6.2
Das Immunsystem
ImmunsystemDie Immunologie hat sich zu einer selbstständigen, zentralen biologischen Wissenschaft entwickelt. Es wird zunehmend deutlich, wie ein Organismus auf mikrobielle, kanzerogene und psychosoziale Gefahren integrativ antwortet. Die Antwort des Immunsystems wird durch einen dem Immunsystem äußerlichen Reiz bestimmt, sei dies ein Antigen oder ein Stressfaktor. Das Immunsystem ist befähigt zu unterscheiden, ob es bei einer Gefahr für den Organismus aktiviert werden soll oder einen toleranten Status beibehalten kann. Dabei kann es durch die Vielfalt seiner Zellen und Moleküle aus einer individuellen genetischen Ausstattung heraus auf einen Stimulus hin kombinatorische Antworten geben. Folgt man darüber hinaus der axiomatischen Feststellung, dass alle möglichen Gefahren für einen Organismus indeterminierbar sind, so muss das genetisch determinierte Antwortrepertoire epigenetisch moduliert werden.
Die ImmunantwortImmunantwort ist demnach keine fixierte Reaktion des Systems, sondern eine durch Erfahrung (epigenetisch) veränderbare Beziehungsantwort.
Das Immunsystem ist prinzipiell in der Lage, nicht körpereigene Strukturen zu erkennen und in der Regel unschädlich zu machen. Aus entwicklungsgeschichtlicher Perspektive werden ein älteres angeborenes oder natives Immunsystem und ein jüngeres erworbenes oder adaptives Immunsystem unterschieden.
Das angeborene Immunsystem baut sich aus den mechanischen Barrieren der Haut sowie den Schleimhäuten und der natürlichen bakteriellen Flora auf: Letztere besiedelt die Grenzen zur Außenwelt. Die angeborene humorale Immunität wird durch Akute-Phase-Proteine, Lysozyme, Opsonine und das Komplementsystem gebildet; auf der zellulären Seite besteht sie aus der Aktivität von GranulozytenGranulozyten, MakrophagenMakrophagen und natürlichen Killerzellen, natürlicheKillerzellen (NK-NK-ZellenZellen). Die Antworten des angeborenen ImmunsystemsImmunantwortangeborene sind unspezifisch und stereotyp, ohne Lerneffekt oder stärkere Antwort bei wiederholtem Antigenkontakt, stehen aber sofort zur Verfügung und sind für eine Vielzahl von Pathogenen sehr wirksam. Viele der immunkompetenten Zellen tragen sog. Pattern-Recognition-RezeptorenPattern-Recognition-Rezeptoren (PRRs), die keimbahncodiert sind und pathogen-associated molecular patterns (PAMPs) oder damage-associated molecular patterns (DAMPs) erkennen und nach Aktivierung durch pathogene molekulare Kohlenhydratstrukturen diese Pathogene für den Organismus unschädlich machen.
Die erworbenen Immunantworten Immunantworterworbene (spezifische)sind hochspezifisch und hochwirksam, benötigen aber bei Erstkontakt mit einem Pathogen ca. 5 Tage, bis sie ihre Wirkung entfalten. Ihre Elemente sind antigenpräsentierende Zellen (APZ) wie die Langerhans-Langerhans-ZellenZellen der Haut, zytotoxische (CT-), T-Helfer-(TH-)T-Helfer-Lymphozyten/-ZellenLymphozyten sowie B-B-LymphozytenLymphozyten, die nach Aktivierung spezifische Antikörper sezernieren können (PlasmazellenPlasmazellen). Typisch für die adaptive Immunität ist, dass sie neben eigenen Zellformen für ihre Effektorfunktion durchaus auf Elemente des angeborenen Immunsystems (z. B. Komplement) zurückgreift.
Wenn Mikroorganismen die mechanischen Barrieren des angeborenen Abwehrsystems überwunden haben und in das Gewebe eingedrungen sind, beginnen sie sich in den meisten Fällen zu multiplizieren. Ihre Zahl nimmt zu, und wenn sie als Pathogene von den Zellen des Immunsystems erkannt werden, beobachten wir eine lokale EntzündungEntzündunglokale. Einige der Pathogene oder ihre metabolen Produkte werden über den Lymphfluss oder durch APZ in den nächstgelegenen Wächterlymphknoten transportiert.
Die erworbene, spezifische, zellvermittelte Immunantwort wird über zwei verschiedene T-Lymphozyten initiiert:
CD = CD (Cluster of Differentiation)Cluster of Differentiation Cluster of Differentiation (CD)
Die CD8+ T-Lymphozyten erkennen mit ihrem T-Zell-Rezeptor ein Antigenfragment (ca. 8–12 Aminosäuren lang) in Assoziation mit einer Präsentationsstruktur, dem Major Histocompatibility Complex I Major Histocompatibility Complex I(MHC-Klasse MHC-I-KomplexI), der auf jeder kernhaltigen Zelle des Organismus vorhanden ist. Im MHC-I-Komplex werden ständig Bruchstücke aus der intrazellulären Eiweißsynthese nach extrazellulär präsentiert, so auch wenn z. B. virale Eiweiße synthetisiert werden. Dieser „Blick in die Zelle“ erlaubt dem Immunsystem, die Synthese von Nicht-Selbst-ProteinenNicht-Selbst-Proteine zu erkennen und darauf zu reagieren (Murphy et al. 2008).
Die CD4+ T-Lymphozyten T-LymphozytenCD4+CD4+ Lymphozytenunterteilen sich in T-Helfer-ZellenT-Helfer-Lymphozyten/-Zellen Typ 1 (TH1) und Typ 2 (TH2), je nachdem, welche Zytokine sie bilden. ZytokineZytokine sind kleine Proteine, die von verschiedenen Zellen im Organismus freigesetzt werden und ihre Wirkung über die Bindung an spezifische Zytokinrezeptoren entfalten. Die Entscheidung für eine TH1- oder TH2-Antwort wird von vielen Variablen moderiert und unterliegt Einflussgrößen verschiedener Systemebenen. Wurde der Organismus z. B. mit intrazellulären Erregern infiziert (z. B. Viren, Mykobakterien), setzen APZ IL-12 frei, das naive T-Helferzellen zu TH1-ZellenT-Helfer-Lymphozyten/-Zellen differenzieren lässt. TH1-Zellen produzieren vornehmlich Gamma-Interferon (IFN-γ)InterferontherapieImmunaktivierung und Interleukin-2 (IL-2)InterleukineImmunaktivierung und stimulieren die zelluläre Immunaktivität (u. a. Aktivitätsanstieg von CT-Zellen, NK-NK-ZellenZellen und Makrophagen).
Wurde der Organismus demgegenüber mit extrazellulären Erregern infiziert (z. B. Bakterien, Parasiten), aktivieren bakterielle Lipopolysaccharide (LPS)
Lipopolysaccharide (LPS) APZ
Toll-like-Rezeptorenüber
Toll-like-Rezeptoren. Dies induziert in APZ die Nuklearfaktor- (NF-) κB-vermittelte Freisetzung von IL-1 und IL-6. IL-1 und IL-6 triggern wiederum die hypothalamische Stressreaktion, woraufhin naive T-Helferzellen zu TH2-Zellen differenzieren.
