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10.1016/B978-3-437-45131-7.00004-7
978-3-437-45131-7
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Abb. 4.1

[G670]
Gefäßterritorien des Cerebrums
Abb. 4.2

[R234]
Hirnblutung
Abb. 4.3

[L231]
Zahnradphänomen. Bei der Prüfung der Muskelspannung in Ruhe bemerkt man einen erhöhten Tonus, der rhythmisch und ruckartig immer wieder nachlässt, wie wenn man an einem „Zahnrad dreht“.
Abb. 4.4

[V193]
Anti-Freezing-Stock
Abb. 4.5

[P404]
Großes, links frontales Konvexitätsmeningeom mit deutlicher Verdrängung des Hirnparenchyms, des Balkens und der Hirnventrikel (nebenbefundlich subkutanes Lipom)
Abb. 4.6

[R234]
ASIA-Klassifikation
Abb. 4.7

[L141]
Anterior-Cord-Syndrom
Abb. 4.8

[L141]
Brown-Séquard-Syndrom
Abb. 4.9

[L106]
Die inneren und äußeren Liquorräume des Menschen. Der dicke schwarze Pfeil bezeichnet den Ort einer endoskopischen Drittventrikulostomie (ETV); der schwarze Punkt stellt ein Beispiel für eine Raumforderung dar, die zu einem obstruktiven Hydrozephalus führen kann.
Häufigkeitsverteilung von Aneurysmen im Bereich der basalen Hirnarterien
Gefäß | Häufigkeit |
R. communicans anterior | ca. 40 % |
A. carotis interna | ca. 30 % |
A. cerebri media | ca. 20 % |
Aa. vertebralis + basilaris | ca. 10 % |
Häufigkeitsverteilung der Ursachen für eine Subarachnoidalblutung
Ursache | Häufigkeit |
rupturiertes Aneurysma | 85 % |
perimesenzephale Blutung | 10 % |
andere Ursachen (arterielle Dissektion, AV-Malformation, durale AV-Fistel, septisches Aneurysma, Trauma) | 5 % |
Schweregradeinteilung einer SAB nach Hunt und HessSubarachnoidalblutungSchweregrade
Grad | Symptome |
I | Asymptomatisch oder leichte Kopfschmerzen und leichte Nackensteife |
II | Mäßiger bis schwerer Kopfschmerz, Nackensteife, keine neurologischen Ausfälle außer Hirnnervenlähmungen |
III | Somnolenz, Verwirrtheit oder leichtes fokal neurologisches Defizit |
IV | Sopor, mäßige bis schwere Hemiparese, vegetative Störungen, evtl. frühe Dezerebrationszeichen |
V | Koma, Dezerebrationszeichen |
Stadieneinteilung Parkinson-Syndrom, idiopathischesStadiendes idiopathischen Parkinson-Syndroms nach Hoehn und Yahr
Stadium | Beschreibung |
1 | Symptomatik einseitig, keine bis geringe funktionelle Beeinträchtigung |
2 | Symptomatik beidseitig, keine Gleichgewichtsstörungen |
3 | Erste Anzeichen von gestörten Haltungsreflexen, funktionelle Einschränkungen, Patient im Alltag selbstständig |
4 | Voll entwickelte und schwer beeinträchtigende Symptomatik, Selbstständigkeit im Alltag eingeschränkt |
5 | Patient ist ohne Hilfe auf Rollstuhl oder Bett angewiesen |
Spinale Muskelatrophie: Einteilung nach Manifestationsalter
Name | Alter Erstmanifestation | Prognose |
SMA 1 infantil | Geburt bis 6 Monate | Tod bis zum 2. Lebensjahr |
SMA 2 intermediär | vor dem 18. Monat | Erwachsenenalter, keine Gehfähigkeit |
SMA 3 juvenil | nach dem 18. Monat | Erwachsenenalter |
SMA 4 adult | nach dem 20. Lebensjahr | langsam progredient |
Traumata: Einteilung der Schädigung peripherer Nerven nach Seddon und nach Sunderland
Seddon | Sunderland | Definition/geschädigte Struktur |
Neurapraxie | Grad I | Myelin |
Axonotmesis | Grad II | Myelin, Axon |
Neurotmesis | Grad III | Myelin, Axon, Endoneurium |
Neurotmesis | Grad IV | Myelin, Axon, Endoneurium, Perineurium |
Neurotmesis | Grad V | Myelin, Axon, Endoneurium, Perineurium, Epineurium |
Häufige Symptome der Multiple SkleroseSymptomeMultiplen Sklerose (alphabetisch)
Symptom | Besonderheit |
Blasenentleerungsstörung | imperativer (= nicht unterdrückbarer) Harndrang oder Dranginkontinenz oder verzögerte Blasenentleerung mit Restharn |
Depression | führt zu einer erhöhten Suizidrate bei MS-Patienten. |
Epileptische Anfälle | gehäuft im Vergleich zur gesunden Bevölkerung |
Fatigue | pathologisch vermehrte Ermüdbarkeit und verminderte Ausdauer (körperlich und/oder geistig); häufig unabhängig von körperlicher Behinderung |
Kognitive Störungen | Aufmerksamkeits-, Konzentrationsstörungen, verzögerte Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit, eingeschränkte Exekutivfunktionen1, Gedächtnisstörungen; häufig unabhängig von körperlicher Behinderung |
Koordinationsstörungen (Ataxie) | Gangataxie, Extremitätenataxie mit Intentionstremor |
Paresen | häufig Paraparese oder Hemiparese, zumeist mit Spastik |
Paroxysmale Symptome | plötzliche, häufig mehrmals pro Tag einsetzende anfallsähnliche, kurz dauernde Symptome:
|
Schmerzen |
|
Sehstörung |
|
Sensibilitätsstörungen | z. B. Kribbelparästhesien, Taubheitsgefühl |
Uhthoff-Phänomen | Verstärkung von MS-Symptomen bei erhöhter Körpertemperatur (z. B. bei Fieber, bei großer Hitze oder im warmen Wannenbad) |
1
Setzen von Zielen, Planung, Entscheidung für Prioritäten, Impulskontrolle, emotionale Regulation, Aufmerksamkeitssteuerung, zielgerichtetes Initiieren und Sequenzieren von Handlungen, motorische Steuerung, Beobachtung der Handlungsergebnisse und Selbstkorrektur
Symptomatische Therapie der MS
Symptom | Nichtmedikamentöse Maßnahmen | Medikamente |
Blasenentleerungsstörung | gegebenenfalls Selbstkatheterismus | je nach Befund der Urodynamik z. B. Darifenacin, Tamsulosin, Botulinumtoxin in den Blasenhals (Detrusor) |
Depression |
|
Antidepressiva |
Fatigue | Energiemanagement | |
Gangstörung | Physiotherapie | Fampyridin (Fampyra) |
Kognitive Störungen |
|
– |
Paresen |
|
– |
Schluckstörung |
|
– |
Schmerzen | Physiotherapie | |
Sehstörung |
|
bei Nystagmus ggf. Therapieversuch mit Aminopyridin |
Sensibilitätsstörungen |
|
bei Plus-Symptomen (Kribbeln, Missempfindungen, Schmerzen): Antiepileptika3/Antidpressiva4 |
Spastik |
|
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Sprechstörung | Logopädie | – |
1
SSRI = Serotonin-Wiederaufnahmehemmer
2
GKV = gesetzliche Krankenversicherung
3
Antiepileptika: Gabapentin, Pregabalin, Carbamazepin
4
Antidepressiva: Amitriptylin, Venlafaxin, Duloxetin
Sekundäre DemenzenDemenzsekundäre
|
Unterschiede in der Anamnese zwischen Synkope, generalisiert tonisch-klonischem Anfall und psychogenem nichtepileptischem Anfall
Synkope | Generalisierter tonisch-klonischer Anfall | Psychogener nichtepileptischer Anfall | |
Auslöser | 50 % (z. B. Angst, Schreck, Schmerz, Miktion, Herzrhythmusstörungen) | fast nie | variabel, z. T. induzierbar, situativ, fast ausschließlich in Gegenwart anderer |
Dauer | meist < 30 s | > 1 min (meist 1–2 min) | Sekunden bis Stunden, aber oft sehr lange (auch > 10 min möglich) |
Sturz | schlaff >> steif | steif | möglich |
Augen | leicht geöffnet, Deviation möglich | geöffnet,Deviation häufig | initial geschlossen |
Zungenbiss | selten | häufig (lateral) | oft Zungenspitze |
Inkontinenz | möglich | häufig | selten |
Konvulsionen | 70–90 %, arrhythmisch, multifokal/generalisiert | 100 %, rhythmisch, generalisiert | undulierend, an- und abschwellend, suggestibel, Aufbäumen des Körpers zur Brücke „Arc de Cercle“ |
Reorientierung | meist < 1 min (Ausnahme: z. B. gehaltene Synkope kann länger dauern, da Reperfusion nicht einsetzen kann) | oft 15–45 min | variabel |
Typische anamnestische und diagnostische Befunde bei fokalen und generalisierten Epilepsien
Fokale Epilepsien | Generalisierte Epilepsien |
Anamnese/Klinik:
|
Anamnese/Klinik:
|
EEG1: fokale EEG-Veränderungen (Verlangsamungen, Erregbarkeitssteigerung) | EEG1: generalisierte Erregbarkeitssteigerung |
cMRT: strukturelle Läsion | cMRT: nicht wegweisend |
Schlaf-EEG (eingesetzt bei V. a. fokale Epilepsie)/Schlafentzugs-EEG = Wach-EEG nach Schlafentzug (eingesetzt bei V. a. generalisierte Epilepsien)
Ein normales EEG schließt eine Epilepsie nicht aus. Für die Epilepsie typische Potenziale sind oft erst nach Provokationsfaktoren, in Langzeit-Ableitungen oder direkt nach einem Anfall nachweisbar.
1
Im EEG können sog. Provokationsfaktoren eingesetzt werden, um epileptische Aktivität zu provozieren. Dazu gehören Hyperventilation/Fotostimulation/Schlaf/Schlafentzug.
Funktionelle EinteilungKleinhirnfunktionelle Einteilung des Kleinhirns
Anatomie | Afferente Verbindungen | Phylogenese | Funktion | Klinisches Symptom |
unterer Vermis; Flocculonodularis/untere mediale Zone | Vestibulocerebellum | Archicerebellum |
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oberer Vermis/obere mediale Zone | Spinocerebellum | Paleocerebellum | Stand- und Gangkontrolle | Stand- und Gangataxie |
paravermale Hemisphäre/intermediäre Zone | Spinocerebellum | Paleocerebellum |
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laterale Hemisphäre/laterale Zone | Ponto- oder Cerebrocerebellum | Neocerebellum |
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Einteilung von Kopf- und Gesichtsschmerzen (KopfschmerzKlassifikationKopfschmerzklassifikation von 2013)
Teil 1
Primäre Kopfschmerzerkrankungen |
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Teil 2
Sekundäre Kopfschmerzerkrankungen – zurückzuführen auf: |
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Teil 3
Kraniale Neuralgien, zentraler und primärer Gesichtsschmerz und andere Kopfschmerzen |
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Einteilung von Motorik und Sensibilität in der ASIA-KlassifikationASIA-Klassifikation
Grad | Motorik | Sensibilität |
0 | komplette Lähmung | keine Wahrnehmung |
1 | Kontraktionen sichtbar oder palpierbar, kein Bewegungserfolg | beeinträchtigte Wahrnehmung |
2 | aktive Bewegung unter Ausschaltung der Schwerkraft | normale Wahrnehmung |
3 | aktive Bewegung gegen die Schwerkraft | |
4 | aktive Bewegung gegen Widerstand | |
5 | normale Kraft | |
NT | nicht testbar | nicht testbar |
ASIA Impairment ScaleASIA Impairment Scale
ASIA A = komplett | keine Sensibilität oder motorische Funktion in den Segmenten S4–S5 und tiefer |
ASIA B = inkomplett | nur Sensibilität in den Segmenten S4–S5 und tiefer |
ASIA C = inkomplett | motorische Funktion unterhalb der Läsion z. T. erhalten, mehr als 50 % der Schlüsselmuskeln < 3 |
ASIA D = inkomplett | wie C, aber mehr als 50 % der Schlüsselmuskeln ≥ 3 |
ASIA E = normal |
Schädigungsmuster und Prognose nach Läsionshöhe
Läsionshöhe | Schädigungsmuster | Prognose |
C1 bis C4 |
|
dauerhafte Abhängigkeit von Pflege und Unterstützung |
C5 |
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C6 |
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C7 bis C8 |
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Th1 bis Th9 |
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Th10 bis L1 |
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Unterhalb L2 |
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Beispiele für Umweltgifte
Name | Vorkommen | Symptome |
Kohlenmonoxid | entsteht bei Verbrennungsprozessen |
|
Hexacarbon-haltige Lösungsmittel | Farben, Lacke, Leime |
|
Arsen | Trinkwasserverschmutzung, Verbrennen imprägnierten Holzes, industrielle Schmelzprozesse |
|
Blei | industrielle Schmelz- oder Reinigungsprozesse |
|
Mangan | „Manganmüller“, industrielle Prozesse | Parkinson-artige Bewegungsstörung |
Giftige Pflanzen und Pilze
Name | Giftiger Bestandteil | Neurologische Symptome |
Alpenveilchen | Blätter, Knolle | Krämpfe |
Bilsenkraut | alle Pflanzenteile | Halluzinationen |
Brechnuss | alle Pflanzenteile | Tod durch Atemlähmung |
Fingerhut | Blätter | Sehstörungen, Halluzinationen |
Tollkirsche | grüne Teile, unreife Früchte | Halluzinationen, Krämpfe |
Fliegenpilz | Sehstörung, Pupillenverengung, Speichelfluss, Bradykardie, Hypotonie | |
Kahlkopf | Halluzinationen | |
Gelber Knollenblätterpilz | Halluzinationen, Verwirrtheitszustände | |
Riesenlorchel | Schwindel, Übelkeit, Kopfschmerzen |
Für das Nervensystem wichtige Vitamine und die Folgen von deren Mangel
Substanz | Betroffene Strukturen | Symptome und Therapie |
Vitamin A | Retina, Cornea |
|
Vitamin B1 (= Thiamin) | Gehirn (besonders Hirnstamm und periventrikulär, Cerebellum) |
|
Vitamin B3 (= Niacin) |
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Vitamin B6 (= Pyridoxin) |
|
|
Vitamin B12 (= Cobalamin) | Rückenmark (besonders hintere und seitliche Bahnsysteme), peripheres Nervensystem, Gehirn |
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Vitamin D (= Cholecalciferol) | quergestreifte Muskulatur | Myopathie mit Schwäche |
Vitamin E (= Tocopherol) | Rückenmark und Cerebellum |
|
Krankheitsbilder
-
4.1
Vaskuläre Erkrankungen des Nervensystems203
-
4.2
Bewegungsstörungen217
-
4.3
Traumata des Nervensystems237
-
4.4
Erkrankungen des peripheren Nervensystems241
-
4.5
Infektionen des Nervensystems249
-
4.6
Tumoren des Nervensystems253
-
4.7
Multiple Sklerose und andere inflammatorische demyelinisierende Erkrankungen des Nervensystems267
-
4.8
Neurologische Intensivmedizin273
4.8.1
Was ist neurologische Intensivmedizin?273
4.8.2
Wann ist eine intensivneurologische Versorgung notwendig?273
4.8.3
Typische intensivneurologische Krankheitsbilder275
4.8.4
Ausstattung neurologischer Intensivstationen und invasive Maßnahmen282
4.8.5
Besonderheiten intensivneurologischer Patienten für Physiotherapeuten285
-
4.9
Demenz289
-
4.10
Myopathien295
-
4.11
Epileptische Anfälle und Epilepsien299
-
4.12
Erkrankungen des Kleinhirns308
-
4.13
Kopfschmerzen313
-
4.14
Mitochondriale Erkrankungen317
-
4.15
Querschnitt318
-
4.16
Neurologische Komplikationen systemischer Erkrankungen325
-
4.17
Erkrankungen des autonomen Nervensystems328
-
4.18
Toxine, Mangelsyndrome und das Nervensystem332
-
4.19
Störungen der Liquorzirkulation335
Vaskuläre Erkrankungen des Nervensystems
Vaskuläre Erkrankungen des Nervensystems – und dabei vor allem die zerebrovaskulären Erkrankungen – gehören zu den häufigsten Erkrankungen überhaupt. Man schätzt die Inzidenz der Schlaganfälle auf 150–200/100 000 Einwohner. Konkret wurden 2014 in Deutschland 362 986 Patienten wegen zerebrovaskulärer Probleme (ICD I60–I69) stationär behandelt (Gesundheitsberichterstattung des Bundes, 2016). Unter dem Begriff der vaskulären Erkrankungen des Nervensystems werden Ischämien und Blutungen unterschiedlicher Ätiologie subsumiert. In diesem Kapitel wird auf die häufigsten Krankheitsbilder eingegangen.
4.1.1
Zerebrovaskuläre Ischämien
Ätiologie
-
•
Makroangiopathien Makroangiopathien
-
–
Entstehung von Territorialinfarkten
-
–
Häufigkeit: ca. 20–40 %
-
–
Ursachen:
-
–
Arterioarterielle Embolien: häufigste Ursache, Verschluss größerer Blutgefäße noch vor der Aufteilung in perforante Gefäße durch thrombotisches Material aus arteriosklerotisch veränderten vorgeschalteten Gefäßabschnitten
-
–
Dissektion von hirnzuführenden Gefäßen
-
–
Vaskulitiden
-
–
Hämodynamische Grenzzoneninfarkte: selten, im Bereich des Überganges zwischen den Versorgungsgebieten zweier Hirnarterien („letzte Wiesen“); können distal eines Verschlusses oder einer hochgradigen Gefäßstenose bei insuffizienter Kollateralversorgung u. a. bei Blutdruckabsenkung (Schlaf, Orthostase etc.) entstehen
-
-
-
•
Mikroangiopathien Mikroangiopathien
-
–
Entstehung von lakunären Infarkten
-
–
Häufigkeit: ca. 20–40 %
-
–
Ursachen:
-
–
Lipohyalinose der Gefäßwand perforierender Gefäße (Durchmesser ca. 200–400 µm) bei Hypertonie und/oder Diabetes mellitus
-
–
Arteriosklerotische Gefäßveränderungen
-
–
Vaskulitiden
-
-
-
•
Vorhofflimmern, permanent oder paroxysmal (erhöht das Risiko eines Schlaganfalles ca. um den Faktor 5!)
-
•
Offenem Foramen ovale und Vorhofseptumaneurysma mit Rechts-Links-Shunt (paradoxe Embolie)
-
•
Endokarditis mit Vegetationen an den Herzklappen
-
•
Herzklappenersatz
-
•
Dilatativer Kardiomyopathie
-
•
Gerinnungsstörungen (z. B. Protein-S-/Protein-C-Mangel, Faktor-V-Mutation Leiden u. a.)
-
•
Hämatologische Erkrankungen (z. B. Leukämien, Thrombozythämien, Polyzythämie u. a.)
Klinik
A.-cerebri-media-Syndrome
-
•
Mediahauptstammverschluss (M1-Segment): klassische kontraläsionale sensomotorische, typischerweise brachiofazial betonte Halbseitenlähmung, zumeist schwer ausgeprägt, oft mit Hemianopsie und Blickdeviation zur betroffenen Seite (Herdblick). Im ungünstigsten Fall Ausbildung eines malignen Mediainfarkts
-
–
Schädigung der dominanten Hemisphäre (meist links): zusätzlich Aphasie (Kap. 3.6), Apraxie
-
–
Schädigung der nichtdominanten Hemisphäre (meist rechts): zusätzlich Neglect, räumlich-konstruktive Störungen, Störungen der Aufmerksamkeit, fehlende Krankheitseinsicht (Anosognosie) (Kap. 3.4)
-
Merke
Maligner Mediainfarkt
Therapie
-
•
Konservativ:
-
–
Oberkörperhochlagerung
-
–
Moderate Blutdrucknormalisierung, ggf. leichte Hypertension
-
–
Normalisierung aller vegetativen und Stoffwechselparameter
-
–
Analgosedierung
-
–
Eskalation: Triple-H-Therapie mit Hypertension, Hypervolämie und Hypothermie
-
-
•
Operativ: dekompressive Hemikraniektomie (großzügige Entfernung des Schädeldeckels mit Spaltung der Dura mater und Duraplastik)
Prognose
-
•
Konservativ: hohe Mortalität von ca. 80 %
-
•
Operativ: Mortalität ca. 20–30 %
-
•
Mediahauptastverschluss (M2-Segment): Art und Schweregrad der resultierenden Symptomatik sind abhängig von der Verschlusslokalisation und der individuellen Aufteilungsvariation der Hauptäste. Im Allgemeinen resultieren typische Territorialinfarkte im frontalen, temporalen oder parietalen Abschnitt. Der Infarkt kann 20–40 % des Mediaterritoriums einnehmen. Das typische klinische Bild besteht aus einer brachiofazial betonten Hemiparese (Kap. 3.1), Hemihypästhesie (Kap. 3.2), Hemianopsie
-
–
Schädigung der dominanten Hemisphäre: Aphasie (Kap. 3.6), Apraxie
-
–
Schädigung der nichtdominanten Hemisphäre: Neglect, räumlich-konstruktive Störungen, Störungen der Aufmerksamkeit, Anosognosie (Kap. 3.4)
-
-
•
Kortikale Mediaäste (M3-Segment):
-
–
Aszendierende frontale Äste: überwiegend distal und armbetonte Hemisymptomatik, ggf. mit nichtflüssiger Aphasie (Broca-Aphasie)
-
–
Temporale Äste: Hemihypästhesie, ggf. flüssige Aphasie (Wernicke-Aphasie)
-
–
Parietale Äste: Agrafie, Akalkulie, Apraxie, Leitungsaphasie
-
-
•
Perforierende Endarterien: Entstehung von lakunären Infarkten in den Basalganglien, Capsula interna. In Abhängigkeit der Lokalisation motorische, sensorische oder sensomotorische Hemisymptomatik, Dysarthrie und Feinmotorikstörung der Hand (Dysarthria-Clumsy-Hand-Syndrom), Hemianopsie
A.-cerebri-anterior-Syndrome
-
•
Hauptastverschluss (A1-Segment): beinbetonte Hemiparese (selten mit Hemihypästhesie), Inkontinenz, positiver Greifreflex, Antriebsstörung, Haltungsverharren (begonnene Bewegungen werden nicht zu Ende geführt), Neglect, ggf. Aphasie. Bei beidseitigem Anteriorverschluss können sich erhebliche Persönlichkeitsveränderungen ergeben mit einerseits deutlicher Enthemmung (Verletzung sozialer Verhaltens- und Kommunikationsregeln), andererseits Antriebsarmut, Apathie, stark verlängerter Antwortlatenz.
