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978-3-437-45131-7
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Abb. 3.1

[S130–6]
Motorische Planung
Abb. 3.2

[L190]
Pyramidenbahn
Abb. 3.3

[L126]
HomunkulusHomunkulus
Abb. 3.4

[L231]
Schaltplan der motorischen Funktionsschleife der Basalganglien
Abb. 3.5

[L231]
Kleinhirn-Input
Abb. 3.6

[L231]
Prozess der TonusdysbalancenTonusdysbalance
Abb. 3.7

[L231]
Clinical-Reasoning-Prozess im motorischen System
Abb. 3.8

[L231]
Shumway-Cook & Woollacott beschreiben in ihrem Systemmodell der posturalen Kontrolle 7 Voraussetzungen für effiziente Haltungskontrolle. Die Punkte 1 bis 3 (Körperschema, Körperbild) sind basale Bestandteile für das Lernen von Haltungskontrolle (Kap. 3.2).
Abb. 3.9

[L231]
Fuß-, Hüft- und Schritt-Strategie bei reaktiven posturalen Anpassungen
Abb. 3.10

[P386]
Zentrierung „Schwer“-Punkt
Abb. 3.11

Zentrierung „Schwer“-Punkt mit Hebel [386]
Abb. 3.12

[L231]
Alignments
Abb. 3.13

[L231]
Core Stability
Abb. 3.14

[P387]
Trendelenburg-Gang
Abb. 3.15

[P387]
Duchenne-Hinken
Abb. 3.16

[P387]
Typisches kompensatorisches Bewegungsverhalten mit externer Stabilität – Stützen
Abb. 3.17

[P387]
Typisches kompensatorisches Bewegungsverhalten mit externer Stabilität – Ziehen
Abb. 3.18

[L231]
Motorisches Lernen als Interaktion
Abb. 3.19

[L231]
Fazilitation – ein aktiver, sensomotorischer Lernprozess
Abb. 3.20

[G673]
Propriozeptoren
Abb. 3.21

a [G671], b [G672]
a Golgi-Sehnenorgan und seine Verschaltung (b)
Abb. 3.22

[E354]
Oberflächensensibilität
Abb. 3.23

[L106]
Vestibuläres System
Abb. 3.24

[L231]
Propriozeptive Informationen aus der für Aufrichtung und Gleichgewicht wichtigen Muskulatur werden zentral verarbeitet.
Abb. 3.25

[P388]
Stehen mit Kompensation: im Stehen die Kompensation verringern, das Potenzial für Aufrichtung entdecken und Kraft trainieren.
a, b Herr T. steht aus eigener Kraft auf. Er muss sich jedoch hochziehen, da seine Fuß- und Wadenmuskulatur beim Abheben des Beckens nicht ausreichend aktiv wird und die Quadrizepsmuskulatur beidseits keine stabilen Unterschenkel hat, auf die sie wirken kann. Die Knie sind zu weit vorne. Schwächen der Bein- und Rumpfmuskulatur werden daher mit den ziehenden Armen (viel Beugeaktivität in Armen und Rumpf) kompensiert. Diese Fähigkeiten ermöglichen Herrn T., sich die Hose selbstständig aus- und anzuziehen, also im Stehen einhändig zu hantieren. Er bewältigt den Toilettengang alleine und kann somit eigenständig in seiner Wohnung wohnen. Allerdings überdecken diese notwendigen Kompensationen sein Potenzial von körpertragender Beinkraft, Rumpfkraft und Balance.
c Da er alleine wohnt, lässt sich Herr T. im Stehtisch mit Motor und Beckengurt hochfahren. Er steht und hält sich mit den Händen fest. Deutlich sichtbar sind die beugenden Einflüsse an der ventralen Halsmuskulatur.
d Eigentraining im Stehtisch: In dieser Haltung steht Herr T. ohne Beugesynergie. Er singt und übt seine Bassstimme für den Chor. Herr T. kann erst eine, dann die andere Hand ohne Haltungsverlust lösen. So übt er Rumpfkraft und Rumpfbalance und kann dabei Blick und Kopf wenden. Anwesende Besucher können den Beckengurt lösen, sodass er im Stehen auch das Becken bewegen kann. Wenn er dann die Knie von der Pelotte löst, trainiert er seine tiefe Wadenmuskulatur sowie die gesamte körpertragende Beinmuskulatur und übt freies Stehen.
Abb. 3.26

[J787]
Optisches System: Visual Flow
Abb. 3.27

[P388]
Akustisches System – selektives Hören: Bei vielen Menschen sind schon aufgrund des Alters das Hörvermögen und das selektive Hören eingeschränkt. Die Dame auf dem Bild trägt ein Hörgerät, das wiederum Schwierigkeiten beim Richtungshören erzeugen kann. Mit ihren Einbußen in der Mobilität (im Rollstuhl oder auch am 4-Punkt-Stock) ist es ihr häufig nicht möglich, sich der Schallquelle zuzuwenden (z. B. durch Drehung des Kopfes/Oberkörpers). Die sitzende Position spielt beim Hören ebenfalls eine große Rolle. Häufig wird die sitzende Person im Rollstuhl von einer stehenden Person von oben angesprochen. Das Richtungshören ist demzufolge nicht mehr auf „Augenhöhe“. Dies kann auch dazu führen, dass sich der sitzende Gesprächspartner abgewertet fühlt. Oft finden viele Schallereignisse gleichzeitig statt. In der Szene auf dem Bild läuten auch noch die nahen Kirchenglocken. Die Wahrnehmung sorgt dafür, zwischen relevanter Geräuschquelle (Kommunikation, Gefahr) und nicht relevanter Geräuschquelle (Umgebungslärm) zu unterscheiden. Bei eingeschränktem selektivem Hören ist dies nicht immer möglich bzw. dauert es länger, bis alle Geräuschquellen verarbeitet werden.
Abb. 3.28

[L231]
Schmerzwahrnehmung; deszendierende Regulation (hellblau), afferente Regulation (schwarz und dunkelblau)
Abb. 3.29

[L231]
Wahrnehmung und assoziierte Systeme
Abb. 3.30

[P389/P390]
Vertikalisierung in der Frühphase
Abb. 3.31

[P389/P390]
Beispiel einer Positionierung in der Frühphase
Abb. 3.32

[L231]
Kognitives System
Abb. 3.33

[V492]
Was-Bahn und Wo-Bahn (Ausschnitt)
Abb. 3.34

[V492]
Ausstreichaufgabe bei einer Neglect-Patientin
Abb. 3.35

[P150]
Ein Schema der gedächtnisrelevanten limbischen Schleifen und ihrer Schaltstellen. Hi: Hippocampus; EC: entorhinaler Kortex; Fo: Fornix; CM: Corpora mamillaria; NA: Nucleus anterior des Thalamus; DM: Nucleus dorsomedialis des Thalamus; S: Kerne im Septum pellucidum; D: Kerne im diagonalen Band, ein Teil des „basalen Vorderhirns“; A: Amygdala (Mandelkern); Ci: Cingulum; CC: Corpus callosum. Der Hippocampus bildet gemeinsam mit dem entorhinalen Kortex des Gyrus parahippocampalis die funktionelle Einheit der „Hippocampusformation“. Von der Hippocampusformation über den Fornix und die Corpora mamillaria zum Nucleus anterior des Thalamus und von dort über das Cingulum zurück zum Hippocampus verläuft die „Papez-Schleife“, deren Bedeutung für das menschliche Gedächtnis früh erkannt wurde. Der Fornix enthält aber auch Fasern zu den septalen Kernen, die ihrerseits mit den angrenzenden Kernen des basalen Vorderhirns eine funktionelle Einheit bilden. Der Mandelkern ist ein weiterer zentraler Knoten in den Schleifen des limbischen Systems. Er ist mit dem basalen Vorderhirn, dem Hippocampus und – über den vorderen Thalamusstiel – mit dem dorsomedialen Kern des Thalamus verbunden. Darüber hinaus ist er mit neokortikalen Assoziationsfeldern verschaltet und hat starke Verbindungen zu den basalen Anteilen des limbischen Systems. Seine Funktion für das Gedächtnis des Menschen ist fraglich. Möglicherweise spielt er eine wichtige Rolle für die Speicherung und den Abruf von emotional bedeutsamen Erinnerungen.
Abb. 3.36

[L231]
Zeitliche Dimensionen von Gedächtnisprozessen
Abb. 3.37

[P150]
Basis exekutiver Prozesse
Oben: 1: Ein Aktionsschema wurde angestoßen. 2: Das Aktionsschema ist noch nicht beendet, aber der auslösende Umweltreiz wird vorübergehend schwächer, während gleichzeitig ein anderer Reiz ein konkurrierendes Schema aktiviert. Die zentrale Kontrolle verstärkt das zuerst angestoßene Schema und sichert dessen kontinuierliche Ausführung. 3: Der Störreiz hat aufgehört. Da das ursprüngliche Aktionsschema fortgeführt wurde, ist auch seine Auslösesituation erhalten geblieben; es läuft daher automatisch weiter.
Unten: 1: wie oben. 2: Der Störreiz löst ein konkurrierendes Aktionsschema aus, welches das erste Aktionsschema hemmt. Das heißt, das ursprüngliche Schema wird abgebrochen und ein anderers begonnen. 3: Durch das geänderte Aktionsschema hat sich auch die Umweltsituation geändert. Der Auslöser des ursprünglichen Aktionsschemas ist nicht mehr präsent. Dafür treten neue Störreize auf, die wiederum zu einem Wechsel des Aktionsschemas führen.
Abb. 3.38

[F881–001]
Schematische Darstellung der Lokalisation kritischer Läsionen bei verschiedenen Manifestationen der Apraxie. Die Schattierung der gesamten linken und rechten Hemisphäre bei mehrschrittigen Aktionen und der rechten Hemisphäre auch beim Imitieren von Fingerstellungen heißt nicht unbedingt, dass die verantwortlichen Läsionen gleichmäßig über die ganze Hemisphäre verteilt sind. Der derzeitige Stand des Wissens erlaubt aber keine fundierten Aussagen zu möglichen Eingrenzungen. Für das Imitieren von Fingerstellungen sind verantwortliche Läsionsbereiche in der linken Hemisphäre weniger sicher einzugrenzen als für das Imitieren der Handstellungen. Es dürfte sich vorwiegend um subkortikale Strukturen handeln.
Abb. 3.39

(in Anlehnung an Pappert & Schmölzer 2007) [L231]
Zonen der Gelenkbewegung
Abb. 3.40

[L231]
Endgefühl
Abb. 3.41

[P391]
Malalignment durch bestehende Minus-Symptomatik
Abb. 3.42

[P391]
Minus-Symptomatik rechts und kompensierende Überaktivität links
Abb. 3.43

[P391]
Plus-Symptomatik
Abb. 3.44

[V492]
Neuroanatomie des Sprachsystems: Broca- und Wernicke-Areal
Abb. 3.45

[V492]
Beispiel einer schwer gestörten Schriftsprache bei einer Patientin mit schwerer globaler Aphasie und kognitiver Dysphasie dysexekutiver Genese mit Perseverationen
Abb. 3.46

[V492]
Perseverationsneigung bei der Datumsangabe bei einer Patientin mit kognitiver Dysphasie dysexekutiver Genese
Abb. 3.47

