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978-3-437-45131-7
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Abb. 2.1

[L231]
Segmentale Muskelinnervation
Abb. 2.2


[L271]
Motorische Innervation
Abb. 2.3

(Abbildung modifiziert nach Brandt 1999) [L231]
Epley-ManöverEpley-Manöver. Schematische Darstellung des therapeutischen Lagerungsmanövers bei einem Patienten mit BPPV des linken posterioren Bogengangs. In sitzender Ausgangsposition wird der Kopf um 45° zur betroffenen Seite gedreht. Unter Beibehaltung der Kopfposition erfolgt die Lagerung des Patienten nach hinten mit einer leichten Kopfreklination. Dies löst eine Bewegung der Otolithenteilchen aus und führt zu einem rotierenden Nystagmus, der nach etwa 30 Sekunden nachlässt und schließlich aufhört. Diese Position soll etwa eine Minute beibehalten werden. Der Patient dreht dann den Kopf in Rückenlage bei gleichbleibender Kopfreklination zur Seite des nicht betroffenen Ohrs und verbleibt auch in dieser Position für ca. eine Minute. Im nächsten Schritt werden Körper und Kopf weiter um 90° zur nicht betroffenen Seite gedreht. Auch diese Position sollte etwa eine Minute beibehalten werden. Im letzten Schritt richtet sich der Patient wieder auf.
Abb. 2.4

(Abbildung modifiziert nach Brandt 1999) [L231]
Semont-ManöverSemont-Manöver. Schematische Darstellung des therapeutischen Lagerungsmanövers bei einem Patienten mit BPPV des linken posterioren Bogengangs. In sitzender Ausgangsposition wird der Kopf um 45° zum gesunden Ohr gedreht. Unter Beibehaltung der Kopfposition erfolgt die Lagerung des Patienten nach links. Dies löst eine Bewegung der Otolithenteilchen aus und führt zu einem rotierenden Nystagmus zum unten liegenden linken Ohr, der nach etwa 30 Sekunden nachlässt und schließlich aufhört. Diese Position sollte der Patient etwa eine Minute einhalten. Der Patient wird dann unter Beibehaltung der Kopfdrehung mit raschem Schwung zum nicht betroffenen Ohr gekippt, wobei nun die Nase nach unten zeigt. Auch diese Position etwa eine Minute einhalten. Der Patient richtet sich danach langsam auf.
Abb. 2.5

[L231]
Barbecue-(BBQ-)Roll-ManöverBarbecue-Roll-Manöver. Schematische Darstellung des therapeutischen Lagerungsmanövers bei einem Patienten mit Canalolithiasis des linken horizontalen Bogengangs. Die Therapie der Canalolithiasis erfolgt mit Rotationen um die Körperlängsachse auf die nicht betroffene Seite im Liegen. Der Patient wird aus der Rückenlage in drei Schritten von je 90° um die Körperlängsachse zum nicht betroffenen Ohr gedreht und bleibt 30 Sekunden in jeder Position liegen. Eine wirkungsvolle Ergänzung stellt die Seitlagerung auf das nicht betroffene Ohr für 12 Stunden dar. Die Kombination aus beiden Maßnahmen ist bei mehr als 90 % der Patienten erfolgreich.
Abb. 2.6

[L231]
Gufoni-ManöverGufoni-Manöver. Schematische Darstellung des therapeutischen Lagerungsmanövers bei einem Patienten mit Canalolithiasis des linken horizontalen Bogengangs. Aus sitzender Position wird der Patient auf die Seite mit weniger Nystagmus (rechte Seite) gelegt. Danach erfolgt eine Drehung des Kopfes zum unten liegenden rechten Ohr (90°). Diese Position sollte der Patient etwa eine Minute einhalten (Gufoni et al. 1998).
Abb. 2.7

[L231]
Blickstabilisations- und Gleichgewichtsübungen. (1) Blickstabilisation durch Fixation von bewegten Gegenständen/Daumen. (2) Blickstabilisation durch Fixation von ruhenden Gegenständen/Daumen während Kopfbewegungen in alle Richtungen. (3) Blickstabilisation durch Fixation eines ruhenden Gegenstands mit Drehstuhl, Drehen einmal um die Achse und Refixierung des Gegenstands. (4) Gehen auf unebenen Untergrund mit Blickstabilisation. (5) Enger Stand auf unebenem Untergrund mit Augenschluss
Abb. 2.8

[P113]
Sturztraining nach vorne
Abb. 2.9

[P113]
Sturztraining nach vorne
Abb. 2.10

[P113]
Sturztraining nach hinten
Abb. 2.11

[P113]
Sturztraining nach hinten
MuskelfunktionenGehen, Muskelfunktionen beim Gehen und mögliche Probleme
Gang-phase | Beschreibung | Alignments und Muskelfunktionen agonistisch | Beispiele für mögliche Probleme im motorischen System (Plus-Symptomatik, Kap. 3.1.2; Minus-Symptomatik, Kap. 3.1.2; Paresen, Kap. 2.2) |
Standbeinphase | Fersenkontakt mit dem Boden (initialer Kontakt) |
| Vorfuß kann aufgrund der Minus-Symptomatik der Dorsalextensoren nicht in Neutralstellung gehalten werden Mögliche Kompensation über vermehrte Hüftflexion (Bein wird hochgehoben, Storchengang/Steppergang) oder durch Zirkumduzieren des ganzen Beins in der gegenseitigen Hüfte |
Absenken des Vorfußes auf den Boden |
| Vorfuß landet aufgrund der Plus-Symptomatik der Plantarflexoren und Supinatoren nicht plan auf dem Boden, sondern lediglich auf der Außenkante Mögliche Kompensation über die Verbreiterung der Spur | |
Beinachse wird auf den Fuß gezogen |
| Aufgrund der Minus-Symptomatik der Dorsalextensoren wird der Unterschenkel nicht zum Fuß gezogen Mögliche Kompensation über vermehrte Hüftflexion und/oder -innenrotation | |
Einbeinstand |
| Lineare Aufrichtung auf der Hüfte gelingt nicht aufgrund der Schwäche der Abduktoren (Trendelenburg-Zeichen) und/oder Schwäche der Hüftextensoren (anteriore Tilt-Stellung des Beckens, flektierte Hüfte). Mögliche Kompensation über die Lateralflexoren des Rumpfes und/oder Oberkörpervorlage Lineare Aufrichtung des Knies gelingt nicht aufgrund der Minus-Symptomatik der Knieflexoren, ggf. auch Extensoren Mögliche Kompensation durch Hyperextension des Kniegelenks (Knie-Rekurvation) | |
Schwungphase | Beinachse wird vor den Fuß gebracht |
| Aufgrund der Plus-Symptomatik der Plantarflexoren gelingt die exzentrische Muskelarbeit nicht Mögliche Kompensation über eine breite Spur, Außenrotation in der Hüfte, Flektieren des Knies oder das Enden der Standbeinphase im Einbeinstand (Beistellschritt) |