-
•
Kortikale Äste (A2- bis A5-Segmente): neuropsychologische Defizite im Sinne eines Frontalhirnsyndroms, Mantelkantensyndrom mit Monoparese des kontralateralen Beines
-
•
Tiefe Äste (Endarterien): Entstehung lakunärer Infarkte, besonders im Bereich der Capsula interna mit kontralateraler brachiofazial betonter Hemisymptomatik
A.-cerebri-posterior-Syndrome
Aa.-vertebralis- und -basilaris-Syndrome
Vaskuläre Kleinhirnsyndrome
-
•
A. cerebelli superior (SCA-Syndrom):
-
–
Häufig kombiniert mit Infarkten der A. basilaris, dann neben Kleinhirnsymptomen zusätzlich u. a. Horner-Syndrom und dissoziierte Sensibilitätsstörungen möglich
-
–
Kleinhirnsymptome:
-
–
Häufig: ipsilaterale Extremitätenataxie
-
–
Seltener: Gang- und Standataxie, cerebelläre Dysarthrie, Schwindel, Erbrechen
-
-
-
•
A. cerebelli inferior anterior (AICA-Syndrom):
-
–
Meist vollständiges Versorgungsgebiet einschließlich Hirnstamm (Medulla, Pons) betroffen
-
–
Extremitäten-, Stand-, Gangataxie (Kap. 2.1), Schwindel (Kap. 2.4), Erbrechen, cerebelläre Dysarthrie
-
–
Ipsilaterales Horner-Syndrom, kontralaterale dissoziierte Sensibilitätsstörungen, Hirnnervenausfälle (V, VII, VIII)
-
-
•
A. cerebelli inferior posterior (PICA-Syndrom):
-
–
Häufigster Kleinhirninfarkt
-
–
Oft (in ca. 25 %) kombiniert mit Infarkt der dorsolateralen Medulla oblongata (Wallenberg-Syndrom)
-
–
Stand- und Gangataxie, Nystagmus, Schwindel, Erbrechen
-
–
Kopfschmerzen
-
Diagnostik
-
•
Herzrhythmusstörungen
-
•
Kardiale Emboliequellen (Thrombenbildung im Herzohr, Erkrankungen der Herzklappen, offenes Foramen ovale mit Vorhofseptumaneurysma)
-
•
Gerinnungsstörungen
-
•
Arteriosklerotische Gefäßveränderungen der hirnversorgenden Gefäße und des Aortenbogens
-
•
Risikofaktoren: Hypertonie, Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörungen, Alkohol-, Nikotinabusus
-
•
Vaskulitiden
-
•
Vaskuläre Malformationen
-
•
Genetische Faktoren (z. B. CADASIL [Cerebral Autosomal Dominant Arteriopathy with Subcortical Infarcts and Leukoencephalopathy], Morbus Fabry)
-
•
Hämatologische Erkrankungen (z. B. Polyzythämie)
Ärztliche Therapie
Achtung
Aufgrund des engen Zeitfensters ergibt sich ein wichtiger Leitsatz für die Erstversorgung:
TIME IS BRAIN!
-
•
Normalisierung von Blutzucker und Körpertemperatur
-
•
Blutdruckregulation
Cave: Der Blutdruck darf in der Akutphase wegen der Gefahr der Minderperfusion des Gehirns nicht zu rasch gesenkt werden! Systolische Werte von 160 mmHg und bei Hypertonikern von 180 mmHg werden toleriert.
-
•
Bei schweren Hirninfarkten (z. B. maligner Mediainfarkt): Sicherung der Atemwege, Beatmung, Sedierung, ggf. operative Entlastung.
Physiotherapie
Achtung
Die derzeitige Datenlage ist noch uneinheitlich hinsichtlich der sehr frühen Mobilisierung innerhalb von 24 h nach Schlaganfall, bei der es tendenziell auch zu einer Verschlechterung des Outcomes kommen könnte. In dieser Zeit sind moderate, weniger belastende Übungen angezeigt.
-
•
Pneumonieprophylaxe
-
•
Kontraktur-, Dekubitusprophylaxe
-
•
Förderung der Rumpfaktivität (Drehung im Bett, beginnende Transfers)
-
•
Vertikalisierung
Achtung
-
•
Aufgrund des initial meist verminderten Muskeltonus Gefahr der Subluxation der Schulter! Vorsichtige Mobilisation des betroffenen Armes!
-
•
Bei tiefstem Tonus (keine neuromuskuläre Innervation) nicht auf die betroffene Seite lagern, Gefahr der Komprimierung von Gefäßen
-
•
Erhöhte Verletzungsgefahr durch zentrale Sensibilitätsstörungen
-
•
Ansprache des Patienten von der Neglectseite, wenn therapeutisch erfolgversprechend
4.1.2
Intrazerebrale Blutungen
Ätiologie
-
•
Arteriosklerotische Gefäßveränderungen
-
•
Eingeblutete Tumoren (besonders maligne Gliome und Metastasen)
-
•
Gerinnungsstörungen, einschließlich Einnahme oraler Antikoagulanzien
-
•
Aneurysmen (führen bei gedeckter Perforation zu intrazerebralen Blutungen sonst zu Subarachnoidalblutungen)
-
•
Makroangiopathien (z. B. Dissektionen, Moy-Moya)
-
•
Nikotin
-
•
Alkoholabusus
-
•
Drogenmissbrauch (Amphetamine, Ecstasy, Kokain)
-
•
Diabetes mellitus
-
•
Fettstoffwechselstörungen
Klinik
Diagnostik
Ärztliche Therapie
-
•
Vorsichtige Blutdrucksenkung durch Sedierung
-
•
Sicherung der Atemwege
-
•
Hirndrucktherapie
-
•
Je nach Blutungsgröße und -lokalisation operative Entlastung
-
•
Bei Ventrikeleinbruch mit Ventrikeltamponade Anlage einer Ventrikeldrainage
Physiotherapie
Achtung
-
•
Vermeidung von Blutdruckanstiegen! Das Nachblutungsrisiko liegt bei ca. 40 %
-
•
Patienten neigen zum Erbrechen – Aspirationsgefahr!
4.1.3
Aneurysmen und Subarachnoidalblutung
Intrazerebrales Aneurysma
Subarachnoidalblutung (SAB)
Ätiologie
-
•
Arterielle Hypertonie
-
•
Nikotin
-
•
Rauchen + Hypercholesterinämie
-
•
Drogenkonsum (Kokain, Heroin, Amphetamine)
-
•
Familiäre Häufung (in 5–20 %)
Klinik
-
•
Heftigster, bisher nicht gekannter Kopf- und/oder Nackenschmerz
-
•
Übelkeit, Erbrechen (70 %)
-
•
Bewusstseinsstörungen (50 %)
-
•
Krampfanfälle (6–16 %)
-
•
Fokal neurologische Ausfälle
-
•
Lichtscheu, Nackensteifigkeit
Diagnostik
Ärztliche Therapie
Physiotherapie
-
•
Pneumonieprophylaxe
-
•
Kontraktur-, Dekubitusprophylaxe
-
•
Förderung der Rumpfaktivität (Drehung im Bett, beginnende Transfers)
-
•
Vertikalisierung
Achtung
-
•
Vermeiden Sie jedes Pressen bis zur endgültigen Versorgung bestehender Aneurysmen!
-
•
Achten Sie auf Blutdruckkrisen (systolisch < 160 mmHg).
-
•
SAB-Patienten neigen zu epileptischen Anfällen und neurogenem Lungenödem.
4.1.4
Zerebrovaskuläre Malformationen
-
•
Entwicklungsbedingte venöse Anomalie (Developmental Venous Anomaly, DVA)
-
•
Arteriovenöses Angiom (AV-Malformation, AVM)
-
•
Kavernöses Angiom
-
•
Kapilläres Angiom
-
•
Durale arteriovenöse Malformation (Fisteln)
Entwicklungsbedingte venöse Anomalien
Klinik
Therapie
Arteriovenöses Angiom (AVM)
Klinik
-
•
Epileptische Anfälle
-
•
Fokale neurologische Ausfälle
-
•
Kopfschmerzen
Therapie
Kavernome
Klinik
Therapie
Kapilläres Angiom
Durale arteriovenöse Malformation (Durafistel)
Klinik
Ärztliche Therapie
Physiotherapie
4.1.5
Vaskuläre Erkrankungen des Rückenmarks
Akute spinale Ischämie
-
•
Vorderhörner
-
•
Tractus spinothalamicus lateralis
-
•
Teile der Pyramidenbahn
-
•
Hinterstränge
-
•
Hinterwurzeln
-
•
Dorsale Anteile der grauen Substanz
Klinik
-
•
Spinalis-anterior-Syndrom
-
–
Schlagartiger Beginn, gürtelförmige Schmerzen
-
–
Schädigung der Vorderhörner und Vorderwurzeln resultiert auf der Schädigungshöhe in einer schlaffen Lähmung der betroffenen Extremitäten
-
–
Distal der Schädigung durch Beteiligung der Pyramidenbahn Entwicklung einer spastischen Paraparese
-
–
Analgesie und Thermanästhesie (Schädigung des Tractus spinothalamicus lateralis)
-
–
Inkontinenz
-
-
•
Spinales posterior Syndrom
-
–
Störung der Propriozeption und der epikritischen Sensibilität
-
–
Auf Läsionshöhe segmentaler Sensibilitätsausfall
-
–
Selten Beteiligung der Pyramidenbahn mit spastischer Paraparese
-
-
•
Syndrom der A. sulcocommissuralis
-
–
Halbseitiges Spinalis-anterior-Syndrom mit ipsilateralem Vorderhornsyndrom und kaudal und kontralateral der Schädigung dissoziierter Sensibilitätsstörung
-
Therapie
Spinale vaskuläre Malformationen
Klinik
Therapie
4.1.6
Isolierte Vaskulitis des ZNS
-
•
Small-Vessel-Variante: meist schwere neurologische Ausfälle, hohes Rezidivrisiko
-
•
Medium-Vessel-Variante: leichterer Krankheitsverlauf, bessere Prognose
Klinik
-
•
Kopfschmerzen
-
•
Subfebrile Temperaturen, allgemeines Krankheitsgefühl
-
•
Multifokale neurologische Defizite
-
•
Epileptische Anfälle
-
•
Verhaltens-, Wesensänderung, wechselnde Verwirrtheit, demenzielle Entwicklung
Diagnostik
-
1.
Klinische Symptome einer multifokalen oder diffusen ZNS-Erkrankung mit rezidivierendem oder progredientem Verlauf
-
2.
Zerebrale Angiografie, Liquor und MRT mit Befunden, welche die Diagnose einer Vaskulitis unterstützen
-
3.
Ausschluss einer zugrunde liegenden systemischen Infektion oder Entzündung (systemische Symptome und/oder BSG-/CRP-Erhöhung möglich)
-
4.
Histologischer Nachweis einer leptomeningealen oder parenchymatösen Vaskulitis und Ausschluss einer Infektion, Neoplasie oder anderen primären Gefäßerkrankung
Therapie
Literatur
Daroff et al., 2015
Gesundheitsberichterstattung des Bundes, 2016
Masuhr and Masuhr, 2013
Sitzer and Steinmetz, 2011
Bewegungsstörungen
4.2.1
Idiopathisches Parkinson-Syndrom
-
•
Krankheitsbeginn < 20. Lebensjahr → juveniles Parkinson-Syndrom
-
•
Krankheitsbeginn zwischen 20. und 40. Lebensjahr → early onset Parkinson-Syndrom
Pathophysiologie
Symptome des idiopathischen Parkinson-Syndroms
-
•
Kernsymptome:Parkinson-Syndrom, idiopathischesSymtome
-
–
Akinese/Bradykinese
-
–
Rigor (erhöhter Muskeltonus vergesellschaftet mit Zahnradphänomen, Abb. 4.3)
-
–
Tremor (asymmetrischer, langsamer und grobschlägiger Ruhetremor)
-
–
Verlust der posturalen Reflexe (korrektive und kompensatorische Reflexe)
-
-
•
Weitere Symptome:
-
–
Hypomimie (verminderte Mimik)
-
–
Mikrografie (Schrift wird immer kleiner und „krakeliger“)
-
–
Gebundener, kleinschrittiger Gang
-
–
Verminderte Mitbewegung des Armes (initial asymmetrisch) beim Gehen
-
–
Salbengesicht
-
–
Angsterkrankung
-
–
Depressive Symptomatik
-
–
Schmerzen
-
–
Neuropsychologische Defizite
-
–
Störung des Geruchssinns
-
Krankheitsursachen
Medikamentöse Therapie
Merke
Medikamenteneinnahme
-
•
Retardierte Freisetzung: eine Modifikation der Wirkstofffreisetzung im Körper, die zu einer stetigen Resorption führt. Dieses Prinzip hat sich besonders für die Anwendung zur Nacht bewährt.
-
•
L-Dopa-Pumpe: Hier wird eine Sonde durch die Bauchdecke in den Magen gelegt; von hier führt eine weitere dünne Sonde in das Duodenum. Eine andere Möglichkeit ist das direkte Einbringen einer Sonde in den Dünndarm. Über eine Pumpe wird ein spezifisch aufbereitetes L-Dopa kontinuierlich über diese Sonde direkt an den Ort der Resorption gebracht und so eine sehr regelmäßige dopaminerge Stimulation gewährleistet.
-
•
Apomorphin: ein Dopamin-Agonist, der zum einen durch einen sehr raschen Wirkungseintritt gekennzeichnet ist, zum anderen muss der Wirkstoff subkutan appliziert werden. Mittels einer Apomorphin-Pumpe kann eine genau definierte Flussrate von Apomorphin mittels einer subkutan angelegten Kanüle eingebracht und ein sehr gleichmäßiger Wirkstoffspiegel gewährleistet werden.
Operative Therapie
-
•
Ablative Verfahren: Eine Sonde wird bis an die relevanten Strukturen geführt, die in der Tiefe des Gehirns in den Basalganglien liegen (bevorzugter Zielort Globus pallidus internus). Sobald diese Struktur identifiziert ist, wird sie koaguliert, d. h., sie wird durch die Verabreichung eines relativ starken Stromes zerstört. Durch diesen Eingriff kann eine lang anhaltende Wirkung erreicht werden. Eventuell auftretende unerwünschte Wirkungen sind leider auch nur beschränkt reversibel.
-
•
Potenziell reversible Verfahren: Die „Tiefenhirnstimulation“ hat ein ähnliches Wirkprinzip. Auch hier wird zunächst ein Zielgebiet mit einer Sonde detektiert (Globus pallidus internus oder Ncl. subthalamicus), die Sonde verbleibt jedoch vor Ort fixiert. An der Spitze der Sonde befinden sich mehrere Elektrodenpaare, über die ein Strom mit einer bestimmten Frequenz, Spannung und Stärke verabreicht werden kann. Das Generatormodul wird ähnlich einem Herzschrittmacher unter dem M. pectoralis oder im Bauchraum implantiert und mit der Sonde verbunden. Durch die Wahl der geeigneten Elektrodenkonfiguration, Frequenz, Stromspannung und -stärke kann ein positiver Effekt auf die motorische Parkinson-Symptomatik erreicht werden, der dem der optimal erreichbaren Antwort auf eine dopaminerge Stimulation entspricht. Der große Vorteil dieser Methoden liegt in ihrer potenziellen Reversibilität. Unerwünschte Wirkungen sind also nicht zwangsläufig permanent. Häufige unerwünschte Wirkungen bestehen in einer Verstärkung einer Dysarthrie und in neuropsychologischen Phänomenen. Die genaue Wirkweise der Tiefenhirnstimulation ist zurzeit noch im wissenschaftlichen Diskurs. Zum einen wird über die funktionelle Ausschaltung im Umfeld der gewählten Elektroden liegender neuronaler Strukturen durch das angelegte elektrische Feld diskutiert, zum anderen steht auch eine gewisse „Resynchronisation“ in Diskussion.
Mehrere große Studien konnte eine deutliche und nachhaltige Verbesserung der Lebensqualität demonstrieren, bedingt durch eine gleichbleibende gute Beweglichkeit und die Abwesenheit von Hyperkinesen. Zurzeit gibt es Hinweise darauf, dass auch Patienten in früheren Stadien der Erkrankung von der Tiefenhirnstimulation nachhaltige positive Effekte erwarten dürfen.
-
•
Implantative Verfahren: Die Implantation fetaler Stammzellen war lange Zeit ein großer therapeutischer Hoffnungsträger. Man implantierte spezifisch präparierte fetale Stammzellen, die Dopamin produzierten, in den Bereich der Basalganglien. Es konnte gezeigt werden, dass diese Zellen vor Ort auch tatsächlich anwuchsen und die Dopaminproduktion aufnahmen. In einer großen Studie entwickelten allerdings einige Patienten Hyperkinesen. Diese wurden wahrscheinlich durch eine überschießende Dopaminproduktion ausgelöst. Da das Verfahren zusätzlich viele ethische Diskussionen auslöste, hat es sich bis heute nicht etabliert.
Physiotherapie
Merke
Therapie und Medikation
Befund
Beispiel
Führen Sie doch einmal folgenden Versuch an sich selbst durch:
-
•
Bedingt durch Tonusveränderungen, Rigor und/oder biomechanische Veränderungen ergibt sich eine Plantarflexionsstellung in beiden oberen Sprunggelenken (nehmen wir 15–20°).
-
•
Der Unterschenkel wird nach dorsal eingestellt.
-
•
Um dies zu kompensieren, werden die Hüften flektiert.
-
•
Um dies zu kompensieren, wird die LWS extendiert.
-
•
Um dies zu kompensieren, wird die BWS stark flektiert.
-
•
Um dies zu kompensieren, wird die obere HWS stark extendiert.
Würde man nun „klassisch“ versuchen, dem Patienten mehr Extension in der BWS zu vermitteln, so würde sich die Falltendenz nach hinten nur verstärken. Auch Schutzschritte nach hinten zu üben, würde nicht gelingen, solange das Alignment der oberen Sprunggelenke nicht verändert wird (für Schutzschritte nach hinten benötigt man ein hohes Maß an Dorsalextension = exzentrische Funktion der Plantarflexoren).
An diesem Beispiel zeigt sich, wie wichtig das Clinical Reasoning des Therapeuten ist und warum standardisierte Übungsprogramme so oft scheitern.
Merke
Vermeidung von Doppelaufgaben:
-
•
Nicht gleichzeitig reden und gehen!
-
•
Im häuslichen Umfeld auf breite „Gehwege“ achten (wenig Möbel)!
-
•
Im häuslichen Umfeld wechselnde Untergründe vermeiden (Teppichkanten etc.)!
Merke
Regelmäßiges Training von visuellem Cueing verringert nicht nur die Sturzgefahr, sondern kann auch nachhaltig die Bewegungsamplitude = Schrittlänge vergrößern!
Mikrografie
Merke
Komplexe Bewegungsmuster
-
•
Komplexe Bewegungen in Teilbewegungen aufbrechen
-
•
Teilbewegungen planen
-
•
Teilbewegungen mit Kommandos versehen
-
•
Gesamte Aufmerksamkeit auf Bewegung
-
•
Zunächst Teilbewegungen üben, im zweiten Schritt diese zur Komplexbewegung zusammensetzen
Merke
Patienten mit einem idiopathischen Parkinson-Syndrom sollten keine Metoclopramid-haltigen Antiemetika erhalten, da diese die Parkinson-Symptomatik verstärken.
Bei plötzlicher und deutlicher Symptomverschlechterung auch nach der Einnahme zusätzlicher Medikamente fragen.
-
•
Dysphagie: Aspirationspneumonie häufigste Todesursache, spezifische LSV-Therapie™ hilfreich, Adaptation von Nahrungskonsistenzen, immer nach häufigem Verschlucken fragen und ggf. spezifische Logopädie empfehlen
-
•
Dysarthrie: Sprechstörung, Stimme wird im Verlauf immer leiser, Einsatz von LSV-Therapie™ nachgewiesen wirksam; dies ist ein mit maximaler Anstrengung in verschiedenen Tonhöhen durchgeführtes repetitives Training; bei Speech Hastening (Verharren auf der ersten Silbe) hilft Einsatz eines Rhythmusbrettes etc.
-
•
Depressivität: Kennzeichen Anhedonie = Verlust, Freude zu empfinden; Stigmatisierung, Psychotherapie hilfreich; Ausmaß der Depressivität korreliert am höchsten mit der Lebensqualität der Betroffenen!
-
•
Neuropsychologische Defizite:
-
–
Zwanghaftes Verhalten möglich, ebenso Punding = häufiges Wiederholen inhaltsleerer und komplexer Handlungen (z. B. mit dem Pkw eine bestimmte Strecke immer wieder fahren)
-
–
Obsessives Verhalten in Form von „Spiel- oder Sexsucht“ (Süßigkeiten?)
-
–
Störungen des Lernens und der Aufmerksamkeit
-
–
Psychotische Symptome (Zusammenhang mit Medikation?, vor allem optische Halluzinationen)
-
-
•
Vegetative Symptome:
-
–
Speichelfluss, Magenentleerungsstörungen, Obstipation, Inkontinenz, orthostatische Dysregulation treten im Laufe der Erkrankung bei bis zu 80 % auf
-
–
Differenzialdiagnose zu MSA bei besonderer Ausprägung bedenken (s. u.), z. T. medikamentöse Therapie möglich
-
-
•
Schmerzen: Viele Patienten klagen über Schmerzen; diese sind häufig muskuloskelettal degenerativ bedingt. Wahrscheinlich liegt beim idiopathischen Parkinson-Syndrom zusätzlich eine Erniedrigung der Schmerzschwelle vor, die auch durch eine optimierte dopaminerge Stimulation nur wenig beeinflusst wird.
4.2.2
Andere Parkinson-Syndrome
Symptomatische Parkinson-Syndrome
-
•
Medikamentös bedingt
-
•
Basalganglienläsionen
Medikamentös bedingtes Parkinson-Syndrom
-
•
Neuroleptika („klassische Neuroleptika“)
-
•
Antiemetika (z. B. Metoclopramid)
-
•
(Reserpinhaltige Antihypertensiva)
-
•
Kalziumantagonisten vom Flunarizin-Typ
Basalganglienläsionen
-
•
Intoxikationen (Mangan)
-
•
Infarkte oder Blutungen
-
•
Entzündliche Erkrankungen (Multiple Sklerose, systemischer Lupus erythematodes)
-
•
Infektiöse Prozesse (z. B. Enzephalitis lethargica)
-
•
Tumoren
-
•
Morbus Wilson
-
•
Seltene Erbkrankheiten (z. B. Morbus Fahr)
Andere neurodegenerative Parkinson-Syndrome
-
•
Multisystematrophien (MSA)
-
•
Progressive supranukleäre Blickparese (PSP)
-
•
Kortikobasale Degeneration (CBG)
-
•
Seltene weitere Erkrankungen (Westphal-Variante des Morbus Huntington, Hallervorden-Spatz-Krankheit, Neuroakanthozytose)
Merke
Wichtigstes klinisches Zeichen zur Unterscheidung anderer neurodegenerativer Parkinson-Syndrome vom idiopathischen Parkinson-Syndrom ist das schlechte Ansprechen der Symptome auf eine dopaminerge Stimulation!
Multisystematrophie (MSA)
-
•
Rigor
-
•
Bradykinese
-
•
Tremor (häufig irregulär, unrhythmisch)
-
•
Frühe Stürze sowie Gang- und Standinstabilität
-
•
Störung der Blickmotorik
-
•
Schwere Sprechstörung
-
•
Ausgeprägte vegetative Symptome:
-
–
Orthostase, Synkopen, Harninkontinenz, Impotenz, Anhidrose
-
-
•
Rasche Progression
-
•
Unzureichende Antwort auf dopaminerge Stimulation
-
•
Bereits bei niedrigen L-Dopa-Dosen Dyskinesien
-
•
Affektinkontinenz
-
•
Gelenkkontrakturen
Progressive supranukleäre Blickparese (PSP)
-
•
Bradykinese und axial betonter Rigor
-
•
Vertikale Blickparese (Unfähigkeit, nach unten oder oben zu blicken, auch horizontale Blicke können erschwert sein)
-
•
Stand- und Gangunsicherheit, frühe Stürze nach hinten
-
•
Ausgeprägte spezifische neuropsychologische Defizite (s. u.)
-
•
Schwere Schluck- und charakteristische (gepresste, leise) Sprechstörung
Kortikobasale Degeneration (CBG)
-
•
Rigor und Bradykinese
-
•
Kortikale Zeichen wie z. B. Apraxie (Kap. 3.4)
-
•
Dystonie (Flexion Hand + Unterarm + Adduktion Oberarm) (s. u.)
-
•
Myoklonus (s. u.)
