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Abb. 77.1

[L217]
Stufen I–V der Virilisierung des weiblichen Genitales durch intrauterine Androgenwirkung bei 46,XX DSD (nach Prader).Sexualdifferenzierung (DSD)Virilisierung
Stufe I: Klitorisvergrößerung
Stufe II: außerdem teilweise Verschmelzung der groben Labien
Stufe III: außerdem tunnelartiger Sinus urogenitalis
Stufe IV: vergrößerter Phallus mit sehr kleinem Sinus urogenitalis
Stufe V: penisartiger Phallus
Die inneren Genitalien sind normal weiblich.
Abb. 77.2

Klassifikation der Phänotypen des 46,XY DSD (aus Sinnecker et al. 1996). Sexualdifferenzierung (DSD)Klassifikation
Abb. 77.3

Genitale einer Patientin (Karyotyp 46,XY) mit inkompletter Gonadendysgenesie.
Abb. 77.4

Patientin (Karyotyp 46,XY) mit kompletter Androgenresistenz (46,XY DSD).
Diagnostisches Vorgehen bei Besonderheiten der SexualdifferenzierungSexualdifferenzierung (DSD)Diagnostik
Diagnostik | Schlussfolgerung | |
Familienanamnese | ||
Indexfälle? Medikamente in der Schwangerschaft? Virilisierung der Mutter in der Schwangerschaft? |
familiäre Formen exogene Faktoren |
|
körperliche Untersuchung | ||
Gonaden tastbar? Sekret aus der Vagina exprimierbar? Virilisierungsgrad? assoziierte Fehlbildungen? |
46,XY DSD Uterus vorhanden Schweregrad des Defekts komplexes Fehlbildungssyndrom |
|
Untersuchung des inneren Genitales | ||
Uterus, Tuben, Vagina vorhanden? (Sonografie, Vaginoskopie, Genitografie) | 46,XY DSD Gonadendysgenesie oder virilisiertes weibliches Individuum (46,XX DSD) ovotestikuläre DSD, AMH-Mangel |
|
Laboruntersuchungen (Basisdiagnostik) | ||
Chromosomenanalyse LH, FSH, Testosteron, DHT, Östradiol 17-OH-Progesteron, Cortisol, Elektrolyte |
Gonadendysgenesie wenig informativ Steroidbiosynthese- u. 5α-Reduktase-2-Defekt, Androgenresistenz adrenogenitales Syndrom (46,XX DSD) |
|
präpuberal | ||
postpubertär | ||
spezielle Diagnostik | ||
HCG-Test: SHBG-Test DNSAnalyse selten notwendig Genitalhautfibroblastenkultur Androgenbindung, 5α-Reduktase-Aktivität Laparoskopie, Gonadenbiopsie |
Testosteron, und Steroidvorstufen | Testosteronbiosynthesedefekte 5a-Reduktase-2-Defekt Androgenresistenz Androgenresistenz, 5a-Reduktase-2-Defekt, Steroidbiosynthesedefekte 46,XY DSD (Androgenresistenz), 5α-Reduktase-2-Defekt, Gonadendysgenesie oder ovotestikuläre DSD |
Testosteron/Dihydrotestosteron | ||
Klassifikation der Phänotypen der 46,XY DSDSexualdifferenzierung (DSD)PhänotypenSexualdifferenzierung (DSD)Klassifikation
(nach Sinnecker et al. 1996, 1997) [L217]
Typ | Phänotyp | Phänotyp/Funktion |
1 | männlich | gestörte Spermatogenese und/oder gestörte Virilisierung in der Pubertät |
2 | vorwiegend männlich | isolierte Hypospadie und/oder Mikropenis und höhergradige Hypospadie, bipartiertes Skrotum |
3 | ambivalent | klitorisähnlicher Mikrophallus, labienähnliches bipartiertes Skrotum, perineoskrotale Hypospadie oder Sinus urogenitalis mit kurzer, blind endender Vagina |