Abrollphase, Verlagerung des Körperschwerpunktes über den Vorfuß hinaus, Ferse hebt vom Boden ab |
| Ferse kann aufgrund einer Minus-Symptomatik der Plantarflexoren nicht angehoben werden Mögliche Kompensation über Oberkörpervorlage und zu frühes Einleiten der Spielbeinphase über Hüftflexion | |
Entriegeln des Kniegelenks |
| Knie kann aufgrund einer Plus-Symptomatik der Knieextensoren, Hüftflexoren und Plantarflexoren des Sprunggelenks nicht entriegelt werden Mögliche Kompensation über Oberkörpervorlage und zu frühes Einleiten der Spielbeinphase über Hüftflexion | |
Ablösen des Fußes vom Boden |
| Knie kann aufgrund einer Minus-Symptomatik im Gluteus, der die stabile Referenz für den Oberschenkel bieten muss, nicht isoliert flektiert werden, um den Fuß vom Boden abzulösen; Patient bleibt hängen Mögliche Kompensation über Lateralflexion des Rumpfes (Nachobenziehen des Beckens, um den Fuß mit gestrecktem Kniegelenk vom Boden zu lösen) | |
Schwungphase | Vorwärtsbringen des Schwungbeines (noch hinter der Köperlängsachse) |
| Bein fällt ungebremst nach vorne unter den Köperschwerpunkt (Minus-Symptomatik der Extensoren) Bein wird über die Lateralflexion des Rumpfes und über eine Adduktion und Innenrotation der gegenüberliegenden Hüfte gestreckt nach vorne gebracht (Plus-Symptomatik von Knieextensoren und Lateralflektoren, Rumpf als Resultat der mangelhaften Core Stability) |
Schwungbein überholt die Körperlängsachse, Vorbereitung auf initialen Kontakt |
| Diese Funktion fehlt oft komplett, da das Bein das andere Bein nicht überholt, sondern über die Innenrotation und Adduktion der gegenüberliegenden Hüfte nach vorne gebracht wird (gesamte Seite wird en bloc nach vorne gebracht) |
Anamnestische Kategorien bei SchwindelSchwindelEinteilung
Art |
|
Dauer |
|
Auslösbarkeit/Verstärkung | Auftreten
|
Begleitsymptome |
|
Einteilung von SchwindelerkrankungenSchwindelerkrankungenEinteilung nach anatomischen Bereichen und möglichen Krankheitsbildern
Peripher-vestibuläre Strukturen | Zentral-vestibuläre Strukturen | Nichtvestibuläre Strukturen |
Vestibularorgan im Innenohr und dessen Verbindungen zum zentralen System Bei peripherem Schwindel kann es sich um eine Läsion des Labyrinths (Bogengänge und Otolithenorgane) oder des N. vestibulocochlearis handeln. | Netzwerk mit Vestibulariskerngebiet im Hirnstamm, weiteren Zentren in Hirnstamm, Kleinhirn, Thalamus bis zum Kortex Oft finden sich nicht nur isolierte Schwindelsymptome, sondern weitere neurologische Auffälligkeiten. | Nichtvestibulärer Schwindel kann z. B. durch gestörte Augenbewegungen (Doppelbilder), Störungen der Sinnesorgane (Augen, periphere Nerven), des Herz-Keislauf-Systems oder komplexer Hirnfunktionen (Angst, Depression) verursacht werden. |
Krankheitsbilder | Krankheitsbilder | Krankheitsbilder |
|
|
|
BPPV– benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel
Die häufigsten SchwindelerkrankungenDiagnosen einer Spezialambulanz (Deutsches Schwindel- und Gleichgewichtszentrum der LMU München; > 20 000 Patienten)
Diagnose | N | % (gerundet) |
1. BPPV (benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel) | 2 983 | 20 |
2. Phobischer Schwankschwindel/funktioneller Schwindel/somatoformer Schwindel | 2 622 | 20 |
3. Zentral-vestibulärer Schwindel | 2 188 | 12 |
4. Vestibuläre Migräne | 2 038 | 10 |
5. Morbus Menière | 1 804 | 10 |
6. Neuritis vestibularis | 1 480 | 10 |
7. Bilaterale Vestibulopathie | 1 253 | 8 |
8. Vestibularisparoxysmie | 651 | 4 |
9. Perilymphfistel | 98 | 1 |
10. Andere und unklare Schwindelsyndrome | 521 | 5 |
Beispiele für Top down versus Bottom up (bzgl. Sturzgefahr)
Top down (Task-orientierter Ansatz) | Bottom up (sensomotorischer Ansatz) |
Gehen auf stabilem und instabilem Untergrund | Erarbeiten von posturalen Alignments mit Hands-on-Techniken |
Laufband mit/ohne Gewichtsentlastung | Stabilisieren von proximalen Körperabschnitten (mit Hands on oder mit Gegenständen) |
Computergestützte Spielekonsolen (Wii) | Placing |
Virtuelles Realitätstraining | Light Touch |
Vibration | |
Approximation | |
Force-Plattform | |
Elektrostimulation |
Messverfahren bei SturzgefahrSturzgefahrMessverfahren
ICF-Ebene | Messverfahren |
Partizipation | COPM, GAS, Barthel, FIM, WHODAS-2 |
Aktivitätsebene | Berg Balance Score (BBS), Dynamic Gait Index, Tinetti, TUG, 10-Meter-Gehtest, Trunk Control Test |
Funktions- und Strukturebene | Druckmessplatte, POMA |
SturzvorbeugungSturzgefahrVorbeugung
Patiententyp und Sturzgefahr | Vorbeugende Maßnahme |
Stiller, ruhiger Patient, kann sich auf Stationsebene selbstständig bewegen → Gefahr des selbstständigen Transfers nach den Mahlzeiten |
|
Stiller, ruhiger Patient kann sich auf Zimmerebene selbstständig bewegen → Gefahr des selbstständigen Transfers auf die Toilette |
|
Patient ist situativ desorientiert → Sturz aus dem Bett |
|
Patient ist auf Toilettengang fixiert → Sturz beim Versuch, die Toilette zu erreichen |
|
Patient kann Transfers alleine ausführen und einige Schritte gehen → Sturz im Zimmer |
|
Patient öffnet Sitzhose und gleitet aus dem Rollstuhl |
|
Vorschneller, ungeduldiger Patient, mit Störung der Handlungsplanung (Exekutivstörung, Aufmerksamkeit?) und/oder Neglect → Rollstuhl oder Rollator werden beim Aufstehen nicht angebremst → Sturz |
|
Falsches Schuhwerk (wenig Halt, rutschige Sohle, Schnürsenkel) |
|
Patienten wollen Dinge aus dem Schrank holen → Sturz |
|
An- und Ausziehen erfordert Verlagerung des Körperschwerpunktes → Sturz |
|
Häufige neurologische Symptome
Ataxie
AtaxieAtaxie ist ein sehr übergeordneter Begriff, der Koordinationsstörungen beschreibt, die häufig bei Patienten mit einer Läsion im Kleinhirn (Cerebellum) und seinen Verbindungen im ZNS auftreten (Kap. 4.12).
