Motoneuronen).
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Fasern aus dem kontralateralen Bulbus oder aus kortikalen olfaktorischen Arealen können die Aktivität im Bulbus modulieren. Diese Fasern kontaktieren dazu die periglomerulären Zellen und Körnerzellen.
MERKE
Im Bulbus trägt laterale Inhibition durch periglomeruläre Zellen und Körnerzellen wesentlich zur Signalverarbeitung bei. Gerüche werden durch den Vergleich der Aktivität vieler Fasern (Across-the-Fibre-Pattern) identifiziert. Jeder Duftstoff löst im Bulbus ein charakteristisches oszillierendes Aktivitätsmuster aus.
4.7.5
Weitere „olfaktorische“ Systeme
Nasal-trigeminales System
MERKE
Es gibt neben den reinen Duftstoffen, die nur durch den N. olfactorius vermittelt werden (z.B. Vanille, Zimt), und den Duftstoffen mit trigeminaler Komponente (z.B. Eukalyptus, Buttersäure) auch Duftstoffe, die Geschmacksempfindungen auslösen (z.B. Chloroform, Pyridin). Diese Substanzpalette kann differenzialdiagnostisch genutzt werden.
Jacobson-Organ und Pheromondetektion
MERKE
Das nasal-trigeminale System detektiert vor allem stechende Gerüche. Das Jacobson-Organ (Organum vomeronasale) dient bei Tieren der Pheromondetektion. Ob es beim Menschen eine Rolle spielt, ist unklar.
Klinik
Hyposmie, AnosmieEine allgemeine Reduktion des Geruchsvermögens (Hyposmie) oder ein genereller Verlust (Anosmie) kann z.B. folgende Ursachen haben:
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Schwellung der Nasenschleimhaut bei Schnupfen
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Schädigung des Riechepithels (z.B. Virus-Grippe-Anosmie, Nasensprays)
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Abriss der Fila olfactoria oder Kontusionen des Bulbus olfactorius bei einem Schädel-Hirn-Trauma
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neurologische und neurodegenerative Erkrankungen, z.B. Multiple Sklerose, Morbus Alzheimer und vor allem Morbus Parkinson, bei dem die Hyposmie häufig bereits nachgewiesen werden kann, bevor andere neuronale Defekte auftreten
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Atrophie des Riechepithels mit zunehmendem Alter (Presbyosmie)
Partielle AnosmieWeit verbreitet sind partielle Anosmien, d.h. „Geruchsblindheit“ für bestimmte Substanzen oder Substanzklassen. So können z.B. 40% der Bevölkerung das Androstenon, die Hauptduftkomponente des Urins, nicht riechen. Vermutlich haben diese Menschen kein funktionelles Gen für den Duftstoffrezeptor, der das Androstenon bindet.
HyperosmieBei Frauen wurde eine Hyperosmie (gesteigerte Geruchsempfindung) während der Menstruation und im ersten Trimenon der Schwangerschaft beschrieben.
KakosmieKakosmien sind Geruchsempfindungen unangenehmer Art (z.B. Fäulnis- oder Fäkaliengeruch). Sie sind häufig bei Schizophrenie zu finden oder können als Aura einem epileptischen Anfall vorausgehen.
Anosmie und AgeusieKombinationen von Anosmie und Ageusie (Geschmacksverlust) kommen z.B. nach kontusioneller Schädigung des Zwischenhirns in der Wand des III. Ventrikels oder auch bei Sarkoidose vor.