4 | vorwiegend weiblich | Klitorishypertrophie und/oder labiale Fusion, Sinus urogenitalis mit kurzer, blind endender Vagina |
5 | weiblich | keine Virilisierungszeichen präpuberal (in der Pubertät Virilisierung bei 5a-Reduktase-Defekt, Feminisierung bei Androgenrezeptordefekt) |
Differenzialdiagnose der 46,XY DSD, Müller-Strukturen sind vorhanden
Charakterisierung des Hauptsymptoms | weiterführendeNebenbefunde | Verdachtsdiagnosen | Bestätigung der Diagnose |
äußeres Genitale ist mehr oder weniger stark virilisiert | Gonaden und Karyotyp sind männlich, Müller-Strukturen sind vorhanden | partielle (od. gemischte) Gonadendysgenesie 46,XY DSD |
Gonadotropine im Pubertätsalter hoch, Sexualhormone niedrig, Gonadenhistologie |
äußeres Genitale ist komplett weiblich | ausbleibende Pubertätsentwicklung | komplette Gonadendysgenesie 46,XY DSD |
s. o. |
Differenzialdiagnose der 46,XX DSD
Charakterisierung des Hauptsymptoms | weiterführende Nebenbefunde | Verdachtsdiagnosen | Bestätigung der Diagnose |
äußeres Genitale ist mehr oder weniger stark virilisiert | Gonaden, Karyotyp und inneres Genitale sind weiblich | adrenogenitales Syndrom (AGS), CYP21-(21-Hydroxylase-)Defekt | 17α-Hydroxyprogesteron stark erhöht, Androstendion, Testosteron erhöht, DNS-Analyse |
CYP11B1-(11β-Hydroxylase-)Defekt | 11-Desoxycortisol (S) und 11-Desoxycorticosteron (DOC) im Plasma erhöht, Tetrahydro-S und Tetrahydro-DOC im Urin erhöht, DNS-Analyse | ||
zusätzlich Salzverlust | AGS mit Salzverlustsyndrom, CYP21-Defekt | Serum-Na niedrig, Serum-K hoch, Aldosteron niedrig, Plasmarenin hoch, DNS-Analyse | |
äußeres Genitale ist gering virilisiert | wie AGS | 3β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase-Defekt | 17α-Hydroxypregnenolon und Dehydroepiandrosteron (DHEA) erhöht, DNS-Analyse |
transplazentare Virilisierung (exogene oder endogene mütterliche Androgene) | Hormonbefunde normal, klinisch keine Progredienz | ||
wie AGS | Gonaden sind teils männlich, teils weiblich | ovotestikuläre DSD | Gonadenhistologie, Anstieg von Östradiol und Testosteron nach Gonadenstimulation |
Differenzialdiagnose der 46,XY DSD, Müller-Strukturen sind nicht vorhanden
Charakterisierung des Hauptsymptoms | weiterführende Nebenbefunde | Verdachtsdiagnosen | Bestätigung der Diagnose |
äußeres Genitale ist mehr oder weniger stark virilisiert | Gonaden und Karyotyp sind männlich, in der Pubertät Gynäkomastie | partielle Androgenresistenz | LH und Testosteron im Pubertätsalter erhöht, SHBG-Androgenresistenztest, DNS-Analyse |
äußeres Genitale komplett weiblich | dito, in der Pubertät Feminisierung | komplette Androgenresistenz | s. o. |
äußeres Genitale ist mehr oder weniger stark virilisiert oder | dito, in der Pubertät starke Virilisierung, keine Gynäkomastie | Steroid-5α-Reduktase-Defekt | nach hCG-Stimulation T/DHT-Quotient im Serum erhöht, DNS-Analyse |
