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978-3-437-45131-7
Elsevier GmbH
Abb. 5.1

[H010]
Das Strukturmodell im Bobath-Konzept
Abb. 5.2

[P387]
Vor der Schulung – während der Schulung
Der Patient steht mit viel Kraft des nichtparetischen Beines und mit viel Beschleunigung auf. Das führt zu ungeeigneten Tonuserhöhungen in den Plantarflexoren (1) und im Arm (2). Bei Einstellung des Beckens und Oberkörpers über beiden Beinen und bei einer veränderten Planung der Bewegung ist ein Abdruckmuster beider Beine möglich (3). Die assoziierte Reaktion im Arm reduziert sich ebenfalls (4). Der Patient kann zunächst diese Bewegungsstrategie erfahren, sodass sich sein Körperschema adaptiert. Dann soll er lernen, die optimierten Bedingungen und damit den Zugriff auf die Muskelrekrutierung beider Körperhälften selbstständig herbeizuführen. Damit wird auch die Bewegungsplanung adaptiert und entsprechend den Lernressourcen angepasst.
Abb. 5.3

[P386]
Bewegungsanalyse mithilfe des „Top-down-Modells“ (in Anlehnung an Fries 2007). Darstellung einer Top-down-Analyse am Beispiel der Aktivität Gehen, hier für die Partizipation, beim Bäcker einzukaufen.
Aktivitäten werden in sogenannte Teilaktivitäten zerlegt, um die notwendigen Körperfunktionen systematisch zuordnen zu können. In diesem Beispiel werden nur einige der zugehörigen Aktivitäten genannt. Gehen, die Teilaktivität Einbeinstandphase und die Körperfunktionen, die zur Stabilisation des Beckengürtels notwendig sind, werden als Beispiel herausgegriffen und sind fett gedruckt. Die Einbeinstandphase wird anhand des Fotos gezeigt. Der Sichtbefund mit eingezeichneter Schwerpunktslinie (KSP) zeigt, dass der KSP nicht über dem Standbein eingestellt ist.
Abb. 5.4

[L231]
Analyse der Bewegungsstrategie für die Teilaktivität Einbeinstand
Abb. 5.5

[R108]
Übersicht über grundlegende Ausgangsstellungen im Mattenprogramm
Abb. 5.6

[R108]
Von der Bauchlage (a) in den Unterarmstütz (b) als niedrige Ausgangsstellung mit Fazilitation über Schultergürtel bzw. Schulterblätter bilateral
Abb. 5.7

[R108]
Einbeinkniestand mit unterschiedlichen Fazilitationsmöglichkeiten je nach Widerstandrichtung, z. B. von Hüftextension oder -abduktion links
Abb. 5.8

[R108]
Rumpfaufrichtung durch Aktivierung der ventralen und dorsalen Rumpfmuskulatur durch Fazilitation über den Schultergürtel
Abb. 5.9

[R108]
Anbahnung von Gewichtsverlagerung zur Fazilitation von „Schinkengang“ als Vorbereitung für den späteren Transfer vom Sitz in den Stand
Abb. 5.10

[R108]
Assistives Feststellen der Bremse mit Kreuzen der Mittellinie des linken Arms unter Einbeziehung des Kopfes
Abb. 5.11

[P394]
Reflexumdrehen in der Rückenlage. Besonders intensiv und differenziert wird die ventrale Muskulatur zusammen mit der autochthone Rückenmuskulatur angesprochen. Es kommt zur Streckung und Äquilibrierung im Axisorgan.
Abb. 5.12

[P394]
Reflexumdrehen in Seitlage
Abb. 5.14

[P394]
Ausgangsposition des Reflexkriechens in der therapeutischen Situation; Stimulation der Fersenzone
Abb. 5.15

[P396]
Druck-Stauch-Impulse an den Ossa pisiforme und scaphoideum zur Initiierung der Stemmreaktion an der oberen Extremität
Abb. 5.16

[P396]
Therapeutische Ausgangsstellung des „Bridgings“
Abb. 5.17

[P169]
Unterstützung beim Essen: Die Therapeutin führt die Hand der Patientin und stabilisiert den Kiefer mit dem Kieferkontrollgriff, um den oralen Bolustransport zu erleichtern.
Abb. 5.18

[M423/P397]
Gangklassifikation nach N.A.P. Gait Classification. Es gibt zwei mögliche Fehlstellungen des Fußes: Inversions- oder Eversionsstellung, die jeweils mit weiter nach oben verlaufenden Kompensationsstrategien einhergehen.
Abb. 5.19

[M423]
Treppe seitlich überkreuzt. Die Therapeutin rotiert den Talus nach innen, um die notwendige biomechanische Situation (Eversion) und Stabilität im Vorfuß herzustellen. Beim Hochsteigen kann Herr H. seine Hüftextensoren und -außenrotatoren, die durch die überkreuzte Beinstellung zuvor optimal vorgedehnt wurden, leichter kontrahieren. Hierdurch werden die dorsalen Strukturen aktiv verlängert und ermöglichen eine gute Kniekontrolle.
Abb. 5.20

[P398]
„Die Waage“ – Rückrollung des Balls
Abb. 5.21

[P398]
Die Patientin setzt alternierend einen Fuß auf die Schwelle.
Abb. 5.22

[P399]
Spiegeltherapie: Ein Spiegel wird parasagittal zur Körpermitte des Patienten aufgestellt.
Abb. 5.23

[V492]
Spiegeltherapie: Übungskarte
Abb. 5.24

[V492]
Spiegeltherapie: Tagebuch
Abb. 5.25

[P400]
Beispiel: Behandlung von Schulterbeschwerden
Abb. 5.26

[L231]
Behandlungsebene bei konvex/konkaven Gelenkpartnern
Abb. 5.27

[L231]
Behandlungsebene bei planen Gelenkpartnern
Abb. 5.28

[P401]
Aktive Mobilisation in Richtung Slump/Langsitz: Die Therapeutin fixiert die linke, betroffene Hand an der Kiste, während der Patient sich streckt, um an die andere Schachtel zu kommen. Um zu viel neurale Spannung zu verhindern, hat die Therapeutin die Knie des Patienten unterstützt. Der Patient kontrolliert, dass seine Beine nicht nach außen (im Sinne einer Entlastung) rotieren.
Abb. 5.29

[L157]
Zentralisation
Abb. 5.30

[P402]
Bein mit Delle im Ödem nach Dellentest
Abb. 5.31

[L231]
Energy Crisis – ein Circulus vitiosus
Abb. 5.32

[P386]
Trainieren der Hüftabduktoren/-außenrotatoren mittels Therapiehund „Kalle“
Abb. 5.33

[P395]
Erarbeiten des Fahrradfahrens in der Physiotherapie
Abb. 5.34

[P386]
Samuel Koch beim ersten Tauchtraining im Schwimmbad
Abb. 5.35

[L231]
Tonusregulation
Abb. 5.36

[P395]
Junge Frau mit spinaler Muskeldystrophie bei der Segeltherapie
Abb. 5.37

[P386]
Impressionen der Weltreiterspiele 2014 aus der Normandie/Frankreich
Abb. 5.38

[P391]
Patientin mit Hemiplegie an der Therapiewand
Abb. 5.39

[P391]
Patientin mit Hemiplegie im Vorstieg (Kletterhalle)
Abb. 5.40

[P391]
Patientin mit inkomplettem Querschnitt
Abb. 5.41

[P403]
Impressionen am Berg bei Banyalbufar
Abb. 5.42

[V753]
Beispiel für ein in der neurologischen Physiotherapie geeignetes Laufband mit Körpergewichtsentlastungssystem
Abb. 5.43

[V759]
Beispiel für einen in der neurologischen Physiotherapie geeigneten Gangtrainer
Abb. 5.44

[U356]
Sitz-zu-Stand-Trainer®
Abb. 5.45

[P405]
Standbeinphase – Ableitungen EMG-BiofeedbackEMG-BiofeedbackAbleitungen
a 1 Mm. trapezius, Pars descendens, transversa et ascendens. 2 Erste Reaktion Schlaganfall – kompensatorischer Einsatz des Pars descendens der “gesunden” Seite = reziproke Hemmung der betroffenen Seite (hypotone Hemiparese, -plegie/Schockphase). 3 Im Krankheitsverlauf zunehmende Bewusstseins- und Gewichtsverlagerung zur “gesunden” Seite – pathologisch enthemmte (assoziierte) Reaktion im Pars descendens der betroffenen Seite. 4 Reziproke Hemmung der Muskelteile Pars transversa et ascendens = Verlust der Schulterblattstabilität.
b Amplitudenkurve beim Wechsel zwischen hoher phasischer (kompensatorischer) und tonischer Grundspannung
c Therapiebeispiel: Hemiplegie rechts mit hypotoner Grundsymptomatik. 1 Hohe kompensatorische Anspannung (links) während der Verrichtung von Alltagsaktivitäten. 2 Aufbau physiologischer Beckenstabilität, Stütz- und Standbeinfunktionen (rechts) etc. unter Kontrolle kompensatorischer (links) und/oder pathologisch enthemmter Reaktionen (rechts).
d Therapieziel Alltagsaktivität: „Post vom Briefkasten holen!“, z. B. zur Verbesserung der Standbein- und Schulterblattstabilität. Bewegungsrichtung zum Bildschirm mit Biofeedbackkontrolle – Rückweg ohne Biofeedbackkontrolle = Alltagstransfer
Abb. 5.46

[V760]
Basko Toe-off-Fußheberorthese
Abb. 5.47

[V760]
Fußgelenkorthese zur Stabilisierung, Entlastung, Stützung oder Redression, aus FVW (AFO) mit Gelenken
Abb. 5.48

[V760]
Bestandteile Uniroll Moly 2920
Abb. 5.49


[V760]
Maßbogen Rollstuhlanpassung
Abb. 5.50

[V143]
Einhänderbrett, z. B. Frühstücksbrett mit Saugnäpfen und Schneidhilfe zum einhändigen Schneiden
Abb. 5.51

[V143]
Essbestecke mit Griffverdickung und mit Biegung
Abb. 5.52

[V143]
Verschiedene Trinkhilfen: a Becher mit Nasenausschnitt, b Becherhandgriff, c Flaschenöffner für Schraubverschlüsse
Abb. 5.54