2.1.1
Definition und Beschreibung
•
Posturale Unsicherheit
•
Störungen der Schwerpunktkontrolle
•
Schwierigkeiten, Muskelaktivitäten für Haltung und zielgerichtete Bewegung zu koordinieren
•
Vorstellung, Planung und Erwartung der Bewegung stimmen nicht mit der Ausführung überein
•
Ungeschicklichkeit
•
Sehstörungen
Merke
Die vorhandenen, vorher benutzten und gespeicherten motorischen Programme können von den Patienten nicht mehr benutzt bzw. nicht an die aktuelle Situation angepasst werden.
•
Die Bewegungen sind abgehackt und werden mit Fehlern in Richtung, Kraft, Geschwindigkeit und Ausmaß durchgeführt (= dekomponiert).
•
Patienten sind sich dieser Verhaltensweisen bewusst und passen sich mit kompensatorischen Strategien daran an, um Funktionen ausführen zu können.
•
Diese Anpassungen sind von der Bewegungsplanung bis zur Ausführungen der Bewegungsabläufe sehr willkürlich gesteuert.
•
Die automatischen, antizipatorischen posturalen Anpassungen vor und während der Bewegungen sind besonders in höheren Ausgangsstellungen nicht effizient und werden durch Fixationsstrategien ersetzt.
•
Für Haltung- und Bewegungskontrolle benötigen die Patienten mehr Aufmerksamkeit.
Merke
Das Problem des erlernten Bewegungsverhaltens ist vorwiegend ein „zu viel“ als ein „zu wenig“:
•
Die Aufmerksamkeit ist zu hoch → d. h., Automatisierung wird unterdrückt.
•
Die Initiierung ist zu schnell.
•
Die Gelenkeinstellungen (Alignments) werden verriegelt.
•
Die Atmung wird angehalten.
•
Die Kraftsteuerung ist zu hoch.
•
Der Bewegungsablauf ist zu schnell.
•
Das Beenden/Abfangen einer geplanten Bewegung geschieht mit zu viel Kraft.
•
Oder sie planen das „Sich-fallen-lassen“ auf einer sicheren Unterstützungsfläche (Bett, Rollstuhl …).
2.1.2
Ursachen der cerebellären Ataxie
•
Ischämien oder Blutungen im Bereich Cerebellum oder Hirnstamm
•
Tumoren
•
Contusio cerebri, Schädel-Hirn-Traumata
•
Abschermechanismus der Bahnen im Hirnstamm
•
Encephalitiden
•
Multiple Sklerose
•
Degenerative cerebelläre Erkrankungen (z. B. Friedreich-Ataxie)
•
Medikamentenbedingt
Merke
Die Funktionen des KleinhirnsKleinhirnFunktionen
•
Sensomotorisches Lernen, „Error Correction“
•
Haltungs- und Bewegungskontrolle sowie Koordination der beiden
•
Innere Repräsentation des „Up-to-date-“Körperschemas
•
Feedforward-Anpassungen aufgrund gespeicherter Erfahrungen
•
Feedback-Anpassungen an zielorientierte sensorische/propriozeptive Informationen
•
Timing der Augen-Such-Bewegungen
•
Anpassung der Bewegung an die momentane Beziehung zur Umwelt
Das Cerebellum kann vorhersehen und anpassen, wie eine Extremität während einer komplexen Bewegung auf die vielen Kräfte reagieren soll, auch auf die Weiterleitung von einem Gelenk zum nächsten.
Das beinhaltet auch das relative Timing der einzelnen Muskelkontraktionen, um sicherzustellen, dass die Geschwindigkeit und Genauigkeit der Bewegung, die eine Person ausführt, angepasst wird (z. B. Essen: Gabel landet im Mund und nicht im Auge).
Wickelgren 1998
2.1.3
Spezifische Störungen
•
Läsionen des Vestibulocerebellums mit Lobus flocculus, nodulus und lingula zeigen Gleichgewichtstörungen, Schwindel, Veränderungen der vestibulo-okulären Reaktionen und Nystagmus.
•
Läsionen des medialen Spinocerebellums, des Vermis in der Mittellinie und der Ncll. fastigii verursachen Ausfälle in der axialen Rumpfkontrolle und eine Rumpfataxie. Als Ergebnis kann die posturale Kontrolle nicht gehalten werden, während die Extremitäten bewegt werden sollen.
•
Läsionen des lateralen Spinocerebellums, dem intermediären Teil der Hemisphären und des Ncl. interpositus lösen eine Extremitätenataxie und einen Aktionstremor oder auch Intentionstremor aus. Die Zielmotorik ist gestört, aber das Problem liegt nicht im distalen Teil der Extremität, sondern proximal in der Anbindung an den Rumpf.
•
Läsionen des lateralen Cerebellums, der lateralen Hemisphären und des Ncl. dentatus führen zur Unfähigkeit, Bewegungen zu planen und zu initiieren. Der Patient hat Schwierigkeiten, komplexe Bewegungen auszuführen, die mehr als ein Gelenk benötigen, Aktivitäten erzeugen sollen und Präzision und Geschicklichkeit benötigen.
Für die Praxis
Durch exaktes und spezifisches Clinical Reasoning muss herausgefunden werden, um welche Art einer cerebellären Störung es sich handelt.
2.1.4
Therapieansätze
Merke
Übergeordnet geht es für die Patienten um sensomotorisches Lernen!
Erfahren der momentanen Bewegungsstrategie des Patienten
•
Wird sie positiv erlebt?
–
Selbstständigkeit ist erhalten.
–
Ziele können erreicht werden.
•
Wird sie negativ erlebt?
