© 2021 by Elsevier GmbH
Bitte nutzen Sie das untenstehende Formular um uns Kritik, Fragen oder Anregungen zukommen zu lassen.
Willkommen
Mehr InformationenB978-3-437-22061-6.50366-9
10.1016/B978-3-437-22061-6.50366-9
978-3-437-22061-6
Elsevier Inc.
Zoneneinteilung gemäß Internationaler Klassifikation (15, 18–20)
Zone I:
Die zentrale Nerzhaut innerhalb eines Kreises um die Papille mit dem Radius des doppelten Abstandes von Papille zu Fovea. Die Fovea ist bei sehr unreifen Kindern schlecht definiert. Wenn mit einer 28 dpt-Lupe nasal die Papille und temporal bereits die Vaskularisationsgrenze gleichzeitig zu erkennen sind, liegt eine Zone-I-Erkrankung vor
Zone II:
Die mittelperiphere Netzhaut peripher von Zone I innerhalb eines Kreises mit dem Radius des Abstandes von Papille zu nasaler Ora serrata
Zone III:
Die periphere Netzhaut außerhalb von Zone II

Stadium 1 | Demarkationslinie |
Stadium 2 | Prominente Leiste |
Stadium 3 | Prominente Leiste und extraretinale fibrovaskuläre Proliferationen |
Stadium 4 | Partielle Amotio retinae
|
Stadium 5 | Totale Amotio retinae |
Augenärztliche Screening-Untersuchung von Frühgeborenen
Die Frühgeborenen-Retinopathie (Retinopathia praematurorum, RPM) ist Folge einer gestörten retinalen Gefäßentwicklung, bedingt durch Frühgeburtlichkeit. Das klinische Bild der Erkrankung ist gekennzeichnet durch eine akute Phase in den ersten Lebensmonaten, während der es in einigen Fällen zu einer raschen Befundverschlechterung kommen kann. An die akute Phase kann sich eine lebenslange Narbenphase anschließen. In der Mehrzahl der Fälle bilden sich die Netzhautveränderungen der akuten Phase spontan zurück (9, 13) (Empfehlungsgrad A, Evidenzstärke I). Fortgeschrittene Befunde können zu ausgeprägten Funktionsminderungen bis zur Erblindung führen. Mit der Koagulationstherapie in definierten Stadien der akuten Phase steht heute eine Behandlungsmethode zur Verfügung, die die Häufigkeit eines ungünstigen Ausgangs der Erkrankung zu reduzieren vermag (2, 3, 7) (Empfehlungsgrad A, Evidenzstärke I). Die Laserkoagulation erwies sich in mehreren Publikationen in Bezug auf das anatomische und funktionelle Ergebnis der Kryokoagulation überlegen (5, 8, 10, 14) (Empfehlungsgrad A, Evidenzstärke II).
Die sichere und rechtzeitige Diagnosestellung therapiebedürftiger RPM-Stadien ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Koagulationstherapie. Nur ein sorgfältiges Screening aller Risikofrühgeborenen durch Augenärzte, die in dieser speziellen Diagnostik erfahren sind, ermöglicht es, therapiebedürftige RPM-Stadien zeitgerecht zu erkennen. Die rechtzeitige Koagulationstherapie ist bisher der einzige, durch prospektive Untersuchung gesicherte Weg, die RPM-bedingte Erblindungsrate zu senken. Die vorliegende Leitlinie ersetzt die gemeinsame Empfehlung von 1999 (1) mit dem Ziel, neue evidenzbasierte Ergebnisse zur augenärztlichen Behandlung der RPM einzuarbeiten und durch die Modifikation bisheriger Therapiekonzepte die Prognose für Kinder mit RPM zu verbessern (Empfehlungsgrad A, Evidenzstärke III). Diese Leitlinie entspricht im Wesentlichen den aus der ETROP-Studie abgeleiteten Behandlungsempfehlungen für Augen mit Veränderungen in der Zone I (16) (Empfehlungsgrad A, Evidenzstärke 1).
In der Zone II bleiben die Kriterien der alten Leitlinie von 1999 (1) unverändert, die den Behandlungskriterien der Cryo-ROP-Studie (2, 3) (Empfehlungsgrad A, Evidenzstärke I) in Bezug auf die Anzahl der mit Stadium 3 betroffenen Stunden entspricht (Empfehlungsgrad A, Evidenzstärke III). Die ETROP-Studie konnte für Augen mit einem Stadium 3+ und 2+ keinen signifikanten Unterschied zwischen früh- und konventionell behandelten Augen bezüglich des anatomischen und funktionellen Ergebnisses nachweisen (16) (Empfehlungsgrad A, Evidenzstärke I).