TH2-Zellen bilden Interleukin-4 (IL-4) und Interleukin-5 (IL-5) und aktivieren die humorale Immunabwehr (z. B. beginnen sich B-Lymphozyten zu teilen und Antikörper
Antikörperproduktion zu produzieren). Beide TH-Subpopulationen produzieren auch den Tumornekrosefaktor (TNF)
Tumornekrosefaktor (TNF), Interleukin-3 (IL-3), und den koloniestimulierenden Faktor (CSF)
Koloniestimulierender Faktor (CSF), der die Entwicklung von Granulozyten und Makrophagen fördert (GM-
GM-CSFCSF). Die TH1-Zytokine IL-6, IL-1, und TNF-α werden als proinflammatorische Zytokine bezeichnet, da sie die Bildung von Stickoxid (NO)
Stickoxid (NO) und anderen Entzündungsmediatoren (oxidativer
StressoxidativerOxidativer StressStress) stimulieren und dadurch chronische Entzündungsreaktionen
Entzündungsantwortverzögerter TypEntzündungsantwortchronische vom verzögerten Typ aufrechterhalten. Die TH1- und TH2-Immunantworten hemmen sich gegenseitig, d. h., IL-12 und IFN-γ hemmen TH2-Zellen, und IL-4 und IL-10 hemmen TH1-Zellen, weswegen sie auch als
antiinflammatorische ZytokineZytokineantiinflammatorische bezeichnet werden (
Elenkov und Chrousos 1999;
Murphy et al. 2008;
Tausk et al. 2008).
Zusätzlich zu den Zytokinen schütten aktivierte T-Helfer- und andere immunkompetente Effektorzellen Dialogmoleküle aus, die neuronale und endokrine Zellpartner haben. Man darf aus experimentellen Ergebnissen schließen, dass das ZNS permanent über die Aktivität des Immunsystems in Echtzeit informiert ist (
Besedovsky und Sorkin 1977).
6.3
Das endokrine System als modulierendes Bindeglied zwischen ZNS und Immunkompetenz
Das Zentrales NervensystemImmunkompetenzStresssystem(e)KomponentenImmunkompetenz, ZNSStresssystem besteht im Wesentlichen aus zwei Komponenten:
-
•
aus dem Corticotropin-Releasing-Hormon-(CRH-)CRH-NeuronNeuron, das vor allem durch den paraventrikulären Kern (PVN)Paraventrikulärer Kern (PVN) des Hypothalamus repräsentiert wird und über die Verbindung zum Hypophysenvorderlappen (HVL) verschiedene periphere Organsysteme hormonell versorgt, und
-
•
aus dem Locus-coeruleus-Noradrenalin-System (LC-NA-System)Locus-coeruleus-Noradrenalin-System (LC-NA), das im Hirnstamm lokalisiert ist und als autonomes (sympathisches) Nervensystem (SNS)Sympathisches Nervensystem ebenfalls periphere Organe erreicht (Chrousos und Gold 1992).
CRH aus dem Hypothalamus sowie adrenokortikotropes Hormon (ACTH
Adrenokortikotropes Hormon)
ACTH (adrenokortikotropes Hormon), Thyreoidea-stimulierendes Hormon
Thyreoidea-stimulierendes Hormon (TSH)
TSH (Thyreoida-stimulierendes Hormon), follikelstimulierendes Hormon
Follikelstimulierendes Hormon (FSH) (FSH)
FSH (follikelstimulierendes Hormon), luteinisierendes Hormon
Luteinisierendes Hormon (LH) (LH)
LH (luteinisierendes Hormon), Wachstumshormone (GH)
Wachstumshormon (growth hormone, GH) und
Prolaktin (PRL)Prolaktin aus dem HVL haben neben ihren endokrinen Effekten signalgebenden Charakter auf das Immunsystem (allgemeine Übersicht
Kap. 5). Dasselbe gilt für die neokortikale Sympathikusachse und ihre Effektormoleküle, die Katecholamine Adrenalin
Adrenalin und Noradrenalin
Noradrenalin (
Abb. 6.1).
Für CRH finden sich auf immunkompetenten Zellen, vor allem auf Makrophagen aus der Milz, hochaffine Rezeptoren. α-Melanozyten-stimulierendes Hormon (MSH) wirkt immunsuppressiv (Lipton und Catania 1998) und hemmt die durch IL-1β stimulierte Freisetzung von ImmunantwortACTHACTH (adrenokortikotropes Hormon)ImmunantwortACTH (Papadopoulos und Wardlaw 1999).
ACTH und
ImmunantwortEndorphineEndorphineImmunantwortEndorphine beeinflussen die Immunantwort von Lymphozyten, indem sie die CD2- und/oder CD3-Expression oder die Affinität des IL-2-Rezeptors verändern. ACTH steuert auf indirektem Weg – über die Freisetzung von Glukokortikoiden (GC) aus der Nebennierenrinde – die Zahl (
LeukozytopenieLeukozytopenie) und die Aktivität von B- und T-Lymphozyten. Die Wirkung der klassischen Stresshormone
KortisolImmunaktivierung(Kortisol und
KatecholamineImmunaktivierungKatecholamine) auf die TH1/TH2-Balance entspricht im Wesentlichen einer Verschiebung von TH1 zu TH2.
Kortisol hemmt in APZ gezielt die Bildung des IL-12 und unterbindet damit schon sehr früh in der Immunaktivierung die zelluläre Immunität. Darüber hinaus wird IL-10 in Lymphozyten unter Kortisoleinfluss stimuliert.
Noradrenalin wiederum wirkt über β-Adrenozeptoren einerseits hemmend auf IL-2, IFN-γ und IL-12 und steigert andererseits die Bildung von IL-6, IL-10 und IL-4 (
Elenkov und Chrousos 1999).
FSH und LH verstärken die Proliferationsrate von T-Lymphozyten.
LH stimuliert die Aktivität von Milz-T- und -B-Zellen und regt die IL-1- und IL-2-Produktion an.
ÖstrogeneImmunmodulationImmunmodulation, ÖstrogeneÖstrogenen kommt eine besondere Bedeutung bei der Immunmodulation zu, und dies lässt mit verstehen, warum das weibliche Geschlecht bei den Mammalia 2- bis 10-fach häufiger Autoimmunerkrankungen erleidet (
Sternberg 2001). Androgene wirken i. Allg. eher immunsuppressiv (
Malarkey und Mills 2007). Gegen eine bedeutsame immunregulatorische Rolle von Prolaktin und GH spricht der Umstand, dass chronisch erhöhte Spiegel dieser Hormone z. B. bei Hypophysentumoren keine nennenswerten immunologischen Folgen nach sich ziehen (
Malarkey und Mills 2007).
6.5
TH1/TH2-Verschiebung bei Stress und klinische Folgen
Psychoneuroimmunologiepsychosozialer StressDie PNI hat sich besonders in den letzten 15 Jahren verstärkt mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit psychosozialer Stress
StresspsychosozialerTH1/TH2-Differenzierung den für eine angemessene Immunabwehr notwendigen Differenzierungsprozess in TH1 oder TH2 stören kann und wie sich dies auf die Entwicklung verschiedener Krankheiten auswirkt (
Tab. 6.2).