(mit Sprechventilaufsatz während der Dysphagietherapie) [P388]
Patientin in der Frührehabilitation mit Trachealkanüle und Nasensonde
Tonische und phasische MuskeleigenschaftenMuskelEigenschaften
Eigenschaften | Tonisch | Phasisch | Gemischt |
Bezeichnung | SO I (slow osydated) | FG IIB (glykolytisch) | FOG IIA |
Farbe Muskelgewebe | rot | weiß | pink |
Aktivierung | leicht | schwer | mittel |
Kraftentfaltung | gering | groß | |
Reaktion | langsam | schnell | |
Ermüdbarkeit | gering | stark | |
Hypotrophie | langsam | rasch | |
Überbelastung | Verkürzung | Schwäche | |
Inaktivität | Kontraktur | Atrophie | |
Kapillarisierung | gut | gering | |
Stoffwechsel | aerob | anaerob | |
Ø Nervenfaser | klein | groß | |
Motoneuron | α | α | |
Nervenaufzweigungen | wenig | viele | mittel |
Beispiele posturale OrientierungOrientierung, posturale: Untersuchung Körper zu Raum
Evaluation | Wie sollte es sein? | Beispiele für Abweichungen |
Betrachtung des Körpers von der Seite: Humeruskopf und Femurkopf werden mittels einer gedachten Linie verbunden. Diese Linie wird mit dem Schwerelot verglichen |
Linie steht im Schwerelot |
|
Ohren des Patienten im Vergleich zur gedachten Linie | Stehen auf der Linie zwischen Humerus und Femur |
|
Zentrum (fiktive Mitte zwischen Sternum und Wirbelsäule Höhe Th7/8) | Sollte auf der Linie zwischen Humerus und Femur stehen |
|
Beispiele Analyse der Körperabschnitte zueinander – Untersuchung Körper zu Körper
Evaluation | Wie sollte es sein? | Beispiele für Abweichungen(Stellung) | Beispiele für Tonus-Hypothesen | |
– | Minus-Symptomatik | |||
+ | Plus-Symptomatik | |||
Scapula: Elevation Depression |
Angulus superior auf Th2, mediale Spina scapulae auf Th4 Angulus inferior auf Th7 |
Scapula steht in Elevation | – | M. trapezius P. ascendens |
+ | M. levator scapulae | |||
Scapula: Abduktion Adduktion |
Abstand des Margo medialis von den Dornfortsätzen = drei Patienten-Finger (II, III, IV) | Scapula steht in Abduktion | – | M. trapezius P. transversa |
– | Mm. rhomboidei | |||
+ | Adduktoren GHG | |||
+ | Innenrotatoren GHG | |||
Scapula: Innenrotation Außenrotation |
Der beginnende Margo medialis (erste Hälfte unterhalb der Spina scapulae) steht parallel zur Wirbelsäule | Scapula steht in Außenrotation | – | M. trapezius P. ascendens |
– | M. rhomboideus major | |||
+ | M. teres major | |||
+ | M. latissimus dorsi | |||
Glenohumeralgelenk | In Mittelstellung seiner 6 Freiheitsgrade | GHG steht in Innenrotation | – | M. infraspinatus |
+ | M. pectoralis major (und 6 weitere …) | |||
Glenohumeralgelenk und Ellenbogen | Sollten eine Linie ergeben (im Vergleich Schwerelot) | Ellenbogen steht dorsal | – | M. deltoideus P. clavicularis |
+ | M. latissimus dorsi | |||
+ | M. teres major | |||
Thorax Rippen: Rotation |
Palpation der beiden Thoraxhälften im Vergleich mit dem Alignment des Beckens – sollten übereinander stehen | Rechte Thoraxhälfte steht weiter ventral | – | M. obliquus externus links |
– | M. obliquus internus rechts | |||
+ | M. latissimus dorsi P. costalis links | |||
+ | M. quadratus lumborum links | |||
Thorax, Rippen: Lateralflexion |
Palpation des unteren Rippenbogens (Höhenvergleich rechts/links) – sollten gleich hoch stehen | Rechte Thoraxhälfte steht weiter kaudal | – | M. obliquus internus links |
– | M. obliquus externus links | |||
+ | M. quadratus lumborum rechts | |||
+ | M. latissimus dorsi rechts | |||
Thorax, Rippen: Inspiration Exspiration |
Palpation des epigastrischen Winkels; dieser sollte ca. 45° zum Schwerelot sein | Thorax steht in Inspiration | – | M. obliquus externus |
– | M. rectus abdominis | |||
+ | M. pectoralis major | |||
+ | M. pectoralis minor | |||
Zentrum | Siehe oben: posturale Orientierung | Steht in Flexion | – | M. semispinalis thoracis |
– | M. trapezius | |||
+ | Adduktoren/Innenrotatoren GHG | |||
Kopf/HWS | Siehe oben: posturale Orientierung | Steht in Reklination | – | Mm. longus colli/capitis |
+ | M. levator scapulae | |||
Becken Anterior/Posterior Tilt |
Eine Linie zwischen der SIAS und der SIPS, auf dieser Linie die Mitte suchen Der Mittelpunkt dieser Linie sollte unter dem Zentrum stehen |
Steht der Mittelpunkt vor dem Zentrum = Anterior Tilt | – | M. obliquus internus |
– | M. rectus abdomini | |||
+ | M. quadratus lumborum | |||
+ | M. latissimus | |||
+ | M. iliopsoas | |||
Becken: Lateralflexion |
Palpation der Cristae iliaca rechts links und/oder der Tuber ischiadicum rechts/links im Höhenvergleich | Rechte Beckenhälfte steht weiter kranial | – | M. obliquus internus links |
– | M. obliquus externus links | |||
+ | M. quadratus lumborum rechts | |||
+ | M. latissimus dorsi rechts | |||
Becken: Rotation |
Palpation der SIPS mit den Daumen, die Hände legen sich um die Beckenschaufeln Seitenvergleich |
Linke Beckenhälfte steht weiter ventral | – | Mm. glutei minimi rechts |
– | M. piriformis rechts | |||
+ | Adduktoren rechte Hüfte | |||
+ | Innenrotatoren rechte Hüfte | |||
Articulatio coxae (Hüftgelenk) | Steht es in Mittelstellung seiner 6 Freiheitsgrade und ist die Flexionsstellung der Hüfte angepasst an die Unterstützungsfläche? | Femur steht in Abduktion Knie steht weiter lateral |
– | Mm. glutei minimi |
– | M. piriformis | |||
+ | Adduktoren Hüfte | |||
+ | Innenrotatoren Hüfte | |||
Anmerkung Tonushypothese: Schwerelot beachten | ||||
Fuß | Sollte eine 3-Punkte-Belastung haben | Fuß steht in Plantarflexion und Supination | – | M. extensor digitorum longus |
– | M. tibialis anterior | |||
+ | M. tibialis posterior | |||
+ | M. flexor hallucis longus |
GHG = Glenohumeralgelenk; SIAS = Spina iliaca anterior superior; SIPS = Spina iliaca posterior superior
BewegungsanalyseBewegungsanalyse am Beispiel vom Bewegungsübergang Sitz zu Stand
Evaluation der Phase der Bewegung | Wie sollte es sein?Punctum stabile (P. st.)Punctum mobile(P. m.) | Beispielefür Abweichungen | Beispiele fürTonus-Hypothesen | |
– | Minus-Symptomatik | |||
+ | Plus-Symptomatik | |||
Oberkörper-Vorlage | Flexion der Hüfte Rumpf bleibt in linearer Aufrichtung P. st.: untere Extremität P. m.: Becken |
HWS in Reklination | – | M. trapezius P. ascendens |
+ | M. levator scapulae | |||
BWS in Flexion | – | M. trapezius | ||
+ | Adduktoren/Innenrotatoren GHG | |||
LWS-Extension, Becken in Anterior Tilt |
– | Bauchmuskeln | ||
+ | Hüftflexoren, LWS-Extensoren | |||
Knie-Vorschub | Dorsalextension OSG Flexion Knie P. st.: Fuß P. m.: Unterschenkel |
Knie-Extension | – | M. extensor digitorum longus |
– | M. tibialis anterior | |||
+ | M. quadriceps | |||
+ | Plantarflexoren Fuß | |||
Aufstehen | Hüftextension & Plantarflexion OSG, dann Knieextension Rumpf in linearer Aufrichtung P. st.: Füße P. m.: Knie & Hüften |
Knie-Extension | – | Dorsalextensoren Fuß |
+ | M. quadriceps | |||
Hüfte bleibt in Flexion | – | Mm. glutei | ||
+ | Mm. quadriceps & iliopsoas | |||
Becken bleibt im Anterior Tilt | – | Bauchmuskeln | ||
+ | LWS-Extensoren | |||
Rumpf – keine lineare Aufrichtung | – + |
Siehe Oberkörper-Vorlage |
OSG = oberes Sprunggelenk
Mögliche Therapieeinheit für Frau G.
Therapiebeschreibung | Therapieinhalte |
Eine Therapieeinheit könnte z. B. beginnen mit der Aktivität Seitenlage zu Sitz über rechts. | ICF Aktivität: Kap. 1.2.2 |
Der Therapeut (T) stellt das Alignment so ein, dass der Körper der Patientin (P) sich vor dem Schwerelot befindet. | Alignment, Schwerelot: Kap. 3.1.3 |
Damit werden sowohl die Mm. glutei re als auch die Mm. infraspinatus und teres minor re agonistisch exzentrisch aktiviert. |
|
Nun legt T seine stabile Hand auf den unteren linken Rippenbogen und gibt eine Information nach medial kaudal (M. obliquus externus li konzentrisch stabil), während seine selektive Hand an den unteren Bauchmuskeln das Becken nach posterior und anterior bewegt (Mm. obliquii internus bds. Mm. glutei bds. kon- und exzentrisch selektiv). |
|
T fragt P, ob sie denn seine Hand spüre. Sie antwortet mit ja, wisse aber nicht so genau, wie sie das Becken bewegen solle. Daraufhin fordert T seine P auf, die Bewegung mitzumachen. |
|
P übernimmt die Bewegung selbstständig und experimentiert damit, T nimmt die selektive Hand am Becken weg, wartet die Bewegung ab und lobt die P, als sie es schafft. P beschreibt, dass sie die Bauchmuskeln sehr stark spürt und dass es ihr schwer fällt, diese zu aktivieren. Diese Erkenntnis ist wichtig, sagt T. |
|
T fordert P auf, es noch einmal zu versuchen, allerdings jetzt im Ellenbogenstütz auf rechts (zusätzlich Mm. infraspinatus + teres minor konzentrisch stabil). Dabei gibt T seiner P eine geöffnete volle Wasserflasche in die linke Hand (Abduktoren + Außenrotatoren GHG li konzentrisch agonistisch), kniet sich vor sie hin und bittet darum, nicht nass zu werden. P soll das Becken selektiv bewegen. |
|
T fragt: Was müssen Sie denn tun, damit es Ihnen gelingt? P antwortet, dass sie die Rippen ganz fest nach unten bewegen und den Po anspannen muss, um die Flasche so halten zu können. |
|
Nun kann P die Beckenbewegung gegen den stabilen Thorax nicht mehr kontrollieren, der Thorax ist in der Inspirationsstellung und das Becken ist fixiert im Anterior Tilt. |
|
Die Wasserflasche kann ebenfalls nicht mehr gehalten werden, der Arm sinkt ab in die Innenrotation und das Wasser ergießt sich auf den Boden. P ist erschrocken. |
|
T lacht und fragt, warum das denn passiert sei. P antwortet, dass sie mit den Rippen nach vorne gekippt sei; dabei habe sie das Gleichgewicht verloren und die Flasche habe sich gedreht. |
|
Wechsel der Aktivität vom Sitz in den Stand. T holt einen Eimer und einen Lappen. P versteht die Aufgabe sofort und möchte das Wasser mit dem Lappen aufwischen und in den Eimer auswringen. |
|
Dabei muss P sich aus dem Stand bücken und die Arme nach vorne unten ausstrecken. Hierbei arbeiten die Mm. glutei bds. exzentrisch agonistisch, der M. tibialis anterior konzentrisch antagonistisch, die Mm. obliquii externus + internus konzentrisch antagonistisch, der M. trapezius P. ascendens exzentrisch agonistisch, der M. trizeps konzentrisch antagonistisch und die Mm. extensor carpi r+u konzentrisch agonistisch. So werden die Muskeln für die Core Stability aktiviert. |
|
P schafft es zunächst nicht, ganz nach unten zu kommen und mit den Händen den Boden zu erreichen. Sie reflektiert, dass der Fuß zu steif sei. T bittet P, sich auf die Behandlungsbank zu setzen, den Oberkörper nach vorne zu nehmen und nach vorne oben aufzustehen, dabei die Knie nach vorne zu schieben (Knievorschub, 2. Phase von Sitz zu Stand). P probiert es aus, steht aber gleich ganz auf. T macht es P vor und stellt ihr einen Stuhl vor die Knie mit der Aufforderung, die Knie zum Stuhl zu bewegen. P kann nun die korrekte Bewegung ausführen. |
|
T überprüft zunächst das Gelingen der Bewegung, dann legt er seine stabile Hand auf den Talus des rechten Vorfußes von P und mobilisiert während des Knievorschubs mit seiner selektiven Hand den M. tibialis posterior mit einer tiefen Streichung in die Exzentrik. P sagt, dass dies weh tut, aber trotzdem gut sei, T solle weiter machen und sie versuche, die Bewegung zu vergrößern. |
|
Nach dieser Arbeit wird das Bücken erneut versucht. Jetzt kommt P mit den Händen auf den Boden und kann das Wasser aufwischen. |
|
Nach dem Aufwischen trägt P den Eimer mit Lappen und Wasser zurück in die Küche; sie benutzt dabei beide Arme und presst den Eimer an den Körper. Dabei arbeiten die Mm. glutei in der Standbeinphase exzentrisch agonistisch, Mm. obliquus internus bds. konzentrisch agonistisch, Mm. obliquus externus bds. exzentrisch agonistisch, M. trapezius ascendens exzentrisch agonistisch, Mm. infraspinatus + teres minor exzentrisch antagonistisch, M. triceps brachii konzentrisch antagonistisch, Mm. extensor carpi r+z exzentrisch antagonistisch usw. … |
|
In der Küche soll P einen Topf mit Wasser füllen und diesen von der Spüle zum Herd tragen. Es gelingt ihr nicht, aber sie findet eine Problemlösung: Sie schiebt den vollen Topf vorsichtig über die Arbeitsplatte bis hin zum Herd, hebt ihn dann im Stand an, um ihn schließlich auf die Herdplatte zu stellen. |
|
MechanorezeptorenMechanorezeptoren der Haut
Meissner-Körperchen | Melden Anfang, Ende und Änderungen von Berührungen. Sie stellen die Meldung ein, wenn der Druck gleich bleibt. Sie helfen uns, wenn wir an der Bluse den kleinen Knopf und sein Knopfloch aufspüren. Sie melden die krabbelnde Ameise auf dem Fußrücken. |
Merkel-Zellen | Melden präzise konstanten Druck und Berührung, z. B. die Flächen, Kanten und Rundungen eines Gegenstands in der Hand. |
Ruffini-Körperchen | Melden Dehnung der Haut. Besonders dicht liegen sie in Hautarealen der Handfläche, die mit Werkzeugstielen in Kontakt sind. Sie melden, dass und wie der Stiel in der Hand liegt. |
Vater-Pacini-Körperchen | Melden Änderung von Berührung und Druck und reagieren auf Vibration, ohne genau zu lokalisieren. Wenn wir das Brotmesser in der Hand haben und frisches Brot, innen weich und außen mit knuspriger Rinde, schneiden, vibriert das Messer in der Hand; es finden ständig Druckänderungen statt. Bei gleichbleibendem Druck reagieren sie nicht. |
Freie Nervenendigungen | Finden sich überall und bilden ein riesiges Netzwerk. Sie liefern relativ unscharfe Informationen über Wärme, Kälte und Schmerz. |
Symptome autonomer FunktionsstörungenFunktionsstörungen, autonome
Organsystem | Symptome |
Herz-Kreislauf |
|
|
|
Schweißdrüsen |
|
exokrine Drüsen |
|
Magen-Darm-Trakt |
|
Blase |
|
Genitalorgane |
|
Pupillen |
|
NeuropsychologischeTherapieneuropsychologische Therapie
Restitutive Therapie | Diese setzt auf unspezifische oder gezielte Maßnahmen zur Reorganisation von kognitiven Prozessen |
Kompensatorische Therapie | Diese beinhaltet Maßnahmen mit dem Ziel der Anpassung an verbliebene kognitive Störungen. Das Einüben von Ersatz- und Bewältigungsstrategien spielt eine herausragende Rolle. |
Integrative Therapie oder auch holistische Therapie | Diese beinhaltet Maßnahmen zur Verbesserung der Krankheitsbewältigung und psychosozialen Anpassung an das soziale, schulische und berufliche Umfeld |
Patienteninformation („Psychoedukation“) und Förderung der Selbsteinschätzung | |
Beratung von Angehörigen, Behandlungsteam und Institutionen |
Neuropsychologische WahrnehmungstestsWahrnehmungstests (visuelle Modalität) in einer Auswahl
|
|
|
|
|
|
|
Quantitative Abstufungen von WachheitWachheitquantitative Abstufungen
Bewusstlosigkeit/Koma | pathologisch |
nicht responsible Wachheit/Wachkoma | pathologisch |
Minimalbewusstsein | pathologisch |
Schlaf | normal |
Entspannung | normal/bewusst herbeigeführt |
Wachheit | normal/automatisch |
gerichtete Aufmerksamkeit | normal/bewusst herbeigeführt oder ausgelöst |
Qualitative Aspekte der Aufmerksamkeit
Intensität oder Aufmerksamkeitsaktivierung |
|
Selektivität |
|
Awareness beim NeglectsyndromNeglectsyndromAwareness (adaptiert nach Kerkhoff)
Globale Unawareness |
|
Informelle Unawareness |
|
Auftauchende Awareness |
|
Vorausschauende Awareness |
|
Gedächtnisbereiche und Alltagsbeispiele
Bereich | Beispiele |
prozedurales Gedächtnis | Gehen, Fahrradfahren, Zähneputzen. |
Priming, d. h. Ahnung, etwas zu kennen | Ahnung, etwas zu kennen, Wiedererlernen eines Bewegungsablaufs. |
perzeptuelles Gedächtnis | Silhouette weckt Erinnerung an konkreten Gegenstand; Vergleich von intakter und paretischer Extremität. |
semantisches Gedächtnis | Berlin ist die Bundeshauptstadt; Rauchen schadet der Gesundheit; Bewegung ist gesund. |
episodisches Gedächtnis | Urlaub mit den Eltern am Meer; Gewahrwerden der neurologischen Diagnose etc. |
Alltagsprobleme bei Vorliegen einer Apraxie
|
Klassische DysarthrieklassifikationDysarthrieKlassifikation, die sich an den zugrunde liegenden motorischen Störungen und Läsionsorten orientiert
Dysarthrieform | Zugrunde liegende motorische Störung | Läsionsort |
cerebelläre Dysarthrie |
|
Kleinhirn |
extrapyramidale Dysarthrie (Basalgangliendysarthrie) |
|
Basalganglien |
bulbäre Dysarthrie |
|
Hirnstamm |
suprabulbäre Dysarthrie |
|
absteigende motorische Bahnen |
kortikale Dysarthrie (Hemisphärendysarthrie) |
|
prämotorischer/motorischer Kortex und/oder absteigende motorische Bahnen |
Neurofunktionelle Systeme
-
3.1
Motorisches System62
-
3.2
Perzeptives System109
-
3.3
Vegetatives System142
-
3.4
Kognitive Systeme152
-
3.5
Biomechanisches System178
-
3.6
Kommunikation und Schlucken192
Motorisches System
3.1.1
Aufbau und Funktion
„Dinge bewegen, dies ist alles, was der Mensch zu tun vermag; das einzig ausführende Organ ist dabei der Muskel, ob beim Flüstern einer Silbe oder beim Roden eines Waldes.“
Charles Sherrington, 1924
Motorische Planung
•
Primärer motorischer Kortex (MI)
•
Primärer somatosensorischer Kortex (SI)
•
Prämotorischer Kortex (PM)
•
Supplementär-motorische Area (SMA)
•
Cinguläre motorische Area (CMA)
•
Posterior-parietaler Kortex (PPC)
•
Gyrus praecentralis
Ausführen des motorischen Plans
Kontrolle der Bewegungsausführung
Von Kerngebieten im Hirnstamm ausgehende Bahnen
Exkurs
Schädigungshöhe im Hirnstamm
•
Retikulo-spinales Bahnsystem intakt: Es besteht ein Extensionstonus. Die Patienten beginnen sich zu strecken, drücken Hinterkopf, Sakrum und Fersen in die Unterlage.
•
Rubro-spinales Bahnsystem zusätzlich intakt: Zu dem oben beschriebenen Extensionstonus entwickelt sich überdies ein Flexionstonus. „Nur strecken“ ist schlechter als „strecken und beugen“.
•
Vestibulo-spinales Bahnsystem zusätzlich intakt: Es zeigt sich eine beginnende Schwerpunktkontrolle, wenn der Körper des Patienten vom Therapeuten ins Lot gebracht wird. Der Patient sitzt beispielsweise auf der Bettkante; der Therapeut bringt Becken, Thorax und Kopf in die Vertikale und fühlt dann, dass der Patient leicht wird, er ihn fast loslassen kann. Gerät der Patient aus dem Lot, kann er sich natürlich nicht auffangen, d. h., der Schwerpunkt kann mit vestibulo-spinalem Bahnsystem kurzfristig im Schwerelot kontrolliert werden.
•
Tecto-spinales Bahnsystem zusätzlich intakt: beginnende Kopf- und Augenkontrolle. Sekundenweise schaut der Patient nicht mehr „wie durch einen hindurch“, sondern sieht sein Gegenüber an. Wenn der Therapeut den Kopf anhebt, kann der Patient ihn kurzfristig halten; dann sinkt der Kopf langsam wieder ab. Ist das tecto-spinale Bahnsystem nicht intakt, würde das Eigengewicht den Kopf nach unten fallen lassen.
Spinale Lokomotionsgeneratoren
Absteigende Bahnsysteme und Verschaltung im Rückenmark
•
Absteigende Bahnsysteme
•
Intersegmentale Bahnen
•
Segmentale Verschaltungen
•
Sensible Informationen (segmental)
Peripheres motorisches Nervensystem und motorische Endplatte
Muskelphysiologie
Muskelaufbau
•