ANFORDERUNGEN AN DEN AUGENÄRZTLICHEN UNTERSUCHER (EMPFEHLUNGSGRAD A, EVIDENZSTÄRKE III)
•
der Untersuchung von Frühgeborenen, Säuglingen und Kleinkindern,
•
der indirekten Ophthalmoskopie,
•
der speziellen Diagnostik der RPM, deren Klassifikation (s. Tab. B19-1 und Abb. B-19-1) sowie den aktuellen Behandlungskriterien.
SCREENING AUF AKUTE RPM
Kriterien zur Auswahl Frühgeborener zum RPM-Screening
•
Frühgeborenen mit einem Gestationsalter unter 32 Wochen (bei nicht sicher bekanntem Gestationsalter ≤ 1500 g Geburtsgewicht) unabhängig von einer zusätzlichen Sauerstoffgabe (9, 11, 13) (Empfehlungsgrad A, Evidenzstärke I),
•
Frühgeborenen zwischen 32 und 36 Wochen Gestationsalter, wenn postnatal mehr als drei Tage Sauerstoff gegeben wurde (Empfehlungsgrad A, Evidenzstärke III).
Terminierung der augenärztlichen Untersuchungen (Empfehlungsgrad A, Evidenzstärke I)
Erstuntersuchung
a.
Wöchentlich bei:
–
Vaskularisationsgrenze in Zone I oder zentraler Zone II ohne oder mit RPM,
–
Vaskularisationsgrenze in Zone II mit RPM Stadium 2 oder 3,
–
jeder RPM mit „plus disease”.
–
Kürzere Kontrollabstände als eine Woche können bei rasch progredienter Retinopathie und/oder sehr unreifer Netzhaut nötig sein.
b.
Zweiwöchentlich bei:
–
Vaskularisationsgrenze in peripherer Zone II ohne RPM oder mit RPM Stadium 1.
–
Vaskularisationsgrenze in Zone III ohne oder mit RPM.
c.
Längere Untersuchungsabstände:
Die unter a. und b. genannten Untersuchungsabstände können um eine Woche verlängert werden,
–
falls über mehrere Untersuchungstermine ein rückläufiger Befund festgestellt wurde,
–
nach dem errechneten Geburtstermin.
Abschluss der Screening-Untersuchungen auf akute RPM (Empfehlungsgrad A, Evidenzstärke I)
•
die Netzhaut peripher zirkulär vollständig vaskularisiert ist,
•
eine deutliche Regression der peripheren Netzhautveränderungen der akuten RPM zu erkennen ist, aber erst nach dem errechneten Geburtstermin.
Untersuchungsablauf
•
Vollständige medikamentöse Pupillenerweiterung (Mydriasis) z.B. durch rechtzeitiges Eintropfen von Augentropfen (Tropicamid 0,5% und Phenylephrin 2,5% oder Atropin 0,1%) in den Bindehautsack (Empfehlungsgrad A, Evidenzstärke II). Zur Applikation der Augentropfen bei Frühgeborenen sind in der Regel zwei Personen erforderlich (Empfehlungsgrad B, Evidenzstärke III). Auf mögliche systemische Nebenwirkungen der Mydriatika ist zu achten, jedoch ist eine ausreichende Mydriasis Grundvoraussetzung für die ophthalmologische Diagnostik (Empfehlungsgrad A, Evidenzstärke III).
•
Abdunkeln des Untersuchungsraumes (Empfehlungsgrad A, Evidenzstärke III).
•
Applikation von lokalanästhetischen Augentropfen in den Bindehautsack unmittelbar vor Einsetzen eines Lidsperrers oder von Lidhaken (Empfehlungsgrad C, Evidenzstärke III).
•
Halten des Kindes und des Kopfes durch eine zweite Person (z.B. Pflegekraft, Elternteil). Eine Untersuchung im geschlossenen Inkubator lässt in der Regel lediglich eine orientierende Diagnostik zu und sollte daher nach Abwägung der Risiken nur ausnahmsweise erfolgen. Bei der Betreuung von Frühgeborenen auf der neonatologischen Intensivstation sollte eine Krankenpflegekraft der Intensivstation unmittelbar zur Verfügung stehen (Empfehlungsgrad C, Evidenzstärke III).
