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10.1016/B978-3-437-22061-6.50374-8
978-3-437-22061-6
Elsevier Inc.
Diagnostischer Algorithmus
* MS/MS, Tandemmassenspektrometrie. Das Neugeborenenscreening mittels MS/MS folgt der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (www.g-ba.de/) in der aktuell gültigen Fassung.
** Bei dringendem klinischem Verdacht sollte trotz unauffälliger 3-OH-GA-Konzentration (Urin, Blut) individuell erwogen werden, mit dem diagnostischen Prozess fortzufahren. Begründung: Low-excretor-Patienten können eine (intermittierend) normwertige 3-OH-GA-Konzentration im (Urin, Blut) aufweisen.

Metabolische Basistherapie
Lebensalter | |||||
Bis 6. Monat | 7.-12. Monat | 1.-3. Jahr | 4.-6. Jahr | > 6. Jahr | |
1. Lysinarme Diät | |||||
Lysin (aus natürlichem Protein)a mg/kg/Tag | 100 | 90 | 80–60 | 60–50 | |
Synthetisches Protein aus ASMb g/kg/Tag | 1,3–0,8 | 1,0–0,8 | 0,8 | 0,8 |
|
Energiec kcal/kg/Tag | 94–90 | 91–90 | 91–88 | 82–78 | |
Mikronährstoffec % | ≥ 100 | ≥ 100 | ≥ 100 | ≥ 100 | > 100 |
2. Medikamentöse Therapie | |||||
L-Carnitin mg/kg/Tag 100 | 100 | 100 | 100–50 | 50–30 |
ASM, lysinfreie, tryptophanreduzierte Aminosäurenmischungen (vorzugsweise supplementiert mit Mineralien und Mikronährstoffen).
a
Die Menge des natürlichem Proteins ergibt sich sekundär aus der Lysinberechnung und der Lebensmittelauswahl. Da die Ly-sin/Protein-Ratio von Lebensmitteln erheblich schwankt (2–9%), variiert je nach Lebensmittelauswahl ebenfalls die tägliche Proteinzufuhr. Aus diesem Grund wurde auf eine Zahlenangabe der natürlichen und der Gesamtproteinzufuhr verzichtet.
b
Vorzugsweise sollten Aminosäurenmischungen verwendet werden, die bereits mit Mineralien und Mikronährstoffen supplementiert sind. Die Gesamtmenge der Aminosäurenmischungen ist so ausgerichtet, dass die, safe levels' der Proteinzufuhr erreicht werden (21, 22). Wahrscheinlich sind um etwa 10% geringere Gesamtmengen an Aminosäurenmischungen analog den neueren Empfehlungen für den Proteinbedarf gesunder Kinder (93) ausreichend; es liegen jedoch bisher nur begrenzte Erfahrungen für Patienten mit Glutarazidurie Typ I vor.
c
Gemäß Empfehlung der D-A-CH (21).
Notfallbehandlung zu Hause (bis einschl. 6. Lebensjahr)
A. Maltodextrinlösunga | ||||
Alter (Jahre) | % | kcal/100 ml | kJ/100 ml | tägl. Volumen (ml) |
≤ 0,5 | 10 | 40 | 167 min. | 150/kg KG |
0,5–1 | 12 | 48 | 202 | 120/kg KG |
1,1–2 | 15 | 60 | 250 | 100/kg KG |
2,1–6 | 20 | 80 | 334 | 1200–1500 |
B. Proteinzufuhr | ||||
Natürliches Protein | Gemäß schriftlichem Notfallplan. 50% Reduktion oder vorübergehender Stopp der Proteinzufuhr für max. 24 (−48) Std. Anschließend Steigerung der Eiweißzufuhr bis zum Erreichen des Normalplans innerhalb von 48 (−72) Std. | |||
ASM | Bei Nahrungstoleranz erfolgt Fortführung analog zum Normalplan (s. Tabelle C8-1) | |||
C. Medikamentöse Therapie | ||||
L-Carnitin | Verdopplung der Carnitinzufuhr (s. Tabelle C8-1), z.B. 200 mg/kg KG/Tag p.o. bei Säuglingen | |||
Antipyretika | Körpertemperatur > 38,5 °C: z.B. Ibuprofen (10–15 mg/kg KG pro ED p.o., 3–4 ED täglich) |
ASM, lysinfreie, tryptophanreduzierte Aminosäurenmischungen (vorzugsweise supplementiert mit Mineralien und Mikronährstoffen); ED, Einzeldosis; KG, Körpergewicht.
a
Maltodextrinlösungen sollen alle 2 Std. (tagsüber und nachts!) verabreicht werden. Wenn die ASM toleriert wird, kann diese mit Maltodextrin angereichert werden. Kinder sollen im Abstand von je 2 Std. bezüglich Bewusstseinslage, Nahrungstoleranz, Fieber und dem Auftreten weiterer alarmierender Symptome beurteilt werden.
