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10.1016/B978-3-437-22325-9.50007-1
978-3-437-22325-9
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Algorithmus für Kinder und Jugendliche mit Verdacht auf Wachstumshormonmangel

Wachstumsgeschwindigkeiten (cm/Jahr) bei präpubertären Jungen im Alter von 10-15 Jahren und bei präpubertären Mädchen im Alter von 8-13 Jahren, Mittelwerte und 1 SD (1)
Alter (in Jahren) | Jungen | Mädchen |
8 | 5,52 ± 0,83 | |
9 | 5,10 ± 0,83 | |
10 | 4,94 ± 0,70 | 4,68 ± 0,82 |
11 | 4,58 ± 0,70 | 4,26 ±0,82 |
12 | 4,22 ± 0,69 | 3,84 ± 0,82 |
13 | 3,86 ± 0,69 | 3,42 ± 0,82 |
14 | 3,50 ± 0,69 | |
15 | 3,14 ± 0,69 |
Diagnostik des Wachstumshormonmangels im Kindes- und Jugendalter (S3)
EVIDENZBASIERTE LEITLINIE DER DEUTSCHEN GESELLSCHAFT FÜR KINDERENDOKRINOLOGIE UND -DIABETOLOGIE (DGKED E.V.) (AWMF-REGISTER-NR. 174-002)
WER SOLL GETESTET WERDEN?
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1.
Vor der Testung der Wachstumshormonsekretion sollen andere endokrine, organische, chromosomale, syndromale, metabolische, ossäre und psychosoziale Ursachen der Wachstumsstörung ausgeschlossen werden (Evidenzstärke IV [4]).
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2.
Der Wachstumshormonmangel im Kindes- und Jugendalter soll primär durch auxologische und klinische Parameter diagnostiziert werden, die sekundär durch laborchemische und radiologische Parameter ergänzt werden sollen (Evidenzstärke IV [4]).
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3.
Der zentrale Parameter für die Diagnostik des Wachstumshormonmangels ist das pathologische Wachstum. Kinder sollen weiter untersucht werden, wenn
•
die Körperhöhe nach anfänglich normalem perzentilparallelem Wachstum unter den Perzentilbereich der Zielgröße abfällt oder
•
die Körperhöhe bei fehlenden früheren Wachstumsdaten unterhalb des Perzentilbereichs der Zielgröße liegt und sich bei nachfolgenden Untersuchungen weiter von dem Perzentilbereich der Zielgröße und/oder des zuletzt erreichten Perzentils entfernt oder
•
die gemessene Wachstumsgeschwindigkeit unterhalb der 25. Wachstumsgeschwindigkeits-Perzentile liegt (Evidenzstärke IV [4]).
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4.
Zur Berechnung der Wachstumsgeschwindigkeit soll das Wachstum über mindestens 6 Monate, vorzugsweise über 12 Monate, beobachtet werden (Evidenzstärke IV [4]).
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5.
Für die Diagnostik des Wachstumshormonmangels soll die Bestimmung des Skelettalters nach Greulich/Pyle oder nach Tanner/Whitehouse zum Nachweis einer Reifungsverzögerung gegenüber dem chronologischen Alter verwandt werden, die im Alter zwischen 4 und 7 Jahren in der Regel mehr als ein ¾ Jahr, im Alter über 7 Jahre mehr als 1 Jahr beträgt, entsprechend einer Reifungsverzögerung > 1 SD (Evidenzstärke IV [4]).
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6.
Bei Kindern, die die auxologischen, klinischen, laborchemischen und radiologischen Kriterien nicht erfüllen, sollten keine Wachstumshormonstimulationstests durchgeführt werden (Evidenzstärke IV [4]).
WIE SOLL INITIAL GETESTET WERDEN?
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7.
Vor der Durchführung invasiver und aufwendiger Wachstumshormonstimulationstests soll die Messung der Konzentrationen von IGF-1 (insulin-like growth factor-1) und IGFBP-3 (insulin-like growth factor binding protein-3) im Serum oder Plasma erfolgen (Evidenzstärke IV [2–12]). Dabei ist zu bedenken, dass auch andere Erkrankungen und Normvarianten des Wachstums mit einer Verminderung der Konzentrationen von IGF-1 und/oder IGFBP-3 einhergehen können. Hierzu gehören u. a.:
•
Hypothyreose
•
Mangel an Sexualhormonen bei Hypogonadismus
•
Konstitutionelle Verzögerung von Wachstum und Pubertät
•
Akute oder chronische Mangelernährung
•
Chronische organische Erkrankungen
•
Schwere Leberfunktionsstörungen
•
Adipositas
•
Schlecht eingestellter Diabetes mellitus
•
Sekundäre Wachstumshormonresistenz im Rahmen anderer Erkrankungen
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8.