•
Augenspiegelung durch indirekte binokulare Ophthalmoskopie. Die binokulare Ophthalmoskopie erlaubt dem Untersucher neben einer stereoskopischen Beurteilung der Augenhintergrundsbefunde die Rotation und die Indentation des Bulbus ohne weitere Hilfsperson (Empfehlungsgrad A, Evidenzstärke III).
•
Die digitale Dokumentation mit einer Weitwinkelkamera des vorderen Augenabschnittes und des Augenhintergrundes ist ein neues Verfahren des RPM-Screenings. Der Einsatz dieser Technik setzt umfangreiche Erfahrung voraus (Empfehlungsgrad C, Evidenzstärke II).
Durchführung der Untersuchung (Empfehlungsgrad A, Evidenzstärke III)
-
•
Beurteilung der vorderen Augenabschnitte: Pupillenweite, Tunica vasculosa lentis, Irishyperämie, Rubeosis iridis, Iris-Linsen-Synechien, Katarakt, Glaskörpertrübungen. Irishyperämie, Rubeosis iridis und erweiterte Gefäße der Tunica vasculosa lentis können auf ein therapiebedürftiges RPM-Stadium hinweisen.
-
•
Beurteilung der zentralen Netzhaut: Vaskularisationsgrenze, „plus disease”, Verziehung der Netzhautgefäße (Winkel zwischen den temporalen Gefäßbögen), Amotio retinae.
-
•
Beurteilung der peripheren Netzhaut zirkulär: Vaskularisationsgrenze, RPM-Ausprägung, Ausdehnung, retinale und/oder vitreale Blutungen, Gefäßschlängelung, Gefäßdilatation, Amotio retinae.
-
•
Einordnung und Dokumentation der erhobenen Befunde gemäß der Internationalen Klassifikation (s. Tab. B19-1 und Abb. B19-1) (15, 18–20): Lokalisation (Zone), Ausdehnung (Uhrzeiten), Stadium und so genannte zusätzliche Befunde. Zu beachten ist, dass die Zone-I-Erkrankung rasch progredient verlaufen kann und nicht die in der Internationalen Klassifikation beschriebenen Stadien durchlaufen muss, so dass Stadium 1 (Demarkationslinie) und Stadium 2 (Leiste) ophthalmoskopisch schwer zu erkennen und einzuordnen sind (aggressive posteriore RPM). Ein alarmierendes Zeichen der Zone-I-Retinopathie ist häufig die Ausbildung pathologischer Gefäßmuster an der Vaskularisationsgrenze. Eine Fehleinschätzung des Vaskularisationsgrades kann sich zudem durch eine Verwechslung von Aderhaut- mit Netzhautgefäßen ergeben.
-
•
Festlegung des weiteren Vorgehens durch
–
Terminierung eines Kontrolltermins zur erneuten augenärztlichen Untersuchung,
–
Indikationsstellung und Terminierung einer Koagulationstherapie, gegebenenfalls Veranlassung und/oder Organisation einer Konsiliaruntersuchung in einem kinderophthalmologischen bzw. retinologischen Zentrum mit Angabe der Dringlichkeit,
–
Abschluss des Screenings.
Indikationen zur Koagulationstherapie
•
in Zone III ist eine Therapie in der Regel nicht erforderlich (2, 9) (Empfehlungsgrad A, Evidenzstärke I).
•
in Zone II ist die Therapie indiziert bei Erreichen von Stadium 3+, wenn extraretinale Proliferationen mittelschwerer Ausprägung über mindestens 5 zusammenhängende oder 8 unzusammenhängende Stunden in Verbindung mit „plus disease” (Gefäßerweiterung und Tortuositas am hinteren Augenpol über mindestens 2 Quadranten) vorliegen („threshold disease”) (2) (Empfehlungsgrad A, Evidenzstärke I). Im Einzelfall kann eine frühere Therapie angezeigt sein (z.B. bei rascher Progression, beginnender Verziehung der Netzhaut) (20) (Empfehlungsgrad A, Evidenzstärke I).
•
in Zone I ist die Therapie indiziert bei Vorliegen von „plus disease” in mindestens 2 Quadranten unabhängig vom Stadium oder bei Vorliegen eines Stadium 3 ohne „plus disease” (16) (Empfehlungsgrad A, Evidenzstärke I).
•
Wegen der Seltenheit einer Zone-I-Erkrankung, der Befundvariabilität und der schlechten Prognose erfordert die Indikationsstellung zur Therapie in Zone I besondere Erfahrung. Bei Zone-I-Erkrankung sollte daher Rücksprache mit und – wenn aus neonatologischer Sicht möglich – eine Verlegung in ein kinderophthalmologisches bzw. retinologisches Zentrum mit Neonatologie erfolgen.