Muskel- MuskelAufbauund Gelenkrezeptoren (Kap. 3.2)
•
Muskelbündel, Muskelfaser, Myofibrille, Sarkomer, Actin, Myosin, Titin
Rekrutierungsprinzip nach Henneman/Größenprinzip
•
Überwiegend MuskelRekrutierungsprinzipPrinzipHennemanstonisch arbeitende Muskulatur wird vor phasisch arbeitender Muskulatur aktiviert.
•
Tonische Muskelanteile kontrahieren 100 ms vor den phasischen Anteilen
•
Schlussfolgerung aus dem Henneman-Rekrutierungsprinzip:
–
Haltung geht Bewegung voraus.
–
Selektive Bewegung kann nur auf einem Haltungshintergrund erfolgen (posturale Kontrolle).
•
Selektive Bewegung ist eine Mischung aus tonischen (z. B. ein Werkzeug halten) und phasischen Muskelkontraktionen (schnelle, kurze, repetitive Bewegungen).
Beispiel
Henneman-Prinzip
3.1.2
Pathologien und Symptome
Minus-Symptomatik – Schwäche, Verlangsamung und Verlust von Geschicklichkeit
Merke
Die Unfähigkeit, Muskelkraft zumotorisches SystemPathologien erzeugen und zeitlich abzustimmen, wird heute als Hauptgrund für funktionelle Behinderung angesehen. Die Annahme, Muskelschwäche entstehe durch den „spastischen“ Widerstand der Antagonisten, ist nicht haltbar.
Muskelschwäche
•
Zum Verlust der Aktivierung der motorischen Einheiten
•
Zur Veränderung der Reihenfolge der Rekrutierung
•
Zur Änderung der Entladungsfrequenz
Für die Praxis
Ein Patient in der ersten Phase der Rehabilitation nach ZNS-Verletzung befindet sich in der absoluten muskulären Minus-Symptomatik, ist also schwach. Der Muskel-Tonus ist maximal tief bzw. nicht vorhanden. In der ersten Rehabilitation werden Muskeln wieder angesteuert, die zunächst dafür sorgen, dass der Mensch sich wieder gegen die Schwerkraft aufrichten kann, wenn auch ungeordnet. Würde man einem Patienten diese ersten Muskelaktivitäten nun wieder wegnehmen (in dem man Tonus senkt …), so würde man ihn in die erste Pathologie, die absolute Schwäche, zurückbringen.
Vergleichbar wäre dies mit einem Marathon-Läufer, der nach extrem anstrengenden vier Stunden im Ziel ankommt. Dieser Sportler ist nun schwach und man sieht ungeordnete Muskelaktivitäten, die an Tetra-Spastizität erinnern. Wer käme nun auf die Idee, diesem Menschen den Tonus zu senken? Was hätte er dann noch?
Therapeutische Konsequenz: Statt Tonus zu senken, sollte man versuchen, gezielt die Muskeln in der Minus-Symptomatik zu kräftigen, indem man erste Bewegungen möglich macht (Kap. 3.1.4).
Verlangsamung von Muskelaktivierung
Verlust von Geschicklichkeit
Geschicklichkeit ist die Fähigkeit, rationell, genau, schnell und flink motorische Aufgabenstellungen zu bewältigen.
Nicolai A. Bernstein
Plus-Symptomatik – Spastizität und Widerstand gegen passive Bewegung
Spastizität
•
Sie sind stereotyp.
•
Der Patient kann sie nicht kontrollieren.
•
Er kann sie nicht kognitiv beeinflussen.
•
Teilweise kann er sie auch nicht stoppen.
Merke
Plus-Symptomatik ist Ausdruck von Reorganisation intakt gebliebener Strukturen.
•
Fehlende posturale Kontrolle für Stabilität und Orientierung.
•
Die Patienten bewegen sich mit Anstrengung und müssen sich auf die Bewegung konzentrieren
•
Veränderte Aktivierungsreihenfolge führt zu verändertem Tempo.
•
Die Patienten benutzen Kraft und Fixationen meistens über die nicht paretische Seite im Falle der Hemiparese; die paretische Seite wird nicht integriert, sondern angehängt und mitgeschleppt.
Merke
Die Kraft im spastischen Muskel ist herabgesetzt, nicht erhöht!
Widerstand gegen passive Bewegung
•
Patienten geben als das am stärksten behindernde Symptom die Muskelsteife an.
•
Mechanische und biologische Veränderungen in den Weichteilen spielen eine sehr wichtige Rolle (adaptive Merkmale), weniger die Spastizität.
•
Kollageneinlagerung (Cross Links),
•
Veränderung der Viskosität (Thixotropie)
•
Verlust der Elastizität der Sehnen
•
Muskuläre Verkürzungen in Aktin, Myosin, Titin
•
Atrophie (Verlust von Sarkomeren)
•
Muskelfaser-Transformation (histochemische Veränderungen im Verhältnis Typ-1- zu Typ-2-Fasern)
•
Periartikuläre Veränderungen
Für die Praxis
Therapeutisch gesehen ist wichtig, dass ein Lösen („Hemmen“) von Plus-Symptomatik nicht zum gewünschten Therapieerfolg führen kann, da die Ursache für die Tonuserhöhung in der Minus-Symptomatik liegt und die Ursache für Widerstand gegen passive Bewegung häufig in den adaptiven Merkmalen zu suchen ist.
Stattdessen sollten die Muskeln der Minus-Symptomatik auftrainiert werden.
3.1.3
Physiotherapeutische Untersuchung und Diagnostik
Clinical Reasoning
Unter dem Begriff „Clinical Reasoning“ versteht man Denkprozesse von klinisch tätigen Personen, also Angehörigen der Medizin- und Gesundheitsberufe, die darauf abzielen, eine klinische Entscheidung zu treffen.
Merke
Bewegung bzw. Motorik wird als Element des Handelns verstanden und nicht isoliert betrachtet.
Zielsetzung auf Partizipationsebene
Beeinträchtigungen auf Aktivitätsebene
Was ist das Hauptproblem auf Körperfunktions- und -strukturebene?
Wie lernt das Individuum?
•
Lernt dieser Mensch mehr über Sprache und kognitives Verstehen? Dann würde man z. B. erklären, wie es geht.
•
Lernt dieser Mensch mehr über Spüren und das Erfahren der Bewegung? Dann wäre Hands on sicherlich ein guter Weg.
•
Lernt dieser Mensch mehr über Ausprobieren und ggf. Fehler machen? Dann sollte man Trial & Error anwenden.
•
Lernt dieser Mensch mehr über positive Erfahrungen? Dann sollte man Erfolg ermöglichen und mit Anfeuern und Lob arbeiten.
Problemlösungsprozess
Phasen des Problemlösungsprozesses
•
Orientierungsphase: Was ist das Problem, wie ist der Ist-Zustand? Datensammlung, Anamnese, klinische Tests etc.
•
Diagnosephase: Zum Ist-Wert wird nun der Soll-Wert definiert und somit auch das gewünschte Ziel; Nutzung der ICF und des SMART-Prinzips (Kap. 1.3).
•
Analysephase: Was ist der effektivste Weg von Ist nach Soll? Ist das Ziel unter den derzeitigen Umständen erreichbar? Förderfaktoren und Barrieren erkennen und berücksichtigen.
•
Planungsphase: Der Zeitplan wird erstellt, Teilaufgaben und Teilprozesse werden definiert und in eine logische Reihenfolge gebracht, um das (Partizipations-)Ziel zu erreichen.
•
Ausführungsphase: Der Plan wird in die Tat umgesetzt, inkl. ständiger Rückmeldung/Feedback. Wird ein Zwischenziel nicht erreicht, kommt es zur Plankorrektur. Die Ausführungsphase betrifft nicht nur die eigentliche Therapiezeit, sondern auch die Zeiten zwischen und nach den Behandlungen, die gesteuert werden.
•
Auswertungsphase: Evaluation, ob das Ziel (der Soll-Wert) erreicht wurde. Gab es im Fall von mangelndem Erfolg Ursachen, die benannt werden können?
Posturale Kontrolle
Neuromuskuläre Synergien und muskuloskelettale Komponenten
Untersuchung des Tonus
Merke
Beurteilung von Tonus – wann ist Tonus „normal“?
Konzentrik & Exzentrik, Agonist & Antagonist sowie Schwerelot in der Bewegungsanalyse
Beispiel
Eine Frau steht in der Küche (Umwelt) und möchte eine Kartoffel, die ihr heruntergefallen ist und vor ihren Füßen liegt, aufheben (Aufgabe). Sie bückt sich herunter zur Kartoffel und hebt diese auf.
Betrachten wir einmal lediglich die hüftumgebende Muskulatur in der Ebene Extension/Flexion beim Herunterbeugen, so arbeiten:
•
die Hüftextensoren exzentrisch agonistisch,
•
die Hüftflexoren konzentrisch antagonistisch.
Richtet sich die Frau aus der Oberkörpervorlage wieder auf in den Stand, so arbeiten:
•
die Hüftextensoren konzentrisch agonistisch,
•
die Hüftflexoren exzentrisch antagonistisch.
Später am Abend liegt die Frau auf der Couch (Umwelt). Sie richtet sich auf in den Langsitz, um die Fernbedienung vom Couchtisch zu holen (Aufgabe), und legt sich danach wieder in die Rückenlage, um weiter fern zu schauen.
Betrachten wir jetzt wieder die hüftumgebende Muskulatur in der Ebene Extension/Flexion beim Aufrichten in den Langsitz, so arbeiten:
•
die Hüftflexoren konzentrisch agonistisch,
•
die Hüftextensoren exzentrisch antagonistisch.
Beim Ablegen aus dem Langsitz in die Rückenlage arbeiten:
•
die Hüftflexoren exzentrisch agonistisch,
•
die Hüftextensoren konzentrisch antagonistisch.
In beiden Beispielen ist die Stellungsveränderung im Gelenk gleich. Die Hüfte wird flektiert und wieder extendiert. Die agonistische bzw. antagonistische Muskelaktivität ändert sich jedoch, abhängig vom Schwerkraftsfeld.
Merke
Gelenkstellung (Alignment) ist nicht unbedingt gleich agonistische Muskelfunktion!
Selektive Bewegung basiert auf stabilen Referenzen – stabil vs. selektiv
Merke
„Stabil-selektiv“ findet man überall im Körper. So kann z. B. der Hypothenar die stabile Referenz für die Bewegung des Daumens sein oder das Becken die stabile Referenz für die Atembewegung des Thorax; all dies ist auch umgekehrt möglich und die Möglichkeiten innerhalb von variationsreicher Bewegung sind unendlich.
Individuelle Bewegungsmuster
Merke
Bei „optimaler“ Bewegung sollte in allen Körperabschnitten eine aktive, kontrollierte Muskelarbeit bestehen, um die Zentrierung des Körperschwerpunktes über der Unterstützungsfläche zu gewährleisten, angepasst an Aufgabe und Umwelt.
•
Ist die Bewegung korrekt initiiert?
•
Ist die Bewegung harmonisch und fließend?
•
Ist die Bewegung effizient – führt sie zum Ziel (Aufgabe)?
•
Ist die Bewegung passend zum Kontext (Umwelt)?
•
Ist die Bewegung passend im zeitlichen Ablauf (Timing)? Auch bei unterwarteten Störungen?
•
Ist die Bewegung ökonomisch? Oder ist die Bewegung nicht weiterlaufend und es werden nur einzelne Körperabschnitte bewegt, andere sind in Fixation/Immobilität?
•
Ist die Bewegung variationsreich möglich? Oder gibt es nur eine einzige Strategie? Welche Körperabschnitte sind an der Bewegung nicht beteiligt, sollten es aber sein?
•
Ist die Bewegung rhythmisch möglich?
•
Ist die Bewegung stabil-selektiv? Wo sind die internen, stabilen Referenzen? Wie werden die externen, stabilen Referenzen genutzt (die Unterstützungsfläche[n])?
Unterstützungsfläche und unterstützende Fläche
Für die Praxis
Nicht immer ist eine große Unterstützungsfläche leichter zu bewältigen als eine kleine. So steht ein Mensch sicherlich in einem hüftbreiten Parallelstand wesentlich sicherer als in einem großen Ausfallschritt, obwohl er hier eine größere Unterstützungsfläche zur Verfügung hat.
Antizipatorische und reaktive Mechanismen
1.
Antizipatorisch: pAPA
Vorbereitend (prädiktiv/proaktiv), gehen der primären Bewegung häufig mehr als 100 ms voraus.
2.
Antizipatorisch: aAPA
Begleitend (adaptiv). Sind während der Bewegung vorhanden und dienen der Stabilisierung des Körpers oder der Körperabschnitte für die Ausführung der primären Bewegung.
3.
pAPAs und aAPAs sind antizipatorische Tonusänderungen auf zu erwartende Bewegungen sowie kleinste Tonusadaptationen als selektive posturale Anpassung.
4.
Reaktiv
–
Unerwartet (Feedforward)
–
Antwort auf äußere Störungen, z. B. beim Gehen: stolpern, ausrutschen
–
Antizipatorische posturale Anpassungen – Schutzreaktionen
–
Sind genetisch angelegt
–
Sprungbereitschaft
–
Abwehrreaktionen der Arme, z. B. „Parachute Reaction“ zum Schutz von Kopf und Gesicht beim Hinfallen
–
Schutzschritte der Beine
–
Kopf wegziehen (audiovisuell)
–
Schnell, adäquat im Ausmaß, koordiniert (selektiv), angepasstes Timing, automatisch
–
Sind situativ modifizierbar!
–
Können bewusst (kortikal) sinnvoll oder nicht sinnvoll „überschrieben“ werden
1.
Sprunggelenk-Strategie
2.
Hüft-Strategie
3.
Schritt-Strategie
Posturale Orientierung
•
Die Fähigkeit, das entsprechende Alignment zwischen den Körperabschnitten aufrechtzuerhalten, um die Interaktion zwischen Körper und Umwelt zu gewährleisten.
•
Die erforderliche vertikale OrientierungOrientierung, posturale zu besitzen, um der Schwerkraft entgegenzuwirken.
Beispiel
Der Elefant in Abb. 3.10 steht vor einem Graben (Umwelt) und hat das Ziel, die Nahrung, die ihm die Touristen hinter dem Graben anreichen, zu erreichen (Aufgabe). Dafür muss sein Körper in Interaktion mit der Umwelt sein. Er zentriert seinen Schwerpunkt und passt diese Zentrierung an die gegebene Unterstützungsfläche an.
Dies tut er auch, wenn Umwelt und Aufgabe sich verändern. In Abb. 3.11 versucht er, Nahrung zu erreichen, die noch weiter weg angereicht wird. Er hängt ein Bein als Hebel an, um seinen Schwerpunkt weiter nach vorne verlagern zu können – er verändert seine Alignments.
Alignment
•
Einstellung der Körperabschnitte zueinander und der Körperposition in Bezug zur Schwerkraft und Unterstützungsfläche.
•
Posturale AlignmentsAlignment geben die Bewegungsstrategie vor, die das effektivste Bewegen ermöglicht (Abb. 3.12).
•
Alle Anteile eines Gelenks, Muskels oder Körperabschnitts stehen in jedem Moment einer Haltung oder Bewegungssequenz in einer ganz bestimmten, exakten Ausrichtung zueinander, um einen geschmeidigen und effizienten Bewegungsablauf gewährleisten zu können.
Vertikalität und Schwerelot
•
Damit die Körperposition zielgerichtet innerhalb des Schwerkraftfeldes verändert werden kann, wird vertikale Orientierung benötigt, an der sich alle perzeptiven Systeme beteiligen.
•
SchwerkraftSchwerkraft ist eine konstante, senkrecht nach unten wirkende Kraft, mit der wir uns in allen Positionen zeitlich und räumlich auseinandersetzen müssen.
•
SchwerelotSchwerelot bezeichnet diese senkrechte Linie zur Unterstützungsfläche.
Posturale Stabilität
•
Sicherung des Massenmittelpunktes über der Unterstützungsfläche unter statischen und dynamischen Bedingungen und Beibehalten der korrekten Relation der Körpersegmente.
•
Posturale StabilitätStabilität, posturale ist eine fortlaufende Kompensation externer und interner Kräfte und ermöglicht so die Antizipation von Schwerelot und Unterstützungsfläche. Dies ermöglicht Lokomotion, Aktivitäten und bis hin zur Reaktion auf sich bewegende Unterstützungsflächen.
Interne Stabilitätsgrenzen
Externe Stabilitätsgrenzen
Therapeutische Diagnostik
•
Minus-Symptomatik
•
Plus-Symptomatik
Haltungs- und Bewegungsanalyse
Angemessene Kompensation
•
Notwendig für die Ausführung einer bestimmten Aktivität in einer bestimmten Umgebung – notwendig zu einem bestimmten Zeitpunkt
•
Bleibt nicht über den Abschluss dieser Handlung hinaus bestehen
•
Sollte mit der Zeit abnehmen, wenn mit effektiven Interventionsstrategien an den zugrunde liegenden Beeinträchtigungen oder den spezifischen Komponenten von Bewegung und motorischer Kontrolle gearbeitet wird
Unangemessene Kompensation
•
Kompensatorisches Verhalten bleibt über den Ablauf der Handlungsausführung hinaus bestehen
•
Schränkt andere Funktionen ein
•
Potenzial zur weiterführenden Wiederherstellung kann nicht genutzt werden
Analyse der Haltung im Sitzen
Posturale Orientierung: Untersuchung Körper zu Raum
Analyse der Körperabschnitte zueinander – Untersuchung Körper zu Körper
Für die Praxis
Bewegungsanalyse
Überlegungen auf ICF-Ebene
•
Verhindern die gefundenen Kompensationen das Erreichen des Partizipationsziels?
•
Verhindern die gefundenen Kompensationen die gewünschte Aktivität (Bewegungsübergang)?
•
Hauptproblem auf Körperfunktions-/-strukturebene ist Motorik?
•
Kontext-Faktoren: Welche Förderfaktoren führen dazu, dass der Patient seine Minus-Symptomatik im Alltag trainieren kann? Welche Barrieren limitieren sein Training?
Überlegungen Bewegungsanalyse
•
Ist die Bewegung korrekt initiiert?
•
Ist die Bewegung harmonisch und fließend?
•
Ist die Bewegung passend zum Kontext (Umwelt)?
•
Wann verliert der Patient die Zentrierung des Körperschwerpunktes über der Unterstützungsfläche?
•
Welche unterstützende Fläche nutzt der Patient vor allem, welche nutzt er kaum oder gar nicht?
•
Ist die Bewegung geplant (antizipiert, pAPAs) und passend im zeitlichen Ablauf (Timing, aAPAs)? Auch bei unterwarteten Störungen (reaktiv)?
•
Alignments in Haltung und Bewegung:
–
Ist die Bewegung ökonomisch? Oder ist die Bewegung nicht weiterlaufend und es werden nur einzelne Körperabschnitte bewegt, andere sind in Fixation/Immobilität?
–
Ist die Bewegung variationsreich möglich? Oder gibt es nur eine einzige Strategie? Welche Körperabschnitte sind an der Bewegung nicht beteiligt, sollten es aber sein?
–
Ist die Bewegung rhythmisch möglich?
Überlegungen Tonus
•
Finden sich Kompensationen, die dieser Mensch sowohl in Haltung als auch in Bewegung nutzt? Sind diese Kompensationen angemessen oder unangemessen?
•
Kann der Patient seine internen Stabilitätsgrenzen nutzen oder muss er auf externe Stabilitätsgrenzen zurückgreifen? Wenn ja, warum?
•
Suche nach der Minus-Symptomatik: In welchen muskulären Komponenten ist die Minus-Symptomatik am stärksten? Hitliste erstellen, dabei muss berücksichtigt werden:
–
Wo entstehen durch die Minus-Symptomatik die stärksten Kompensationen in Form der Plus-Symptomatik?
–
Zeigt der Patient assoziierte Reaktionen? Auf welche Minus-Symptomatik weisen sie hin?
–
Welche der Muskeln auf der Hitliste werden für die gewünschte Aktivität agonistisch benötigt und stehen nicht oder nur unzureichend zur Verfügung?
–
Wo geht die stabile Referenz für die gewünschte selektive Bewegungskomponente verloren?
•
Kann die Bewegung aufgrund von biomechanischen Veränderungen, die das ROM passiv einschränken (Kap. 3.6), nicht stattfinden?
Assessments
Standardisierte Messverfahren
•
ICF Partizipation
–
Barthel-Index, erweiterter Barthel-Index
–
Functional Independence Measure (FIM)
–
Instrumental Activities of Daily Life (IADL)
–
Canadian Occupational Performance Measure (COPM)
•
ICF Aktivität
–
Berg Balance Scale
–
Chedoke McMaster Stroke Assessment
–
Functional Ambulation Categories (FAC)
–
Motor Assessment Scale
–
Trunk Control Test
–
Rivermead Mobility Index
–
Wolf Motor Function Test
•
ICF Körperfunktion und -struktur
–
Early Functional Abilities (EFA)
–
Modifizierte Ashworth Scale
–
Motricity Index
–
Tardieu-Test modifiziert
–
Dementia Toolkit for Effective Communication (DEMTEC)
Messverfahren zur Analyse des Bewegungsverhaltens
3.1.4
Therapeutisches Vorgehen
Motorisches Lernen und Kontext
•
Orientierung in der Umwelt
•
Handlungsplanung und Bewegungsplanung
•
Automatisierte Bewegungen
•
Lernen von neuen Strategien
Merke
Optimales motorisches Lernen wird durch positive Assoziationen erreicht, somit sollten die therapeutischen Strategien für den Patienten besser sein als seine eigenen Strategien. Weiterhin erfordert die Fazilitation eines Bewegungsablaufs neben dem richtigen peripheren Stimulus einen Bewegungsplan des Individuums.
Motorisches Lernen ist die Summe von Prozessen, die durch Übung oder Erfahrung zu relativ stabilen neuronalen Veränderungen und als Folge davon zu geschickten motorischen Handlungen auch unter wechselnden Kontextbedingungen führt. (Abb. 3.18)
A. Shumway-Cook, M. Woollacott
•
Unbeabsichtigtes Lernen, das Ergebnis ist schwer in Worte zu fassen
•
Erfordert kein hohes kognitives Niveau
•