-
•
„Alien-Limb“-Phänomen
Seltene andere Erkrankungen mit Parkinson-Symptomen
Pseudo-Parkinson-Syndrome
Normaldruckhydrozephalus
Subkortikale arteriosklerotische Enzephalopathie
Frontale Gangstörung
AIDS-Enzephalopathie
Boxerenzephalopathie
4.2.3
Tremor
Physiologischer Tremor
-
•
Rasche Frequenz und feinschlägige Amplitude
-
•
Verstärkt durch Ermüdung, Angst, Aufregung, stimulierende Drogen, Medikamente
Essenzieller Tremor
-
•
Feinschlägiger, eher schnellerer, symmetrischer Haltetremor
-
•
Sehr häufig (ca. 10 % der > 60-Jährigen)
-
•
Besserung durch kleine Mengen Alkohol
-
•
Häufig vergesellschaftet mit einem „Nein-Tremor“ des Kopfes
-
•
Positive Familienanamnese bei ca. ⅔ aller Patienten
-
•
Medikamentöse Behandlung mit β-Blockern oder Primidon
-
•
Massiv eingeschränkte Patienten (erhebliche Zunahme der Tremoramplitude bei Aktivität) können Kandidaten für Tiefenhirnstimulation sein (Zielpunkt Thalamus, Ncl. ventralis intermedius = VIM).
Parkinson-Tremor
-
•
Grobschlägiger, niedrigfrequenter asymmetrischer Haltetremor, der sich unter Aktivität verringern, aber auch zunehmen kann
-
•
Assoziiert mit weiteren Parkinson-Symptomen (s. o.)
-
•
Patienten mit einem Tremor-dominanten Parkinson-Syndrom haben in der Regel einen günstigeren Verlauf als Patienten mit einer akinetisch-rigiden Symptombetonung.
-
•
Der Tremor spricht oft nur unzureichend auf eine dopaminerge Stimulation an.
-
•
Durch den Tremor erheblich beeinträchtigte Patienten sind Kandidaten für eine Tiefenhirnstimulation.
-
•
Übende Verfahren s. o.
Orthostatischer Tremor
-
•
Hochfrequenter, feinschlägiger, symmetrischer Beintremor beim Stehen
-
•
Patienten berichten gelegentlich vom Gefühl der Unruhe und Missempfindung in den Beinen.
-
•
Medikamentöse Behandlung (z. B. Clonazepam) möglich
Neuropathischer Tremor
Tremor bei metabolischen Erkrankungen
-
•
Besonders Störungen im Bereich der Schilddrüsenhormone (Hyper- oder Hypothyreosen), des Kalziumspiegels oder eine Erniedrigung des Blutzuckerspiegels (Hypoglykämie) führen zu in der Regel feinschlägigen Tremores.
-
•
Ebenso Erkrankungen der Niere und der Leber sowie ein Vitamin-B12-Mangel.
-
•
Identifikation und Behandlung der Grunderkrankung sind notwendig (Kap. 4.18, Kap. 4.20).
Tremor bei Intoxikationen
Tremor und Entzug
Tremor und Medikamente
-
•
Valproinsäure (Antikonvulsivum)
-
•
Theophyllin (Bronchodilatator)
-
•
Neuroleptika (Antipsychotika)
-
•
Lithium (psychiatrische Indikation)
-
•
Antiarrhythmika
-
•
Zytostatika
Psychogener Tremor
Intentionstremor
Primärer Schreibtremor
-
•
Seltener grobschlägiger und langsamer Tremor, der einsetzt, sobald die Hand eine Schreibposition einnimmt
-
•
Zum Teil schwierig von einem Tremor bei Dystonien (s. u.) zu unterscheiden
-
•
β-Blocker und in sehr schweren Fällen eine Tiefenhirnstimulation können hilfreich sein.
Tremor bei Dystonien
Rubraler Tremor
4.2.4
Chorea Huntington
-
•
Autosomal-dominante ErberkrankungChorea Huntington
-
•
Ca. 10 Erkrankte pro 100 000 Einwohner
-
•
Durchschnittliche Erstmanifestation klinischer Symptome zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr, jedoch auch sehr selten jugendliche oder kindliche Erstmanifestationen beschrieben
-
•
Seltene Varianten:
-
–
Chorea gravidarum kann sehr selten während der Schwangerschaft auftreten.
-
–
Chorea Sydenham oder Chorea minor tritt im Rahmen eines Infektes mit β-hämolysierenden Streptokokken auf. Meist erstes Symptom Angina tonsillaris, dann Gelenkentzündungen, Endokarditis und Chorea minor, seit Einführung der antibiotischen Therapie sehr selten geworden.
-
Klinik
-
•
Motorisch
-
–
Allgemeine Bewegungsunruhe
-
–
Im Gesicht „grimassieren“
-
–
Choreatiforme = abrupte Bewegungen proximal und distal ohne Bewegungsziel, verstärkt durch Stehen und Gehen
-
–
Einbauen der unwillkürlichen Symptome in Bewegung → Parakinesien
-
–
Typisch im Krankheitsverlauf „wälzende“ Bewegungen der Zunge und im Bereich der Bauchmuskulatur hochfrequente unwillkürliche Bewegungen
-
–
Übergang der Bewegung in athetotische, myokloniforme und dystone möglich
-
-
•
Neuropsychologisch
-
–
Beginn mit Affektlabilität und Antriebsschwäche, Depressivität, Persönlichkeitsveränderungen
-
–
Übergang in ein demenzielles Syndrom
-
–
Erhebliche suizidale Gefährdung
-
Merke
Westphal-Variante
Therapie
-
•
Allgemeine Maßnahmen zur Konditionierung, Koordination möglich.
-
•
Medikamentös Neuroleptika (z. B. Tetrabenazin), Amantadin, Serotonin-Wiederaufnahmehemmer können zur Linderung der Bewegungsstörung bzw. Depressivität eingesetzt werden.
-
•
Eine kausale Therapie ist nicht bekannt.
4.2.5
Dystonien
-
•
Generalisierte primäre Dystonie
-
•
Torticollis spasmodicus („Schiefhals“)
-
•
Schreibkrampf
-
•
Blepharospasmus („Zusammenkneifen der Augen“)
-
•
Tardive Dyskinesie (Nebenwirkung Langzeittherapie Neuroleptika, stereotype orofaziale und linguale Überbewegungen)
Therapie
4.2.6
Tics
-
•
Rasche Ticsunwillkürliche, oft stereotype Bewegung, nicht zweckgerichtet.
-
•
Motorische oder vokale Tics sind möglich, einfache oder komplexe Tics (z. B. Blinzeln oder Kopfschütteln) lassen sich einteilen.
-
•
Tics lassen sich eine Weile mit Anstrengung unterdrücken, dann tritt aber ein Spannungsgefühl auf und diesem wird wieder „nachgegeben“.
-
•
In schwerer Ausprägung bei gemeinsamem Auftreten mehrerer Tics, z. T. gekoppelt mit neuropsychologischen Defiziten (z. B. Zwangsstörungen), spricht man von einem Gilles-de-la-Tourette-Syndrom. Die motorischen Tics innerhalb dieses Syndroms lassen sich bei einigen Patienten mit Delta-9-Tetrahydrocannabiol dämpfen.
4.2.7
Myoklonien
4.2.8
Restless Legs/Syndrome der unruhigen Beine
-
•
Eine der Restless-Legs-Syndromhäufigsten neurologischen Erkrankungen, bis zu 10 % aller Menschen sollen betroffen sein.
-
•
4 Diagnosekriterien müssen erfüllt werden:
-
–
Ein Bedürfnis, die Beine zu bewegen, häufig begleitet von Missempfindungen
-
–
Zunahme dieses Bedürfnisses während Phasen von Inaktivität
-
–
Besserung dieses Bedürfnisses bei Aktivität
-
–
Zunahme dieses Bedürfnisses zum Abend hin
-
4.2.9
Seltene Bewegungsstörungen
Neuroakanthozytose
-
•
Autosomal-rezessive Erkrankung
-
•
Gekennzeichnet durch Bewegungsstörung
-
•
Neuropsychologische Defizite, Chorea, Dystonie oder Tics können auftreten
-
•
Charakteristikum: stachelförmig verformte Erythrozyten
Stiff-Person-Syndrome
-
•
Progressive axiale Rigidität mit Muskelhypertrophie und extremer lumbaler Lordose
-
•
Aufgesetzte starke Spasmen der Rückenmuskulatur können sehr schmerzhaft sein.
-
•
Autoimmunerkrankung, spezifische Antikörper sind nachweisbar
-
•
Plasmapherese oder intravenöse Immunglobulin sind bei einigen Patienten wirksam.
-
•
Medikamentös können Benzodiazepine oder bestimmte Antikonvulsiva versucht werden.
Jumping Frenchmen of Maine oder Hyperekplexie
Dopa-responsive Dystonie
-
•
Vererbte generalisierte Dystonie (DYT5)
-
•
Einsetzen in der Kindheit mit im Vordergrund stehenden Defiziten beim Stehen und Gehen
-
•
Zunahme der Symptome im Laufe des Tages
-
•
Dopaminerge Stimulation (z. B. mit Levodopa) führt zu Besserung der Dystonie.
Literatur
Daroff et al., 2015
Jöbges and Hummelsheim, 2004
Jöbges et al., 2004
Masuhr and Masuhr, 2013
Sitzer and Steinmetz, 2011
Traumata des Nervensystems
4.3.1
Verletzungen des Gehirns
Epidemiologie
Klassifikation des Schädel-Hirn-Traumas
Klassifikation nach morphologischen Verletzungsfolgen
-
•
Größeren offenen Verletzungen
-
•
Größeren Knochenverletzungen
-
•
Impressionsfrakturen
-
•
Verletzungen im Bereich der Stirnhöhlen oder der Keilbeinhöhle oder auch bei Brüchen des Felsenbeins
Klassifikation der „Schwere“ einer Hirnschädigung
-
•
In Deutschland verbreitete Einteilung von Tönnis und Loew (1953):
-
–
Schädel-Hirn-Trauma Grad I: Rückbildung einer neurologischen Störung innerhalb von 4 Tagen
-
–
Schädel-Hirn-Trauma Grad II: Rückbildung einer neurologischen Störung innerhalb von 3 Wochen
-
–
Schädel-Hirn-Trauma Grad III: länger als 3 Wochen anhaltende neurologische Störungen
-
-
•
Einteilung des Schädel-Hirn-Traumas nach radiologischen Befunden:
-
–
1991 wurde von Marshal et al. eine Einteilung der Schädel-Hirn-Traumata nach computertomografischen Befunden vorgeschlagen. Eine Gradeinteilung erfolgte von Grad I bis IV. Größeren erkennbaren Blutungen wurde ein Grad IV zugeordnet.
-
–
2001 wurde von Firsching et al. eine Einteilung nach kernspintomografischen Befunden publiziert. Die Schwere der Hirnschädigung wurde in vier Gradeinteilungen unterschieden. Ein unverletzter Hirnstamm entsprach einer Grad-I-Verletzung, eine beidseitige Verletzung der Brücke des Hirnstammes entsprach einer Grad-IV-Verletzung.
-
Klinische Zeichen der Schädel-Hirn-Verletzung
-
•
Subjektive Zeichen:Schädel-Hirn-Traumaklinische Zeichen
-
–
Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Benommenheit, Doppelbilder, Verlangsamung, Hörstörung, Mattigkeit
-
-
•
Objektive Zeichen:
-
–
Äußere Verletzungen, Liquoraustritt, Blutung aus Mund, Nase, Ohr
-
-
•
Neurologische Hinweise für eine Schädel-Hirn-Verletzung:
-
–
Lähmungen, Anfälle, Hirnnervenstörungen, Erbrechen, Bewusstseinsstörung, Sprachstörung, Amnesie, Koordinationsstörung
-
-
•
Drei Bewusstseinslagen werden unterschieden:
-
–
Bewusstseinsklarheit: Die Orientierung ist erhalten.
-
–
Bewusstseinstrübung: Die Orientierung zu Raum, Zeit oder zur Person ist nicht erhalten, die Augen können geöffnet werden oder Aufforderungen können befolgt werden.
-
–
Bewusstlosigkeit – Synonym für Koma: Unerweckbarer Zustand, die Augen können nicht geöffnet werden und Aufforderungen werden nicht befolgt. Spontanbewegungen sind möglich.
-
4.3.2
Behandlung nach Schädel-Hirn-Trauma
Diagnostik
Operative Behandlung
Achtung
Bei akuter Schädelinnendrucksteigerung kann eine Verzögerung der Behandlung um 5 Minuten mehr Schaden anrichten als in 5 Jahren der Rehabilitation wiedergutgemacht werden könnte.
Prognose
-
•
Grad I: vollständige Rückbildung aller Verletzungszeichen innerhalb von 4 Tagen
-
•
Grad II: vollständige Rückbildung aller Verletzungszeichen innerhalb von 3 Wochen
-
•
Grad III: bei länger als 3 Wochen anhaltenden Verletzungszeichen
-
•
Beidseits erloschene somatosensorisch evozierte Potenziale sind zu über 90 % mit einem ungünstigen Behandlungsergebnis mit entweder schwersten Behinderungen, apallischem Syndrom oder Tod verbunden.
-
•
Bei beidseits erhaltenen somatosensorisch evozierten Potenzialen ist ein günstiges Behandlungsergebnis mit mittleren oder geringen Behinderungen wahrscheinlich.
-
•
Anhaltende Bewusstlosigkeit nach Schädel-Hirn-Trauma von mehr als 4 Wochen wird praktisch nicht überlebt.
-
•
Darüber hinaus ist das Behandlungsergebnis eng mit dem Alter des Verletzten verbunden:
-
–
Ein 80-jähriger Patient hat nach 5 Tagen anhaltender Bewusstlosigkeit eine ähnliche, relativ geringe Wahrscheinlichkeit, zu überleben, wie ein 20-Jähriger nach 2 Wochen anhaltender Bewusstlosigkeit.
-
–
Ein 10-jähriges Kind hat nach 7-tägiger Bewusstlosigkeit eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit, später einen Beruf auszuüben; nach einer 15-tägigen Bewusstlosigkeit liegt die Wahrscheinlichkeit nur noch bei 20 %.
-
–
Bei einem 50-jährigen Patienten kann eine Arbeitsfähigkeit nach einer Bewusstlosigkeit von 7 Tagen noch in 20 % erwartet werden; nach einer Bewusstlosigkeit von 14 Tagen erreicht in der Regel kein 50-jähriger Patient eine Arbeitsfähigkeit mehr.
-
Nachbehandlung nach Schädel-Hirn-Verletzung
Literatur
Firsching and Ferbert, 2007
Firsching et al., 2001
Marshall et al., 1991
Mendelow et al., 1983
Tönnis and Loew, 1953
Erkrankungen des peripheren Nervensystems
Das periphere NervensystemNervensystemperipheres erstreckt sich im motorischen System von den Zellleibern der Motoneurone im Vorderhornbereich des Rückenmarks bis zur motorischen Endplatte (= Synapse mit dem Muskel). Im sensiblen System befinden sich die Zellleiber im Spinalganglion (= Auftreibung der hinteren Spinalwurzel). Der kurze Fortsatz spaltet sich T-förmig auf; das kurze Ende zieht zum Rückenmark, das lange zu den Rezeptoren in der Peripherie. Wichtige Strukturen im Verlauf des peripheren Nervensystems sind Nervenwurzeln (vordere = motorisch, hintere = sensibel), Plexus, peripherer Nerv, neuromuskuläre Endplatte bzw. Rezeptor. (zum vegetativen System Kap. 3.3.1)
Symptome bei Erkrankungen des peripheren Nervensystems sind im motorischen Bereich die Parese mit einem herabgesetzten Muskeltonus, Reflexverlust und muskulärer Atrophie, im sensiblen System der Ausfall sensibler Qualitäten bzw. die Wahrnehmung von Missempfindungen oder Schmerz. Im Bereich des vegetativen Systems können trophische Störungen der Haut und der Nägel entstehen.
Wichtig für die topische Diagnose (= Ort der Schädigung) ist die genaue Befragung und Untersuchung. Aus der Verteilung der Defizite kann dann auf den Schädigungsort geschlossen werden. Klinisch neurophysiologische Diagnostik kann hilfreich sein (Elektromyografie, Elektroneurografie, Kap. 7.1).
Weitere wichtige diagnostische Verfahren, die je nach verdächtiger Ätiologie zum Einsatz kommen können, sind labortechnische Verfahren (Blut oder Liquor), Biopsien, bildgebende Verfahren (Ultraschall, Kernspintomografie, Computertomografie, Kap. 7.2) und ggf. humangenetische Verfahren.
4.4.1
Rückenmark
Poliomyelitis
-
•
Motorische Vorderhornzellen werden isoliert befallen.
-
•
Viraler Infekt (Poliovirus), der selbst nicht behandelbar ist.
-
•
Durch Impfung kann man sich sicher vor einem Befall schützen.
-
•
Symptome: Während der Infektion meist generalisierte Schwäche mit Betonung einer Extremität, in der chronischen Phase verbleibt eine schlaffe und atrophische Parese meist einer Extremität. Als Spätfolge kann ein Post-Polio-Syndrom mit langsam progredienter Schwäche und erheblicher Fatigue (= abnorme Müdigkeit) auftreten.
Spinale Muskelatrophie (SMA)
-
•
SMA 3 (= Kugelberg-Welander) entwickelt Schwäche im Bereich Hüftmuskulatur → „watschelnder“ Gang, auch Trendelenburg genannt. Beim Aufrichten aus dem Sitz oder Liegen „krabbeln die Patienten an sich selber hoch“ = Govers-Zeichen.
-
•
Keine kausale Therapie bekannt.
Bulbospinale Muskelatrophie = Kennedy-Syndrom
-
•
Vererbbare Erkrankung (Repeat-Erkrankung des androgen Rezeptorgens auf dem X-Chromosom), Männer betroffen
-
•
Erkrankungsalter ab ca. dem 30. Lebensjahr
-
•
Sehr langsam proximale Schwäche, Faszikulationen, Gynäkomastie, Tremor
-
•
Symptomatische Therapie
Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)
-
•
Befällt motorische Neurone im motorischen Kortex, im Hirnstamm und im Bereich der motorischen Vorderhornzellen
-
•
Neurodegenerative Erkrankung, führt zu einem Mischbild von peripheren und zentralen Paresen, die langsam fortschreitend sind
-
•
Neben Lähmungen der Extremitäten treten im Verlauf Schluckstörungen und Schwäche der Atemmuskulatur hinzu.
-
•
Bei ca. 10 % der ALS-Patienten liegt eine familiäre ALS vor (nicht neurodegenerative, sondern vererbte Erkrankung), deren Verlauf häufig gutartiger ist.
-
•
Physiotherapeutisch ist die Vermeidung von Komplikationen vorrangig, besonders Skoliose und daraus resultierende Einschränkungen der Atemmuskulatur! Die Erarbeitung von posturaler Kontrolle ist hier essenziell (siehe hierzu sehr ausführlich Kap. 3.1.3).
-
•
Hilfsmittelversorgung.
4.4.2
Nervenwurzel
Bandscheibenvorfall
Physiotherapie
Weitere Schädigungen
4.4.3
Plexus
Thoracic-Outlet-Syndrom
-
•
Beschreibt eine Einengung des PlexusPlexus brachialis durch eine Halsrippe oder ein Ligament, das von dieser Halsrippe zur ersten Rippe läuft
-
•
Erste Symptome: Schmerzen und Missempfindungen im Handbereich bei Traktion des Plexus; typische Schmerzen beim Tragen einer Tasche oder Überkopfarbeiten
-
•
Im Verlauf kommen Paresen hinzu.
-
•
Therapie operativ, anschließend Physiotherapie.
Traumatische Plexusparesen
-
•
Unterteilung in supra- und infraclaviculäre (Letztere mit besserer Prognose)
-
•
Ursache: direkte oder indirekte Traumen, z. B. Motorradfahren, Sportverletzungen, Schussverletzungen (selten: schwerer Rucksack führt zu Kompression)
-
•
Symptome: Paresen und sensible Ausfälle
-
•
Wenn möglich, Frühoperation rekonstruktiv, sonst Spätoperationen mit Sehnenverlagerungen, Nerveninterponaten in spezialisierten Zentren
Idiopathische brachiale Plexopathie (= neuralgische Schulteramyotrophie)
-
•
Über Stunden bis wenige Wochen starke Schmerzen im Schulterbereich mit Entwicklung einer schweren Parese
-
•
Prognose nicht schlecht, mit intensiver Physiotherapie gelingt bei 90 % in drei Jahren (!) eine komplette Wiederherstellung.
Kompression des Plexus lumbosacralis
-
•
Der Plexus lumbosacralis kann komprimiert werden durch Blutungen (klassisch Psoas-Hämatom bei Antikoagulantientherapie), Abszesse (typisch Psoas-Abszess bei Tuberkulose), Aneurysmen (Bauchaorta), Schwangerschaft und Tumorerkrankungen oder Metastasen (nicht nur im Plexus lumbosacralis, auch im Plexus brachials möglich: Pancoast-Tumor).
-
•
Bei Bestrahlungstherapien sind die Plexus besonders strahlensensibel.
-
•
Symptome sind immer Schmerzen, Paresen und sensible Ausfälle, die sich je nach Ätiologie rasch (Blutung) bis über Monate (Bestrahlung) ausbilden können.
4.4.4
Peripherer Nerv
Engpasssyndrome
Karpaltunnelsyndrom
-
•
Karpaltunnel: Engstelle des N. medianus im volaren Handgelenksbereich gebildet durch Handwurzelknochen dorsal und Retinaculum flexorum (Bandstruktur) volar
-
•
Symptom-Trias: Brachialgia paraesthetica nocturna = nächtliche Schmerzen aus der Handinnenfläche in den Arm ausstrahlend mit Missempfindungen und zunehmender Schwäche der Thenarmuskulatur
-
•
Ursachen: biomechanisch (Nach Hyperextension im Handgelenk fragen!), hormonell (Schilddrüsenfunktionsstörung, Schwangerschaft), entzündlich (z. B. aus dem rheumatischen Formenkreis)
-
•
Therapie: kausal, d. h., Ursache beseitigen oder behandeln (soweit möglich); zunächst gut gepolsterte volare oder besser dorsale Handlagerungsschiene (ggf. nur für die Nacht); Handgelenk in Neutralstellung, operativ (offen oder endoskopisch), danach Muskelaufbau
Seltenere Syndrome
Traumata
-
•
Einteilung Trauma, periphere Nervender Schädigung nach Seddon oder Sunderland (Tab. 4.6)
-
•
Nach Grad-II- bis -IV-Schädigung folgt Waller-Degeneration: Distales Segment degeneriert, proximales Segment Entzündungsreaktion, Aussprossen zunächst der Schwann-Zellen, dann auch der Axone, wenn Leitstruktur vorhanden. Bei Wiederaussprossen (an Leitstruktur entlang) Wachstum zwischen 1 und 3 mm pro Tag. Wichtig: Erhalt des Muskels, damit dieser nicht atrophiert ist, wenn ausgesprosster Nerv ihn wieder erreicht → regelmäßige Elektrostimulation.
-
•
Operative Verfahren insbesondere bei Kontinuitätsunterbrechung (Grad V) früh notwendig.
Prädilektionsstellen
Sulcus-ulnaris-Syndrom
Peroneusparese
Radialisparese
Hereditäre (vererbbare) Neuropathien
Entzündliche Neuropathien
Akute inflammatorische demyelinisierende Polyradikuloneuropathie (= Guillain-Barré-Syndrom oder AIDP)
-
•
Zellen des körpereigenen Abwehrsystems (Monozyten, Makrophagen und T-Lymphozyten) wenden sich gegen Schwann-Zellen und zerstören diese. In der Folge können auch die Axone selbst angegriffen werden. Nerv, Plexus und Wurzel können betroffen sein.