6.5.1
PNI und virale Infektionskrankheiten
Um
InfektionenviralePsychoneuroimmunologieInfektionskrankheitenin der PNI kausale Beziehungen zwischen psychosozialem Stress
Stresspsychosozialer und dem Auftreten von viralen Infektionskrankheiten nachweisen zu können, werden Probanden entweder mit (z. B. respiratorischen) Viren unter Quarantänebedingungen infiziert (
Cohen et al. 1999), oder sie werden aktiv geimpft (z. B. gegen Influenza, Hepatitis B). Nach einer Latenzzeit von mehreren Wochen wird der Antikörpertiter (z. B. IgM, IgG) gegen das entsprechende Virus bestimmt (ein erhöhter Antikörpertiter spricht für eine funktionierende Immunantwort,
Kiecolt-Glaser et al. 2002). Darüber hinaus können auch Antikörpertiter gegen im Organismus bereits vorhandene latente Viren (z. B. EBV, HSV, CMV) gemessen werden, wobei hier erhöhte Antikörpertiter
Antikörpertiter, zelluläre Immunaktivitätfür eine erniedrigte zelluläre Immunaktivität sprechen.
Cohen et al. (1999) schätzten bei gesunden Testpersonen zunächst die psychische Belastung ein und infizierten sie dann mit einem Influenza-A-Virus. Anschließend wurden die Testpersonen 8 Tage lang in Quarantäne untergebracht und täglich untersucht. Ein zentrales Ergebnis dieser Studie war: Je gestresster die Probanden zu Beginn waren, desto stärker ausgeprägt waren auch die Beschwerden der oberen Atemwege, die produzierte Schleimmenge und die IL-6-Konzentration. Der Datensatz legte ebenfalls nahe, dass die IL-6-Konzentration die Verbindung zwischen Stress und Krankheitsaktivität vermittelte.
Viele Studien belegen den Einfluss von psychosozialer Belastung auf die erhöhte Anfälligkeit gegenüber einer Reihe von akuten und chronischen viralen Erkrankungen, z. B. Epstein-Barr-Virus (EBV)Epstein-Barr-Virusinfektion, psychosoziale Belastung, Herpes-simplex-Virus-1 (HSV-1)Herpes-simplex-Virusinfektionpsychosoziale Belastung, Herpes-Zoster-Virus (HZV)Herpes-Zoster-Virusinfektion, psychosoziale Belastung und das humane Immundefizienzvirus (HIV)HIV-Infektionpsychosoziale Belastung. Dabei dürften die stressbedingte Störung des TH1/TH2-Gleichgewichts, also die stressbedingte Suppression der TH1- und die Steigerung der TH2-Immunantwort, von wesentlicher pathogenetischer Bedeutung sein. Es gibt eine Reihe von Untersuchungen an Medizinstudenten, die zeigen, dass latente Herpesviren wie z. B. EBV und HSV-1 bei PrüfungsstressPrüfungsstress, Immundysregulationen reaktiviert werden (Glaser und Kiecolt-Glaser 1998).
Chronischer PflegestressPflegestress, chronischerImmundysregulationen bei älteren Testpersonen ist mit ganz ähnlichen Immundysregulationen verbunden wie der mehr akute und milde Prüfungsstress. Darüber hinaus zeigen sich bei Pflegestress verminderte T- und B-Zellreaktionen auf eine Influenza-Impfung sowie einer Häufung von Atemwegsinfektionen und Krankheitstagen (Glaser und Kiecolt-Glaser 1998). Diese Ergebnisse haben hohe klinische Relevanz, da ältere Personen schon aufgrund ihres Alters erniedrigte zelluläre Immunfunktionen aufweisen, was sie besonders für Virus-, Pilz- und Mykobakterieninfektionen empfänglich macht.
Personen mit ängstlich-unsicherem Bindungstyp, nicht jedoch jene mit vermeidend-unsicherem Bindungstyp weisen, wie eine Studie von Fagundes et al. (2014) zeigen konnte, erhöhte Werte an EBV-Viral-Capsid-Antigen-(VCA-)IgG-Antikörpern auf.
Weitere Stressfaktoren und -situationen (z. B. häusliche Gewalt, Grundwehrdienst, Space-Shuttle-Mission, Antarktis-Expedition, soziokulturelle Belastungen) haben, wie von Schubert (2013) in einer Übersichtsarbeit beschrieben, ebenfalls einen erheblichen Einfluss auf die Reaktivierung von latenten HerpesinfektionenHerpes-simplex-VirusinfektionStress.
HIV-1 ist in der Lage, Zellen der TH1-Immunität (T-Helferzellen, Monozyten/Makrophagen) zu infizieren und Diabetes mellitusTyp 1/2seine DNA in das Genom der Wirtszelle zu integrieren. Wird die infizierte TH1-Zelle im Rahmen einer Immunaktivierung aktiviert, vermehrt sich auch HIV-1; die Wirtszelle geht dabei zugrunde, und HIV-1 infiziert weitere Zellen. Die zwei zentralen Indikatoren einer HIV-HIV-InfektionProgression, IndikatorenProgression sind demnach ein Anstieg der viralen Belastung (HIV-RNA im peripheren Blut) und ein Abfall der T-Helferzellen (Levy 1993).
Noradrenalin
NoradrenalinHIV-Virenreplikation kann sowohl
in vitro als auch
in vivo die Replikation von HIV-1-Viren triggern (
Cole 2008). Dies ist eine der mechanistischen Grundlagen für die mittlerweile gut belegte Erkenntnis, dass negative psychosoziale Faktoren HIV-Erkrankungen ungünstig beeinflussen und positive psychosoziale Faktoren das Gegenteil bewirken können (
Ironson und Hayward 2008;
Leserman 2008). In einer Untersuchung von
Greeson et al. (2008) klärte psychischer Stress 67 % der Varianz des HIV-Erkrankungsschweregrades auf. Strukturgleichungsmodelle zeigten weiterhin, dass zwischen psychischem Stress und dem Schweregrad der HIV-Erkrankung ein signifikant positiver Zusammenhang bestand und dass dieser Zusammenhang durch eine verminderte NK-Zahl und -Funktion sowie eine erhöhte zytotoxische T-Zellaktivität (CD8+) vermittelt wurde.
Diese Daten zur HIV-Replikation durch Stress legen nahe, wie wichtig es sein kann, in der Behandlung von HIV-Erkrankten die psychosoziale Dimension z. B. mit psychotherapeutischen Interventionen begleitend zu berücksichtigen.