–
Abhängigkeit von Helfern oder Hilfsmitteln
–
Begrenzte Alltagskompetenz
–
Sturzgefahr
–
Übermäßige Anstrengung mit Erschöpfung (Fatique)
–
Verkrampfungen und Schmerzen
–
Erhöhter Zeitaufwand
–
Frustration und Rückzug
Merke
Beim Erfassen des momentan benutzten Bewegungsverhaltens erkennt der Patient im therapeutischen Dialog häufig zum ersten Mal das „Zuviel“ in seinem Denken, seiner Anstrengung, seinem Einsatz von Muskelkraft und Fixationen, seinem ständigen Luftanhalten und dem mit Druck Arbeiten. Erst diese Erfahrung zeigt ihm auf, dass das eigene Bewegungsverhalten reflektiert und verändert werden muss und kann. Er erfährt sein Bewegungs- und Lernpotenzial, welches die Basis für die Formulierung eines Ziels für Alltagsaktivitäten oder seiner Teilhabe im Beruf oder Privatleben ist (Kap. 1).
Erkennen der Fehler, die für das Wiedererlernen von flüssigen Bewegungen nicht hilfreich sind
Merke
Je komplexer die Bewegung ist und je mehr Gelenke im Bewegungsablauf hintereinander geschaltet werden müssen, umso schwerer ist die Bewegungskontrolle.
Erlernen eines „posturalen Rahmens“ (antizipatorische posturale Anpassungen, APA) vor und während jeder Bewegung
Merke
Corestabilität (Kap. 3.1.3) muss vorhanden sein; die posturale Stabilität benötigt posturale Orientierung im Körper selbst und in der Umwelt (Körperschema).
Umkehrung oder Anpassen der Muskelaktivität in der Schwerkraftlinie
Merke
Die Bewegungskontrolle ist vorhanden, wenn jede Bewegung in jedem Moment umgekehrt oder angehalten werden kann. Der Wechsel des Agonisten in der Schwerkraftlinie ist normalerweise weich und ohne Rucken. Bei einem ataktischen Patienten kann es hier größere Bewegungsausschläge geben.
Verschiedene Bewegungssequenzen erfahren, ohne Teile des Körpers zu fixieren
Merke
Die Fähigkeit eines „perfekten“ Alignments (biomechanische Einstellung in der Schwerkraft für die jeweilig ablaufende Bewegungsfolge) erleichtert und automatisiert die posturalen Einstellungen vor und während jeder Bewegung.
Erkennen des eigenen Bewegungsverhaltens mit bestehendem Missverhältnis der einzelnen Rotationskomponenten im ganzen Körper
Merke
Wenn die Fähigkeiten der posturalen Gegenrotation, der gegenläufigen Gleichgewichtsreaktionen und der „Rebound“-Reaktion fehlen, ist die Folge sehr oft ein Fixationsmuster oder Sturzgefahr durch eine überschießende oder ungebremste Bewegung für das angestrebte Ziel.
Erarbeiten der bewussten Körperwahrnehmung (Body Awareness), um über Spüren und nicht aus negativer Erfahrung der Vergangenheit die Bewegung planen zu können
•
Loslassen der Fixationsstrategien in sicheren Ausgangsstellungen für kontrolliertes Bewegen
•
Einbeziehen der Atembewegungen in allen Bewegungsabläufen, um das Luftanhalten als ineffizient zu erleben
•
Ausprobieren von großen Bewegungen, die immer feiner graduiert werden, und dadurch die Erfahrung von Beweglichkeit, Bewegungsverbesserungen und Leichtigkeit in der Bewegung
•
Dosierte Spannungsanpassung mit der Gewichtseinschätzung der eigenen Extremität für die Gegenstandsmanipulation in der Umwelt
•
Timing von Haltung und selektiver Bewegung: zuerst in Zeitlupe und dann immer schneller werdend
Merke
Bei einer ataktischen Bewegungsstörung wird die posturale Kontrolle wahrscheinlich nie mehr so automatisch wie im gesunden Zustand und muss deswegen bewusster angesteuert werden.
Erlernen des „Postural Sway“ = Haltungsschwingung
Merke
Dies ist bedeutend für den freien dynamischen Stand und Voraussetzung für das Gehen. Die Schwingung benötigt eine gute Einstellung aller Körperabschnitte übereinander in der Schwerkraftlinie und sollte sich in alle Richtungen gleichermaßen automatisch einstellen.
Erlernen der Balancestrategien (Sprunggelenksstrategie, Hüftstrategie, Schrittstrategie)
Merke
Fixationen der Füße und zu schnelle Abstützreaktionen der Arme vermindern die Fähigkeit, auf Balancestrategien zurückzugreifen, und erhöhen die Sturzgefahr.
Augenbewegungen verfeinern
Merke
Für die Orientierung im Raum ist die freie Beweglichkeit der Augen und des Kopfes von großer Bedeutung. Bei Patienten mit cebellärer Ataxie sind Schrittfolgen häufig ungenau, mit hypermetrischen Fehlern oder vielen Korrekturen. Die vestibulo-okuläre Reaktion (VOR) ist bedeutend für Gleichgewichtsreaktionen (Kap. 3.2.1).
Falltraining
Merke
Die Gefahr zu stürzen ist ein ständiger Begleiter der Menschen mit einer Ataxie. Die Angst davor endet in einer Planung mit „zu viel“ an Muskeltonus und Fixationen, die entweder den Menschen bewegungsunfähig macht oder das Stürzen provoziert. Gelerntes Fallen auf den Boden macht Bewegungsabläufe geschmeidiger, reduziert die Angst und die damit verbundenen Risiken für Verletzungen und Frakturen (Kap. 2.6).
Merke
Bewusstheit kann als eine aufmerksame, entspannte und wache Anwesenheit beschrieben werden. Sich selbst und der Umwelt gegenüber bewusst sein heißt, ständig die internen und externen Einflüsse zu beobachten.
Es ist eine Lernmöglichkeit für den Patienten, durch die er mit vertiefter Aufmerksamkeit und Empfindsamkeit ausprobierend Erfahrungen sammeln kann und sich dabei selbst reflektiert und selbst erkennt.
