DEFINITION UND BASISINFORMATION
Die Bezeichnung Hämangiom („Blutschwamm”) wird in der Bevölkerung, aber auch von vielen Ärzten und medizinischen Mitarbeitern undifferenziert für ganz verschiedene Gefäßanomalien mit unterschiedlichen biologischen und pathologischen Merkmalen verwendet. Es muss deshalb der Leitlinie eine klare Definition vorangestellt werden.
Infantile Hämangiome sind proliferierende, dem Plazentargewebe in ihrer Antigenstruktur ähnliche vaskuläre Tumoren, für deren Entstehung eine lokale oder regionale Gewebehypoxie als möglicher pathogenetischer Faktor diskutiert wird (10). Sie müssen einerseits von anderen Gefäßtumoren, z.B. dem kaposiformen Hämangioendotheliom (KHE) oder dem Granuloma pyogenicum, und andererseits von arteriellen, venösen, lymphatischen oder kombinierten Malformationen des Gefäßsystems abgegrenzt werden.
Im Hinblick auf die Entscheidung für ein aktives oder abwartendes Vorgehen ist eine frühzeitige Unterscheidung erforderlich.
Hämangioendotheliome und andere kongenitale oder früh manifeste vaskuläre Tumoren ebenso wie die verschiedenen Gefäßmalformationen sind von infantilen Hämangiomen abzugrenzen und sind nicht Gegenstand dieser Leitlinie. Sie werden im Weiteren nur im Rahmen der differenzialdiagnostischen Abgrenzung erwähnt.
Diese Leitlinie dient der gezielten Indikationsstellung zu diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen bei infantilen Hämangiomen im Säuglings- und Kleinkindesalter. Zielgruppe sind Kinder- und Jugendärzte, Kinderchirurgen, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen und Dermatologen in Klinik und Praxis, Allgemeinärzte und andere Ärzte, denen Kinder mit Hämangiomen vorgestellt werden.
EPIDEMIOLOGIE UND KLINIK
Infantile Hämangiome finden sich bei 4–5% aller Säuglinge (
27) und bei bis zu 22% der Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht unter 1 kg. Das weibliche Geschlecht ist bevorzugt betroffen (etwa 3:1).
Infantile Hämangiome treten typischerweise in den ersten Tagen oder Wochen nach der Geburt auf. Es gibt Vorläuferläsionen wie umschriebene Teleangiektasien, anämische, rötliche oder bläuliche Makulae oder Naevus-flammeus-artige Veränderungen. Ein klassisches infantiles Hämangiom imponiert bei Geburt jedoch nie bereits als Tumor.
Das infantile Hämangiom durchläuft in der Folge drei Phasen:
•
Wachstumsphase
•
Stillstandsphase
•
Rückbildungsphase
Ausgeprägte Gefäßveränderungen bei Geburt müssen vor allem an die Differenzialdiagnosen kaposiformes Hämangioendotheliom, an RICH (rapid involuting congenital hemangioma), NICH (non-involuting congenital hemangioma) sowie an eine vaskuläre Malformation denken lassen.
Während der Wachstumsphase (6–9 Monate, selten länger) proliferiert das infantile Hämangiom unterschiedlich rasch mit Flächenausbreitung und besonders mit exophytischem oder endophytisch-subkutanem Wachstum, häufig auch in Kombination. Bei subkutanen Hämangiomen dauert die Proliferationsphase häufig länger als bei rein kutanen Tumoren. Mehrere infantile Hämangiome können ein dissoziiertes Wachstum zeigen.
Es folgt eine unterschiedlich lange Phase des Wachstumsstillstands, dem sich regelhaft die Rückbildungsphase anschließt. Diese verläuft je nach Größe und Lokalisation unterschiedlich schnell und ist meistens um das 9. Lebensjahr abgeschlossen.
Kleine infantile kutane Hämangiome regredieren meist ohne Residuen. Bei größeren Hämangiomen bleiben häufig Teleangiektasien, Areale atrophischer Haut, Narben, Cutis laxa, Hyper- oder Hypopigmentierungen oder eine wammenartige, fibrös-lipomatöse Gewebsvermehrung zurück. Diese Residuen sind umso ausgeprägter, je größer das Hämangiom vor dem Eintritt in die Stillstands- und Regressionsphase war.