6.5.2
PNI und Wundheilung
Wundheilung, psychoneuroimmunologische AspektePsychoneuroimmunologieWundheilungBis zur kompletten Heilung einer Wunde schützen proinflammatorische ZytokineZytokineproinflammatorischeWundheilung der TH1-Immunität wie IL-1, IL-6, IL-8 und TNF vor einer Infektion im Wundbereich und bereiten das geschädigte Gewebe darauf vor, repariert zu werden, indem Phagozyten an den Ort der Schädigung rekrutiert und aktiviert werden. Weiterhin regulieren TH1-Zytokine und weitere Subklone der TH1-Zytokine initiativ die Endothelzellproliferation, die Angiogenese, die Fibroblastenproliferation und die Kollagenbildung. TH2-Zytokine lassen sich demgegenüber im Wundbereich erst später nachweisen, wenn nicht mehr der Infektionsschutz im Vordergrund steht, sondern die Reparation des Gewebes (Park und Barbul 2004; Wynn 2015).
Kiecolt-Glaser et al. (1995) konnten an chronisch gestressten Frauen (Pflegende von Alzheimer-Patienten) zeigen, dass die Heilung einer 3,5 mm großen Stanzbiopsie am Unterarm bei den Pflegenden im Vergleich zu Kontrollpersonen um 24 % länger dauerte (49 vs. 39 Tage). In einer Folgestudie konnte darüber hinaus nachgewiesen werden, dass bei derartig gestressten Frauen innerhalb der ersten 24 h in der Wunde selbst signifikant weniger IL-1α und IL-8 freigesetzt wurden als bei Kontrollpersonen (Glaser et al. 1999).
Weiter wiesen Kiecolt-Glaser et al. (2005) an Ehepaaren unter Laborbedingungen nach, dass eine eheliche Auseinandersetzung im Vergleich zu einer zuvor stattgefundenen positiven, unterstützenden Interaktion mit einer verzögerten Wundheilung (Unterarmvorderseite) und einer verminderten Produktion von IL-6, IL-1β und TNF-α in der Wunde assoziiert war. Die Autoren folgern darüber hinaus, dass der Einfluss von Eheproblemen auf immunologische Faktoren und Gesundheit unter natürlichen Bedingungen noch deutlicher sein dürfte: Wirklich unglückliche Ehepaare erklären sich seltener bereit, gemeinsam an einer Studie teilzunehmen, und Auseinandersetzungen in den eigenen vier Wänden dürften zudem deutlich heftiger ablaufen und länger andauern als im Labor.
Die PNI-Ergebnisse zum Zusammenhang zwischen Wundheilung und Stress (Effektgrößen von 0,30–0,74; Glaser et al. 1999) lassen mit verstehen, warum Furcht und Stress vor Operationen negative Auswirkungen auf postoperative Verweilzeiten in der Klinik, postoperative Komplikationen und die Wahrscheinlichkeit einer Rehospitalisierung haben.
6.5.3
PNI und atopische Erkrankungen
Allergische Psychoneuroimmunologieatopische ErkrankungenAtopische ErkrankungenPsychoneuroimmunologieReaktionen vom Typ 1 (SoforttypAllergische Reaktionen, Soforttyp) wie z. B. allergisches Asthma
Asthma bronchialeallergisches, atopische Dermatitis
Atopische DermatitisZytokinüberproduktion (Ekzem
Ekzem), allergische Rhinitis
Rhinitis, allergische (Zytokinüberproduktion) und
UrtikariaZytokinüberproduktionUrtikaria sind durch eine Überproduktion der TH2-Zytokine IL-4, IL-5, IL-6, IL-9, IL-10 und IL-13, durch vermehrte IgE-Bildung und erhöhte Histamin-Konzentrationen gekennzeichnet (
Elenkov und Chrousos 1999;
Busse und Lemanske 2001). Die stressbedingte Verschiebung von TH1- zur TH2-Immunexpression stellt somit eine „proallergische“ und „proasthmatische“ Bedingung dar (
Elenkov und Chrousos 1999). Es ist empirisch gut belegt, dass Stress und Depression mit einer erhöhten Anfälligkeit gegenüber atopischer Dermatitis, allergischer Rhinitis und Asthma bronchiale einhergehen (
Wright et al. 2005).
Die PNI der atopischen Erkrankungen ist besonders mit frühkindlichem Stress, einer gestörten Immunentwicklung und dem Auftreten von Asthma bronchiale in der Kindheit verbunden (
Schubert 2014). Biopsychosoziale Belastungen in kritischen frühen Zeiträumen (fetal, neonatal) verändern im Kind dauerhaft die epigenetische Programmierung der HPA-Achse und in der Folge auch des autonomen Nervensystems und des Immunsystems über spezifische Genmuster (z. B. zytosolische Glukokortikoid-Rezeptoren) (
Karrow 2006).
Chronischer Stress während einer SchwangerschaftSchwangerschaftchronischer Stress überschwemmt das sich im Fetus entwickelnde Immunsystem mit maternalen Stresshormonen, was zu einer kritischen proallergischen TH2-Immunlage und zu IgE-Erhöhungen führt (von Hertzen 2002; Wright und Enlow 2008). Zudem konnte gezeigt werden, dass nicht nur chronischer maternaler Stress während der Schwangerschaft prädiktiv für erhöhte IgE-Spiegel im Nabelschnurblut sind, sondern auch eine in der Kindheit und Jugend der Mutter zurückliegende Traumatisierung (Sternthal et al. 2009). Weiter ließ sich bei atopischen, nicht jedoch bei gesunden Müttern in der Schwangerschaft nachweisen, dass Stress in Verbindung mit Allergenen (Hausstaubmilbe) die IgE-Konzentrationen im Nabelschnurblut synergistisch erhöht (Peters et al. 2012).
Atopische ErkrankungenIgE-AnstiegAngestiegene IgE-Konzentrationen in den ersten Jahren nach der Geburt gelten als Indikator dafür, dass sich im Kind ein atopischer Phänotyp entwickelt (Burrows et al. 1995). Hierbei dürften nicht nur die Allergenexposition selbst, sondern eine Reihe weiterer Umgebungsfaktoren (z. B. Rauchen der Mutter, das Ausmaß an erlebten Infektionen und psychischem Stress) eine wichtige Rolle spielen. Wright et al. (2004) untersuchten hierzu 2- bis 3-jährige Kinder aus Familien mit allergischer oder asthmatischer Erkrankung in der Anamnese. So zeigten Kinder erhöhte IgE-Konzentrationen (> 100 IU/ml), wenn sich die Betreuungspersonen (zumeist die Mütter) in den ersten 18 Monaten nach der Geburt des Kindes verstärkt gestresst gefühlt hatten (Wright et al. 2004).
Asthmatische Kinder, die belastenden Lebensereignissen ausgesetzt waren, zeigten Untersuchungen zufolge
-
•
begleitend angestiegene IL-4-, IL-5- und IFN-γ-Werte (Ex-vivo-Bildung in Blutmonozyten),
-
•
ein häufigeres Auftreten der Asthmasymptome sowie
-
•
eine 9,5- bzw. 5,5-fache Verminderung der leukozytären β2-Adrenorezeptor- und Glukokortikoid-Rezeptor-mRNA, wenn gleichzeitig ein ausgeprägter chronischer Stress in der Familie vorhanden war (Miller und Chen 2006; Marin et al. 2009). β2-Adrenorezeptoren bewirken u. a. eine Relaxation der glatten Bronchialmuskulatur. β2-Adreno- und Glukokortikoid-RezeptorenGlukokortikoid-RezeptorenBeta-2-Adrenorezeptoren befinden sich darüber hinaus auf TH2-Lymphozyten. Hier modulieren sie die Freisetzung von IL-4, IL-5 und IL-13 nach allergener Reizung. Weiter befinden sich β2-Adrenorezeptoren auf Mastzellen. Mastzellen schütten bei Aktivierung Histamin aus und rekrutieren/aktivieren dazu eosinophile Granulozyten. Eine stressbedingte Minderung von β2-Adreno- und Glukokortikoid-Rezeptoren erhöht daher nicht nur das Risiko für Entzündungen und eine Konstriktion der Luftwege, sondern kann auch zu einer Resistenz gegenüber der gängigen Medikation bei Asthma (β-Agonisten, Glukokortikoide) führen. Für einen langfristigen Krankheitsverlauf bedeutet dies eine erhöhte Morbidität, verbunden mit einem gesteigerten Mortalitätsrisiko.