NACHUNTERSUCHUNGEN BEI EHEMALIGEN FRÜHGEBORENEN (EMPFEHLUNGSGRAD A, EVIDENZSTÄRKE II)
•
halbjährlich im ersten und zweiten Lebensjahr,
•
jährlich ab dem dritten bis zum sechsten Lebensjahr,
•
nach dem sechsten Lebensjahr bei nachweisbaren Augenveränderungen.
ANMERKUNGEN
ANHANG
Glossar
Glossar | |
Gestationsalter | Reifealter bei Geburt wird in vollen Schwangerschaftswochen ab dem 1. Tag der letzten Regelblutung angegeben (z.B. 28 Wochen + 5 Tage = 28 SSW) |
Lebensalter | Postnatales Alter |
Postmenstruelles Alter | Summe aus Gestationsalter und postnatalem Alter (irrtümlich wird häufig der Begriff „postkonzeptionelles” Alter verwendet) |
Unreife Netzhaut | Unvollständige Netzhautvaskularisation ohne Vorliegen einer RPM |
Retinopathia praematurorum (RPM) | Unvollständige Netzhautvaskularisation mit typischen Befunden an der Vaskularisationsgrenze und/oder am hinteren Augenpol. (Zur Stadieneinteilung der RPM s. Tab. B19-1) |
„Threshold disease” | Extraretinale Proliferationen mittelschwerer Ausprägung über mindestens fünf zusammenhängende oder acht nicht zusammenhängende Stunden in Verbindung mit „plus disease” |
„Plus disease” | Gefäßerweiterung und Tortuositas am hinteren Funduspol in mindestens zwei Quadranten |
Aggressive posteriore RPM |
|
Zusätzliche Befunde | Rubeosis iridis (vermehrt sichtbare Gefäße der Iris), Glaskörpertrübungen, retinale und/oder vitreale Blutungen, mäßige medikamentöse Pupillenerweiterung |
Tunica vasculosa lentis | Entwicklungsbedingte Gefäßhaut auf der vorderen Linsenkapsel (Membrana epipupillaris) |
RPM-Stadien- und Zoneneinteilung gemäß Internationaler Klassifikation
Dokumentationsbogen
Farbabbildungen typischer Befunde der akuten RPM
Einstufung der dargestellten Empfehlungen
Einstufung der klinischen Relevanz für die Patientenversorgung
Stufe A | äußerst wichtig |
Stufe B | von mäßiger Wichtigkeit |
Stufe C | relevant, aber nicht entscheidend |
Einstufung der Evidenzstärke
Grad 1 | starke Evidenz – entspricht gemäß AWMF + ÄZQ den Evidenzstärken Ia, Ib, IIa, IIb |
Grad 2 | beträchtliche Evidenz – entspricht gemäß AWMF + ÄZQ der Evidenzstärke III |
Grad 3 | auf Experten-Konsens beruhend – entspricht gemäß AWMF + ÄZQ der Evidenzstärke IV |
Evidenzstärke nach AWMF und AZQ
Stufe | Evidenz aufgrund |
Ia | von Metaanalysen randomisierter, kontrollierter Studien |
Ib | mindestens einer randomisierten, kontrollierten Studie |
IIa | mindestens einer gut angelegten, kontrollierten Studie ohne Randomisierung |
IIb | mindestens einer gut angelegten, quasi-experimentellen Studie |
III | gut angelegter, nicht experimenteller deskriptiver Studien (z.B. Vergleichsstudien, Korrelationsstudien, Fall-Kontrollstudien) |
IV | von Berichten/Meinungen von Expertenkreisen, Konsenskonferenzen und/oder klinischer Erfahrung anerkannter Autoritäten |
Evidenztyp nach AWMF und ÄZQ
Verfahren zur Konsensbildung der Leitlinie von 1998
Letzte Überarbeitung 11/2007
Teilnehmer der ophthalmologischen Arbeitsgruppe
Für die Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin
Korrespondenz:
LITERATUR
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
Schalij-Delfos NE, for the Dutch working group on ROP. In: Van der Velde, ed. Prematuren retinopathie, richtlijn voor screening;: Richtlijn oogheelkunde. Deventer, Uitgava Commissie Kwaliteit van het Nederlands Oogheelkundig Gezelschap 1999. (Evidenzstärke IV)13
14
15
16
17
18
19
20
21