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AngstschaltkreiseAngstmodell nach Le Doux nach LeDoux (mod. nach Gorman et al. 2000): 1: schneller Notfallschaltkreis, 2: kortikale VerarbeitungEmotionenkortikale Verarbeitung
[L106]

Umweltwidrigkeiten, Stressreaktion und mütterliche Fürsorge im Tierexperiment: nicht genetische WeitergabeGehirnEntwicklungmütterliche Fürsorge und Umweltwidrigkeiten
(mod. nach Francis und Meaney 1999: 131) [L106]

Neurobiologie
-
4.1
Geschichtliches43
-
4.2
Grundlagen43
-
4.3
Neurobiologische Modelle48
-
4.4
Neurobiologie sozialer Beziehungen52
-
4.5
Relevanz von Neurobiologie für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie54
4.1
Geschichtliches
4.2
Grundlagen
4.2.1
Struktur und Entwicklung des Gehirns
4.2.2
Neuroanatomische Grundlagen
-
•
Medulla oblongata (verlängertes Mark)
-
•
Pons (Brücke)
-
•
Mesenzepahalon (Mittelhirn)
-
•
Dienzephalon (Zwischenhirn)
-
•
Zerebellum (Kleinhirn)
-
•
Telenzephalon (Groß- oder Endhirn)
-
•
Lobus frontalis (Frontallappen)
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•
Lobus parietalis (Parietallappen)
-
•
Lobus occipitalis (Okzipitallappen)
-
•
Lobus temporalis (Temporallappen)
Beidseitige Läsionen des orbitofrontalen Kortex ziehen häufig sozial unangepasstes Verhalten nach sich, verbunden mit mangelnder Antizipation positiver und negativer Verhaltenskonsequenzen.
Eine wesentliche Funktion dieses Neuronenkreises ist die Überführung von Inhalten aus dem Kurzzeit- in das Langzeitgedächtnis; die Zerstörung eines der Glieder dieses Neuronenkreises hat MerkfähigkeitsstörungenMerkfähigkeitsstörungen zur Folge. Daneben wird der Hippokampus mit endokrinen, viszeralen und emotionalen Vorgängen in Verbindung gebracht.
4.2.3
Forschungsmethoden
Systematische Beobachtungen an Hirnläsionen und Stimulationsstudien
Funktionelle Bildgebung (Neuroimaging)
Spezielle Verfahren und Grundlagen
Da die fMRT keine radioaktiven Substanzen oder Kontrastmittel benötigt, kann sie wiederholt angewandt werden, z. B. zum Vergleich von Hirnfunktionen vor und nach Psychotherapie.
Ausgewählte Paradigmen
-
•
Mimischer AffektAffektemimischeMimischer Affekt wird meist mit standardisierten Bildern präsentiert, die durch Ekman und Friesen (1975) in verschiedenen Kulturen validiert wurden. Am konsistentesten wurde die Aktivierung der Amygdala als Reaktion auf furchtsame und ärgerliche Gesichter demonstriert, auch wenn die mimischen Furchtreize aufgrund einer kurzen, unterschwelligen Präsentation nicht bewusst wahrgenommen wurden (Etkin et al. 2005).
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Um Emotionen hervorzurufen, liefert das International Affective Picture System (Lang et al. 1995International Affective Picture SystemEmotionenInternational Affective Picture System) einen standardisierten Satz visueller Stimuli, die nach den Dimensionen der Valenz und der Aktivierung gut charakterisiert sind.
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•
Idiosynkratische Skripten mit angeleiteter Vorstellung (guided imagery) Guided Imagerysind auf die spezifischen biografischen Erfahrungen oder Ängste des Probanden ausgerichtet. Verglichen mit nichttraumatischen Skripten (Rauch et al. 1999) und normalen Kontrollpersonen beobachteten Levin et al. (1999) einen vermehrten Blutfluss im limbischen System (rechte Amygdala, ACC) und im posterioren visuellen Kortex (Visualisierung), aber eine verminderte frontale Aktivierung der Broca-Region. Diese Befunde passen zu der klinischen Hypothese, dass traumatische Ereignisse bei PTBSPosttraumatische Belastungsstörung (PTBS)fMRT-Untersuchungen als sensorische oder affektive Fragmente gespeichert werden, die nicht symbolisiert und als verbal kohärente Narrative repräsentiert wurden.
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•
Auch WortlistenWortlisten bedrohlichen Inhalts können die AmygdalaAmygdalaAktivierung und andere Teile des limbischen Systems aktivieren (verglichen mit neutralen Wörtern). Wörter haben als Stimuli den Vorteil, dass sie für bestimmte Störungen oder psychische Konflikte spezifisch, aber dennoch leicht vergleichbar sind zwischen Patienten und Kontrollpersonen (Silbersweig et al. 2007).