Infantile Hämangiome sind überwiegend (ca. 90%) lokalisiert, scharf begrenzt und gehen von einem meist zentralen Fokus aus. Unterschieden werden bei den lokalisierten Formen die kutanen Hämangiome, die flach (im Hautniveau) oder erhaben sein können, die subkutan gelegenen infantilen Hämangiome sowie kombinierte kutan-subkutane Formen. 60% finden sich im Bereich von Kopf und Hals.
Seltener als lokalisierte infantile Hämangiome sind die segmentalen Hämangiome, die im Bereich von Kopf/oberer Extremität oder im Lumbosakralbereich auftreten können (Inzidenz etwa 1:1.000) und häufig mit Fehlbildungen von Gefäßen oder von inneren Organen einhergehen können (s.u.).
Als weitere Sonderformen sind die multifokalen infantilen Hämangiome mit und ohne extrakutane Beteiligung (> 10 kutane Hämangiome +/– Organbeteiligung) und die seltenen kongenitalen Hämangiome anzusehen. Bei RICH und NICH ist die Zugehörigkeit zu den infantilen Hämangiomen wegen einer anderen Antigenstruktur (GLUT1-negativ) fraglich.
Komplikationen, assoziierte Erkrankungen
Bei nicht rasch progredienten, wenig ausgedehnten infantilen Hämangiomen, insbesondere bei Stamm- und Extremitätenlokalisation, ist in der Regel nicht mit Komplikationen zu rechnen.
Schnell wachsende infantile Hämangiome können in allen Lokalisationen, v.a. jedoch in intertriginösen Regionen Ulzerationen mit dem Risiko von Superinfektion, Blutung und Schmerzen bedingen und zu funktionellen Einschränkungen führen. Die Proliferation kann sehr rasch sein.
Lid-, peri- oder intraorbitale infantile Hämangiome können die Augenöffnung behindern, zu irreversibler Amblyopie führen und durch Bulbuskompression Anisometropie und Astigmatismus hervorrufen. Frühzeitige Kooperation mit einem erfahrenen Augenarzt ist bei dieser Lokalisation dringend anzuraten.
Im
Gesicht können infantile Hämangiome zu Residuen (Ptosis, Gesichtsasymmetrie) führen, die je nach Ausdehnung und Stärke funktionell behindern und ästhetisch belasten. Besonderer Beachtung bedürfen im Gesicht die segmentalen Hämangiome, die mit Fehlbildungen des ZNS, der intra- und extrakraniellen Arterien, des Herzens, der Augen und mit ausgeprägten Sternumspalten einhergehen können (
s. Tab. V1-1).
Periorale Lokalisation kann zu Behinderung bei der Nahrungsaufnahme, zu dauerhaften Deformierungen der Lippen sowie im Extremfall zu Unterkiefer- und Zahnstellungsanomalien führen. Ähnliches gilt für die Nase mit der Konsequenz von Nasendeformitäten oder Verlegung der Nasenatmung. An den Ohren führen stark vaskularisierte infantile Hämangiome nicht selten zur Hypertrophie des Ohrs und Knorpeldeformierungen.
Infantile Hämangiome in diesen drei Lokalisationen (Lippe, Nase, Ohr) führen bei Ausbleiben frühzeitiger Intervention am häufigsten aufgrund von Residuen zu sekundären chirurgischen Maßnahmen.
Bei Lokalisation segmentaler Hämangiome im Bartbereich und bei Mitbeteiligung der Mund-/Rachenschleimhaut oder der prätrachealen Haut muss auch ohne entsprechende Symptomatik an eine tracheale Beteiligung gedacht werden.
Im
Anogenitalbereich lokalisierte, insbesondere segmentale Hämangiome besitzen ein hohes Risiko der Ulzeration und rufen häufiger Komplikationen wie Blutungen, Infektionen, Schmerzen und Dermatitiden hervor. Die Assoziation mit urogenitalen und analen Fehlbildungen sowie Spina bifida occulta wurde beschrieben (
s. Tab. V1-1).
