© 2021 by Elsevier GmbH
Bitte nutzen Sie das untenstehende Formular um uns Kritik, Fragen oder Anregungen zukommen zu lassen.
Willkommen
Mehr InformationenB978-3-437-45131-7.00001-1
10.1016/B978-3-437-45131-7.00001-1
978-3-437-45131-7
Elsevier GmbH
Abb. 1.1

[P386]
Mit der linken, mehr betroffenen Hand aus einem Glas trinken
Abb. 1.2

[P386]
Gemüse klein schneiden im Juli 2012
Abb. 1.3

[P386]
Essen mit Messer und Gabel im September 2013
Abb. 1.4

[P386]
Wäsche aufhängen
Abb. 1.5

[P386]
Das erste Mal auf der Leiter im Jahr 2014
Abb. 1.6

[P386]
Einkaufen
Abb. 1.7

[P386]
Wäsche bügeln im Jahr 2014
Abb. 1.8

[P386]
Zielbesprechung 2015 – Maria kommt mit dem Wunsch in die Therapie, wieder Gitarre spielen zu können.
Abb. 1.9

[L231]
Therapeutische Arbeitshypothese
Abb. 1.10

[P386]
Person-bezogener Kontextfaktor Marias Familie: „Wir stehen hinter Dir und unsere Energie kennt nur eine Richtung: nach vorne!“
Abb. 1.11