Ist eng verknüpft mit dem Cerebellum, den Basalganglien und dem sensomotorischen Kortex
Fazilitation – Gestaltung eines interaktiven Lernprozesses
Vorgehensweise und Techniken
Trainieren der schwachen Muskeln (Minus-Symptomatik)
Für die Praxis
Therapeutisches Prinzip: Minus-Symptomatik vor Plus-Symptomatik!
1.
Wo sind die aktuellen motorischen Leistungsgrenzen des Patienten?
a.
Kraft: Fähigkeit der Muskulatur zu konzentrischer, exzentrischer und isometrischer Arbeit
b.
Ausdauer/Belastbarkeit: allgemeine (aerobe) Ausdauer, aber auch Kurzzeit-Ausdauer
c.
Mobilität: Beweglichkeit der passiven Strukturen (Kap. 3.5)
2.
Beurteilung der aktuellen motorischen Leistungsgrenzen:
a.
Lassen sich mit diesen Leistungsgrenzen die Ziele des Patienten auf Partizipations- und Aktivitätsebene verwirklichen?
b.
Ist die Leistungsfähigkeit in den verschiedenen Körperabschnitten unterschiedlich?
3.
Zielsetzung auf Körperfunktions- und -strukturebene:
a.
Wenn Motorik das Hauptproblem ist, muss Motorik trainiert werden …
•
Repetition ohne Repetition
•
Interne und externe Feedforward-Informationen
•
Therapeutische Kommunikation: Hände, Sprache, Körper
•
Stabil-selektiv
•
Shaping
•
Reinforcement Design – Trial & Error und Lernen durch Erfolg
•
Therapeutischer Dialog
•
Bewegungsbeobachtung
Repetition ohne Repetition
Merke
Repetition bedeutet Wiederholung und ist die Grundlage der Funktionsverbesserung in allen neurofunktionellen Systemen. Repetition ist auf Körperfunktions-/-strukturebene, Aktivitäts- und Partizipationsebene anwendbar.
•
Ziel ist es nicht, einzelne Muskelgruppen mit Wiederholung zu trainieren („Übungen“).
•
Ziel ist es, einzelne Muskelgruppen immer wieder arbeiten zu lassen, aber immer wieder unter anderen Bedingungen. Somit erfährt die Muskelgruppe zwar Repetition – aber in Variation.
Beispiel
In der therapeutischen Diagnostik hat sich herausgestellt, dass die Mm. glutei maximus, medius und minimus eine Minus-Symptomatik haben. Der Therapeut lässt nun diese Muskelgruppe stabil-selektiv in verschiedenen Funktionen arbeiten:
•
In der Aktivität Rückenlage zu Seitenlage arbeiten die Mm. glutei der Standbeinseite in Wiederholung exzentrisch antagonistisch, beim Wechsel über das Schwerelot in Richtung Bauchlage dagegen exzentrisch agonistisch. Die Wiederholung ergibt sich über die Anwendung von stabil-selektiv (s. u.).
•
In der Aktivität Seitenlage zum Sitz arbeiten die Mm. glutei der Standbeinseite exzentrisch antagonistisch.
•
In der Aktivität Sitzen zum Stehen arbeiten die Mm. glutei exzentrisch agonistisch, genauso in der Aktivität Bücken.
•
In der Aktivität Stand zum Einbeinstand arbeiten die Mm. glutei der Standbeinseite exzentrisch agonistisch.
In allen Aktivitäten mussten die Mm. glutei arbeiten, aber immer wieder anders, abhängig von Schwerelot, „Chef“-Funktion und der therapeutischen Interventionen.
Um die Leistung zu konsolidieren, gibt der Therapeut seinem Patienten ein alltagsorientiertes Eigentraining: Hose, Strümpfe und Schuhe anziehen im Stand und Einbeinstand (ggf. steht der Patient rücklings in einer Ecke und vor ihm ein Stuhl [Umwelt]). Durch diese Art von Eigentraining ist ebenfalls die Repetition gesichert – man führt dies häufiger am Tag durch.
Interne und externe Feedforward-Informationen
•
Aufgabenbezogenes Lernen mit externem Fokus, also auf den Bewegungseffekt bezogen.
•
Beispiel: Der Patient soll seinen Fuß auf den Stuhl stellen, um die Schuhe zu binden. Der Fokus liegt auf dem Gelingen der Aufgabe – die Schuhe sind geschnürt.
•
Bewegungsbezogenes Lernen mit internem Fokus, also auf den Bewegungsablauf bezogen.
•
Beispiel: Der Patient soll seinen Fuß auf einen Stuhl stellen, um die Schuhe zu binden. Der Fokus liegt auf der Bewegung: Wie und wo im Körper macht man es (wohin geht dabei das Becken, wo ist mein Schwerpunkt, was macht mein Standfuß etc.).
Therapeutische Kommunikation: Hände, Sprache, Körper
•
Bewegung erfahren lassen, für die der Patient keine Bewegungsplanung hat
•
Führung oder Hilfe für das erwünschte Bewegungsprogramm
•
Zeigen der gewünschten Muskelarbeit in Konzentrik oder Exzentrik durch tiefe Streichungen im Muskel
•
Zeigen der unerwünschten Muskelarbeit („Go into the Pattern to go out“)
•
Sichern der stabilen Referenz für die selektive Bewegung
•
Wegnehmen der stabilen Referenz („Trial & Error“)
•
Schützen einer Struktur durch Einstellen von Alignment (z. B. Gelenk)
•
Bewegungsbegrenzend, begleitend, unterstützend
•
Sicherheit vermitteln
•
Bewegungsfordernd, kraftverstärkend (z. B. Widerstände)
•
Vergrößern des Bewegungsausmaßes, z. B. Techniken an passiven Strukturen (Kap. 3.5)
Für die Praxis
Passives Arbeiten ist nur indiziert, wenn kein neurofunktionelles System des Patienten aktiv mitarbeiten kann!
Stabil-selektiv
•
Der Thorax wird stabil gehalten:
–
Das Becken bewegt selektiv:
–
Anterior und posterior
–
Rotatorisch
–
Lateralflexorisch
–
Die Scapulae bewegen selektiv:
–
Elevation und Depression
–
Abduktion und Adduktion
–
Innenrotation und Außenrotation
–
Die HWS bewegt selektiv:
–
Flexion und Extension
–
Lateralflexion
–
Rotation
–
Die Extremitäten bewegen selektiv:
–
In allen Freiheitsgraden
•
Das Becken wird stabil gehalten:
–
Der Thorax bewegt selektiv:
–
Flexion und Extension
–
Lateralflexion
–
Rotation
•
Der gesamte Rumpf wird stabil gehalten:
–
Die Extremitäten bewegen selektiv in allen Freiheitsgraden.
Shaping
•
Shaping up = es schwerer machen
•
Shaping down = es leichter machen
•
Konzept der Partizipation (Kap. 1.2.1):
–
Shaping up: ein französisches 5-Gänge-Menü
–
Shaping down: Nudeln kochen
•
Konzept der Aktivität (Kap. 1.2.2)
–
Shaping up: Gehen plus Transport, um den vollen Topf mit Wasser von der Spüle zum Herd zu tragen
–
Shaping down: Aktivität Sitz zum Kleinschneiden der Zutaten
•
Konzept der Körperfunktion/-struktur (Kap. 1.2.3)
–
Motorisches System:
–
Hier gilt: Exzentrische Muskelarbeit ist schwerer als konzentrische und agonistisch ist schwerer als antagonistisch. Am schwersten ist also exzentrisch agonistische Muskelarbeit.
–
Shaping up: Mm. glutei arbeiten exzentrisch agonistisch in der Standbeinphase, während ein Tablett voller Geschirr zum Esstisch getragen wird.
–
Shaping down: Mm. glutei arbeiten exzentrisch antagonistisch, während die Teller mittels Rollator zum Esstisch gebracht werden.
–
Perzeptives System:
–
Shaping up: Während des Kochens unterhält sich der Patient mit Familienangehörigen; Körperschema und Oberflächensensibilität melden automatisch zurück ohne kognitive Überwachung.
–
Shaping down: reizarme Umgebung, visuelle Kontrolle jedes einzelnen Handgriffs.
–
Biomechanisches System:
–
Shaping up: Patient geht in die Hocke, um ganz hinten aus dem unteren Schrank einen Topf zu holen. Alle Gelenke haben volles Bewegungsausmaß, um diese Bewegung zu ermöglichen.
–
Shaping down: Patient setzt sich auf einen Stuhl, um ganz hinten aus dem unteren Schrank einen Topf zu holen. Seine oberen Sprunggelenke haben eine Einschränkung in die Dorsalextension.
•
Kontextfaktor Umwelt:
–
Shaping up: Normale Küche mit Einbauschränken, erreicht werden müssen sowohl hohe als auch tiefe Schränke.
–
Shaping down: Angepasst Küche mit höhenverstellbaren Schränken, keine Oberschränke, Unterschränke sind mit ausfahrbaren Regalböden versehen.
Reinforcement Design – Trial & Error und Lernen durch Erfolg
Therapeutischer Dialog
Bewegungsbeobachtung
Gestaltung einer Therapieeinheit
•
Whole Learning – Lernen im Ganzen
•
Pure Part Learning – Lernen in reinen Einzelteilen
•
Progressive Part Learning – Lernen von aufeinanderfolgenden Teilen
•
Whole to Part to Whole Learning – Lernen zunächst als Ganzes, dann von Teilen und dann wieder des Ganzen
Beispiel
Nehmen wir als Beispiel Frau G. Sie hat einen Schlaganfall erlitten (Diagnose = ICD, Kap. 1).
•
Ihr Ziel auf Partizipationsebene (Kap. 1.2.1) ist Kochen.
•
Ihr Ziel auf Aktivitätsebene (Kap. 1.2.2) ist Gehen plus Transport.
•
Ihr Hauptproblem auf Körperfunktions-/-strukturebene (Kap. 1.2.3) ist das motorische System; hier ergibt sich folgende Hitliste ihrer schwachen Muskeln (Minus-Symptomatik; Kap. 3.1.2):
a.
Mm. glutei re > li
b.
Mm. obliquus externus + internus bds.
c.
M. trapezius Pars ascendens + transversus bds.
d.
M. tibialis anterior re
e.
M. infraspinatus + M. teres minor re
f.
M. triceps brachii re
g.
Mm. extensor carpi radialis + ulnaris
ICF-basierte therapeutische Arbeitshypothese (Kap. 1): Wenn Frau G. mehr Core Stability (Kap. 3.1.3) hätte → dann könnte sie Gehen + Transport → dann könnte sie kochen. Tab. 3.5 beschreibt eine mögliche Therapie.
Alltagsorientiertes Eigentraining
Beispiel
Ich möchte hier als Beispiel von meiner Mutter berichten, die nach einer großen Schulter-OP versuchte, ihren rechten Arm wieder in den Alltag einzubinden. Zunächst erstellte ich mit ihr zusammen ein Zirkeltraining in der Küche:
•
Am Besenschrank sammelte sie ca. 40 Kugelschreiber aus einem Kästchen ganz unten heraus und räumte sie wieder ein (statt Pendeln).
•
In einer Schublade hat sie ihre Brotmaschine; diese stellte sie ca. 10× auf und klappte sie wieder ein (Abduktoren, Außenrotatoren kon- und exzentrisch).
•
Über der Spüle hat sie in einem Oberschrank Gläser auf zwei Ebenen; sie räumte alle Gläser einmal aus und wieder ein (Flexion kon-/exzentrisch, Erweiterung des ROMs).
•
In der Kühlschranktür standen vier 2-Liter-Flaschen. Sie stellte sich auf eine Markierung am Boden, klemmte sich ein Kochbuch unter den Ellenbogen und öffnete und schloss so die schwere Kühlschranktür ca. 15× (Außenrotation kon-/exzentrisch).
Dieses Eigentraining absolvierte sie zu Anfang 3× täglich (meine Mutter ist sehr ehrgeizig …). Irgendwann berichtete sie mir Folgendes: „Ich wollte ein Glas holen und plötzlich ist mir aufgefallen, dass ich es automatisch mit rechts aus dem Schrank genommen hatte.“
Und genau das ist die Zielsetzung bei einem alltagsorientiertem Eigentraining: Zunächst ist es „Übung“, aber dann passiert der Transfer und es wird Automatisation. Dies wird mit abstrakten Übungen eher nicht passieren; daher ist das Binden an den Alltag des individuellen Patienten absolut erforderlich.
Constraint Induced Movement Therapy (CIMT)
Interdisziplinärer Aspekt
Literatur
Alacamlioglu et al., 2001
Betz and Heel, 2006
Binkoski et al., 2004
Forssberg and Hirschfeld, 1984
Frommelt and Lösslein, 2010
Kibler et al., 2006
Klemme and Siegmann, 2006
Ritter et al., 2014
Shumway-Cook and Woollacott, 2007
Wulf et al., 1998
Perzeptives System
Das perzeptive Systemperzeptives System umfasst zum einen die Gesamtheit der Vorgänge der Wahrnehmung, zum anderen auch den Inhalt der Wahrnehmung selbst. Als Perzeptionen werden primär unbewusste Prozesse individueller Informations- und Wahrnehmungsverarbeitung bezeichnet. Dazu gehören auch die zugrunde liegenden neurophysiologischen Prozesse der Sinneswahrnehmung.
3.2.1
Propriozeption
Aufbau und Funktion
Merke
Tritt im Rahmen einer zentralen Parese Minus- oder auch Plus-Symptomatik auf, so ist durch die nachfolgende Immobilität die Aktivität der Propriozeptoren erniedrigt.
Pathologien und Symptome
•
Einbußen in PropriozeptionPathologienKoordination, Präzision und posturaler Stabilität
•
Veränderte Interaktion mit der Unterstützungsfläche (Kap. 3.1.3)
•
Veränderte Bewegungsstrategien, da eine Handlung mit dem aktuellen Körperschema geplant und durchgeführt wird. Das Körperschema bildet sich zu großen Teilen aus der Propriozeption im Moment des Handelns.
Physiotherapeutische Untersuchung und Diagnostik
•
MirroringPropriozeptionphysiotherapeutische Untersuchung
•
Prüfen von Bewegungssinn und Lagesinn (Kap. 3.2.2)
•
Thumb Finding Test (TFT)
•
Big Toe Localisation Test (BLT)
•
Clinical Reasoning (Kap. 3.1.3): Wie wirkt sich eine Einschränkung des Lage- und Bewegungssinnes auf Bewegung, Gleichgewicht und Handeln der Patienten aus?
Therapeutisches Vorgehen
Für die Praxis
Ziel ist immer, dass die für den Bewegungsablauf passende Körpereinstellung zu Beginn der Bewegung, eine angepasste Muskelstärke während der Bewegung und das Erreichen eines günstigen Bewegungsendes stattfinden. Dies zeigt an, dass die Propriozeption gesichert ist.
3.2.2
Oberflächensensibilität
Aufbau und Funktion
•
Wenn wir gehen, werden die Fußsohlen mechanische Informationen liefern über:
–
Form (Schrägen sind von Bedeutung) und Beschaffenheit des Bodens (das, was durch den Schuh hindurch die Fußsohle erreicht)
–
Druck- und Zugveränderungen an der Fußsohle, die durch Gewichtsverlagerungen des Körpers beim Abrollen entstehen
•
Die mechanischen Eindrücke entstehen:
–
Durch unsere Bewegungen: Die Haut dehnt sich oder sie nähert sich an; durch die Bewegungen ändern sich die Kontakte zur Umgebung.
–
Durch sich bewegende Objekte, die unsere Oberfläche erreichen.
–
Indem wir bewegt werden, z. B. in einer Straßenbahn. Die Haut erfährt Kompression, Entlastung und unterschiedlichste Vibrationen.
Pathologien und Symptome
•
DysästhesieDysästhesie: Empfindungsstörung der Haut
•
HypästhesieHypästhesie: Verminderung der Berührungs- und Drucksensibilität der Haut
•
HyperästhesieHyperästhesie: Überempfindlichkeit der Haut auf Berührungsreize
•
HypalgesieHypalgesie: vermindertes Schmerzempfinden der Haut
•
HyperalgesieHyperalgesie: übermäßige Schmerzempfindlichkeit der Haut (Kap. 2.5)
Physiotherapeutische Untersuchung und Diagnostik
•
Hemispheric Stroke ScaleOberflächensensibilitätphysiotherapeutische Untersuchung
•
Erasmus modified Nottingham Sensory Assessment (Em-NSA)
•
Fugl-Meyer Sensory Scale
•
Clinical Reasoning (Kap. 3.1.3): Wie wirkt sich eine Einschränkung der Oberflächensensibilität auf Bewegung und Handeln der Patienten aus?
Therapeutisches Vorgehen
•
Die Ausgangsstellung muss gut gestaltet werden, z. B. Sitzen am Tisch: Sitzhöhe und Tischhöhe so einstellen, dass der Unterarm aufliegen kann, ohne die Schulter zu stauchen oder an ihr zu ziehen. Die Hand verbleibt in einer lockeren Haltung ohne Zwang.
•
Ein kleines Hautareal z. B. in der Handfläche oder an einer Fingerkuppe auswählen, diesem Areal Berührung und Druck anbieten: Man kann mit dem Fingernagel sanft und bestimmt in das Gewebe sinken, dort verweilen, Druckintensität und Druckrichtung langsam und unrhythmisch ändern, den Mechanosensoren Kontraste anbieten. Gleichmäßiges, gleichförmiges Arbeiten sollte vermieden werden.
•
Nicht zu schnell aufgeben, nicht nebenher über irgendetwas reden oder vom Geschehen ablenken.
•
Es kann etliche Minuten dauern, bis der Patient irgendeine Sensation der Haut wahrnimmt.
•
Zeit bis dahin messen. In der nächsten Therapieeinheit kann sie kürzer sein; es ist möglich, dass Patienten, die monatelang gar nichts gespürt haben, im Laufe der Zeit in der Lage sind, sofort zu spüren.
•
Oft fühlt sich das wiedergewonnene Spüren für den Patienten zunächst seltsam an: dumpf, unscharf, schwer lokalisierbar oder spitz, scharf, unangenehm … Das ist zunächst normal und erwünscht. Diese Empfindungen sind Grundlage für die weitere Differenzierung des Spürens.
•
Wenn sich für ein Hautareal oder z. B. für einen Finger das Tor zur besseren Verarbeitung und zum Spüren geöffnet hat, ist davon auszugehen, dass dies für benachbarte Areale ebenfalls möglich ist.
•
Gezielt etwas aus der Umgebung zum Spüren anbieten, z. B. eine Tischkante, einen Knopf an einem Kleidungsstück, das Knopfloch, einen Schuh, und damit das gewonnene Spüren sofort in Bewegungen integrieren.
•
Dabei wird das Fühlen betont, noch nicht die Handlung.
•
Zwei-Punkte-Diskrimination notieren: Auf einem Blatt Papier die Hand aufmalen. Der Handrücken liegt dabei auf dem Papier. In der Handfläche zwei Punkte gleichzeitig berühren. Den Patienten fragen, ob er einen oder zwei Punkte spürt. Auf dem Papier eintragen, wo er zwei Punkte getrennt spürt (die Stelle, an der er sofort spürt, mit einem + und dort, wo er ein wenig Zeit braucht, mit einer 0 markieren). Nach der Therapie, nach Tagen, nach Wochen wiederholen.
•
Man sollte sich klar darüber sein, dass die Hand als sensomotorische Einheit zu sehen ist. Sie braucht auch das Stimulieren der Propriozeptoren: der intrinsischen Muskeln der Hand.
•
Wesentlich sind die richtige Instruktion des Patienten, die gezielte Aufmerksamkeitslenkung auf die Aufgabe und die Verknüpfung von sensiblen und (fein-)motorischen Aufgaben.
Alltagsorientiertes Eigentraining
•
Oberflächensensibilitätalltagsorientiertes EigentrainingEine Übung mit definiertem Anfang und Ende ist günstig. Vorschlag: Stempelfarbe (gibt es für Kinder im Spielwarengeschäft) aufdrucken und abrubbeln.
•
Wenn der Patient selbst stimuliert, wird er dafür seine nicht betroffene Hand benutzen. Dies wird als eher ungünstig angesehen, deshalb besser Unterstützer anleiten.
3.2.3
Vestibuläres System
Aufbau und Funktion
•
Drehbeschleunigungen, Auf- und Abbewegungen, Seitneigen und deren Kombinationen.
•
Lineare Bewegungen: vorwärts/rückwärts wie beim Gehen, Autofahren etc., seitwärts, auf/ab wie z. B. beim Aufstehen vom Sitzen oder in einem Fahrstuhl.
•
Die Rezeptoren reagieren auf Veränderungen der Geschwindigkeit und der Bewegungsrichtung. Bei konstanter Geschwindigkeit wie im Auto oder gleichbleibender Richtung melden sie nichts.
Merke
Ein Patient wird sich variabler halten und bewegen können, je besser das vestibuläre System mit den anderen Systemen der motorischen Kontrolle zusammenarbeitet.
Pathologien und Symptome
•
Gleichgewichtsprobleme, Haltungsverlust, Stehen und Gehen können sehr schwierig sein.
•
Große Probleme, ein Zielobjekt optisch zu fixieren; wenn Betroffene sich bewegen, wird es unmöglich.
•
Selbst durch den pulsierenden Herzschlag hervorgerufene Bewegungen des Kopfes können Irritationen hervorrufen. Ebenso irritierend kann Zähneputzen sein.
•
Schwierigkeiten, beim Lesen den Zeilenanfang zu finden.
•
Nystagmus.
•
Schwindel: Der Betroffene kann das Gefühl haben, dass sich die Welt um ihn dreht oder abkippt. Oder er hat ein falsches Gefühl von Bewegung des Körpers wie Drehen, Schwanken (Kap. 2.4).
•
Übelkeit.
•
Möglicherweise haben wir einen Patienten vor uns, der
–
selbst ataktisch wackelt,
–
die Welt um ihn herum wackeln sieht und schwankend empfindet (Oszillopsie),
–
Teile seines Körpers nicht spürt.
•
Bei Schädigungen im Hirnstamm können zum vestibulären System gehörende Bahnen und Strukturen betroffen sein. Es ist möglich, dass die Betroffenen alle 4 Extremitäten recht gut bewegen können. Das macht einen guten Eindruck im Bett oder im Rollstuhl. Sobald die Patienten versuchen, zu stehen oder Schritte zu tun, zeigen sich große Probleme, den Körper über beiden Füßen oder für Schritte und Gehen über einem Fuß zu balancieren.
Physiotherapeutische Untersuchung und Diagnostik
•
Identifizieren der vestibuläres Systemphysiotherapeutische Untersuchungzugrunde liegenden Einbußen, z. B. Minus-Symptomatik, Plus-Symptomatik (Kap. 3.1.2)