Notfallbehandlung im Krankenhaus (bis einschl. 6. Lebensjahr)
A. Infusionstherapie | ||
Glukosezufuhr | Alter (Jahre) | Glukose (g/kg KG/Tag) i.v. |
0–1 | (12–) 15 | |
1,1–3 | (10–) 12 | |
3,1–6 | (8–) 10 | |
Insulin | Bei persistierender Hyperglykämie > 150 mg/dl (> 8 mmol/l) und/oder bei Glukosurie: Start mit 0,05 IE Insulin/kg KG/Std i.v.; Anpassung der Infusionsrate an den Blutzucker (Ziel: Normoglykämie) | |
B. Protein | ||
Natürliches Protein | Vorübergehender Stopp für max. 24 (−48) Std. Anschließend Steigerung der Proteinzufuhr bis zum Erreichen des Normalplans innerhalb von 48 (−72) Std. | |
ASM | Bei Nahrungstoleranz erfolgt Fortführung analog zum Normalplan (s. Tabelle C8-1) | |
C. Medikamentöse Therapie | ||
L-Carnitin | Carnitin i.v., Dosis analog der täglichen oralen Carnitindosis (s. Tabelle C8-1), z.B. 100 mg/kg KG/Tag i.v. beim Säugling. | |
Antipyretika | Körpertemperatur > 38,5 °C: z.B. Ibuprofen (10–15 mg/kg KG pro ED p.o., 3–4 ED täglich) | |
Natriumbikarbonat | Zum Azidoseausgleich. Eine Alkalisierung des Urins fördert zudem die renale Elimination organischer Säuren. | |
D. Monitoring | ||
Vitalzeichen | Puls, Blutdruck, Temperatur, Diurese, Glasgow Coma Scale (bei Vigilanzminderung), Evaluation weiterer neurologischer Symptome (z.B. muskuläre Hypotonie, Irritabilität, Dystonie) im Verlauf. | |
Routinelabor | Elektrolyte (inkl. Kalzium und Phosphat), Blutbild, Kreatinin, Harn-stoff-N, C-reaktives Protein, Blutkultur (wenn indiziert), Amylase/Li-pasea, Kreatinkinasea. | |
Allgemeines und spezielles Stoffwechsellabor | Blut: Glukose, Blutgase, Aminosäuren (Plasma)b, Carnitinstatus (Plasma) Urin: Ketonkörper, pH. |
ASM, lysinfreie, tryptophanreduzierte Aminosäurenmischungen.
a
Bei akuter Stoffwechselkrise besteht möglicherweise ein erhöhtes Risiko für das Auftreten einer akuten Pankreatitis und/oder Rhabdomyolyse.
b
Während der Rekonvaleszenz und nach Wiedereinführung des natürlichen Proteins.
Biochemische Verlaufskontrollen
Häufigkeit | ||||
Parameter | Fragestellung | bis 1. Jahr | 1.-6. Jahr | > 6. Jahr |
Aminosäuren | ||||
(Plasma) | Allgemeiner Ernährungszustand | 1- bis 2-monatlich | Vierteljährlich | Halbjährlich |
Tryptophan | ||||
(Plasma; HPLC) | Tryptophandepletion Wenn lysin- und tryptophanfreie ASMa verwendet werden; bei Kindern mit Ernährungsproblemen | |||
Carnitinstatus | ||||
(Plasma oder Serum) | Sekundäre Carnitindepletion, Compliance | Bis 2-monatlich | Vierteljährlich | Halbjährlich |
Blutbild | Blutbildung, Mangel an Eisen, Folsäure oder Cobalamin | Halbjährlich | Halbjährlich | Halbjährlich |
Albumin | Allgemeiner Ernährungszustand | Bei Gedeih- une | /oder Ernährung | sproblemen |
Kalzium, Phosphat | Knochenstoffwechelb, Compliance | Vierteljährlich | Halbjährlich | Jährlich |
Transaminasen | Allgemeine Stoffwechsellage | Vierteljährlich | Halbjährlich | Jährlich |
ASM, Aminosäurenmischungen.