In Studien, in denen bei adoleszenten und erwachsenen Atopikern Immunparameter unter psychisch belastenden Bedingungen bestimmt wurden, finden sich sowohl Anzeichen für eine erhöhte TH2-Immunität als auch für eine erhöhte TH1-Immunität (Übersicht in Schubert 2015a). Werden die HPA-Achsensysteme allergischer Kinder und Erwachsener unter Laborbedingungen funktionell beansprucht, reagieren sie mit verminderten Kortisolwerten (Buske-Kirschbaum et al. 2003).
Resümee
Es lässt sich zum Thema PNI bei atopischen Erkrankungen mit Schwerpunkt Asthma bronchiale resümieren, dass das HPA-Achsensystem in der Zeit der allergischen Sensibilisierung zunächst hyperresponsiv und mit erhöhter TH2-Immunität assoziiert ist (Buske-Kirschbaum et al. 2004).
In der Phase der Chronifizierung der allergischen Erkrankung, die aufgrund von permanentem Stress (u. a. Entzündungsstress, andauernder familiärer Stress, psychische Belastung durch die Erkrankung selbst) eine ständige biochemisch, neuronal und hormonell gesteuerte Aktivierung der HPA-Achse zur Folge hat, nimmt die stressregulatorische Funktion der HPA-Achse jedoch zunehmend ab und wird hyporesponsiv.
Solch eine Stresssystemunterfunktion bedeutet erhöhte Blut- und Gewebewerte an proinflammatorischen TH1-Zytokinen (Buske-Kirschbaum et al. 2003; Buske-Kirschbaum 2009) verbunden mit dem hohen Risiko, in frühen Lebensjahren schwere Entzündungsepisoden durchstehen zu müssen (Ershler und Keller 2000).
6.6
PNI der Entzündung
Die PsychoneuroimmunologieEntzündung, chronischeEntzündungPsychoneuroimmunologieproinflammatorischen ZytokineZytokineproinflammatorische IL-6, IL-1 und TNF-α fördern nicht nur lokal Entzündungs- und Wundheilungsprozesse (z. B. durch das Dirigieren von Immunzellen an den Ort der Infektion oder Schädigung), sondern regulieren auch systemisch die mit inflammatorischen Prozessen verbundenen Stoffwechsel- und Körpertemperaturveränderungen: Sie induzieren in der Leber die Bildung von Akute-Phase-Proteinen (u. a. CRP, Haptoglobin, Fibrinogen) und hemmen die Bildung von Albumin; sie stimulieren die Freisetzung von Neutrophilen aus dem Knochenmark, induzieren im Hypothalamus Fieber und andere Krankheitssymptome (sickness behavior), Sickness BehaviorHPA-AchseHPA-Achse, Sickness Behavioraktivieren die HPA-Achse und die Freisetzung von Kortisol (u. a. immunsuppressiv, diabetogen), fördern die Koagulation und mobilisieren die für die Temperaturerhöhung notwendige Energie durch Katabolismus in Fettgewebe und Muskulatur (Kachexie, Muskelschwund; Murphy et al. 2008). Wenn diese im Rahmen von akuten Infektionen prinzipiell zum Schutz des Organismus eingerichtete Wirkung der proinflammatorischen Zytokine unangemessen stark wirkt und lang andauert, die EntzündungEntzündungAltern, beschleunigtes also nicht abklingt („silent inflammation“), kann dies den Organismus schädigen und zum beschleunigten Altern beitragen („inflamm-aging“) (Franceschi et al. 2007).
6.6.1
Depression und Stress fördern Entzündung
Es gibt mittlerweile ausreichend Belege dafür, dass StressDepressionPsychoneuroimmunologieDepressionDepression/depressive StörungenStress(reaktivität)Depression/depressive StörungenPsychoneuroimmunologieDepression, PsychoneuroimmunologieAngststörungenAngst(störungen)PsychoneuroimmunologieAngst und psychische Belastung die Bildung von proinflammatorischen Zytokinen, insbesondere von IL-6, stimulieren und damit Entzündungsprozesse unterhalten können (Kiecolt-Glaser et al. 2003).
Dabei weist einiges darauf hin, dass β-adrenerge Rezeptoren auf Leukozyten, Fettzellen und Muskelzellen, die durch Katecholamine aktiviert werden können, eine wichtige Rolle bei der Regulation der Freisetzung proinflammatorischer Zytokine spielen (Papanicolaou et al. 1998). Eine von Zorrilla et al. (2001) zum Zusammenhang zwischen Depression (Major Depression)/naturalistischem Stress und Immunaktivität durchgeführte Metaanalyse von mehr als 180 Studien zeigt, dass Depression und Stress nicht nur mit einer Suppression (verminderte mitogene Stimulierung der Lymphozyten, verminderte NK-Zellzytotoxizität), sondern auch mit einer Steigerung der zellulären Immunaktivität (absolute Leukozytose, Anstieg der CD4/CD8-Ratio, IL-6-Erhöhung) assoziiert sind. In einer Metaanalyse von Steptoe et al. (2007) ließ sich darüber hinaus an 30 Studien belegen, dass akuter experimenteller StressStressCRP-Spiegel robust mit erhöhten Serumkonzentrationen von IL-6 (r = 0,19) und IL-1β (r = 0,58) (proinflammatorische MarkerInterleukineStress) sowie tendenziell mit erhöhten CRPCRP (C-reaktives Protein)Stress-Serumkonzentrationen (r = 0,12) korreliert. Kein nennenswerter Zusammenhang zeigte sich zwischen akutem Stress und TNF-α-Serumspiegeln (r = 0,05).