Bei der Bestimmung von IGF-1 und IGFBP-3 soll eine Messmethode (z.B. Immunoassay) verwandt werden, für die auf die jeweilige Methode bezogene alters-, geschlechts- und – wenn möglich – pubertätsstadienbezogene Referenzwerte vorliegen. Im Fall von IGF-1 soll der Bestimmung mit immunologischen Verfahren eine Abtrennung oder Blockierung von IGF-Bindungsproteinen vorausgehen (Evidenzstärke IV [28]).
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9.
Wachstumshormonstimulationstests sollen bei Patienten mit den unter 3. genannten auxologischen und klinischen sowie den unter 5. genannten radiologischen Kriterien durchgeführt werden, die niedrige IGF-1- und/oder IGFBP-3-Werte (< –1.0 SDS) haben, wenn die unter 7. genannten alternativen Ursachen ausreichend berücksichtigt wurden (Evidenzstärke IV [4]).
IGF-1- und IGFBP-3-Werte oberhalb von –1.0 SDS machen einen Wachstumshormonmangel unwahrscheinlich. Im Hinblick auf die nachgewiesene Wachstumsstörung sollten weitere Nachuntersuchungen zur Abklärung des pathologischen Wachstums erfolgen (s. Abb. E10-1).
WIE SOLL GETESTET WERDEN?
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10.
Zur Sicherung der Verdachtsdiagnose sollen zwei Wachstumshormonstimulationstests durchgeführt werden (Evidenzstärke IV [4]).
Eine einmalige basale Bestimmung des Wachstumshormons sollte nicht durchgeführt werden, da die pulsatile Ausschüttung von Wachstumshormon starke physiologische Konzentrationsschwankungen dieses Hormons verursacht, sodass Einzelbestimmungen nicht aussagekräftig sind (Evidenzstärke IV [4]).
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11.
Wachstumshormonstimulationstests sollen nach mindestens 6 Stunden nächtlichen Fastens morgens am nüchternen und ruhenden Kind unter standardisierten Bedingungen und sorgfältiger Überwachung durchgeführt werden (Evidenzstärke IV [4]).
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12.
Als Testsubstanzen sollten Arginin, Clonidin, Glukagon oder Insulin verwandt werden (Evidenzstärke III [13]; Evidenzstärke IIb [14, 21–23]). Als alternativer Test zu einem Stimulationstest kann auch die nächtliche Spontansekretion des Wachstumshormons gemessen werden (Evidenzstärke IIb [18, 21]). Der GHRH-Test sollte wegen seiner geringen Sensitivität für die primäre Diagnostik des Wachstumshormonmangels im Kindesalter nicht angewandt werden (Evidenzstärke IIb [24]).
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13.
Besondere Vorsicht muss bei der Testung von Kindern unter 4 Jahren oder beim Einsatz der Testsubstanzen Insulin und Glukagon gelten, da schwere Hypoglykämien auftreten können (Evidenzstärke III [25, 26]).
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14.
Bei Vorliegen
•
einer Aplasie der Adenohypophyse und/oder einer ektop lokalisierten Neurohypophyse,
•
eines Zustands nach Resektion der Hypophyse,
•
eines Zustands nach Durchtrennung des Hypophysenstiels,
•
eines monogenen Wachstumshormonmangels (GH-1, GHRHR, Prop-1, Pit-1 u.a. gut charakterisierte Gendefekte) oder
•
eines eindeutigen Nachweises des Mangels an zwei anderen hypophysären Hormonenkann zur Sicherung der Verdachtsdiagnose auch nur ein einziger Wachstumshormonstimulationstest durchgeführt werden (Evidenzstärke III [15, 16]; Evidenzstärke IV [4]).
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15.
Das Ergebnis eines Wachstumshormonstimulationstests im Kindes- und Jugendalter soll dann als normal gewertet werden, wenn die höchste gemessene Wachstumshormonkonzentration 8 µg/l (8 ng/ml) überschreitet. Dieser Cut-off setzt die Messung mit einem Assay voraus, der den Standard 98/574 (1 mg = 3 IE) als Kalibrator für rekombinantes Wachstumshormon verwendet (Evidenzstärke III [30, 31]).
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16.
Bezüglich der in dieser Leitlinie genannten Laboruntersuchungen wird auf die gültigen Richtlinien der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen verwiesen.
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17.