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An Bedeutung gewinnt die Untersuchung des Zusammenspiels kognitiver und affektiver Prozesse: Hariri et al. (2003) haben gezeigt, dass das Betrachten und visuelle Furchtstimuli, visuelle ZuordnungZuordnen von Furchtstimuli zur Aktivierung der Amygdala und verstärkter Hautleitfähigkeit (Sympathikusaktivität) führt. Benennung der Furchtstimuli führte zu vermehrter Aktivierung des präfrontalen Kortex (einschl. Broca-Region), verbunden mit geringerer AmygdalaAktivierungAmygdalaaktivierung und geringerer Hautleitfähigkeit (vgl. Goldstein et al. 2007).
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•
Das menschliche BelohnungssystemBelohnung(ssystem) kann untersucht werden, während Versuchspersonen Belohnungen (z. B. in Form von Geldbeträgen) erwarten. Hierbei hat sich das von Knutson et al. (2000) entwickelte Monetary-Incentive-Delay-Experiment als Standardparadigma etabliert, mit dessen Hilfe zuverlässig Schlüsselstrukturen des Belohnungssystems (z. B. ventrales Striatum, ventrales Mittelhirn) aktiviert werden können.
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•
Das Default-Mode-Network (DMNDefault-Mode-Network (DMN), Buckner et al 2008) stellt ein Netzwerk dar, das vor allem dann aktiviert wird, wenn Versuchspersonen die Augen schließen und sich keiner bestimmten Aufgabe annehmen. In dieser Versuchssituation haben viele Versuchspersonen Tagträume oder erinnern autobiografische Erlebnisse. Physiologisch kommt es zu einer Zunahme der Aktivität im medialen Temporallappen, im medialen präfrontalen Kortex und anderen Regionen.
4.3
Neurobiologische Modelle
4.3.1
Emotionen
-
•
Im schnellen Notfallschaltkreis findet die erste Verarbeitung des EmotionenWahrnehmungsinhalteemotionalen Anteils von Wahrnehmungsinhalten statt. Sobald die Amygdala über den Thalamus Signale aus dem Wahrnehmungsapparat erhält, wird ohne Beteiligung des sensorischen Kortex bereits entschieden, ob das Wahrgenommene eine gefährliche oder schädigende Qualität besitzt. Die Verarbeitung erfolgt, bevor aus den einfachen Sinneswahrnehmungen, einfacheSinneswahrnehmungen besondere Merkmale von Objekten oder Situationen herausdifferenziert werden können, d. h. bevor die Bedrohlichkeit bewusst wahrgenommen wird. Der biologische Vorteil des raschen, vorreflexiven Verarbeitungsmodus liegt in der rechtzeitig eingeleiteten psychophysiologischen Kampf-Flucht-Reaktion/-SystemAktivierung für Kampf oder Flucht. So erstarrt z. B. der Wanderer, der im Wald einen länglichen Gegenstand vor sich auf dem Boden liegen sieht, in seiner Bewegung, bevor er genau bestimmen kann, ob es sich um eine Giftschlange handelt.
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•
Mit zeitlicher Verzögerung erhält die Amygdala aus dem Großhirn Signale über den Thalamus. Die Integration und Bewertung sensorischer Informationen ermöglicht, potenzielle Gefahrensituationen komplexer und situationsgerechter zu analysieren und zu beantworten. Im obigen Beispiel registrieren wir Bereitstellungsreaktion (Herzklopfen etc.) und ErstarrenErstarren in dem Moment, in dem wir die vermeintliche Giftschlange z. B. als gefahrlosen Stock erkennen.
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Das Seeking-SystemSeeking-System veranlasst Säugetiere, ihre Umwelt nach Nahrung, Wasser und Wärmequellen zu durchforsten. Es ist weitgehend identisch mit dem Belohnungssystem.
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Das Lust-SystemLust-System motiviert Organismen, die Nähe von Gefährten und Sexualpartnern zu suchen.
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•
Das Rage-SystemRage-System wird typischerweise dann aktiviert, wenn Säugetiere sich in ihren Interessen gefährdet sehen. Es veranlasst sie dann, sich energisch zu behaupten.
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Das Nurturance-SystemNurturance-System vermittelt Säugetieren das drängende Bedürfnis, sich um die Nachkommen zu kümmern.
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•
Das Play-SystemPlay-System erzeugt das Bedürfnis, mit Artgenossen zu spielen, wobei hier in erster Linie energisches Miteinander-Raufen (rough and tumble play) gemeint ist, aus dem sich beim Menschen gesellschaftlich akzeptiertere Formen des Spielens wie z. B. lustvolle Wortgefechte oder Mannschaftssportarten entwickelt haben.
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•
Ferner unterscheidet Panksepp zwei Angstsysteme: Das Fear-SystemFear-System veranlasst Organismen, Schmerz und Zerstörung zu vermeiden, wohingegen das Panic-SystemPanic-System die Trennung von wichtigen Bezugsfiguren verhindern soll.
4.3.2
Neurobiologische Grundlagen des Selbsterlebens
-
1.
„Meinigkeit“ („mein Bein“, „mein Haus“, „meine Frau“, „mein Wille“, „mein Gefühl“)
-
2.
Selbstheit („ich bin jemand“; „ich erlebe mich selbst als identisch durch die Zeit hinweg“)
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3.