[V760]
Detaillierter Verordnungstext bei Umversorgung auf eine hochwertigere Fußheberorthese am Beispiel einer Walk-on-Orthese
Umsetzung der Lernphasen im Bobath-Konzept
Orientierungsphase → | Übungsphase → | Automatisierungsphase |
|
|
|
Aufbau einer Behandlung nach PNF (Beispiel)
Ausgangsstellung | Pattern oder Bewegungsübergang | Techniken |
SL rechts | Massenextension |
|
Seitlage rechts, rechtes Bein so weit wie möglich gestreckt, Fuß gegen die Wand |
|
|
Sitz | Oberkörpervorlage | agonistische Umkehr für die Extensoren des Rumpfes |
Sitz |
|
agonistische Umkehr über das Becken appliziert |
Stand – Schrittstand | rechtes Bein vorne, Fazilitation der Gewichtsverlagerung nach vorn auf das rechte Bein |
|
Stoßdämpferphase | rechtes Bein vorne | agonistische Umkehr |
SL = Seitlage
Patientenbeispiel bei Minus-Symptomatik bzw. Schwäche der Abduktoren und Außenrotatoren des Hüftgelenks
– | Minus-Symptomatik | Direkter „Approach“ | Indirekter „Approach“ | ||
+ | Plus-Symptomatik | Pattern | Technik | Pattern | Technik |
– | M. trapezius, pars ascendens | Scapula: Elev posterior |
| ||
+ | M. levator scapulae | Scapula: Elev anterior | Hold – Relax | Scapula: Depr posterior | Hold – Relax |
+ | Adduktoren und Innenrotatoren linkes Schultergelenk | Arm: Ext, Add, IR | Hold – Relax |
|
|
– | M. trapezius, pars ascendens links | Scapula: Depr posterior |
|
|
|
+ | M. latissimus dorsi | Arm: Ext, Abd, IR | Hold – Relax |
|
|
– | M. infraspinatus | Arm: Flex, Abd, AR |
|
|
|
– | M. deltoideus, pars clavicularis | Arm: Flex, Abd, AR |
|
|
|
– | M. obliquus externus abdominis links | Arm: Ext, Add, IR, Massenflexion |
| Massenextension rechts |
|
– | M. obliquus internus abdominis links | Bein: Flex, Add, AR, Massenflexion |
| Massenextension rechts |
|
+ | M. quadratus lumborum links | Becken: Elev posterior | Hold – Relax | Unteres Rumpfmuster der Flex nach rechts in RL oder SL |
|
– | M. rectus abdominis | Massenflexion |
| Matte: Ellenbogenstütz in BL zum Ellenbogen – Kniestand |
|
+ | M. iliopsoas | Bein: Flex, Add, AR | Hold – Relax |
|
|
– | kleine Glutäen links |
|
| ||
+ | Adduktoren linke Hüfte | Bein Ext, Add, AR | Hold – Relax |
|
|
Depr = Depression, Elev = Elevation, Ext = Extension, Flex = Flexion, Abd = Abduktion, Add = Adduktion, AR = Außenrotation, IR = Innenrotation, BL = Bauchlage, RL = Rückenlage, SL = Seitlage
Einteilung der pathologischen Motorik in Analogie zur Chronologie der AufrichtungsstadienAufrichtungsstadien während der normalen motorischen Entwicklung im Säuglingsalter
Aufrichtungsstadium nach VOJTA | Entwicklungsalter (90. Perzentile)/Fähigkeiten des Säuglings | Pathologisches Muster | Fähigkeiten des motorisch gestörten Erwachsenen |
0 | Neonatalperiode bis ca. 10. Woche: holokinetisches Muster | eingeschränktes holokinetisches Muster | keine Orientierungsmöglichkeit |
1 | 3.–4. Monat: Zuwendung/Betasten in RL |
Zuwendung mit „ganzem Körper“ in Ersatzmuster | Kontaktaufnahme, Orientierung, fähig zu zielgerichteten Armbewegungen |
2 | Ende 4./Ende 5. Monat: einhändiges Greifen in BL | pathologisches Stützen, Greifen in BL mit Ersatzmuster | Bewegungsübergänge, z. B. Drehen von RL in SL in BL, Übersetzen vom Bett in den RS; Körperpflege, Essen selbstständig oder mit wenig Assistenz möglich |
3 | 7./8. Monat: Vorwärtsbewegung Robben | Kriechen/Robben mit Ersatzmuster | Bewegungsübergänge, z. B. Drehen von RL in SL in BL, Hochkommen zum Sitz, Übersetzen vom Bett in den RS; Essen, Körperpflege selbstständig möglich |
4 | Durchgangsstadium vor Krabbeln: „Schwimmmuster“ |
homologes „Hüpfen“ aus abnormem 4-Füßer-Muster | im Erwachsenenalter von Stadium 5/6 nicht scharf abgrenzbar |
5 | 10./11. Monat: Vorwärtsbewegung Krabbeln |
Vorwärtsbewegung: abnormes Krabbeln | Vorwärtsbewegung durch Krabbeln, Aufstehen vom Boden mithilfe der Arme, eventuell Gehen mit Gehhilfe (Rollator) möglich. |
6 | 12./13. Monat: Vorwärtsbewegung in Seitstellschritt, „Küstenschifffahrt“ | vertikale Hilfslokomotion (nicht frei) | wie in 5 |
7 | > 15. Lebensmonat: sicheres freies Gehen | freies Laufen unter Rückgriff auf Ersatzmuster | Aufrechtes bipedales Gehen ohne Gehhilfen |
8 | > 3. Lebensjahr: Einbeinstand rechts oder links, > 3 s | Einbeinstand > 3 s, rechts oder links, abnormes Muster | Treppen auf- und absteigen mit Geländer möglich |
9 | > 4. Lebensjahr: Einbeinstand, > 3 s, im Wechsel re/li | Einbeinstand > 3 s, re/li wechselnd, abnormes Muster | Treppe auf- und absteigen im Wechselschritt ohne Geländer möglich |
RL= Rückenlage, BL = Bauchlage, SL= Seitenlage, RS =Rollstuhl
Auslösezonen für die ReflexlokomotionReflexlokomotionAuslösezonen
Bezeichnung | Lokalisation | Seite/Manöver | Bemerkung |
Brustzone | ICR 7/8; 2–3 cm lateral der Medioklavikularlinie | GS – RU/RK | Das RU ist vollständig bis zur Seitenlage auszulösen; bei RK als segmentale Aktivierung zu nutzen |
Rumpfzone | 2–3 cm unterhalb der Scapulaspitze | HHS – RK, RU | KOMBINATION |
Fersenzone | Processus lateralis tuberis calcanei (Außenrand der Ferse) |
HHS – RK | relativ intensiver periostaler Reiz; KOMBINATION |
Kniezone | Epicondylus medialis femoris | GS – RK, RU | KOMBINATION |
Ellenbogenzone | Epicondylus medialis humeri | GS – RK/RU | relativ intensiver periostaler Reiz; KOMBINATION |
Handgelenkszone | Processus styloideus radii | HHS – RK/RU | KOMBINATION |
Beckenzone | Spina iliaca anterior superior | GS – RK, RU | KOMBINATION |
Glutealzone | Mitte der Aponeurose des M. gluteus medius | HHS – RK/RU | KOMBINATION |
Acromionzone | ventraler vordere Rand des Acromions | HHS – RK/RU | KOMBINATION |
Schulterblattzone | medialer Rand des Schulterblattes | GS – RK/RU | KOMBINATION |
RU = Reflexumdrehen, RK = Reflexkriechen, HHS = Hinterhauptsseite, GS = Gesichtsseite; KOMBINATION = In Kombination mit anderen Zonen ist das RK vollständig auszulösen, beim RU als segmentale Aktivierung zu nutzen. Durch sinnvolle Kombination, durch Richtung und Intensität des Drucks wird der Auslöseeffekt verstärkt.
Reihenfolge im BehandlungskonzeptAffolterBehandlungskonzept (Schritte a bis e)
Primär | Behandlung | Sekundär |
a) Schädigung des Gehirns, Störung der Organisation des Gehirns (Wahrnehmung) (Reorganisation des Gehirns) |
b) Gestörte Einzelleistungen, z. B Kommunikation (Sprache, Lesen, Schreiben), Planen, Probleme lösen, tägliche Verrichtungen usw. | |
c) Gespürte Interaktion mit Ziel (Reorganisation des Gehirns) | ||
d) Verbesserung der Organisation der Wahrnehmung | e) Als Folge Abbau sekundärer Schwierigkeiten |
Beispiel für kraniale Nerven: N. vagus (X. Hirnnerv; Kap. 3.3.1)
Funktion | sensorisch, motorisch, parasympathisch |
Klinische Symptome | Hypo- oder Anästhesie von Pharynx, Larynx, Stimmverlust (Kap. 3.7.2), vegetative Störungen (Kap. 3.3.2) |
Wichtige Schädelknochen | Os temporale, Os occipitale |
Durchtrittsstelle | Foramen jugulare |
Vegetatives Nervensystem: Beispiel Leber
Sympathikus | Nn. splanchnici major | Metamere Th6–Th9 |
Parasympathikus | N. vagus | kranial |
Wer kann tauchen?
Menschen, die neurologische Erkrankungen erlitten haben (Beispiele) | Menschen mit Bewegungseinschränkungen |
|
|
Jeder, der tauchen lernen möchte, muss vorher seinen Arzt kontaktieren und sich zusätzlich von einem Tauchmediziner auf seine Tauchtauglichkeit untersuchen lassen. |
Therapeutische Verfahren – Grundlagen und Spezifika
-
5.1
Das Bobath-Konzept341
5.1.1
Was ist Bobath?341
5.1.2
Struktur des Konzepts341
5.1.3
Anwendung von Methoden und Techniken für den Prozess des motorischen Lernens343
5.1.4
Umgang des Bobath-Konzepts mit Bewegungsverhalten und Dysfunktionen in der Bewegungskontrolle345
5.1.5
Konzept346
5.1.6
Umsetzung des Konzepts347
5.1.7
Intervention im Bobath-Konzept348
5.1.8
Realisation im Arbeitsalltag350
5.1.9
Anpassung an die Krankheitsstadien und die Neuropathologie351
5.1.10
Informationen über die Ausbildung im Bobath-Konzept352
-
5.2
Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation353
-
5.3
Vojta-Prinzip367
-
5.4
Affolter – Das Wurzel-Modell377
5.4.1
Vernetzung und komplexe Organisation des Gehirns377
-
5.5
Feldenkrais381
-
5.6
Akrodynamische Therapie386
-
5.7
Facio-Orale Trakt-Therapie (F. O. T. T.®)389
-
5.8
Neuroorthopädische Aktivitätsabhängige Plastizität (N.A.P.®)391
-
5.9
Funktionelle Bewegungslehre (FBL)/Functional Kinetics397
-
5.10
Spiegeltherapie401
-
5.11
Osteopathie407
-
5.12
Manuelle Therapie (MT)411
-
5.13
Maitland/Nervenmobilisation (NOI)415
-
5.14
McKenzie-Konzept419
-
5.15
Manuelle Lymphdrainage423
-
5.16
Taping425
-
5.17
Triggerpunkt-Therapie427
-
5.18
Tiergestützte Therapie429
-
5.19
Bewegung als Hobby – Handicap- und Rollstuhl-Sportarten unter therapeutischen Aspekten434
-
5.20
Gerätegestützte Therapie447
5.20.1
Lokomotion mittels Gerät447
-
5.21
EMG-Biofeedback451
-
5.22
Hilfsmittelversorgung454
In diesem Kapitel werden verschiedene therapeutische Herangehensweisen vorgestellt. Gerade im therapeutischen Bereich gibt es die unterschiedlichsten Verfahrensweisen, die aber immer eins gemeinsam haben: unseren Patienten weiterzuhelfen.
Wir, die Herausgeber, haben die Vertreter der nachfolgenden therapeutischen Verfahren gebeten, sowohl die theoretischen Grundlagen, die Zielsetzungen als auch möglichst viele praktische Beispiele der jeweiligen Methode darzustellen.
Ziel ist es, das spezielle Verfahren, seine Grundlagen und Herangehensweisen kennenzulernen und einen Eindruck zu gewinnen, wie damit gearbeitet wird und bei welchen Pathologien der neurofunktionellen Systeme es zum Einsatz kommen kann.
Da wir aber nicht mit allen Therapieverfahren bis ins Kleinste vertraut sind, haben wir selbstverständlich die Verantwortung für die Inhalte an unsere Autoren übertragen.
Sollten sich also Fragen ergeben oder möchte man tiefer in die spezielle therapeutische Herangehensweise einsteigen, so empfehlen wir den Besuch der jeweiligen Website und dort die Kontaktaufnahme mit den jeweiligen Vertretern.
Das Bobath-Konzept
5.1.1
Was ist Bobath?
5.1.2
Struktur des Konzepts
Beispiel
Ein Patient möchte das Treppensteigen erlernen, damit er in sein Schlafzimmer kommen kann. Befundabhängig wird ein Therapeut entscheiden, ob er erst die Koordination der Bewegungsabfolge erlernen muss oder ob vorweg Kräftigung, Ausdauertraining und Mobilisation erfolgen müssen, weil notwendige Voraussetzungen, z. B. die Unterschenkelflexion nach dorsal als Teil der Spielbeinphase, erarbeitet werden müssen.
5.1.3
Anwendung von Methoden und Techniken für den Prozess des motorischen Lernens
Orientierungsphase/kognitive Phase
Merke
In der Orientierungsphase wird Hands-on-Fazilitation verwendet, damit Patient und Therapeut den zurzeit bestmöglichen effizienteren Bewegungsweg finden.
Übungsphase/assoziative Phase
Merke
In der Übungsphase wird Hands-on-Fazilitation zur Überprüfung der Bewegungsausführung angewendet.
Automatisierungsphase/autonome Phase
Merke
In der Automatisierungsphase wird nicht mit Hands-on-Fazilitation gearbeitet.
Beispiel
Ein Patient möchte lernen, sich die Hose im Stehen anzuziehen. Dies erfordert eine Verlagerung des Körperschwerpunkts über das Standbein und Balance auf dem Bein, während das andere sich ins Hosenbein hineinbewegt.
Merke
Der 24-Stunden-Ansatz ermöglicht das Üben und Automatisieren von zielverwandten Bewegungsabläufen.
5.1.4
Umgang des Bobath-Konzepts mit Bewegungsverhalten und Dysfunktionen in der Bewegungskontrolle
Merke
Patienten sollen lernen, ihre Leistungsfähigkeit zu erkennen, auszuschöpfen und nach Möglichkeit diese in ihren Alltagshandlungen zu benutzen.
5.1.5
Konzept
-
•
Beste verfügbare Evidenz für das BK, zusammen mit repetitivem, aufgabenorientiertem, kardiovaskulärem, virtuellem Training, CIMT, gerätegestützter Therapie
-
•
Neu aufgelegte Leitlinien für Rehabilitation nach Schlaganfall fordern acht Bestandteile, die alle im BK umgesetzt werden
5.1.6
Umsetzung des Konzepts
•
Verständnis von der gegenwärtigen Lebenssituation des Patienten erlangen
•
Beurteilung der Leistung auf Partizipations-, Aktivitäts- und Körperfunktionsebene (Kap. 1.2, Kap. 3)
•
Einschätzung der Leistungsfähigkeit in Beziehung zu den Zielstellungen des Patienten
•
Entwicklung von Therapiezielen (SMART; Kap. 1.3)
•
Die Bewegungsstrategien, die bei der Ausführung von Aktivitäten verwendet werden
•
Die für das Bewegungsverhalten bedeutsamen Körperfunktionen und -strukturen (sensomotorisch, perzeptiv, kognitiv, emotional, ggf. vegetativ; Kap. 3.1 bis Kap. 3.6Kap. 3.1Kap. 3.1.1Kap. 3.1.2Kap. 3.1.3Kap. 3.1.4Kap. 3.2Kap. 3.2.1Kap. 3.2.2Kap. 3.2.3Kap. 3.2.4Kap. 3.2.5Kap. 3.2.6Kap. 3.2.7Kap. 3.2.8Kap. 3.3Kap. 3.3.1Kap. 3.3.2Kap. 3.3.3Kap. 3.3.4Kap. 3.4Kap. 3.4.1Kap. 3.4.2Kap. 3.4.3Kap. 3.4.4Kap. 3.5Kap. 3.5.1Kap. 3.5.2Kap. 3.5.3Kap. 3.5.4Kap. 3.6)
•
Die Kraftproduktion bei Muskeln der Willkürinnervation
•
Die Innervation und Ausdauer der Muskeln für posturale Kontrolle (Kap. 3.1.3)
•
…
Beispiel
Ein Schritt treppauf mit rechts erfordert u. a. stabilisierende Aktivierung der linken Beckengürtelmuskeln. Die Fähigkeit zur Stabilisation erfordert Kraft und antizipatorische Haltungskontrolle dieser Muskeln. Dem Patienten kann eines davon oder beides fehlen.
1.
Lernbedarf des Patienten, wenn die zielnotwendigen Bewegungsfunktionen vorhanden sind, aber nicht genutzt werden
2.
Trainingsbedarf, wenn notwendige Bewegungsfunktionen fehlen; zusätzlich dann
3.
Schulung einer kompensatorischen aber zukunftsweisenden Bewegungsstrategie, wie das ergänzende Abstützen am Treppengeländer, um vorübergehend fehlende Kraft im paretischen Bein auszugleichen
4.
Schulung von zielverwandten Aktivitäten, wenn Bewegungsstrategien eingesetzt werden, die den Rehabilitationsverlauf beeinträchtigen würden (24-Stunden-Ansatz; Abb. 5.3, Abb. 5.4)
5.1.7
Intervention im Bobath-Konzept
Merke
Das Bobath-Konzept sorgt für eine hohe Therapieintensität, indem der Patient geschult wird, alltägliche Bewegungsabläufe so zu gestalten, dass damit ein sinnvolles Training erfolgt.
-
•
Das Kriterium für therapeutische Intervention auf Aktivitätsebene ist, dass ein Patient nicht nur quantitative Bewegungsparameter (z. B. Schnelligkeit, Ausdauer) verbessert, sondern dass sich auch qualitative Bewegungsparameter (z. B. Einsatz einer Bewegungsstrategie mit geringerer Energiebilanz) verbessern (Kap. 3.1.1, Kap. 3.1.2).
-
•
Wenn qualitative Bewegungsparameter fehlen, erarbeitet ein Bobath-Therapeut erst die notwendigen körperlichen Voraussetzungen, z. B. die muskuläre Stabilisation des Beckengürtels (Abb. 5.4). Er passt also die Leistungsforderung an die Leistungsfähigkeit an. Hierzu kann eine vereinfachte Lernumgebung hilfreich sein, indem ein Bewegungsmuster, wie die Standbeinphase, zunächst im Liegen erarbeitet wird. Durch die vereinfachte Anforderung (Shaping down) kann die Kraftanforderung angepasst und zusätzliche Leistungen, wie Balance zu halten, können ausgeschlossen werden.
B. Bobath 1989
-
•
Wenn ein Üben auf Aktivitätsebene zur Manifestation des kompensatorischen Bewegungsverhaltens führt
-
•
Und wenn der Behandlungsverlauf in vereinfachter Situation zu einer Reduktion der Beeinträchtigungen führt
-
•
Und der Patient anschließend eine höhere Bewegungsqualität in den Aktivitäten erlernt
5.1.8
Realisation im Arbeitsalltag
5.1.9
Anpassung an die Krankheitsstadien und die Neuropathologie
Therapeutische Intervention nach einer einmaligen Läsion
Therapeutische Intervention bei chronisch progredienten Erkrankungen
5.1.10
Informationen über die Ausbildung im Bobath-Konzept
Literatur
Bobath, 1989
Bobath B. Zitat: Video-Aufzeichnung vom Mai 1989 in Bad Bevensen (Transkription und Originalvideo hinterlegt bei Evelyn Selz).Brock et al., 2011
Eckhardt, 2013
Eckhardt et al., 2016
Eckhardt and Greb, 2008
Gjelsvik, 2012
Graham et al., 2009
Haarer-Becker, 2010
Levin and Panturin, 2011
Liepert, 2013
Ritter and Welling, 2014
Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation
PNF – Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation®Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation® ist ein Fazilitationskonzept („F“ = Fazilitation = Erleichterung, Förderung) mit dem Ziel, mittels spezifischer Informationen (über „P“ = Propriozeptoren) optimale Bewegungskoordination („N“ = neuromuskulär) zur Ausführung von Alltagsaktivitäten zu fördern. PNF bietet eine Behandlungsphilosophie sowie standardisierte Behandlungstools, die es ermöglichen, den Patienten/Klienten auf allen Ebenen des ICF therapeutisch zu begleiten und in seiner Rehabilitation zu unterstützen.
5.2.1
PNF-Philosophie
-
•
Positive Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation®PhilosophieVorgehensweise (Positive Approach):
-
–
Beurteilung der vorhandenen Funktionen (nicht nur der Defizite)
-
–
Therapie beginnen mit Aktivitäten oder Funktionen, die möglich sind
-
–
Erfolgserlebnisse ermöglichen
-
–
„Indirekt“ vorgehen (d. h., die betroffenen Körperabschnitte nicht „direkt“ berühren)
-
–
Keine Schmerzen verursachen
-
-
•
Funktionelle Vorgehensweise:
-
–
Therapie orientiert sich an der ICF (Kap. 1.2), sowohl auf der Ebene der Körperstrukturen und Körperfunktionen als auch auf der Aktivitätsebene
-
–
Aktivitätsorientierte Befunderhebung
-
–
Optimierung der Körperfunktionen für Teilnahme
-
-
•
Mobilisation von Reserven:
-
–
Der Patient wird darin gefördert, aktiv zu sein
-
–
Intensives Training – Wiederholung und Variationen (unterschiedliche Ausgangsstellungen, Aktivitäten und Umweltkontexte)
-
–
Förderung des Eigentrainings, z. B. mit Angehörigen usw.
-
-
•
Den Menschen ganzheitlich betrachten:
-
–
Sowohl während der Befunderhebung als auch in der Therapie
-
–
Einbeziehung von Umwelt- und persönlichen Faktoren (physisch, intellektuell, emotional)
-
-
•
Anwendung von Prinzipien des motorischen Lernens und der motorischen Kontrolle (Kap. 3.1)
5.2.2
Grundprinzipien und Grundverfahren
Taktile, visuelle und verbale Stimuli
-
•
Taktile Stimulation
-
–
Manueller Kontakt, Interaktion mit der Umwelt
-
–
Taktile Stimulation wird dort, wo nötig, solange wie nötig, jedoch so wenig wie möglich mit einem lumbrikalen Griff des Therapeuten oder mit Hilfsmittel/Umwelt erteilt
-
-
•
Auditive Stimulation
-
–
Verbale Stimulation, aufgabenorientierte Bewegungsaufträge
-
–
Andere (z. B. Musik)
-
-
•
Visuelle Stimulation
-
–
Visuelle Bezüge zum Körper des Patienten
-
–
Visuelle Bezüge zur Umwelt/zu einem Objekt
-
–
Augenkontakt zwischen Patient und Therapeut (Kap. 3.2.1)
-
Widerstand
-
•
Optimaler Widerstand (manuell oder durch die Umwelt)
-
•
Unterschiedliche Arten der Muskelaktivierung in Betracht ziehen: dynamisch (konzentrisch, exzentrisch), statisch
-
•
Dreidimensional
Traktion
-
•
Fazilitiert Mobilität
-
•
Fazilitiert Beugesynergien insbesondere für Bewegungen in der offenen Kette und wird bei Bewegungen gegen die Schwerkraft appliziert
Approximation
-
•
Fazilitiert Stabilität
-
•
Kann schnell, langsam und/oder beibehaltend appliziert werden
Stretch-Stimulus
-
•
Auf vorgespannte oder elongierte Muskeln
-
•
Kurzfristige Elongation (ohne schnellen Stretch)
-
•
Auf Muskeln, die bereits kontrahiert sind (Re-Stretch)
-
•
Beibehaltende Elongation (z. B. für Inhibition)
Zeitliche und räumliche Summation – Verstärkung
-
•
SummationsprinzipienSummationsprinzipien:
-
–
Räumliche Summation beinhaltet die gleiche Verwendung von mehreren Stimuli im Sinne der klassischen Konditionierung oder des assoziativen Lernens, damit ein ursprünglich schwacher Stimulus zur gewünschten Aktivität führt.
-
–
Zeitliche Summation beinhaltet die langfristige Applikation von Input, damit es zur gewünschten Aktivität kommt.
-
Muster
-
•
Dreidimensionale Muskelketten
-
•
Im Verhältnis zur Körperdiagonalen
-
•
Benannt nach den Endstellungen der Bewegungen
Beispiel
Der Patient nach Schlaganfall hat eine Abweichung des Beckens im Sitzen in Richtung Anterior Tilt.
Hypothese: Schwäche des M. obliquus int.
Pattern zur Fazilitation dieses Muskel auf Körperfunktions- und Strukturebene (ICF):
-
•
Anteriore Elevation des Beckens aus Seitenlage
-
•
Beinpattern in SL/RL: Flexion, Adduktion, Außenrotation mit Knieflexion
-
•
Unteres Rumpfmuster der Flexion in SL/RL
Merke
Welches Muster zur Anwendung kommt, hängt vom Clinical Reasoning ab!
Koordination („Timing“)
-
•
MuskelaktivierungsfolgeTimingKoordination und Reihenfolge der Gelenkbewegungen während der Ausführung von Aktivitäten
-
•
Normale zeitliche Abfolge der PNF-Muster
-
•
„Timing for Emphasis“ (betonte Bewegungsfolge)
Bodymechanics
-
•
Der Therapeut positioniert sich in die Bewegungsrichtung des Patienten („in the groove“) abhängig von der gewünschten Bewegungsrichtung und vom Therapieziel.
Irradiation
Beispiel
Patient zeigt ein Trendelenburg-Zeichen bei der mittleren Standbeinphase.
HypotheseMinus-Symptomatik der Hüftabduktoren
Patient liegt in Seitenlage auf der betroffenen Seite, das Bein ist in allen Gelenken in Nullstellung (soweit möglich). Mit dem weniger betroffenen Bein wird das Pattern Flexion, Abduktion, Innenrotation mit Knieflexion durchgeführt. Dadurch muss der Patient mit den Hüftabduktoren der unten liegenden Seite ein aktives Widerlager durchführen, um das Gleichgewicht zu erhalten.
5.2.3
PNF-Techniken
-
•