-
•
Von distal aufsteigende symmetrische Schwäche, Areflexie, (z. T. schmerzhafte) Parästhesien und (weniger ausgeprägt) sensible Defizite entwickeln sich innerhalb weniger Tage (selten Stunden).
-
•
Atemmuskel und Hirnnerven können mitbetroffen sein.
-
•
Besonders gefährlich sind die autonomen Störungen (Kap. 4.17). Auf diese Phase folgen ein Plateau und eine unterschiedlich stark ausgeprägte Regeneration (Vorsicht, auch mehrgipflige Verläufe bekannt!).
-
•
Sicherung der Diagnose durch Lumbalpunktion, im Liquor erhöhtes Eiweiß bei normaler oder geringfügig erhöhter Zellzahl. Besonders früh fallen in der klinisch neurophysiologischen Diagnostik die F-Wellen aus (Kap. 7.1).
-
•
Therapie: Immunglobuline intravenös, Plasmapherese, intensive Physiotherapie z. T. über Jahre notwendig.
-
•
Sonderformen:
-
–
Miller-Fisher-Syndrom (Hirnnerven betroffen + Ataxie)
-
–
Akute motorisch axonale Neuropathie (hpts. Axone betroffen → Prognose ↓)
-
–
Akute Pandysautonomie (Kap. 4.17)
-
Chronische inflammatorische demyelinisierende Polyradikuloneuropathie (CIDP)
-
•
Zahlreiche Gemeinsamkeiten mit der AIDP
-
•
Unterschiede: zeitlicher Verlauf deutlich langsamer (lebenslange Erkrankung) und Ansprechen auf Steroidmedikamente bzw. regelmäßige Immunglobulingaben
-
•
⅔ der Verläufe kontinuierlich oder schrittweise, ⅓ schubförmig
-
•
Prognostisch nicht selten lebenslang verbleibende bzw. zunehmende Defizite
-
•
Intensive (lebenslange) Physiotherapie auch zur Vermeidung von Sekundärkomplikationen unbedingt notwendig
-
•
Seltene immunvermittelte Neuropathien:
-
–
Multifokale motorische Neuropathie mit Leitungsblöcken
-
–
Periphere Neuropathie bei monoklonaler Gammopathie unklarer Signifikanz
-
–
Periphere Neuropathie bei Kryoglobulinämie
-
–
Periphere Neuropathie bei systemischer Amyloidose
-
Infektiöse Neuropathien
Neuropathien bei systemischen Erkrankungen
Diabetische Neuropathie
-
•
Unterschiedliche klinische Ausprägungen:
-
–
Distal symmetrische Polyneuropathie
-
–
Autonome Neuropathie
-
–
Plexo-Radikulopathie (proximale Manifestation, zunächst erhebliche Schmerzen, dann Parese über Tage bis Wochen)
-
–
Trunkale Neuropathie (tritt zwischen Wurzeln Th4 bis Th12 auf, Schmerz + Dysästhesie + Parese)
-
–
Mononeuropathie (plötzlicher Schmerz, gefolgt von Parese)
-
–
Multiple Mononeuropathien (früher Mononeuritis multiplex, wie Mononeuropathie, aber mindestens zwei Nerven gleichzeitig betroffen)
-
–
Kraniale Mononeuropathie (häufig N. oculomotorius betroffen, unter Aussparung der Pupillomotorik)
-
-
•
Therapie: optimale „Einstellung“ des Blutzuckerspiegels, symptomatische Therapie von Schmerzen und autonomen Ausfällen, Vorbeugung von Komplikationen: Hautpflege und Physiotherapie.
Toxische Neuropathien
Critical-Illness-Polyneuropathie
4.4.5
Neuromuskuläre Übertragung
Myasthenia gravis
Merke
Die Myasthenia gravis ist charakterisiert durch die im Tagesverlauf zunehmenden Paresen.
Typisch sind Doppelbilder, Kau- und Schluckstörungen sowie Paresen der Extremitäten.
Seltenere Erkrankungen der neuromuskulären Übertragung
Literatur
Daroff et al., 2015
Müller-Vahl et al., 2014
Infektionen des Nervensystems
Infektionskrankheiten können sowohl das zentrale als auch das periphere NervensystemNervensystemInfektionen betreffen. Sie können entweder primär dort entstehen oder sekundär als Folge von Infektionen anderenorts in das Nervensystem übertragen werden. Durch die Infektionserreger selbst, aber auch durch die Reaktionen des Immunsystems können Nervenzellen geschädigt werden, wodurch eine Vielzahl neurologischer Symptome entstehen kann, die nicht immer reversibel sind. Die Zahl der möglichen Krankheitserreger ist derart groß, dass hier nur auf die wichtigsten und häufigsten eingegangen werden kann.
Achtung
Wichtig für das behandelnde Personal ist die Frage der Ansteckungsgefahr. Diese muss im Vorfeld der Behandlung allen Beteiligten klar kommuniziert werden. Entsprechende Vorsichtsmaßnahmen müssen eingeleitet werden.
4.5.1
Akute Infektionen
Virale Meningitis (Hirnhautentzündung)
Bakterielle Meningitis (Hirnhautentzündung)
Herpes-simplex-Enzephalitis
4.5.2
Subakute Infektionen
Neuroborreliose
Merke
Je länger die Zecken, die in bis zu 35 % mit B. burgdorferi infiziert sind, an der Haut verbleiben, umso größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass sie das Bakterium übertragen.
Neurolues
Neurotuberkulose
4.5.3
Chronische Infektionen
HIV
PML
Prionenerkrankungen
Literatur
Daroff et al., 2015
Masuhr and Masuhr, 2013
Sitzer and Steinmetz, 2011
Tumoren des Nervensystems
Tumoren des NervensystemsTumorendes NervensystemsNervensystemTumoren stellen eine sehr heterogene Gruppe von Neoplasien dar. Die Besonderheit bei Tumoren mit Beteiligung des zentralen Nervensystems sind die geringen räumlichen Reserven, die durch die starren und wenig flexiblen Begrenzungs- bzw. Hüllstrukturen des ZNS (Meningen, Schädelknochen, Wirbelknochen) bedingt sind. Relativ kleine Raumforderungen können daher bereits neurologische Symptome und Beeinträchtigungen des Patienten hervorrufen, die Auswirkungen auf den ganzen Organismus und nicht nur auf das betroffene Organ haben.
In Abhängigkeit von der Dignität (= Tumoreigenschaft; benigne oder maligne) und damit der Wachstumsgeschwindigkeit sowie der Lokalisation der Tumoren und somit häufig bedingt durch eine unmittelbare Funktionsstörung der betroffenen ZNS-Region entwickeln sich die Symptome unterschiedlich schnell: von langsam schleichend und lange unerkannt bis hin zu akut und lebensbedrohlich. Hierbei spielt neben der Raumforderung durch den Tumor die Neigung des Nervengewebes zur Ödembildung und damit zur Verstärkung der raumfordernden Wirkung eine Rolle.
Allein anhand des klinischen Bildes ist aufgrund der meist unspezifischen Symptome eine Diagnosestellung eines Tumors i. d. R. nicht möglich. Bei der erforderlichen Diagnostik und auch für die Planung und Verlaufskontrolle einer Therapie (Operation, Chemotherapie, Bestrahlung) haben bildgebende Verfahren einen außerordentlich hohen Stellenwert.
Merke
Auch anhand der Bildgebung ist nicht immer eine sichere Tumordiagnosestellung möglich: Differenzialdiagnostisch müssen im Einzelfall ebenso Infektionen, umschriebene entzündliche/demyelinisierende Veränderungen oder nach erfolgter Bestrahlung auch Strahlennekrosen diskutiert werden.
Goldstandard in der Bildgebung ist die Magnetresonanztomografie (MRT) sowohl ohne als auch mit Kontrastmittelapplikation. Auch die Computertomografie (CT) kommt sehr häufig zur Anwendung. Ergänzende Verfahren wie computertomografische Angiografie (CT-A), digitale Subtraktionsangiografie (DSA), Positronenemissionstomografie (PET) und Szintigrafie werden für spezielle Fragestellungen ergänzend eingesetzt.
Mithilfe weiterer MRT-Verfahren wie der funktionellen MRT (fMRT) oder des Diffusion Tensor Imaging (DTI) mit Fiber Tracking lassen sich funktionelle Hirnareale (z. B. Sprachzentren, Motorkortex) und Faserbahnen sowie deren räumliche Lagebeziehungen zu Tumoren oder anderen Läsionen exakt darstellen und für Behandlungsentscheidungen heranziehen.
Die durch die Tumoren hervorgerufenen Symptome können auch nach erfolgter Therapie in unterschiedlicher Ausprägung mit unterschiedlichem Rehabilitationspotenzial bestehen bleiben. Dieses Potenzial zu nutzen und den Restitutionsprozess zu unterstützen, ist Aufgabe der Physiotherapie in enger Verbindung mit Ergotherapie, Logopädie und Neuropsychologie. Unter Berücksichtigung der Tumordignität und der (statistisch) zu erwartenden Überlebenszeit sollen die höchstmögliche Lebensqualität und individuelle Autonomie erreicht bzw. erhalten werden.
Die in diesem Kapitel genannten Tumoren repräsentieren die für den klinischen Alltag relevanten Entitäten. Sie geben einen Großteil der in der WHO-Klassifikation genannten Tumoren, jedoch keine Raritäten wieder. Die WHO-Klassifikation ist das zurzeit am weitesten verbreitete und angewandte System zur Klassifikation und Gradierung von Hirntumoren. Sie wurde 1979 erstmals veröffentlicht und seither wiederholt überarbeitet. Die letzte Aktualisierung erfolgte 2007. Anhand von definierten Gewebemerkmalen und -kriterien werden die Tumoren in die (WHO-)Grade I (gutartig) bis IV (bösartig) unterteilt.
4.6.1
Intrakranielle Tumoren
Hirneigene Tumoren
Tumorarten
-
•
Astrozytome, Oligodendrogliome, Oligoastrozytome jew. WHO-Grad I bis III
-
•
Glioblastoma multiforme WHO-Grad IV
-
•
Ependymome WHO-Grad I bis III
-
•
Gangliogliome WHO-Grad I bis III
-
•
Gangliozytome und Neurozytome WHO-Grad I
-
•
Embryonale Tumoren (gehäuft bei Kindern, z. B. Medulloblastom WHO-Grad IV)
-
•
Dysembryoblastischer neuroepithelialer Tumor (DNET) WHO-Grad I
-
•
Primitiver neuroektodermaler Tumor (PNET) WHO-Grad IV
-
•
Häufige Assoziation von Gliomen der Sehbahn mit Neurofibromatose Typ 1
-
•
Gesamtheit der Gliome ca. 30–40 % aller intrakraniellen Tumoren
-
•
Glioblastome ca. 12–16 % aller intrakranieller Tumoren und ca. 55 % aller Gliome
-
•
Pilozytische Astrozytome WHO-Grad I ca. 5 % aller Gliome bei Erwachsenen und ca. 18 % bei Kindern (bis 14 Jahre)
-
•
Diffuse Astrozytome WHO-Grad II ca. 9 % aller Gliome
-
•
Anaplastische Astrozytome WHO-Grad III ca. 6 % aller Gliome
-
•
Ependymome ca. 2 % aller intrakranieller Tumoren und ca. 7 % aller Gliome
-
•
Embryonale Tumoren (einschl. Medulloblastome) ca. 16–25 % der intrakraniellen kindlichen Tumoren (bis 14 Jahre)
-
•
Gliome, Gangliogliome und -zytome in jeder Lokalisation im Groß- und Kleinhirn, Hirnstamm, Sehnerven
-
•
Ebenso Ependymome, jedoch mit unmittelbarem Bezug zu den inneren Liquorräumen (Ependym = Gewebeschicht, die Hirnventrikel und Liquorabflusswege auskleidet)
-
•
Neurozytome in den Hirnventrikeln I bis III
-
•
Medulloblastome im Kleinhirn (bei Kindern im Kleinhirnwurm, bei Erwachsenen auch Kleinhirnhemisphären)
-
•
DNET entlang der Großhirnrinde
-
•
PNET in jeder Lokalisation im Großhirn
-
•
Mikrochirurgische Resektion, ggf. nur Teilresektion oder Biopsie (z. B. bei Lage in Hirnstammnähe oder im Hirnstamm)
-
•
Je nach Dignität anschließende lokale Nachbestrahlung und/oder Chemotherapie
-
•
Glioblastome ca. 50 Wochen mediane Überlebenszeit nach Operation und Radiochemotherapie, 5-Jahres-Überlebensrate ca. 5 %
-
•
Anaplastische Astrozytome WHO-Grad III mediane Überlebenszeit ca. 72–83 %, 5-Jahres-Überlebensrate ca. 27 %
-
•
Diffuses Astrozytom WHO-Grad II mediane Überlebenszeit 5–10 Jahre, 5-Jahres-Überlebensrate 47–95 %
-
•
Medulloblastome (bei Kindern) 5-Jahres-Überlebensrate ca. 80 %
-
•
Bei Ependymomen Rezidive ca. 45 %, progressionsfeies Überleben nach 5 Jahren bis ca. 60–75 %
4.6.2
Tumoren der Hirnhäute
-
•
Meningeome ca. 24–30 % (davon WHO-Grad I ca. 75–80 %, atypische Meningeome WHO-Grad II ca. 20 %, anaplastische Meningeome WHO-Grad III ca. 1–3 %)
-
•
Hämangioblastome WHO-Grad I ca. 2 %
-
•
Hämangioperizytome WHO-Grad II und III 0,4 % aller intrakranieller Tumoren
-
•
Häufige Assoziation von Meningeomen mit Neurofibromatose Typ 2, von Hämangioblastomen mit Morbus Hippel-Lindau
-
•
Mikrochirurgische Resektion nach Möglichkeit mit tumortragender Dura-mater- und ggf. mitbetroffener Knochenanteile
-
•
Bestrahlung nur bei inoperablen, kleinen Tumoren mit Therapienotwendigkeit, ggf. bei rezidivierenden Grad-II-Tumoren, obligat bei anaplastischen Meningeomen WHO-Grad III
-
•
Konvexitäts-Meningeome WHO-Grad I und II kurabel in bis zu > 90 % der Fälle bei vollständiger Resektion, Rezidivrate 7–25 % (WHO-Grad I) bzw. 29–52 % (WHO-Grad II)
-
•
Rezidivrate Schädelbasis-Meningeome ca. 50 %
-
•
Meningeome WHO-Grad III deutlich schlechtere Prognose mit Rezidivrate ca. 50–94 %, medianer Überlebenszeit ca. 42–70 Monate bzw. 5-Jahres-Überlebensrate von ca. 42 %
Hirnnerven-Neurinome
Vaskuläre Tumoren
Tumoren der Sella-Region
-
•
Hormoninaktiv ca. 25–40 %
-
•
Prolaktinbildend (Prolaktinome) ca. 30–50 %
-
•
Wachstumshormonbildend ca. 13–20 %
-
•
ACTH-bildend ca. 5–10 %
-
•
Hormonelle Störungen
-
–
Bei Hormonausschüttung durch Adenomgewebe z. B. Milchfluss (Prolaktin), Akromegalie/Hochwuchs (Wachstumshormon), Morbus Cushing (ACTH), Hyperthyreose (TSH)
-
–
Bei Kraniopharyngeomen oft Störung des Wasser-/Elektrolythaushalts (z. B. Diabetes insipidus), Essstörungen bei gleichzeitiger Hypothalamusstörung
-
-
•
Lokale Raumforderung
-
–
Bei Makroadenomen durch Kompression des Chiasma opticum oder der Nn. optici bzw. der Tractus optici Visusveränderungen/Gesichtsfeldausfälle, bei N.-oculomotorius-Störungen Augenmuskelparesen mit Doppelbildern
-
–
Bei großen Tumoren durch Kompression des III. Hirnventrikels und/oder der Foramina Monroi (Verbindung zwischen Seitenventrikeln und III. Ventrikel) zusätzlich Hydrocephalus occlusus
-
-
•
Mikrochirurgische Resektion transnasal-transsphenoidal (durch die Nase) bei rein intrasellärer Lage oder transkraniell (Kraniotomie) bei großer Ausdehnung nach suprasellär
-
•
Bei akutem Hydrocephalus occlusus ggf. externe Ventrikeldrainage zur Senkung des Liquordrucks
Lymphome (primäre ZNS-Lymphome)
-
•
2–6,6 % aller intrakraniellen Neoplasien
-
•
Häufige Assoziation mit Immundefekt
-
•
95 % der Fälle entsprechen einem hochmalignen B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphom
-
•
Häufigkeitsgipfel im 5.–7. Lebensjahrzehnt
-
•
Beschränkung auf Gehirn, Rückenmark und/oder Meningen
-
•
Uni- oder multifokal verteilt
-
•
Häufig periventrikulär
-
•
Zurzeit (noch) kein fest etabliertes Therapieregime, überwiegend im Rahmen von multizentrischen Studien
-
•
Therapiebasis meist Polychemotherapie ggf. in Kombination mit Bestrahlung
-
•
Diagnosesicherung durch Biopsie
-
•
Mikrochirurgische Resektion nur in Ausnahmefällen
Keimzelltumoren
-
•
GerminomeTumorenKeimzell-Keimzelltumoren
-
•
Teratome (matur, immatur, mit maligner Transformation)
-
•
Dottersacktumoren
-
•
Embryonales Karzinom
-
•
Chorionkarzinom
-
•
Neben unspezifischen Hirndruckzeichen resultierend v. a. aus der Lokalisation der Tumoren
-
•
Pinealisloge: durch Druck auf die benachbarte Vierhügelplatte (Mittelhirn): Augenmuskelparesen mit Doppelbildern, Parinaud-Syndrom (= vertikale Blickparese: Unfähigkeit, beide Bulbi nach oben – und selten auch nach unten – zu bewegen)
-
•
Bei zusätzlicher Kompression des Aquaeductus mesencephali auch Liquorabflussbehinderung aus dem III. in den IV. Hirnventrikel mit Entwicklung eines Hydrocephalus occlusus
-
•
Strahlentherapie (Germinome)
-
•
Mikrochirurgische Resektion (Teratome)
-
•
Kombinierte Chemotherapie, ggf. gefolgt von Resektion und Bestrahlung (alle übrigen)
-
•
Germinome: günstigste Langzeitprognose mit ca. 90 % ereignisfreiem Überleben
-
•
Teratome: ca. 50 %
-
•
Alle übrigen: ca. 70 % langfristige Remission
Metastasen
-
•
Bei > 25 % TumorenMetastasenMetastasender Patienten mit systemischen Malignomen
-
•
Risiko bei malignem Melanom und kleinzelligem Bronchialkarzinom ca. 40 %, bei nichtkleinzelligem Bronchialkarzinom ca. 30 %, bei Mamma- und Nierenzellkarzinom ca. 20 %
-
•
50 % aller Hirnmetastasen stammen vom Bronchialkarzinom, 15–20 % vom Mammakarzinom, 5–10 % von gastrointestinalen Tumoren, Melanomen und urogenitalen Tumoren, 10 % von unbekannten Primärtumoren
4.6.3
Intraspinale Tumoren
Rückenmarkseigene Tumoren
-
•
Circa 3 % aller TumorenrückenmarkseigeneZNS-Tumoren
-
•
Davon Ependymome ca. 22–36 % (Metastasierung bei Ependymomen entlang der Liquorwege bei 2–30 %)
-
•
Astrozytome WHO-Grad I und II ca. 17 %
-
•
Astrozytome WHO-Grad III und Glioblastome WHO-Grad IV ca. 2–8 %
-
•
Mikrochirurgische Resektion, bei niedriggradigen Tumoren ggf. nur Biopsie
-
•
Bei Tumoren des WHO-Grads III und IV (und bei Ependymomen WHO-Grad II) Nachbestrahlung und/oder Chemotherapie (analog zu intrakraniellen Gliomen)
-
•
Ependymome: abh. von Patientenalter, WHO-Grad, initialem Metastasierungsgrad und Resektionsausmaß, Rezidive ca. 45 %, im günstigsten Fall progressionsfreies Überleben bei spinalen Ependymomen nach 5 Jahren bis 90 %
-
•
Gliome WHO-Grad III und IV ca. 80 % 5-Jahres-Überlebensrate; neurologische Störungen abhängig vom Infiltrations- und Resektionsausmaß sowie der Dignität des Tumors persistierend, akzentuiert oder regredient
Tumoren der Hirnhäute
-
•
MeningeomeTumorender Hirnhäute ca. 9 (Kinder) – 41 % (Erwachsene) der spinalen Tumoren, Verteilung der WHO-Grade I bis III (Kap. 6.7.7), 75–85 % der spinalen Meningeome treten bei Frauen auf
-
•
Hämangioblastome (sporadische und in Assoziation mit Morbus Hippel-Lindau) 4 % der intramedullären Tumoren
-
•
Meningeome extramedullär intradural, entlang des gesamten Spinalkanals, ca. 80 % im thorakalen Abschnitt, unterhalb des Conus medullaris selten
-
•
Hämangioblastome intramedullär mit meningealem Ursprung und Ausbildung teilweise großer Tumorzysten
Tumoren der Nervenwurzeln
-
•
Circa 14 % (Kinder) – 35 % (Erwachsene) der spinalen Tumoren
-
•
Circa 90 % der Neurinome (Schwannome) treten einzeln und sporadisch, ca. 4 % im Zusammenhang mit Neurofibromatose Typ 2 (Kap. 4.6.4), ca. 5 % multipel, z. B. bei Schwannomatose, auf
-
•
Neurofibrome so gut wie nicht sporadisch, fast immer im Zusammenhang mit Neurofibromatose Typ 1
-
•
Extramedullär
-
•
Intra- und/oder extradural
-
•
Alle spinalen Nervenwurzeln, am häufigsten thorakal, gefolgt von zervikal und lumbosakral (etwa gleich verteilt)
-
•
Meist ausgehend von sensiblen Anteilen der Nervenwurzeln oder Spinalnerven
-
•
Bei intra- und extraspinaler Ausdehnung Ausbildung sog. Sanduhrneurinome (Tumorauftreibung intra- und extraspinal, Taillierung im Bereich des Neuroforamens)
Vaskuläre Tumoren
-
•
Circa 2–3 % Tumorenvaskuläreder spinalen Tumoren
-
•
Hämangioblastome (Kap. 4.6.2) und Hämangiome/Kavernome (5 % aller spinalen vaskulären Malformationen)
-
•
Langsam progredient
-
•
Hämangioblastome durch Raumforderung der Tumorzyste
-
•
Kavernome nicht selten schubweise durch rezidivierende Tumoreinblutungen
Metastasen
Rückenmarks- und spinale meningeale Metastasen
Extradurale bzw. Wirbelkörpermetastasen
-
•
CircaMetastasenextraduraleWirbelkörpermetastasen 5–10 % aller Karzinompatienten
-
•
Ossäre Metastasen am dritthäufigsten (nach Lunge und Leber), davon vorwiegend Wirbelsäule betroffen
-
•
Ursächlicher Primärtumor lokalisiert in der Lunge in ca. 25 % (Frauen) – 32 % (Männer), in der Mamma in ca. 10 %, in Darm oder Rektum in ca. 10 %, in der Prostata in ca. 5 % der epiduralen bzw. Wirbelkörpermetastasen
-
•
70–80 % thorakolumbale Wirbelsäule, selten zervikale Wirbelsäule
-
•
Überwiegend multisegmentaler Befall, weniger häufig monosegmental
4.6.4
Tumoren des peripheren Nervensystems
Syndrome mit Tumormanifestation im Nervensystem
-
•
Neurofibromatose Typ 1, auch bekannt als Morbus von Recklinghausen
-
•
Neurofibromatose Typ 2
-
•
Schwannomatose
-
•
Morbus Hippel-Lindau
-
•
Tuberöse Sklerose, auch bekannt als Bourneville-Pringle-Syndrom
-
•
Sturge-Weber-Syndrom
Neurofibromatose Typ 1 (Morbus von Recklinghausen; NF1)
-
•
Inzidenz ca. 1 : 2 500–1 : 3 500
-
•
Entstehung in 50 % der Fälle durch Vererbung (autosomal-dominant), in 50 % durch Spontanmutation (Ort der Mutation: langer Arm von Chromosom 17: 17q11.2)
-
•
Eine NF1 liegt vor, wenn mindestens zwei der folgenden NIH-Kriterien vorhanden sind:
-
–
6 oder mehr Café-au-laît-Flecken (scharf berandete hyperpigmentierte Hautareale) größer 5 mm (präpubertär) oder größer 15 mm (postpubertär)
-
–
2 oder mehr Neurofibrome unabhängig des Typs oder 1 plexiformes Neurofibrom
-
–
„Sommersprossen“ (Freckling) axillär oder inguinal
-
–
Optikusgliom
-
–
2 oder mehr Lisch-Knötchen (Iris-Hamartome)
-
–
Eine spezifische ossäre Deformität, z. B. Keilbeinflügeldysplasie oder Kortikalisausdünnung eines langen Röhrenknochens mit oder ohne Pseudarthrose
-
–
Ein erstgradiger Verwandter (Elternteil, Geschwister oder Nachkomme) mit NF1 entsprechend der o. g. Kriterien
-
-
•
Darüber hinaus gehäuftes Auftreten von z. B. MPNST (maligner peripherer Nervenscheidentumor), GIST (gastrointestinale Stromatumoren), Phäochromozytom, Leukämie und anderer Malignome (z. B. Mammakarzinom)
-
•
Intelligenzminderung, ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung)
-
•
Vitamin-D-Mangel
-
•
Je nach Vorliegen der o. g. Manifestationen Schmerzen/Paresen/sensible Störungen im Versorgungsbereich betroffener Nerven(wurzeln), Sehstörungen (Visus, Gesichtsfeld), Gang-/Gleichgewichtsstörungen
-
•
Geistige und körperliche Entwicklungsverzögerung
-
•
Konzentrationsstörungen
-
•
Nicht selten seelische Störungen durch Schamgefühle
-
•
Keine kausale Therapie der NF1 möglich
-
•
Behandlungsansätze zielen auf symptomatische Therapie ab: Resektion symptomatischer (oder auch kosmetisch störender) Neurofibrome, bei symptomatischen Optikusgliomen derzeit Chemotherapie Behandlung der Wahl und ggf. neurochirurgische Dekompression des Optikuskanals bzw. Tumordekompression
-
•
Orthopädische Korrekturen
-
•
Onkochirurgische Behandlung von Begleit-Malignomen
-
•
Hämatoonkologische Leukämietherapie
-
•
Medikamentöse symptomatische Behandlung/Substitution, ggf. psychologische Betreuung
-
•
Ggf. Chemotherapie mit MEK-Inhibitoren im Rahmen von klinischen Studien
-
•
Medianes Sterbealter ca. 59 Jahre, jedoch in Abhängigkeit der Krankheitsausprägung und des Auftretens von Malignomen u. U. eingeschränkt
-
•
Neurofibrombedingte Beschwerden/neurologische Ausfälle meist regredient/reversibel
-
•
Prognose der Sehstörungen durch Optikusgliome meist ungünstig
Neurofibromatose Typ 2 (NF2)
-
•
Inzidenz ca. 1 : 25 000–1 : 35 000
-
•
Entstehung in 50 % der Fälle durch Vererbung (autosomal-dominant), in 50 % durch Spontanmutation (Ort der Mutation: langer Arm von Chromosom 22: 22q11.2)
-
•
Eine NF2 liegt vor, wenn gemäß der NIH-Kriterien vorhanden sind:
-
–
Beidseitige Tumoren der VIII. Hirnnerven (N. vestibulocochlearis bzw. N. statoacusticus) oder
-
–
Ein erstgradiger Verwandter mit NF2 und entweder
-
–
Unilateral ein Tumor des VIII. Hirnnerven oder
-
–
Zwei der folgenden Merkmale:
-
a.