Ein Priming mit Sexualsteroiden soll vor Wachstumshormonstimulationstests bei präpubertären Jungen (Hodenvolumen < 4 ml) im Alter ≥ 10 Jahren und bei präpubertären Mädchen (Tanner-Stadium B1) im Alter ≥ 8 Jahren durchgeführt werden, da nur dann der Wachstumshormon-Cut-off von 8 µg/l (8 ng/ml) Gültigkeit hat (Evidenzstärke Ib [19]).
Das Priming bei Jungen kann mit der intramuskulären Verabreichung von z.B. 50 mg Testosteron-Enantat i.m. einmalig 7 Tage vor der Testung und beim Mädchen mit der täglichen Gabe von z.B. 1 mg Estradiolvalerat p.o. in den letzten 3 Tagen vor der Testung durchgeführt werden (Evidenzstärke IIb [20]).
Gesunde Kinder mit überdurchschnittlichem BMI (> 0 SDS) haben physiologischerweise eine geringere Wachstumshormonausschüttung als schlanke Kinder.
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18.
Die Diagnose des Wachstumshormonmangels soll nur dann gestellt werden, wenn bei Erfüllung der oben genannten auxologischen, klinischen, radiologischen und laborchemischen Kriterien zwei pathologische Wachstumshormonstimulationstests vorliegen. Beim Vorliegen eines der unter 14. genannten zusätzlichen Kriterien ist ein einziger pathologischer Wachstumshormonstimulationstest ausreichend, um die Diagnose eines Wachstumshormonmangels zu sichern (Evidenzstärke IV [4]).
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19.
Die Verdachtsdiagnose eines Wachstumshormonmangels soll im Falle eines normalen Testergebnisses oder zweier normaler Testergebnisse verworfen und nach alternativen Ursachen der Wachstumsstörung gesucht werden (Evidenzstärke IV [4]).
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20.
Bei Persistenz der Wachstumsstörung (auxologische, klinische, radiologische und laborchemische Kriterien für einen Wachstumshormonmangel sind erfüllt) und dem Vorliegen normaler Wachstumshormonstimulationstests kann der Nachweis einer pathologischen spontanen Wachstumshormonnachtsekretion die Diagnose eines Wachstumshormonmangels im Rahmen einer sogenannten neurosekretorischen Dysfunktion begründen (Evidenzstärke III [27]).
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21.
Eine Wiederholung der Wachstumshormonstimulationstests (Retestung) kann 12 Monate nach normalen Testergebnissen durchgeführt werden, wenn beim Fehlen einer anderen hinreichenden Erklärung der Wachstumsstörung weiterhin der dringende Verdacht auf einen Wachstumshormonmangel besteht (Evidenzstärke IV [4]).
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22.
Bei dokumentiertem Wachstumshormonmangel soll die Kernspintomographie der Hypothalamus-Hypophysen-Region zum Ausschluss eines Kraniopharyngeoms, eines anderen Tumors des Zentralnervensystems oder einer hypophysären Fehlbildung durchgeführt werden (Evidenzstärke IV [4]).
BESONDERHEITEN FüR DAS NEUGEBORENEN- UND SäUGLINGSALTER
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23.
Wachstumshormonstimulationstests sollen im Neugeborenen- und Säuglingsalter nicht angewandt werden, da sie für dieses Alter nicht etabliert sind (Evidenzstärke IV [4]).
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24.
Eine basale Wachstumshormonkonzentration < 7 µg/l (ng/ml) in der ersten Lebenswoche (Serum, Plasma oder Trockenblut der Neugeborenen-Screeningkarte) macht einen Wachstumshormonmangel sehr wahrscheinlich, wenn die klinische Symptomatik zu diesem Hormonmangel passend ist (Evidenzstärke IIb [32]).
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25.
Im Säuglingsalter sollten eine basale Messung von IGFBP-3 und drei oder vier basale Messungen von Wachstumshormon im Serum oder Plasma erfolgen. Ein IGFBP-3-Wert < –2.0 SDS macht einen Wachstumshormonmangel wahrscheinlich (Evidenzstärke III [17]).
Alternativ kann die asservierte Neugeborenen-Screeningkarte zur Messung von Wachstumshormon im Trockenblut verwendet werden (Evidenzstärke IIb [32]).
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26.
Bei Neugeborenen sollte die Kernspintomographie der Hypothalamus-Hypophysen-Region primär zur Diagnostik eines Wachstumshormonmangels herangezogen werden, da morphologische Veränderungen wie die Aplasie der Adenohypophyse, die Ektopie der Neurohypophyse oder die Unterbrechung des Hypophysenstiels deutliche Hinweise auf das Vorliegen eines Wachstumshormonmangels geben (Evidenzstärke IV [4]).
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Verfahren der Konsensbildung
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Fassung: 11/2008
2.
Fassung: 07/2014