Agonistische Techniken: zielen ausschließlich auf eine Muskelgruppe oder -kette und auf eine Bewegungsrichtung ab
-
–
Rhythmische Bewegungseinleitung
-
–
Kombination isotonische Muskelarbeit/agonistische Umkehr
-
–
Wiederholter Stretch am Bewegungsbeginn (ist nicht aufgeführt)
-
–
Wiederholter Stretch auf dem Bewegungsweg (ist nicht aufgeführt)
-
–
Replikation
-
-
•
Entspannungs- und/oder Dehntechniken
-
–
Kontrahieren – Entspannen (ist nicht aufgeführt)
-
–
Halten – Entspannen
-
-
•
Antagonistische Techniken: betonen die Aktivität von Agonist und Antagonist und beide Bewegungsrichtungen
-
–
Dynamische Umkehr
-
–
Stabilisierende Umkehr
-
–
Rhythmische Stabilisation (ist nicht aufgeführt)
-
Rhythmische Bewegungseinleitung
-
1.
Passives Bewegung
-
2.
Aktiv-assistive Bewegung
-
3.
Resistive (gegen Widerstand) Bewegung
-
4.
Selbstständige, vom Therapeuten unabhängige Bewegung (optional)
-
•
Erlernen einer bestimmten Bewegung oder eines Musters
-
•
Fazilitation der Bewegungsinitiierung
-
•
Normalisierung von Muskelspannung
-
•
Beeinflussung des Muskeltonus
-
•
Normalisierung eines veränderten Bewegungstempos
-
•
Verbesserung der Koordination und des Bewegungsempfindens
-
•
Durch das verbale Kommando wird das Bewegungstempo mitbestimmt.
-
•
Der Rückweg wird immer passiv ausgeführt.
-
•
Vergleich der Form der Muskelaktivität in der dritten Phase (Bewegung gegen Widerstand) mit der Muskelaktivität in der vierten Phase (selbstständiges Bewegen). Der Einfluss der Schwerkraft spielt hier eine große Rolle bezogen auf konzentrische versus exzentrische Muskelaktivitäten
Agonistische Umkehr oder Kombination isotonischer Muskelaktivitäten
-
•
Sukzessive Erhöhung der Muskelkraft und -ausdauer
-
•
Verbesserung von Koordination und Bewegungskontrolle
-
•
Verbesserung der Steuerung einer Bewegung innerhalb einer Aktivität (besonders die Exzentrik kann hier geschult werden)
-
•
Funktionelles Training für Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL)
-
•
Erlernen eines Pattern (Finden der Spur)
-
•
Je nach Behandlungsziel kann das Bewegungsausmaß zwischen gering und vollständig variieren.
-
•
Es darf zu keiner Muskelentspannung beim Übergang zwischen den einzelnen Kontraktionsformen kommen.
-
•
Die Hände des Therapeuten bleiben immer an der gleichen Stelle, der Kontakt wird nicht gewechselt.
-
•
Eine statische/isometrische Kontraktion kann an jeder Stelle innerhalb der exzentrischen oder konzentrischen Muskelarbeit eingebaut werden. Dadurch erfolgt eine verstärkte neuromuskuläre Rekrutierung.
Replikation (Replication)
-
•
Erlernen des Bewegungsweges zum Zielpunkt einer Bewegung oder eines Musters
-
•
Beurteilung der Fähigkeit des Patienten, eine Muskelkontraktion am Ende eines Musters oder einer funktionellen Bewegung zu halten
-
•
Beurteilung der Fähigkeit des Patienten, eine bestimmte Position aus unterschiedlichen, zunehmend weiter entfernten Positionen einzunehmen
-
•
Verbesserung der Koordination
-
•
Verbesserung der Körperwahrnehmung
-
•
Verbesserung von Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL)
Halten – Entspannen (Hold – Relax)
-
•
EinePropriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation®Halten – Entspannen isometrische Muskelkontraktion gegen einen angepassten Widerstand, gefolgt von einer Entspannung und einer Bewegung in das neue Bewegungsausmaß
-
•
Direktes Vorgehen: Die bewegungshemmenden Muskelgruppen kontrahieren („postisometrische Entspannung“)
-
•
Indirektes Vorgehen: Die Antagonisten zur bewegungshemmenden Muskulatur kontrahieren („antagonistische Hemmung“)
-
•
Muskelentspannung und/oder -dehnung
-
•
Erweiterung des Bewegungsweges
-
•
Schmerzlinderung
-
•
Ist das Bewegungsende schmerzhaft, wird der Patient bis zu einer schmerzfreien Position zurückbewegt.
-
•
Der Aufbau des Widerstandes erfolgt viel langsamer als bei der Technik Kontrahieren – Entspannen.
-
•
Für eine Vertiefung der Entspannung kann die Atmung mit eingesetzt werden.
-
•
Bei Schmerzen ist Halten – Entspannen die Technik der Wahl.
Dynamische Umkehr (Dynamic Reversal)
-
•
Verbesserung von Muskelkraft und -ausdauer
-
•
Erweiterung des aktiven Bewegungsausmaßes
-
•
Verbesserung der Fähigkeit, einen Richtungswechsel zu koordinieren
-
•
Verminderung von Muskelermüdung
-
•
Tonusregulation
-
•
Mit dem Wechsel der Bewegungsrichtung kann ein bestimmter Bewegungsabschnitt betont werden.
-
•
Die Geschwindigkeit der Bewegung kann in einer oder in beiden Bewegungsrichtungen variiert werden.
-
•
Bei den Extremitätenmustern muss der Richtungswechsel distal eingeleitet werden.
-
•
Wenn möglich, diese Technik auch funktionell einsetzen.
Stabilisierende Umkehr (Stabilizing Reversal)
-
•
Erhöhung der Stabilität
-
•
Verbesserung der posturalen Kontrolle
-
•
Verbesserung der Koordination
-
•
Halten einer Position
-
•
Erlernen einer neuen Position oder Bewegung
-
•
Verbesserung von Muskelkraft und -ausdauer
-
•
Über den Einsatz von Traktion oder Approximation kann der glatte Wechsel zwischen den Widerstandsrichtungen zusätzlich fazilitiert werden.
-
•
Der Wechsel von einer Diagonalen in die andere ist erlaubt.
Aufbau einer Behandlung nach PNF anhand eines Fallbeispiels
Beispiel
Ein Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation®BehandlungsaufbauPatient mit einer Hemiplegie rechts zeigt während der frühen Standbeinphase eine mediale Abweichung des Kniegelenks.
HypotheseMinus-Symptomatik bzw. Schwäche der Abduktoren und Außenrotatoren des Hüftgelenks
5.2.4
Mattenprogramm
Warum Mattenaktivitäten?
•
Auf der Matte wird den Patienten eine große Unterstützungsfläche geboten.
–
Dies erhöht die motorische Stabilität.
–
Ängstlichen Patienten wird die Angst vorm Fallen genommen (dies kann sich z. B. spastikreduzierend auswirken).
–
Die großflächigen taktilen Stimuli können sich positiv auf die Körperwahrnehmung und Oberflächensensibilität auswirken.
•
Der Weg herunter auf die Matte und umgekehrt wird als Therapie verstanden (Transfer).
•
Wiederholung frühkindlicher Entwicklungsschritte, wobei klar ist, dass die frühkindliche Entwicklung nach einer Schädigung des erwachsenen Gehirns nicht einfach wiederholt werden kann. Aber eine Behandlung in Anlehnung daran ist natürlich möglich und nutzbringend für die Patienten.
•
Es sollen Alltagsaktivitäten angebahnt werden (z. B. Transfer, Gang).
•
Der niedrige Körperschwerpunkt erleichtert es den Patienten anfangs, eine Position einzunehmen und zu halten (s. Positive Approach; Abb. 5.6).
•
Zur Befundung: Beobachtung des Patienten beim möglichst selbstständigen Transfer auf die Matte oder zurück lässt Rückschlüsse auf die momentane motorische Kontrolle zu.
•
Rollen:
–
Verbesserung der Bettmobilität
–
Ist eine frühe Aktivität in der kindlichen Entwicklung, also auch für viele neurologische Patienten relativ einfach (s. Positive Approach)
–
Fazilitiert Rumpfaktivität und motorische Koordination des Rumpfes und der Extremitäten
–
Gleichgewichtsstimulation durch ständig wechselnde Einwirkung der Schwerkraft auf das Vestibulum und die kurzen Nackenextensoren
–
Augen-Hand-Koordination kann gefördert werden
–
Durch das Kreuzen und Entkreuzen der Körpermittellinie mit den Extremitäten kann die Verbindung der beiden Hirnhemisphären (Corpus callosum) fazilitiert werden
Wie wird auf der Matte behandelt?
•
Anwendung der Grundprinzipien
–
Approximation bahnt Stabilität bzgl. posturaler Kontrolle und Gleichgewicht/Balance.
–
Traktion und Stretch können dynamische Bewegungen fördern.
•
Widerstand kann motorisches Lernen und Irradiation fazilitieren.
•
PNF-Pattern können funktionelle Aktivitäten fazilitieren.
–
So ist z. B. die Standbeinphase auch im Einbeinkniestand fazilitierbar (Abb. 5.7). Hier kann die nötige Hüftextension oder -abduktion assistiv oder resistiv unter Vermeidung der Knie- und Sprunggelenkstabilität mobilisiert oder gekräftigt werden. Die neu gewonnenen Bewegungsfähigkeiten können anschließend in den Gang integriert werden.
•
Verbale Kommandos können für z. B. Entspannung, Stabilität oder dynamische Bewegungen unterstützend wirken.
•
Visuelle Stimuli wirken unterstützend auf Stabilität und Gleichgewicht. Mit geschlossenen Augen können die Anforderungen erheblich progressiver gestaltet werden.
5.2.5
Stadien der motorischen Kontrolle
5.2.6
Gangschule
Aufbau und Ziele der Gangschule
•
Vorbereitung/Fazilitation auf der Matte (nicht obligatorisch, je nach Schwere der Schädigungen)
–
Zur Rumpfaktivierung
–
Gleichgewichtsstimulation in niedrigerer Ausgangsstellung
–
Mobilisation von Bewegungseinschränkungen
•
Vorbereitung im Sitz
–
Fazilitation einer aufrechten, stabilen, koordinierten Sitzaktivität (Abb. 5.8)
•
Fazilitation von Gewichtsverlagerungen z. B. für den Schinkengang durch Gewichtsverlagerung nach links und Anheben des rechten Beckens nach vorne oben (Abb. 5.9), aber natürlich auch für die Rumpfverlagerung nach vorne für den späteren Transfer zum Stand
–
Eventuell Erlernen des Rollstuhlmanagements, etwa Bremsen feststellen bzw. lösen oder Fußraster bedienen (Abb. 5.10). Geschieht dies bei einem halbseitig betroffenen Patienten mit der weniger betroffenen Seite auf der betroffenen Seite, kann sich das Kreuzen der Mittellinie positiv auf die motorische Koordination auswirken.
•
Transfer vom Sitz in den Stand
•
Fazilitation eines möglichst aufrechten, sicheren Stehens
–
Je nach Schädigung mit mehr oder weniger Unterstützung (z. B. im Barren oder freier Stand)
•
Gewichtsverlagerung im Stand
–
Im parallelen Stand seitlich
–
Aus Schrittstellung vor und zurück
–
Dabei müssen das jeweilige Standbein und der Rumpf stabil gehalten werden können.
•
Schrittauslösung
–
Unter Anwendung von Widerstand und evtl. Stretch
–
Erst einzeln, dann reziprok mit beiden Beinen
•
Ziel ist ein möglichst koordiniertes, ökonomisches, im Idealfall physiologisches Gangbild.
•
Auch Rückwärts- und Seitwärtsgehen, Kreuzschritte und das Treppengehen werden bei Bedarf erarbeitet.
•
Es können bei Bedarf natürlich auch Orthesen bzw. Schuherhöhungen genutzt werden.
•
Fazilitation eines „übertriebenen“ Ganges, d. h., die einzelnen Gangphasen werden gegen Widerstand erarbeitet, um Kraft bzw. Koordination der beteiligten Muskelgruppen zu fördern. Im Lauf der Therapie wird der manuelle Input dann schrittweise abgebaut, um letztendlich ein freies, unabhängiges Gangbild zu ermöglichen.
•
Auch in der Gangschule sind daher die Stadien der motorischen Kontrolle wichtig und zu berücksichtigen.
•
Hauptziel ist immer ein möglichst ökonomisches, alltagstaugliches Gangbild, um die Möglichkeiten des Patienten auf Aktivitätsebene und in der Teilhabe zu optimieren.
Literatur
Buck et al., 2013
Ghez and Krakauer, 2000
Hedin, 2002
Internationale PNF Association, 2016
O'Sullivan and Schmitz, 2016
Vojta-Prinzip
5.3.1
Entstehung und Grundsätze der Methode
5.3.2
Ziele
-
•
Allgemeine Vojta-TherapieZielezentralnervöse Aktivierung
-
•
Bahnung und Erweiterung der verlorenen Willkürmotorik, bestmögliche motorische Restitution
-
•
Reduktion/Vermeidung der sich etablierenden Ersatzmotorik
-
•
Feedback/mehr Sicherheit bezüglich der verfügbaren Motorik
-
•
Förderung der neuralen Regeneration durch gezielte Aktivierung der efferenten Endstrecke innerhalb des gebahnten Bewegungskomplexes
-
•
Aufrechterhaltung und Konsolidierung des gestörten Körperschemas bis zur Restitution bzw. bis zur Erlangung eines stabilen Residualbefundes
-
•
Verbesserung der respiratorischen Situation (Stabilisierung des Atemzyklus, Vergrößerung des Atemzugvolumens, Sekretmobilisierung)
-
•
Vegetative Stabilisierung (Äquilibrierung i. S. des parasympathisch-sympathischen Synergismus)
5.3.3
Indikationen
-
•
Die Vojta-Therapie ist Vojta-TherapieIndikationenBasistherapie.
-
•
Sie ist effektiv einsetzbar für alle neurologischen und neuroorthopädischen Störungsbilder.
-
•
Sie dient auch als Vorbereitung für andere Therapien, die intendierte Bewegungsabläufe nutzen.
-
•
Rumpfsteuerung, Aufrichtung und zielgerichtete Bewegung werden gebahnt – dadurch leichterer Zugang, Optimierung von Geschwindigkeit, Effizienz und Ökonomie der Willkürmotorik.
-
•
Spezielle Indikationen s. unten
5.3.4
Kontraindikationen
-
•
Keine absoluten KontraindikationenVojta-TherapieKontraindikationen – individuelle Dosisanpassung
-
•
Relative Kontraindikationen:
-
–
Akut-fieberhafte Erkrankungen
-
–
Herzinsuffizienz
-
–
Hochgradige Osteoporose, Osteogenesis imperfecta und verwandte Erkrankungen
-
–
Akute und unklare psychische Störungen
-
–
Hochdosierte Chemo-, Steroid- und Hormontherapie
-
Achtung
-
•
Vorsicht in allen Akutsituationen
-
•
Vorsicht bei unerwarteten psychovegetativen Reaktionen (mesolimbisch)
-
•
Keine Therapie, wenn dadurch Schmerzen ausgelöst/verstärkt werden
-
•
Vorsicht bei Osteoporose (Inaktivität, Lebensalter, paraneoplastische Verhältnisse)
5.3.5
Durchführung
Diagnostik
Therapie
Reflexumdrehen
•
Aktive Beugung der Beine in Hüft- und Kniegelenk
•
Verlagerung der stützenden Basis in der Rumpfachse
•
Verlagerung der stützenden Basis in Richtung Schulter
•
Drehung in die Seitlage und Belastung der Schulter
•
Belastung des Ellenbogens in Seitenlage
•
Aufrichtung aus der Seitlage in den Krabbelgang
Reflexkriechen
-
•
Die zum Abstützen und Greifen, Aufstehen und Gehen notwendigen Bewegungsteilmuster
-
•
Die Gleichgewichts- und Haltesteuerung der Wirbelsäule
-
•
Die Atem-, Bauch und Beckenbodenmuskulatur
-
•
Die Schließmuskulatur von Blase und Darm
-
•
Der Kau- und Schluckvorgang sowie zielgerichtete Augenbewegung
Auslösezonen
•
Direkter periostaler Reiz
•
Muskuläre Dehnungsreize
•
Dehnungsreize auf Faszien und Sehnen
•
Propriozeptive Reize in der Tiefe des Stimulationsgebietes
•
Epikritische Reize im Stimulationsgebiet
5.3.6
Spezielle Indikationen
Schädigung des Zentralnervensystems
-
•
Bewegungseffekte, initial auch bei Plegien, oft Faszikulieren und Muskelzuckungen im motorischen Zielgebiet
-
•
Sensorische Effekte (z. B. Wärmegefühl im motorischen Zielgebiet)
-
•
Piloarrektorische, vasodilatatorische und sudomotorische Effekte im motorischen Zielgebiet
-
•
Stabilisierung des Herz-Kreislauf-Systems
-
•
Allgemeines Gefühl der Erleichterung und Freiheit
-
•
Zuwachs an Gelenkbeweglichkeit
-
•
Verbesserung der Vigilanz (zunächst nur vorübergehend)
-
•
Veränderung des Neglects mit subjektivem (gelegentlich abnormem) Bewegungsgefühl im kognitiv vernachlässigten Gebiet
-
•
Zunehmende aktive motorische Kompetenz
Achtung
-
•
In Einzelfällen vegetative Dysregulationsphänomene (Tachykardie, Blutdruckanstieg) Kreislaufparameter kontrollieren!
-
•
In Einzelfällen zentral verursachte, peripher gedeutete Missempfindungen, gelegentlich auch „tiefe“ Schmerzen Patienten auf solche Möglichkeiten im Gespräch vorbereiten!
-
•
In Einzelfällen psychische Irritationen (Erregungs- und Verwirrtheitszustände) Fortlaufender kommunikativer Kontakt während der Therapie!
Zerebrovaskulärer Insult (ischämisch und hämorrhagisch)
-
•
Behandlungsbeginn InsultVojta-Therapieauf Intensivstation bzw. Stroke Unit mit Monitoring der Kreislaufparameter.
-
•
Schrittweise – nicht übermäßig zögernde – Steigerung der Belastung.
-
•
Kommunikative Situation des Patienten beachten – permanente Ansprache!
-
•
Die therapeutische Beeinflussung der sich schnell etablierenden Ersatzmotorik ist bei Hemisyndromen sehr schwierig, deswegen frühzeitiger Beginn.
-
•
Ergänzen der Behandlung mittels bahnender Impulse (z. B. akrodynamische Therapie, Kap. 5.6; PNF, Kap. 5.2, DNS nach Kolar), ggf. auch durch gezieltes aktives Mitwirken des Patienten („Aufträge“), setzt erfahrenen Therapeuten voraus.
-
•
Verbesserung im Körperschema führt auch bei verbleibender motorischer Schädigung zu größerer Bewegungssicherheit und Wahrnehmung der hemiplegischen bzw. Neglectseite.
-
•
Verbesserung gestörter Schluck- und Sprachfunktionen kann durch Äquilibrierung des Systems HWS – atlantookzipitale Balance – Zungenbein – Schlundmuskulatur einschließlich Zunge erreicht werden.
-
•
Verbesserung der visuellen Orientierung durch Stabilisierung der Okulomotorik.
Posttraumatische Schädigungen des ZNS
-
•
In der Frühphase häufig vegetative Turbulenzen und Psychosyndrom, deswegen besondere Sorgfalt in der Dosierung der Therapie und Beobachtung dieser Phänomene.
-
•
Oft resultierende „unsystematische“ Mischbilder motorischer Störungen (hypoton-hyperton, cerebellär, ataktisch-spastisch usw.) sollen in den Grundmustern des RU und RK systematisiert und – ggf. unter bewusstem Einbezug „nützlicher“ ersatzmotorischer Muster – kompromisshaft etabliert werden.
Für die Praxis
-
•
Die Gefahr der Auslösung zerebraler Anfälle ist kaum gegeben; die Therapie ist eher dazu geeignet, Anfallsbereitschaft zu mindern
-
•
Die Therapie ist körperlich anstrengend; die Belastung kann entsprechend der Belastbarkeit des Patienten dosiert werden
Spinales Trauma/Querschnittsyndrom
-
•
Ausgangslage Spinaltrauma, Vojta-TherapieQuerschnittsyndromVojta-Therapieentsprechend der belastbaren vertebralen Stabilität wählen.
-
•
Maximale Ausschöpfung der initialen Erholungsphase durch frühzeitigen Behandlungsbeginn – kein Abwarten!
-
•
Gezielte Aktivierung und Stabilisierung der Restfunktionen in den betroffenen Körperabschnitten – Ressourcen erkennen und nutzen!
-
•
Es drohen frühzeitig Sekundärfolgen (z. B. Ermüdungsschmerz in Wirbelsäule und Gelenken, neuromuskulär bedingte Skoliose). In der Behandlung Betonung des Haltungsmusterwechsels!
-
•
Körperschemastörungen infolge Schädigung spinocerebellärer Regelkreise sind therapeutisch meist besonders effektiv zu beeinflussen.
-
•
Hohe, andauernde therapeutische Intensität führt zu übererwartungsgemäß guten Resultaten – keine vorzeitige Resignation!
-
•
Effizienz willkürlich gesteuerter Trainingstherapien (z. B. funktionelles Training, Laufband, Lokomat, Ergotherapie usw.) wird durch vorangestellte Vojta-Therapie gesteigert.
Neurologische Systemerkrankungen (z. B. Parkinson-Syndrom)
-
•
Besonders in Systemerkrankung, neurologische, Vojta-Therapieden Anfangsstadien sehr gute Effekte auf die Vigilanz und die vom Patienten besonders quälend empfundene Akinesie.
-
•
Gefühl des motorischen und auch kognitiven Kontrollverlusts wird günstig beeinflusst.
-
•
Tremor und dyskinetische „Plus-Symptomatik“ sprechen auf die Therapie weniger gut an, die Beeinflussbarkeit der Akathisie (auch Restless Legs) ist unterschiedlich.
Residualzustände bei entzündlichen Erkrankungen des ZNS (postenzephalitisch, MS)
-
•
Spastische und ataktische Motorik wird therapeutisch sehr gut erreicht, dyskinetische Störungen erweisen sich oft als therapieresistent.
-
•
Ausgangsbedingungen für iterative übende Techniken (Laufband) werden insbesondere bei der spinalen Form der Multiplen Sklerose (MS), weniger bei pontin-cerebellaren Verlaufsformen, verbessert
-
•
Wertvolle subjektive Beschwerdeminderung durch Äquilibrierung im Körperschema und in den vegetativen Funktionen.
-
•
Günstige Auswirkungen auf sekundäre Folgeprobleme (z. B. Inkontinenz, Gelenkschmerzen).
Periphere Nervenläsionen (Z. n. Drucklähmungen, Plexusschädigungen, neurale Regeneration)
-
•
Die Schädigung Nervenläsion, Vojta-Therapiebetrifft sowohl Efferenzen als auch Afferenzen, führt dadurch zur Veränderung des gesamten Bewegungskonzepts mit funktioneller Ausweitung auf primär nicht paretische Efferenzen.
-
•
Die therapeutische Ansprache der zentralen Repräsentation des paretischen Gebietes führt zu:
-
–
Mehr Sicherheit in der verfügbaren Motorik
-
–
Beschleunigung der neuralen Regeneration durch gezielte Aktivierung der efferenten Endstrecke innerhalb des gebahnten Bewegungskomplexes
-
–
Aufrechterhaltung und Konsolidierung des gestörten Körperschemas bis zur Restitution bzw. bis zur Erlangung eines stabilen Residualbefundes
-
–
Reduzierung von Sekundärfolgen (drohende Rumpfasymmetrie durch asymmetrische Motorik kann ± reduziert werden, Verbesserung in Trophik/Vasomotorik)
-
-
•
Therapieeffekt ermöglicht Rückschlüsse auf den Fortgang der neuralen Regeneration.
Primär vom Skelett ausgehende Störungen
-
•
Der Circulus vitiosusStörung, skelettale, Vojta-Therapie wird durch Rekrutierung willkürlich nicht (mehr) verfügbarer Muster durchbrochen.
-
–
Schmerzbedingte Ruhigstellung im Gelenk
-
–
Reduktion der Differenziertheit des Bewegungsmusters im Segment mit einseitiger Überlastung und einseitiger Unterbelastung innerhalb der gestörten myofunktionellen Balance
-
–
Quantitative Verstärkung des Schmerzsyndroms
-
–
Ausbreitung des funktionell beeinträchtigten Gebietes mit weiterer Beschwerdeverstärkung
-
-
•
Die Bedingungen für Selbstmobilisation und andere Behandlungstechniken werden verbessert.
-
•
Besonders effektiv zu behandeln:
-
–
Vertebrale funktionelle Dysbalancen (Asymmetrien, kompensierte WS-Skoliose)
-
–
Vertebrale und artikuläre Schmerzsyndrome (auch BSV-bedingt)
-
–
Beschleunigung und Optimierung der postoperativen Integration von Gelenkersatz (z. B. Hüft-, Knie- und Schultergelenk) in das Körperschema
-
Gestörte neuromuskuläre und neurovegetative Balance
-
•
Störungen im funktionellen Synergismus der Beckenbodenumgebung, besonders in Verbindung mit Sphinkter-Detrusor-Dyssynergie und Inkontinenzproblemen
-
•
Störungen der sympathisch-parasympathischen Balance und vegetativen Entgleisungen (kardiovaskulär, viszeralmotorisch, atemregulatorisch)