a
In Deutschland sind tryptophanfreie Aminosäurenmischungen nicht handelsüblich.
b
Bei Verdacht auf eine Mineralisationsstörung der Knochen sind zusätzliche Tests erforderlich (z.B. alkalische Phosphatase, radiologische Untersuchung von Knochenalter und -dichte).
Diagnostik, Therapie und Management der Glutarazidurie Typ I
(Synonym: Glutaryl-CoA-Dehydrogenase-Defizienz)KURZFASSUNG
EINLEITUNG
DIAGNOSTIK
Differenzialdiagnosen
Statement 1:
Die Diagnosestellung der Glutarazidurie Typ I sollte durch einen pädiatrischen Stoffwechselexperten erfolgen. Sie ist bedeutsam für die Festlegung von Therapieplänen und für die angemessene Aufklärung und Schulung von Patienten und deren Familien (Good Clinical Practice – GCP).
Neugeborenenscreening
Bestätigung eines positiven Screeningergebnisses
Statement 2:
Für die Bestätigung eines positiven Screeningbefundes sollte eine spezifische Konfirmationsdiagnostik durchgeführt werden. Hierzu gehört die quantitative Bestimmung der 3-Hydroxyglutarsäure- und Glutarsäure-Konzentrationen im Urin oder im Blut, die Mutationsanalytik des GCDH-Gens und die GCDH-Enzymanalytik (GCP).
Selektives Screening
Statement 3:
Bei klinisch, neuroradiologisch oder biochemisch begründetem Verdacht sollte ein selektives Screening durchgeführt werden. Hierzu gehören die quantitative Bestimmung der 3-Hydroxyglutarsäure- und Glutarsäure-Konzentrationen im Urin oder im Blut, die Mutationsanalytik des GCDH-Gens und die GCDH-Enzymanalytik (GCP).
THERAPIE
Metabolische Basistherapie
Beginn der Basistherapie
Statement 4:
Die spezifische Stoffwechseltherapie sollte durch ein interdisziplinäres Team in einem spezialisierten Stoffwechselzentrum eingeleitet und regelmäßig evaluiert werden (Empfehlungsgrad B).
Wirksamkeit der Basistherapie
Diätetische Basistherapie
Statement 5:
Eine lysinarme Diät, d.h. Reduktion der Lysinzufuhr auf das Niveau des Minimalbedarfs, kann bis zum vollendeten 6. Lebensjahr durchgeführt werden. Für die Nah-rungssupplementation stehen lysinfreie, tryptophanreduzierte Aminosäurenmischungen zur Verfügung (Empfehlungsgrad C).
Medikamentöse Basistherapie
Statement 6:
L-Carnitin kann lebenslang supplementiert werden. Ziel ist eine Normalisierung des freien Carnitins im Plasma (Empfehlungsgrad C).
Notfalltherapie
Prinzipien der Notfalltherapie
•
Anabolismus wiederherstellen oder erhalten:
hohe Kohlenhydratzufuhr (gegebenenfalls plus Insulingabe);
•
Akkumulation neurotoxischer Stoffwechselprodukte reduzieren:
Reduktion/Stoppen der natürlichen Proteinzufuhr für 24 (–48) Std.;
•
Verstärkung physiologischer Entgiftungsmechanismen und Prävention eines Carnitin-mangels:
Erhöhung der Carnitinzufuhr;
•
Herstellung eines ausgeglichenen Flüssigkeits- und Säure-Basen-Status:
Rehydratation, Pufferung.
Management der Notfallbehandlung
Statement 7:
Die Notfallbehandlung sollte ohne Verzögerung und in gebotener Intensität bei Infektionskrankheiten, Impfreaktionen oder Operationen während der vulnerablen Phase für das Auftreten einer akuten enzephalopathischen Krise (bis einschl. 6. Lebensjahr) durchgeführt werden (Empfehlungsgrad B).