•
Biomechanische, sensorische, neuromuskuläre Faktoren
•
Clinical Reasoning
•
Differenzierung von Schwindel (Kap. 2.4) im Stehen mit der Fragestellung: Kann der Proband stehen, ohne zu kippen oder sich festzuhalten?
–
Mit offenen Augen und ruhiger Kopfhaltung
–
Mit geschlossenen Augen bei ruhiger Kopfhaltung
–
Mit offenen Augen bei Kopfbewegungen
–
Mit geschlossenen Augen bei Kopfbewegungen
Therapeutisches Vorgehen
•
Für „rezeptive Füße“ arbeiten: Maßnahmen zu Verbesserung der Beweglichkeit innerhalb des Fußes und der Muskulatur der Wade werden zu einer aktiveren und anpassungsfähigeren Fußmuskulatur führen. Wenn die Ferse in der beginnenden Standbeinphase dadurch mittiger aufsetzt, wird das vestibuläre System beginnend beim Auftreten für die gesamte Standbeinphase besser arbeiten
•
Den zerviko-occipitalen Übergang befunden und ggf. behandeln: Muskuläre und biomechanische Asymmetrien sind möglicherweise Folge einer vestibulären Problematik. Gleichzeitig verhindert das Bestehen solcher Asymmetrien die Wirkung des vestibulären Systems auf den ganzen Körper.
•
Arbeit auf mobilem Untergrund: Sollte diese zu verstärkter Plus-Symptomatik führen, die während des Ausübens nicht sinkt, ist davon auszugehen, dass das vestibuläre System überfordert ist. Dann muss die Aufgabe anders gestellt werden.
•
Achtung: Festhalten mit den Händen an Griffen und Stangen ist im Alltag häufig notwendig. Dies fördert allerdings kompensierende Beugesynergien. Für Training von Aufrichtung, Kraft und Balance sind leichte Fingerberührung auf einem Tisch oder an der Wand besser.
•
Einsatz von Trampolin: federn, wippen, hüpfen, bis zu Drehsprüngen.
•
Für hohes Leistungsniveau: kleines Kippbrett verwenden, um darauf im Stehen zu arbeiten. Das Brett so benutzen, dass anteriorposterior Bewegungen möglich sind. Das Ziel ist, dass die Patienten mit Sprunggelenksstrategie das Brett zunächst steuern und dann darauf balancieren können, auch auf einem Bein stehend. Einführen des Therapiekreisels.
•
Geräte aus dem Fachhandel, die den Körper und den Kopf rhythmisch erschüttern und vibrieren: Man kann auf den Geräten stehen. Sie wirken direkt auf viele Propriozeptoren, Mechanorezeptoren und das Gleichgewichtsorgan im Innenohr. Den Effekt der Geräte nutzen, um anschließend mit den Patienten an ihrer Leistungsgrenze bezüglich ihres Gleichgewichts zu arbeiten.
•
Zunächst Irritationen des vestibulären Systems vermeiden. Achtung beim Hochstellen des Kopfteils oder beim Drehen oder Aufsetzen des Patienten. Es ist wichtig, die optischen, propriozeptiven und vestibulären Informationsquellen für eine Bewegung passend zu verknüpfen und zu integrieren.
•
Sicherheit vermitteln: Sichere körpernahe Führung des Patienten, optische Abgründe mit Möbeln zustellen, z. B. im Krankenhausbett beim Drehen auf die Seite den Nachttisch dicht an den Kopfteil heranschieben.
•
Nicht überfordern, wenn es nicht sein muss. Aber: Wir müssen Aktivitäten anbieten, denn nur dadurch bekommen das vestibuläre System und seine Partner die Anregung, die sie zum Lernen brauchen.
•
Bewegungen des Kopfes im Raum bei Bewegungsübergängen in die Rumpfaktivität integrieren. Die Integration der Kopfhaltung in aktive rotatorische Rumpfaktivitäten bewirkt viel propriozeptiven Einstrom und ist besonders wichtig.
•
Den Blick nicht ausreißen lassen. Es hilft möglicherweise, wenn der Blick sich in die Richtung bewegt, in die sich die Belastung des Körpers hinbewegt. Beim Aufsitzen aus Seitenlage rechts werden der rechte Ellenbogen und die rechte Hand wichtig. Um dann aufzustehen, werden die Knie, die Füße und der Boden unter den Füßen wichtig. Wenn sich der Blick zu früh hebt, kann es sein, dass Schwindel und Haltungsverlust eintreten.
•
Bei akutem Schwindel kann es notwendig sein, den Körper beim Aufstehen vom Sitzen tief zu lassen – die Hände auf den Knien, Blick auf Hände, Knie und Füße – und auf diese Weise kleine Schritte machen. Die Schwindelsymptomatik nimmt ab, wenn der gesamte Körper ein höheres Aktivitätsniveau erreicht. Es ist von Vorteil, wenn dies ohne vegetative Entgleisungen möglich ist. Deshalb langsam vorgehen.
•
Auf dem Bewegungsweg Stopps einlegen, bis sich die Schwindelgefühle wieder beruhigt haben.
•
Kopfbewegungen von Augenbewegungen trennen.
•
Beispiel: eine gute Körperposition im Sitzen, Stehen oder Liegen einnehmen. Kopf, Augen und Körper sind nach vorne ausgerichtet.
–
Die Augen richten den Blick auf einen Punkt. Der Blick bleibt dort, während der Kopf sich nach links und wieder zur Mitte zurück dreht. Mehrmals zu einer Seite wiederholen. Pause. Dann zur rechten Seite genauso verfahren.
–
Kopf und Körper bleiben still, nur die Augen bewegen nach links. Mehrmals wiederholen. Pause. Zur anderen Seite genauso verfahren.
–
Das beschriebene Übeprinzip für die Bewegung Blick heben – Kopf heben und Blick senken – Kopf senken absolvieren.
•
Dem Leistungsstand angepasst weitere Aufgaben entwickeln. Auch Kopfbewegungen von Rumpfbewegungen trennen. Beispiele für höheres Leistungsniveau:
–
An einer Bordsteinkante stehen, nach links – rechts – links schauen, den bewegenden Verkehr einschätzen, Straße queren.
–
Auf einem Weg gehen, dabei den Kopf nach links und rechts drehen.
–
Auf einem Waldweg stehen, Kopf im Nacken, Blick nach oben in die Bäume, gehen. Wird die Gehrichtung beibehalten?
–
Tretroller fahren, Fahrrad fahren, Auto fahren, Blick über die Schulter rechts und links.
–
Auf Schemel, Hocker, Leiter steigen, um oben etwas aus dem Schrank zu holen, Vorhänge aufzuhängen etc.
•
Einen Bewegungsübergang von Rückenlage auf dem Boden über die Zwergenhaltung, den Seitsitz, den Vierfüßlerstand zum Stehen gestalten. Rotatorische Aktivität im Rumpf verstärkt den propriozeptiven Einstrom. Den Händen kann ein Hocker angeboten werden, wenn sich ein Bein aufstellt, um dann aufzustehen. Beim Aufstehen vom Boden nimmt der Kopf einen sehr großen Weg durch den Raum, von 0 cm bis zur vollen Körpergröße über dem Boden. Es geht zunächst nicht darum, diese Aktivität irgendwie auszuführen. Es geht darum, innerhalb von Teilaktivitäten die Körper-, Kopf- und Augenkontrolle passend zu integrieren. Beispiel: in der Zwergenhaltung (Seitlage mit aufgestütztem Ellenbogen, Haltung mit viel rotatorischer Rumpfaktivität) verweilen und integrierend arbeiten:
–
Den Blick am stützenden Unterarm entlang wandern lassen, vom Ellenbogen zur Hand und zurück.
–
Versuchen, den Rumpf in dieser Haltung schlängelnd zu bewegen.
–
Die Beine einzeln bewegen lassen.
–
Aus dieser Lage unter exzentrischer Kontrolle wieder in die Rückenlage arbeiten. Dabei beachten, dass die Halteaktivität des Kopfes mit den Bewegungs- und Halteaktivitäten des Brustkorbs verbunden ist.
–
Wieder in die Zwergenhaltung bewegen und von dort aus den nächsten Bewegungsweg in den Seitsitz erarbeiten.
•
Innerhalb des gesamten Bewegungsübergangs ändern sich die dazugehörigen neuromuskulären Koordinationen vielfach. Dies erfordert viel Wissen und manuelle Geschicklichkeit vom Therapeuten. Das vestibuläre System verzeiht keine Fehler.
Merke
Das vestibuläre System ist uns unbewusst, solange es normal funktioniert. Sollte es aber nicht normal funktionieren, werden wir an nichts anderes mehr denken können als an das Gleichgewicht.
3.2.4
Optisches System
Aufbau und Funktion
•
Farben sehen.
•
Formen sehen.
•
Visuelle Vertikale und visuelle Horizontale erkennen.
•
Ausdehnung und Größe von Objekten einschätzen.
•
Abstände und Entfernungen einschätzen:
–
Körperfern: Anordnung eines Raums: Wände, Boden, Fenster, Möbel, Hindernisse
–
Körpernah: in der Reichweite des Armes für Auge-Hand-Koordination
•
Sich bewegende Objekte einschätzen.
•
Sich bewegende Objekte verfolgen, weiches Verfolgen (Smooth Pursuit).
•
Oberflächenbeschaffenheit erkennen.
•
Konsistenz erkennen.
•
Hell-Dunkel-Sehen.
•
Bewegung des Auges im Kopf
•
Der VOR gewährleistet, dass das gewünschte Bild auf der Netzhaut ruhig bleibt, während sich der Kopf gegenüber der Umwelt bewegt.
•
Kopf-gegenüber-Körper-Koordination
•
Körper-für-Kopf-Koordination
•
Arm-Körper-Koordination
•
Hand-Ziel-Koordination: Entfernung, Form, Konsistenz, Gewicht und die geplante Handlung bestimmen, wie sich die Hand für das Greifen formt.
Pathologien und Symptome
Hemianopsie
Physiotherapeutische Untersuchung und Diagnostik
Therapeutisches Vorgehen
•
Nach einer Gesichtsfeldmessung (Perimetrie) fragen, um das Ausmaß einschätzen zu können; nach Befunden der neuropsychologischen Diagnostik und Therapie fragen, um alternative Ursachen der gestörten Wahrnehmung zu ergründen (z. B. Neglectsyndrom); mit Ergotherapeuten zusammenarbeiten.
•
An der Körper-Körper-Orientierung arbeiten; Propriozeption, posturale Kontrolle, Ausrichtung des Körpers im Raum und zur nahen Umgebung verbessern. Beispiel: Ein Patient hat einen Gesichtsfeldausfall nach rechts und ebenfalls rechtsseitig eine Hemiplegie mit Minus-Symptomatik. Er sitzt im Rollstuhl. Sein Körper hängt nach rechts, sein Kopf ist die Schiefhaltung kompensierend nach links gedreht. Schon wegen seiner Körperhaltung kann er das rechte Gesichtsfeld nicht explorieren. Es kann sein, dass es Zeit braucht, bis der Patient sich mit unserer Hilfe im aktiven Sitzen mittig ausgerichtet hat. Einem verbalen Auftrag: „Setzen Sie sich gerade hin“ wird er nicht erfolgreich nachkommen können.
•
Räume reizarm gestalten, da das optische System viel Aufmerksamkeit bindet, wenn sich im Blickfeld bewegende Objekte oder bewegte Bilder befinden.
•
Sich überlegen, wie der Therapieplatz gewählt und angeordnet wird: Man kann vor einer Wand arbeiten, neben einer Wand, mit dem Rücken zur Wand, Bänke und Stühle dicht heranstellen, zwischen zwei Tischen arbeiten, die Tische können parallel oder schräg zueinander stehen. Die Anordnung des Raums wird die Bewegungsmöglichkeiten des Patienten beeinflussen. Zu einem sicheren Tisch kann man sich im Sitzen und Stehen eher hinbewegen als in den freien Raum.
•
Räume, in denen sich der Patient aufhält, mit ihm zusammen erkunden. Welche Anordnungen des Raums sind erleichternd, welche sind erschwerend? Wie finde ich meine Dinge, meine Wege? Beim Hausbesuch auch im Badezimmer oder in der Küche arbeiten. Es kann sein, dass der Patient zu Fuß ins Bad kommt, aber nicht mehr heraus, weil er beim Hineingehen rechts die Wand neben sich hat und beim Herausgehen rechts den Abgrund einer Badewanne.
•
Bei einer Hemiplegie rechts und einem Gesichtsfeldausfall nach rechts die sensomotorische Integration der betroffenen Hand fördern, z. B. mit der rechten betroffenen Hand im intakten linken Gesichtsfeld des Patienten arbeiten. Dabei sowohl die Sensorik und die Motorik beachten. Das Aktivieren der intrinsischen Handmuskulatur ist wichtig. Sobald sich die Aktivität der Hand verbessert, verfolgen die Patienten mit dem Blick oft ohne Aufforderung die Hand, wenn sie sich in das rechte Gesichtsfeld bewegt. Wenn die Hand und der Blick dort sind, ist es gut möglich, dass der Rumpf sich mit Leichtigkeit und guter Aktivität in den rechten Raum hinein bewegt. Diese Rumpfaktivität in den Bewegungsübergang Sitzen-Aufstehen und in das Gehen integrieren.
3.2.5
Akustisches System
Aufbau und Funktion
•
Richtungshören
•
Variable Lautstärke wahrnehmen
•
Geräusche hören
•
Sprache hören
•
Unterscheiden, was Sprache, Lärm, Geräusch, Gefahr oder uninteressante Information ist
Pathologien und Symptome
•
Schwerhörigkeit
•
Gehörlosigkeit
•
Tinnitus
•
Störungen der Wahrnehmung durch Fehlinterpretation:
–
Der Patient ist nicht mehr in der Lage, akustische Signale zu orten.
–
Der Patient ist nicht mehr in der Lage, ein Geräusch auszublenden (da im Gehirn dieses Geräusch immer wieder als „relevant einsortiert“ wird). Hier wird z. B. das Piepsen des Monitors immer wieder wahrgenommen und der Patient gerät in „Stress“.
–
Der Patient ist nicht mehr in der Lage, Schallwellen so zu interpretieren, dass er zwischen Geräusch und Sprache unterscheiden kann. Er reagiert nicht auf Ansprache oder er reagiert bei dem kleinsten Geräusch bereits sehr ängstlich und alarmiert.
Physiotherapeutische Untersuchung und Diagnostik
•
Reaktion auf Anspracheakustisches Systemphysiotherapeutische Untersuchung
•
Reaktion auf Geräusch beobachten
•
Anamnesegespräch (z. B. mit Angehörigen) mit folgenden Fragen: Prämorbider Hörschaden, Tinnitus, Hörgeräte vorhanden?
Therapeutisches Vorgehen
•
Wennakustisches Systemtherapeutisches Vorgehen möglich, in einem Anamnesegespräch (z. B. mit Angehörigen) abklären, ob der Patient auf Hörgeräte angewiesen ist, ob ein prämorbider Hörschaden besteht (z. B. Schwerhörigkeit oder Tinnitus).
•
Gegebenenfalls nach einem HNO-Befund fragen.
•
Nach Befunden der neuropsychologischen Diagnostik und Therapie fragen.
•
Kann der Patient keinerlei Geräusche/Sprache wahrnehmen, nach einer anderen Modalität zur Kommunikation/Kontaktaufnahme suchen (z. B. Papier und Bleistift, Computer bei jüngeren Patienten, geführte Interaktion in eine Handlung, die dem Patienten prämorbid bekannt ist [z. B. eine Flasche öffnen, in ein Glas einschenken]).
•
An der Wahrnehmung Körper-Raum arbeiten, Ausrichtung des Körpers im Raum und zur nahen Umgebung verbessern.
•
Den Patienten nicht nur von einer Seite ansprechen, sondern die Seite wechseln.
•
Taktile Information, bevor die Ansprache erfolgt (z. B. im interdisziplinären Team vereinbarte Stelle, die vor Ansprache immer berührt wird – z. B. linke Schulter)
•
Für Reduktion der Geräuschkulisse sorgen: Fernseher aus, für die Therapie aus dem Zimmer in einen ruhigen Behandlungsraum gehen, bei Besuch weniger Menschen auf einmal zulassen.
•
Reagiert der Patient ängstlich bei Geräuschen, für reizarme Umgebung sorgen und mit alltagsnahen Gegenständen versuchen, die Zuordnung Geräusch-Gegenstand wieder zugänglich zu machen. Vorschlag: Ein Schlüsselbund auf einen Tisch legen oder auf einen gepolsterten Stuhl legen. Unterschiede hören und wahrnehmen.
•
Musiktherapie
•
Singtherapie
•
Räume, in denen sich der Patient aufhält, mit ihm zusammen erkunden. Wie hört sich was an und woher kommt das Geräusch?
•
Abklärung Aphasie (z. B. phonologische Störung) vs. Wahrnehmungsstörung des akustischen Systems.
3.2.6
Schmerzwahrnehmung
Aufbau und Funktion
Merke
Ziel der nichtmedikamentösen Therapien ist, die körpereigenen Mechanismen der Schmerzregulation und -reduzierung zu aktivieren und die schmerzauslösende Ursache zu beseitigen.
Pathologien und Symptome
Physiotherapeutische Untersuchung und Diagnostik
•
Clinical Reasoning (Kap. 3.1.3)
•
Anamnese, auch im interdisziplinären Team
•
Biomechanische und funktionelle Belastungen suchen
•
Visuelle Analog-Skala (VAS)
•
Quantitative Sensory Testing (QST)
Therapeutisches Vorgehen
Biomechanische Ursachen von Schmerz
Vorgehensweise und Techniken
Therapeutische Ideen für afferente Regulation
•
Bei sehr empfindlicher Hautoberfläche über der Kleidung arbeiten.
•
Durch therapeutische Handhabung die zu einer Bewegung gehörende Proprio- und Mechanorezeption als sensorischen Einstrom spezifisch gestalten.
•
Für biomechanische Befunde am muskuloskelettalen System können alle bekannten physiotherapeutischen Techniken eingesetzt werden: Muskeltonus regulieren, Gelenke mobilisieren, Traktionen, bindegewebige Verklebungen lösen u. v. m.
•
Bei Ödemen kommen die üblichen physiotherapeutischen Maßnahmen zur Anwendung.
Therapeutische Ideen für deszendierende Regulation
•
Sich emphatisch mit zuversichtlich/positiver Haltung zeigen.
•
Sich nicht am Schmerzgeschehen aufhalten und alle Minute danach fragen, sonst wird der Schmerz gerne immer wieder lebendig.
•
Auf Reize unmittelbar vor dem Reiz mental vorbereiten, damit deszendierende Hemmung stattfinden kann.
•
Vergleichend arbeiten: rechte/linke Körperseite.
•
Mit Kontrasten arbeiten; dabei auffordern, die unterschiedlich starken Berührungen und Bewegungen zu unterscheiden.
•
Vermitteln, dass eine Berührung oder Bewegung an sich nichts Schlimmes ist.
•
Wenn Bewegung unangenehm ist, zunächst weiter in der schmerzhaften Haltung und Bewegung verbleiben, damit der Reiz eine Chance bekommt, verrechnet zu werden. Oft wird der Schmerz weniger oder verschwindet sogar.
•
Man kann zwischendurch die Aufmerksamkeit auf etwas anderes hinlenken und sie dann wieder zurückholen. Meist unterscheidet sich das Empfinden danach vom vorherigen.
•
Arbeiten mit positiv besetzten inneren Bildern während der Bewegung. Beispiel: Gehen und sich vorstellen, barfuß am Strand entlang zu gehen und im festen und nassen Sand am Wassersaum Fußabdrücke zu hinterlassen.
3.2.7
Wahrnehmung
Aufbau und Funktion
Merke
Die Prozesse der Wahrnehmung führen zu sinnvollem Handeln.
Pathologien und Symptome
Physiotherapeutische Untersuchung und Diagnostik
•
Clinical Reasoning (Kap. 3.1.3)
•
Auffinden von Ressourcen, die den Patienten helfen, die Verarbeitung der gesamten Sinnesinformationen zu unterstützen und zu fördern
•
Catherine-Bergego-Skala zur Abbildung der perzeptiven Fähigkeiten (Kap. 3.4.2)
Therapeutisches Vorgehen
•
Für Wahrnehmen günstige Rahmenbedingungen schaffen. Günstig ist alles, was die selektive Aufmerksamkeit unterstützt und fördert: Radio und Fernseher aus, ruhiges Umfeld, ausgewähltes Angebot an Gegenständen, keine Reizüberflutung.
•
Seh- und Hörhilfen auf Funktionsfähigkeit und Anpassung prüfen.
•
Vertrauen schaffen, bekannte Dinge benutzen.
•
Das Niveau der Patienten finden, dann können sich Erfolgserlebnisse schneller einstellen.
•
Aufgaben stellen aus alltäglichen Problemen, z. B. den Nachttisch und seine Gegenstände explorieren: Nachdem durch Therapie bessere Körper-Körper-Repräsentation entstanden ist, diese nutzen, um den Raum optisch und motorisch zu erobern.
•
Interessensgebiete der Patienten erkunden, Motivation gewinnen.
•
Die soziokulturelle Lebenswelt der Betroffenen beachten.
•
Präzise und kurze Aufforderungen.
•
Passende Ansprache: keine Babysprache, kein Militärton.
•
Zeit für Aufnehmen und Verarbeiten von Information geben.
•
Tageszeiten mit vorherrschender Müdigkeit meiden.
•
Im Tagesablauf zeitlich, örtlich und körperlich Erholungsinseln schaffen, Ritualcharakter kann hilfreich sein.
•
Auch einmal Raum geben, um Emotionen aller Art herauszulassen.
•
Beobachten, nicht interpretieren und werten.
•
Aufbauende Kritik, nicht Enttäuschung und Verachtung zeigen.
Beispiel
Patient mit Problemen der Perzeption
•
Herr Müller bekommt das Tablett auf den Tisch gestellt und wird mit seiner linken Hand an das Tablett geführt. Ihm wird erklärt, was sich auf dem Tablett befindet, und er sucht zusammen mit dem Therapeuten/der Pflegekraft die einzelnen Menübestandteile und das Besteck.
•