Merke
Innere Repräsentation besteht durch die Integration sensorischer Information über
•
Erfahrung von aktiver Bewegung im Raum
•
Dreidimensionale Bewegungserfahrung und spezifische Raumexploration
•
Spiralige Bewegungen
•
Aufrichten und Loslassen
•
Vertikale Orientierung
•
Afferente Information, geliefert durch spezifisches Handling
•
Referenz für Bewegung als Orientierungsrahmen
•
Ständigen neuen Erfahrungsabgleich
•
Ständiges Körperschema-„Update“
•
Erkennen von eigenen Limitierungen
Literatur
Criscimagna-Hemminger and Shadmer, 2008
Criscimagna-Hemminger et al., 2010
Gibo et al., 2013
Masao, 2013
Wickelgren, 1998
Paresen
2.2.1
Definition und Beschreibung
2.2.2
Spezifische Störungen
Zentrale Paresen
Merke
Zur Phänomenologie der zentralen (spastischen) Parese gehören:
•
Kraftminderung mit Herabsetzung der feinbeweglichkeitselektiven Bewegung
•
Erhöhung des Muskeltonus
•
Gesteigerte Eigenreflextätigkeit, ggf. mit leicht auslösbaren, erschöpflichen oder unerschöpflichen Kloni
•
Auslösbarkeit pathologischer Reflexe, z. B. Babinski-Zeichen (das Bestreichen des lateralen Fußrandes führt zu einer Dorsalextension der Großzehe)
•
Abschwächung oder Aufhebung von Fremdreflexen (z. B. Bauchhautreflex)
•
Zunächst normale Muskeltrophik
Hemiparesen
Tetraparesen
Paraparesen
Periphere Paresen
Merke
Zur Phänomenologie der peripheren (schlaffen) Parese gehören:
•
Kraftminderung
•
Reduzierter Muskeltonus
•
Verminderte oder aufgehobene Eigenreflextätigkeit
•
Muskelatrophie
Beispiel
Die PoliomyelitisPoliomyelitis ist eine Virusinfektion, bei der α-Motoneurone in unterschiedlicher Menge zugrunde gehen. Die Folge sind schlaffe Lähmungen mit häufig schweren Atrophien.
Bei der amyotrophen LateralskleroseLateralsklerose, amyotrophe kommt es zu einem fortschreitenden Untergang von α-Motoneuronen und zu einer progredienten Degeneration kortikospinal projizierender Neurone. Dies führt zu einer Kombination aus peripheren und zentralen Paresen in ein und demselben Muskel und äußert sich neben regelmäßig auslösbaren pathologischen Reflexen darin, dass der atrophische Muskel spastische Zeichen aufweist.
Distal symmetrische Paresen
Paresen bei Läsionen einzelner Nerven
Beispiel
Ein lateraler Bandscheibenvorfall kann zu einer Schädigung der Vorderwurzel und auf diese Weise zur Entstehung von Paresen führen. Kommt es z. B. im C7-Segment zu einer Vorderwurzelläsion, resultiert u. a. eine Parese und Atrophie des M. triceps brachii und ein abgeschwächter Trizepssehnenreflex. Eine Schädigung des N. radialis (aus den Segmenten C5–Th1) in seinem proximalen Verlauf führt zu einer Lähmung und Atrophie der Mm. triceps brachii, brachioradialis, supinator sowie der Hand- und Fingerstrecker.
Paresen bei Affektionen des Plexus
2.2.3
Therapieansätze
Literatur
Renner et al., 2017 Jan 24
Gangstörungen
2.3.1
Definition und Beschreibung
Merke
Clinical Reasoning anhand der Ganganalyse:
•
Therapeuten sollten beobachten, WIE die Person geht, um zu analysieren, WARUM sie so geht, wie sie geht.
•
Es ist müßig, das WIE zu beschreiben; wichtiger ist es, die Ursache herauszufinden!
•
Beim Gehen ist der Oberkörper die stabile Referenz für die sich bewegenden unteren Extremitäten. Die Körperabschnitte Becken, Thorax und Kopf sind in eine gemeinsame Längsachse eingeordnet.
•
Die oberen Extremitäten können die Fortbewegung unterstützen (als weiterlaufende Bewegung des Rumpfeinsatzes), Gehen ist jedoch auch ohne die Bewegung der Arme möglich.
•
Die Spurbreite des Menschen beträgt durchschnittlich zwischen 5 und 13 cm.
•
Als Schrittlänge wird der Abstand zwischen Fersenaufsatz und Fersenaufsatz der beiden Füße bezeichnet.
•
Ein Gangzyklus ist der Zeitraum zwischen dem initialen und dem erneuten Aufsetzen desselben Fußes auf dem Boden.
•
Die Standbeinphase beschreibt den Abschnitt, in dem der Fuß Bodenkontakt hat.
•
Die Schwungbeinphase beschreibt den Abschnitt, in dem sich der Fuß in der Luft befindet.
•
Die Kadenz bezeichnet die Anzahl der Schritte pro Minute.
2.3.2
Muskelfunktionen beim Gehen und spezifische Störungen
•
Ataktische Gangbilder (Ataxie, Kap. 2.1; Erkrankungen des Kleinhirns, Kap. 4.12). Häufig breitere Gangspur, Neigung zur Retropulsion, aber auch immer wieder aus dem „normalen Gehen“ heraus eine ataktische Abweichung eines Beins in der Schwungbeinphase außerhalb der Gangspur. Romberg (= geschlossener Stand mit beiden Armen im Schultergelenk auf 90° angehoben) bereits mit geöffneten Augen schwierig.
•
Kleinschrittige Gangbilder bei Patienten mit extrapyramidalen Störungen (Bewegungsstörungen, Kap. 4.2; idiopathisches Parkinson-Syndrom, Kap. 4.2.1). Hier können auch plötzliches „Freezing“ (= Einfrieren der Bewegung) oder Festinationen (= Trippelschritte) vorkommen.
•
Breitspurige Gangbilder bei Patienten mit Polyneuropathien ähneln einem cerebellär ataktischen Gangbild, jedoch selten Retropulsion. Romberg kann bei geöffneten Augen gestanden werden, bei geschlossen wird dies schwierig. Sensibilitätsstörung meist distal symmetrisch im Bereich der unteren Extremitäten (Kap. 4.4).
•
Breitspuriges Gangbild bei Normaldruckhydrozephalus, charakteristisch mit breitspurigem und kleinschrittigem Gangbild mit Außenrotation der Füße und gestreckten Knien (zusätzlich Demenz und Urininkontinenz) (Kap. 4.2).
•
Myopathische Gangbilder, die oft mit Spurverbreiterungen einhergehen, um andere Muskelgruppen zu nutzen, und die Aufrichtung gegen die Schwerkraft nur über die Rückenstrecker gestalten (peripheres motorisches Nervensystem und motorische Endplatte, Kap. 3.1.1; Muskelerkrankungen, Kap. 4.10); ebenso typisch Absinken in der Hüfte auf der Standbeinseite (= Trendelenburg-Gangbild, „watscheln“).
•
Gangbilder mit Aktionsmyoklonus sind sehr auffällig, da die überschießenden Bewegungen oft erschreckend sind (Myoklonien, Kap. 4.2.7).
•
Steppergang wird das klassische Gangbild bei einer Peroneus-Parese (Kap. 4.4) genannt. Die fehlende Extension im Sprunggelenk wird durch eine vermehrte Beugung in der Hüfte kompensiert.
•
Menschen mit Problemen im emotionalen System können psychogene Gangstörungen entwickeln, die sehr individuelle Kompensationen zur Folge haben.