Sehr große und ausgedehnte Hämangiome können zu kardialer Belastung, Kreislauf-, Blutungs- und Infektionskomplikationen und Hypothyreose führen. Eine Verbrauchskoagulopathie (Kasabach-Merritt-Phänomen) tritt dagegen nicht auf, sondern ist ein Hinweis auf ein kaposiformes Hämangioendotheliom.
Eine Sonderstellung nehmen die multifokalen infantilen Hämangiome mit und ohne extrakutane Beteiligung ein. Diese werden auch als benigne (ohne Organbeteiligung) oder diffuse neonatale Hämangiomatose bezeichnet. Multiple kutane Hämangiome entstehen innerhalb weniger Tage und kommen schnell zum Wachstumsstillstand. Als extrakutane Organe können die Leber, das Gehirn, die Lunge und/oder der Gastrointestinaltrakt beteiligt sein. Je nach Größe kann es auch zu einer kardiovaskulären Belastung kommen.
DIAGNOSTIK
Die Diagnostik erfordert die Klärung von zwei Hauptfragen:
•
Liegt ein infantiles Hämangiom, ein anderer vaskulärer Tumor oder eine vaskuläre Malformation vor?
•
Falls ein infantiles Hämangiom vorliegt: In welcher Phase befindet es sich?
Anamnese und Klinik
Das wichtigste diagnostische Instrument ist zunächst die Anamnese. Hilfreich für die Unterscheidung zwischen infantilem Hämangiom (IH) und vaskulärer Malformation (VM) können drei Fragen sein:
•
War die Veränderung bei Geburt vorhanden?
Ja: eher VM – Nein: eher IH
•
Ist sie größer geworden?
Ja: eher IH – Nein: eher VM
•
Ist sie kleiner geworden?
Ja: eher IH – Nein: eher VM
Weitere Differenzierungskriterien zwischen infantilen Hämangiomen und vaskulären Malformationen sind in
Tabelle V1-2 aufgeführt.
Bei Vorläuferläsionen oder Naevus-flammeus-artigen Veränderungen kann häufig zum Zeitpunkt der ersten Feststellung noch keine endgültige Entscheidung zwischen infantilem Hämangiom (IH) und vaskulärer Malformation (VM) getroffen werden. Hier sind kurzfristige klinische Kontrollen (Kontrollabstand 1 Woche pro vollendetem Lebensmonat) mit Ultraschalluntersuchung und Duplexsonographie inkl. dokumentierter Größenmessung zur Beobachtung des Proliferationsverhaltens und zur Bestimmung der Tiefenausdehnung erforderlich. Die Fotodokumentation ist obligat.
Sonographie
Die Sonographie mit 7,5-, 10- oder 12-Megahertz-Schallköpfen, insbesondere auch die farbkodierte Duplexsonographie erlaubt Aussagen über die Tiefenausdehnung, die Vaskularisierung einer Läsion und das Flussmuster. Lässt sich ein infantiles Hämangiom durch Anamnese und Untersuchung eindeutig als unkompliziert einordnen, kann auf die Sonographie verzichtet werden. Eine starke Vaskularisation ist ein deutlicher Hinweis auf die Wachstumsphase, geringe oder abnehmende Vaskularisation zeigt den Übergang in die Regressionsphase an. Finden sich nicht die typischen Flussmuster des infantilen Hämangioms, ist an die Differenzialdiagnosen (andere vaskuläre Tumoren oder Gefäßmalformation) zu denken.
Weiterführende diagnostische Maßnahmen
Bei sonographisch nicht eindeutigem Befund, zur Abgrenzung anderer vaskulärer Tumoren und Malformationen und bei Verdacht auf Organ-, Augen- oder ZNS-Beteiligung ist eine MRT-Untersuchung indiziert. Dies gilt regelhaft bei segmentalen Hämangiomen des Gesichts-/Halsbereichs. Die Angiographie ist zur Diagnosestellung eines infantilen Hämangioms ungeeignet. Ein segmentales Hämangiom der unteren Gesichtshälfte kann auf eine Mitbeteiligung der Atemwege hinweisen. Entsprechende klinische Symptome wie Stridor und Hinweise in Sonographie und MRT können eine Bronchoskopie in einem entsprechend ausgestatteten Zentrum notwendig machen. Eine Echokardiographie ist wegen 30% kardialer oder kardiovaskulärer Begleitbefunde (Aorthenisthmusstenose) sinnvoll.