Literatur
Kolar, 2014
Schulz, 2013
Vojta, 2007
Vojta, 2014
Affolter – Das Wurzel-Modell
5.4.1
Vernetzung und komplexe Organisation des Gehirns
-
a.
beim Kind in seiner Entwicklung,
-
b.
aber auch beim Erwachsenen (Plastizität).
Gespürte Interaktion als Wurzel der Entwicklung
Exkurs
Gallese et al. (1996) beobachteten, dass beim Ausführen einer Handlung (Interaktion, d. h. topologische Veränderung) oder einfach beim Erblicken einer solchen in beiden Fällen dieselben Hirnregionen aktiviert werden.
Primär- und Sekundäreffekte
Merke
Eine Hirnschädigung beeinträchtigt die Organisation des Gehirns und damit die Wurzel als Primäreffekt. Sie stört als Folge sekundär unterschiedliche Einzelleistungen, die zu den Ästen gehören.
Die Anwendung gespürter Interaktionen
Vorbereitung
Auswahl gespürter Interaktionsgeschehnisse des Alltags
Umwelt
Morphologie der Patienten
Probleme lösen
Durchführung
Die Umwelt berühren
-
•
Personen, die in der Betreuung der Patienten mithelfen. Diese setzen und bewegen die Patienten so, dass sie während einer Aktivität (oder beim Warten) immer wieder die stabile Umwelt berühren.
-
•
Speziell ausgebildeten Therapeuten, die pflegerisches oder einfaches Führen anwenden.
Stabile Referenz
Beispiel
Um dem Thermoskrug heißes Wasser zu entnehmen, muss zuerst der Deckel entfernt werden.
Man verändert die topologische Beziehung: Deckel „zusammen“ mit Thermoskrug → in die topologische Beziehung: Deckel „getrennt“ von Thermoskrug.
Taktile Information – die unerlässliche Information bei alltäglichen Interaktionen
Die Patienten bewegen
-
1.
Für die Position – die Beziehung Körper/Umwelt
-
2.
Für das Geschehen – die Beziehungen zwischen Gegenstand/Gegenstand/Personen.
Beispiel
Ich sitze in einem stillstehenden Zug. Auf dem Geleise nebenan wartet ein zweiter Zug. Einer der beiden Züge setzt sich in Bewegung. Meiner oder der andere? Um dies zu entscheiden, brauche ich eine unbewegliche, stabile Referenz.
Sensorischer Input
Literatur
Affolter and Bischofberger, 2007
Affolter et al., 2010
Affolter et al,
Affolter F et al. Wirksamkeit gespürter Interaktionstherapie: Information, Wahrnehmung, Struktur und Arten des Wirkens im Alltag. Villingen-Schwenningen: Neckar-Verlag, im Druck.Gallese et al., 1996
Kaas, 1991
Pfeifer and Bongard, 2007
Piaget, 1947
Roth, 2003
Feldenkrais
5.5.1
Einführung
5.5.2
Grundlagen der Feldenkrais-Methode
Merke
Die Techniken der Feldenkrais-Methode zielen ausschließlich auf die Verbesserung der neurologischen Steuerung der kinästhetischen Wahrnehmung und des Körperbilds; sie fördern die Bewegungskoordination und erweitern das Selbstbild.
-
1.
Das Ziel des individuellen Lernprozesses ist optimale Gesundheit. Wir fragen in diesem Zusammenhang: Wie sieht eigentlich das wahre Potenzial eines Menschen aus, um sein Leben kreativ gestalten zu können?
-
2.
Wirksame Techniken erfordern die Klärung der Körperwahrnehmung als Informationsvorgang. Die Mechanik des Körpers wird durch komplexe, nichtlineare Eingabe (Wahrnehmung)-Ausgabe (Bewegung)-Beziehungen koordiniert. Feldenkrais-Lektionen erhöhen den Komplexitätsgrad der Koordinationsvorgänge durch verbesserte Rückkopplung.
-
3.
Bewegen lernen ist prozedurales Lernen. Es erfordert klare Wahrnehmung, d. h. die Rückmeldung des Ergebnisses. Eine bewusste, durch die selektive Aufmerksamkeit geleitete Wahrnehmung der Variationen unter Beteiligung der präfrontalen Basalganglien-Schleifen ermöglicht die rasche Entdeckung optimaler Bewegungsmuster.
-
4.
Im Feldenkrais-Sinne bedeutet „Üben“ das Erforschen aller denkbaren Variationen einer Bewegung. Die Rückmeldung ermöglicht die Hemmung der unwirksamen Variationen und verbessert die Koordinationsleistung des Nervensystems.
5.5.3
Bernsteins drei Phasen des motorischen Lernens
-
•
Phase 1: Blockieren der Freiheitsgrade. Die Bewegungsfreiheit vieler Gelenke wird eingeschränkt, um die Handlung zu koordinieren. Die Handlung ist unbeholfen, aber möglich.
-
•
Phase 2: Lösen der blockierten Freiheitsgrade. Zunächst werden die eingeschränkten Gelenke für die Bewegung wieder eingesetzt. Das Koordinationsmuster bleibt erhalten und wird flexibler. Die Bewegung ist jedoch nicht effizient.
-
•
Phase 3: Einsatz reaktiver Phänomene. Zuletzt werden alle Variationen erkundet, um die reaktiven Kräfte und die Muskelarbeit zu integrieren. Die Bewegung ist wirksam und effizient.
Perzeptions-Aktions-Prinzip
Informations-Prinzip
Prinzip des Vorrangs der Aufmerksamkeit
Prinzip der Optimierung der Information
Prinzip der Anstrengungsminimierung
Prinzip der Übung als Erforschungsprozess
Haltung und Bewegung sind eine einheitliche Tätigkeit
5.5.4
Vorgehensweise für die therapeutische Arbeit
Für die Praxis
Atmung ist neurologisch in alle Bewegungskoordinationen integriert und beansprucht vielfältige Muskeln des Körperstamms, die auch für die Gleichgewichtskoordination gebraucht werden. Die Atmungsbewegungen bewusst wahrzunehmen und sie zu differenzieren, fördert Verbesserungen aller anderen Bewegungstätigkeiten.
Die Bewegungen der Augen und des Kopfes bzw. der Wirbelsäule für das Orientieren und Sehen sowie für das Hören sind in Koordinationsoperationen des Gleichgewichts integriert. Es ist sinnvoll, darauf zu achten, wie der Patient schaut und hinhört, und dies im Behandlungsplan zu berücksichtigen.
Das Gleichgewicht setzt unter anderem die Wahrnehmung des Kontakts der Haut und des Skeletts mit dem Boden voraus. Die Aufmerksamkeit des Patienten auf den Bodenkontakt zu lenken und/oder die Beschaffenheit der Unterlage zu verändern, hilft ihm, das Gleichgewicht zu verbessern. Einige einfach auszuführende Feldenkrais-Techniken können in jeder Reha-Stufe verwirklicht werden.
Die Koordination des Gleichgewichtssystems verbessern
Literatur
Birbaumer and Schmidt, 2010
Feldenkrais, 2010
Feldenkrais, 2003
Passingham and Wise, 2012
Russell, 2005
Squire et al., 2013
Akrodynamische Therapie
Die Akrodynamische TherapieAkrodynamische Therapie (ADT) ist ein Bahnungskonzept, das sich durch die Behandlung des Haltungshintergrunds auszeichnet. Die ADT stellt die Korrespondenz der Aufrichtung und Entfaltung der Akren (Hände, Füße und Kopf) mit dem Haltungshintergrund des Bewegungssystems dar. Durch die Aktivierung der muskulären Entfaltung der Akren über Druck-Stauch-Impulse sowie Wisch- und Streichtechniken gelingt die Ansteuerung myofaszialer Bahnen vor allem in der geschlossenen Kette (Abb. 5.15).
„Das Große spiegelt sich im Kleinen und das Kleine spiegelt sich im Großen.“
Die Aufrichtung der Akren, selbst Stellungsveränderungen des Daumens oder des kleinen Fingers beeinflussen über myofasziale Verbindungen die Motorik des gesamten Bewegungssystems.
Merke
Die Mängel der Haltungsaufrichtung dokumentieren sich in einer qualitativ und quantitativ unzureichenden Stellung und selektiven Funktion peripherer Gelenksysteme.
Die therapeutische Arbeit konzentriert sich zunächst auf das muskuloskelettale System und setzt qualitative und quantitative Merkmale für Funktionen und Haltung in Handlungskomplexen voraus.
5.6.1
Was ist die Norm von Haltung und Bewegung?
Für die Praxis
Von der Analyse zur Therapieplanung
Für die Praxis
Behandlungsstrategien
•
Liegt das Therapieziel in der Gelenkstabilisierung oder der Verbesserung der Bewegungsqualität, steht die Feineinstellung der Akren im Vordergrund. Hierüber werden die entsprechenden Muskelketten, die das Gelenksystem betreffen, synergetisch aktiviert und beeinflusst (Strategie: Knowledge of Performance, Kap. 3.1).
•
Im Bereich der neurologischen Rehabilitation spielt die Schulung von Bewegungen eine zentrale Rolle. Die Funktionsschulung basiert auf dem Aufbau eines adäquaten Haltungshintergrunds als Voraussetzung. Die manuellen Reizsetzungen der Druck-Stauch-Impulse und Wischtechniken initiieren dabei das Zusammenspiel der erforderlichen Muskelsynergien, um Haltung zu verändern und darauf aufbauend die zu erlernende Funktion zu ermöglichen (Strategie: Knowledge of Result, Kap. 3.1).
5.6.2
Bewegung und Haltung als Ausdruck eines Handlungsprozesses
Merke
Wahrnehmungsprozesse des Körpers spielen beim motorischen Verhalten eine entscheidende Rolle, die immer mit emotionalen Zuständen verarbeitet werden.
•
Wie beantwortet das neuro-arthro-muskuläre System die vorhandenen Drehmomente?
•
Wie effizient ist die Zusammenarbeit der lokalen und globalen Muskeln innerhalb der myofaszialen Ketten?
•
Welche Reizsetzungen sind am effektivsten zur Schulung eines Bewegungskomplexes, der den Patienten dazu befähigt, in seiner Umwelt wieder handlungsfähig zu werden?
5.6.3
Neurorehabilitation bei schwersten neurologischen Störungsbildern
Ein Beispiel aus der Neurorehabilitation – Akrodynamik bei Schlaganfall
Literatur
Bland et al., 2011
Langhorne et al., 2011
Uebele and Wolf, 2013
Facio-Orale Trakt-Therapie (F. O. T. T.®)
Die F. O. T. T. ist ein Facio-Orale Trakt-Therapiealltags- und ICF-orientiertes Vorgehen für die fazio-orale Rehabilitation in allen Krankheitsphasen (A–F) bis hin zu erleichternden Hilfestellungen in der palliativen Phase. Sie beginnt früh nach einer Hirnschädigung und wird bei Patienten mit angeborenen und erworbenen Hirnschädigungen aller Altersstufen (Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma, Neonatololgie, Zerebralparese, Morbus Parkinson, ALS, MS etc.) eingesetzt. Zunehmend werden auch Patienten mit nichtneurologischen Störungen (COPD u. a.) bei/nach Langzeit-/Dauerbeatmung mit/ohne Trachealkanülen behandelt.
Merke
Definition F. O. T. T.
-
•
Alltagsbegleitend
-
•
Integriert in ein 24-Stunden-Konzept
-
•
Interprofessionell
5.7.1
Alltagsbegleitend – rund um die Uhr
„Know the normal!“ – Das Normale kennen.
Kay Coombes
Merke
F. O. T. T.-Bereiche
•
Nahrungsaufnahme
•
Mundhygiene
•
Nonverbale Kommunikation
•
Atmung – Stimme – Sprechen (inkl. Trachealkanülen-Management)
•
Die Kenntnis normaler Haltung und Bewegungen und der darauf aufbauenden fazio-oralen Aktivitäts- und Handlungssequenzen
•
Die Analyse der durch eine Pathologie auftretenden Probleme im Alltag
•
Wissen über die menschliche Entwicklung und die Möglichkeit zu lernen – vom Säugling bis ins hohe Alter
Beispiel
Eine Patientin nach Hirnstamminfarkt soll wieder selbstständig und sicher passierte Kost essen können. Derzeit kann sie kleine Mengen passierter Nahrung in einer kontrollierten Therapiesituation zu sich nehmen. Zur Vorbereitung wird sie mit einem Kissen (als Unterstützungsfläche von vorne) am Tisch positioniert und es wird eine F. O. T. T.-Mundstimulation durchgeführt, die reaktiv orale Bewegungen und Schlucken auslösen kann. Noch muss die Therapeutin die Hand der Patientin führen und den Kiefer mit dem Kieferkontrollgriff stabilisieren, um den oralen Bolustransport und das Schlucken zu erleichtern (Abb. 5.17). Durch Wiederholung und Variation sollen die Bewegungen wieder verbessert und automatisiert werden. Anschließend ist der Mund auf Reste zu inspizieren und eine Mundhygiene durchzuführen.
5.7.2
Interprofessionell die Aktivitäten und Partizipation fördern
Literatur
Affolter and Bischofberger, 1993
Coombes, 1996
Davies, 1995
Davies, 2002
Elferich and Tittmann, 2015
Gratz and Müller, 2004
Nusser-Müller-Busch, 2015
Nusser-Müller-Busch, 2008
Studien zur F, 2016
Neuroorthopädische Aktivitätsabhängige Plastizität (N.A.P.®)
5.8.1
Einführung
Plastizität
Merke
Langfristige Veränderungen, die mit Lernen einhergehen, können nur erreicht werden, wenn sinnvolle Handlungen in realen Situationen geübt werden.
Merke
Lernen erfolgt nur, wenn der Lernende ein Problem erkennt, das er lösen möchte, über ausreichende Aufmerksamkeit bei der Strategiesuche verfügt und Erfolgserlebnisse erfährt.
Schutzprogramme
-
•
Periphere Verletzungen, die primär nicht zwangsläufig schmerzhaft sind, führen zu zentralen Repräsentationsveränderungen.
-
•
Zentrale Verletzungen führen zu peripheren Veränderungen, die möglicherweise Schmerzen verursachen.
5.8.2
Philosophie der N.A.P.-Therapie
-
•
Aktivitäten beeinflussen und formen Strukturen.
-
•
Therapie der Körperstrukturen und -funktionen wird in Aktivitäten eingebunden.
-
•
Jede Struktur ist nur so belastbar, wie sie belastet wird.
-
•
Biomechanik muss „greifbar“ sein.
5.8.3
Therapieziele und Behandlungsprinzipien
-
•
Gestaltung der Therapiesituation
-
•
Spezifische Anwendung der Inputsysteme
Gestaltung der Therapiesituation
-
1.
Wahl vertikaler Körperpositionen zur Förderung der posturalen Kontrolle
-
2.
Angereicherte Umwelt zur Förderung des motorischen Lernens
-
3.
Berücksichtigung der spezifischen Bedürfnisse des Patienten und seiner Angehörigen
Spezifische Anwendung der Inputsysteme
-
•
Verbale und visuelle Informationen werden in Bezug zum Ziel für die distalen Körperteile appliziert.
-
•
Propriozeptive und taktile Informationen werden für die Strukturen, die unwillkürlich gesteuert werden, unter möglichst korrekten biomechanischen Bedingungen appliziert.
-
•
Inputs müssen zeitlich abgestimmt werden.
Merke
Die Hände des Therapeuten werden als spezifisches Werkzeug genutzt, um die möglichst korrekte biomechanische Situation herzustellen.
5.8.4
Therapiemethoden
-
1.
Wiederholung von Bewegungen, integriert in verschiedene alltagsrelevante Aktivitäten, orientiert an der individuellen Leistungsgrenze
-
2.
Stimulation von Mechanorezeptoren:
-
–
Applikation von Längszug auf Strukturen, die Elastizität benötigen und/oder exzentrisch arbeiten müssen, um posturale Kontrolle zu gewährleisten
-
–
Applikation von intermittierenden Druckreizen, um den Sympathikotonus zu regulieren und somit einen positiven Einfluss auf den Muskeltonus auszuüben (Kap. 3.3.1)
-
Merke
Habituation kann durch zwei verschiedene Mechanismen erreicht werden: das Erleben von Bewegungen auf Aktivitätsebene, orientiert an der individuellen Toleranz- und Leistungsgrenze, und durch Stimulation der Mechanorezeptoren auf struktureller Ebene.
5.8.5
Fallbeispiel
Beispiel
Pathologien und Leitsymptomatik
Primäres Defizit auf Aktivitäts- und Partizipationsebene
Untersuchung, Hypothesen und Parameter
-
•
Beobachtung aus der Frontalebene:
-
–
In der Standbeinphase medialisiert der Patient sein Knie bei der Gewichtsübernahme und rollt über die Fußaußenkante in der Abstoßphase ab.
-
–
Die Spielbeinphase leitet er mit einer Zirkumduktion seines Beckens ein.
-
-
•
Beobachtung aus der Sagittalebene:
-
–
Zu Beginn der Standbeinphase setzt er sein Fuß mit der Ferse auf und überstreckt sein Knie in der mittleren Standbeinphase. Seine Ferse wird in der Abstoßphase nicht abgelöst.
-
–
Beim Übergang zur Spielbeinphase bliebt sein Knie steif und er hebt sein Becken an, um sein Bein nach vorne zu bringen.
-
•
Standbeinstabilität
•
Vorwärtsprogression
•
Initiierung des Schwungbeins
Therapieziele- und Planung
Therapeutisches Vorgehen – was wird wie geübt?
Behandlungsverlauf und Ergebnisse
Literatur
Adkins et al., 2006
Dietz, 2013
Horst, 2011
Horst et al., 2017
Markham and Greenough, 2004
Nadeau et al., 1999
Nudo, 2003
Olney et al., 1994
Plautz et al., 2000
Remple et al., 2001
Sabbagh et al., 2014
Funktionelle Bewegungslehre (FBL)/Functional Kinetics
Was bietet die FBL Funktionelle BewegungslehreFunctional Kineticsfür die physiotherapeutische Behandlung in der Neurologie? Ein Fallbeispiel (Patientin nach Schlaganfall) zeigt Ausschnitte aus der Befunderhebung und dem Übungsangebot sowie aus den Behandlungstechniken der FBL.
5.9.1
Aspekte aus dem Befund
Bewegungsbeobachtung und -analyse
Stellungswechsel Sitz – Stand
Beispiel
Die 40-jährige Patientin hat eine ausgeprägte Linkshemiplegie mit Neglect, die 13 Monate zurückliegt (Kap. 3.4.2, Kap. 4.1.1). Sie spürt ihre linke Körperseite nicht. Über die Sicht überprüft sie die Stellung des Fußes. Ihr linker Fuß ist spastisch in Inversion/Plantarflexion. Für die Fortbewegung außer Haus trägt sie eine Schiene.
Ein Ziel der Patientin ist, sicher und flüssig aufzustehen. Im Stehen gibt sie selbst ein Feedback; sie kritisiert, dass sie zwei Anläufe brauchte, und will beim nächsten Versuch mit einem Anlauf aufstehen.
-
•
Verbesserung der Stabilisierung der Körperlängsachse
-
•
Verbesserung der Kontrolle von Hüft-, Kniegelenk und Fuß
-
•
Verstärkung der Dynamik der Bewegung
5.9.2
Aspekte aus den Behandlungsansätzen der FBL
Merke
Reaktives Training
-
•
Der Therapeut lenkt die Aufmerksamkeit des Patienten auf das Ziel der Bewegung (externer Fokus).
-
•
Die Bewegungen, die für die Zielerreichung notwendig sind, geschehen reaktiv.
-
•
Der Therapeut stellt Bedingungen, welche die Bewegungsausführung in der gewünschten Weise auslösen.
-
•
Der Therapeut spricht die defizitäre Funktion nicht an.
Ballübung „Der Cowboy“
-
•
Dynamische Stabilisierung der Körperlängsachse
-
•
Symmetrischer Einsatz der beiden Füße
Ballübung „Die Waage“
•
Reaktive Neigung der Körperlängsachse nach vorne/hinten
•
Dynamische Stabilisierung der Wirbelsäule mit der Bauch- und Rückenmuskulatur
•
Symmetrischer Einsatz der unteren Extremitäten (spezifisch für die Patientin)
Merke
Die Ballübungen der FBL
•
An die Fähigkeiten des Patienten angepasste Ballübungen ermöglichen, therapeutische Ziele wie die Stabilisierung der Wirbelsäule oder der unteren Extremität zu erarbeiten.
•
Wiederholung ist wichtig.
•
Die Ballübungen fördern Fähigkeiten wie z. B. Aufstehen. Dies muss in das Training integriert werden (Kap. 3.3.4).
Entwicklung der Fähigkeiten des Fallbeispiels
Widerlagernde Mobilisation des Hüftgelenks – ein Ansatz aus den Behandlungstechniken der FBL
•
Bei Entlassung aus der Rehabilitationsklinik hat sich der Score des Tinetti-Tests von 16/28 auf 21/28 verbessert (6 Monate Behandlung; Kap. 3.1.3).
•
Freier Stand: 1 Minute bei Entlassung; heute steht die Patientin frei für ein viertelstündiges Gespräch.
•
Die Patientin geht in der Wohnung ohne Fußschiene.
•
Sie kann Gegenstände aus dem Stehen vom Boden aufheben.
•
Sie benutzt in Begleitung die öffentlichen Verkehrsmittel.
•
Sie ist tagsüber allein zu Hause.
Merke
Die widerlagernde Mobilisation des Hüftgelenks
•
Die widerlagernde Mobilisation des Hüftgelenks im Stand fördert die dynamische Stabilisierung der unteren Extremität sowie der Wirbelsäule.
•
Sie fördert Gleichgewichtsreaktionen.
•
Wichtig ist, das tägliche Training der widerlagernden Mobilisation mit dem Gehtraining zu verknüpfen; dies fördert den Transfer der gelernten dynamischen Stabilisierung der unteren Extremität.
Literatur
Bürge and Spirgi Gantert, 2013
Mohr et al., 2014
Mulder, 2007
Spirgi Gantert and Suppé, 2014
Spirgi Gantert, 2012
Straube et al., 2014
Spiegeltherapie
Die zunächst an Amputationspatienten erforschte und erprobte SpiegeltherapieSpiegeltherapie erweist sich durch ein gut zu etablierendes Setting und wissenschaftlich fundierte Erfolge als immer größere Chance in der Rehabilitation. Das Einsatzgebiet erstreckt sich inzwischen auf ein breites Patientenspektrum.
5.10.1
Einsatz der Spiegeltherapie
Setting
Patientenauswahl
Patienteninformation
Aufbau der Therapie
Heimprogramm
Spiegeltherapie bei Paresen
Spiegeltherapie bei sensorischen Defiziten (taktil/propriozeptiv)
Spiegeltherapie bei Neglect
Spiegeltherapie bei Schmerzpatienten
Spiegeltherapie bei Fazialisparese
5.10.2
Wissenschaftlicher Hintergrund
Visueller Kortex/Körperschema
Spiegelneuronen
Learned Non-Use
Literatur
Altschuler et al., 1999
Dohle et al., 2009
Hartje and Poeck, 1997
Jouttonen and Gockel, 2002
Moseley, 2004
Ramachandran, 2000
Ramachandran et al., 1995
Rizzolatti and Craighero, 2004
Rothgangel et al., 2007
Taub et al., 2002
Osteopathie
5.11.1
Definition
-
•
Der menschliche Körper stellt eine untrennbare Einheit dar. Er ist mehr als die Summe seiner Einzelteile. Knochen, Muskeln, Nerven, innere Organe und Gewebe stehen in wechselseitiger Beziehung zueinander. Erst deren harmonisches Zusammenspiel ermöglicht es dem Körper, als Einheit zu funktionieren.
-
•
Struktur und Funktion bedingen sich wechselseitig. Wenn die Funktion eines Organs zunimmt, wächst in der Regel auch dessen Struktur. Wird die Funktion eines Organs nicht mehr benötigt, verkümmert dessen Struktur.
Der Osteopath erkennt gestörte Funktionen als beeinträchtigte Bewegungen der Struktur. Mit seinen manuellen Techniken hilft er der Struktur zu ihren ursprünglichen Bewegungen zurück. Die Struktur kann so ihre Funktion wieder störungsfrei ausüben.
-
•
Die Selbstregulierungskräfte sind alle körpereigenen Mechanismen, Reflexe und Prozesse, die dem Organismus aus einem kranken Zustand zur Gesundung zurückverhelfen.
Ein Osteopath heilt nicht, sondern hilft dem Organismus, sich selbst zu heilen, indem er dessen Selbstregulierungskräfte unterstützt.
5.11.2
Nervensystem als untrennbare Einheit
Mobilisierung peripherer Nerven
-
•
Zuerst Nervenmobilisierungperipheredie muskuloskelettale Umgebung des Nervs behandeln.
-
•
Die perineuralen Faszien behandeln (weil sie die neurale Versorgung und Entsorgung organisieren).
-
•
Die vegetative Steuerung des Nervs verbessern (Behandlung der sympathischen Zentren im Bereich der WS [C8–L2] und der Grenzstrangganglien; Kap. 3.3.1).
-
•
Die lokale Fixation behandeln.
-
•
Ein intraneurales Gleichgewicht herstellen (wichtig für die Selbstregulierungskräfte).
Mobilisierung kranialer Nerven
-
•
In den Foramina (Durchtrittsstellen am Schädel)
-
•