•
Menschen mit Problemen im biomechanischen System (Kap. 3.5) und daraus resultierenden Schmerzen werden versuchen, beim Gehen den Schmerz zu vermeiden. Sie verkürzen oft die Standbeinphase der schmerzenden Seite und setzen die Arme als Kompensation ein (Knochen- und Weichteilverletzungen oder Deformitäten, Malalignment durch Minus-Symptomatik, Kap. 3.5.2; Malalignment durch Plus-Symptomatik, Kap. 3.5.2).
•
Menschen mit Problemen im perzeptiven System (Kap. 3.2) verändern ihr Gangbild aufgrund der speziellen Symptomatik; z. B. wird bei Parästhesien, Nervenschmerzen oder Taubheitsgefühlen die Abrollbewegung vermieden.
•
Menschen mit Problemen im vegetativen System (Kap. 3.3) verändern ihr Gangbild aufgrund von Schwindel, Schwächeanfällen oder Blutdruckproblemen; sie gehen schwankend oder wirken betrunken
2.3.3
Therapieansätze
Literatur
Götz-Neumann, 2003
Schwindel
2.4.1
Definition und Beschreibung
1.
Vestibuläres System
2.
Visuelles System
3.
Sensomotorisches System
2.4.2
Einteilung der Schwindelbeschwerden
2.4.3
Spezifische Störungen und Ursachen von Schwindel
Peripher-vestibuläre Störungen
Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel (BPPV)
•
Drehschwindelattacken,Lagerungsschwindel, benigner paroxysmalerSchwindelperipher-vestibuläre Störung die durch Änderungen der Kopfposition ausgelöst werden (Hinlegen, Umdrehen, Aufsitzen, Bücken, Kopfreklination)
•
Dauer: typisch 5 bis 30 Sekunden
•
Ursache sind frei bewegliche Kristalle innerhalb der Bogengänge (Canalolithiasis)
•
Häufig nach Schädel-Hirn-Trauma oder nach anderen peripher-vestibulären Erkrankungen
•
In 90 % ist der hintere (posteriore) Bogengang betroffen, in etwa 10 % der seitliche (horizontale) Bogengang
•
Therapie erfolgt mit spezifischen Befreiungsmanövern (siehe unten).
Morbus Menière
•
Rezidivierende Morbus MenièreDrehschwindelattacken für Minuten bis mehrere Stunden, ohne erkennbaren Auslöser
•
Meist klassische Trias mit Ohrdruck, Tinnitus/Hörminderung und Drehschwindel
•
Ursache ist ein endolymphatischer Hydrops
•
Therapie erfolgt vor allem medikamentös (Betahistin, Gentamicin)
•
Wirksamkeit der zahlreichen therapeutischen Ansätze ist bisher nicht in qualitativ hochwertigen Studien nachgewiesen
Neuritis vestibularis
•
Akuter einseitiger Neuritis vestibularis(Teil-)Ausfall des N. vestibularis
•
Leitsyndrom: heftiger, akut einsetzender Drehschwindel, der auch in Ruhe besteht
•
In der Regel mit Übelkeit, Erbrechen, Stand- und Gangunsicherheit
•
Im Verlauf Rückbildung der Beschwerden innerhalb von Tagen bis Wochen
•
Therapie erfolgt mit vestibulärem Gleichgewichtstraining und am Anfang mit Medikamenten (Steroide)
Bilaterale Vestibulopathie
•
Mehr oder weniger Vestibulopathie, bilateralevollständiger Ausfall der peripher-vestibulären Funktion auf beiden Seiten
•
Bewegungsabhängiger Schwankschwindel mit Gangunsicherheit und Bildverwacklungen (Oszillopsien) beim Gehen
•
Vermehrte Symptomatik bei Dunkelheit und auf unebenem Untergrund
•
Ursachen können ohrtoxische Medikamente (Gentamicin), vorbestehende beidseitige Innenohrerkrankungen und Vitamin-B12-Mangel sein
•
In etwa 50 % der Fälle findet man keine Ursache.
•
Therapie vor allem mit vestibulärem Gleichgewichtstraining
Sonstige
•
VestibularisparoxysmieVestibularisparoxysmie mit kurzen Dreh- oder Schwankschwindelattacken (Sekunden), teilweise durch Kopfbewegungen oder Hyperventilation auslösbar
–
Ursache ist eine vaskuläre Kompression des N. vestibulocochlearis
–
Therapie medikamentös (z. B. Carbamazepin)
•
PerilymphfistelPerilymphfistel mit kurzen Schwindelattacken, die durch Husten, Niesen, Schnäuzen, Pressen (Valsalva) oder durch laute Töne ausgelöst werden
–
Fistel kann zum Mittelohr oder zur mittleren Schädelgrube bestehen
•
Posttraumatisch nach Schädel-Hirn-Trauma (OtolithenschwindelOtolithenschwindel)
Zentral-vestibuläre Störungen
•
Entzündliche, tumoröse, vaskuläre Hirnstammläsionen
•
Vaskuläre, tumoröse, entzündliche Kleinhirnläsionen
•
Multiple Sklerose, Parkinson-Syndrome
•
Vestibuläre Migräne
–
Häufigste episodische Schwindelerkrankung zentraler Genese
–
Wiederholte Schwank- oder Drehschwindelattacken, die Minuten bis Stunden andauern
–
Ein Teil der Schwindelsymptome kann als vestibuläre Aura im Rahmen einer typischen Migräneattacke erklärt werden
–
Begleiterscheinungen während der Attacke: Nystagmus, Stand- und Gangataxie, Licht- und Lärmempfindlichkeit sowie Ruhebedürfnis
–
Attacken ohne Kopfschmerzen können auftreten
–
Therapie entspricht der Kopfschmerz-Migräne
Nichtvestibuläre Störungen
Funktioneller/somatoformer Schwindel
•
LeitsymptomSchwindelnichtvestibuläre Störung ist ein Dauerschwindel, der sich auch in Ruhe präsentiert und von der Intensität her in Abhängigkeit von Umgebungsfaktoren fluktuiert
•
Häufig Zunahme im Laufe des Vormittags
•
Der Schwindel entsteht durch mehr bewusste Kontrolle der Gleichgewichtsfunktion
•
Bei subjektiver starker Beeinträchtigung sind in der Regel die neurologischen Befunde und vestibuläre Funktionstests unauffällig
•
Formen des somatoformen Schwindels und begleitende Erkrankungen:
–
Phobischer Schwankschwindel
–
Verstärkung der Symptomatik in bestimmten Situationen (z. B. in Menschenmengen, auf einer Brücke, beim Autofahren) und die Besserung bei Ablenkung typisch
–
Depressive Verstimmung
–
Schizoaffektive Psychose
•
Therapeutisch sind Aufklärung, Psychotherapie und angstlösende Medikamente (selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer) wirksam
Okulärer Schwindel
•
Entsteht bei Visusminderung und Augenmuskelparesen (Doppelbilder)
•
Augenmuskelparesen können bei verschiedenen Erkrankungen, z. B. als neuromuskuläre Übertragungsstörung bei der Myasthenia gravis auftreten.