Neurofibrom
-
b.
Meningeom
-
c.
Gliom (Ependymom)1
1
2012 wurde von Hagel et al. gezeigt, dass die bis dato in den NIH-Kriterien als Gliome angeführten Tumoren Ependymomen entsprechen.
-
d.
Schwannom (spinal, peripher)
-
e.
juvenile posteriore subkapsuläre Katarakt
-
-
-
•
Schwannome anderer Hirnnerven und Polyneuropathie
-
•
Unterschieden werden 2 Verlaufsformen:
-
–
Wishart: Auftreten multipler Raumforderungen intrakraniell und spinal vor dem 20. Lebensjahr mit raschem Progress
-
–
Gardner: Auftreten einzelner Tumoren nach dem 20. Lebensjahr mit langsamem Progress
-
-
•
In Abhängigkeit von der Ausprägung der o. g. Manifestationen
-
•
Durch die immer vorhandenen Vestibularisschwannome Hörsturz/Tinnitus/Hörminderung auf dem betroffenen Ohr bis hin zum beidseitigen Hörverlust, Gleichgewichtsstörung
-
•
Hirnstammsymptomatik/Hydrozephalussymptomatik bei Hirnstammkompression aufgrund beidseitiger Raumforderung durch Vestibularisschwannome
-
•
Fazialisparese
-
•
Hirndrucksymptomatik durch Meningeome
-
•
Epilepsie
-
•
Rückenmarkssymptomatik (z. B. Ataxie) durch raumfordernde spinale Tumoren
-
•
Schmerzen/Paresen/sensible Störungen im Versorgungsgebiet betroffener Nerven(wurzeln) oder durch (inkomplettes) Querschnittssyndrom
-
•
Keine kausale Therapie der NF2 möglich
-
•
Mikrochirurgische Resektion symptomatischer Tumoren, bei Vestibularisschwannomen ggf. auch asymptomatische Tumoren mit Ziel einer Verhinderung des drohenden Hörverlusts
-
•
Bei vollständigem Hörverlust Implantation auditorischer Hirnstammimplantate (ABI)
-
•
Ggf. Chemotherapie mit Angiogenesehemmern im Rahmen individueller Heilversuche
-
•
Drohender vollständiger (beidseitiger) Hörverlust im Verlauf der Erkrankung
-
•
Überleben nach Diagnosestellung ca. 85 % nach 5, ca. 67 % nach 10 und ca. 38 % nach 20 Jahren
Schwannomatose
-
•
Inzidenz ca. 1 : 40 000–1 : 80 000
-
•
Entstehung in 10 % familiär/vererbt, in ca. 90 % durch Spontanmutation
-
•
Eine Schwannomatose liegt sicher vor, wenn:
-
–
2 oder mehr (histologisch gesicherte) Schwannome, aber keine Vestibularisschwannome (bildgebend) vorhanden sind, das Alter > 30 Jahren liegt und keine konstitutionelle NF2-Mutation vorliegt oder
-
–
Ein (histologisch gesichertes) Schwannom vorliegt und ein erstgradiger Verwandter mit Schwannomatose existiert
-
-
•
Eine Schwannomatose ist wahrscheinlich, wenn:
-
–
2 oder mehr (histologisch gesicherte) Schwannome, aber keine Vestibularisschwannome (bildgebend) vorhanden sind, das Alter < 30 Jahren liegt und keine konstitutionelle NF2-Mutation vorliegt oder
-
–
2 oder mehr Schwannome, das Alter > 45 Jahre, keine Störung des VIII. Hirnnerven und keine konstitutionelle NF2-Mutation vorliegen oder
-
–
Bildgebend ein Schwannom diagnostiziert wurde und ein erstgradiger Verwandter mit Schwannomatose existiert
-
-
•
Ausbildung der Tumoren an spinalen Nervenwurzeln, Hirnnerven und Haut, aber nicht an den VIII. Hirnnerven
4.6.5
Physiotherapie bei Tumorerkrankungen
Literatur
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), 2016
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), 2016
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), 2016
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), 2016
Hagel et al., 2012
Louis et al., 2007
Lumenta et al., 2010
Merker et al., 2012
National Institutes of Health Consensus Development Conference Statement. Neurofibromatosis. Neurofibromatosis, 1988
Ostrom et al., 2013
Plotkin et al., 2012
Propp et al., 2006
Ramina et al., 2008
Schneider et al., 2010
Sindou, 2009
Tonn et al., 2006
Walker et al., 2004
Multiple Sklerose und andere inflammatorische demyelinisierende Erkrankungen des Nervensystems
4.7.1
Multiple Sklerose (MS)
4.7.2
Therapie der Multiplen Sklerose
Therapie des akuten Schubes
Merke
Definition Schub
Krankheitsmodifizierende Therapie
Krankheitsmodifizierende Therapien der schubförmig remittierenden Multiplen Sklerose
Inhaltsstoff | Handelsname(n) | Nebenwirkungen |
Patienten mit milder oder moderater Verlaufsform | ||
Interferon beta-1b1 s. c. (jeden 2. Tag) | Betaferon, Extavia | grippeähnliche Nebenwirkungen, Hautreaktionen |
Interferon beta-1a i. m. (1× pro Woche) | Avonex | grippeähnliche Nebenwirkungen |
Interferon beta-1a s. c. (alle 2 Wochen) | Plegridy | grippeähnliche Nebenwirkungen, Hautreaktionen |
Interferon beta-1a* s. c. (3× pro Woche) | Rebif | grippeähnliche Nebenwirkungen, Hautreaktionen |
Glatirameracetat s. c. (1× pro Tag 20 mg oder 3× pro Woche 40 mg) | Copaxone | Hautreaktionen, Lipatrophie, Postinjektionsreaktion (ca. 20 min dauerndes Herzrasen, Schweißausbruch, Angst; immer harmlos!) |
Teriflunomid p. o. (14 mg 1× pro Tag) | Aubagio | gastrointestinale Nebenwirkungen, Haarausfall, arterieller Hypertonus |
Dimethylfumarat p. o. (240 mg, 2× pro Tag) | Tecfidera | gastrointestinale Nebenwirkungen, Flush (Hautrötung), |
Patienten mit (hoch-)aktiver Verlaufsform | ||
Natalizumab i. v. (1× pro Monat) | Tysabri | allergische Reaktionen, PML |
Fingolimod p. o. (0,5 mg 1× pro Tag) | Gilenya | Herzrhythmusstörungen, Makulaödem, Infektionen |
Alemtuzumab2 i. v. (1× pro Jahr an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen) | Lemtrada | Infusionsreaktionen, autoimmune Schilddrüsenerkrankungen, immunthrombozytopenische Purpura, autoimmune Nierenerkrankungen |
Daclizumab2 s. c. (1× pro Monat) | Zinbryta | Leberwerterhöhung, Hautveränderungen, nichtopportunistische Infektionen |
Mitoxantron* (12 mg/m2 alle 1–3 Monate) | z. B. Ralenova | Übelkeit, Haarausfall, Herzinsuffizienz, Leukämie |
PML = progressive multifokale Leukenzephalopathie
1
Zulassung auch für den sekundär chronisch-progredienten Verlauf
2
Zulassung erlaubt einen Einsatz auch bei Patienten mit mildem oder moderatem Krankheitsverlauf.
Symptomatische Therapie
Uhthoff-Phänomen
Merke
Training
-
•
Körperliches Training löst keine MS-Schübe aus!
-
•
Eine vorübergehende Verschlechterung der Symptome ist durch das Uhthoff-Phänomen erklärt.
-
•
MS-Patienten dürfen und sollen sich bis zur Leistungsgrenze belasten!
-
•
Regelmäßiges Ausdauertraining verbessert den Krankheitsverlauf!
4.7.3
Differenzialdiagnosen zur MS
Neuromyelitis optica (NMO)
Akute demyelinisierende Enzephalomyelitis (ADEM)
Literatur
Beer and Kesselring, 2004
Jöbges and Hummelsheim, 2001
Schmidt et al., 2015
Neurologische Intensivmedizin
4.8.1
Was ist neurologische Intensivmedizin?
4.8.2
Wann ist eine intensivneurologische Versorgung notwendig?
Allgemeine lebensbedrohliche Erkrankungen in der Intensivneurologie?
Merke
Neurologische Erkrankungen erhöhen das Risiko für lebensbedrohliche Komplikationen wie bakterielle Pneumonien. Vor allem Dysphagie und Immobilisation sowie eine gestörte antibakterielle Abwehr des Immunsystems können infolge neurologischer Erkrankungen bakterielle Pneumonien verursachen.
Präventionsmaßnahmen wie Schluckdiagnostik und Schlucktherapie sowie mobilisierende Therapien können Pneumonien verhindern.
4.8.3
Typische intensivneurologische Krankheitsbilder
Vaskuläre Erkrankungen
Ischämischer Schlaganfall
Intrazerebrale Blutung
Merke
Einklemmungssyndrome stellen eine lebensbedrohliche Komplikation großer Hirnblutungen und Hirninfarkte dar. Die frühzeitige dekompressive Kraniektomie verhindert nicht nur den Hirntod, sondern verbessert auch die neurologische Prognose.
Enzephalitis, Myelitis und Meningitis
Erregerbedingte ZNS-Entzündungen
Merke
Erregerbedingte Meningoenzephalitiden sind durch Fieber, Kopfschmerz sowie Bewusstseinsstörungen und fokale neurologische Defizite gekennzeichnet. Die rechtzeitige Diagnosestellung und Therapie ist für die Prognose entscheidend.
Autoimmunbedingte ZNS-Entzündungen
Akinetische Krise
Neuromuskuläre Erkrankungen
Polyneuropathien
Neuromuskuläre Übertragungsstörung
Myopathien
Weitere neurologische Systemerkrankungen
Amyotrophe Lateralsklerose
4.8.4
Ausstattung neurologischer Intensivstationen und invasive Maßnahmen
Monitoring
Arterielle und venöse Zugänge
Blasenkatheter
Beatmung
Ernährung
Externe Ventrikeldrainage
Dialyse und Plasmapherese
Merke
Zugänge wie venöse Katheter oder Liquordrainagen können zu lebensbedrohlichen bakteriellen Infektionen (Sepsis, Meningitis, Ventrikulitis) führen. Zur Verhinderung dieser schwerwiegenden Komplikationen müssen sich alle Berufsgruppen an die hygienischen Standards halten, mit denen man sich vertraut machen muss, bevor man an diesen Patienten arbeitet.
4.8.5
Besonderheiten intensivneurologischer Patienten für Physiotherapeuten
Therapieziele
Sekundärveränderungen
-
•
Herz-Kreislauf-System
-
–
Thrombosen in den Beinvenen und Lungenarterienembolien
-
–
Orthostatische Regulationsstörungen
-
-
•
Respiratorische System
-
–
Verminderung der Lungenbelüftung und Atelektasenbildung
-
–
Vermehrte Bronchialschleimbildung und verminderte bronchiale Clearance
-
–
Damit verbundenes erhöhtes Pneumonierisiko
-
-
•
Nervensystem
-
–
Nervendruckläsionen
-
–
Critical-Illness-Neuromyopathie
-
-
•
Muskuloskelettale System
-
–
Immobilisationsbedingte Muskelatrophie
-
–
Gelenkskontrakturen mit Schrumpfungen der Sehnen-, Bänder- und Gelenkskapseln
-
-
•
Haut- und Bindegewebe
-
–
Erhöhter Auflagedruck mit der Gefahr von Dekubitalulzerationen
-
Systembezogene Therapieziele und Maßnahmen
-
•
Ziele:
-
–
Verhinderung von Beinvenenthrombosen und Lungenarterienembolien
-
–
Erhaltung und Wiederherstellung der kardiovaskulären Regulation
-
-
•
Maßnahmen:
-
–
Passive und assistive Mobilisierung, um insbesondere den venösen Blutstrom zum Herzen verbessern
-
–
Übungen zur Aktivierung der orthostatischen Regulation
-
-
•
Ziele:
-
–
Verhinderung von Atelektasen
-
–
Verhinderung einer Pneumonie
-
–
Unterstützung der Entwöhnung von der maschinellen Beatmung (Weaning), Unterstützung der selbstständigen Atmung
-
-
•
Maßnahmen:
-
–
Reflektorische Atemtherapie zur Vergrößerung der Atemtiefe und zur Verbesserung der bronchialen Clearence u. a. durch Induktion des Hustenreflexes
-
–
Atemübungen
-
-
•
Ziele:
-
–
Vermeidung und Behandlung von Kontrakturen
-
–
Bahnung der Motorik
-
–
Verbesserung der Muskelkraft (Atmung, Extremitäten, Rumpf, Kopfhaltung)
-
–
Verbesserung der Koordination
-
–
Verbesserung der Feinmotorik der Hand (Essen, Trinken)
-
–
Unterstützung selbstständiger Transfers (z. B. Bett–Stuhl)
-
–
Behandlung autonomer Störungen des gastrointestinalen Systems (z. B. Obstipation)
-
-
•
Maßnahmen:
-
–
Passive und assistive Bewegungen
-
–
Sofern möglich, aktive Bewegungsübungen
-
–
Kolonmassagen
-
-
•
Ziele: Verhinderung von Dekubitalulzerationen
-
•
Maßnahmen: Physiotherapeutische Lagerungstechniken
Worauf sollten Therapeuten bei intensivmedizinischen Patienten achten?
Bewusstseinsstörungen
Merke
Der gezielte Einsatz der Kommunikation ist auch bei (teilweise) bewusstseinsgestörten Patienten sinnvoll.
Kommunikationsinhalte mit einer potenziell negativen, verängstigenden Wirkung auf den Patienten müssen vermieden werden.
Schmerzen
Besonderheiten bei sedierten und beatmeten Patienten
Besonderheiten der Belastung intensivmedizinischer Patienten
-
•
Selbstständiges Drehen und Lagern im Bett
-
•
Bewegungen aus dem Bett
-
•
Sitzen am Bettrand
-
•
Aufstehen
-
•
Transfer Bett–Stuhl
Literatur
Koenig and Mertl-Rötzer, 2004
Demenz
DemenzDemenz (ICD-10-Code: F00–F03) ist ein Syndrom als Folge einer meist chronischen oder fortschreitenden Krankheit des Gehirns. Viele höhere kortikale Funktionen, z. B. Gedächtnis und Lernen, Auffassung, Denken und Urteilsvermögen im Sinne der Fähigkeit zur Entscheidung (Kap. 3.4), Rechnen und Sprache, aber auch Körperfunktionen, sind aufgrund von Degeneration von Hirngewebe gestört. In Abgrenzung zu anderen, ähnlichen Erkrankungen ist das Bewusstsein jedoch nicht getrübt.
4.9.1
Anatomie
4.9.2
Diagnostik und Assessment
-
•
AnamneseDemenzDiagnostik mit klinischem Verlauf, Erstsymptome, Medikationsverlauf, vegetativer Status und körperliche bzw. psychopathologische Untersuchung
-
•
Kognitiver Kurztest und ggf. neuropsychologische Diagnostik (Kap. 3.4.2)
-
•
Fremd- und Selbstbeurteilungsskalen (alltagsbezogene Fähigkeiten, psychische Verhaltenssymptome)
-
•
Labordiagnostik mit serologischer und biochemischer Diagnostik und Liquordiagnostik mit Bestimmung von Neurodegenerationsmarkern
-
•
Zerebrale Bildgebung, EEG und Sonografie der gehirnversorgenden Gefäße
-
•
Genetische Diagnostik bei familiären Demenzerkrankungen
4.9.3
Verfahren oder Screening-Verfahren zum Demenz-Assessment (Auswahl)
-
•
Mini-Mental-Status (MMST), DemenzScreening-VerfahrenDemTect, Montreal Cognitive Assessment (MoCa)
-
•
Parkinson-Neuropsychometric Dementia Assessment (PANDA)
-
•
EASY als nonverbales Instrument bei Personen mit Migrationshintergrund
-
•
Test zur Früherkennung von Demenzen mit Depressionsabgrenzung (TFDD)
-
•
Testbatterie und Ratingskala CERAD-BRSD
-
•
Neuropsychiatrisches Inventar (NPI)
-
•
Behavioural Pathology in Alzheimer's Disease Rating Scale (BEHAVE-AD)
-
•
Nurses Observation Scale for Geriatric Patients (NOSGER)
-
•
Cornell Depression-bei-Demenz-Skala
-
•
Apathie-Evaluation-Skala (AES)
-
•
Cohen Mansfield Agitation Inventar (CMAI)
Achtung
Vor der unkritischen Verwendung kognitiver Kurztests ist abzuraten. Sie dienen einer ersten Einschätzung des Schweregrades einer Demenz.
4.9.4
Demenzsyndrome
Merke
Die häufigsten DemenzsyndromeDemenzen sind die Alzheimer-Demenz und eine vaskuläre Demenz.
Klinische Kriterien für eine Alzheimer-Demenz (AD)
Klinische Hinweise auf AD
-
•
Ergänzende Beeinträchtigungen der Sprache (Aphasie), der Motorik mit Störungen des Werkzeuggebrauchs, d. h. Apraxie, oder Verkennungen von Gegenständen, d. h. Agnosie
-
•
Beeinträchtigung von Alltagsaktivitäten und Auftreten von Persönlichkeits- und Verhaltensveränderungen
-
•
Vorübergehender Stillstand der Symptome im Verlauf der Erkrankung
-
•
Begleitbeschwerden wie Depression, Schlaflosigkeit, Inkontinenz, Illusionen, Halluzinationen, Wahnvorstellungen, plötzliche aggressive Ausbrüche, sexuelle Dysfunktionen und Gewichtsverlust, neurologische Auffälligkeiten (v. a. bei fortgeschrittener Erkrankung) wie erhöhter Muskeltonus, Myoklonien oder Gangstörungen
-
•
Neuropsychologie: Vergessensrate über die Zeit, d. h. beim verzögerten Abruf, Fehler bei der Wiedererkennung, Reduktion der semantischen Wortflüssigkeit, Defizite im Arbeitsgedächtnis und in der kognitiven Flexibilität
Klinische Kriterien für eine vaskuläre Demenz (VD)
Klinische Hinweise und Assessmentbefunde einer vaskulären Demenz (VD)
-
•
Beeinträchtigungen sind teilweise abhängig von der Läsionsseite (Hemiparese rechts nach linksseitiger Läsion etc.)
-
•
Psychomotorische Verlangsamung
Klinische Kriterien für eine gemischte kortikale und subkortikale vaskuläre Demenz
-
•
Verschlechterung bezogen auf ein vorausgehendes höheres Funktionsniveau (Lern- und Gedächtnisstörung) und alltagsrelevante Defizite in mindestens zwei der folgenden Fähigkeiten (Orientierung, Aufmerksamkeit, Sprache, visuell-räumliche Fähigkeiten, Urteilsvermögen, Handlungsfähigkeit, Abstraktionsfähigkeit, motorische Kontrolle, Praxie)
-
•
Beginn der Demenz innerhalb von drei Monaten nach einem Schlaganfall oder abrupte Verschlechterung kognitiver Funktionen oder fluktuierende oder stufenweise Progression der kognitiven Defizite
Merke
Bei allen Demenzformen sind die Auswirkungen der Erkrankungen auf die Alltagsaktivitäten relevant.