Durch Spannungen im Membransystem des Schädels (Dura mater und ihre Duplikaturen: Falx cerebri, Falx cerebelli, Tentorium cerebelli, Diaphragma sellae)
-
•
Durch vaskuläre Kompression
Merke
Das Gehirn besitzt keine Schmerzrezeptoren. Kopfschmerzen werden deshalb überwiegend im Membransystem des Schädels ausgelöst.
•
Normalisieren des kraniosakralen Mechanismus durch Behandlung des Sacrums, der Wirbelsäule und der Schädelknochen und -membranen
•
Behandlung einzelner Suturen und Durchtrittsstellen für den entsprechenden Nerv
•
Herstellung eines Gleichgewichts im kranialen Nerv selbst
Merke
Durch die Kontinuität des peripheren und zentralen Nervensystems verursachen Bewegungsstörungen peripherer Nerven häufig Mobilitätsverlust im Membransystem des ZNS und in den kranialen Nerven und umgekehrt.
5.11.3
Fasziensystem
-
•
Eine oberflächliche, muskuloskelettale Schicht
-
•
Eine mittlere, viszerale Schicht
-
•
Eine tiefe Schicht, Dura mater und Schutzhüllen der peripheren Nerven
Merke
Distanzwirkung
5.11.4
Vegetatives Nervensystem
•
Kraniosakrale Techniken normalisieren die parasympathischen Zentren und den Hypothalamus als übergeordnetes vegetatives Zentrum.
•
Parietale Techniken an der Wirbelsäule normalisieren die sympathischen Zentren des Tractus intermediolateralis und die Grenzstrangganglien.
Merke
Das parietale, viszerale und kraniosakrale System bedingen sich gegenseitig. Dysfunktionen im Bereich Th6–Th9 können die Leberfunktion stören. Ein Leberproblem kann zu einer segmentalen Störung in den Bereichen Th6–Th9 führen.
5.11.5
Selbstregulierungskräfte in der Neurologie
Der Nervensystem braucht Sauerstoff
Mit den Selbstheilungskräften in Kontakt treten
Merke
Primärer Atemmechanismus (PAM)
•
Kontaktaufnahme mit dem PAM
•
Wahrnehmung eines geordneten oder ungeordneten Rhythmus
•
Folgen der Gewebespannungen
•
„Zustand der Stille“ tritt ein – kein Rhythmus spürbar
•
Selbstkorrektur – das Gewebe reorganisiert sich
Beispiel
Bei einem jungen Patienten tritt nach einer ausgeheilten, schweren Halsentzündung eine erhöhte Faszienspannung im Bereich des Mediastinums und des Perikards auf. Diese führt zu Schulterschmerzen und einer Störung der Neurodynamik des Plexus brachialis.
Der Osteopath hält mit der oberen Hand der Plexus leicht in Vorspannung und begleitet mit der anderen Hand die Selbstregulation (Abb. 5.25):
•
Im Bereich Herz und Perikard (präcordial)
•
Im Bereich des Mediastiums (Sternum)
Internetadressen
www.,
www.,
Literatur
Barral and Croibier, 2005
Barral and Croibier, 2008
Liem, 2006
Möckel, 2014
Newiger, 2005
Schleip et al., 2012
Steinfurth, 2014
Zink, 1970
Manuelle Therapie (MT)
5.12.1
Grundlagen
-
•
Extremitätengelenken
-
•
Wirbelsäulengelenken
-
•
Skelettmuskulatur
-
•
Nerven
-
•
Faszialen Strukturen
Indikationen
-
•
Reversible Manuelle TherapieIndikationenBewegungseinschränkungen
-
•
Blockierung eines Gelenks
-
•
Schmerz
-
•
Verzögerte Heilung
Kontraindikationen
-
•
Entzündliche Prozesse (akute Entzündungen im zu behandelnden Gebiet)
-
•
Destruierende Prozesse (im zu behandelnden Gebiet)
-
•
Osteoporose
-
•
Bestimmte neurologische Störungen (z. B. Cauda-equina-Syndrom)
-
•
Koagulationsstörungen
-
•
Traumen mit Verletzungen anatomischer Strukturen (z. B. Luxationen, Frakturen im Behandlungsgebiet)
-
•
Infektionen
-
•
Thrombosen
-
•
Lokale Hautverletzungen und Hauterkrankungen
5.12.2
Biomechanische Grundlagen der MT
Osteokinematik und Arthrokinematik
Merke
Konvex-Konkav-Regel
Untersuchung
•
Senkrecht zur Tangential- oder Behandlungsebene = Traktion; Kompression
•
Parallel zur Tangentialebene = Gleiten
Behandlung
5.12.3
Strukturelle vs. neuroreflektorische Läsion
Beispiel
Patient Nr. 1
Beispiel
Patient Nr. 2
Beispiel
Patient Nr. 3
Internetadressen
www.,
www.,
Literatur
Frisch, 1995
Frisch, 1995
Handwerker, 1999
Lewit, 2006
Matthijs, 2003
van den Berg, 1999
van den Berg, 2008
Maitland/Nervenmobilisation (NOI)
5.13.1
Das Maitland-Konzept in der Neurorehabilitation
Merke
-
•
FürMaitland-KonzeptGrundlagen Maitland sind bei der manualtherapeutischen Untersuchung die Zeichen und Symptome, die der Patient beschreibt, wichtiger als biomedizinische Aspekte.
-
•
Präzise Kommunikation mit dem Patienten ist ein essenzieller Teil der Befundung, um Hinweise für die Behandlung zu bekommen.
-
•
Theoretische Erkenntnisse und praktische Erfahrung ergänzen sich. Das „durchlässige Backsteinmauer-Konzept“ führt zur „Wise Action“: Best of Evidence (Wissenschaft) – Best of Practice (therapeutisches Können) – Best of Patient (Mitarbeit).
-
•
Hypothesekategorien werden anhand der subjektiven Befundaufnahme, der Geschichte der jetzigen und älteren Probleme sowie einer ausführlichen Testung von aktiven und passiven Bewegungen erstellt.
-
•
Befunde werden überprüft, ob sie ein typisches klinisches Muster ergeben: „Do Features Fit“.
-
•
Die Parameter Schmerz bzw. sensomotorische Antwort (P), Widerstand (R) und Schutzspasmus (S) während einer passiv durchgeführten Bewegung werden mithilfe des Bewegungsdiagramms in Relation zueinander gesetzt.
-
•
Für die passive Untersuchung und Behandlung werden verschiedene Grade der Bewegung benutzt: Grad I–V.
-
•
Behandlungstechniken werden an die jeweiligen Symptome des Patienten angepasst: „Techniques are the Brainchild of Ingenuity“.
-
•
Der Patient wird von Beginn an zu Eigenübungen aufgefordert, um Veränderungen auf struktureller Ebene und bei der neurophysiologischen Verschaltung hervorzurufen.
Orientierung an Zeichen und Symptomen
Kommunikation
Beispiel
Bei einer Patientin wurden plötzliche Knieschmerzen als typisch nach einem Schlaganfall diagnostiziert. Erst die Erstellung einer MRT-Aufnahme auf Anraten des Therapeuten führte zur Diagnosestellung einer Meniskusläsion und zur sofortigen Operation. Dem Therapeuten kam dieser Verdacht, als er den Sturzhergang gemeinsam mit der Patientin rekonstruierte: Beim Versuch, die Katze unter dem Bett hervorzulocken, war sie aus dem Kniestand seitlich weggekippt. Sie konnte diese Geschichte aber nicht erzählen, sondern nur gezielte Fragen bejahen oder verneinen.
Backsteinmauer-Konzept
Funktionelle Demonstration
Hypothesekategorien
Merke
Output-Probleme: alle Symptome des UMNS (Kap. 3.1.2), wie Kraftlosigkeit, reduzierte motorische Kontrolle, Mangel an Koordination und Ausdauer, veränderter Muskeltonus und Klonus.
Bewegungsdiagramm
Behandlung
5.13.2
Neurodynamische Untersuchung/NOI-Konzept
Merke
-
•
Intraneurale Probleme bei zentraler Läsion: Hirnläsion, Hirnödem, Kompression
-
•
Extraneurale Probleme bei zentraler Läsion: anhaltende Kompression und Dehnung durch ungünstige Lagerung, Fehlhaltungen, Kokontraktion der Muskulatur, Hämatome, Frakturen
Biomechanik und Physiologie des Nervensystems in Wechselwirkung
Achtung
Bei ca. 8 % Dehnung wird die Blutversorgung der Nerven reduziert, ab ca. 15 % ist sie nicht mehr gewährleistet. Deswegen sollten Muskeldehntechniken so durchgeführt werden, dass Nerven dabei keine Hypoxie erleiden.
Neurodynamische Tests
Merke
Die kompletten Entlastungsstellungen für die Tests peripherer Nerven sind mit den Mustern identisch, die bei Patienten nach einer Hirnläsion zu beobachten sind. Für den SLR und seine Komponenten ist es das Flexionsmuster im Bein, für den ULNT1 das Beugemuster des Armes.
Analyse
Für die Praxis
Tritt Klonus in Rückenlage bei gestrecktem Bein stärker auf als bei gebeugtem Bein, könnten sowohl Muskulatur als auch neurale Strukturen dafür verantwortlich sein. Ändert sich die Reaktion in Abhängigkeit von Rumpf- und Nackenpositionen, spricht das für eine neurale Beteiligung.
Behandlung
Literatur
Bucher-Dollenz and Wiesner, 2008
Butler, 2000
Kern, 2010
Maitland, 2008
McKenzie-Konzept
5.14.1
Einführung
Merke
Die essenzielle Philosophie dieser Methode ist, durch die schnelle und zuverlässige klinische Kategorisierung den Patienten Wissen und Verständnis ihres Problems sowie die Maßnahmen zu vermitteln, mit denen sie ihren Schmerz behandeln und kontrollieren können.
Ziele
-
•
Ausschluss McKenzie-KonzeptZielevon Kontraindikationen für Physiotherapie
-
•
Sichere Diagnostik von muskuloskelettalen Störungen, z. B. Bandscheibenprotrusion
-
•
Präzise Erfassung von neurologischen Störungen
-
•
Erkennen von psychosozialen Belastungssituationen
-
•
Erstellen eines individuellen Behandlungsprogramms
-
•
Aufklärung des Patienten
-
•
Beseitigung von Schmerz/Neurologie und Wiederherstellung der Funktion
-
•
Ausschöpfen des Selbstbehandlungspotenzials des Patienten
-
•
Verhinderung von langwierigen oder wiederkehrenden Beschwerden
Indikationen
-
•
Neuromuskuloskelettale McKenzie-KonzeptIndikationen, KontraindikationenStörungen an Wirbelsäule und peripheren Gelenken
-
•
Orthopädisch-traumatologische Schadensbilder (konservativ, prä- und postoperativ)
-
•
Schmerzhafte Störungen der Gelenkfunktion ± psychosoziale Belastungssituationen
Kontraindikationen
-
•
Schädigung des ZNS
-
•
Cauda-equina-Symptomatik
-
•
Pathologien im entzündlichen Stadium
-
•
Frakturen im Behandlungsgebiet
-
•
Tumoren
5.14.2
Grundlagen
Konzeptionelles Modell
Klassifikationssystem
Patientenaufklärung und Selbstbehandlung
5.14.3
Durchführung
Anamnese
Für die Praxis
Der Befund ist so aufgebaut, dass der Untersucher anhand eines Rasters durch die Anamnese geleitet wird. Dies gibt ihm einen roten Faden für die Untersuchung und gewährleistet, dass wesentliche Sicherheitsaspekte, wie der Ausschluss von Kontraindikationen oder das Erkennen einer neurologischen Symptomatik, immer erfasst werden. Diese zielgerichtete Befragung verkürzt die Befundzeit.
Die zweite Zielsetzung der Anamnese ist es, die Beschwerdebilder zu erkennen, die mechanisch aktuell nicht behandelbar sind. Als Beispiel können hier LWS-Schmerzen durch Nierensteine oder ISG-Schmerzen bedingt durch die entzündliche Phase eines Morbus Bechterew genannt werden.
Klinische Untersuchung
Für die Praxis
Edukation
Internetadressen
www.mckenzie.de,
www.mckenzie.de (McKenzie-Website für Deutschland/Schweiz/Österreich mit Infos, aktueller Literatur, Kursen, Therapeuten, Diskussionsforum).www.mckenziemdt.org,
www.mckenziemdt.org (Website des McKenzie Institute International mit den Instituten der ganzen Welt sowie ständig aktualisierter Literaturliste).Literatur
McKenzie, 2003
McKenzie, 2006
McKenzie, 2000
McKenzie, 2006
McKenzie, 1986
Saner-Bissig, 2007
Manuelle Lymphdrainage
Die Manuelle LymphdrainageManuelle Lymphdrainage (MLD) ist eine Technik, die hauptsächlich durchgeführt wird, um Schwellungen zu therapieren. Schwellungen (= Ödeme) können aus verschiedenen Gründen entstehen. Man muss ihre Ursache kennen, um die richtige Therapie einzuleiten. MLD ist nicht für jede Schwellung indiziert.
Mittels langsamen, sanften und rhythmischen Griffen wird das LymphgefäßsystemLymphgefäßsystem (LGS) unterstützt und somit das ÖdemÖdem reduziert. Die Wirkung der MLD hält nachweislich nicht lange an; deswegen ist es wichtig, das betroffene Gebiet zusätzlich mit Kompressionsstrümpfen oder Kompressionswickelung zu versorgen.
Das LGS beginnt „blind“ im Gewebe und mündet über immer größer werdende Lymphgefäße in das Venensystem. Es hat eine ähnliche Aufgabe wie das venöse System im Blutkreislauf. Beide Systeme sorgen für den Abtransport von Stoffwechselendprodukten.
Die initialen Lymphgefäße, der Anfang des LGS, haben die Aufgabe, die lymphpflichtige Lasten aufzunehmen und weiterzugeben. Sie bestehen hauptsächlich aus sich überlappenden Endothelzellen. Ankerfasern verbinden sie mit der Epidermis. Bei einem Volumenanstieg im Gewebe werden diese Ankerfasern gestrafft. Durch den Zug öffnen sich die initialen Lymphgefäße (= Open Junctions) und die lymphpflichtige Lasten werden aufgenommen.
Die Lymphe wird dann über Präkollektoren zu den Lymphkollektoren geführt. Die Kontraktion der glatten Muskulatur in den Lymphkollektoren (= Lymphangiomotorik) sorgt für den Weitertransport der Lymphe, Gefäßklappen verhindern ihren Rückfluss. Die Lymphknoten sind im LGS „zwischengeschaltet“ und eng lokal miteinander verbunden. Sie erfüllen immunologische Aufgaben und filtern die Lymphe.
Das LGS arbeitet immer bedarfsgerecht. Fallen mehr Lasten an, wird das System angeregt, mehr zu arbeiten, um die Lasten abzutransportieren. Verschiedene Einflüsse, z. B. die Muskel-Gelenk-Pumpe und die Atmung, können die Lymphangiomotorik positiv beeinflussen.
5.15.1
Aufgaben des Lymphgefäßsystems (LGS)
5.15.2
Grundlagen der MLD
Kontraindikationen
Wirkungen
-
•
Steigerung der Lymphangiomotorik gesunder Lymphgefäße
-
•
Erhöhung der Transportkapazität (= maximale Arbeitsfähigkeit des LGS) erkrankter Lymphgefäße
-
•
Verschiebung von Gewebsflüssigkeit und Lymphe
-
•
Lockerung von fibrotisch verändertem Gewebe
Einsatz der MLD
Merke
Bei eiweißreichen Ödemen, basierend aus einer Sicherheitsventilinsuffizienz, ist die MLD in Kombination mit Kompressionsversorgung indiziert. Die Kompression ist wichtig, um den Therapieerfolg zu halten.
Beispiel
Am Bespiel einer ödematisierten Hand fängt die Behandlung nach einer zentralen Anregung an den regionären Lymphknoten in der Axilla an. Mit den verschiedenen Griffen wird das gesunde Gebiet bis zur Hand angeregt. Das Ödem wird dann langsam zu den gesunden Gebieten hingeschoben. Dort können gesunde Lymphgefäße die Flüssigkeit aufnehmen und abtransportieren. Schulterkreisungen und tiefe Atemzüge sind Übungen, die jederzeit gemacht werden können, um den Abfluss zu steigern.
Merke
Ziele der Therapie sind die Reduzierung des Ödems und die Vermeidung der Reödematisierung. Spannungen im Gewebe werden reduziert, der Stoffwechsel im geschwollenen Bereich verbessert und das potenzielle Bewegungsausmaß vergrößert.
Literatur
Földi and Földi, 2011
Taping
Ein TapeverbandTapeverband besteht aus elastischen Streifen aus Klebepflaster, die in einer speziellen Anlegetechnik und Reihenfolge direkt auf die Haut des Patienten aufgeklebt werden. Dadurch werden das Gelenk oder der Muskel nicht vollständig ruhiggestellt, sondern können in einem vom Therapeuten festgelegten Ausmaß bewegt werden. TapingDieser funktionelle Tapeverband wird sowohl zur Behandlung als auch zur Prävention eingesetzt.
Die Bewegungen werden direkt über die Klebestreifen auf die Haut übertragen und verstärkt. Durch sogenannte „Zügel“ wird der Kapsel-Band-Apparat gestützt und gibt maximale Stabilität bei gezielter Mobilität. Zusätzlich kann über die Verschalung und über zusätzliche Basistouren aus elastischen Pflasterbinden eine Kompressionswirkung erzielt werden. Dieser Druck unterstützt den Abtransport von Ödemen und stimuliert zusätzlich die Propriozeptoren. Über diese Kräfte werden vor allem Druckrezeptoren (Vater-Pacini-Körperchen) und Dehnungsrezeptoren (Ruffini-Körperchen) aktiviert. Somit kann ein höheres Potenzial an Informationen an das ZNS weitergegeben und verarbeitet werden.
Einzelne elastische Tapezüge werden im Verlauf der Muskulatur aufgebracht, um diese zu beeinflussen:
-
•
Trainieren eines Muskels mit Minus-Symptomatik (Kap. 3.1.2): Das Tape wird mit Materialzug vom Ursprung zum Ansatz auf den so weit wie möglich angenäherten Muskel aufgeklebt. Diese Anlage soll als Erinnerung funktionieren (Reminderwirkung), um das in der Therapie Erlernte weiter zu konsolidieren. Lässt der Patient in der Spannung nach und der Muskel verlängert sich wieder, melden dies die Hautrezeptoren zurück und der Patient soll versuchen, die Spannung wieder neu aufzubauen.
-
•
Detonisierung eines Muskels mit Plus-Symptomatik (Kap. 3.1.2): Das Tape wird locker im Verlauf vom Ansatz zum Ursprung auf den so weit wie möglich vorgedehnten Muskel aufgeklebt.
Die Wirkungsweise des Tapes kann durch die Farbwahl unterstützt werden. Rot wirkt anregend, blau dämpfend. Dieses spezielle Tapematerial ist im Längs- als auch im Querverlauf dehnbar. Die untere Klebeseite zeigt ein wellenförmiges Profil. Bei Bewegung der zu behandelnden Körperpartie führt dieses spezielle Tape zur zusätzlichen Bewegung der Cutis gegenüber der Subcutis. Mechanorezeptoren (z. B. Vater-Pacini-Körperchen, Ruffini-Körperchen) geben diese Informationen über afferente Bahnen an das ZNS weiter.
5.16.1
Anwendungsgebiete in der Neurologie
-
•
FazilitationTapingAnwendungsgebiete und Führung einer Bewegung
-
•
Muskeltaping im Sinne eines physiologischen Alignments
-
•
Stabilisierung kleiner Gelenke, z. B. Schienung der Finger
-
•
Verbesserung des Stoffwechsels durch Unterstützung der funktionellen Bewegung mittels Tape
-
•
Verbesserung der peripheren Ansteuerung durch Stimulation der Propriozeptoren
-
•
Verbesserung der kognitiven Wahrnehmung und Verarbeitung einer Bewegung durch die „Reminderwirkung“ des Tapes
-
•
Unterstützung der posturalen Kontrolle durch gezielte Aktivierung der Propriozeptoren mittels adäquater Tapezüge
5.16.2
Kontraindikationen
-
•
Hautverletzungen/ErkrankungenTapingKontraindikationen
-
•
Allergische Hautaffektionen
-
•
Ausgedehnte Hämatome
-
•
Kompartmentsyndrom
-
•
Frakturen
-
•
Komplette Muskel-/Sehnen-/Kapsel-/Bandruptur
-
•
Nicht reponierte Luxationen
Literatur
Eder and Mommsen, 2013
Kumbring, 2011
Triggerpunkt-Therapie
Ein myofaszialer TriggerpunktTriggerpunktmyofazialer (MTrP) ist eine abgegrenzte Region in einem Hartspannstrang eines Muskels, die auf bestimmte Reize mit immer denselben Erscheinungen reagiert.
Merke
Diagnose eines MTrP
•
Druckempfindlicher, lokal begrenzter Punkt in einem Hartspannstrang
•
Lokale Zuckungsantwort bei mechanischer Provokation (Local Twitch Response)
•
Referred Pain Pattern bei Aktivierung des MTrP
•
Schmerzreproduktion bei Aktivierung des MTrP
•
Eingeschränkte Beweglichkeit, Muskeldehnungs-, Kontraktionsschmerz
•
Muskelschwäche ohne Atrophie
•
Autonome Phänomene bei Aktivierung des MTrP
Die Entstehung eines MTrP in einem Hartspannstrang und dessen Druckdolenz lassen sich mit der „Energy Crisis TheoryEnergy Crisis Theory“ erklären (Abb. 5.31): Aufgrund einer lokalen Hypoxie kommt es durch Versagen der Kalziumpumpe zu einem Mangel an Adenosintriphosphat (ATP). Die Folge ist eine Kontraktur der Aktin-Myosin-Filamente und somit die Verkürzung der Sarkomere. Dies führt zum Hartspannstrang und in diesem zeigt sich der MTrP als kleine Verdickung.
Diese Tonuserhöhung verursacht eine Kompression von Arteriolen und somit eine lokale Ischämie, die wiederum die lokale Hypoxie unterhält. Durch eine lokale Hypoxie kommt es weiterhin zur Freisetzung vasoneuroaktiver Substanzen und folglich zu einem Ödem, das durch eine Gefäßkompression wiederum eine lokale Hypoxie verursacht.
Diese aufeinander folgenden Ereignisse beeinflussen sich gegenseitig und halten sich gegenseitig aufrecht. Ein Circulus vitiosus ist entstanden.
Es gibt verschiedene Ursachen für das Entstehen dieser Energy Crisis in der Skelettmuskulatur. Häufig kann es durch eine Läsion von Muskelfasern zu einer Erhöhung des neuromuskulären Tonus kommen. Eine weitere Ursache können periphere vaskuläre Störungen sein, die eine Energy Crisis hervorrufen.
Betrachtet man neurologische Erkrankungen, sind meistens folgende unterhaltende Faktoren für einen MTrP vorhanden:
•
Tonuserhöhung der Muskulatur aufgrund einer zentralen/peripheren Fehlansteuerung
•
Fehlhaltungen/Fehlstellungen, durch die es zur unphysiologischen Annäherung bzw. Verlängerung von Muskulatur und infolgedessen zur Tonuserhöhung kommt
Letztendlich ist die Folge aus diesen Faktoren immer eine Verschlechterung der Stoffwechselsituation und somit eine lokale Ischämie und der Beginn des Circulus vitiosus.
5.17.1
Therapie des MTrP
5.17.2
Kontraindikationen
•
Absolute KontraindikationenTriggerpunkt-TherapieKontraindikationen
–
Koagulationsstörung
–
Gewebe nach Bestrahlung
•
Relative Kontraindikationen
–
Hautverletzungen/Erkrankungen
–
Osteoporose
–
Maligne Tumoren (im Tumorgebiet)
–
Akute Muskelverletzungen (nicht im Gebiet der primären Hyperalgesie arbeiten)
–
Unkooperative Patienten
Literatur
Irnich et al., 2009
Simons et al., 2014
Simons et al., 2014
Tiergestützte Therapie
Unter tiergestützter TherapieTherapietiergestützte werden alle Maßnahmen zusammengefasst, bei denen durch den gezielten Einsatz eines Tieres positive Auswirkungen auf das Erleben und Verhalten von Menschen erzielt werden sollen. Dies gilt sowohl für physische als auch für psychische Erkrankungen. Das Therapie-Paar Mensch/Tier fungiert hierbei als Team. Tiere wirken über ihre dem Menschen zugewandte Art, über Anblick, Körperkontakt, Kommunikation und Interaktion. Ein Aspekt des Erfolgs des Einsatzes von Tieren ist es, dass Tiere unvoreingenommen auf Menschen zugehen.
5.18.1
Therapiehund-Team
-
•
Als „Kotherapeut“ beeinflusst und fördert der Therapiebegleithund Prozesse und Entwicklungen auf physischer, psychischer, kognitiver und sozialer Ebene.
-
•
Im therapeutischen Setting bilden Therapiebegleithund, Hundeführer und Patient ein Team, arbeiten also in engem Austausch miteinander. Das erfordert neben einer sorgfältigen strukturellen Planung ein sehr vertrauensvolles Verhältnis zwischen Hundeführer und Therapiebegleithund, denn nur so können die verfügbaren Ressourcen für den Patienten optimal nutzbar gemacht werden.
-
•
Durch sein vorurteilsfreies Annehmen des Patienten und die zu jedem Zeitpunkt unvoreingenommene und direkte Zuwendung des Hundes wirkt der Hund auf das Selbstwertgefühl des Patienten, macht Selbstwirksamkeit erfahrbar und setzt wichtige Impulse in der psychischen Entwicklung.