Störung sensibler Afferenzen
•
Symmetrische Gefühlsstörungen an den Füßen (und Händen) sind typisch für die Polyneuropathie
•
Ursachen sind z. B. Diabetes mellitus und lange erhöhter Alkoholkonsum
•
Ähnlich wie bei der bilateralen Vestibulopathie haben die Patienten besondere Schwierigkeiten beim Gehen im Dunkeln und auf unebenem Untergrund
•
Therapie richtet sich nach der Ursache
Internistische Ursachen für Schwindel
2.4.4
Therapieansätze
1.
Lagerungstraining bei gutartigem Lagerungsschwindel
2.
Vestibuläre Rehabilitation bei Gleichgewichtsstörungen
Befreiungsmanöver bei BPPV
Behandlung des BPPV des posterioren Bogengangs
Vestibuläre Rehabilitationstherapie
•
Reduktion des Schwindelgefühls
•
Verbesserung der Blickfunktionen
•
Förderung der Gleichgewichtsregulation (Beweglichkeit, Koordination)
•
Stärkung aller physikalischen Qualitäten mit Erhöhung des Aktivitätsniveaus
•
Verbesserung der aktiven Teilhabe am gesellschaftlichen Leben
•
Reintegration in das häusliche/berufliche Leben durch verbesserte Gleichgewichtsfunktionen
Clinical Reasoning und Schwindel
•
Bekommt der Patient genügend Informationen aus dem Gleichgewichtssystem (vestibulär, propriozeptiv, exterozeptiv, visuell)? Dies ist Voraussetzung, um die Symptome überhaupt wahrzunehmen und sie ggf. sogar mit entsprechender Übung vorherzusehen (Kap. 3.2.1).
•
Ist der Patient motorisch in der Lage, sich genügend stabile Referenzen in seinem Körper zu schaffen, um den Schwindel auszugleichen? (Kap. 3.1; speziell posturale Kontrolle, Kap. 3.1.3)
•
Nimmt der Patient wahr, wenn er die posturale Kontrolle verliert? Bekommt er genügend Rückmeldung für die Kompensation, z. B. aus der Propriozeption? (Kap. 3.2; speziell Propriozeption, Kap. 3.2.1)
•
Hat der Patient vegetative Probleme (z. B. Blutdruckschwankungen), die auch Schwindel verursachen können? (Kap. 3.3)
•
Gibt es biomechanische Einschränkungen, die den Schwindel verursachen bzw. verstärken oder aufrechterhalten, z. B. Blockaden und Bewegungseinschränkungen der Wirbelsäule, oft HWS? (biomechanisches System, Kap. 3.5)
Literatur
Brandt, 1999
Brandt et al., 2012
Brandt et al., 2006
Brandt et al., 1994
Casani et al., 2002
Epley, 1992
Gufoni et al., 1998
Hillier and McDonnell, 2011
Howe et al., 2011
Jahn, 2012
Kellerer and Saul, 2014
Kellerer, 2014
Lempert and Tiel-Wilck, 1996
Minor et al., 2004
Semont et al., 1988
Vannucchi et al., 1997
Schmerz
2.5.1
Definition und Beschreibung
Merke
Während der akute Schmerz Warnsymptom einer anderen Erkrankung darstellt, ist der chronische Schmerz eine eigenständige, schwer behandelbare Erkrankung, die in der Regel der Interdisziplinarität von Ärzten, Psychologen und Physiotherapeuten sowie weiteren Behandlern bedarf.
2.5.2
Mechanismen der Schmerzentstehung und -chronifizierung
•
Die durch Aktivierung von Nozizeptoren ausgelösten Schmerzen werden als Nozizeptorschmerz bezeichnet. NozizeptorenNozizeptor sind außer im Gehirn in fast allen Organen unseres Körpers als schmerzaufnehmende Sensoren vorhanden. Nozizeptorschmerzen werden als dumpf oder spitz, zuweilen auch als brennend vom Betroffenen wahrgenommen und sind klinisch charakterisiert durch einen mehr oder weniger scharf begrenzten lokalen Schmerz, der die Gewebsschädigung unter Aktivierung der betroffenen Struktur zudem verstärkt anzeigt. Dieser somatische Schmerz entsteht als Warnsignal bei Einwirkung mechanischer, chemischer oder thermischer Schmerzreize in Haut, Weichteileilen, Knochen oder Gelenken, z. B. bei Knie- oder Hüftschmerzen.
•
Wenn Schmerzreize im peripheren Gewebe zu einer Aktivierung nicht neuraler Strukturen und viszeraler Neurone an inneren Organen entstehen, z. B. durch Dehnung von Hohlorganen wie der Gallenblase oder des Nierenbeckens, aber auch bei Gewebshypoxie oder Mesenterialzug, spricht man von viszeralem Schmerz. Die Zonen der Übertragung viszeraler Schmerzen (Head-ZonenHead-Zonen) erfolgen über Eingeweidenerven zu den spinalen Segmenten in Höhe T1–L2/3 und S2–S4. Dabei wird die Schmerzempfindung aus den Eingeweiden und tiefen somatischen Arealen als Druck- oder Berührungshyperalgesie auf die Körperoberfläche projiziert. Die Schmerzqualität wird vom Patienten als dumpf, brennend oder krampfartig wahrgenommen und kann im Gegensatz zum Nozizeptorschmerz nicht genau lokalisiert werden. Nicht selten ziehen diese Patienten zur Linderung der als quälend wahrgenommenen viszeralen Schmerzen ihre Beine an. Durch die reflektorische Anspannung der paravertebralen Muskulatur gehen die Schmerzen häufig mit muskuloskelettalen Schmerzen einher.
•
HyperalgesieHyperalgesie: Zustand der verstärkten Schmerzwahrnehmung.
•
AllodynieAllodynie: Nicht schmerzhafte dynamische Berührungsreize der Haut werden nun als schmerzhaft empfunden.
•
DysästhesieDysästhesie: Eine Form der Sensibilisierungsstörung, bei der Reize qualitativ als anders und unangenehm, jedoch nicht zwingend als schmerzhaft empfunden werden. Die Dysästhesie ist vermutlich auf eine Sensibilisierung von C-Nozizeptoren zurückzuführen. Erkrankungen, bei denen das Wind-up-Phänomen eine wesentliche Rolle spielen dürfte, sind u. a. Anaesthesia dolorosa, Fibromyalgie-Syndrom und chronisch idiopathische Gesichtsschmerzen.