[L231]
Ziele in der Rehabilitation: Bottom-up-Modell und Top-down-Modell
Maria: Konzept der Aktivität
Notwendige Aktivitäten für Gitarre spielen | Beurteilung | Bedeutung in der Therapie |
Rückenlage bis zum Sitz | sicher möglich | eignet sich gut, um einzelne Bewegungssequenzen und Komponenten zu erarbeiten |
Sitz zu Stand | sicher möglich | |
Stand zu Sitz | sicher möglich | |
Gehen plus Transport | nicht sicher möglich, da Maria zum Gehen einen Stock benutzt | muss erarbeitet werden |
Bücken aus dem Stand | nicht sicher möglich | muss erarbeitet werden |
Reich- und Greifbewegung der Arme | links nicht möglich | muss erarbeitet werden |
Greifbewegungen der Finger | links nicht möglich | muss erarbeitet werden |
Physiotherapeutische Befunderhebung und Diagnostik
1.1
Fallbeispiel – Maria B.
-
•
Januar 2012: Gehen auf Wohnungsebene mit Bettwäsche in beiden Armen. Das größte Problem dabei ist, dass sie ihre Beine dabei nicht sehen kann.
-
•
Mai 2012: Mit der linken Hand ein Glas halten und daraus trinken (Abb. 1.1).
-
•
Juni 2012: Lebensmittel in den Kühlschrank ein- und ausräumen.
-
•
Juli 2012: Gemüse klein schneiden (Abb. 1.2).
-
•
August 2012: Tisch decken inkl. Tischdecke entfalten und auflegen, Teller, Gläser und Besteck mit dem Tablett holen und anrichten, Blumenvase und Kerzenständer dazu stellen und die Kerze mit den Streichhölzern anzünden.
-
•
Bis Ende 2012: Immer wieder versuchen, die Gehstrecke im Freien zu erweitern.
1.2
Praktische Arbeit mit der ICF
Merke
Die Befund- und Ergebniskontrolle in der Rehabilitation findet in 3 ICF-Konzepten statt:
-
•
Konzept der Partizipation
-
•
Konzept der Aktivität
-
•
Konzept der Körperfunktion und -struktur
Die Kontextfaktoren ergänzen die Konzepte der ICF und stellen den Lebenshintergrund des Menschen dar.
1.2.1
Konzept der Partizipation
Zielsetzung im Konzept der Partizipation: Alltagskompetenz
-
1.
Selbstversorgung (Activities of Daily Living)
-
–
Sich waschen und pflegen, Toilette benutzen, sich kleiden, essen, trinken
-
-
2.
Häusliches Leben
-
–
Wohnraum beschaffen, einkaufen, Mahlzeiten vorbereiten, Hausarbeiten erledigen, Haushaltsgegenstände pflegen, anderen helfen
-
-
3.
Interpersonelle Interaktion und Beziehung
-
–
Elementare interpersonelle Aktivitäten wie Respekt, Wärme, Anerkennung, Toleranz und Kritik in Beziehungen, Beziehungen beginnen und beenden
-
–
Mit Fremden umgehen, formelle Beziehungen,
-
–
Soziale Beziehungen wie Freunde, Bekannte, Nachbarn, Mitbewohner
-
–
Familienbeziehungen und intime Beziehungen
-
-
4.
Bedeutende Lebensbereiche
-
–
Erziehung und Bildung, Arbeit und Beschäftigung
-
–
Wirtschaftliches Leben
-
-
5.
Gemeinschafts-, soziales und staatsbürgerliches Leben
-
–
Gemeinschaftsleben wie z. B. Feierlichkeiten, Erholung und Freizeit (Sport, Spiel, Kunst, Kultur, Hobbys)
-
–
Religion und Spiritualität, Menschenrechte, politisches Leben und Staatsbürgerschaft
-
-
•
In der stationären Rehabilitation standen Ziele der Selbstversorgung im Vordergrund, vorrangig der Toilettengang.
-
•
Zurück in der häuslichen Umgebung ergaben sich weitere Ziele der Selbstversorgung, wie trinken und mit Messer und Gabel essen, aber auch Ziele des häuslichen Lebens wie Wäsche versorgen, kochen, einkaufen.
-
•
Aktuell werden Ziele des Gemeinschaftslebens wichtig, wie Auto fahren, um zur Therapie zu kommen oder Freunde zu besuchen, sowie ihr Hobby Gitarre spielen.
Individuum/Aufgabe/Umwelt
Alltagsrelevantes Eigentraining – Wie? Wann? Warum?
Beispiel
Ein Patient ist nicht in der Lage, seine Hose, Strümpfe und Schuhe im Stehen anzuziehen (siehe Ziele Partizipation), da er Schwierigkeiten hat, auf seinem linken Bein zu stehen (Konzept der Aktivität [Kap. 1.2.2]: Stand zu Einbeinstand). Sein Hauptproblem auf Körperfunktions-/-strukturebene ist die Motorik; seine Glutäen auf der linken Seite sind in der Minus-Symptomatik (Kap. 3.1).
In der Therapie wird die Motorik entsprechend trainiert und der Einbeinstand geübt. Weiterhin bekommt der Patient die Aufgabe, seine Schuhe und Strümpfe im Stehen anzuziehen; die Umwelt hierzu besteht aus einem Stuhl vor ihm, auf den er sein rechtes Bein abstellen kann. Dies wird in der Therapie ausprobiert (Leistungsfähigkeit).
Als alltagsrelevantes Eigentraining erhält er den Auftrag, dies zu Hause ebenfalls so durchzuführen, allerdings zusätzlich mit dem Hinweis, sich dabei rücklings in eine Raumecke zu stellen, um die Sturzgefahr zu minimieren.