Herr Müller wird gefragt, mit was er die Mahlzeit beginnen möchte. Erst Wasser trinken? „Das Glas steht hier.“ Mit dem Hinweis auf das Glas könnte eine taktile Information folgen, indem die nicht betroffene Hand an das Glas geführt wird.
•
Man könnte für den Patienten das komplette Menü auf den Tisch stellen. So würde nicht das Tablett hin- und her rutschen, wenn Herr Müller beginnt, die Suppe zu essen (stabile Unterstützungsfläche, stabile Umwelt).
•
Man könnte das Mittagessen für Herrn Müller besser strukturieren und ihm zunächst nur die Suppe hinstellen und den Esslöffel in den für ihn wahrnehmbaren Bereich legen oder ihn zum Löffel hinführen.
•
Man könnte ihn beim Mittagessen begleiten (Essensbegleitung) und während der kompletten Einnahme der Mahlzeit bei ihm sitzen. Er könnte dabei geführt werden, um z. B. auch die betroffene Seite mit einzubringen (Besteckhandling).
•
Man könnte Angehörige bitten, diese Aufgabe zu übernehmen, wenn der Patient damit einverstanden ist. Häufig sind Angehörige sehr dankbar, wenn sie eine Aufgabe bekommen.
•
In einigen Kliniken gibt es aus diesem Grund Essensgruppen (Frühstücks-, Mittagessens- und Abendessensgruppe). Diese Gruppe besteht im günstigsten Fall aus maximal fünf bis sechs Patienten (je nachdem, wie schwer betroffen) und wird von einem interdisziplinären Team aus Ergo-, Physio- und Sprachtherapeut begleitet.
3.2.8
Pusher-Symptomatik
Aufbau und Funktion
Pathologien und Symptome
•
Die Patienten fallen zur betroffenen Seite.
•
Bei passiver Korrektur leisten sie Widerstand. Beim Versuch, sie zur nicht betroffenen Seite zu bewegen, reagieren sie ängstlich.
•
Sie können bereits vor dem ZNS-Ereignis vorhanden sein, z. B. durch eine Kniearthrose im nicht betroffenen Bein.
•
Durch Fallen und Stürzen aufgrund der Pusher-Symptomatik.
•
Durch schmerzhaft verspannte Hals- und Nackenmuskulatur aufgrund von Dauerkompensation der Schräglage.
•
Durch ein Vibrationsgerät kann die Dauerspannung in den kurzen Nackenmuskeln herabgesetzt werden. Für die Patienten kann dies ein erster Schritt sein, um das Pusher-Verhalten aufzulösen.
Physiotherapeutische Untersuchung und Diagnostik
•
Scale for Contraversive Pushing (SCP)
•
Modified Scale for Contraversive Pushing (M-SCP)
•
Burke Lateralpulsion Scale
Therapeutisches Vorgehen
Therapieansatz
•
Einen Sitzplatz mit fester, ebener Sitzfläche für den Patienten
•
Rechtsseitig im rechten Winkel dazu eine höhenverstellbare Therapiebank
•
Links ebenfalls einen Tisch
•
Schaumstoffpacks, Kissen o. Ä.
Therapieprinzipien
•
Für Körper-Körper-Orientierung arbeiten.
•
Körper-Raum-Beziehungen visuell und sensorisch arrangieren, deshalb wird Material in der Nähe benötigt: Packs, Hocker zum Heranziehen …
•
Aktive Rotation des Rumpfes einführen.
•
Der rechten Körperhälfte verbale Bewegungsaufträge erteilen.
•
Nie das Ziel der Bewegung ansagen, immer nur eine nächste Teilaktivität.
•
Fazilitieren kann den Patienten irritieren, er pusht möglicherweise mehr oder erneut.
•
Rhythmische Bewegungen rechte/linke Körperseite im Wechsel benutzen.
Gestaltung einer Therapieeinheit
1.
Sitzen in der Mitte erreichen, das Pushen lassen:
–
Der Therapeut setzt sich neben den Patienten auf die betroffene Seite und er darf sich beim Therapeuten anlehnen. Oft fühlt sich der Patient sofort wohler, er muss sich weniger anstrengen, er kann sich etwas entspannen.
–
Vor dem Patienten die optisch-räumliche Tiefe mit einem Stuhl, Schaumstoffpack o. Ä. zustellen. Dies kann die Angst vor dem Fallen nach vorne mindern. Den Patienten verbal auffordern, seine rechte Hand auf den Stuhl vorne zu legen.
–
Die Hand auf dem Stuhl nach vorne rutschen, zum rechten Knie, zum linken Knie bewegen lassen. Das Ziel ist, dass der Rumpf beginnt, sich in sich zu verschrauben; dann entsteht Rotationsaktivität im Rumpf. Im besten Fall löst die aktive Rotation in der Auseinandersetzung mit der Schwerkraft das Push-Verhalten auf und der Patient kann in eine senkrechtere Sitzposition begleitet werden.
–
Der Therapeut an der linken Seite des Patienten kann durch Schaumstoffpacks, die dicht an seinem Körper gelagert werden, ersetzt werden. Dann kann sich der Therapeut vor den Patienten setzen
2.
Sitzen auf der rechten Körperseite erreichen:
–
Auf der rechten Seite steht eine Bank. Der Patient wird verbal aufgefordert, seine rechte Hand auf den Tisch zu legen.
–
Sollte die Hand pushen, wird er aufgefordert, die Finger zu bewegen, die Hand umzudrehen, mit der Hand in unterschiedlichen Richtungen über den Tisch zu rutschen. Ziel ist, dass sich der Rumpf in sich und im Raum bewegt.
–
Der Patient wird aufgefordert, die rechten Rippen am Tisch anzulehnen. Wenn sie dort lehnen, können sie am Tisch nach vorne und wieder zurück rutschen.
–
Sollte der rechte Fuß außerhalb der Körpermitte stehen, kann man den Patienten auffordern, die Zehen zu bewegen, die Fußspitze nach innen und nach außen zu drehen oder das rechte Knie nach innen und nach außen zu bewegen.
3.
Die betroffene Körperseite ordnen, Steigern des guten selektiven und aufgerichteten Sitzens auf der rechten Körperseite:
–
Das hypotone, deshalb schwere, fallende linke Becken anheben; die zu tragende Last auf der nicht betroffenen Seite steigt. Ein Polster (gefaltetes Handtuch) unter das linke Gesäß legen, das die durch die Hypotonie der Muskulatur entstandene tiefere Stellung der linken Beckenseite ausgleicht.
–
Rumpfrotation einführen: Die linke Rumpfhälfte dreht sich nach vorne auf die rechte Bank zu. Die betroffene Hand über die Mittellinie des Körpers arbeiten lassen, zunächst auf das linke Knie legen, dann auf das rechte Knie, auf den rechten Arm, den Ellenbogen und auf die rechte Hand. Den linken Schultergürtel dabei gut stützen. Es ist gut, wenn innerhalb des Rumpfes aktive Rotation entsteht. Die Patienten sind dann in der Lage, das Pushen zu lassen.
–
In dieser Haltung kann man mit dem linken Arm den rechten Arm kreuzen, die rechte Hand kann an der Bank nach vorne rutschen. Die rumpfrotatorischen neuromuskulären Aktivitäten werden dadurch intensiviert. Dies steigert die Propriozeptoren- und vermutlich die Gravizeptorenmeldungen an das ZNS. Summation findet statt.
–
Die linke Hand sensomotorisch stimulieren.
4.
Sitzen bleiben, Rotation und gute posturale Aktivität auf der betroffenen Seite erarbeiten:
–
Die Rotation nach rechts auflösen, dabei die Traglast des Körpers auf der rechten Seite lassen. Die linke Hand schiebt sich am Körper entlang zum rechten Knie, zum linken Knie, auf den linken Tisch. Wenn die Körper-Körper-Repräsentation in diesem Moment gut vernetzt ist, werden der Kopf und der Blick automatisch links bei der linken Hand bleiben.
–
Die rechte Hand dazu nehmen; der linke Rumpf darf dabei nicht zusammensinken. Es soll echte Rotation innerhalb des Rumpf entstehen.
–
Mit gewonnener Körper-Körper-Orientierung das Körper-Nahfeld durch Rumpfbewegungen erkunden. Nach und nach den Greifraum beider Arme explorieren.
–
Körper-Arm-Koordination, Hand-Raum-Koordination und Auge-Hand Koordination werden geschult.
–
Transfer über rechts (dazugestellte Therapiebank wegschieben) in den Rollstuhl. Dort in der Mitte ausgerichtet sitzen, um die Umgebung wahrzunehmen oder tätig zu sein.
5.
In den Stand kommen:
–
Die rechte Therapiebank in Hüfthöhe hochfahren. Der Patient bekommt keine verbale Aufforderung zum Aufstehen; er erhält lediglich die verbale Aufforderung der einzelnen Teilschritte, die dafür notwendig sind.
–
Der Patient wird aufgefordert, mit dem rechten Brustkorb am rechten Tisch entlang nach vorne zu rutschen. Der Therapeut hilft, das Becken anzuheben. Das linke Knie braucht maximale Sicherung durch den Therapeuten; es darf kein Unsicherheitsgefühl entstehen.
–
Der Patient wird aufgefordert, beim Höherkommen das Becken am rechten Tisch entlang zu bewegen.
–
Im Stehen: „Bleiben Sie mit dem rechten Becken am Tisch stehen.“
–
„Sie können jetzt das Becken am Tisch nach vorne rutschen lassen und zurückrutschen.“
–
In der rechten Körperseite soll sich eine gute Aufrichtung bilden.
6.
Stehen, Stehaktivität auf der linken Körperseite erarbeiten:
–
Der linke Tisch wird erhöht, am besten in Hüfthöhe. Man kann im Stehen auch im Barren arbeiten; die Holme bieten sehr gute Orientierung.
–
Das linke Bein so ordnen, dass die Ferse unter dem Hüftgelenk positioniert ist. Das Knie maximal sichern.
–
Den rechten Arm vom Tisch lösen und an die Zimmerdecke strecken lassen.
–
Den Körper nach rechts drehen lassen; aktive Rumpfrotation entsteht. Der beste Erfolg in dieser Situation ist, wenn das linke Bein Stehaktivitäten zeigt.
–
Versuchen, die Körpermitte über beiden, jetzt gleicheren Beinen zu tragen – das erste Mal verlässt das rechte Becken die rechte Bank – und anschließend wieder zurück an die rechte Bank.
–
Aus dem mittigen Stand das Becken zur linken Bank bewegen und wieder weg von ihr. Damit trainiert man die wichtige Fähigkeit, den Körper mithilfe der linken Körperseite von der linken Seite wieder zurück in die Mitte zu holen. Das Pushen und Fallen zur betroffenen Seite wäre dadurch überwunden. Auf keinen Fall darf der Patient das Zurückholen in die Mitte durch Ziehen mit dem rechten Arm durchführen.
7.
Gehen am Tisch entlang:
–
Verbale Ansagen für die Teilaktivitäten, das Timing bestimmt der Therapeut. Zum Beispiel darf das rechte Bein erst nach vorne gebracht werden, wenn die Ausrichtung des linken Beines und des Rumpfes für das linke Standbein erreicht ist. Zu Beginn ist es notwendig, dass ein 2. Therapeut dem linken Bein in der Schwungbeinphase hilft.
–
Etliche Schritte gehen, bis die rechte Bank zu Ende ist; einen Hocker holen und absitzen.
–
Nicht in den freien Raum gehen.
8.
Gehen um die Tischecke:
–
Achtung: Die visuell-räumliche Orientierung an der Bank entlang endet; es entsteht eine optische Tiefe bis zum Fußboden, das Pushen kann wieder einsetzen.
–
Wichtig ist, dass es gelingt, den rechten Fuß weit genug nach vorne zu setzen, damit das Becken Platz hat, sich um die Ecke zu bewegen. Es kann helfen, wenn der Therapeut vor dem Patienten steht und die optische Tiefe dadurch verschwindet.
–
Der Rumpf muss sich während mehrerer kleiner Schritte um 90° im Raum drehen. Der visuelle Raumeindruck ändert sich; das sind alles Herausforderungen. Wenn der Richtungswechsel gelungen ist, weitere Schritte gehen.
9.
Gehen und Lücken überwinden:
–
An einer Wand entlang gehen. Der rechte Arm darf an der rechten Wand entlang nach oben gestreckt posturale Orientierung geben.
–
An einer Türöffnung bei geschlossener Tür vorübergehen.
–
An einer Türöffnung bei offener Tür entlang gehen.
–
Probieren, durch den freien Raum zu gehen.
10.
Treppe steigen und rhythmisch gehen:
–
Alternierend an einem rechtsseitigen Geländer entlang treppauf gehen. Rhythmus erreichen, indem dem linken Bein nach oben geholfen wird. Beim Treppaufgehen ist die räumliche Tiefe reduziert; der Rhythmus wirkt ebenfalls stabilisierend. Dann kann man am Ende der Treppe sofort weitergehen.
–
Das Gehtempo steigern, damit ein Gehrhythmus entsteht.
11.
Sich hinunter auf den Boden bewegen bis zum Liegen und wieder aufstehen:
–
Diese propriozeptive, motorische, vestibuläre, gravizeptorische und visuelle Erfahrung des gesamten Bewegungsweges bringt Sicherheit und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Sie hilft, Ängste zu überwinden.
–
Patienten, die den Weg nach unten und wieder hoch kennen oder sogar selbst beherrschen, werden unabhängigere Fußgänger sein.
12.
Im Liegen die Seitlage auf der nicht betroffenen Seite erarbeiten:
–
Sogar wenn der Schlaganfall Jahre zurückliegt und die Patienten Fußgänger mit Stock sind, kann es sein, dass sie das noch nicht können.
Für die Praxis
Die in der Therapie erlernten Fähigkeiten müssen mit anderen Personen und an anderen Orten ebenfalls ausgeübt werden. Alle Beteiligten, auch die Angehörigen, müssen wissen, dass die Leistungen der Patienten sehr schwankend sein können. Leistungen, die bereits etabliert waren, können in manchen Situationen, zu manchen Tageszeiten nicht abgerufen werden.
Literatur
Adams et al., 1987
Bear et al., 2007
Bosco and Poppele, 2001
Gjelsvik, 2008
Huang et al., 2007
Kandel, 2006
Kessner et al., 2016
Levin and Panturin, 2011
Meyer et al., 2016
Mulder and Hochstenbach, 2003
Schmidt and Unsicker, 2003
Speckmann et al., 2008
Sturm et al., 2009
Sullivan and Hedman, 2008
Zimmer, 2012
Vegetatives System
Das vegetative (autonome) NervensystemNervensystemautonomesNervensystemvegetatives ist ein komplexes Netzwerk, das der Aufrechterhaltung des inneren Gleichgewichts (Homöostase) dient und verschiedene, lebensnotwendige Organsysteme reguliert. Herzschlag, Atmung, Schweißsekretion, Verdauung, Blasen- und Sexualfunktion sowie andere Funktionen wie z. B. die Sekretion verschiedener Drüsen oder die Pupillenreaktion stehen unter dem Einfluss des autonomen Nervensystems und sind damit der Willkürkontrolle weitgehend entzogen.
Merke
Das autonome Nervensystem besteht aus zwei Schenkeln mit gegenläufigen Auswirkungen auf die einzelnen Organe, nämlich dem sympathischen und dem parasympathischen Nervensystem.
3.3.1
Aufbau und Funktion
3.3.2
Pathologien und Symptome
Für die Praxis
Bei der klinischen Untersuchung muss auf Hinweise für eine autonome Mitbeteiligung geachtet werden. Hierzu gehört, dass Blutdruck und Puls im Liegen und nach zumindest einer Minute Stehen gemessen werden, u. U. auch noch nach 10 Minuten.
Bei Inspektion der Haut ist auf Zyanose, Blässe, Marmorierung oder Rötung sowie lokale Veränderungen von Temperatur und Farbe zu achten. Schweißsekretionsstörungen lassen sich einfach aufgrund der feuchten oder trockenen Haut und des fehlenden Widerstands beim Bestreichen feststellen. Fehlende Behaarung, Nagelveränderungen und atrophe Haut weisen auf trophische Veränderungen hin. Die klinische Untersuchung der Pupillen muss Form, Größe und die Reaktionen auf Licht und Akkommodation berücksichtigen.
Kardiovaskuläre Regulationsstörungen
Merke
Das häufigste und die Patienten am meisten belastende Symptom der kardiovaskulären autonomen Dysregulation ist die orthostatische Hypotonie.
1.
Eine periphere oder zentrale Sympathikusstörung (hypoadrenerge orthostatische Hypotension), die sich durch einen rasch einsetzenden Blutdruckabfall von mehr als 20 mmHg systolisch innerhalb von 3 Minuten auszeichnet.
2.
Ein übermäßiges venöses Pooling, das ein posturales Tachykardiesyndrom (POTS) mit deutlichem Anstieg der Herzfrequenz um mehr als 30/min innerhalb von 10 Minuten ohne signifikanten Blutdruckabfall bedingen kann.
3.
Ein Reflexmechanismus (orthostatische neurokardiogene Synkope, früher vasovagale Synkope), der nach längerem Stehen zur Sympathikusinhibition und vagalen Aktivierung und damit zur Bradykardie und zum Blutdruckabfall führt.
Gastrointestinale Motilitätsstörungen
Blasenstörungen
Störungen der Sexualfunktion
Störungen der Schweißsekretion
3.3.3
Physiotherapeutische Untersuchung und Diagnostik
•
Basilaristhrombose
•
Blutungen im Bereich des Hirnstamms
•
Generalisiertes Hirnödem mit Druck auf Hirnstamm, z. B. Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma oder Massenblutung aus der A. cerebri media
Merke
Immobilität führt zu vegetativer Instabilität.
•
Herz-Kreislauf-System
•
Atmung
•
Schweißsekretion
•
Blasen-/Mastdarmfunktion
Clinical Reasoning: Untersuchung und Symptome
Untersuchung
•
Herz-Kreislauf-System:
–
Puls- und Blutdruckkontrolle vor und nach Positionswechseln, bei Vertikalisierung und insbesondere in Ruhe, um die Auswirkungen der Immobilität einschätzen zu können
–
Subjektive Beurteilung der Gesichtsfarbe und der Vigilanz
•
Atmung:
–
Ermittlung der Atemfrequenz über Monitor oder visuell/taktil
–
Gerätegestütztes Messen der Sauerstoffsättigung
•
Inspektion:
–
Atembewegung (abdominal und costosternal)
–
Atemkoordination bezüglich Atmung und Rippen-Diaphragma-Bewegung
–
Thoraxform und Rippenstellung
–
Schwere der Atmung (liegt ggf. Atemnot vor?)
•
Palpation:
–
Selektive Rippenbewegungen während der In- und Exspiration → Aussage über die Größe des Atemzugvolumens
–
Beweglichkeit der Gelenke der Brustwirbelsäule und der Rippen über Rotation, Lateralflexion und Flexion/Extension
–
Elastizität des Bindegewebes und der Muskulatur im Bereich des Thorax über Abzieh- und Packegriffe
Für die Praxis
Da Befund und Behandlung innerhalb einer Therapieeinheit fließend ineinander übergehen, werden Aspekte aus der Palpation wie z. B. Packegriffe und Fazilitation der Rippenbewegung auch als therapeutische Intervention genutzt.
Merke
Insbesondere bei maschinell beatmeten Patienten fixieren die Rippen in Inspirationsstellung. Die Rippen dienen normalerweise als stabile Referenz für die Bewegung des Diaphragmas. In der Inspirationsstellung kommt es zum Verlust der stabilen Referenz und dies führt zur Insuffizienz des Diaphragmas.
•
Schweißsekretion:
–
Inspektion und Palpation der Körperabschnitte (Schweißsekretion auch halbseitig möglich) in Ruhe und bei Belastung
–
Sowohl bei Erstkontakt mit dem Patienten als auch während der Behandlung wird vor allem die Schweißbildung überprüft. Dies ist z. B. möglich an Stirn, Oberlippe, Unterarm, Handinnenfläche, Fußsohle und LWS-Bereich.
–
Des Weiteren kann eine vermehrte Schweißsekretion bei Mobilisation der Brust- und Lendenwirbelsäule auftreten oder auch als Folge von Immobilität.
–
Bei Mobilisation von neuralen Strukturen (vor allem der Extremitäten) ist das Auftreten von schwitzigen Händen und Füßen ebenfalls ein Zeichen für die individuelle vegetative Leistungsgrenze.
•
Blasen-Mastdarmfunktion: Anzahl der kontrollierten/unkontrollierten Stuhl- und Urinabgänge dokumentieren. Häufig kommt es zu unkontrollierten Stuhl- und Urinabgängen bei der Vertikalisierung der Patienten. Durch die Mobilisation werden die Darmperistaltik und die Blasenfunktion angeregt.
Merke
Ein Dauerkatheder kann den Aufbau der Core Stability (Kap. 3.1) deutlich negativ beeinflussen. Durch den Schlauch kann der Schließmuskel seine Funktion nicht ausführen, weshalb das „Fundament“ für die Rücken- und Bauchmuskeln fehlt.
•
Immobilität und Alignments in Haltung: Insbesondere die Haltung des Patienten sollte evaluiert werden und erlaubt folgende Hypothesen:
–
Ventrale Translation der oberen Halswirbelsäule und Fixationen der Kopfbeweglichkeit könnten Nervenfunktionen stören, insbesondere die des N. vagus und der parasympathischen Nerven. Dies kann auch durch die Positionierung im Bett (z. B. zu viele Kissen unter dem Kopf) bedingt sein.
–
Lange Immobilität des Patienten führt zu vegetativen Symptomen wie z. B. starkem Schwitzen. Diese Symptome könnten durch Bewegung positiv beeinflusst werden. Leider ist oft der Rückschluss aus der ersten Inspektion, der Patient sei vegetativ nicht stabil und könne somit nicht therapiert werden; dieser Rückschluss ist falsch.