4.9.5
Demenzen im Rahmen von spezifischen Erkrankungen des ZNS
Klinische Kriterien der Parkinson-Disease-Demenz (PDD)
Klinische Hinweise
-
•
Einschränkungen im täglichen Leben (sozial, beruflich oder in der eigenen Versorgung), die nicht allein durch die motorischen oder autonomen Symptome erklärbar sind
-
•
Vermehrte Müdigkeit: Fatigue mit Apathie, eine verringerte Spontanität, ein Verlust von Motivation, Interesse und Eigenleistung
-
•
Unruhe, Stimmungsveränderungen einschl. depressiver Symptome und Angst
-
•
Halluzinationen (visuell, üblicherweise komplexe, ausgestaltete Wahrnehmung von Personen, Tieren oder Objekten) und Wahn, paranoid gefärbt, z. B. hinsichtlich Untreue oder Anwesenheit unwillkommener Gäste
-
•
Neuropsychologie: Störungen des Gedächtnisses (Kap. 3.4.2) bzw. Lernens (Ncl. caudatus), der Exekutive (Kap. 3.4) beim Planen, bei der Initiieren von Handlungen; in der Flexibilität, in der Wortflüssigkeit, Aufmerksamkeit und Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit (Bradyphrenie) in der visuell-räumlichen Orientierung und Leistung
Merke
Unterstützen Sie die Einnahme von Parkinson-Medikamenten nach einem festen Schema. Die Medikation ermöglicht erst die Therapie.
Klinische Kriterien der Demenz bei Creutzfeldt-Jakob-Krankheit
Achtung
Bei der Therapie von Creutzfeldt-Jakob-Patienten ist hygienisches Infektionsschutzverhalten der Therapeuten unabdingbar.
Klinische Kriterien der Demenz bei Chorea Huntington
Sekundäre oder „behandelbare“ Demenzen
4.9.6
Therapie der Demenzen
Merke
Es geht darum, den Menschen, das Individuum in den Mittelpunkt zu stellen.
Merke
Dem Einsatz von Psychopharmaka geht eine fundierte Diagnostik voraus.
Merke
Helfen Sie Angehörigen von Menschen mit Demenz, sich zu entlasten.
Gestaltung einer Therapieeinheit
Hilfreiche Grundeinstellungen bei der Arbeit mit Menschen mit Demenz
-
•
Trost mit Wärme, Zärtlichkeit, Geborgensein, das Gefühl der Sicherheit.
-
•
Ohne primäre Bindung fällt es jedem Menschen, unabhängig von seinem Alter schwer, gut zu funktionieren. Das Bedürfnis nach primärer Sicherheit bleibt bestehen.
-
•
Menschen haben ein Bedürfnis nach Beschäftigung. Ohne Beschäftigung beginnen ihre Fähigkeiten nachzulassen.
-
•
Menschen haben das Bedürfnis nach Identität bzw. Lebensgeschichte.
-
•
Menschen mit einer Demenz oder schweren Gedächtnisdefiziten nehmen Freundlichkeit, Höflichkeit und emotionale Tönungen trotz aller Defizite wahr und behalten diesen Aspekt auch (implizites Lernen) im Gedächtnis.
Tipps zum Umgang mit Menschen mit Demenz oder Menschen mit schwergradigem amnestischem Syndrom (Kap. 3.4.3)
-
•
Stellen Sie sich immer wieder vor und schaffen Sie Vertrauen durch einen Gesprächsbeginn mit einer anerkennenden oder wertschätzenden Mitteilung.
-
•
Schaffen Sie Aufmerksamkeit und knüpfen Sie an Vorerfahrungen an.
-
•
Vermeiden Sie „Baby-Talk“. Sprechen Sie deutlich in einfachen konkreten Sätzen und kommen Sie möglichst gleich auf den Punkt.
-
•
Stellen Sie Fragen, die möglichst einfach mit Ja oder Nein beantwortet werden können.
-
•
Verunsichern Sie nicht durch häufiges Abfragen von Fakten, die doch nicht abrufbar sind. Es beschämt den Menschen mit Demenz. Wieso, warum oder wann überfordern schnell.
-
•
Körpersignale können Hinweise auf den Gefühlszustand geben. Gehen Sie ggf. auf die Gefühlsebene der Menschen mit Demenz („Sie fühlen sich ganz allein gelassen“).
-
•
Schmerz, Stress und Angst lösen impulsives Handeln oder Aggression aus.
-
•
Die Sichtweise des Menschen mit Demenz ist für ihn gültig und richtig.
-
•
Beziehen Sie die Aggressionen des Menschen mit Demenz nicht auf sich, auch wenn er die Aggressionen gegen Sie richtet.
-
•
Belehrungen, Zurechtweisen und fruchtlose Diskussionen helfen nicht weiter.
-
•
Berührung oder Festhalten kann als Reaktion auf Aggressivität und Gereiztheit unangemessen sein. Bleiben Sie selbst gelassen und klar. Gehen Sie ggf. auf Distanz. Zeigen Sie sich mit Ihrer Seitenansicht statt mit dem vollen Körperumfang. Die Seitenansicht reduziert die Bedrohung. Holen Sie sich Hilfe.
-
•
Lenken Sie ab, anstatt zu konfrontieren, Bewahren Sie Geduld und Gelassenheit. Geben Sie Anweisungen in einzelnen Schritten hintereinander und wiederholen Sie Anweisungen.
Merke
Das, was der Mensch mit Demenz nicht mehr kann oder weiß, müssen wir in der Therapie und Betreuung ergänzen.
Literatur
Förstl, 2011
Kitwood, 2008
Schloffer et al., 2014
Werheid and Thöne-Otto, 2014
Myopathien
Erkrankungen Myopathieder Skelettmuskulatur können sich mit den Symptomen Schmerzen, Schwäche und vorzeitige Ermüdbarkeit äußern. Die Symptome sind in den Extremitäten häufig proximal betont. Ursächlich lassen sich entzündliche Myopathien von Dystrophien, anderen angeborenen Muskelerkrankungen, metabolischen Myopathien sowie mitochondrialen (Kap. 4.14) und toxischen Muskelerkrankungen (Kap. 4.18) abgrenzen. Neben der Elektromyografie (EMG) werden regelhaft die Muskelbiopsie, die Labordiagnostik und die humangenetische Untersuchung als technische Zusatzdiagnostik eingesetzt.
4.10.1
Inflammatorische Myopathien
Polymyositis
-
•
Akute oder Myopathieinflammatorischesubakute Erkrankung des Erwachsenenalters, charakterisiert durch symmetrische proximal betonte Schwäche vergesellschaftet mit in der Regel moderaten Schmerzen.
-
•
Autoimmunerkrankung des zellgebundenen körpereigenen Abwehrsystems führt zu muskulärem Untergang.
-
•
Im Labor zeigt sich ein hoher Wert der Kreatinkinase (= CK), die einen Muskelzerfall anzeigt. Gelegentlich berichten Patienten auch über dunkel verfärbten Urin.
-
•
Die Befunde im EMG und in der Muskelbiopsie sind ebenfalls eindeutig mit dem Nachweis von myopathischen Potenzialen bzw. der Anwesenheit von zahlreichen Zellen der zellgebunden Immunität im Muskel.
-
•
Die Therapie besteht in der akuten Phase in der Verabreichung von Kortikosteroiden und/oder anderer immunsuppressiver Therapie.
-
•
Da in der Regel ein erheblicher muskulärer Substanzverlust durch eine Polymyositis ausgelöst wird, ist nach der akuten Behandlung eine muskelaufbauende Trainingstherapie zu empfehlen.
Dermatomyositis
-
•
Unterscheidet sich bezüglich der muskulären Symptomatik nicht von der Polymyositis, ist aber von zusätzlichen Symptomen der Haut begleitet (z. B. rötlich-violette Verfärbung im Bereich der Augenlider oder der Wangen, Nacken oder über den ganzen Körper verteilt).
-
•
Neben der Haut können auch andere Bindegewebsstrukturen (Lunge, Herz) betroffen sein.
-
•
Ca. 10 bis 20 % der Betroffenen entwickeln im Laufe der nächsten Jahre eine Krebserkrankung bzw. leiden bereits darunter.
-
•
Die Therapie der Dermatomyositis ist ähnlich der der Polymyositis, sollte aber noch um ein intensives Screening bezüglich Krebserkrankungen ergänzt werden.
Einschlusskörperchenmyositis
-
•
Chronisch fortschreitende Schwäche asymmetrisch und eher distal betont.
-
•
Die CK ist nur mäßig erhöht; EMG und Muskelbiopsie sind wegweisend (= Nachweis von „Einschlusskörperchen“ und entzündlichen Veränderungen).
-
•
Die Wirkung einer immunsuppressiven Medikation ist unsicher.
-
•
Regelmäßiges muskuläres Training deutlich unterhalb der Belastungsgrenze ist nicht nachgewiesen hilfreich, kann aber empfohlen werden.
Polymyalgia rheumatica
-
•
Eigentlich eine Vaskulitis, d. h. Entzündung der Gefäße; typischerweise sind die Gefäße betroffen, die Schulter-Nacken-Oberarm-Muskulatur versorgen.
-
•
Außerdem können die Gefäße betroffen sein, welche die Augen versorgen (Arteriitis temporalis).
-
•
Schmerzen werden oft als sehr stark angegeben und durch Druck verstärkt.
-
•
Die Erkrankung tritt überwiegend bei Menschen jenseits des 55. Lebensjahres auf.
-
•
Neben dem typischen klinischen Erscheinungsbild sind eine erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit und ein Phänomen in der Sonografie der Gefäße (Halo = echoarme konzentrische Wandverdickung) wegweisend.
-
•
Therapie der Wahl sind Kortikosteroide, die z. T. über eine längere Zeit (bis zu einigen Jahren) gegeben werden müssen.
Entzündliche Muskelerkrankungen durch Keime oder Parasiten
4.10.2
Dystrophien
Muskuläre Dystrophie Typ Duchenne
-
•
Schwere Verlaufsform mit Beginn ab dem 2. Lebensjahr (Defekt liegt auf dem X-Chromosom → Jungen betroffen).
-
•
Zunächst Probleme bei der Rumpfaufrichtung, dann immer mehr auch beim Treppensteigen und Laufen. Es entwickelt sich ein Mischbild aus Schwäche, Pseudohypertrophie und Kontrakturen.
-
•
Ab ca. dem 10. bis 12. Lebensjahr treten häufig eine Abhängigkeit vom Rollstuhl und in der Folge schwere Kontrakturen ein.
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•
Im Laufe der Jahre kann sich eine ausgeprägte Skoliose entwickeln und eine Herzmuskelbeteiligung einstellen. Diese führt in der Regel zum Tode.
-
•
Wichtigstes Ziel der Physiotherapie ist die Vermeidung dieser Kontrakturen und der Skoliose. Hierzu ist häufig der Einsatz orthopädietechnischer Hilfsmittel (Splint, Schiene, Korsett etc.) notwendig.
-
•
In spezialisierten Zentren sind neuro-orthopädische Eingriffe möglich.
Muskuläre Dystrophie Typ Becker
-
•
Verläuft von den Symptomen her ähnlich, jedoch deutlich milder als der Duchenne-Typ (Vererbung wie Duchenne).
-
•
Erste Symptome treten im ersten Lebensjahrzehnt auf.
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•
Ab ca. dem 20. Lebensjahrzehnt ist häufig eine Abhängigkeit vom Rollstuhl zu beachten.
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•
Die therapeutischen Prinzipien ähneln dem Duchenne-Typ, können allerdings i. d. R. deutlich weniger aggressiv ausfallen.
Gliedergürteldystrophien
-
•
Sehr heterogene Gruppe von Erkrankungen, die im Prinzip die Schulter-Arm- und/oder Hüftregion betreffen.
-
•
Unterschiedliche Erbgänge (autosomal-dominant oder -rezessiv) sind bekannt.
-
•
Auch die Verläufe können sich erheblich unterscheiden. Einige setzten früh ein und nehmen einen sehr schweren Verlauf, andere treten erst im Verlauf des Lebens auf und sind nur mild ausgeprägt.
-
•
Allen gemeinsam ist ein zunehmende Schwäche und Atrophie der betroffenen Muskelgruppen.
Fazioskapulohumerale Dystrophie (FSH-Dystrophie)
-
•
Relativ häufig verbreitet mit ein bis zwei Erkrankungen pro 100 000 Einwohnern.
-
•
Betroffen sind Muskeln im Gesicht und Schultergürtel. Die Ausprägung ist individuell jedoch sehr unterschiedlich.
-
•
Im Laufe der Erkrankung kann in einigen Fällen eine generalisierte oder eine peroneal betonte Schwäche auftreten.
-
•
Neben einer individuellen muskulären Trainingstherapie steht auch hier die angemessene Versorgung mit Hilfsmitteln im Vordergrund des therapeutischen Bemühens.
Myotone Dystrophie
4.10.3
Andere angeborene Muskelerkrankungen
4.10.4
Metabolische Myopathien
Literatur
Daroff et al., 2015
Deschauer et al., 2017
Masuhr and Masuhr, 2013
Sitzer and Steinmetz, 2011
Epileptische Anfälle und Epilepsien
4.11.1
Definition
-
•
Epileptischer Anfall:
-
–
Plötzlich und vorübergehend auftretende Funktionsstörung des Gehirns
-
–
Zurückzuführen auf Veränderungen der Aktivität der Nervenzellen des Gehirns im Sinne einer abnormen Erregungsentstehung und -ausbreitung
-
–
Gekennzeichnet durch rhythmische, synchrone Entladungen vieler Nervenzellen, maximal des gesamten Gehirns
-
-
•
Epilepsien:
-
–
Heterogene Krankheitsgruppe, die durch das wiederholte, chronische Auftreten von spontanen und unprovozierten epileptischen Anfällen definiert ist
-
4.11.2
Allgemeines
Epidemiologie
-
•
Etwa 5–10 % aller Anfall, epileptischerEpidemiologieMenschen haben einmal im Leben einen epileptischen Anfall, ohne dass eine Epilepsie nachweisbar ist.
-
•
Nur etwa 0,5–1 % der Bevölkerung ist an einer Epilepsie erkrankt.
-
•
Eine erhöhte Bereitschaft zu epileptischen Anfällen ist oft angeboren und kann vererbt werden. Angeborene Anfallsbereitschaft und erworbene Hirnschädigung summieren sich. Bei Übertreten eines individuellen Schwellenwertes können epileptische Anfälle auftreten. Äußere Faktoren wie Medikamente oder Schlafgewohnheiten können die individuelle Anfallsbereitschaft beeinflussen.
-
•
Das Auftreten der Epilepsieerkrankung variiert mit dem Alter; zwei Häufigkeitsgipfel sind zu beobachten:
-
–
1. Gipfel: frühe Kindheit und Jugend (dabei überwiegen genetisch/idiopathisch bedingte generalisierte Epilepsiesyndrome)
-
–
2. Gipfel: Erwachsenenalter > 60 Jahre (dabei überwiegen erworbene symptomatisch/strukturell bedingte fokale Epilepsiesyndrome)
-
-
•
Jeder erstmalige epileptische Anfall bedarf einer umfassenden neurologischen Abklärung, da er Ausdruck einer akuten „Reizung“ des Gehirns (provoziert bzw. akut symptomatisch), isoliert unprovoziert (sog. Gelegenheitsanfall), aber auch Ausdruck einer beginnenden Epilepsie sein kann.
-
•
Akut symptomatische Anfälle (meistens innerhalb von 7 Tagen nach Schädigung) sind provozierte epileptische Ereignisse in akutem Zusammenhang mit z. B. einer ZNS-Infektion, einem Schlaganfall, einem Schädel-Hirn-Trauma. Hier ist der Anfall ein akutes Symptom einer „Reizung“ des Gehirns. Eine Kurzzeittherapie (Tage bis Monate) ist in Abhängigkeit vom Einzelfall (Ort und Ursache der Läsion) möglich. Der Übergang in einen Zustand mit unprovozierten Anfällen auf der Basis chronischer Folgezustände tritt in etwa 20–30 % der Fälle ein und bedarf dann einer medikamentösen Dauertherapie
-
•
Mögliche weitere Ursachen akut symptomatischer, provozierter Anfälle sind z. B. akute metabolische Entgleisungen (Hyponatriämie, Hypoglykämie, Hyperglykämie, Hypokalzämie), Medikamentenintoxikationen, Alkohol-, Benzodiazepin- und Barbituratentzug, hohes Fieber (mindestens > 38,5 °C), oft im Kindesalter bis 5 Jahren (sog. Fieberkrampf).
Pathophysiologische Konzepte der Iktogenese (= Entstehung des epileptischen Anfalls)
-
•
Es ist bisher nichtAnfall, epileptischerIktogeneseIktogenese bis ins Detail geklärt, wie epileptische Aktivität entsteht, erhalten bleibt und endet.
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•
Hypothesen: Einige Zellen im Nervensystem können ohne Beteiligung anderer Zellen „Schrittmacherpotenziale“ bilden (vgl. Sinusknoten am Herzen). Diese Potenziale entwickeln sich zu epileptischen Potenzialen.
-
•
Viele Hypothesen gehen davon aus, dass der Entstehung der epileptischen Aktivität ein Ungleichgewicht zwischen erregender und hemmender Aktivität zugrunde liegt, z. B.:
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–
„Ionenkanal-Hypothese“ → Störung des transmembranen Ionentransports
-
–
„GABA-Hypothese“ → Störung der GABAergen Inhibition (GABA: Neurotransmitter, der in der Regel zu inhibitorischen postsynaptischen Potenzialen führt).
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–
„Glutamat-Hypothese“ → gesteigerte glutamatvermittelte Neurotransmission (Glutamat: Neurotransmitter, der in der Regel zu erregenden postsynaptischen Potenzialen führt).
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-
•
Ein weiteres Konzept beruht auf dem „Kindling-Phänomen“: Nervenzellen können nach elektrischer Stimulation von Gehirnstrukturen mit niedriger „Krampfschwelle“ ein epileptogenes Verhalten entwickeln, z. B. Schädigung der hippocampalen Strukturen bei Status epilepticus.
Klassifikation epileptischer Anfälle, epileptischer Syndrome und von Epilepsien
-
•
Sensibler Kortex → sensible Phänomene, Missempfindungen
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•
Motorischer Kortex → motorische Phänomene wie Zuckungen oder Kloni
-
•
Visueller Kortex → optische Phänomene
-
•
Lateraler Temporallappen (Hörrinde) → auditive Phänomene
-
•
Mesialer Temporallappen → psychische und vegetative Phänomene und Bewegungsautomatismen
-
•
Frontallappen → hypermotorische Anfälle
-
•
Gesamtes Gehirn betroffen → generalisierter tonisch-klonischer Anfall
-
•
Fokal begrenzte Aktivität in umschriebener Region → Bewusstsein bleibt erhalten
Klassifikation epileptischer Anfälle (ILAE 1981)
-
•
Fokale Anfälle (zu Beginn des Anfalls ist nur ein umschriebener Bereich des Gehirns betroffen, auch „Fokus“ oder „Herd“ genannt) und weiter in
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–
Einfach-fokal („einfach“ meint dabei: das Bewusstsein bleibt erhalten)
-
–
Komplex-fokal („komplex“ meint dabei: das Bewusstsein ist gestört)
-
–
Sekundär generalisiert (fokal beginnender Anfall mit Bewusstseinsstörung, der im Verlauf beide Gehirnhälften einbezieht)
-
-
•
Generalisierte Anfälle (bereits zu Beginn des Anfalls sind beide Gehirnhälften einbezogen), z. B. Absence, myoklonische, tonische, klonische, tonisch-klonische (auch als Grand-Mal bezeichnet), atonische Anfälle
Klassifikation der Epilepsiesyndrome und der Epilepsien (ILAE 1989)
-
•
Es wurden fokale und generalisierte Epilepsien und Epilepsiesyndrome (aufgrund typischer identifizierbarer gemeinsamer klinischer und elektrophysiologischer Charakteristika, ggf. unter Einbeziehung einer Altersbindung) unterschieden.
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•
Bzgl. einer zugrunde liegenden Krankheitsursache (Ätiologie) differenzierte man symptomatische (Ursache bekannt), idiopathische (oft genetische Ursache) und kryptogene (Ursache unbekannt) Epilepsien.
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•
Die Identifikation einer Epilepsieform/eines Epilepsiesyndroms ist nützlich, da sie Rückschlüsse auf die Auswahl des Antiepileptikums (= Medikament zur Vorbeugung vor weiteren epileptischen Anfällen) ermöglicht, das am besten geeignet ist. Einige Epilepsiesyndrome zeigen z. B. eine Verschlechterung der Anfallssituation bei Nutzung bestimmter Antiepileptika (z. B. mögliche Verschlechterung von idiopathisch generalisierten Epilepsiesyndromen unter Natriumkanal-Blockern).
Aktuelle Klassifikation epileptischer Anfälle und der Epilepsien (ILAE 2017)
-
•
Es werden führend 3 Ebenen („Levels“) unterschieden:
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–
Ebene 1: Anfallstypen: Unterschieden wird nach dem Beginn des Anfalls (fokal, generalisiert oder unbekannter Beginn), nach motorischen und nicht motorischen Phänomenen sowie bei fokal beginnenden Anfällen nach der Beurteilung des Bewusstseins, wobei die Begriffe „einfach“ und „komplex“ nicht mehr vorgesehen sind.
-
–
Ebene 2: Epilepsietypen
-
–
Unterschieden wird wie bisher in fokal und generalisiert.
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–
Zusätzlich wurden zwei neue Kategorien ergänzt: „Combined Generalized and Focal“ und „Unknown“ (unbekannt).
-
-
–
Ebene 3: Epilepsiesyndrome: Ein Epilepsiesyndrom bezieht neben den vorgenannten Faktoren zusätzlich typische altersbezogene Daten, typische Anfallsauslöser, Daten zur Prognose etc. mit ein, z. B. Absence-Epilepsie des Kindesalters, mesiale Temporallappenepilepsie.
-
-
•
Auf jeder Ebene sollen Fakten zur Ätiologie (Ursache) einbezogen werden, wobei nun 6 Kategorien unterschieden werden:
-
–
Strukturell (z. B. Hirninfarkt, Hippocampussklerose, Trauma)
-
–
Genetisch (z. B. Ionenkanal-Störung oder Rezeptormutation)
-
–
Metabolisch (z. B. Porphyrie oder Urämie)
-
–
Immunogen (z. B. Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis)
-
–
Infektionsbedingt (z. B. ZNS-Infektionen durch Viren oder Bakterien)
-
–
Unbekannt (nicht bzw. noch nicht bekannt)
-
-
•
Mögliche Komorbiditäten (z. B. Depression) finden in der Klassifikation ebenfalls Berücksichtigung.
4.11.3
Ablauf und Verhaltensempfehlungen beim generalisierten tonisch-klonischen Anfall
-
•
Ablauf beim generalisierten tonisch-klonischen Anfall (GTKA; Grand-Mal-AnfallGrand-Mal-AnfallVerhaltensempfehlungGrand-Mal-AnfallAblauf):
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–
Bei fokalem Beginn mit sekundärer Generalisierung kann dem Anfall eine Aura vorangehen.