komplett weiblich | s. o., ausbleibende Pubertätsentwicklung | Leydig-Zell-Hypoplasie (LH-Rezeptordefekt) | nach hCG-Stimulation verminderter oder kein Anstieg von Testosteron und Hormonvorstufen, Cortisol normal, DNS-Analyse |
s. o., schwere NNR-Insuffizienz (Salzverlustkrise, Hyperpigmentation der Haut) | StAR-Protein-Defekt | alle Steroidhormone (Sexualhormone, Cortisol, Aldosteron und Hormonvorstufen) stark vermindert, DNS-Analyse | |
äußeres Genitale ist mehr oder weniger stark virilisiert | NNR-Insuffizienz kann vorkommen | 3β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase-Defekt | 17α-Hydroxypregnenolon und Dehydroepiandrosteron (DHEA) sind (nach Stimulation mit hCG und ACTH) erhöht, DNS-Analyse |
keine NNR-Insuffizienz, im Verlauf hyporeninämischer Hypertonus, hypokaliämische Alkalose | CYP17-(17α-Hydro-xylase-)Defekt | ACTH, DOC, Corticosteron, Progesteron im Plasma hoch, Aldosteron, 17-OHP, Cortisol, Sexualhormone niedrig, DNS-Analyse | |
keine NNR-Insuffizienz, kein Hypertonus, Renin und Kalium normal | CYP17-(17–20-Lyase-)Defekt | 17-OHP und 17α-Hydroxypregnenolon erhöht, DHEA, Androstendion, Testosteron, Östradiol erniedrigt, DNS-Analyse | |
s. o. | 17β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase-Defekt | Quotienten Androstendion/Testosteron und Östron/Östradiol (nach hCG-Stimulation) erhöht, DNS-Analyse |
Besonderheiten der Sexualdifferenzierung
77.1
Symptombeschreibung
77.2
Rationelle Diagnostik
77.2.1
Anamnese
77.2.2
Körperliche Untersuchung
Ist beim Neugeborenen Sekret aus der Vagina exprimierbar, muss ein Uterus vorhanden sein!
77.2.3
Laborchemische Untersuchungen
-
•
Multisteroidanalyse inkl. 17α-Hydroxyprogesteron (AGS?), Testosteron, Testosteronvorstufen und Dihydrotestosteron
-
•
Östradiol
-
•
Gonadotropine (Testosteronbiosynthesedefekt? Funktionsfähiges testikuläres und/oder ovarielles Gewebe vorhanden?)
77.2.4
Technische Untersuchungen
77.2.5
Spezielle Diagnostik
77.2.6
Leitsymptom: Virilisierung des äußeren Genitales, Gonaden, Karyotyp und inneres Genitale sind weiblich virilisiertes weibliches Individuum (46,XX DSD)
-
•
Defekt des Enzyms CYP21: Dabei handelt es sich in über 95 % der Fälle um einen Defekt des Enzyms CYP21 (Cytochrom P450c21, 21-Hydroxylase). Dieses Enzym katalysiert in der Nebennierenrinde die Umwandlung von 17a-Hydroxyprogesteron (17-OHP) zum Cortisol und die Umwandlung von Progesteron zum Aldosteron. Aufgrund des vor dem Enzymdefekt angestauten Substrats (17-OHP) kommt es zur vermehrten Bildung der Androgene Androstendion und Testosteron und dadurch zur Virilisierung des äußeren Genitales weiblicher Individuen. Die klinische Symptomatik entspricht, je nach Schweregrad des Enzymdefekts, den Folgen der vermehrten Androgenwirkung und den Folgen des Cortisol- und eventuell auch des Aldosteronmangels. Basal stark erhöhte 17-OHP-Konzentrationen im Serum sind beweisend. Ein ACTH-Stimulationstest ist in der Regel nicht erforderlich. Im Urin ist die Ausscheidung von Pregnantriol erhöht.