–
Fixationen der Brustwirbelsäule (Sympathikus) und des Beckens (Parasympathikus sacral) können zu vegetativen Symptomen führen.
Merke
Die Evaluation von Alignments in Haltung und Bewegung, insbesondere des Körperabschnitts Wirbelsäule, erlauben Rückschlüsse auf die Ursachen von vegetativen Symptomen.
Assessments
Early Functional Abilities (EFA)
Spinal Cord Independence Measure (SCIM)
Frührehabilitations-Barthel-Index (FRB)
Sonstiges
•
Umfangmessung des Thorax: Höhe Sternumspitze bei Inspiration und Exspiration in Ruhe und bei Belastung, Ermitteln der Differenz
•
Ermittlung des Atemzugvolumens am Beatmungsgerät (BiPAP- oder CPAP-Modus)
•
Blasen- und Mastdarmfunktion: Bilanzierung von Ein- und Ausfuhr
3.3.4
Therapeutisches Vorgehen
Vorgehensweise und Techniken
•
Ruhige Atmosphäre
•
Angepasste Raumtemperatur
•
Spezifischer Einsatz der Stimme des Therapeuten
•
Aufgabenstellungen
•
Geschwindigkeit der Bewegungsausführung
•
Annahme von unterstützender Fläche
•
Wahl der Startposition bezüglich der Tonussituation
•
Mobilisation unter motorischen und biomechanischen Aspekten
Merke
Je nach sympathischen oder parasympathischen Dysregulationen muss mit dem Patienten aktivierend oder beruhigend gearbeitet werden.
Gestaltung einer Therapieeinheit
Beispiel
Patient der Frühphase
Beispiel
Patient der weiterführenden Rehabilitation
Alltagsorientiertes Eigentraining
Literatur
Diehl and Linden, 1999
Flachenecker, 2010
Haensch and Jost, 2009
Jörg, 2001
Mathias and Bannister, 1999
Kognitive Systeme
You handle the body. You train the brain.
Wahrnehmungkognitives System (Kap. 3.2), Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Exekutive sind die traditionellen Kernprozesse des kognitiven Systems (Abb. 3.32). Sie wirken zusammen und beeinflussen sich gegenseitig. Bis vor wenigen Jahren betrachtete die akademische Wissenschaft Gefühle, Affekte und Emotionen bzw. Motivation, Neugier und Interesse getrennt. Aktuell werden sie in ein einziges System von kognitiven Prozessen integriert.
Merke
Kognition ist die Gesamtheit der geistigen Prozesse.
Die WahrnehmungWahrnehmung unser Umwelt („Input“) wird durch unsere angeborenen Verhaltensweisen und unsere Vorerfahrungen geprägt. Hiermit sind nicht nur konkrete Erlebnisse gemeint, sondern auch erlernte Wertvorstellungen und Denkschemata. Sie sind Teil unseres Wissenssystems und immer im Arbeitsspeicher präsent. In der therapeutischen Begegnung erscheint es besonders wichtig, Grundprinzipien der Wahrnehmung, der Aufmerksamkeit, des Gedächtnisses und der Exekutive zu kennen, damit man als Physiotherapeut die Beziehung therapeutisch gestalten kann.
Merke
Wahrnehmung ist ein aktiver Prozess.
Wahrnehmung orientiert sich an der Situation. Ist z. B. die Bekleidung dem Anlass angemessen, ist das Verhalten beabsichtigt oder im emotionalen Überschwang entstanden? Die sensorische Wahrnehmung durch die unterschiedlichen Sinnessysteme ist nur der erste Teil der Verarbeitung (Kap. 3.2). Ihre Alltagsbedeutung gewinnen die aufgenommenen Informationen erst im Gehirn durch Aufmerksamkeit, selektive Wahrnehmung, Integration, Interpretation und Entscheidung.
Beispiel
Stellen Sie ein Glas vor sich auf den Tisch. Schauen Sie genau hin. Drehen Sie das Glas um oder legen es auf die Seite. Sie erkennen es immer als Glas. Oder gehen Sie um das Glas herum. Ihre Wahrnehmung „Das ist ein Glas“ ist konstant (Wahrnehmungskonstanz).
Hete st en Dnnertg im Ma. Es it rlativ klt. Wr habn de so genaten Eshiligen. Ab mrgn soll s dtlich wärer weren. Es werd ür 20 Gr ewaret.
Trotz der fehlenden Buchstaben ist es kein großes Problem, den Text zu verstehen. Ihre automatische Wahrnehmungsergänzung funktioniert.
Wir können unsere AufmerksamkeitAufmerksamkeit ausrichten, sie lenken und wechseln. Wir können schnell oder langsam sein. Wir können vorschnell sein oder Dinge verpassen. Alle diese Aspekte beinhalten Aufmerksamkeit. Sie lassen sich nach Intensität und Aktivierung oder hinsichtlich Selektivität kategorisieren. Ohne Aufmerksamkeit verblasst ein in der Peripherie aufgenommener Reiz und wird im Gehirn nicht weiterverarbeitet.
Merke
Bedeutung gewinnt ein Reiz erst durch Aufmerksamkeit.
Bei eingeschränkter Aufmerksamkeit werden Sinneseindrücke übersehen, ausgelassen oder die folgerichtige Reaktion erfolgt zeitverzögert oder verlangsamt. Reaktion, Aufmerksamkeitszuwendung und Verhalten sind auch davon abhängig, welche Vorerfahrungen und welches Wissen im Gedächtnis abgespeichert sind. Unser GedächtnisGedächtnis speichert Informationen (Lernen) und bietet die Basis für einen Wissensabruf (Erinnern).
Merke
Lernen und Erinnern sind die Hauptaufgaben des Gedächtnisses.
Zentral sind die Konsolidierung (Verfestigung) und der Abruf von Informationen. Gedächtnisprozesse werden vor allem in ihrem zeitlichen Ablauf beschrieben (sensorisches, Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis). Ergänzend können Gedächtnisinhalte hinsichtlich ihrer Materialspezifität beschrieben werden (verbal vs. nonverbal). Gedächtnisprozesse sind Teil des kognitiven Systems. Die Inhalte bilden zusammen mit dem Arbeitsgedächtnis die Grundlage vieler Entscheidungsprozesse (ExekutiveExekutive) und dienen der Erinnerung an Erlebnisse (EpisodenEpisoden).
Merke
Unsere Exekutive ist geprägt durch Entscheidungs- und Kontrollprozesse.
Entscheidungs- und Kontrollprozesse basieren auf unseren Erinnerungen und integrieren fortlaufend aktuelle Aspekte. Unser Handeln erfordert sinnvolle Kontinuität, aber auch Handlungskorrektur (Problemlösen) und eine basale Handlungsbereitschaft. Im sozialen Bereich steuern exekutive Prozesse unser Miteinander (Einfühlungsvermögen, Handlungssteuerung etc.).
Neuropsychologie
Für die Praxis
Erschwert wird die Situation durch die oft eingeschränkte StörungswahrnehmungStörungswahrnehmung (Awareness of DeficitAwareness of Deficit) von Hirngeschädigten.
•
Den Mitarbeitern in der Akutklinik stellt sich die Aufgabe der frühen Behandlung und Förderung der Betroffenen, aber auch der Einleitung von weiteren Rehabilitationsmaßnahmen. Ihre Vermittlung von Wissen über den Sinn und Zweck und den Nutzen der Rehabilitationsmaßnahmen kann entscheidend für den Weg des Patienten werden.
•
In der neurologisch-neurochirurgischen Rehabilitationsklinik ist oft der Start entscheidend. Die individuelle Ansprache durch Ärzte, Pflege und Therapie prägt häufig den Verlauf.
Für die Praxis
Passen Sie Ihre Worte an, z. B.:
„Wissen Sie, die Neuropsychologie versucht herauszufinden, welche Denkprozesse bei Ihnen nach dem Schlaganfall/Unfall/Operation schwieriger geworden sind. Es ist ähnlich wie beim Gehen. Die Lähmung ist auch die Folge der Gehirnverletzung. Genauso geht es in der Neuropsychologie um Lernen, Denken und Konzentrieren. Nur wenn wir und Sie auch wissen, was los ist, können wir mit Ihnen gemeinsam die für Sie richtigen Therapien auswählen.“
Für die Praxis
Suchen Sie fachlichen und persönlichen Austausch in Gruppen der Inter- und Supervision. Wir alle kommen an unsere Grenzen und benötigen manchmal Hilfen bei der Gestaltung der therapeutischen Beziehung. Fortbildungen dienen der Reflektion eigenen Handelns.
Für die Praxis
Die Wiederholung (Repetition) der Übungen und eine gezielte Anpassung der Aufgabenschwierigkeit (Shaping) sind zentral für eine erfolgreiche Therapie.
3.4.1
Wahrnehmung
Aufbau und Funktion
Merke
Wahrnehmung ist ein aktiver Prozess.
Pathologien und Symptome
Physiotherapeutische Untersuchung und Diagnostik
Therapeutisches Vorgehen
•
Erfragen SieWahrnehmungtherapeutisches Vorgehen im Vorfeld Ihrer Therapie sensorische oder sonstige Einschränkungen.
•
Unterstützen Sie Überlegungen zur Kompensation durch Hilfsmittel (Brillen, Vergrößerungstechnik am PC, Lupen und Hörgeräte).
•
Geben Sie ggf. Hinweise auf ein auch finanziell unterstütztes Blindentraining.
•
Steigern Sie besonders behutsam die Komplexität der Aufgaben.
•
Erfragen Sie regelmäßig die Wahrnehmung und das Erleben der Betroffenen.
•
Erfragen Sie immer wieder die Selbsteinschätzung der Betroffenen.
3.4.2
Aufmerksamkeit
Aufbau und Funktion
Merke
Wir können unsere Aufmerksamkeit ausrichten, lenken und wechseln.
Pathologien und Symptome
Nicht responsible Wachheit
Für die Praxis
Der Mensch und nicht die Erkrankung oder das Syndrom steht im Mittelpunkt der Therapie.
Minimales Bewusstsein
Locked-in-Syndrom
Störung der räumlich selektiven Aufmerksamkeit
Merke
Es gibt nicht den Neglect, sondern ein Neglectsyndrom mit vielen Ausgestaltungen und Schwankungen.
Für die Praxis
Die Berücksichtigung der Awarenessproblematik (Tab. 3.12) gehört zwingend zur Therapie von Neglectpatienten.
Formen des Neglectsyndroms
Physiotherapeutische Untersuchung und Diagnostik
•
SuchaufgabenAufmerksamkeitphysiotherapeutische Untersuchung (u. a. Gegenstände auf einem Tisch, sog. Tischtest)
•
Halbieren von Linien unterschiedlicher Länge und Position
•
Ausstreichaufgaben (Linien, Buchstaben etc.; Abb. 3.34)
•
Lautes Lesen
•
Freies Zeichnen (u. a. Uhr, Mensch, Schmetterling) oder Kopieren (u. a. Blume, Würfel, Stern)
•
Freies Schreiben oder Abschreiben
•
Suchen von Klebepunkten auf dem Körper oder von Gegenständen in diversen Taschen einer Weste
•
Neglect-Untertest diverser neuropsychologischer Testbatterien (u. a. Testbatterie für Aufmerksamkeitsprüfungen, TAP)
Exkurs
Gesichtsfelddefekt/Hemianopsie
Therapeutisches Vorgehen
Für die Praxis
Eine Verbesserung der Aufmerksamkeitsfokussierung ist ein basaler Baustein der Neurorehabilitation.
Gestaltung einer Therapieeinheit
Störungen der Wachheit
•
Reden Sie WachheitTherapie von Störungenmit dem Betroffenen und nicht über ihn. Teilweise berichten Betroffene später von bedrohlichen oder kränkenden Episoden während dieser Phasen.
•
Bereiten Sie den Betroffenen auf Ihre Handlungen vor.
•
Geben Sie Informationen zum Aufenthaltsort und zur aktuellen Zeit.
•
Nutzen Sie die von Ihnen wahrgenommenen Körpersignale.
•
Achten Sie auf Hinweise von Schmerzerleben.
•
Gewähren Sie Phasen der Ruhe (ohne Fernseher, Radio etc.)
•
Stimulieren Sie spezifisch und gezielt.
•
Achten Sie auf adäquates Lachen oder Weinen als Antwort auf sprachliche oder visuelle emotionale Reize.
•
Berücksichtigen Sie Versuche sprachlicher Äußerungen oder Gesten (Begrüßen Sie und warten auf eine Reaktion).
•
Integrieren Sie gezieltes Greifen nach Objekten (z. B. Kamm wird zum Haar geführt).
•
Unterstützen Sie das Berühren oder Festhalten eines Objektes in einer Weise, in der Größe und Form des Objektes berücksichtigt werden (Halten Sie eine Bürste so hin, dass sie auch am Stiel angefasst werden kann).
•
Nutzen Sie Augenfolgebewegung oder anhaltende Fixation von sich bewegenden Objekten oder von „ins Auge fallenden“ Objekten (Nutzen Sie Kuscheltiere o. ä. Objekte: Falls der Betroffene sie fixiert, ändern Sie ihre Position und beobachten Veränderungen).
Aufmerksamkeitsstörungen
•
SprechenAufmerksamkeitsstörungenTherapie Sie den Betroffenen immer wieder neu an. Er benötigt einen wiederholt konsequenten Input Ihrerseits.
•
Geben Sie dem Betroffenen Rückmeldung über Ihre Beobachtungen: „Ich habe die Bewegung Ihres Armes gesehen. Das freut mich sehr.“ Fördern und fordern Sie dann genau diese Bewegung.
•
Berühren Sie eindeutig und deutlich. Vermeiden Sie Berührungen an vielen Körperregionen gleichzeitig.
•
Mobilisieren Sie Betroffene in die „Senkrechte“. Es steigert oft die Wachheit.
•
Gestalten Sie die Pausen und kündigen diese vorher an.
•
Unterstützen Sie eine sichtbare Handlungsinitiative durch geführte Bewegungen. Sie unterstützen damit die Wachheit.
•
Unterstützen Sie den Betroffenen, indem Sie Teile der Bewegung/Tätigkeit übernehmen und dann den Rest dem Betroffenen überlassen.
•
Reduzieren Sie in der Therapie die Komplexität der Situation. Reden und Gehen oder Reden und sich Anziehen gleichzeitig kann der Betroffenen in der Regel nicht.
•
Weniger ist mehr! – „Viel hilft viel“ stimmt insbesondere bei diesen Betroffenen nicht.
•
Betroffene sind leicht ablenkbar. Vermeiden Sie Störungen. Insbesondere anfänglich kann es besser sein, die Therapieeinheit statt im Therapieraum im Patientenzimmer durchzuführen
•
Setzen Sie Ablenkung zur Förderung der geteilten Aufmerksamkeit nur gezielt und verbal instruiert bzw. nach Rücksprache ein. „Jetzt steigere ich die Komplexität der Aufgabe. Eine echte Herausforderung.“
•
Bilden Sie ggf. eine Rangfolge (Zimmer – Flur – Cafeteria – draußen; nur die benötigten Utensilien im Bad – viele Utensilien – Radio). Ihrer Kreativität sind dabei kaum Grenzen gesetzt. Dokumentieren Sie die Vorgehensweise für andere Teammitglieder.
•
Reaktionsgüte ist wichtiger als das Reaktionstempo.
Für die Praxis
Nutzen Sie Eigenübungen für Betroffene. Sie stärken die Selbstwirksamkeit.
Neglect und Simultanextinktion
Für die Praxis
Die Therapie von Betroffenen mit Neglectsyndrom erfordert besonders dringend eine tragfähige therapeutische Beziehung.
Für die Praxis
Gerade in der Therapie von Betroffenen mit einem Neglectsyndrom ist die Beratung von Bezugspersonen zentral.
•
Basis der Therapiegestaltung ist eine gute Einfühlung und Kontakt mit dem Betroffenen.
•
Durch die Therapie soll der vernachlässigte Halbraum zurückerobert werden.
•
Hinwendung zum vernachlässigten Halbraum lässt sich nicht erzwingen.
•
Um den vernachlässigten Raum zurückzuerobern, müssen Sie eindeutige und oft intensive Reize anwenden.
•
Denken Sie daran, dass der Betroffene ggf. keine Repräsentation der vernachlässigten Seite besitzt. Vereinfacht denkt er gar nicht an „links“.
•
Denken Sie beim Transfer (Bettkante oder Rollstuhl/Stuhl) an die oft stark ausgeprägte Angst vor dem Fallen. Oft ist bei schwerer Betroffenen der Transfer über die besser wahrgenommene Seite anfänglich sinnvoll.
•
Transportieren Sie Objekte von der intakten in die vernachlässigte Raumhälfte.
•
Planen Sie ausreichend Pausen ein.
•
Starten Sie mit einer reizarmen Gesamtumgebung.
•
Nutzen Sie interessante Reize im vernachlässigten Halbraum.
•
Sprechen Sie den Betroffenen gerade in der Frühphase der Behandlung von der dem Betroffenen bewussten Seite an.
•
Vermeiden Sie Simultanstimulation und damit Simultanextinktion.
•
Arbeiten Sie nicht zu komplex, sondern reduzieren Reize auf ein Minimum und steigern ggf. später die Komplexität der Aufgaben.
•
Nutzen Sie den Effekt des größeren Überblicks in der aufrechten Position (Stehgeräte und andere Hilfsmittel) für eine verbesserte Orientierung.
•
Berücksichtigen Sie die Veränderungen des emotionalen Erlebens und Verhaltens (oft affektlabil etc.).
•
Bedenken Sie die oft schweren assoziierten Aufmerksamkeits- und exekutiven Störungen (Betroffene sind oft verlangsamt, ablenkbar, „chaotisch“ etc.)
•
Fragen Sie nach Halluzination oder Verkennungen und klären Sie auf.
Für die Praxis
Ohne ausreichende Aufmerksamkeit gibt es weniger Fortschritte in der Therapie.
3.4.3
Gedächtnis
Aufbau und Funktion
Merke
Vereinfacht wird explizit mit bewusst und implizit mit unbewusst oder prozedural in Verbindung gebracht.
•
Das episodische Gedächtnis (Episoden und Ereignisse aus dem Leben eines Menschen, wobei Ort und Zeit der Einspeicherung erinnerbar sind) wird als oberste Stufe angesehen.
•
Das semantische Gedächtnis beinhaltet das Lernen und Erinnern von Faktenwissen über die Welt.
•
Das perzeptuelle Gedächtnis ermöglicht das Erkennen von Gegenständen aufgrund von Bekanntheit.
•
Priming (Bahnung) ist eine Sonderform des Gedächtnisses und ermöglicht eine bessere und schnellere Wiedererkennungsleistung von zuvor wahrgenommenen Informationen.
•
Das prozedurale Gedächtnis beinhaltet einfaches und komplexes motorisches Lernen und Abruf der erlernten Fertigkeiten.
•
Oft wird noch das Arbeitsgedächtnis (u. a. zentrale Kontrolle) ergänzt. Es ist für alle Kontrollprozesse oder Problemlöseprozesse unentbehrlich.
Merke
Motorisches Lernen ist oft parallel explizit und implizit.
Pathologien und Symptome
Merke
Lern- und Gedächtnisstörungen sind im Rahmen von Gehirnerkrankungen häufig.
Kennzeichen des amnestischen Syndroms
•
BeeinträchtigungenSyndromamnestisches des Kurz- und Langzeitgedächtnisses, d. h. Erinnern und Lernen
•
Oft erhaltener Kurzzeitspeicher (sog. Merkspanne)
•
Eingeschränkte Fähigkeit, neues Material zu erlernen
•
Desorientierung (oft primär zeitlich)
•
Konfabulationen, d. h. spontanes oder auf Nachfrage Füllen von Erinnerungslücken mit „erfundenen“ Inhalten
Physiotherapeutische Untersuchung und Diagnostik
Therapeutisches Vorgehen
Für die Praxis
Eine angemessene Therapie oder Betreuung von Betroffenen mit Lern- und Gedächtnisstörungen orientiert sich unbedingt am Schweregrad der Störung.
Gestaltung einer Therapieeinheit
•
Geben Sie dosiert Informationen.
•
Wiederholen Sie die Bewegungen ausreichend oft (Repetition).
•
Lassen Sie die Bewegung vom Betroffenen verbalisieren.
•
Nutzen Sie ggf. Piktogramme oder schriftliche Hinweise.
Alltagsorientiertes Eigentraining
3.4.4
Exekutive
Aufbau und Funktion
Merke
Die Exekutive beinhaltet verschiedenste kognitive Prozesse.
Beispiel
Exekutive Aspekte beim Anziehen einer Jacke
•
Impuls zum Anziehen einer Jacke (Antriebsstörung als Pathologie) als Phase der Entscheidung oder Vorentscheidung.
•
Planungsphase mit der Wahrnehmung der Jacke als Jacke (Agnosie als Pathologie) und der Planung der notwendigen Körperpositionierung (Neglect als Pathologie) und Positionierung des Objekts (Neglect als Pathologie).
•
Planung der notwendigen Handlungsschritte (Apraxie oder Planungsstörung als Pathologie) bei Berücksichtigung der richtigen Abfolge der Handlungsschritte (Apraxie/Planungsstörung als Pathologie). Die Ärmel werden nacheinander angezogen und bei einer Jacke ist der Reißverschluss vorne.
•
In der Phase des Ist-Soll-Vergleichs kommt es ggf. zur Korrektur der Handlungsschritte oder -abfolgen. Der verdrehte Ärmel führt zur Veränderung der Körperposition oder Veränderung des Objektes.
•
Zum Abschluss der Handlung wird der Ist-Zustand wieder überprüft und mit dem Soll-Zustand verglichen. Dann erfolgt die Entscheidung, ob die Handlung abgeschlossen ist (Perseveration als Pathologie).
•
Je nach Situation wird das bisherige Handeln korrigiert und ggf. das Kleidungsstück gewechselt.
Pathologien und Symptome
Exekutive Störungen
•
Störungen der Bereitschaft und der Entscheidung zur Handlung zeigen sich in einer allgemeinen Antriebsminderung.
•
Störungen der kontinuierlichen Kontrolle der Handlung äußern sich durch fehlerhafte oder fehlende Handlungen und versäumte Handlungskorrektur als Perseveration.
•
Störungen der abschließenden Kontrolle der Handlung präsentieren sich als fehlerhafte Ergebnisse einer Handlung.
Apraxie