Notfallbehandlung zu Hause
Notfallbehandlung im Krankenhaus
Notfallbehandlung nach dem 6. Lebensjahr
MANAGEMENT NEUROLOGISCHER KOMPLIKATIONEN
Management von Bewegungsstörungen
Statement 9:
Art, Lokalisation und Schweregrad der Bewegungsstörung sollten durch einen Neuropädiater oder Neurologen beurteilt werden. Die multidisziplinäre Betreuung erfolgt zudem durch Diätassistenten, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Orthopäden, Logopäden und Hilfsmittelanbieter (GCP).
Dystonieskalen
Medikamentöse Behandlung
Statement 10:
Baclofen und Benzodiazepine (als Monotherapie oder in Kombination) können in erster Linie für die Behandlung fokaler und generalisierter Dystonien verwendet werden. Eine intrathekale Baclofen-Therapie kann bei schwerer Dystonie und Spastik erwogen werden. Trihexiphenidyl kann in zweiter Linie eingesetzt werden, vorrangig bei Jugendlichen und Erwachsenen. Botulinum-Toxin A kann als zusätzliche Therapie bei schwerer fokaler Dystonie erwogen werden (Empfehlungsgrad D).
Neurochirurgische Behandlung
Antiepileptische Behandlung
Statement 11:
Die Diagnosestellung der Epilepsie und die Einleitung der antiepileptischen Therapie sollten durch einen Neuropädiater oder Neurologen vorgenommen werden. Der Einsatz von Valproat sollte nach Möglichkeit vermieden werden (GCP).
Subdurale Blutungen und Arachnoidalzysten
Diagnosestellung
Statement 12:
Bei Kindern mit subduralen Blutungen/Hygromen (inkl. bei Verdacht auf Schütteltrauma) oder bitemporalen Arachnoidalzysten sollte differenzialdiagnostisch das Vorliegen einer Glutarazidurie Typ I berücksichtigt werden. Die Abklärung sollte gemäß dem Algorithmus des selektiven Screenings erfolgen (GCP, s. Abb. C8-1).
Neurochirurgische Behandlung
Statement 13:
Neurochirurgische Interventionen bei Arachnoidalzysten oder subduralen Blutungen/Hygromen sollten nur zurückhaltend durchgeführt werden (GCP).
Therapiemonitoring
Allgemeine Ziele
Klinisches Monitoring
Statement 14:
Therapieerfolg und das Auftreten unerwünschter Nebenwirkung kann im Rahmen regelmäßiger Verlaufsuntersuchungen evaluiert werden. Beim Auftreten neuer Probleme oder bei Abweichungen von der Therapie kann das Monitoring intensiviert werden (Empfehlungsgrad D).
Laborchemisches Monitoring
Statement 15:
Die Untersuchung der Glutarsäure- und 3-Hydroxyglutarsäure-Konzentrationen im Urin kann für die Verlaufsuntersuchung eingesetzt werden, ist jedoch nicht informativ (Empfehlungsgrad D).
Aminosäuren. Die quantitative Aminosäurenanalyse im Plasma ist bei der Durchführung einer lysinarmen Diät und bei Patienten mit Ernährungsstörungen hilfreich, um eine unzureichende Versorgung mit essenziellen Aminosäuren frühzeitig festzustellen (67, 94).
Statement 16:
Plasma-Aminosäuren (möglichst 3–4 Std. postprandial) können bei Patienten, die eine lysinarme Diät erhalten, regelmäßig gemonitort werden (Empfehlungsgrad D).
Statement 17:
Der Carnitinstatus im Plasma kann regelmäßig untersucht werden, um eine sekundäre Carnitindepletion zu erkennen (Empfehlungsgrad D).
Laborchemisches Monitoring im Notfall
Neuroradiologisches Monitoring
Statement 18:
Neuroradiologische Untersuchungen sollten bei neurologischer Verschlechterung durchgeführt werden, sind aber nicht generell für die Verlaufsuntersuchung zu empfehlen (GCP).
LITERATUR
Verfahren zur Konsensbildung
Ergebnisse von 6 Expertenkonferenzen
Beteiligung weiterer Fachgesellschaften/Organisationen:
•
Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin e.V.
•
Deutsche Gesellschaft für Psychologie e.V.
•
Selbsthilfegruppe Glutarazidurie Typ I