-
•
Aber auch physisch stößt der Therapiebegleithund bedeutsame Entwicklungen an, die gerade durch das Zusammenspiel mit der emotionalen Komponente so wirkungsvoll sind.
-
•
Die Lebendigkeit und Wärme des Hundes, sein weiches Fell und ganz allgemein der „Kuschelfaktor“ sorgen nicht nur für Wohlbefinden, sondern lassen auch den eigenen Körper und dessen Grenzen (wieder) fühlbar werden, was gerade für Patienten mit sensorischen Störungen ein entscheidender Faktor sein kann.
-
•
In der Interaktion mit dem Hund werden Stimme, Ausdrucksmöglichkeit, Körpersprache und Kommunikationsformen geschult und verbessert – in einem Rahmen, der durch das reine „Sein“ des Hundes motiviert und Freude schenkt.
-
•
Die Arbeit mit einem Therapiebegleithund ist ein ganzheitlicher Ansatz, der den Therapeuten sehr fordert, denn der Hund spiegelt sowohl das Verhalten des Therapeuten als auch die (Handlungs-)Strukturen des Patienten.
-
•
Die Balance zwischen angeleiteter Aktion des Therapiebegleithundes und der freien Interaktion des Therapiebegleithundes mit dem Patienten erfordert vom Hundeführer ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen dem Patienten gegenüber, eine umfassende Kenntnis über das Ausdrucksverhalten des Therapiebegleithundes und eine sichere Beziehung zu diesem.
-
•
Eine umfassende qualifizierte Ausbildung des Therapiehund-Teams ist unbedingte Voraussetzung für einen verantwortungsvollen Einsatz! Ein verspieltes, freundliches Wesen des Hundes reicht hierfür allein nicht aus!
Merke
Therapiebegleithund
Wirkung von Therapiebegleithunden
Physische Wirkung
Psychische Wirkung
Soziale Wirkung
Beispiele für den gezielten Einsatz eines Therapiebegleithunde-Teams in der Neurologie
Physiotherapie
•
Verbesserung des KörperbewusstseinsTherapiebegleithundin der Physiotherapie und Erkennen des eigenen Körperschemas (Kap. 3.2) bei schwer wahrnehmungsbeeinträchtigten Patienten (Koma, Wachkoma, apallisches Syndrom): Therapiebegleithund wird eng an eine Körperseite des liegenden Patienten abgelegt.
•
Beeinflussung des vegetativen Nervensystems (Kap. 3.3): Absenkung des Blutdrucks, Regulierung der Atemfrequenz, Besserung der Sauerstoffsättigung, einsetzende Schluckfrequenz, mögliche Fixierung der Augen, Tonusveränderung, Regulation der Körpertemperatur, Ansätze von Kommunikationsverhalten.
•
Anregung und Verbesserung des Transfers vom Rollstuhl in den Stuhl/auf eine Behandlungsbank: Oberkörpervorlage wird alltagsnah beübt, indem der Therapiebegleithund vor dem Patienten abgesetzt wird. Patient darf nun den Hund berühren, ihm eine Belohnung geben, den Hund bürsten, anleinen. Dies alles geschieht mit einem Abstand zwischen Therapiebegleithund und Patient, sodass der Patient in die Oberkörpervorlage gehen muss, um den Hund (sofern der Hund groß genug ist bzw. der Patient weit genug heruntergreifen kann – bei kleinen Hunden und Patienten im Rollstuhl besteht ein hohes Sturzrisiko) erreichen zu können.
•
Anregung und Verbesserung des Blick über die Mittellinie bei Patienten mit Neglect (Kap. 3.4.2): Therapiebegleithund wird im Neglectbereich körpernah neben den Patienten gebracht. Betroffene Hand des Patienten wird an den Hund geführt, der Patient wird beim Streicheln unterstützt. Gezieltes Lecken z. B. mit Einsatz von Quark von bestimmten Bereichen der Haut (auch bei Parästhesien). Mögliche Reaktionen des Patienten: Erweiterung des Sehbereichs in die Neglecthälfte hinein. Patient nimmt Therapiebegleithund wahr, spricht ihn eventuell an.
•
Anregung der motorischen Fähigkeiten von Patienten: Der Patient in Abb. 5.32 hat seine durch einen Schlaganfall betroffene Seite auf Therapiehund „Kalle“ abgelegt, versucht aber, das Gewicht der Extremitäten zu reduzieren, um den Hund zu entlasten. Im weiteren Fortgang der Therapie versucht er nach und nach, sein betroffenes Bein vom Hund abzuheben; dadurch werden seine Hüftabduktoren und -außenrotatoren trainiert. Therapiehunde können aber auch schnelle, motorische Reaktionen bei Patienten hervorrufen, ggf. sogar über (vom Therapeuten geplantes) schnelles Losrennen, das den Patienten zu reaktiven Anpassungen anregt (Kap. 3.1.3).
Ergotherapie
-
•
Kognitive Therapie: Therapiebegleithundin der ErgotherappiePlanung von Handlungen/Strukturarbeit: Patient soll sich den Tagesablauf des Therapiebegleithundes überlegen und strukturieren. Dabei soll er die Handlungsschritte umsetzen, die im klinischen/therapeutischen Bereich für den Hund wichtig sind (z. B. Platz für Therapiebegleithund einrichten, Decke hinlegen, Wassernapf holen und füllen, Leckerchen vorbereiten).
-
•
Feinmotorik verbessern: Mit der betroffenen Hand Leckerchen aus einem Glas nehmen, sortieren und dem Therapiebegleithund reichen.
-
•
Sensibilität/Tiefensensibilität/Parästhesien verbessern: Betroffene Hand wird mit Quark bestrichen, Therapiebegleithund darf Quark ablecken.
Sprachtherapie
-
•
Therapeutischer Druck,Therapiebegleithundin der Sprachtherapie der häufig bei schweren Aphasien mit hohem Leidensdruck der Betroffenen auftritt, wird verringert. Erarbeitung von Zeigegesten/Abbau der Apraxie/Aufbau von nonverbaler Kommunikation mit dem Hund. Patient soll mit Sichtzeichen den Hund dazu bringen, zu ihm zu kommen, sich hinzulegen, etwas zu bringen.
-
•
Wortfindungsstörungen beüben/Übungen zur Semantik: Der Betroffene soll Dinge sortieren und benennen, die zum Hund gehören. Hund soll diese Dinge nach dem Benennen bringen. Hierbei: kommunikative und handlungsbezogene Interaktion mit hohem Aufforderungscharakter.
-
•
Übungen zur Atemvertiefung: Hund wird an Seite des Betroffenen abgelegt. Betroffener liegt in Rückenlage, Kopf des Hundes liegt im Zwerchfellbereich. Betroffener soll gezielt in den Zwerchfellbereich atmen. Höhere Motivation für die Atemvertiefung, da der Kopf des Hundes nun vorsichtig bewegt werden kann.
-
•
Stimmstörung: Übungen zum Rufen – Hund befolgt Kommandos. Dazwischen stimmliches Abspannen durch die Gabe einer Belohnung. („Hopp!“ – Hund bekommt Belohnung).
Interdisziplinärer Kontext
-
•
Alltagsorientierte Therapie im gemeinsamen therapeutischen Kontext: Patientengruppe backt gemeinsam mit Physio-, Ergo- und Sprachtherapeuten Kekse für den Therapiebegleithund. Kekse werden später so verpackt, dass Therapiebegleithund sie auspacken muss, um sie fressen zu können.
-
•
Ziel: Handlungsplanung, Struktur, Motorik, Kognition, Sprache, Interaktion (Mensch-Mensch und Mensch-Therapiebegleithund).
5.18.2
Tiergestützte Therapie mit Pferden:therapeutisches Reiten
Merke
Das Pferd als Therapeut, das den Patienten zu Actio und Reactio auffordert.
Früher habe ich meine Pferde trainiert, heute trainieren meine Pferde mich.
Pepo Puch, Diagnose: inkompletter Querschnitt C 3/4. Österreichischer Para-Dressurreiter und Teilnehmer an den Weltreiterspielen in Frankreich 2014
Exkurs
Deutsches Kuratorium für Therapeutisches Reiten e. V. (DKThR)
Freiherr-von-Langen-Str. 8a
48231 Warendorf
Tel.: 02581/927919–0/2 – Fax: 02581/927919–9
Internet: www.dkthr.de
E-Mail: DKThR@fn-dokr.de
Fachbereiche
Hippotherapie
-
•
90–110Hippotherapie Reiten, therapeutischesFachbereichedreidimensionale Schwingungsimpulse pro Minute machen das Pferd zu einer sich bewegenden Unterstützungsfläche, auf die der Patient entsprechend seiner Fähigkeiten ununterbrochen reagieren muss.
-
•
Die Bewegung des Pferdes hat Einfluss auf die posturale Kontrolle (Kap. 3.1.3) und damit auf die selektiven Bewegungen der Extremitäten.
Heilpädagogische Förderung
-
•
Der Schwerpunkt liegt auf der geistigen, emotionalen und sozialen Entwicklung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen.
-
•
Die Beziehung zum Pferd spielt im heilpädagogischen Reiten die tragende Rolle, d. h., das Pferd ist Lehrer, Spiegel des eigenen Ichs und lebendiger Partner.
-
•
Die heilpädagogische Förderung wird in Pädagogik, Psychologie und Psychiatrie eingesetzt.
-
•
Wiedererlangung des Körperschemas und der Körperwahrnehmung (ICF: Körperfunktion und Struktur).
Ergotherapeutische Behandlung
-
•
Das Medium Pferd bietet Menschen, deren Handlungsfähigkeiten eingeschränkt oder bedroht sind, die Möglichkeit, diese im Alltag zu erhalten oder zu verbessern (Partizipationsebene; Kap. 1)
-
•
Die Behandlungsschwerpunkte liegen auf gestörter Perzeption, Motorik und dem Verhalten.
Literatur
Julius et al., 2014
Otterstedt, 2001
Rüger-Lakenbrink, 2011
Weiterführende Weblinks zur Ausbildung von Therapiebegleithund-Teams
www.,
www.,
Bewegung als Hobby – Handicap- und Rollstuhl-Sportarten unter therapeutischen Aspekten
Menschen mit Behinderung treiben deutlich seltener SportHandicap-SportartenSport als Menschen ohne Behinderung. Insbesondere bei jungen Erwachsenen ist der Unterschied deutlich. Bei den 18–30-Jährigen ohne Behinderung sind es nur 20 %, die nie Sport treiben, wohingegen es bei der gleichaltrigen Gruppe mit Behinderung 70 % sind. Diese Zahlen sind erschreckend, wenn man den Nutzen des Sports für Menschen mit Beeinträchtigung bedenkt.
Spielerisch-sportliches Bewegen
-
•
Sport i. e. S. bezeichnet die an ein Leistungsprinzip gekoppelte Bewegung, wobei das Erreichen eines Ziels (z. B. Punktzahl, Distanz, Zeit) im Vordergrund steht. Um dem Ausschluss aufgrund körperlicher/geistiger Beeinträchtigungen entgegenzuwirken, gibt es eigene Wettkämpfe für Menschen mit Behinderungen, z. B. Paralympics, Deaflympics oder Special Olympics. Insbesondere bei den Paralympics gilt ebenso wie bei den Olympischen Spielen das Leistungsprinzip, wobei Leistungsminderungen aufgrund der Behinderungen durch sportartspezifische Klassifizierungssysteme ausgeglichen werden.
-
•
Spiel wird imSpiel Gegensatz zum Sport durch lustvolles Handeln und Zweckfreiheit charakterisiert Hierbei geht es um „leisten können, ohne leisten zu müssen“. Die Aktiven können sich austesten sowie Grenzen und Fähigkeiten kennenlernen. Viele Angebote des Breiten- und insbesondere des Rehabilitationssports sind im Bereich des Spiels zu verorten. Letztgenannter verfolgt zwar klare Ziele, dennoch brauchen keine sportlichen Leistungen i. e. S. erbracht zu werden.
-
•
Bewegung stellt Bewegungeine Schnittmenge von Sport und Spiel dar. Wenn im Folgenden der Nutzen des „Sports“ beschrieben wird, bezieht sich dies auf ein spielerisch-sportliches Bewegen, nicht jedoch auf Leistungssport. Letzterer hat weder für Athleten ohne noch mit Behinderung eine gesundheitsförderliche Zielsetzung, denn es geht vorrangig darum, Spitzenleistungen abzurufen – auch zulasten der eigenen Gesundheit.
Sport und die Rolle des Therapeuten
5.19.1
Tauchen
Tauchen mit Handicap
Für die Praxis
Menschen, die mit neurologisch betroffenen Patienten unter Wasser gehen, müssen medizinisches Hintergrundwissen haben.
Wer kann tauchen?
Therapeutisches Tauchen – Schwerelosigkeit nutzbar machen
Mögliche Zielsetzungen
•
Motorisches SystemTauchenZiele (Kap. 3.1):
–
Durch die Tonusregulation effektiverer Einsatz von Kraft – Entstehen eines neuen Bewegungsprogramms, das ggf. an Land wieder abgerufen werden kann.
•
Perzeptives System (Kap. 3.2):
–
Mehr Körperschema, zum einen durch größeren Bewegungsradius, zum anderen ist man unter Wasser mit sich und seinem Körper alleine.
•
Kognitive Systeme, Emotion (Kap. 3.4):
–
Tauchen scheint die emotionale Stabilität zu fördern, Taucher beschreiben sich nach einem Tauchgang als glücklicher und zufriedener.
–
Die Vorteile für das emotionale System liegen aber auch in der Tatsache begründet, dass der Patient beim Tauchen etwas alleine machen kann (z. B. sich selbstständig fortbewegen). Dies ist für Menschen mit Handicap eine sehr große Befriedigung, da sie an Land häufig vollständig auf Hilfe oder zumindest auf Hilfsmittel angewiesen sind.
–
Das Buddy-Prinzip (Tauche nie alleine!) beim Tauchen fördert den Team-Gedanken durch gegenseitige Kontrolle, Absicherung, Verantwortungsbewusstsein und jederzeit die Gewissheit, dass ein Partner da ist.
•
Biomechanisches System (Kap. 3.5):
–
Bedingt durch die bereits beschriebene Tonusregulation können unter Wasser oft passive Strukturen mobilisiert und somit mehr Range of Motion (ROM) erreicht werden.
•
Kommunikationssystem (Kap. 3.6):
–
Beim Tauchen gibt es eine definierte Zeichensprache, die zur Anwendung kommt. Daher genießen Menschen mit Sprachstörungen das Tauchen besonders intensiv, da sie sich hier mit Körpersprache verständigen können
•
Darf nur und ausschließlich mit ärztlicher Verordnung erfolgen (wie jede andere Therapie auch)
•
Kann ausschließlich von speziell geschulten Therapeuten durchgeführt werden (Therapie-Tauchern)
Merke
Tauchen mit Handicap ist nicht das Gleiche wie Therapie-Tauchen!
5.19.2
Segeln
Segelsport
-
•
Die 2.4mr ist ein 4,20 m langes Ein-Mann-Boot, da mit den Händen oder über Fußpedale gesteuert wird. Da man das Boot gut an die Einschränkungen des Seglers anpassen kann, treten bei den sogenannten offenen Regatten Menschen mit und ohne Behinderung gegeneinander an – das ist gelebte Inklusion!
-
•
Die Sonar wird als paralympische Disziplin von drei Personen gesegelt, wobei sich die Crew – wie bei Mannschaftssportarten üblich – nach einem Punktesystem zusammensetzt, um eine ungefähre Vergleichbarkeit zu schaffen.
-
•
Skud, die dritte und jüngste Klasse, wird von zwei Personen gesegelt. Das Besondere ist hierbei, dass jeweils ein Crew-Mitglied eine besonders starke Beeinträchtigung haben muss, bei der mindestens drei Extremitäten und Rumpf massiv eingeschränkt sind.
Segeln als Therapie
Merke
physiosail ist ein physiotherapeutischer Ansatz, der auf dem spielerisch-sportlichen Bewegungshandeln des Segelns beruht.
5.19.3
Reitsport für Menschen mit Behinderung
Mein Name ist Josef Puch. Im Reitsport besser bekannt als Pepo Puch. Geb. wurde ich am 10. Januar 1966 in Graz, Österreich. Ich nahm im Vielseitigkeitsreiten an den Europameisterschaften 2001, 2003 und 2005 sowie an den Olympischen Spielen 2004 in Athen teil. Durch technisches Versagen kam es 2008 zu einem folgenschweren Unfall bei der Vielseitigkeit in Schenefeld. Ich brach mir den 3. und 4. Halswirbel. Ein inkompletter Querschnitt war die Folge. Nach Monaten der Rehabilitation konnte ich im Rollstuhl nach Hause. Mithilfe von Freunden bin ich wieder auf meinem Pferd gesessen. Früher war das Pferd ein Sportler durch und durch, man konnte das Adrenalin richtig spüren. Und jetzt mit meiner Behinderung wurde es zu meinem Babysitter und Trainer. Dank der Internationalen Reiterlichen Vereinigung, die das Reiten für Menschen mit Behinderung in die Statuten aufgenommen hat, sodass Veranstalter Prüfungen für Behinderte ausrichten können, bin ich als Aktiver wieder dabei.
Josef Puch
Exkurs
Einteilung in BehinderungsgradeReitenBehinderungsgrade (engl. Grade):
Grade I (Ia und Ib)In dieser Gruppe finden sich die Reiter mit der schwersten Behinderung. Meist Rollstuhlfahrer und Reiter mit eingeschränkter Rumpfkontrolle und eingeschränkten Extremitätenkontrolle (neurologische Defizite).
Grade IIRollstuhlfahrer mit starken Einschränkungen der Beinfunktion und/oder Rumpfkontrolle, aber mit guten Armfunktionen.
Grade IIIIst in Deutschland die am stärksten vertretene Gruppe. Die Teilnehmer können in der Regel ohne Hilfe gehen. Die Behinderung beschränkt sich auf die Gliedmaßen.
Grade IVDiese Athleten haben nur mäßige Einschränkungen in den Extremitäten und müssen mit den Prüfungen im Regelsport vergleichbare Aufgaben reiten.
5.19.4
Klettern
Merke
Das Klettern bietet eine Vielfalt von sensomotorischen, visuellen und kognitiven Herausforderungen.
Merke
Für diese Sportart ist eine sensorische Wahrnehmung der Füße unbedingt erforderlich. Der Kontakt zum Tritt ist die Grundlage zum Klettern. Des Weiteren müssen die Handgelenke stabilisiert und die Finger geöffnet werden können.
5.19.5
Fußball
-
•
Psychische Faktoren (z. B. Selbstwirksamkeitserwartung; [Körper-]Selbstkonzept; subjektive Lebensqualität; Leistungswille)
-
•
Soziale Faktoren (z. B. Zusammenhalt; Kommunikation)
-
•
Physische Faktoren (z. B. Gleichgewicht und Koordination; konditionelle Eigenschaften)
-
•
Pausengestaltung kritisch reflektieren (z. B. schnellere Ermüdung bei Sportlern mit CP durch häufig erhöhten Muskeltonus/Energieaufwand)
-
•
Leistungsvoraussetzungen der Teilnehmer beachten (z. B. Krankheitsstadium; Physis)
-
•
Dribbel-, Koordinationsübungen trainieren
-
•
Spielmodifikationen vornehmen (z. B. kleineres Spielfeld; keine Kopfbälle)
5.19.6
Basketball
-
•
Physische Kompetenzen steigern (z. B. Schnelligkeit; aerobe Ausdauer; alaktazide anaerobe Ausdauer; Rollstuhlkontrolle; Ballkontrolle)
-
•
Psychische Kompetenzen erhöhen (z. B. Selbstwirksamkeitserwartung/Leistungsmotivation; Stresskontrolle; Aufmerksamkeitskontrolle; Reaktionsvermögen)
-
•
Soziale Kompetenzen verbessern (z. B. Mannschaftszusammenhalt; Kommunikation; Coachability [Trainierbarkeit])
-
•
Jedem Teilnehmer Erfolgserlebnisse gewähren; deshalb: Anforderungen individualisieren!
-
•
Erfolgreiche Aktionen aller anerkennen (statt nur „Punktesammler“ wertschätzen)!
-
•
Hinreichend Pausen einplanen (v. a. bei stark körperlich beeinträchtigten Teilnehmern wichtig)!
-
•
Optimale Raumtemperatur der Trainingshalle sicherstellen (Unterkühlung/Überhitzung verhindern)!
-
•
Individuell optimale Sportrollstuhlanpassung sicherstellen (sonst: Verletzungsgefahr/Fehlbelastung; suboptimale individuelle Leistung)!
5.19.7
Tennis
5.19.8
Fahrrad fahren
•
Klassische Rennräder für eine Person mit zwei Rädern. Diese Rennräder sind allgemein bekannt und werden auch im Bereich des Sports von Menschen mit Behinderung genutzt, wenn funktionell mindestens eine untere Extremität und ein ausreichender Gleichgewichtssinn nutzbar sind.
•
Tandems, die vor allem von Menschen mit Sehbehinderungen gefahren werden, wobei ein sehender Pilot das Lenken übernimmt. Diese Räder sind gleichzeitig für Menschen mit Veränderungen und Störungen der geistigen Entwicklung geeignet. Hier übernimmt der Pilot die notwendige sicherheitsrelevante Einschätzung des Straßenverkehrs.
•
Für Menschen mit Gleichgewichtsstörungen gibt es Fahrräder mit drei Rädern, die freies und selbstständiges Radfahren erlauben. Im Wettkampfbereich gibt es diese als Räder mit einem hohen Schwerpunkt, im Freizeitbereich auch als Liegeräder mit einem deutlich reduzierten Kipprisiko bei schnellen Kurvenfahrten. Allerdings ist dieser Vorteil mit einer erhöhten Gefahr verbunden, im Straßenverkehr nicht gesehen zu werden.
•
Für Menschen, die im Alltag einen Rollstuhl nutzen und deren Mobilität über die Motorik der oberen Extremität erfolgt, gibt es Handcycles, also Fahrräder, die mit den Armen angetrieben werden. Im Wettkampfbereich sind dies wiederum isolierte Rennräder mit starrem Rahmen und flacher Konstruktion, während im Freizeitbereich Adaptivräder an einem Rollstuhl angebracht werden und so ein Handcycle bilden.
•
Bicycle (Zweirad)
•
Tandem
•
Tricycle
•
Handcycle
Literatur
Anneken, 2013
Elflein and Hilmer, 1995
Eugster Büsch, 2003
Groll, 2010
Groll, 2012
Hölter, 2013
Schliermann et al., 2014
Wansing, 2013
Gerätegestützte Therapie
5.20.1
Lokomotion mittels Gerät
Merke
An dieser Stelle sei noch einmal darauf hingewiesen, dass Kliniker – um eine optimale klinische Entscheidung treffen zu können – sich nicht nur auf externe Evidenz (d. h. Studienergebnisse), sondern stets auch auf ihr Erfahrungswissen (interne Evidenz) sowie die Vorlieben des Patienten stützen und stets kritisch den Fortschritt der Therapie reflektieren sollten.
Laufband
•
Für den Einsatz in der Therapie ist ein Modell mit Handläufen sinnvoll, an denen sich die Patienten bei Bedarf während der Therapie festhalten können.
•
Speziell für die neurologische Rehabilitation gibt es Varianten mit einem System zur Körpergewichtsabnahme, meist analog eines Fallschirmgurtes. Dies soll die Lokomotion erleichtern und die Gehgeschwindigkeit erhöhen.
Schlaganfall
•
Laufbandtraining erhöht die Gehgeschwindigkeit und die Gehstrecke.
•
Aus Sicht der Wissenschaft ist Laufbandtraining besonders sinnvoll bei Patienten, die bereits auf ebenem Boden oder sogar überall selbstständig gehfähig sind.
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Laufbandtraining nach SchlaganfallSchlaganfallLaufbandInsultLaufband verursacht nicht mehr unerwünschte Nebenwirkungen als vergleichbare Therapieansätze.
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Generell empfiehlt sich ein Üben an der Leistungsgrenze der Patienten. Bei kardiovaskulären Nebenerkrankungen oder der gleichzeitigen Einnahme von Betablockern sollten die kardiopulmonalen Belastungsgrenzen eingehalten sowie ggf. vor und nach dem Training Puls, Blutdruck und Atemfrequenz kontrolliert werden.
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Besonders für gehfähige Patienten empfohlen
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Dosierung: 3–5-mal pro Woche zu je 30 bis 45 Minuten Dauer über 3–5 Wochen
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Falls möglich, mit 30-prozentiger Gewichtsentlastung beginnen, dann graduell bis auf 0 % reduzieren
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Dann die Geschwindigkeit graduell steigern