Frauen, die mit der Pflege von Angehörigen belastet waren, wiesen höhere IL-6-Konzentrationen auf als Personen, die unter normalem Alltagsstress standen (Umzugsstress) oder nicht gestresst waren (Lutgendorf et al. 1999). Dabei war der durchschnittliche IL-6-Spiegel dieser besonders belasteten Frauen fast doppelt so hoch wie der kritische IL-6-Spiegel von 3,19 pg/ml, der bei Harris et al. (1999) mit einem verdoppelten Risiko (Odds-Ratio = 2,6) von Personen > 65 Jahre verbunden war, innerhalb von 5 Jahren zu sterben (unabhängig von Risikofaktoren wie Alter, BMI, Rauchen, Diabetes, kardiovaskuläre Erkrankung, Fibrinogen, Albumin, Leukozytenzahl). In einer Studie von Kiecolt-Glaser et al. (2003) wurden Personen mit PflegestressPflegestress, chronischer (9,7 h/Tag seit 4,9 Jahren) und Kontrollpersonen ohne Pflegestress (Durchschnittsalter der gesamten Stichprobe 71 Jahre) über einen Zeitraum von 6 Jahren (zwei Messungen pro Jahr) untersucht. Da einige der von den Versuchspersonen gepflegten Angehörigen während der Studie verstarben, konnten auch die IL-6-Verläufe nach dem Sistieren des Pflegestresses untersucht werden.
Diese Studie zeigte, dass Personen unter Pflegestress eine 4-mal so hohe Rate an IL-6-Anstiegen pro Jahr aufwiesen, was sich auch nach dem Tod der Angehörigen und der Beendigung des Pflegestresses nicht änderte. Mögliche Gründe hierfür könnten neben langfristig veränderten biologischen Mechanismen chronische Depression und Einsamkeit bei den Betroffenen nach dem Tod der zu pflegenden Angehörigen gewesen sein. Die Ergebnisse waren unabhängig von anderen Faktoren, die mit chronisch erhöhten IL-6-Spiegeln in Verbindung stehen können, z. B. Rauchen, Bewegungsmangel, Schlafstörung und hoher BMI (Kiecolt-Glaser et al. 2003).
Was geschieht im Zellkern der Immunzellen von Personen, die unter PflegestressPflegestress, chronischerMortalitätsrisiko stehen und vorschnell altern? Die Länge der Telomere, d. h. der kleinen stabilisierenden DNA-Kappen an den Enden von Chromosomen, werden bei allen Menschen mit fortschreitendem Alter immer kürzer, da sie mit jeder Zellteilung nie vollständig miterneuert werden. Je kürzer bei Menschen > 60 Jahre die Telomere in der Blut-DNA waren, umso höher war das Sterberisiko (Cawthon et al. 2003). Epel et al. (2004) untersuchten Frauen mit Pflegestress (Mütter von chronisch erkrankten Kindern) im Vergleich zu Kontrollpersonen: Je länger der Pflegestress objektiv bereits andauerte und je belasteter sich die Probandinnen einschätzten, desto mehr oxidativem StressStressoxidativerOxidativer Stress waren sie ausgesetzt, desto kürzer waren die Telomere in den Immunzellen (PBMC) und desto geringer war die Aktivität der Telomerase, eines für die Länge der Telomere verantwortlichen Enzyms.
Die subjektiv am meisten gestressten Frauen (höchste Quartile) wiesen eine TelomerverkürzungStressTelomerverkürzung von 550 Basenpaaren auf, was einer Lebenszeitverkürzung von etwa 9–17 Jahren entspricht (Iwama et al. 1998). Darüber hinaus ließ sich bei diesen Frauen ein signifikanter Zusammenhang zwischen reduzierter Telomeraseaktivität und erhöhter SNS-Aktivität sowie kardiovaskulären Risikofaktoren (u. a. Rauchen, schlechte Lipidwerte, hoher systolischer Blutdruck) nachweisen (Epel et al. 2006).
Was die Ergebnisse zum Zusammenhang zwischen psychologischen Faktoren und DNA-Schädigung durch oxidativen Stress betrifft, wird auf eine Übersichtsarbeit von Gidron et al. (2006) verwiesen.
6.6.2
PNI und chronische Entzündung: Herz
PsychoneuroimmunologieHerz-Kreislauf-ErkrankungenWer eine schwere Herzerkrankung hat und gleichzeitig depressiv ist, ist besonders gefährdet, ein möglicherweise tödliches kardiales Ereignis zu erleiden. Klinisch StressEntzündungEntzündungchronischedepressive Patienten mit akutem Koronarsyndrom, akutesStressKoronarsyndromStressKoronarsyndrom (AKS) weisen im Vergleich zu psychopathologisch unauffälligen Patienten innerhalb von 1 Jahr ein mehr als 4-fach erhöhtes Herzinfarkt- und Mortalitätsrisiko auf, und dies unabhängig von der Schwere ihrer kardialen Erkrankung, dem Therapieregime und einschlägigen weiteren Risikofaktoren (Lespérance et al. 2000). Darüber hinaus konnte eine lineare Beziehung zwischen dem Schweregrad von depressiven Symptomen kurz nach einem HerzinfarktHerzinfarkt(patienten)Depression und der Mortalitätsrate nach 5 Jahren nachgewiesen werden, in der selbst subklinische Depressivität mit erhöhter Mortalität assoziiert war (Lespérance et al. 2002).
Bei der Verbindung zwischen DepressionDepression/depressive Störungenkardiale Morbidität/Mortalität und kardialer Morbidität und Mortalität dürfte die depressions-/stressbedingte Aktivierung von Entzündungsprozessen (z. B. CRP, IL-6, TNF-α) pathophysiologisch von Bedeutung sein.
Proinflammatorische Zytokine und co-stimulatorische Signale (CD40L-CD40) veranlassen z. B. Makrophagen zur Freisetzung von MetalloproteinasenMetalloproteinasen (MP), die eine Destabilisierung von arteriosklerotischen Plaques zur Folge haben. Des Weiteren führen proinflammatorische Zytokine zur Vasokonstriktion und Blutdruckanstieg, beides Faktoren, die ebenfalls mit einem Aufbrechen von Plaques in Verbindung stehen. Auch sind Makrophagen und Zytokine (z. B. TNF-α) mit Plättchenaggregation und so gesehen mit der Gefahr der ThrombosebildungThrombosebildung verbunden (Gidron et al. 2003).
Die Ergebnislage zum Thema Entzündung und DepressionHerz-Kreislauf-ErkrankungenEntzündung und Depression bei kardiovaskulären ErkrankungenKardiovaskuläre Erkrankungen ist jedoch inkonsistent. Depressive Patienten mit Herzinsuffizienz und linksventrikulärer systolischer Dysfunktion wiesen im Vergleich zu psychopathologisch unauffälligen Herzpatienten höhere TNF-α- und sFasL-Plasmakonzentrationen sowie niedrigere IL-10-Plasmaspiegel auf. Keine Unterschiede zwischen den Gruppen zeigten sich in den Plasmakonzentrationen von IL-6 und FasL (Parissis et al. 2004). Miller et al. (2005) konnten zeigen, dass Patienten, die gerade an einem AKS erkrankt und am depressivsten waren, um mehr als 50 % höhere CRP-Spiegel im Serum aufwiesen als weniger depressive Patienten. Zwischen Depression und IL-6- bzw. TNF-α-Spiegeln fanden sich hingegen keine signifikanten Korrelationen. Frasure-Smith et al. (2007) untersuchten wiederum 741 Patienten, die 2 Monate zuvor an einem AKS erkrankt waren, über einen Nachbeobachtungszeitraum von 2 Jahren: Bei Männern interagierten Depression und CRP-Serumspiegel (nicht jedoch Serum-IL-6-Konzentrationen) synergistisch bzgl. des Risikos eines erneuten schweren kardialen Ereignisses. Bei Frauen mit stabiler KHK hingegen wirkten sich depressive Komorbidität und Inflammation prognostisch weniger ungünstig aus. Bei 984 weiblichen und männlichen Patienten mit KHK konnte jedoch gar kein signifikanter Zusammenhang zwischen Depression und einer Reihe von unterschiedlichen Entzündungsmarkern (Leukozytenzahl, CD40-Ligand, CRP, Fibrinogen, IL-6) festgestellt werden (Whooley et al. 2007).