-
–
Tonische Phase: Dauer ca. 10–30 s, Initialschrei, Bewusstseinsverlust, Hinstürzen; tonische Verkrampfung des Körpers (dabei Elevation, Adduktion und Beugung der Arme und Beine, dann Streckung der Arme und Beine); Anspannung der Gesichtsmuskulatur, oft mit Zungenbiss, z. T. geöffnete Augen und Bulbusdeviation, Blutdruckanstieg, Tachykardie, Apnoe mit Zyanose
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–
Klonische Phase: Dauer ca. 30–50 s, rhythmische Zuckungen/Kloni des Körpers (Gesicht, Arme, Beine), die im Verlauf grobschlägiger werden, verstärkte Ausatmung, Schaum vor dem Mund, blutiger Speichel bei Zungenbiss, oft Einnässen
-
–
Postiktale Phase: schnelle Atmung, Rückgang der vegetativen Symptomatik, langsames Erwachen oder anschließender Terminalschlaf über bis zu mehrere Stunden; weitere mögliche Beschwerden: Kopf- und Muskelschmerz, gelegentlich persistierende Ausfallerscheinungen, seltener Verletzungen durch Sturz, Wirbelfrakturen bei Osteoporose (auch ohne Sturz möglich) durch die Muskelverkrampfung in der tonischen Phase, Aspiration, Anschlussserie von tonisch-klonischen Anfällen bis Status epilepticus (= neurologischer Notfall)
-
-
•
Allgemeine Verhaltensempfehlungen bei tonisch-klonischem Anfall:
-
–
Patienten vor Gefährdung schützen (gefährliche Gegenstände aus dem Umfeld entfernen)
-
–
Weiche Unterlage, z. B. Jacke, unter den Kopf legen, beengende Kleidung öffnen, z. B. Krawatte lösen
-
–
Wenn möglich, stabile Seitenlage
-
–
Patienten nicht festhalten
-
–
Atemwege freihalten, Mund, wenn möglich, nicht mit Gewalt öffnen (Verletzungsgefahr für Betroffenen und Helfer)
-
–
Anfall im Ablauf genau beobachten (genaue Beschreibung für spätere Diagnostik wichtig), notärztliche Hilfe rufen, wenn Anfall länger als 5 Minuten dauert, ein weiterer Anfall dem ersten zeitnah folgt oder es sich um ein Erstereignis handelt
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4.11.4
Diagnostik
-
•
Nach erstem Anfall, epileptischerDiagnostikepileptischem Anfall oder bei Veränderungen im Anfallsgeschehen bei bekannter Epilepsie sind eine umfassende neurologisch-fachärztliche Abklärung und eine multiprofessionelle Beratung erforderlich.
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•
Neurologische Diagnostik umfasst primär die möglichst genaue Beschreibung des Anfallsgeschehens und der Begleitumstände (Eigen- und Fremdanamnese), die körperliche Untersuchung und technische Zusatzdiagnostik: EEG, ggf. Langzeit-Video-EEG, Bildgebung (CCT, cMRT), ggf. Liquorpunktion bei V. a. entzündliche Ursache oder Antikörperbestimmung bei V. a. immunogene Ursache.
-
•
Ziel der Untersuchung ist es, zu klären, warum es zu einem Anfall gekommen ist und ob ein Wiederholungsrisiko besteht.
-
•
Im Rahmen der Anamnese muss zunächst geklärt werden, ob es sich bei einem aufgetretenen paroxysmalen Ereignis tatsächlich um einen epileptischen Anfall gehandelt hat oder um wichtige Differenzialdiagnosen, z. B. eine Synkope oder einen psychogenen nichtepileptischen Anfall.
-
–
SynkopeSynkope: Definition: spontan reversibler, kurzzeitiger Bewusstseinsverlust durch globale Minderung der Durchblutung des Gehirns oder Fehlregulation im Bereich des autonomen Nervensystems. Präsynkope: Prodromalstadium mit Benommenheitsgefühl, Schwitzen, Sehstörung, Übelkeit, Leisehören, Palpitationen, Hyperventilation. Synkopendiagnostik erfordert kardiovaskuläre Abklärung.
-
–
Psychogener nichtepileptischer Anfall (PNEA, engl. PNES): erfordert verständnisvolle Aufklärung und psychotherapeutische Strategien. Antiepileptika sind gegen PNEA zwangsläufig wirkungslos. Problem: gleichzeitiges Auftreten von psychogenen nichtepileptischen Anfällen und epileptischen Anfällen beim selben Menschen möglich (Häufigkeit 20–30 %). Bei vermeintlicher Pharmakoresistenz ist die Diagnose PNEA als Differenzialdiagnose in Betracht zu ziehen.
-
-
•
Wichtige anamnestische Hinweise für die Unterscheidung zwischen einem generalisierten tonisch-klonischen Anfall (GTKA) und den wichtigen Differenzialdiagnosen PNEA und Synkope sind Informationen zu den Augen (offen oder geschlossen), zur Anfallsdauer und zur Reorientierungszeit (Tab. 4.11).
-
•
Weiterhin diagnostisch hilfreich zur Unterscheidung zwischen den Differenzialdiagnosen kann die Bestimmung der Creatinkinase (CK) im Blut sein: CK-Spiegel im Blut (ist Ausdruck der tonischen Phase beim GTKA) steigt innerhalb von 24 Stunden an, daher Bestimmung initial und an den beiden folgenden Tagen (im Allgemeinen keine CK-Erhöhung bei wichtigen nichtepileptischen Differenzialdiagnosen wie Synkope und psychogenem nichtepileptischem Anfall).
-
•
Bei Hinweisen für einen epileptischen Anfall im Rahmen einer fokalen oder generalisierten Epilepsie sind die anamnestischen Angaben und diagnostischen Zusatzbefunde in Tab. 4.12 typisch.
4.11.5
Therapie
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•
Die medikamentöseAnfall, epileptischerTherapie Therapieeinstellung und/oder -optimierung sollte neurologisch-fachärztlich erfolgen.
-
•
Eine antiepileptische Therapie ist nach 2 unprovozierten Anfällen indiziert.
-
•
Bei erhöhter Anfallsbereitschaft im EEG und/oder Nachweis einer strukturellen Schädigung des Gehirns kann bereits der erste epileptische Anfall Ausdruck einer beginnenden Epilepsie sein und zu einer medikamentösen Behandlungsempfehlung führen.
-
•
Alle bisher zur Verfügung stehenden Medikamente sind letztlich nicht „antiepileptisch“ im engeren Sinne, sondern erhöhen die Krampfschwelle und können im Idealfall dadurch Anfallsfreiheit erreichen. Die Ursache der Epilepsie wird durch die Medikamente nicht beeinflusst. Dauerhafte Anfallsfreiheit kann in Einzelfällen zum Ausheilen der Epilepsie führen in dem Sinne, dass das Gehirn „quasi vergisst“, Anfälle zu generieren. Ob das Gehirn verlernt, Anfälle zu generieren, kann nicht vorhergesagt werden. Ein Absetzversuch der Medikamente ist daher immer mit dem Risiko verbunden, dass das Gehirn erneut Anfälle generiert, die dann ggf. auch nicht wieder so gut mit Medikamenten beherrscht werden können wie zuvor.
-
•
Die Mehrzahl der Patienten lässt sich gut medikamentös behandeln. Etwa ⅔ der Patienten werden mit dem ersten oder zweiten Medikament anfallsfrei, nur ⅓ (insbesondere bei fokalen Epilepsien) zeigt im Verlauf eine Pharmakoresistenz. Hier sollte dann die Möglichkeit eines epilepsiechirurgischen Eingriffs abgeklärt werden.
-
•
Ziel der medikamentösen Behandlung ist es, Anfallsfreiheit ohne Nebenwirkungen zu erreichen.
-
•
Für die Beurteilung der Wirksamkeit der Therapie ist das Führen eines Anfallskalenders hilfreich.
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•
Nebenwirkungen sollten ein Anlass sein, die Behandlung zu überprüfen. Da ⅔ der Patienten mit Epilepsie lebenslang therapiert werden, sollten statt Enzyminduktoren (z. B. Phenytoin und Carbamazepin) und Enzymhemmern (z. B. Phenobarbital, Valproat), wenn möglich, Medikamente ohne oder mit geringem Interaktionspotenzial vorgezogen werden (z. B. Levetiracetam, Lamotrigin).
-
•
Die Ersttherapie kann prinzipiell mit jedem Antiepileptikum begonnen werden. Praktischerweise wird die Wahl auf ein Medikament fallen, das für den Patienten das beste Risiko-Nutzen-Profil erwarten lässt.
-
•
Bei fokalen Epilepsien werden Lamotrigin und Levetiracetam als bevorzugte Mittel der ersten Wahl empfohlen, bei generalisierten oder unklassifizierten Epilepsien dagegen weiterhin Valproat. Hierbei muss die besondere Situation bei Schwangerschaft (Fehlbildungsrisiko) berücksichtigt werden.
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•
Unterschiedliche Formen von Epilepsien sprechen unterschiedlich gut auf antiepileptische Medikamente an. Bei manchen Formen werden 90 % der Patienten unter der Therapie anfallsfrei (z. B. juvenile myoklonische Epilepsie), bei anderen nur ca. ⅓ (z. B. fokale Epilepsie infolge Hippocampussklerose).
-
•
Das Ende einer antiepileptischen Therapie sollte nicht ausschließlich anhand der Zahl der anfallsfreien Jahre bestimmt werden. Vielmehr sollte geprüft werden, ob die epilepsieauslösende Ursache wirklich weggefallen ist (z. B. keine Änderung der genetischen Disposition bei vielen idiopathischen generalisierten Epilepsien, strukturelle Veränderungen persistieren etc.). Nur Patienten, die dieses Kriterium erfüllen, haben nach Ende der Therapie ein geringes Rückfallrisiko. Ein Auslassversuch der Medikamente kann deswegen nur gemeinsam von Arzt und Patient „getragen“ werden.
-
•
Die Grundlage für eine epilepsiechirurgische Maßnahme ist unter anderem die Pharmakoresistenz. Obwohl auch noch nach langjähriger Pharmakoresistenz Anfallsfreiheit durch „neue“ Antikonvulsiva erreicht werden kann, sollte die Resistenzprüfung von der Eignung des Patienten für einen epilepsiechirurgischen Eingriff abhängen.
-
•
Pharmakoresistenz (Definition der ILAE): wenn nach adäquaten Behandlungsversuchen mit 2 vertragenen, geeigneten und angemessen angewendeten Antiepileptika (entweder in Monotherapie oder in Kombination) keine anhaltende Anfallsfreiheit erreicht wird.
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•
Bei jedem pharmakoresistenten Patienten sollte die Möglichkeit bzgl. eines epilepsiechirurgischen Eingriffs in einem dafür geeigneten Epilepsiezentrum abgeklärt werden.
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•
Eine operative Behandlung ist zu erwägen, wenn Pharmakoresistenz vorliegt und die Anfälle so häufig und schwer sind, dass sie eine erhebliche Beeinträchtigung der Lebensqualität bedeuten bzw. eine Besserung durch Medikamente nur durch starke Nebenwirkungen erkauft wird.
-
•
Prädiktoren für ein gutes Ergebnis einer Resektion: resezierbare Läsion, Temporallappenepilepsie (insbesondere Hippocampussklerose), wenige AED (Antiepileptic Drugs) vor der Resektion, wenige generalisierte tonisch-klonische Anfälle vor der Resektion.
-
•
Weitere Möglichkeiten der Behandlung bei pharmakoresistenten Epilepsien und nach Ausschluss einer möglichen Resektion: Vagusnerv-Stimulation (dient der Anfallsreduktion, kann antidepressiven Effekt haben, Anfallsfreiheit wird selten erreicht = implantierter, elektrischer Stimulator, Lokalisation ähnlich Herzschrittmacher; cave: bei Einsatz von Elektrotherapien bei der Physiotherapie).
-
•
Die tiefe Hirnstimulation (anteriorer thalamischer Nucleus) ist als weitere Stimulationsverfahren bei schwer behandelbaren Epilepsien einsetzbar.
4.11.6
Epilepsie und Sport/physikalische Therapien
-
•
Sport/Bewegung verbessert EpilepsieSportEpilepsiephysikalische Therapiedie Gesundheit und erhöht das Selbstwertgefühl. Ein generelles Verbot sportlicher Betätigung ist meistens unbegründet und beeinträchtigt die Lebensqualität; eine individuelle Beratung ist notwendig.
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•
Gesunde wie Anfallskranke können sich beim Sport verletzen. Bei vielen Sportarten ist das Verletzungsrisiko nahezu gleich, z. B. Federball, Tanzen, Tischtennis, Gymnastik.
-
•
Andere Sportarten sind für Anfallskranke gefährlicher als für Gesunde, z. B. Schwimmen, Surfen, Schießen, Fallschirmspringen, und benötigen in jedem Fall Vorsichtsmaßnahmen (z. B. Sturzhelm, Begleitperson, Schwimmhilfe).
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•
Häufigkeit und Art der Anfälle beeinflusst die Gefährdung. Bei regelhaftem Auftreten einer Aura vor den Anfällen, tageszeitlich gebundenen Anfällen (z. B. ausschließlich im Schlaf) oder Anfällen, die nur durch bestimmte, vermeidbare Umstände ausgelöst werden (z. B. Flackerlicht), ist das Risiko geringer.
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•
Epilepsie kann auch mit körperlicher Beeinträchtigung wie Verlangsamung und Ungeschicklichkeit einhergehen; dies beeinflusst dann ebenfalls die Wahl der geeigneten Sportart.
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•
Hyperventilation als Provokationsfaktor bei der EEG-Diagnostik hat nichts mit der Mehratmung bei körperlicher Belastung zu tun. Beim Sport ist sie Ausdruck der vermehrten Muskelarbeit, bei der Sauerstoff verbraucht wird, der dabei über die Atmung regeneriert wird, und führt im Gegensatz zur vertieften Atmung bei Hyperventilation nicht zu einer Erhöhung der Anfallsbereitschaft.
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•
Elektrotherapie: Das Vorliegen einer Epilepsie wird allgemein als Kontraindikation für den Einsatz von transkutaner elektrischer Nervenstimulation (TENS) und Elektrostimulation von den Herstellern ausgewiesen. Im Einzelfall ist eine Risiko-Nutzen-Abwägung in Rücksprache mit dem behandelnden Arzt erforderlich.
4.11.7
Soziale Beratung bei epileptischen Anfällen und Epilepsie
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•
Eine umfangreiche sozialeEpilepsiesoziale BeratungAnfall, epileptischersoziale Beratung Beratung ist erforderlich, da mit der Diagnose Epilepsie relevante Einschränkungen in Alltag und Beruf verbunden sind, welche die Lebensqualität beeinträchtigen.
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•
Fahrtauglichkeit: Die Kraftfahrtauglichkeit bei Patienten mit erstmaligem epileptischem Anfall und diagnostizierter Epilepsie muss individuell beurteilt werden (nach den gültigen Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung der Bundesanstalt für Straßenwesen, als PDF im Internet verfügbar).
-
•
Ausbildungs- und Berufsleben: Berufe und Tätigkeiten mit Unfallrisiko wie Dachdecker, Schornsteinfeger, Arbeit an rotierenden Maschinen und bei möglicher Fremdgefährdung dürfen bei aktiver Epilepsie nicht ausgeübt werden. Individuelle Beratung zu Themen wie Berufsbildungswerken, Schwerbehinderung, Umschulungsmöglichkeiten, Arbeitsassistenz sind für die Betroffenen wichtig.
-
•
Das Netzwerk Epilepsie und Arbeit (NEA) unterstützt auf Anfrage epilepsiekranke Arbeitnehmer, Arbeitgeber und beteiligte Fachkräfte, die richtigen Partner zu finden, wenn es um die Klärung beruflicher Fragen bei Epilepsie geht (hilfreiche Adressen im Internet Kap. 10).
Literatur
Daroff et al., 2015
Deutsche Gesellschaft für Neurologie, 2017
Masuhr and Masuhr, 2013
Mayer, 2011
Panzer et al., 2015
Scheffer et al., 2017
Sitzer and Steinmetz, 2011
Erkrankungen des Kleinhirns
Man unterscheidet fokale und degenerative Erkrankungen des KleinhirnsKleinhirnerkrankungen. Während fokale Erkrankungen nur einen umschriebenen Teil des Kleinhirns betreffen, betrifft die Kleinhirndegeneration das gesamte Kleinhirn.
Beispiele für fokale Erkrankungen sind Schlaganfälle, Tumoren und Entmarkungsherde bei der Multiplen Sklerose. Schlaganfälle verlaufen akut, d. h., die Symptome sind von einem auf den anderen Moment da. Tumoren und Multiple Sklerose verlaufen typischerweise subakut, d. h., die Symptome entwickeln sich innerhalb von Tagen oder Wochen.
Degenerative Kleinhirnerkrankungen verlaufen langsam progredient. Es ist für den Patienten oft schwer zu sagen, wann die Erkrankung genau begonnen hat. Die Beschwerden nehmen im Verlauf zu. Bis auf ganz wenige Ausnahmen lassen sich degenerative Kleinhirnerkrankungen medikamentös nicht behandeln. Die Physiotherapie zusammen mit Ergotherapie und Logopädie stehen im Zentrum der Behandlung.
Der Begriff der Ataxie wird unterschiedlich gebraucht. Zum einen werden die degenerativen Kleinhirnerkrankungen unter dem Begriff der Ataxien zusammengefasst. Zum anderen wird Ataxie als Sammelbegriff für verschiedene klinische Symptome benutzt, die Ausdruck einer Koordinations- und Gleichgewichtsstörung sind.
4.12.1
Klassifikation von Ataxien
Merke
Klassifikation von Ataxien
Erbliche Ataxien
-
•
Autosomal-rezessive Ataxien
mit bekannter Genmutation
-
–
Friedreich-Ataxie (FRDA)
-
–
Ataxie-Teleangiektasie (AT)
-
–
Autosomal-rezessive Ataxie mit okulomotorischer Apraxie (AOA)
-
–
Abetalipoproteinämie
-
–
Ataxie mit isoliertem Vitamin-E-Defizit (AVED)
-
–
Refsum-Krankheit
-
–
Autosomal-rezessive spastische Ataxie Charlevoix-Saguenay (ARSACS)
-
–
Cerebrotendinöse Xanthomatose (CTX) ohne bekannte Genmutation
-
–
Früh beginnende cerebelläre Ataxie (Early Onset Cerebellar Ataxia, EOCA)
-
-
•
Autosomal-dominante Ataxien
-
–
Spinocerebelläre Ataxien (SCA; am häufigsten SCA1, 2, 3 und 6)
-
–
Episodische Ataxien (EA; am häufigsten EA1 und EA2)
-
-
•
X-chromosomale Ataxien
-
–
Fragiles X-Tremor-Ataxie-Syndrom (FXTAS)
-
Nicht erbliche Ataxien
-
•
Degenerative cerebelläre Ataxien
-
–
Sporadische Ataxie unklarer Ätiologie (Sporadic Adult Onset Ataxia, SAOA)
-
–
Multisystematrophie, cerebellärer Typ (MSA-C)
-
-
•
Erworbene Ataxien
-
–
Alkoholische Kleinhirndegeneration
-
–
Paraneoplastische Kleinhirndegeneration
-
4.12.2
Klinische Befunde der cerebellären Ataxie
4.12.3
Allgemeine Prinzipien der Physiotherapie bei Kleinhirnerkrankungen
Exkurs
In der Studie von Ilg et al. (2009) wurden die Patienten an drei Tagen in der Woche für jeweils eine Stunde über insgesamt vier Wochen physiotherapeutisch behandelt. Betroffene lernten, ihr Verhalten zu ändern – nämlich unkontrollierte (ataktische) Bewegungen vorübergehend zuzulassen, um Koordination zu lernen. Im Gegensatz dazu machen sich die Patienten spontan steif, um dem Erlebnis der Nichtkontrolle auszuweichen. Das Training beinhaltete weiterhin das Üben von Schutzschritten zur Prävention von Stürzen. Übungen wurden in vier Kategorien gemacht:
-
1.
Statische Gleichgewichtsübungen, z. B. Stehen auf einem Bein
-
2.
Dynamische Gleichgewichtsübungen, z. B. Seitschritte, Treppensteigen
-
3.
Komplexe Bewegungen, um die Koordination von Rumpf und Extremitäten zu fördern
-
4.
Sturzprophylaxe und Sturztraining
Weiteres Grundprinzip war die Fähigkeit, visuellen, somatosensiblen und vestibulären Input besser zu nutzen, um in unerwarteten Situationen reagieren zu können, insbesondere um Stürzen vorzubeugen. Weiterhin wurde der Schweregrad der Übungen schrittweise aufgebaut: von Eingelenk- zu Mehrgelenkbewegungen, von langsamen zu schnellen Bewegungen und von statischen zu dynamischen Gleichgewichtsübungen.
Die Übungen zeigten Erfolg, übertrugen sich auf das tägliche Leben und waren auch nach einem Jahr noch nachweisbar. Der Therapieerfolg nach einem Jahr war umso besser, je mehr eigenständig weitergeübt wurde. Patienten mit rein cerebellärer Ataxie profitierten insgesamt besser als Patienten mit sensibel betonter Ataxie.
Im Alltag haben sich Phasen mit intensivem angeleitetem koordinativem Training, mit 10 einstündigen Einheiten in einer Woche, gefolgt von Phasen mit überwiegend selbstverantwortlichem Eigentraining zu einem guten Erhalt der Bewegungskontrolle bewährt.
Literatur
Bhanpuri et al., 2014
Brötz, 2014
Brötz, 2016
Brötz et al., 2007
Daker-White et al., 2013
Fonteyn et al., 2013
Ilg et al., 2009
Ilg et al., 2012
Ilg et al., 2014
Keller and Bastian, 2014
Klockgether and Timmann, 2012
Miyai et al., 2012
Kopfschmerzen
Kopf- und GesichtsschmerzenKopfschmerzGesichtsschmerzen können heute differenziert behandelt werden. Eine individuell zugeschnittene Therapie erfordert aber zunächst eine gesicherte Diagnose. Nach der dritten Kopfschmerzklassifikation aus dem Jahr 2013 werden Kopfschmerzen in die in Tab. 4.14 dargestellten Gruppen unterteilt.
4.13.1
Migräne
Therapie
Merke
Medikamenteninduzierte Kopfschmerzen
4.13.2
Kopfschmerz vom Spannungstyp
Therapie
4.13.3
Cluster-Kopfschmerz
Therapie
4.13.4
Trigeminusneuralgie
Therapie
Literatur
Daroff et al., 2015
Deutsche Gesellschaft für Neurologie, 2017
Gaul and Diener, 2016
Masuhr and Masuhr, 2013
Sitzer and Steinmetz, 2011
Mitochondriale Erkrankungen
In Erkrankungenmitochondrialeden Mitochondrien läuft die Atmungskette ab, d. h. der Teil des Energiestoffwechsels, in dem aus der schrittweisen Reaktion von Wasserstoff und Sauerstoff Energie in Form von ATP (= Adenosintriphosphat) gewonnen wird. Die hieran beteiligten Redox-Systeme sind in die innere Mitchondrienmembran integriert. Die Erbinformation der hierbei beteiligten Proteine befindet sich z. T. im Zellkern und z. T. in einer mitochondrieneigenen DNA. Bei der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle werden nur die mütterlichen Mitochondrien weitergegeben. Bei einem Defekt in der mitochondrialen Erbinformation kommt es also zu einer maternalen Vererbung, d. h. von der Mutter auf das Kind, unabhängig von den im Zellkern ablaufenden Prozessen.
Defekte der mitochondrialen Erbinformation betreffen in unterschiedlicher Ausprägung Gehirn, Muskulatur und andere Organsysteme.
4.14.1
LHON = Lebers hereditäre Optikusneuropathie
-
•
Manifestiert sich als beidseitige isolierte OptikusneuropathieOptikusneuropathie, Lebers hereditäre mit zentralem Gesichtsfeldverlust
-
•
Meist Beginn zwischen 15. und 35. Lebensjahr
-
•
Gelegentlich spontane Besserung
4.14.2
Kearns-Sayre-Syndrom
-
•
Kombination Kearns-Sayre-Syndromaus einer langsam fortschreitenden externen Ophthalmoplegie, die sich mit Herabhängen des Augenlids (= Ptose) und Augenbewegungsstörungen darstellt
-
•
Sehr langsamer Verlauf
-
•
Es können Schwerhörigkeit, abnorme Ermüdbarkeit, Herzrhythmusstörungen, cerebelläre Ataxie und neuropsychologische Defizite hinzutreten.
-
•
Eine Retinitis pigmentosa, d. h. Erkrankung der Netzhaut mit abnormer Pigmentierung, kann im Laufe der Erkrankung zur Erblindung führen.
-
•
Die quergestreifte Muskulatur ist betroffen. In einer Muskelbiopsie kommen „Ragged Red Fibres“ zur Darstellung; diese sind für einige mitochondriale Erkrankungen typisch.