„Perspektivität“ („meine Welt besitzt einen unverrückbaren Mittelpunkt, und dieser Mittelpunkt bin ich selbst“)
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•
Ein unbewusstes ProtoselbstProtoselbst als „Ansammlung von wechselseitig verbundenen und zeitweise zusammenhängenden neuronalen Mustern, die den Zustand des Organismus von Augenblick zu Augenblick auf verschiedenen Ebenen des Gehirns repräsentieren“ (Damasio 2000: 211).
-
•
Eng damit verbunden, aber bewusst, ist das KernselbstKernselbst als Repräsentation der Protoselbstinhalte. Es wird „immer und immer wieder aufs Neue erschaffen, für jedes einzelne Objekt, mit dem das Gehirn interagiert“ (Damasio 2000: 212).
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•
Auf der Aufzeichnung dieser Kernselbsterfahrungen beruht das Selbstautobiografischesautobiografische Autobiografisches SelbstSelbst als der eher invariante Teil unseres Selbsterlebens. Diese Aufzeichnungen können als neuronale Muster aktiviert und in explizite Vorstellungen verwandelt werden. Neue Erfahrungen können zu partiellen Abänderungen des autobiografischen Selbst führen.
4.3.3
Neurobiologische Grundlagen des Erinnerns und Vergessens
Explizites und implizites Gedächtnis
Konsolidierung von Gedächtnisinhalten
Zustandsabhängige Encodierung und Abruf von Gedächtnisinhalten
Äußere Einflüsse können entscheidend beeinflussen, was und wie erinnert wird. Beispiele für Verfälschungen sind die Suggestivkraft einer als vertrauenswürdig empfundenen Person (Loftus 1996), nachträglich eingeführte Fehlinformationen oder die Neigung, in der Rückschau den eigenen Wissensstand zu „vervollständigen“. Daher sind in der Psychotherapie aktuelle Übertragungs- und Beziehungsgestalten als mögliche Einflussfaktoren auf Erinnerungen und biografische Rekonstruktionen kritisch zu reflektieren.
Stress und Gedächtnisbeeinträchtigung
Suppression unerwünschter Erinnerungen
-
1.
eine anfängliche Unterdrückung der Aktivierung von Regionen (visueller Kortex, Thalamus), welche die sensorischen Komponenten des Gedächtnisses repräsentieren, durch den rechten unteren frontalen Gyrus, gefolgt von
-
2.
der Kontrolle des rechten medialen präfrontalen Kortex über Regionen, die multimodale und emotionale Komponenten der Erinnerungen repräsentieren (Hippokampus, Amygdala).
4.3.4
Das Gehirn als Vorhersagemaschine
Das Gehirn und freie Energie
Der Grundgedanke dieses Konzepts, das Gehirn als eine Struktur zu verstehen, deren Hauptaufgabe es ist, Überraschungen zu minimieren, ist auch aus psychotherapeutischer Sicht interessant: Psychotische und neurotische Verhaltensweisen können in diesem Zusammenhang als dysfunktionaler Versuch verstanden werden, aufgrund traumatischer Kindheitserlebnisse unangenehme „Überraschungen“ zu vermeiden (neurotisches Verhalten) bzw. diese zu leugnen (psychotisches Erleben).
4.4
Neurobiologie sozialer Beziehungen
4.4.1
Einfluss früher Beziehungserfahrungen auf die psychische und Gehirnentwicklung
4.4.2
Neurobiologie des sozialen Schmerzes nach Trennung oder sozialer Isolation
Klinisch bedeutsam erscheint, dass beide Schmerzsysteme sich gegenseitig verstärken: Chronisch Schmerzkranke sind nicht nur häufig aufgrund von Depressivität, Rückzug und Schonverhalten sozial isoliert, sondern auch besonders empfindlich gegenüber sozialer Zurückweisung (zu den Auswirkungen auf die Arzt-Patient-Beziehung Kap. 41).
4.4.3
Spiegelneurone und Empathie
4.5
Relevanz von Neurobiologie für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
4.5.1
Veränderungen durch Psychotherapie im Lichte funktioneller Bildgebungsstudien
4.5.2
Zum Verhältnis von biologischen und psychosozialen Merkmalen
Die Erkenntnis, dass PsychotherapieEffekte auf HirnfunktionenPsychotherapie Gehirnfunktionen in messbarer Weise beeinflusst, eröffnet für Psychotherapien neue Forschungsfragestellungen, auch wenn Wirkmechanismen auf neuronaler Ebene erst in Ansätzen zu erkennen sind. Die angeführten Studien zeigen die Wechselbeziehung zwischen selbstregulativen kognitiven Fähigkeiten, die durch Psychotherapie gefördert werden, und Aktivierungsmustern des Gehirns.
4.5.3
Neurobiologische Veränderungen bei psychosomatischen Erkrankungen
Literaturauswahl
Abbass et al., 2014
Beutel, 2002
Beutel et al., 2010
De Greck et al., 2013
Eisenberger and Lieberman, 2004
Kandel, 1999
LeDoux, 2000
Metzinger, 1993
Panksepp, 1998
Trepel, 2004