Bei flächigen lumbosakralen segmentalen Hämangiomen in der Mittellinie muss durch Sonographie oder MRT eine spinale Dysrhaphie abgeklärt und an urogenitale oder anale Fehlbildungen gedacht werden.
Eine histologische Sicherung der Diagnose infantiles Hämangiom ist bei klarer klinischer Diagnose nicht erforderlich.
Unter Umständen kann eine Biopsie bei rein subkutanen infantilen Hämangiomen notwendig sein, wenn die Bildgebung nicht eindeutig ist (Ausschluss Malignom). In der Abgrenzung infantiler Hämangiome von anderen vaskulären Tumoren und Malformationen ist eine immunhistologische Unterscheidung möglich (infantiles Hämangiom = GLUT1-positiv, kaposiformes Hämangioendotheliom = GLUT1-negativ).
Bei multifokalen infantilen Hämangiomen mit Organbeteiligung kann es durch die vermehrte Expression einer Deiodinase im Hämangiomgewebe zur Entwicklung einer sekundären Hypothyreose kommen. In diesen Fällen empfiehlt sich daher die Kontrolle des TSH im Serum (
21,
4).
THERAPIE
Die Indikation zum aktiven therapeutischen Vorgehen muss individuell gestellt werden.
Therapieziele sind:
•
Wachstumstopp des infantilen Hämangioms
•
Beschleunigte Rückbildung bei großen infantilen Hämangiomen und/oder
•
Verhinderung oder Beseitigung funktioneller und ästhetischer Probleme (z.B. Auge, Atemwege, Visus, Gesicht)
•
Gegebenenfalls die beschleunigte Abheilung der Ulzeration
Bei unkomplizierten infantilen Hämangiomen in unproblematischer Lokalisation und ohne funktionelle Beeinträchtigung (Stamm, Extremitäten) ist keine Therapie erforderlich.
Infantile Hämangiome in Problemzonen (Gesicht, Anogenitalregion), bei denen sich bei engmaschigen Kontrollen (Kontrollabstand 1 Woche pro vollendetem Lebensmonat) objektiv dokumentiertes Wachstum zeigt, sollen in diesem Frühstadium einer Behandlung unterzogen werden, um Komplikationen vorzubeugen. Dies gilt insbesondere und regelhaft für infantile Hämangiome im Augenbereich (drohende Sichtbehinderung), Lippenbereich (geringe bzw. langsame Rückbildungstendenz) und Nasenbereich (Nasendeformitäten – „Cyrano-Nase”). Im Einzelfall kann aufgrund des anamnestischen und klinischen Eindrucks auch eine sofortige Therapie ohne vorherige Kontrolle erforderlich sein.
Häufig diskutiert wird die frühe Therapie größerer infantiler Hämangiome im Bereich der Brustdrüse und des Dekolletés bei Mädchen. Kosmetisch zu bedenken sind fibrolipomatöse Residuen und bleibende Asymmetrien. Eine pauschale Behandlungsempfehlung gibt es nicht. Stärker proliferierende infantile Hämangiome mit einer Fläche von mehr als 5% der Körperoberfläche oder bereits mit Komplikationen behaftete Hämangiome sollen zur Entscheidung über eine Therapie einem interdisziplinären Zentrum vorgestellt werden. Ein möglichst frühzeitiger Therapiebeginn kann entscheidend für den weiteren Verlauf sein.
Bei infantilen Hämangiomen in der Stillstands- oder Regressionsphase ist in der Regel eine abwartende Haltung zu empfehlen. Wenn jedoch Komplikationen durch Ulzerationen zu befürchten sind, ist auch bei diesen Formen eine Therapie sinnvoll.