Sind Strümpfe und Schuhe über das alltagsrelevante Eigentraining konsolidiert (verfestigt), kann die Hose über die gleiche Strategie (siehe Umwelt) angezogen werden. Da man sich täglich anzieht, sind Repetitionen garantiert.
Assessments
-
•
Barthel-Index (Partizipation und Aktivität)
-
•
Functional Independence Measure (FIM)
-
•
Instrumental Activities of Daily Living (IADL)
-
•
World Health Organization Disability Assessment Schedule 2.0 (WHODAS 2.0)
1.2.2
Konzept der Aktivität
-
•
Rückenlage zu Seitenlage (sich drehen)
-
•
Seitenlage zum Sitz (sich aufsetzen)
-
•
Aktivitäten aus dem Sitz
-
–
Sich bücken, sich drehen etc.
-
–
Im Rollstuhl fortbewegen
-
-
•
Sitz zu Stand
-
•
Aktivitäten aus dem Stand
-
–
Sich bücken, sich drehen etc.
-
-
•
Stand zu Einbeinstand
-
•
Gehen
-
•
Rennen
-
•
Treppen steigen
-
•
Auf den Boden kommen und vom Boden aufstehen
-
–
Verschiedene Möglichkeiten, z. B. Tandemstand → Einbein-Kniestand → Kniestand → Seitsitz → Langsitz und wieder zurück
-
-
•
Aktivitäten der Arme
-
–
Können mit vielen o. g. Aktivitäten kombiniert werden
-
–
Transportbewegungen (geschlossene Kette)
-
–
Reich- und Greifbewegungen (offene Kette)
-
Zielsetzung im Konzept der Aktivität – welche Bewegungsübergänge sind nicht möglich?
Assessments
-
•
Action Research Arm Test (ARAT)
-
•
Berg Balance Scale (BBS)
-
•
Chedoke McMaster Stroke Assessment
-
•
Dynamic Gait Index (DGI)
-
•
Functional Ambulation Category (FAC)
-
•
Functional Reach
-
•
Motor Assessment Scale (MAS)
-
•
Olssen-Gehtest
-
•
Rivermead Mobility Index (RMI)
-
•
Rivermead Motorik Test (RMT)
1.2.3
Konzept der Körperfunktion und -struktur
Suche nach dem Hauptproblem
Merke
Auf Körperfunktions- und -strukturebene stellt sich der Therapeut die Frage:
In welchem der neurofunktionellen Systeme liegt hauptsächlich die Ursache für das Nichterreichen der Partizipationsziele?
-
•
Motorisches System (Kap. 3.1):
-
–
Kann die Patientin aufgrund von Tonus-Problemen nicht Gitarre spielen?
-
–
Z. B. Minus- oder Plus-Symptomatik (Kap. 3.1.2)
-
-
•
Perzeptionssysteme (Kap. 3.2):
-
–
Kann die Patientin aufgrund ihrer geschädigten Wahrnehmung nicht Gitarre spielen?
-
–
Z. B. Pusher-Symptomatik (Kap. 3.2.2)
-
-
•
Vegetatives System (Kap. 3.3):
-
–
Kann die Patientin aufgrund von vegetativen Problemen nicht Gitarre spielen?
-
–
Z. B. orthostatische Dysregulation (Kap. 3.3.2)
-
-
•
Kognitive Systeme (Kap. 3.4):
-
–
Kann die Patientin aufgrund von kognitiven Problemen nicht Gitarre spielen?
-
–
Z. B. Neglect (Kap. 3.4.2)
-
-
•
Biomechanisches System (Kap. 3.5):
-
–
Kann die Patientin aufgrund von biomechanischen Problemen nicht Gitarre spielen?
-
–
Z. B. kollagene Kontraktur (Kap. 3.5.2)
-
-
•
Kommunikationssystem (Kap. 3.6):
-
–
Kann die Patientin aufgrund von sprachlichen Problemen nicht Gitarre spielen?
-
–
Z. B. Aphasie (Kap. 3.6.2)
-
-
1.
Hauptproblem: Perzeptionssystem Propriozeption:
-
–
Maria spürt ihren linken Arm kaum bis gar nicht und integriert ihn daher nicht automatisch in ihre motorischen Abläufe (Reste der Pusher-Symptomatik).
-
-
2.
Perzeptionssystem vestibulär:
-
–
Maria merkt nicht, dass sie ihren Schwerpunkt auf die betroffene linke Seite verlagert (Reste der Pusher-Symptomatik).
-
-
3.
Motorisches System:
-
–
Maria hat in verschiedenen Muskelgruppen Schwächen (Minus-Symptomatik), aus denen ein Hypertonus (Plus-Symptomatik) in anderen Muskelgruppen resultiert.
-
-
4.
Biomechanisches System:
-
–
Maria kommt in ihrem linken Handgelenk und linken oberen Sprunggelenk nicht endgradig in die Dorsalextension.
-
Zielsetzung im Konzept der Körperfunktion und -struktur (basierend auf dem Hauptproblem Nr. 1) | Zielsetzung im Konzept der Aktivität | Zielsetzung im Konzept der Partizipation |
Wenn Maria ihren linken Arm mehr in ihr Körperschema integriert | Dann kann sie eine Reich- und Greifbewegung in linkem Arm und Hand erreichen | Dann kann sie Gitarre spielen |
1.2.4
Kontextfaktoren
Umweltfaktoren
-
•
E1: Produkte + Technologien
-
•
E2: Natürliche + vom Menschen veränderte Umwelt
-
•
E3: Unterstützung + Beziehungen
-
•
E4: Einstellungen + Werte
-
•
E5: Dienste, Systeme und Handlungsgrundsätze
-
•
Innerhalb der Wohnung:
-
–
Bodenbeläge, Schwellen
-
–
Türbreiten, Möbel, Inventar (Toilette, Bad, Küche etc.)
-
–
Stufen & Treppen, Geländer re/li
-
–
Keller, Garage, Dachboden
-
–
Notrufanlage, Sprechanlage, Klingel
-
-
•
Außerhalb der Wohnung:
-
–
Auto, Parkmöglichkeiten
-
–
Garten, Balkon
-
–
Wegstrecke, Verkehrsmittel
-
–
Wohnlage i. B. a. Einkaufsmöglichkeiten
-
-
•
Hilfsmittel:
-
–
Für die Fortbewegung
-
–
Für die ADLs
-
–
Für das Gedächtnis
-
Person-bezogene Faktoren
1.3