-
•
Defekt des Enzyms CYP11B1: Abzugrenzen sind andere Enzymdefekte der NNR. Der zweithäufigste Defekt betrifft das Enzym CYP11B1 (Cytochrom P450c11, 11ß-Hydroxylase). Aufgrund einer gestörten Umwandlung von 11-Desoxycortisol (S) zu Cortisol und von 11-Desoxycorticosteron (DOC) zu Corticosteron kommt es zu einer vermehrten Androgenproduktion, die beim Mädchen zur intrauterinen Virilisierung führt. Diagnostisch wegweisend sind die erhöhten Konzentrationen von 11-Desoxycortisol (S) und DOC im Plasma und die erhöhte Ausscheidung von Tetrahydro-S und Tetrahydro-DOC im Urin.
-
•
Defekt des Enzyms 3β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase: Eine geringfügige Virilisierung weiblicher Feten kann bei einem Defekt der 3β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase (3β-HSD2) auftreten. Dieser Enzymdefekt betrifft sowohl die Gluko-und Mineralokortikoidsynthese als auch die Sexualhormonsynthese. Für die Diagnose wegweisend sind die erhöhten Konzentrationen von 17α-Hydroxy-Pregnenolon und Dehydroepiandrosteron (DHEA) im Plasma. Die Bildung des 17α-Hydroxyprogesterons ist blockiert und die Plasmakonzentration daher niedrig. Im Urin kann die Ausscheidung von Pregnan erhöht sein.
77.2.7
Leitsymptom: Gonaden und Karyotyp sind männlich, Müller-Strukturen sind vorhanden
-
•
Je nach Schweregrad der Dysgenesie und konsekutiv unzureichender Sekretion von Testosteron und Anti-Müller-Hormon kommt es auf der betroffenen Seite zu einer unzureichenden Stimulation der Wolff-Gänge und dadurch zu einer Hypoplasie von Samenblase, Samenleiter und Nebenhoden.
-
•
Die im dysgenetischen Hoden immer auch gestörte Sekretion des Anti-Müller-Hormons führt auf der ipsilateralen Seite zur unvollständigen Regression der Müller-Gänge und daher zur Persistenz mehr oder weniger dysplastischer Müller-Strukturen (Tuben, Uterus und oberer Anteil der Vagina).
Die Verdachtsdiagnose inkomplette (gemischte) 46,XY Gonadendysgenesie sollte bei Patienten mit ambivalentem Genitale gestellt werden, wenn Müller-Derivate nachweisbar sind und entweder die Gonaden tastbar sind (das sind dann Hoden) oder ein Y-Chromosom vorhanden ist.
Die Verdachtsdiagnose komplette 46,XY Gonadendysgenesie sollte bei Patienten gestellt werden, die einen normalen männlichen (oder selten auch weiblichen) Chromosomensatz und einen komplett weiblichen Phänotyp (inneres und äußeres Genitale sind normal weiblich) haben.
77.2.8
Leitsymptom: Gonaden und Karyotyp sind männlich, Müller-Strukturen sind nicht vorhanden (46,XY DSD)
Androgenresistenz
Die Verdachtsdiagnose komplette Androgenresistenz (46,XY DSD) sollte bei genetisch männlichen Patienten gestellt werden, die einen äußerlich weiblichen Phänotyp (Abb. 77.4) und eine gute Entwicklung sekundärer weiblicher Geschlechtsmerkmale in der Pubertät haben.
Die Verdachtsdiagnose partielle Androgenresistenz (46,XY DSD) ergibt sich bei genetisch männlichen Patienten, die ein Maskulinisierungsdefizit aufweisen und bei denen kein Uterus vorhanden ist.
5α-Reduktase-2-Defekt
Testosteronbiosynthesedefekt
StAR-Protein-Defekt
3β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase-Defekt
17α-Hydroxylase-Defekt
17,20-Lyase-Defekt
17β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase-Defekt
Leydig-Zell-Hypoplasie
77.3
Testverfahren
77.3.1
hCG-Test
77.3.2
Screening-Test
77.3.3
Langer hCG-Test
77.3.4
hMG-Test
77.3.5
SHBG-Androgenresistenztest
77.4