Untersuchungen legen nahe, dass nicht jede Depressionsform gleichermaßen das kardiale Rückfallrisiko erhöht. Dabei erwies sich die somatische (u. a. Erschöpfung, Appetitverlust), direkt im Anschluss an das kardiale Ereignis auftretende DepressionDepression/depressive Störungensomatische als kardiotoxisch und nicht die bereits vor Auftreten des AKS vorhandene, mehr kognitive/affektive Depressivität (u. a. Pessimismus, Schuld) (Bekke-Hansen et al. 2012; Zuidersma et al. 2012). Diese als somatische Depression bezeichnete Depressionsform dürfte am ehesten dem entsprechen, was eingangs zu diesem Kapitel als atypische DepressionDepression/depressive StörungenSickness BehaviorDepression/depressive Störungenatypische bezeichnet wurde, und dürfte somit in Verbindung mit sickness behavior, also Entzündung, stehen. Die Ergebnislage von Studien, die dies untersuchten, ist inkonsistent. In einer Arbeit von Steptoe et al. (2013) zeigte sich bei Patienten mit einem AKS die Leukozytenzahl, jedoch nicht CRP positiv mit einer nach 3 Wochen aufgetretenen Depression korreliert. Interessanterweise bestand diese Korrelation nur bei jenen Patienten, die noch nie zuvor an einer Depression erkrankt waren. Von den Autoren nicht erwartet, ließen hohe Leukozytenzahlen während des AKS 6 Monate danach auf das Auftreten von Symptomen einer kognitiven DepressionDepression/depressive Störungenkognitive schließen. In einer Studie von Smolderen et al. (2012) korrelierten wiederum 1 Monat nach einem Myokardinfarkt weder somatische noch kognitive depressive Symptome signifikant mit verschiedenen Entzündungsmarkern (high-sensitivity CRP [hs-CRP], Leukozytenzahl).
6.6.3
PNI und chronische Entzündung: Krebs
PsychoneuroimmunologieKrebserkrankungenDepression/depressive StörungenKrebserkrankungenDepression kann die Rezidivrate und die Überlebenszeit bei KrebsKrebserkrankungenDepression negativ beeinflussen. Die Frage, inwieweit Depression auch beim erstmaligen Auftreten einer Krebserkrankung mitbeteiligt sein kann, ist schwer zu untersuchen und erfordert langfristige Verlaufsstudien. Man würde aus den vorliegenden Daten derzeit eher auf einen geringen Einfluss schließen (einzelne Tumorarten ausgenommen) (Irwin 2007). Eine Metaanalyse der Ergebnisse von 31 Studien zum Einfluss von psychosozialen Faktoren auf den Verlauf von Brustkrebs macht trotz kritisch zu hinterfragenden Inkonsistenzen deutlich, dass positive Faktoren wie soziale Unterstützung, Verheiratetsein sowie Verdrängen der Ernsthaftigkeit der Erkrankung und (mäßige) Verleugnung der Erkrankung mit einer besseren Prognose korrelieren. Depression und bewusstes Unterdrücken negativer Emotionen im persönlichen und sozialen Kontext gehen hingegen mit einer geringeren Überlebenswahrscheinlichkeit einher (Falagas et al. 2007).
Das Fazit aus In-vitro- und In-vivo-Untersuchungen zu StressStressKrebserkrankungen und KrebsKrebserkrankungenStress deutet darauf hin, dass die Aktivierung der beiden wesentlichen Stressachsen des menschlichen Organismus, der Sympathikus- und der HPA-Achse, Krebszellen zur Proliferation anregen, eine Chemotherapieresistenz induzieren und Metastasierung fördern kann (Übersicht in Schubert 2015a).
Chronische Entzündungsprozesse und eine anhaltende Verminderung der Immunkompetenz durch depressive Phasen sind wesentliche immunologische Mechanismen, wie sich Depression und psychische Belastung negativ auf eine Krebserkrankung auswirken. Viele der mit Entzündungsvorgängen einhergehenden Prozesse wie die Generierung reaktiver Sauerstoffverbindungen (reactive oxygen species, ROS), Wachstum von differenten Zellen im inflammatorischen Gewebe, Neoangiogenese, Gewebsproteasenaktivität und die übermäßige, zelluläre Bildung von IL-6 und TNF-α stimulieren das Wachstum maligner Zellen. Krebszellen selbst sezernieren IL-6 und TNF-α, die ihrerseits NF-κB aktivieren. Das gesamte Muster dieser zellulären und molekularen Abläufe regt Krebszellen vermehrt zur Proliferation an und unterhält zudem tumorfördernde Entzündungsprozesse im neoplastischen Gewebe (Marx 2004; Costanzo et al. 2005).
Depressive zeigten im Vergleich zu nicht depressiven Krebspatienten und zu einer gesunden Kontrollgruppe die höchsten Serum-IL-6-Konzentrationen (Musselman et al. 2001). Costanzo et al. (2005) wiesen an Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom (Stadien III und IV) (IL-6-Plasmakonzentration: 18,9 pg/ml!) im Vergleich zu Patientinnen mit niedrigmalignem Ovarialkarzinom und gutartigem Ovarialtumor nach, dass IL-6-Konzentrationen signifikant negativ mit gesundheitsbezogenen Lebensqualitätswerten assoziiert waren. Interessanterweise wiesen Patientinnen mit fortgeschrittenem Ovarialkarzinom, die über eine bessere soziale Bindung verfügten, niedrigere IL-6-Werte im Serum und in der Aszitesflüssigkeit auf.
Das subjektiv erlebte Ausmaß an emotionaler Unterstützung und Sich-auf-andere-verlassen-Können, nicht jedoch objektive Anzeichen einer sozialen Einbindung (z. B. Zusammenleben mit Ehepartner oder Kindern, Verheiratetsein) war in einer Gruppe von Patientinnen mit Ovarialkarzinom negativ mit VEGFVEGF (vascular endothelial growth factor)-Konzentrationen assoziiert. Gefühle von Hoffnungs- und Wertlosigkeit (nicht aber aktuelle Depressivität) waren demgegenüber mit erhöhten VEGF-Werten verbunden (Lutgendorf et al. 2002). Ebenfalls mit erhöhten VEGF-Werten (nicht aber mit erhöhten IL-6-Spiegeln) assoziiert zeigte sich erlebte Einsamkeit bei Patienten mit kolorektalem Karzinom (Nausheen et al. 2010). In einer Studie von Lutgendorf et al. (2008) exprimierten tumorassoziierte Makrophagen (TAM) von Patientinnen mit Ovarialkarzinom, die an Depression und erhöhter psychischer Belastung litten, vermehrt Matrix-MetalloproteinasenMatrix-Metalloproteinasen (z. B. MMP-9). Patientinnen hingegen, die eine bessere psychosoziale Unterstützung aufwiesen, zeigten signifikant erniedrigte VEGF- und MMP-9-Werte.