Physiotherapeutische Untersuchung und Diagnostik
•
Störung der Wachheit/ARAS (Kap. 3.3)?
•
Störung der perzeptiven Systeme, sowohl des eigenen Körpers als auch des Raumes (Kap. 3.2)?
•
Störung des motorischen Systems einschließlich der motorischen Planung (Kap. 3.1)?
•
Störung der mentalen Systeme wie Gedächtnisleistungen und exekutive Leistungen (Kap. 3.4)?
Therapeutisches Vorgehen
Für die Praxis
Die Therapie von Betroffenen mit exekutiven Störungen beinhaltet immer Übungen zur Verbesserung der Selbsteinschätzung.
Gestaltung einer Therapieeinheit
Exekutive Störungen
•
GebenStörungenexekutive Sie die Struktur vor, die dem Betroffenen fehlt.
•
Berücksichtigen Sie explizit Aspekte der Nähe und Distanz.
•
Steigern Sie nur geplant und langsam die Komplexität der Aufgaben.
•
Geben Sie dem Betroffenen schriftliche Anweisungen und Erinnerungshilfen.
•
Lassen Sie den Betroffenen die Übungsinhalte selbst verbalisieren.
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Geben Sie einfache Informationen zum Sinn der Übung.
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Wiederholen Sie zu Beginn der Übung die Anweisungen.
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Thematisieren Sie Probleme der Impulskontrolle oder Nähe und Distanz („Ich wünsche mir von Ihnen …“).
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Erläutern Sie die Problematik exekutiver Störungen (fehlende Awareness etc.)
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Lassen Sie die den Betroffenen die Übungsanweisungen selbst in Worte fassen.
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Bei Perseverationen hilft manchmal ein lautes „Stopp“ mit Klatschen in die Hände oder lenken Sie den Betroffenen ab.
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Bei Störungen der Handlungsinitiierung helfen Übungen mit hohem Aufforderungscharakter (Luftballon) und Interaktion im Spiel. Weiterhin helfen Übungen mit positiv besetzter Erinnerung (Vorlieben etc.). Erfragen Sie Beispiele beim Betroffenen und Angehörigen.
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Bei Störung der Handlungsplanung helfen Unterteilungen in Teilschritte und deren Verbildlichung in Fotos oder Skizzen. Gegebenenfalls helfen auch die Verschriftlichung oder ein Flussdiagramm.
•
Üben Sie die Teilschritte sukzessive. Inwieweit sinnhafte oder abstrakte Handlungssequenzen als Übungsinhalt bevorzugt werden, ist je nach wissenschaftlicher Ausrichtung offen.
•
Wählen Sie in der Anfangsphase Übungen, die eher Kompetenzen und im weiteren oder im späteren Verlauf auch Fehler verdeutlichen.
•
Greifen Sie Therapiesituationen auf, in denen das Ziel bisher nicht erreicht wurde (Jacke anziehen mit leerem Ärmel).
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Integrieren Sie im Therapieverlauf ggf. Aspekte der Aufmerksamkeitsteilung bei fortgeschrittenen Patienten (Gehen und Reden oder Ballprellen).
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Fordern Sie Eigenübungen von Betroffenen. Lassen Sie die Übungsinhalte eigenständig wiederholen. Geben Sie Hilfestellung zur Umsetzung des Heimprogramms (Tages- oder Wochenplan).
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Kontrollieren Sie die Umsetzung und schaffen Sie Anreize oder Belohnung.
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Ein wohlwollendes und moderates Konfrontieren mit Defiziten ist insbesondere bei Betroffenen mit Awarenessdefiziten wichtig.
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Lassen Sie den Betroffenen vor einer Übung einschätzen, wie er die Handlung bewältigen wird, und nach der Handlung, wie er sie tatsächlich bewältigt hat.
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Geben Sie als Experte explizit Rückmeldungen.
Apraxie
•
Bei ApraxieTherapiealltagsrelevanten Problemen steht eindeutig das „Führen“ von Bewegungen im Vordergrund der Therapie.
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Es ist notwendig, verschiedenste Bewegungen immer wieder durch Führen zu üben.
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Bereiten Sie das Führen vor oder begleiten Sie das Führen unbedingt mit verbalen Informationen.
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Beachten Sie hierbei genau die Aufmerksamkeitsgrenzen des Betroffenen.
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Übernimmt der Betroffene die Handlung, nehmen Sie sich zurück.
•
Zeigen oder Vormachen hilft dem Betroffenen in der Regel nicht weiter.
Für die Praxis
Apraxietherapie heißt vor allem Üben durch „Führen“.
Literatur
Carter, 2010
Finauer, 2007
Fries et al., 2007
Goldenberg, 2016
Karnath et al., 2014
Kerkhoff, 2004
Lezak et al., 2012
Luppen and Stavemann, 2013
Müller, 2013
Sturm, 2010
Thöne-Otto, 2010
Biomechanisches System
3.5.1
Aufbau und Funktion
Merke
Die Summation aller translatorischen, passiven Bewegungen inkl. Traktion und Kompressionsmöglichkeiten bzw. Federung in einem Gelenk wird als „Gelenkspiel“ bezeichnet.
1.
Der passive Bewegungsapparat mit den Knochen, Bändern und Kapseln. Dieser übernimmt wichtige propriozeptive Aufgaben. Dabei werden über Gelenkrezeptoren Informationen zu Gelenkposition und Gelenkkräften an das ZNS übermittelt. Gewisse Gelenkformen (Hüftgelenk) können zu einer Stabilisierung beitragen.
2.
Der aktive Bewegungsapparat mit den Muskeln und Sehnen. Die Muskulatur übernimmt die Stabilisierung und die Feineinstellung des Gelenks. Sie ist für die Körperhaltung verantwortlich und übernimmt größere Bewegungen und deren Kontrolle.
3.
Das zentrale und periphere Nervensystem mit den Propriozeptoren sowie den afferenten und efferenten Nervenbahnen. Neben den Bewegungsentwürfen ist es für deren Ausführung, Kontrolle und Korrektur zuständig.
Für die Praxis
Das therapeutische Instrument für die Beurteilung einer Einschränkung findet sich in der Anwendung der Testung des Endgefühls. Diese Qualität gibt Aufschluss über das normale oder abnorme Bewegungsverhalten eines Gelenks.
3.5.2
Pathologien und Symptome
Malalignment durch Minus-Symptomatik
Achtung
Dieser inhomogene Zustand kann bereits nach wenigen Tagen zu einer Adaptation in allen Strukturen führen (z. B. Complex Regional Pain Syndrome [CRPS]).
Knöcherne Malalignments
Merke
Deutlich wird dieser Entwicklungsprozess am Beispiel der Skelettanteile des Hüftgelenks. Im Hinblick auf Pfannendach, Corpus-Collum-Diaphysen- und Antetorsionswinkel ist neben einer axialen Belastung auch eine regelrechte Funktion der dreidimensional arbeitenden, hüftumgebenden Muskulatur Voraussetzung.
Merke
Weniger negative Teilchen im betroffenen Knochenbereich auf der Seite der Zugbelastung des Knochens bedeuten Stimulation der Osteoklasten, während eine erhöhte Anzahl an negativen Teilchen auf der Seite der Druckbelastung eine vermehrte Aktivierung der Osteoblasten bedeutet.
Kollagene Kontrakturen
Triggerpunkte
Merke
Die therapeutisch wirksame Intensität liegt über der Elastizitätsgrenze des Bindegewebes, um aufgrund länger einwirkender Belastung eine Verformung zu erreichen, jedoch unterhalb der kollagenen Traumatisierungsgrenze.
Faszien
Merke
Durch die Verbindung der Faszien untereinander können Spannungsänderungen und Bewegungseinschränkungen in andere und entfernte Körperabschnitte übertragen werden und dort Symptome auslösen.
Knöcherne Kontrakturen
Achtung
Neurogene heterotope Ossifikationen treten meist in Kombination mit Begleitverletzungen im Sinne eines Polytraumas oder einer Lungenbeteiligung etwa nach einer Langzeitbeatmung auf.
Kapselmuster
Adhärenzen/Verklebungen/Verwachsungen
Für die Praxis
In gesundem Gewebe entstehen diese Adhäsionen nach ca. 8 Wochen Immobilisation. Verletztes und immobilisiertes Gewebe kann deutlich früher Verklebungen aufweisen.
Malalignment durch Plus-Symptomatik
Achtung
Werden diese pathologischen Bewegungsmuster dann auch noch für die Bewältigung der Alltagsaktivitäten genutzt, führt dies zu einer Beschleunigung der negativen Adaptation.
Achtung
Der Gebrauch von pathologischen Bewegungsmustern, um am Alltag zu partizipieren, verändert langfristig das Körperschema.
3.5.3
Physiotherapeutische Untersuchung und Diagnostik
Clincical Reasoning
Merke
Eine Plus-Symptomatik bezieht sich weder auf einzelne Körperabschnitte noch auf einzelne Anteile des Bewegungsapparates. Eine Plus-Symptomatik, die sich in einem Körperabschnitt zeigt, muss im Gesamtkontext des Clinical Reasonings betrachtet werden. Es ist wichtig, sowohl über die Ursache nachzudenken als auch über die Auswirkungen auf andere Körperabschnitte.
Spezifische Befundung
3.5.4
Therapeutisches Vorgehen
Vorgehensweise und Techniken
Für die Praxis
Wird die MobilisationMobilisation (Traktion/Gleiten) von Gewebe zwischen der Stufe des Lösens und des ersten Stopps durchgeführt, dient sie der Stimulation von Rezeptoren, der Steigerung der Gewebesensitivität und der Minderung von Schmerzen. Für eine Vergrößerung des Bewegungsausschlages muss der taktile Input über den ersten Stopp hinaus bis zum Erreichen des zweiten Stopps durchgeführt werden.
Gestaltung einer Therapieeinheit
Für die Praxis
Ist der gesamte Körper in allen Teilabschnitten stabil positioniert, kann die spezifische Therapie an einem Körperteil starten.
Für die Praxis
Kann ein Muskel konzentrisch angesteuert und losgelassen werden, ist der Weg in die Exzentrik frei.
Alltagsorientiertes Eigentraining
Beispiel
Dynamische Mobilisation/Stabilisation ausgehend vom Becken für die Wirbelsäule und die oberen Extremitäten – im Sitzen
Beispiel
Dynamische Mobilisation/Stabilisation ausgehend von den Füßen für die Beine und Wirbelsäule – im Stand
Achtung
1.
Der Patient sollte unbedingt vermeiden, seine nichtplegische Hand zu benutzen, um die Strukturen der plegischen Seite zu mobilisieren. Der sensorische Input würde dabei ausschließlich auf der nichtplegischen Seite verarbeitet werden; des Weiteren wäre die Gefahr einer Gewebeschädigung zu groß. Das Anlernen einer Strukturmobilisation kann durch den Therapeuten an die Angehörigen vermittelt werden. Dies muss situativ eingeschätzt werden.
2.
Auch von einem passiven Dehnen der Muskulatur und Sehnen durch eine externe Person sollte dringend abgeraten werden. Dies würde lediglich den Tonus erhöhen.
3.
Verlangt die Absolvierung des Eigentrainings zu viel fremde Hilfe, einen zu hohen zeitlichen Aufwand oder zu viel Material, wird es sehr schnell vernachlässigt.
Literatur
Biedermann, 2006
Gautschi, 2016
Hodges, 2005
Hopkins, 2000
Kaltenborn, 2005
Liebler et al., 2001
McVey et al., 2005
Pappert and Schmölzer, 2010
Shao et al., 2012
Sullivan et al., 2013
Van den Berg, 2007
Winter, 2009
Kommunikation und Schlucken
Im Bereich der KommunikationKommunikation werden SpracheSprache und SprechenSprechen unterschieden:
•
Das Sprachsystem übersetzt Gedanken in einen Kommunikationscode.
•
Sprechen beschreibt den motorischen Ablauf zur Lautbildung.
•
Schlucken beschreibt einen komplexen Prozess mit mehreren beteiligten Organen und einer hoch automatisierten Funktionsweise.
3.6.1
Sprache
Aufbau und Funktion
Pathologien und Symptome
Aphasien
1.
Broca-AphasieBroca-Aphasie: Läsionen betreffen das Broca-Areal und darüber hinausgehende Regionen (u. a. untere Teile des motorischen Rindenfeldes, die vordere Inselregion sowie die darunter liegende weiße Substanz). Hauptsymptome sind Agrammatismus mit Auslassung grammatischer Wörter (z. B. in Form einer telegrammartigen Spontansprache: „Ich gehen jetzt … und später … wiederkommen.“) sowie Wortfindungsstörungen und Paraphasien (im Sinne von Verwechslungen phonologisch oder semantisch ähnlicher Wörter, z. B. „Stoff“ für „Stück“ oder „Löwe“ für „Tiger“). Auch das Sprachverständnis für syntaktisch komplexe Strukturen und grammatische Wörter ist beeinträchtigt. Die Patienten haben oft ein sehr stark ausgeprägtes Störungsbewusstsein und daher einen hohen Leidensdruck in Bezug auf ihre sprachlichen Defizite.
2.
Wernicke-AphasieWernicke-Aphasie: Betroffen ist das Wernicke-Areal, daneben häufig der Gyrus angularis, der Gyrus supramarginalis und der Übergang zum Okzipitallappen. Hauptsymptome sind schwere Sprachverständnisstörungen, Paraphasien, Neologismen (Wortneuschöpfungen), Paragrammatismus (z. B. Satzverschränkungen wie „Und da habe ich gesagt, weil sie wieder nicht zu den Hören gegangen und meine Tante lauter gewesen wird sowie diese Meinung anders gewesen sein muss …“) sowie eine sogenannte Logorrhö (ein oft kaum zu unterbrechender Redestrom). Die Patienten haben häufig ein nur sehr gering ausgeprägtes Störungsbewusstsein für ihre sprachlichen Defizite (Anosognosie).
3.
Amnestische AphasieAphasieamnestische: Betroffen ist hier die untere parietale Region, der Gyrus angularis und/oder die temporoparietale Übergangsregion. Hauptsymptome sind Wortfindungsstörungen, die mehr oder weniger gravierend sein können (angefangen von einem vereinzelten „Dingsda“ bis hin zu schwerstem Suchverhalten, das zu langen Pausen, Satzabbrüchen und Wiederholungen führen kann). Die Patienten sind sich ihrer Störung überwiegend bewusst.
4.
Globale AphasieAphasieglobale: Diese wird verursacht durch weiträumige frontotemporale Läsionen, sodass sämtliche Sprachsystemleistungen (meist schwer) beeinträchtigt sind. Hauptsymptome sind ausgeprägte Sprachverständnis- und Sprachproduktionsstörungen; oft können nur noch einzelne Silben („do-do-do-do-do“), Automatismen („diwiwa-diwiwa“) oder Floskeln („Ach, Mensch, Junge, Junge“) produziert werden. Vielen Patienten ist das Ausmaß ihrer Störung nicht in vollem Umfang bewusst. Aufgrund der meist großflächigen Hirnläsion besteht nahezu immer gleichzeitig eine kognitive Dysphasie attentionaler und/oder dysexekutiver Genese (Abb. 3.45).
Kognitive Dysphasien
1.
Kognitive Dysphasie attentionaler Genese: Verursachend sind Störungen der Aufmerksamkeit, wobei für energetische Aspekte (Wachheit, Vigilanz etc.) ein rechtshemisphärisches Netzwerk zuständig ist (Formatio reticularis [Hirnstamm], inferior-parietale Strukturen, retikuläre und intralaminäre Thalamuskerne, dorsolateral-präfrontale Areale) und für selektive und geteilte Aufmerksamkeit je nach Art der Informationsverarbeitung rechts- oder linkshemisphärische Areale. Hauptsymptome sind bei Störungen der Aufmerksamkeitsintensität eine verlangsamte Informationsverarbeitung, bei Störungen der Aufmerksamkeitsselektion eine gestörte Fähigkeit, irrelevante verbale Informationen auszufiltern und sich relevanten Reizen zuzuwenden.
2.
Kognitive Dysphasie mnestischer Genese: Verursachend sind vor allem Läsionen in neuroanatomischen „Flaschenhalsstrukturen“, die für die Einspeicherung neuer und den Abruf bereits gespeicherter Informationen zuständig sind (medialer Temporallappen, basales Vorderhirn, Dienzephalon). Altgedächtnisstörungen führen zur Sprachverarmung mit floskelhaft-konfabulatorischer Spontansprache; Neugedächtnisstörungen können dazu führen, dass das im Gespräch Gesagte bereits nach kurzer Zeit vergessen wird.
3.
Kognitive Dysphasie dysexekutiver Genese: Verursachend sind beeinträchtigte Exekutivfunktionen, denen ein komplexes Netzwerk präfrontaler und subkortikaler Strukturen (Ncl. caudatus, Thalamus, Substantia nigra) zugrunde liegt und die für aktives und zielgerichtetes Verhalten zuständig sind. Hauptsymptome sind kognitive Desorganisation, die u. a. zu verbalen Planungsdefiziten, Sequenzierungsproblemen, Perseverationen und inkohärenter Spontansprache führt (desorganisiertes Syndrom; Abb. 3.45 und Abb. 3.46), Störungen im Sozialverhalten infolge einer verminderten Impulskontrolle (disinhibiertes Syndrom) oder eine Verminderung des Antriebs (apathisches Syndrom) mit Schwierigkeiten beim Starten einer verbalmotorischen Bewegung bis hin zum Mutismus.
Sprachtherapeutische Untersuchung und Diagnostik
•
AABT: Aachener Aphasie-Bedside-Test
•
BIAS: Bielefelder Aphasie-Screening
•
AST: Aphasie-Schnelltest
•
KAP: Kurze Aphasie-Prüfung
•
AAT: Aachener Aphasie-Test
•
ACL: Aphasie-Checkliste
•
CETI: Communicative Effectiveness Index
•
ANELT: Amsterdam Nijmegen Everyday Language Test
•
TAP: Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung
•
ZVT: Zahlen-Verbindungs-Test
•
Test d2: Aufmerksamkeits-Belastungs-Test,
•
VLT/NVLT: Verbaler Lerntest/Nonverbaler Lerntest
Therapeutisches Vorgehen
3.6.2
Sprechen
Aufbau und Funktion
Pathologien und Symptome
Sprachtherapeutische Untersuchung und Diagnostik
•
Frenchay-Dysarthrie-Untersuchung
•
MVP: Münchner Verständlichkeits-Profil
Therapeutisches Vorgehen
3.6.3
Schlucken
Aufbau und Funktion
Pathologien und Symptome
•
Der oralen Vorbereitungsphase, in der Nahrung zerkleinert, eingespeichelt, gekaut und in der Zungenschüssel gesammelt wird
•
Der oralen Transportphase, in der die Nahrung in den Oropharynx weitertransportiert wird
•
Der pharyngealen Phase, die mit der Auslösung des Schluckreflexes beginnt bei gleichzeitigem reflektorischem Atemstopp, Stimmlippenschluss, Taschenfaltenschluss sowie Senkung des Kehldeckels (Epiglottis) zum Schutz der oberen Luftwege vor dem Eindringen von Fremdkörpern (Aspiration)
•
Der ösophagealen Phase, in welcher der Ösophagussphinkter geöffnet wird und der Transport in der Speiseröhre Richtung Magen beginnt
•
der Symptomatik, die über den Schweregrad der Dysphagie bestimmt, z. B. Penetration (Eindringen von Speichel oder Nahrung bis auf Höhe des Kehlkopfeingangs) oder Aspiration (Eindringen von Speichel und Nahrung in die oberen Luftwege), die über die Therapieindikation bestimmen, und
•
den pathophysiologischen Ursachen der Dysphagie (z. B. ein ungenügender Kehlkopfverschluss oder eine eingeschränkte Zungenbasisretraktion), die Ausgangspunkt der funktionellen Dysphagietherapie sind.
Sprachtherapeutische Untersuchung und Diagnostik
•
FEES: fiberoptische endoskopische Evaluation des Schluckens
•
VF: Videofluoroskopie
•
Die Patienten zu identifizieren, die einer weiteren apparativen Schluckuntersuchung bedürfen, um zu entscheiden, ob Sofortmaßnahmen zum Schutz der Atemwege getroffen werden müssen (Schutzintubation, Tracheotomie)
•
Ob eine enterale (via Sonde) oder parenterale (intravenöse) Ernährung indiziert ist
•
Ob eine orale Ernährung erfolgen kann
Therapeutisches Vorgehen
1.
Restituierende Verfahren: Training der am Schlucken beteiligten Muskulatur (z. B. zur Verbesserung von Lippenschluss, Wangentonisierung oder Zungenbasisretraktion)
2.
Kompensatorische Verfahren: Modifikation des Schluckvorgangs durch Haltungsänderung und spezifische Schlucktechniken
3.
Adaptive Verfahren: diätetische Anpassung der Nahrung hinsichtlich Konsistenz, Formbarkeit und Bolusgröße, Einsatz von Ess- und Trinkhilfen
Literatur
Bartolome and Schröter-Morasch, 2013
Frommelt and Lösslein, 2010
Heidler, 2006
Tesak, 2005