4.14.3
MELAS = mitochondriale Enzephalomyopathie mit Laktatazidose und „Stroke Like Episodes“
-
•
Bereits Enzephalomyopathie, mitochondriale mit Laktatazidose und Stroke Like Episodesin Kindheit oder früher Jugend einsetzend
-
•
Mit Durchblutungsstörungen nur des Kortex, nicht des Marklagers (= Stroke Like Episodes), die zu unterschiedlichen Symptomen je nach Ort und Ausprägung der Durchblutungsstörung führen können.
-
•
Typische weitere Symptome: Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen, epileptische Anfälle
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•
Treten viele dieser Durchblutungsstörungen auf, so kann sich das Bild einer Demenz entwickeln.
-
•
Die quergestreifte Muskulatur ist ebenfalls befallen und wie beim Kearns-Sayre-Syndrom ergibt sich ein wegweisender Befund in der Muskelbiopsie.
4.14.4
MERRF = Myoklonusepilepsie mit „Ragged Red Fibres“
-
•
SetztMyoklonusepilepsie ebenfalls in der Kindheit ein
-
•
Myoklonusepilepsie
-
•
In der Muskelbiopsie sind „Ragged Red Fibres“ auffällig.
-
•
Im Verlauf können weitere epileptische Anfallsformen hinzukommen, ebenso wie Ataxie, Neuropathien, Augenbewegungsstörungen und Schwerhörigkeit.
4.14.5
Therapie mitochondrialer Erkrankungen
Literatur
Daroff et al., 2015
Deutsche Gesellschaft für Neurologie, 2017
Klopstock et al., 2012
Masuhr and Masuhr, 2013
Sitzer and Steinmetz, 2011
Querschnitt
Eine Schädigung des Rückenmarks führt zu einer QuerschnittssymptomatikQuerschnittsyndrom. Häufige pathologische Korrelate sind:
-
•
Traumata (auch durch pathologische Frakturen)
-
•
Bandscheibenvorfälle (in oder ohne Kombination mit einer spinalen Enge, z. B. durch hypertrophierte Bandstrukturen oder knöcherne Anbauten)
-
•
Tumoren (von Strukturen des Rückenmarks ausgehend oder von außen komprimierend)
-
•
Entzündungen (durch Keime oder autoimmunologisch)
-
•
Durchblutungsstörungen (einschließlich arteriovenöse Malformationen)
-
•
Blutungen (im Rückenmark oder von außen komprimierend)
Wichtigstes Instrument zur Einteilung ist die ASIA-Klassifikation (= American Spinal Injury Association). Hierzu werden Motorik und Sensibilität getestet. Die Sensibilität wird in 3 und die Motorik in 6 Grade eingeteilt (Tab. 4.15; Abb. 4.6). Aus den Untersuchungsergebnissen der Motorik und Sensibilität nach diesem Schema ergibt sich die ASIA Impairment Scale (Tab. 4.16).
4.15.1
Verlauf und Symptome
Manifestationsformen
Anterior-Cord-Syndrom
-
•
Verletzung oder Kompression der vorderen und seitlichen Bahnsysteme sowie des vorderen Anteils der grauen Substanz
-
•
Schlaffe Lähmung auf Schädigungshöhe und spastische Lähmung darunter, Verlust der Darm- und Blasenfunktion, Propriozeption erhalten
Brown-Séquard-Syndrom
-
•
Halbseitige Rückenmarksverletzung
-
•
Ipsilaterale zentrale Parese, ipsilateraler Verlust der Propriozeption mit sensorischer Ataxie, Verlust der Temperatur- und Schmerzempfindung der Gegenseite
Central-Cord-Syndrom
-
•
Verletzung zentraler Rückenmarksanteile im Bereich der HWS; meist durch Sturz auf den Kopf bei stark hypersextendierter HWS, wobei das Myelom in Anterior-posterior-Achse komprimiert wird; besonders anfällig sind (ältere) Personen mit vorbestehender Spinalkanalstenose
-
•
In den oberen Extremitäten ausgeprägtere Lähmung als in den unteren Extremitäten; unterschiedliche Grade von Sensibilitätsstörungen unterhalb der Läsion; sakrale Aussparung der Sensibilitätsstörungen ebenfalls unterschiedlich
Conus-medullaris-Syndrom
-
•
„Reiterhosenförmige“ Sensibilitätsstörung
-
•
Urin- und Stuhlinkontinenz, Erektion und Ejakulation eingeschränkt
Cauda-equina-Syndrom
-
•
Radikulär angeordnete Sensibilitätsstörung, Schmerzen und schlaffe Paresen, Stuhl- und Urininkontinenz möglich
-
•
Bei tief sitzenden Schädigungen nur autonome und sensible Schädigungen
Häufige Komplikationen
Pneumonien und Atelektasen
-
•
Häufige QuerschnittsyndromKomplikationenund gefährliche Komplikationen in der Akutphase
-
•
Atemgymnastik, regelmäßige Positionierung, Einsatz von therapeutischen Hilfsmitteln (Cornet oder Flutter), ggf. Absaugen
-
•
Entwöhnung von der mechanischen Beatmung durch fehlende oder reduzierte abdominale und interkostale Muskulatur häufig verzögert
Infektionen der ableitenden Harnwege
-
•
Ebenfalls häufig
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•
Zu Beginn der akuten Versorgung wird regelhaft ein transurethraler Dauerkatheter angelegt. Dieser sollte, wenn möglich, im Laufe der Rehabilitation durch Selbstkatheterisierung ersetzt werden.
-
•
Fieberhafte Infekte führen zu einer Verschlechterung der motorischen, sensiblen und autonomen Restfunktionen.
Autonome Dysregulation
-
•
Kann in Form von Bradykardie, erhöhtem Blutdruck, vermehrtem Schwitzen etc. auftreten.
-
•
Kann auch durch autonome Reize getriggert werden. In diesem Rahmen sind Schmerzen oder eine gefüllte Blase als häufigste Auslöser zu nennen. Bei solch autonomen Dysregulationen sollte also zunächst der Auslöser gesucht werden.
Dekubiti
-
•
Treten durch eine regionale geminderte Durchblutung durch über längere Zeit erhöhten Druck auf.
-
•
Sie beginnen mit einer Hautrötung; in der Folge entstehen Hautdefekte, die sich bis auf tiefere Schichten ausdehnen können.
-
•
Prädilektionsstellen sind sakral sowie alle Stellen, an denen die Haut längere Zeit aufliegt.
-
•
Ein anderer Entstehungsmechanismus ist durch Scherkräfte; hier werden verschiedene Gewebeschichten gegeneinander verschoben. Prädilektionsstelle hier ist die Trochanterregion.
Merke
Dekubiti durch Scherkräfte
-
•
Ist ein Dekubitus entstanden, so ist ein multidisziplinärer Ansatz zur Therapie notwendig. Andere Therapieziele müssen ggf. zurückgestellt werden.
Heterotope Ossifikationen
-
•
Sind durch Kalkeinlagerungen in Bindegewebe und Muskel, meist gelenknah, gekennzeichnet (besonders Hüfte häufig betroffen).
-
•
Schmerzen und eingeschränkte Gelenkbeweglichkeit sind typische Symptome.
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•
Neben einer medikamentösen Therapie stehen Bestrahlung und ggf. operative Verfahren zur Verfügung.
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•
Sobald aktive Ossifikationen auftreten, sollte man nur noch deutlich unterhalb der Schmerzgrenze arbeiten, um jene nicht anzutreiben.
Lungenarterienembolien
-
•
Ausgehend von tiefen Beinvenenthrombosen, gefährden sie Querschnittspatienten besonders in der Akutphase.
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•
Hier ist die Prophylaxe mit s. c. appliziertem Heparin wichtig.
-
•
Kompressionsstrümpfe sollten individuell angepasst und getragen werden.
Chronische Schmerzen
-
•
Entstehen bei bis zu ⅔ aller Betroffenen.
-
•
Es muss zwischen muskuloskelettalen und neuropathischen Schmerzen unterschieden werden (Kap. 2.5).
4.15.2
Besonderheiten in der Querschnittsrehabilitation
Literatur
Daroff et al., 2015
Deutsche Gesellschaft für Neurologie, 2017
Masuhr and Masuhr, 2013
Nacimiento et al., 2004
Sitzer and Steinmetz, 2011
Neurologische Komplikationen systemischer Erkrankungen
ZahlreicheKomplikationen, neurologische, bei systemischen Erkrankungen systemische ErkrankungenErkrankungensystemische können auch das periphere und/oder zentrale Nervensystem direkt oder indirekt in Mitleidenschaft ziehen. Eine Erwähnung aller bekannten Assoziationen würde den Umfang dieses Kapitels und dieses Buches sprengen. Darum sollen einige prägnante Beispiele aufgeführt werden.
4.16.1
Gastrointestinales System
Leber
-
•
Eine LeberzirrhoseLeberzirrhose kann zu einer hepatischen Enzephalopathie führen. Neuropsychologisch sieht man Störungen der Aufmerksamkeit, des Verhaltens (Persönlichkeitsänderungen, veränderte Schlafmuster) und des Affekts (ängstlich, depressiv). Es kann ein grobschlägiger Tremor auftreten, der mit einer allgemeinen Verlangsamung der Bewegungen einhergehen kann.
-
•
Unter AsterixisAsterixis versteht man einen negativen Myoklonus, d. h., eine Bewegung kann auf Dauer nicht aufrechterhalten werden, weil immer wieder die Innervation der Muskeln kurz pausiert. Man beobachtet dies z. B. an im Handgelenk willkürlich maximal extendierten Händen. Diese können nur eine kurze Zeit so gehalten werden und sinken dann immer wieder ab.
-
•
Auch im Rahmen eines Morbus Wilson ist die Leber mitbeteiligt (Kap. 4.5).
Magen-Darm-Trakt
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•
Besonders nach Magen-ResektionenMagen-Resektion (z. B. wegen Tumoren oder rezidivierenden Blutungen) kann es zu Mangelsyndromen kommen (Kap. 4.18).
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•
Der Morbus WhippleMorbus Whipple ist eine Infektion mit dem Bakterium Tropheryma whippelii, die multiple Organsysteme betrifft. Neben abdominalen Schmerzen, Fettstühlen, Gewichtsverlust und Gelenkentzündungen finden sich auch Symptome des zentralen Nervensystems. Epileptische Anfälle, Myoklonus, Ataxie, Bewusstseinsminderung und hypothalamische Störungen können auftreten. Die Diagnose wird durch eine Darmbiopsie gestellt. Die Behandlung erfolgt antibiotisch.
4.16.2
Nieren – Elektrolytstörungen
-
•
Dialyse-Dysäquilibrium Syndrom: Kopfschmerzen, Agitation, Muskelkrämpfe, epileptische Anfälle, Übelkeit
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•
Restless-Legs-Syndrom: Gefühl der „unruhigen Beine“, Patienten haben ein Bedürfnis, die Beine zu bewegen; dieses steigert sich, wenn sie diesem nicht nachgeben, und wird bei Bewegung besser; kann auch allein durch Urämie ausgelöst werden
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•
„Dialyse-Demenz“: beginnend mit Sprechstörungen, allgemeines kognitives Leistungsniveau sinkt ab, Halluzinationen, epileptische Anfälle
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Hyponatriämie: Führt zu einer Verschlechterung der Aufmerksamkeit und des Bewusstseins, aber auch Bewegungsstörungen wie Myoklonien oder Tremor werden beobachtet. In schweren Fällen können epileptische Anfälle auftreten. Die Hyponatriämie kann durch Natriumzufuhr ausgeglichen werden. Dies muss sehr langsam geschehen, da sich sonst eine zentrale pontine Myelinolyse entwickeln kann. Hierbei kommt es zu ausgedehnten Entmarkungen im Bereich des Hirnstamms, die zur Tetraparese, Störungen des Bewusstseins und der Hirnnerven führen können.
4.16.3
Blut und blutbildendes System
-
•
Unter AnämieAnämie versteht man eine zu geringe Hämoglobinkonzentration. Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Eine Anämie kann zu einer allgemeinen Abgeschlagenheit und Minderbelastbarkeit führen; darüber hinaus können auch Kopfschmerzen und eine innere Unruhe auftreten. Ist die Anämie sehr ausgeprägt, kommt es zu Störungen des Bewusstseins. Eine megaloblastäre Anämie tritt bei Vitamin-B12-Mangel auf; dessen zahlreiche Komplikationen im Bereich des Nervensystems sind in Kap. 4.18 beschrieben.
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•
LeukämienLeukämie können bei Befall der Hirnhäute Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Störungen des Bewusstseins auslösen. Die Hirnnerven können dann Ausfallsymptome zeigen.
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•
Erkrankungen der Plasmazellen können zur Produktion von Antikörpern führen, die sich gegen Strukturen des peripheren Nervensystem richten und so zu einer Polyneuropathie (Kap. 4.4) führen (z. B. Morbus Waldenström, monoklonale Gammopathie).
-
•
HämophilieHämophilie = Störung der Blutgerinnung kann eine vermehrte Blutungsneigung – besonders auch im Bereich des zentralen Nervensystems – hervorrufen (Kap. 4.1).
4.16.4
Kardiopulmonales System
-
•
Kardiogene EmbolienEmbolie, kardiogene sind eine häufige Ursache für zerebrale Ischämien (Kap. 4.1). Sie werden z. B. ausgelöst durch Vorhofflimmern, ein Vorhofseptumaneurysma mit persistierendem Foramen ovale, Raumforderungen im Bereich des Herzens (z. B. Vorhofmyom) oder eine sehr stark reduzierte Pumpfunktion. Ebenso können kardiogene Embolien durch Koronarangiografien, herzchirurgische Eingriffe oder durch Entzündungen der Herzklappen ausgelöst werden.
-
•
HerzrhythmusstörungenHerzrhythmusstörungen können zu Synkopen führen (Kap. 4.11).
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•
Das „Subclavian-Steal“-SyndromSubclavian-Steal-Syndrom kann auftreten, wenn die A. subclavia links bzw. der Truncus brachiocephalicus rechts vor dem Abgang der A. vertebralis eingeengt sind. Der Blutfluss in der A. vertebralis der betroffenen Seite kehrt sich dann um, um dies zu kompensieren. Kommt es jetzt zu einem besonders erhöhten Blutbedarf der betroffenen Seite (z. B. Überkopfarbeiten), so treten Symptome des hinteren Stromkreislaufs auf (Schwindel bis zur Synkope). Ein wichtiger diagnostischer Hinweis ist ein Blutdruckunterschied zwischen beiden Armen von mehr als 20 %.
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•
Eine HypoxieHypoxie (= Absinken der Sauerstoffsättigung des arteriellen Blutes) kann sich mit Kopfschmerzen, Verwirrtheit, Myoklonien und gesteigerten Reflexen äußern. Bei weiterem Fortschreiten führt sie zum Verlust des Bewusstseins.
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Eine HyperventilationHyperventilation führt zu einem vermehrten Abatmen von Kohlendioxid. Die klassischen neurologischen Symptome sind periorale Missempfindungen, „Pfötchenstellung“ (durch muskuläre Verkrampfung) und im weiteren Verlauf Verlust des Bewusstseins. Das Atmen in eine Tüte mindert diesen Kohlendioxidverlust und führt zu einem raschen Nachlassen der Symptome. Eine Hyperventilationstetanie ist häufig psychodynamisch ausgelöst.
4.16.5
Endokrinologisches System
-
•
Eine Schilddrüsenüberfunktion = HyperthyreoseHyperthyreose kann zu neuropsychologischen Symptomen wie Ängstlichkeit, Agitation, emotionaler Labilität, eingeschränkten Aufmerksamkeitsfunktionen, aber auch bei älteren Patienten zu Depressivität und Lethargie führen.
Ein feinschlägiger symmetrischer Tremor und ein gesteigertes Reflexniveau können ebenfalls beobachtet werden. In seltenen Fällen kann eine proximal betonte Para- oder Tetraparese resultieren. Außerdem kann ein Exophthalmus verbunden mit Augenbewegungsstörungen auftreten. Verschärft sich die Hyperthyreose zur thyreotoxischen Krise, so kommen erheblich vegetative Symptome wie profuses Schwitzen, Tachykardie, Fieber, Übelkeit und Erbrechen hinzu.
-
•
Eine Schilddrüsenunterfunktion = HypothyreoseHypothyreose ist durch Schläfrigkeit und Inappetenz gekennzeichnet. Diese können beim Fortschreiten der Hypothyreose Verwirrtheitszustände und psychotische Symptome auslösen.
-
•
Eine Überfunktion der Nebenschilddrüse = HyperparathyreodismusHyperparathyreodismus führt zu einer Hyperkalzämie und einer proximal betonten Myopathie.
-
•
Der Diabetes insipidusDiabetes insipidus ist durch eine zu geringe Sekretion des antidiuretischen Hormons (= Vasopressin) bedingt und verursacht eine verminderte Konzentration des Harns, die wiederum zu einem Anstieg der Urinproduktion führt. Der große Flüssigkeitsverlust bedingt Durstgefühl; eine Flüssigkeitsaufnahme von mehreren Litern täglich sind keine Seltenheit bei dieser Erkrankung. Auslöser können Schädel-Hirn-Traumata oder intrakranielle Eingriffe sein. Vasopressin kann medikamentös substituiert werden.
4.16.6
Knochen und Bindegewebe
-
•
Polyarteriitis nodosaPolyarteriitis nodosa, Churg-Strauss-SyndromChurg-Strauss-Syndrom: können zu einer Affektion des peripheren Nervensystems führen, entweder vom Verteilungstyp einer Polyneuropathie oder auch im Sinne einer Mononeuritis (Kap. 4.4). Eine Beteiligung des zentralen Nervensystems ist selten und tritt im späteren Krankheitsverlauf auf.
-
•
Systemischer Lupus erythematosusLupus erythematosus: betrifft bei bis zu ¾ aller Patienten auch das zentrale Nervensystem. Auf verschiedenen pathophysiologischen Wegen kann er zu zerebralen Ischämien führen (Kap. 4.1); affektive und psychotische Symptome können vorkommen. Die Beteiligung des peripheren Nervensystems ist seltener und entspricht am ehesten dem Verteilungsmuster einer Polyneuropathie (Kap. 4.4).
Literatur
Daroff et al., 2015
Masuhr and Masuhr, 2013
Sitzer and Steinmetz, 2011
Erkrankungen des autonomen Nervensystems
Die in Kap. 3.3.2 beschriebenen autonomen Funktionsstörungen kommen bei einer Reihe von neurologischen Erkrankungen vor, wobei sowohl das periphere als auch das zentrale Nervensystem betroffen sein kann. Meist handelt es sich dabei nur um eine leichte, oftmals nur subklinische Mitbeteiligung. In manchen Fällen dominiert aber die autonome FunktionsstörungFunktionsstörungen, autonome das Krankheitsbild bzw. hat eine erhebliche Bedeutung für den einzelnen Patienten.
Merke
In Industrienationen ist der Diabetes mellitusDiabetes mellitus die häufigste Ursache für eine autonome Neuropathie.
Daneben wird eine periphere autonome Funktionsstörung auch bei autoimmunen Prozessen wie dem Guillain-Barré-Syndrom (GBS), Amyloid-Ablagerungen, akuten Infektionen, paraneoplastischen Syndromen und verschiedenartigen Toxinen beobachtet. Bei den selteneren familiären autonomen Neuropathien sind autosomal-dominante, autosomal-rezessive oder X-chromosomale Erbgänge beschrieben. Autonome Neuropathien können chronisch fortschreiten wie beim Diabetes mellitus, der Amyloid-Neuropathie oder den erblich bedingten Neuropathien, aber auch akut auftreten wie beim GBS oder dem Botulismus und durch die dabei entstehenden vegetativen Krisen lebensbedrohlich sein. Bei den Erkrankungen des peripheren Nervensystems sind die autonomen Funktionssysteme in unterschiedlicher Ausprägung betroffen; besonders häufig sind Störungen der kardiovaskulären Regulation oder der Schweißsekretion, aber auch gastrointestinale Motilitätsstörungen oder vasotrophische Störungen kommen vor.
Autonome Funktionsstörungen sind auch bei einer Reihe von Erkrankungen des zentralen Nervensystems (ZNS) nachweisbar, sowohl bei neurodegenerativen Erkrankungen wie der Multisystematrophie oder dem idiopathischen Parkinson-Syndrom als auch bei umschriebenen Erkrankungen des ZNS wie dem Schlaganfall oder der Multiplen Sklerose (MS). Während bei den Parkinson-Syndromen, vor allem bei der Multisystematrophie mit ausgeprägter autonomer Beteiligung (Shy-Drager-Syndrom), die Betroffenen vor allem unter der orthostatischen Hypotonie leiden, beklagen MS-Patienten insbesondere Blasen- und Sexualfunktionsstörungen. Aber auch hier können prinzipiell alle autonomen Funktionssysteme betroffen sein.
Im Folgenden werden die autonomen Funktionsstörungen beim Guillain-Barré-Syndrom (als periphere Erkrankung mit überwiegender kardiovaskulärer Regulationsstörung) und der Multiplen Sklerose (als zentrale Erkrankung mit überwiegenden Blasen- und Sexualfunktionsstörungen) beschrieben. Die beiden Krankheitsbilder selbst sind in Kap. 4.4 bzw. Kap. 4.7 dargestellt.
4.17.1
Autonome Störungen beim Guillain-Barré-Syndrom
-
•
Kardiale Arrhythmien
-
•
Blutdruckschwankungen
-
•
Elektrokardiografische Auffälligkeiten
-
•
Schweißsekretionsstörungen
-
•
Störungen der Blasen- und Mastdarmfunktion (im späteren Verlauf)
Achtung
Besonders gefürchtet sind vagal vermittelte Bradykardien mit möglichem Herzstillstand. Obwohl diese Ereignisse hauptsächlich bei beatmeten Patienten vorkommen, treten lebensbedrohliche Bradyarrhythmien auch immer wieder unabhängig von der Notwendigkeit zur maschinellen Beatmung auf.
4.17.2
Autonome Störungen bei Multipler Sklerose
Blasenstörungen
Merke
Die frühzeitige Erkennung und symptomorientierte Behandlung ist zur langfristigen Vermeidung sekundärer Komplikationen (rezidivierende Harnwegsinfekte, progrediente Nierenstauung mit der Gefahr des Nierenversagens) von zentraler Bedeutung.
Störungen der Sexualfunktion
Gastrointestinale Beschwerden
Weitere Störungen
Literatur
Flachenecker, 2004
Flachenecker, 2007
Flachenecker, 2010
Flachenecker, 2010
Flachenecker, 2010
Flachenecker et al., 2010
Haensch and Jost, 2009
4.18
Toxine, Mangelsyndrome und das Nervensystem
4.18.1
Toxine
Umweltgifte
Substanzen aus der Tier- und Pflanzenwelt
4.18.2
Mangelsyndrome
Exkurs
Folgen von Alkoholmissbrauch
-
•
Alkoholische Neuropathie (= sensomotorische Polyneuropathie)
-
•
Tabak-Alkohol-Amblyopie (= Visusverlust durch Befall beider Nn. optici)
-
•
Marchiafava-Bignami-Erkrankung (= Demyelinisierung des Corpus callosum führt zu schweren neuropsychologischen Symptomen)
-
•
Cerebelläre Degeneration (= Gang- und Standataxie, Rumpfataxie)
Störungen der Liquorzirkulation
4.19.1
Physiologische Liquorzirkulation
4.19.2
Hirndruckänderungen durch physiologische Manöver
4.19.3
Pathologien der Liquorzirkulation
Obstruktiver Hydrozephalus – akuter Hydrozephalus
Kommunizierender Hydrozephalus – chronischer Hydrozephalus – Normaldruckhydrozephalus
Literatur
Deutsche Gesellschaft für Neurologie, 2017
Gehlen, 2010