Lasertherapie
Aufgrund der hervorragenden Wirksamkeit der oralen Propranolol-Therapie bei überschaubaren und beherrschbaren Nebenwirkungen ist die Bedeutung der Lasertherapie in den Hintergrund getreten. Der Einsatz des blitzlampengepumpten gepulsten Farbstofflasers (FPDL) oder gepulster Blitzlampen (IPL) ist zur Primärtherapie nur noch bei kleinen, lokalisierten, flachen infantilen Hämangiomen indiziert, hier steht alternativ die Kryobehandlung zur Verfügung. Laserverfahren können bei der Behandlung von Residuen wie Teleangiektasien zum Einsatz kommen. Je nach Ausdehnung des Befunds und Dauer des Eingriffs empfiehlt sich eine Oberflächen- (z.B. EMLA-Creme) oder Allgemeinanästhesie. Nebenwirkungen sind sehr selten. Die obligate Blauschwarzverfärbung durch Koagulation von Blutgefäßen verschwindet innerhalb von 14 Tagen, Narben treten in weniger als 1% der Fälle auf. Insbesondere anogenital besteht die Gefahr der Ulzeration mit Superinfektion.
Der cw-Nd:YAG-Laser mit größerer Eindringtiefe ist nur beim Vorliegen einer primären Kontraindikation gegenüber Propranolol, dem seltenen Fall eines Nichtansprechens auf die Therapie oder einer Ablehnung einer systemischen Therapie perkutan unter Eiskühlung oder intraläsional über Quartzfasern einsetzbar. Hierzu ist immer eine Allgemeinnarkose erforderlich. Ziel der Behandlung kann auch die Reduktion des Volumens sehr großer Hämangiome vor einem geplanten operativen Eingriff sein.
Bei den segmentalen Hämangiomen der unteren Gesichtshälfte sollte im Falle einer Bronchoskopie die Möglichkeit der therapeutischen Intervention (Laser) in gleicher Narkose bestehen, ist aber oft bei effektiver systemischer Therapie nicht notwendig.
Kryotherapie
Die Kryotherapie ist bei –32 Grad (elektrisch erzeugt, Peltier-Element) möglich. Die Behandlung bei –196 Grad (flüssiger Stickstoff) soll mehr Narben hervorrufen. Die Kryotherapie wird im Kontaktverfahren mit einer Eindringtiefe von 2 mm bis maximal 4 mm (abhängig von der möglichen Kompression des infantilen Hämangioms) mit geräteabhängigen Anwendungszeiten angewendet und ist in Deutschland für die Behandlung von kleinen, planen infantilen Hämangiomen mit einer Fläche bis zu maximal 1 cm Durchmesser etabliert. Hypopigmentierungen (10–15%) und Narben sind bei sachgerechtem Einsatz selten und durch Verwendung der elektrischen Kühlung weiter zu reduzieren, lange Einwirkzeiten und große Applikatoren können jedoch Nekrosen und Narben induzieren. Blasen- und Krustenbildung ist möglich. Oberflächenanalgesie mit EMLA-Creme ist in der Regel nicht erforderlich, da die Kühlung selbst analgetisch wirkt. Die Ergebnisse der Kryotherapie sind denen nach Farbstofflasertherapie vergleichbar.
Operative Therapie
Die Operation ist mit wenigen Ausnahmen keine primäre Therapie. Die Exzision stellt zwar häufig eine definitive Behandlungsoption eines infantilen Hämangioms dar, kommt jedoch durch die hohe Spontanregressionsrate und die Erfolge der alternativen Therapieverfahren nur noch in Einzelfällen in Betracht. Sie ist vor allem noch zur ästhetischen Verbesserung bei Hämangiom-Residuen indiziert, gegebenenfalls wenn Komplikationen drohen, die durch konservative Verfahren nicht zu beherrschen sind, bei akut drohendem Funktionsverlust (Auge, Lippen), sofern technisch möglich, und wenn die obligate Narbe keine ästhetische oder funktionelle Beeinträchtigung darstellen wird. Am behaarten Kopf ist eine Operation sinnvoll, wenn nach Abschluss der Regressionsphase kahle Stellen verbleiben oder sich ein erheblicher Gewebsüberschuss zeigt. Bei infantilen Hämangiomen im Nasen- und Lippenbereich ist im Residualstadium die (Teil-)Exzision nach vorheriger Volumenreduktion durch den cw-Nd:YAG-Laser zu diskutieren bzw. nicht vermeidbar und sollte im 4.–5. Lebensjahr durchgeführt werden.