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Falls keine Geschwindigkeitssteigerung mehr möglich: ggf. Neigung des Laufbands erhöhen
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Führen des Beines durch die Therapeuten nur dann, wenn unbedingt nötig
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Therapie im Einklang mit den Prinzipien des motorischen Lernens (Kap. 6)
Morbus Parkinson
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Laufbandtraining erhöht die Gehgeschwindigkeit, die Schrittlänge und die Gehstrecke.
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Laufbandtherapie bei Morbus ParkinsonMorbus ParkinsonLaufband verursacht nicht mehr unerwünschte Nebenwirkungen als vergleichbare Therapieansätze.
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Dosierung: 3–4-mal pro Woche zu je 20 bis 30 Minuten Dauer über 4–6 Wochen
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Falls möglich, mit 30-prozentiger Gewichtsentlastung beginnen, dann graduell bis auf 20 % reduzieren
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Geschwindigkeit graduell steigern
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Therapie im Einklang mit den Prinzipien des motorischen Lernens (Kap. 6)
Querschnittlähmung
Gangtrainer
Schlaganfall
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Der GangtrainerInsultGangtrainerSchlaganfallGangtrainer unterstützt besonders die Lokomotion von eher schwer betroffenen Patienten nach Schlaganfall, die nicht selbstständig gehfähig sind.
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Zusätzliche Gangtrainertherapie nach Schlaganfall ist effektiv; jeder sechste Fall von nicht wiedererlangter Gehfähigkeit könnte verhindert werden, wenn zusätzlich zur Standardtherapie eine Gangtrainertherapie durchgeführt werden würde.
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Gangtrainertherapie nach Schlaganfall verursacht nicht mehr unerwünschte Nebenwirkungen als vergleichbare Therapieansätze.
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Das Bauprinzip des Gangtrainers (Endeffektor oder Exoskelett) scheint zur Wiederherstellung der Gehfähigkeit unerheblich zu sein; allerdings erwiesen sich Endeffektorgeräte als effektiver zur Verbesserung der Gehgeschwindigkeit.
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Besonders für nicht gehfähige Patienten empfohlen
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Dosierung: 3–5-mal pro Woche zu je 30 bis 45 Minuten Dauer über 4–6 Wochen
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Geschwindigkeit graduell steigern
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Therapie im Einklang mit den Prinzipien des motorischen Lernens (Kap. 6)
Sitz-zu-Stand-Trainer
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Den Bewegungsübergang zu unterstützen
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Therapeuten bei schwerstbetroffenen Patienten zu entlasten
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Den Patienten ein Trainingsgerät für den Transfer Sitz-zu-Stand zur Verfügung zu stellen
Armroboter
-
•
Der Einsatz dieser Geräte verbessert sowohl die Leistungen der Patienten in den Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) als auch der sensomotorischen Funktion des Armes.
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•
Roboterassistiertes Armtraining verursacht nicht mehr unerwünschte Nebenwirkungen als vergleichbare Therapieansätze.
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•
Der Armroboter ist bei Patienten mit Kontrakturen und starker Spastizität (Kap. 3.1.2) im Bereich der oberen Extremität unter Umständen weniger wirksam bzw. nicht einsetzbar.
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Dosierung: 3–4-mal/Woche zu je 40–60 Minuten Dauer über 5–6 Wochen
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•
Häufiges Ausführen der Bewegungen anstreben
-
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Therapie im Einklang mit den Prinzipien des motorischen Lernens (Kap. 6)
Literatur
Dobkin and Duncan, 2012
Hengelmolen-Greb et al., 2015
Jones and Killian, 2000
Mehrholz et al., 2013
Mehrholz et al., 2015
Mehrholz et al., 2012
Mehrholz et al., 2015
Mehrholz et al., 2014
Pohl et al., 2002
EMG-Biofeedback
Als BiofeedbackEMG-BiofeedbackBiofeedback wird die Rückmeldung biologischer Körpersignale bezeichnet. Es spiegelt körperliche, bewusstseinsferne Prozesse, z. B. Muskelanspannung, Herzrate, Hauttemperatur etc., wider. Über exterozeptiv wahrnehmbare Signale (Kap. 3.2), z. B. Töne und/oder grafische Animationen, gelangen unbewusste vegetative Prozesse (Kap. 3.3) in das Bewusstsein, womit Biofeedback eine Wahrnehmungserweiterung zur gezielten Beeinflussung physiologischer Prozesse darstellt.
5.21.1
EMG-Biofeedback bei Hemiplegie: Hemi-Kinematik-Bio-Control (H. K. B. C)
Exkurs
EMG-Ableitung: M. trapezius
5.21.2
Hypothetischer Hintergrund
Merke
Noch bevor sich die assoziierte Reaktion (Spastik) auf der betroffenen Seite zeigt, steigt die kompensatorische Anspannung auf der gesunden Seite!
5.21.3
Vorgehensweise
Literatur
Appell, 2008
Bruns, 2002
Haus, 2014
Haus et al., 2012
Rief and Birbaumer, 2006
Schmidt and Thews, 2000
Urban, 2012
Hilfsmittelversorgung
OrthesenOrthese sind HilfsmittelHilfsmittelversorgungOrthesen, die, an den Körper angelegt, unterschiedliche Funktionen erfüllen, z. B. Lagerung, Stützung, Korrektur und zum Funktionsersatz oder zur Funktionsunterstützung. Orthesen haben immer feste Elemente wie Schienen, Gelenke, Schalen oder starre Gurte.
Hilfsmittelversorgungen in der Neurologie sollten, auch kompromissbehaftet, möglichst frühzeitig eingeleitet werden. Die Motivation, die Therapie aktiv zu unterstützen, wird dadurch deutlich verbessert. Die Patienten erkennen spontan eine positive Entwicklung.
Mittlerweile sind für fast alle Körperregionen/Gelenke Orthesensysteme von der Industrie ganz oder teilweise vorgefertigt verfügbar. Um bei der Benennung/Verordnung von Orthesen nicht auf Produktnamen angewiesen zu sein, empfiehlt es sich, die Bezeichnung analog der Hilfsmittelnummer (Himinr.) des Hilfsmittelverzeichnisses (HMV) zu wählen. Hier gilt die Produktnummer 23 (von 23.1.01.XXXX bis 23.16.03.XXXX).
Nach der Bewegungs-, und Funktionsanalyse (Kap. 1.2.2) wird bestimmt, welche Minder- oder Überfunktion (Minus- oder Plus-Symptomatik; Kap. 3.1.2) mit einer Orthese unterstützt werden soll. Dabei wird festgelegt, ob der Patient mit der Versorgung gelagert und/oder mobilisiert wird. Diese Unterscheidung ist für die Prioritätenbestimmung der Orthesenfunktion extrem wichtig. Die Analyse wird im Liegen, Sitzen und im Stand durchgeführt. Es werden alle Gelenkachsen, von den Zehen zur Hüfte, von der Hüfte zur HWS und den Fingern zur Schulter, bewertet.
Zielsetzung ist, durch die bewusste Umstellung von gegebenen Gelenk-, Körperstellungen eine bessere Stabilität zu erzielen.
OrthesenOrtheseEinteilung werden grob gegliedert in:
-
1.
Lagerung:
-
–
Statisch: zur Sicherung von funktionellen Gelenkstellungen
-
–
Weich: zur Vermeidung oder Behandlung von Dekubitus
-
–
Quengelung: zur Erreichung von funktionellen Gelenkstellungen bei Kontrakturen mit Quengelgelenken oder festen Zügelungen
-
-
2.
Dynamisch/gelenkübergreifend:
-
–
Gelenkübergreifend, um Bewegungen über eine oder mehrere Gelenkachsen zu führen, zu sichern oder endgradig einzuschränken
-
–
Immer Einsatz starrer Elemente, z. B. Gelenkschienen (mit und ohne Bewegungsbegrenzung), feste Schalen oder Pelotten (Mieder, Korsettversorgungen), Gelenkschienen mit dynamischen Elementen wie Federeinheiten oder pneumatischen/elektrischen Komponenten zur dynamischen Redression
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–
Mit Materialien wie Faserverbundwerkstoff (FVW) oder Karbon können Orthesen auch ohne Gelenke so gestaltet werden, dass unter Belastung eine Teilbeweglichkeit erreicht wird.
-
-
3.
Sensomotorisch:
-
–
Bei sensomotorisch oder auch propriozeptiv wirkenden Orthesen handelt es sich meistens um Einlagen/Fußsysteme, bei denen mit gezielt eingesetzten Spots/Triggerpunkten das Spannungsverhalten der Fuß- und Unterschenkelmuskulatur aktiv beeinflusst wird.
-
Für die Praxis
Im Hilfsmittelverzeichnis (HMV) der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) in Deutschland sind alle Hilfsmittel enthalten, deren Kosten bei ausreichender Begründung und Diagnosestellung von der GKV übernommen werden müssen. Es ist nicht rechtsbindend; es können auch Hilfsmittel von der GKV erstattet werden, die nicht im HMV aufgelistet sind.
5.22.1
Orthesen untere Extremität
Beispiel
Ein Patient steht rechts stabil. Links steht das Bein in Schrittvorlage, gestrecktes Knie, der Fuß in ca. 30° Plantarflexion, die Hüfte in Außenrotationsstellung, der Oberarm ist an den Körper gezogen, der Unterarm in 90° gebeugt und die Hand zur Faust geschlossen.
Bei Lastwechsel auf das linke Bein dreht das USG sofort in eine massive Supinationstellung; der Fuß ist auf dem Außenrand nicht belastungsfähig; der Patient droht zu stürzen.
Im Sitzen kann das Knie flektiert werden; das OSG kann ohne Druck in 15° Dorsalextension gestellt werden; der Vorfuß ist locker in eine Pronationsstellung zu bringen und die Ferse steht achsengerecht in ca. 3° Valgus.
•
Zielsetzung:
–
Sichere Einstellung der Fuß- und Knieachsen, um die Körperlast im Stehen zu übertragen.
•
Prozedere:
–
Orthesen mit einer festen Einstellung der Plantarebene
–
Einstellung des OSG in ca. 90°, um eine leichte Knieflexion zu erreichen, entweder über eine feste ventrale oder dorsale Anlage am Unterschenkel.
–
Probeanpassung mit einer Orthese Typ 1: 23.03.02.6007 (Walk on) oder 2: 23.03.02.6008 (Toe off; Abb. 5.46).
•
Spontanes Ergebnis:
–
Typ 1: Keine ausreichende Kniesicherung; die Orthese kann die Plantarflexion beim Aufsetzen des Fußes nicht verhindern. Der Rückfuß kann im Schuh auf der Orthese immer noch in eine Varusstellung ausweichen.
–
Typ 2: bessere Kniesicherung im Stand, deutlich erschwertes Lösen des Beines vom Boden und weiterhin Ausweichen des Rückfußes.
•
Weiteres Vorgehen:
–
Bei akuten Situation empfiehlt sich eine mehrtägige Erprobung mit Typ 2, um über das Arbeiten am Oberkörper ggf. die Tonussituation im Bein zu verbessern.
Bei Patienten, die schon länger betroffen sind, ist eine individuelle Versorgung mit fester Fersenfassung, dorsaler Unterschenkelfassung, Einbindung der Kondylen und individuell einstellbarem Knöchelgelenk indiziert (Himinr. 23.03.30.0001–0999; Abb. 5.47).
5.22.2
Orthesen obere Extremität
-
•
Den Humeruskopf in die Gelenkpfanne führen/halten, d. h. das Gewicht des Armes tragen/halten
-
•
Rotation des Armes verhindern und ein kontrolliertes Pendeln/Führen ermöglichen
5.22.3
Rollstuhlversorgung
Rollstuhlgruppen
Standardrollstuhl (HMV Produktgruppe 18.50.02.0)
-
•
Der RollstuhlGruppenRollstuhlversorgungHilfsmittelversorgungRollstuhlStandardrollstuhl stellt eine Basisversorgung mit nur wenigen individuellen Einstellmöglichkeiten dar.
-
•
Er dient häufig als Transportmittel und ist nicht für den dauerhaften Einsatz einer Person geeignet.
-
•
Er ist aus Stahlrohr gefertigt und daher sehr schwer; meistens werden die darin sitzenden Personen geschoben.
-
•
Für die Versorgung eines neurologisch erkrankten Patienten ist er nicht geeignet.
Leichtgewichtrollstuhl (HMV Produktgruppe 18.50.02.2)
•
Er ist aus Leichtmetall hergestellt und wiegt daher bis zu 5 kg weniger als der Standardrollstuhl.
•
Er bietet eine Vielzahl von Ausstattungsmöglichkeiten und ist so an unterschiedliche Krankheitsbilder anpassbar. Mögliche Ausstattungsvarianten sind (Abb. 5.48):
–
Trommelbremse für Begleitperson, auch höhenverstellbar
–
Armlehnen lang oder Desk, auch höhenverstellbar
–
Optional mit aufsteckbarem Therapietisch
–
Bremshebel in unterschiedlichen Längen, optional abkippbar
–
Lenkräder und Gabel in unterschiedlichen Ausführungen wählbar
–
Diverse Fremdkraftantriebe optional wählbar (eigenes Hilfsmittel)
–
Ankipphilfe montierbar
–
Kippschutz montierbar
•
Er wird häufig in der neurologischen Rehabilitation eingesetzt und ist auch für den dauerhaften Gebrauch geeignet.
•
Der Leichtgewichtrollstuhl kann auf die individuellen Körpermaße angepasst werden.
•
Einsatz: Ataxie, Hemiparese, periphere Paresen
Aktiv- oder Adaptivrollstuhl (HMV Produktgruppe 18.50.03.0)
-
•
Die Begriffe Aktivrollstuhl und Adaptivrollstuhl werden synonym verwendet.
-
•
Er kann individuell an Körpermaße, Funktionseinschränkungen und Fahreigenschaften angepasst werden (Adaptation), sodass er sich auch veränderten Situationen während eines Krankheitsverlaufs anpassen kann (Baukastensystem).
-
•
Der Rahmen ist mindestens aus Leichtmetall, aber auch sehr hochwertige Materialien wie Carbon oder Titan kommen immer öfter zum Einsatz, vor allem im Bereich der Sonderbauten, Einzelanfertigungen.
-
•
Bei diesen Rollstühlen kann die Geometrie individuell festgelegt werden. Die Positionierung der Achsen und der Räder wird auf die individuellen Fähigkeiten abgestimmt.
-
•
Diese Rollstühle sind indiziert, wenn der Patient vorzugsweise das Hilfsmittel selbst bedient.
-
•
Einsatz: Hemiparese, Paraparese, Tetraparese
Multifunktionsrollstuhl (HMV Produktgruppe 18.50.02.7XXX)
-
•
Er wird häufig auch als Pflegerollstuhl bezeichnet, da er in der Regel für Patienten mit komplexen Einschränkungen genutzt wird.
-
•
Er hat standardmäßig vielfältige Einstellmöglichkeiten und Ausstattungsvarianten, z. B. Sitzkantelung, Rückenlehnenverstellung, individuell einstellbare Kopfstütze und hochschwenkbare Beinstützen, und ermöglicht so eine Mobilisation zum Sitzen und einen Positionswechsel.
-
•
Hierdurch kann z. B. die andauernde Druckbelastung einzelner Körperpartien verändert werden.
-
•
Diese Rollstühle sind generell nicht zum selbstbestimmten Einsatz des Patienten gedacht.
-
•
Eine zusätzliche Antriebshilfe für eine Begleitperson ist eine mögliche Ausstattungsvariante.
-
•
Einsatz: starke Ausprägung zentraler Paresen, Wachkomapatienten
Elektrorollstuhl
-
•
Er wird eingesetzt für Patienten mit geschwächter Armkraft und/oder eingeschränktem Ausmaß der Beweglichkeit von Händen und Armen sowie stark eingeschränkter Ausdauerfähigkeit.
-
•
Man differenziert Elektrorollstühle:
-
–
Für den Innenbereich (HMV Produktgruppe 18.50.04.0); häufig mit indirekter Lenkung (Hinterachse) wegen seiner hohen Wendigkeit
-
–
Mit Hubfunktion/Stehfunktion (HMV Produktgruppe 18.99.06)
-
–
Für den Außenbereich (HMV Produktgruppe 18.51.XXX) mit gefedertem Fahrwerk, größeren Rädern und ggf. straßenverkehrstauglicher Ausstattung
-
-
•
Der Elektrorollstuhl muss nicht zwingend so exakt an die Körpermaße angepasst werden wie der Leichtgewicht- oder Adaptivrollstuhl.
-
•
Diese Versorgungen können auch als Zusatzversorgung verordnet werden, um den Patienten einen größeren, selbstbestimmten Aktionsradius zu ermöglichen.
Elektromobil (Scooter; HMV Produktgruppe 18.51.05.X)
-
•
Mit Lenker und Lenksäule für den Außenbereich, drehbarem Sitz zum leichten Ein- und Ausstieg, Ausführungen 6–15 km/h, straßenverkehrssicherer Ausstattung
-
•
Grundvoraussetzungen: neben einer guten Rumpfstabilität eine ausreichende Sehkraft und die kognitive Eignung für die selbstständige Teilnahme am Straßenverkehr
Anpassung des Rollstuhls
•
Der Patient sollte im Rollstuhl mit dem Gesäß weit hinten an der Rückenlehne, auf einer stabilen Unterlage sitzen, die eine gute Druckverteilung gewährleistet.
•
Die Rückenlehne muss eine gute Unterstützung bieten, aber auch ein Vorlehnen muss gewährleistet sein.
•
Ein Rollstuhltisch kann z. B. dazu dienen, einen plegischen Arm zu lagern und gleichzeitig ein aktives Sitzen zu fördern.
•
Die Füße sollten vor allem bei Patienten, die den Rollstuhl mit Trippeln bewegen, eine gewisse Bewegungsfreiheit haben.
•
Der Patient soll sich im Rollstuhl sicher fühlen. Angst, aus dem Rollstuhl zu kippen, macht ein entspanntes, ergonomisches Sitzen unmöglich.
Beispiel
•
Der verordnende Therapeut organisiert eine Rollstuhlversorgung. Die funktionellen Anforderungen an den Rollstuhl wurden aus ärztlicher/therapeutischer Sicht bestimmt, z. B.:
–
Einsatz im Innen- oder Außenbereich
–
Patient kann den Rollstuhl aktiv bewegen
–
Arm-/Bein-, Oberkörperstabilität, Kopfstabilität
–
Plus-/Minus-Symptomatik
–
Therapieverlauf-Dokumentation
–
Compliance
•
Das versorgende Sanitätshaus wird bestimmt und eingeladen.
•
Gegebenenfalls wird eine häusliche Umfeldbetrachtung geplant, durchgeführt und dokumentiert. Dazu gehören mindestens:
–
Wohnung/Etage/Haus
–
Aufteilung Wohnung/Haus
–
Türbreiten/Mobiliar
–
Badezimmer/Dusche/Badewanne/Toilette
–
Flaches, ebenerdiges Umfeld/Gelände
–
Mögliches Kfz/öffentliche Verkehrsmittel
–
Partner/Mitbewohner/Pflegesituation
•
Gemeinsame Festlegung der Rollstuhlversorgung
•
Das Sanitätshaus berät in Abhängigkeit gültiger Kassenverträge über die Möglichkeiten der Versorgung, ggf. über freiwillige Sonderleistungen/Zuzahlungen.
(siehe auch Kap. 1.2.2)
5.22.4
Nahrungsaufnahme
Einhänderbrett
•
Das EinhänderbrettEinhänderbrett, auch Nagelbrett genannt, hat sich für den Essbereich bewährt, da es dem Patienten mit einer funktionellen Einhändigkeit gelingt, eine Brotmahlzeit selbst zuzubereiten (Abb. 5.50).
•
Es empfiehlt sich besonders bei Patienten mit ausgeprägten Funktionseinschränkungen in der Arm- und Handbeweglichkeit.
•
Erhältlich ist das Einhänderbrett für betroffene Personen mit einer rechten oder linken Einschränkung.
•
Eine Gabel und vier Nägel auf dem Brett sind zum Halten und Festklemmen von Lebensmitteln gedacht.
•
Für zusätzlichen Halt ist es empfehlenswert, eine Antirutschfolie unter das Einhänderbrett zu legen.
•
Für Patienten mit einem Tremor, einer Kraftminderung oder für das einhändige Arbeiten erleichtert das Einhänderbrett die Durchführung der Tätigkeiten beim Essen.
Essbestecke
•
Es gibt EssbesteckMöglichkeiten, vorhandenes Besteck an die individuellen Bedürfnisse des Patienten anzupassen oder therapeutische Manipulationshilfen im Fachhandel zu erwerben (Abb. 5.51).
•
Speziell bei der Anpassung von individuellen Bedürfnissen kann auf eine Griffverdickung mit Moosgummi zurückgegriffen werden.
•
Die Griffverdickungen werden auf handelsübliches Essbesteck aufgesteckt und müssen eine gute Griffigkeit besitzen.
•
Bei einer eingeschränkten Greiffunktion – wenn der Faustschluss oder der Spitzgriff nicht möglich ist – ist eine Griffverdickung zu empfehlen.
•
Liegt ein Defizit in der Greiffunktion vor, können die Besteckhalter den Verlust ausgleichen.
•
Ergonomisch griffverdicktes Besteck ist in verschiedenen Größen und Formen für Rechts- und Linkshänder im Sanitätshaus erhältlich.
•
Die Patienten können mit einer ergonomischen Griffverdickung leichter Besteck aufnehmen, greifen und damit hantieren.
•
Eine weitere Möglichkeit ist das Benutzen von abgewinkeltem Besteck. Bei dieser Ausführung sind die Griffe vorgebogen oder können durch biegbares Material individuell angepasst werden.
Trinkhilfen
•
Patienten, Trinkhilfendie im Bett liegen oder den Kopf nicht nach hinten neigen können, benötigen Hilfe beim Trinken. Trinkbecher mit Nasenausschnitt ermöglichen das Trinken und erlauben dem Therapeuten, die Flüssigkeitsaufnahme zu beobachten.
•
Für Patienten mit Restgreiffunktion sind Trinkhilfen von großer Bedeutung, da sie dem Patienten Sicherheit beim Halten geben.
•
Diverse Becher mit unterschiedlich großen Öffnungen, Deckel, Tüllen und/oder Bodenbeschwerung helfen beim Trinken (Abb. 5.52).
•
Durch die verschiedenen Eigenschaften der Trinkhilfen ist es möglich, Flüssigkeiten und Speisen sicher und tropffrei aufzunehmen.
•
Die Benutzung eines schweren, halbgefüllten, großen Bechers mit Wasser bietet sich bei dem Krankheitsbild Ataxie an. Ein Überschwappen der Flüssigkeit wird dadurch vermindert.
•
Ein Becher mit zwei Griffen ist einfacher zu handhaben als herkömmliche Gläser.
•
Eine weitere Möglichkeit, das Trinken zu erleichtern, sind herkömmliche Trinkhalme oder Trinkhalme mit Rückflussstopp.
5.22.5
Verordnungen und Kostenträger
Finanzierung/Verordnungen ausstellen
-
•
Individuell angepasste/hergestellte Himis werden nicht über diese Regelung vergütet.
-
•
Kostenträger müssen grundsätzlich Hilfsmittel erstatten, die eine Hilfsmittelnummer haben.
-
•
Voraussetzung der Kostenübernahme ist, dass Diagnose und Verordnung plausibel sind.
-
•
Der Grundsatz: „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich“ bleibt davon ausgenommen.
-
•
Das heißt, stehen mehrere Hilfsmittel für eine Versorgung zur Auswahl und es wurde die hochwertigere ausgewählt, sollte dem Kostenträger dies begründet werden.
Achtung
Ist eine ärztliche Verordnung nur mit „Ein Rollstuhl“ und einer Diagnose „Gangunsicherheit“ ausgestellt, kann ein Kostenträger die Vergütung auf eine Standardversorgung begrenzen. Das heißt, der Patient bekommt einen einfachen Rollstuhl ohne jegliches Zubehör und individuelle Anpassung genehmigt. Eine Änderung der Versorgung ist dann nur noch mit sehr viel Aufwand und zeitlicher Verzögerung möglich (neue Verordnung mit Begründung, neuer Kostenvoranschlag). Daher ist es wichtig, eine Verordnung möglichst detailliert auszufüllen.
Abb. 5.53