6.6.4
Faktoren zur Verminderung chronischer Entzündung: Wohlbefinden und körperliche Aktivität
Entzündungchronischeprotektive FaktorenEs gibt Faktoren, die zu einer Reduktion der Entzündungsaktivität führen können, dazu gehört vor allem Wohlbefinden. Eudaimonisches WohlbefindenEudaimonisches WohlbefindenWohlbefinden wird nach Ryff (1989) insbesondere mit aktivem Streben nach Selbstverwirklichung (v. a. Zweckbestimmung im Leben, persönliches Weiterkommen) in Verbindung gebracht, während hedonistisches Wohlbefinden mehr mit erreichtem Vergnügen, Glück und Befriedigung zu tun hat. In einer Studie an durchschnittlich 75 Jahre alten Frauen erwies sich das eudaimonische, nicht jedoch das hedonistische Wohlbefinden als prädiktiv für niedrigere IL-6- und lösliche IL-6-Rezeptor-(sIL-6R-)Plasmaspiegel (Friedman et al. 2007).
Überblicksarbeiten zur Beziehung zwischen Religiosität und Lebensdauer zeigen, dass häufiges Aufsuchen religiöser Einrichtungen das Mortalitätsrisiko um durchschnittlich 25 % verringert (McCullough et al. 2000). Dieser Zusammenhang dürfte auf dem besseren Gesundheitsverhalten, der besseren psychischen Gesundheit und den zahlreicheren sozialen Beziehungen religiöser Menschen basieren (Strawbridge et al. 2001). Lutgendorf et al. (2004) untersuchten die prospektive Beziehung zwischen der Teilnahmehäufigkeit an religiösen Veranstaltungen und Mortalität in Bezug zur IL-6-Plasmakonzentration. Dieses Resultat war von anderen Faktoren wie Alter, Geschlecht, Gesundheitsverhalten, chronischer Erkrankung, sozialer Unterstützung und Depression unabhängig.
Starker Alkoholabhängigkeit/-missbrauchchronische EntzündungsaktivitätAlkohol- und Nikotinkonsum, chronische EntzündungsaktivitätNikotinkonsum, Adipositaschronische EntzündungsaktivitätAdipositas und metabolisches Metabolisches Syndromchronische EntzündungsaktivitätSyndrom sind im Erwachsenenalter mit chronisch-inflammatorischer Aktivität assoziiert (Gonzalez-Quintela et al. 2008).
Abstinenz vom Rauchen und exzessivem Alkoholkonsum, Vermeidung von Übergewicht, Hyperglykämie und Bluthochdruck sowie regelmäßige körperliche Aktivität sind demgegenüber Faktoren, die bei Männern mit dem Erreichen einer besonders guten Verfassung im hohen Alter (weder Krankheit noch körperliche oder geistige Einschränkung im Alter von 75–90 Jahren; Willcox et al. 2006) bzw. eines ungewöhnlich hohen Alters (> 90 J.; Yates et al. 2008) verbunden sind.
Körperliche Bewegung mit Aktivierung des Herz-Kreislauf-Systems (aerobe Übungen) im Gegensatz zu reinen Lockerungs- und Kraftübungen über dieselbe zeitliche Distanz (45 min, 3-mal pro Woche, 10 Monate lang) führten bei über 64 Jahre alten Probanden zu Verminderungen in den Serumspiegeln von CRP, IL-6 und IL-18. Diese körperaktivitätsbedingten Veränderungen waren nicht auf die Aktivität der β-adrenergen Rezeptoren oder auf psychosoziale Faktoren (z. B. verringerte Depressivität) zurückzuführen (Kohut et al. 2006).
6.7
Abschließende kritische Wertung
Bei den Studien zur Wundheilung bei Pflegestress wurde deutlich: Dort, wo in der PNI nahe am Ort des Immungeschehens geforscht wird, z. B. direkt im Bereich der Wunde, und dort, wo man davon ausgehen kann, dass die untersuchte Population wirklich psychisch belastet ist, werden in der PNI die robustesten Ergebnisse erreicht. Bereiche wie Krebs, HIV/AIDS, Herz-Kreislauf- und auch Autoimmunerkrankungen (s. hierzu Schubert 2015a) gehören zu den Bereichen der PNI, die bisher zu eher inkonsistenten Resultaten führten. Dies kann z. B. an der noch unzureichend verstandenen Komplexität des T-Helferzell-Systems oder aber an der bisher fehlenden (oder nicht möglichen) ortsspezifischen (z. B. im Darm) Bestimmung der immunologischen Veränderungen liegen. Diesen Erkrankungen sind aber auch die Chronizität und Komplexität gemeinsam – beides Faktoren, die sich mit den Methoden einer an reduzierten biomedizinischen Kriterien orientierten psychoneuroimmunologischen Forschung (u. a. Ausschluss des Subjektiven, Fokus auf Datenmittelung, kein Verlauf u. a.) nicht valide genug untersuchen lassen.
Es steht außer Frage, dass die Erforschung des Immunsystems reproduzierbare skalare Größen erlauben muss, um definierbare Zusammenhänge in Modellsystemen aufzuzeigen, die selbstverständlich immer auch reduktionistische Aspekte aufweisen. Diese skalaren Größen sollten jedoch in Bezug auf das Immunsystem eine Aussage über den Funktionszustand des Systems erlauben und nicht nur die Veränderung eines der vielen redundanten Parameter erfassen. Daher schafft eine derartige Forschung durch ihren Reduktionismus dort widersprüchliche Befunde, wenn unter Krankheit mehr verstanden wird als die Summe biochemischer Aberrationen, wenn nämlich die dem Probanden sehr oft unbewusste Bedeutungsdimension zur zentralen Mittlerinstanz wird und wenn komplexe Prozessdynamiken die funktionellen Zusammenhänge zwischen psychischen und biochemischen Variablen charakterisieren (
Drell et al. 2003;
Schubert et al. 2012;
Schubert 2015b).
Die Aufgabe einer am biopsychosozialen Modell orientierten PNI besteht daher darin, valide systemisch-integrierende Instrumente und Forschungsdesigns zu schaffen, um die latenten Dimensionen der Bedeutung zu erfassen und sie in zeitliche Beziehung zu immunneuroendokrinen Prozessen zu setzen. Als interdisziplinäre Disziplin hat die PNI dabei die Möglichkeit, die methodologischen Errungenschaften der Psychologie und der Biochemie zu integrieren und damit zu einer Auflösung der unvorteilhaften Dichotomisierung zwischen „weichen“ und „harten“ Daten (Adler 2000) beizutragen. Man darf weiterhin gespannt sein, ob und inwieweit es der PNI-Forschung in Zukunft gelingen wird, nicht einfach nur als eine weitere Subdisziplin der Neurowissenschaften zu gelten, sondern als integrative Kraft wesentliche Akzente in der Medizin zu setzen.