Systemische Therapieverfahren
Propranolol
Bei gegebener Indikation (s.o.) stellt die orale Behandlung mit Propranolol das Mittel der ersten Wahl für die Behandlung komplizierter infantiler Hämangiome dar.
Seit 2008 hat sich die Behandlung mit Propranolol per os zur Behandlung infantiler Hämangiome weltweit als Mittel der ersten Wahl durchgesetzt. In großen Metaanalysen (
25) und in zwei randomisierten kontrollierten Studien (
20,
23) zeigte sich eine Ansprechrate von 98% (
25,
23). Nebenwirkungen werden in rund 30% der behandelten Fälle beobachtet; sie sind temporär, dosisabhängig und überwiegend harmloser Art (> 10%: Schlafstörungen, Diarrhö; 1–10%: nächtliche Unruhe, bronchiale Obstruktion; < 1%: Bradykardie, Hypoglykämie, Hypotension). In etwa 17% der Fälle kommt es nach Beendigung der üblicherweise 6-monatigen Behandlung zu einem erneuten Wachstum, das jedoch in seinem Ausmaß begrenzt ist und nur selten zu einer erneuten Behandlung veranlasst. Möglicherweise ist eine verlängerte Behandlungszeit von bis zu 12 Monaten mit einem geringeren Rückfallrisiko verbunden (
15).
Retrospektive Daten zeigen eine im Vergleich zur oralen Kortikoidtherapie deutlich höhere Wirksamkeit und geringere Nebenwirkungsrate von Propranolol (
28). Im Frühjahr 2014 wurde Propranolol für die Behandlung komplizierter Hämangiome in der Altersgruppe 5 Wochen bis 5 Monate durch die amerikanische (FDA) und europäische Arzneimittelbehörde (EMA) zugelassen, in Deutschland erfolgte die Markteinführung zum 01.09.2014. Erhältlich ist Hemangiol
®, ein Saft mit 3,75 mg/ml Propranololhydrochlorid; alternativ kann auch weiterhin eine standardisierte Magistralrezeptur (Propranololhydrochlorid-Saft 5 mg/ml, NRF 11.142) verordnet werden.
Als Basisuntersuchung vor Start der Therapie eines komplizierten infantilen Hämangioms mit Propranolol sollte bei unauffälliger Familienanamnese in Bezug auf angeborene Herz-Kreislauf-Erkrankungen ein EKG durchgeführt werden. Während der Dosissteigerung sollten Herzfrequenz, Blutdruck und Blutzucker überwacht werden. Als Dosis sollte 2–3 mg/kg KG/Tag Propranolol in 2 Dosen verordnet werden. Ein Ausschleichen der Therapie am Ende ist nicht notwendig.
Bei den segmentalen Hämangiomen der unteren Gesichtshälfte sollte therapeutisch unmittelbar mit Propranolol, gegebenenfalls mit Steroiden begonnen werden. Bei Beteiligung von Larynx und/oder Trachea kann eine Tracheotomie erforderlich sein. Wegen des erhöhten Risikos von Hirninfarkten bei zu starken Blutdruckschwankungen sollte bei diesen Hämangiomen und beim PHACES-Syndrom die Aufdosierung langsam erfolgen und die Zieldosis 2 mg/kg KG/Tag in 3 Tagesgaben sein (
11).
Zur Anwendung topischer Betablocker-Zubereitungen liegt bisher erst eine kontrollierte Studie mit lediglich 17 Probanden pro Studienarm vor (
9). Ausmaß und Bedeutung der transkutanen Resorption sind noch nicht ausreichend untersucht, die kursierenden Rezepturen sind darüber hinaus nicht standardisiert. Die transkutane Resorption, deren Folgen durch den fehlenden First-Pass-Effekt in der Leber verstärkt wird, kann zu unerwarteten systemischen Wirkungen führen, die insbesondere für Timolol belegt sind (
26).