2.5.3
Therapieansätze
Literatur
Baron et al., 2013
Sturzgefahr
2.6.1
Definition und Beschreibung
Merke
Die Angst vor erneuten Stürzen reduziert häufig die Bewegungsbereitschaft, vermindert soziale Kontakte und kann ein Grund für die Unterbringung in einem Pflegeheim sein.
Merke
Die Begriffe „Gleichgewicht“, „Equilibrium“ und „posturale Kontrolle“ werden als Synonyme benutzt, um den Mechanismus zu beschreiben, mit dem der menschliche Körper sich vor dem Fallen schützt oder das Gleichgewicht bewahrt.
Merke
Schlussfolgerung: In der Therapie müssen neben den zugrunde liegenden sensomotorischen Impairments (Funktionsstörungen) sowohl die kognitiv-emotionalen Fähigkeiten als auch die Kompensationsstrategien in den differenzierten Clinical-Reasoning-Prozess des Therapeuten mit einbezogen werden.
2.6.2
Clinical Reasoning
Literaturergebnisse zum Task-orientierten Ansatz (Top down)
Merke
Beim Task-orientierten Therapieansatz wird die gewünschte Aufgabe (motorische Handlung) in den Vordergrund der übenden und repetitiven therapeutischen Vorgehensweise gestellt.
Literaturergebnisse zum sensomotorischen Ansatz (Bottom up)
Merke
Unter dem SturzgefahrBottom-up-AnsatzSturzgefahrsensomotorischer Ansatzsensomotorischen Ansatz ist die therapeutische Intervention zu verstehen, die über externale, somatosensorische Reize Einfluss auf das Feedforward-System nimmt, mit dem Ziel der möglichst eigenständigen, aktiven und kontrollierten Bewegungsausführung des Patienten. Das Bobath-Konzept und die Feldenkrais-Methode ergänzen diesen Ansatz mit internalen Reizen (Aufmerksamkeit zu einem Körperabschnitt oder der Bewegungsausführung lenken). Es wird das Ziel verfolgt, die Qualität der Bewegung zu optimieren, Kompensationsmechanismen zu reduzieren, um so mit verbesserten Voraussetzungen an zielgerichteten Tasks arbeiten zu können.
•
Selektive Beckenbewegungen, die im Stehen durchgeführt werden, haben einen positiven Effekt auf die posturale Kontrolle.
•
Selbstinitiierte Bewegungen erfordern antizipatorische posturale Adjustments (APAs) und sind immer abhängig vom Ziel (Kap. 3.1).
•
Haut- oder andere sensorische Reize modifizieren den motorischen Output.
•
Placing ist eine sensorisch geleitete Muskelaktivierung. Sie stabilisiert proximale Körperabschnitte vor oder während einer aktiven Bewegung.
•
Antagonistische Hemmung über sensorische Reize ermöglicht kontrollierte Bewegungsausführung.
•
Light Touch reduziert den Postural Sway und scheint dem Körper eine Referenz zu geben.
•
Vibration der Fußsohle und der Nackenmuskeln scheint sinnvoll.
•
Der Galileo scheint nicht sinnvoll, die Force-Plattform verbessert die Symmetrie, nicht aber den Postural Sway.
•
Elektrostimulation zeigt sich im Vergleich mit anderen Therapiemethoden oder Scheinbehandlung nicht überlegen.
Für die Praxis
Nach der derzeitigen Literaturlage ist abschließend keine klare Bevorzugung für die Top-down- oder die Bottom-up-Therapie zu treffen. Allerdings spricht viel für den sensomotorischen Ansatz.
2.6.3
Therapieansätze
1.
Differenziertes Clinical Reasoning, dem Patientenziel zugewandt („Ich will nicht fallen“)
2.
Identifizierung der Kompensationsstrategien des Patienten und der zugrunde liegenden Funktionsstörungen (kognitive, emotionale, perzeptive, neuromuskuläre und biomechanische Fähigkeiten/-störungen)
–
Durch Analyse des Bewegungsverhaltens bei der Lokomotion
–
Durch Überprüfen von Variationsfähigkeiten in den Bewegungsabläufen
–
Durch Testverfahren
3.
Identifikation des Lernpotenzials des Patienten (kognitive Fähigkeiten, Bewusstsein der eigenen Fähigkeiten und Bewegungsgrenzen, Aufmerksamkeit, Motivation, Gedächtnis, Compliance)
4.
Behandlung der Funktionsstörungen mit folgenden Schwerpunkten:
–
Aktive Therapie, immer aufgabenbezogen
–
Integriert in den individuellen Lernprozess des Patienten
–
Interaktiv mit dem Patienten (kognitiv fordernd, Planung der Bewegung, problemlösend, Fehler machen, erkennen und experimentieren, Bewegungsgrenzen erfahren)
–
Modifikation der Kompensationsstrategien
–
Aktivierung, Steigern an der Leistungsgrenze (Shaping), Repetition
–
Sensorische Informationen durch Hands on: Vibration, taktile Reize, Gewichte abnehmen (falls erforderlich), taktile Cues, verbale Cues, Umwelt gestalten als Sicherheit und oder Begrenzung, Umwelt variieren, unterschiedliche Unterstützungsflächen anbieten
–
Mobilisation der Körperabschnitte, die steif und wenig beweglich sind
–
Aktivieren der konzentrischen und exzentrischen agonistischen Muskeln, die an den Bewegungsabläufen beteiligt sind, in unterschiedlichen Bewegungsübergängen (Rückenlage – Seitlage – Sitz/Sitz – Stand/Stand – Gehen)
5.
Ausdauer und Krafttraining
6.
Falltraining
7.
Eigenübungsprogramm
8.
Individuell angepasste Hilfsmittel wie Schienen, Rollator, Gehstock
Falltraining
Messverfahren bei Sturzgefahr
Hilfsmittel
Pragmatische Sturzvorbeugung
•
Klingel schlecht erreichbar
–
Klingel auf Toilette am Haltegriff in Reichweite befestigen
–
Klingel nicht unter der Decke platzieren
–
Klingel nicht auf Neglectseite platzieren
–
Beleuchtung
•
Nasse Flächen in der Dusche, im Flur, im Patientenzimmer, in Gemeinschaftsräumen
–
Rutschfeste Unterlage beim Duschen
–
Nasse Flecken sofort wegwischen
•
Brille schmutzig
–
Morgens routinemäßig Brille putzen
–
Alle Mitglieder des therapeutischen Teams hierfür sensibilisieren
Literatur
Brock et al., 2011
Dougherty et al., 2011
Duarte et al., 2009
French et al., 2007
Gillerspie et al., 2012
Jöbges et al., 2004
Laver et al., 2011
Levin and Panturin, 2011
Moseley et al., 2005
Weerdesteyn et al., 2008
Yardley and Smith, 2002