[V760]
Detaillierter Verordnungstext am Beispiel eines Multifunktionsrollstuhls
Erstversorgung/Umversorgung
Beispiel
Eine anfängliche Multifunktionsrollstuhlversorgung eines neurologischen Patienten, der keinerlei Aktivitäten zeigte, kann sich im weiteren Verlauf als ungeeignet erweisen. Sein Zustand hat sich soweit verbessert, dass er den Rollstuhl selbstständig mittrippelnd bewegen könnte, eine Umversorgung auf einen Adaptivrollstuhl ist notwendig (Kap. 5.19.3).
Begründung auf der Verordnung: … zur Erleichterung einer selbstständigen Lebensführung im häuslichen Umfeld
Beispiel
Ein Schlaganfallpatient wird mit einer einfachen Peronaeusfeder aus dem Krankenhaus entlassen. Eine Mobilisierung des Patienten hat im Akuthaus nicht stattgefunden. Im weiteren Verlauf der aktiven Mobilisierung stellt sich heraus, dass der Fuß während der Standbeinphase in Supination zieht und das Knie hyperextendiert. Der Patient findet keinen sicheren Stand und zeigt ein typisches Kompensationsmuster.
•
Zur Definition einer geeigneten Orthese empfehlen sich nur zwei konfektionierte Versorgungstypen zur Erprobung:
–
Dynamische Carbonorthese mit ventraler bzw. dorsaler Unterschenkelführung (z. B. Toe-off oder Walk on)
•
Begründung/Verordnung: eine dynamische Carbonunterschenkelorthese nach erfolgreicher Erprobung (Abb. 5.54)
•
Begründung: Die vorhandene Versorgung vom (Datum) ist ungeeignet, um einen sicheren Stand und Gang zu erreichen. Eine Gelenkachsenstabilität/Kontrolle ist nicht gegeben.
Selbstbehalt
Ablehnung/Widerspruch
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•
Es ist erst einmal die Begründung in Erfahrung zu bringen. Formfehler, falsche Vertragspreise oder „Hilfsmittel ist nicht verordnet“ können direkt vom Sh geändert und erneut eingereicht werden.
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•
Jede Ablehnung hat auch eine Rechtsbelehrung in der Anlage. D. h., um die Fristen zu wahren, kann ein formloser Widerspruch eingelegt werden. Dieser muss vom Versicherten geschrieben werden (Kap. 5.3.6).
-
•
Eine ausführliche schriftliche Formulierung kann mit einer gemeinsamen Besprechung der beteiligten Parteien erarbeitet werden.
Literatur
Baumgartner and Stinus, 1995
Hohmann, 1990
Niethard and Pfeil, 1992
Otto Bock Healthcare GmbH, 2006