Kortikosteroide
Die früher übliche Behandlung mit systemischen Kortikosteroiden ist heute obsolet. Sie ist nur noch bei Therapieversagern oder zur Abwendung unmittelbar lebensbedrohlicher Situationen (obstruierende intratracheale infantile Hämangiome) in (kurzzeitiger) Kombination mit Propranolol indiziert. Die übliche anfängliche Dosierung beträgt 2–5 mg Prednisolonäquivalent/kg KG/Tag. Die Ansprechrate liegt abhängig von der Dosis bei 65–85%, die Therapie ist über 2 Wochen mit anschließender langsamer Dosisreduktion über mehrere Wochen je nach Therapieschema erforderlich. Bei zu rascher Dosisreduktion ist erneutes Wachstum (rebound) möglich. Eine Candida-Prophylaxe z.B. mit Nystatinsaft ist sinnvoll. Bei Nebenwirkungen ist eine beschleunigte Dosisreduktion möglich, Urinzucker-, Blutdruck- und ophthalmologische Kontrollen sind erforderlich. Eine anschließende temporäre Nebennierenrindeninsuffizienz ist zu bedenken, zu substituieren und – gegebenenfalls auch anhand der Urinmetaboliten – zu überwachen. Abhängig von der Therapiedauer wird eine reversible Wachstumsverzögerung des Säuglings beobachtet. Das Risiko von Immunsuppression und sekundärer Katarakt (primäre Katarakt augenärztlich vorher ausschließen) sind zu bedenken. Eine solche systemische Therapie bedarf der Zusammenarbeit mit dem Pädiater.
Zytostatika
Die Verwendung von Zytostatika wie Vincristin oder die Therapie mit Interferon-alpha sind wegen schwerer Nebenwirkungen und in Anbetracht der Wirksamkeit und Verträglichkeit von Propranolol obsolet.
Weitere Therapieansätze
Alternative Therapieansätze werden hier wegen der häufigen Nachfrage erwähnt, obwohl bisher keine Belege für ihre Wirksamkeit vorhanden sind.
Eine topische Therapie mit potenten Kortikosteroidcremes ist für flache periorbitale Hämangiome beschrieben, kann jedoch zu Hautatrophien und systemischer Resorption führen. Auch die intraläsionale Injektion von Kortikosteroid-Kristallsuspension ist beschrieben, Kristallembolisationen als bedeutendste Komplikation limitieren jedoch ihren Einsatz. Die Anwendung von 5-prozentiger Imiquimod-Creme scheint bei frühzeitiger Anwendung durch ihre antiangiogene Wirkung einen Wachstumsstopp von infantilen Hämangiomen herbeiführen zu können; randomisierte Studien liegen jedoch nicht vor. Die Creme ist für das Kindesalter nicht zugelassen und führt regelhaft zu einer teils erheblichen lokalen Irritation.
NACHBEHANDLUNG
Je nach Lokalisation und Ausdehnung des infantilen Hämangioms können ohne und nach jeder Therapie funktionell und/oder ästhetisch unbefriedigende Restzustände verbleiben. Diese sind bis zum Eintritt des Kindes in die Schule zu beseitigen.
Bei verbliebenen Teleangiektasien ist der Einsatz der Lasertherapie zweckmäßig, je nach Gefäßkaliber mit dem FPDL-, dem IPL- oder dem cw-Nd:YAG-Laser. Stärker kalibrige teleangiektatische Gefäße lassen sich mit gutem Erfolg mit den länger gepulsten Nd:YAG-Lasern behandeln. Hyperpigmentierungen sind nicht selten einer Behandlung mit den ultrakurz gepulsten Lasergeräten (gütegeschalteter Rubin-Laser oder Nd:YAG-Laser) zugänglich.
Narben, Cutis laxa, Wammen und ähnliche Veränderungen können exzidiert, sekundäre Gesichtsasymmetrien oder -deformitäten plastisch-chirurgisch korrigiert werden.