Die Redoxchemie befasst sich mit der Abgabe und Aufnahme von Elektronen. Da diese Vorgänge auch bei der Energiegewinnung der Zelle von Bedeutung sind, sind sie fester Bestandteil der Chemie im Medizinstudium. Bevor ihr euch in die klausurrelevanten Themen stürzt, sind ein paar Begriffe zu klären:
10.1
Definitionen
Gibt ein Stoff Elektronen ab, wird er
oxidiert. Nimmt ein Stoff Elektronen auf, wird er
reduziert. Da in der Natur Elektronen nicht einfach abgegeben werden, um dann frei im Raum herumzuschwirren, finden Elektronenabgabe und Aufnahme in einer gekoppelten
REDuktions-OXidations-Reaktion (Redoxreaktion) statt.
Lerntipp
Reduktion = mehr (Elektronenaufnahme)
Oxidation = Ex (Elektronenabgabe)
Da es manchmal etwas kompliziert sein kann, zu erkennen, wo Elektronen aufgenommen und wo sie abgegeben werden, nutzt man die
Oxidationszahlen als Hilfsmittel. Oxidationszahlen sind als „formale Ladungen“ definiert. Was zunächst verwirrend klingt, ist eigentlich ganz einfach: Die Oxidationszahl vergleicht den Zustand eines Atoms mit dem Zustand, den es als Element hat. Die folgenden Regeln sollten Klarheit schaffen:
1.
Liegt ein Stoff als Element vor, hat er genau so viele Elektronen, wie sie seiner Kernladungszahl entsprechen, und erhält die Oxidationszahl 0.
2.
Liegt ein Stoff als Ion vor, hat er genau so viele Elektronen mehr oder weniger, wie es seine Ladung angibt. Seine Oxidationszahl entspricht folglich der Ladung (Mg2+ hat 2 Elektronen weniger als das Mg-Atom und somit die Oxidationszahl +2).
Aufpassen muss man bei Molekülen! Zur Erinnerung: Die Atome sind über gemeinsam bindende Elektronenpaare verbunden. Das Elektronenpaar wird bei der Bestimmung der Oxidationszahl immer dem elektronegativeren Partner zugeordnet. Es bietet sich deshalb an, Moleküle zu zeichnen und mit einem Bleistift die Elektronenpaare zuzuordnen. Dann zählt man für jedes Atom die Elektronen, die ihm zugeordnet werden und vergleicht diese Anzahl mit der, die es im elementaren Zustand hätte (
Abb. 10.1).
Möchte man sich das Zeichnen der Strukturformel sparen, kann man sich mit den folgenden Regeln behelfen:
1.
Fluor erhält die Oxidationszahl −1
2.
Sauerstoff die Oxidationszahl −2
3.
Die Alkalimetalle (1. Hauptgruppe) und Wasserstoff erhalten die Oxidationszahl +1
4.
Die Erdalkalimetalle (2. Hauptgruppe) erhalten die Oxidationszahl +2
5.
Die Summe aller Oxidationszahlen entspricht der Ladung der Verbindung
Das Zeichnen eines Moleküls ist jedoch die sicherste Methode zur Bestimmung der Oxidationszahlen. Wenn die Regeln bei einer Verbindung nicht ausreichen, merkt man das zumeist daran, dass sich bei der Oxidationszahlbestimmung nach ebendiesen Regeln ein Widerspruch einstellt, etwa beim
Wasserstoffperoxid (H2O2) (
Abb. 10.2).
Wenn man Sauerstoff, gemäß Regel 2, die Oz −2, und Wasserstoff, gemäß Regel 3, die Oz +1 zuweist, ergibt sich als Summe der Oxidationszahlen −2. Da die Verbindung aber ungeladen ist, sollte die Summe eigentlich gleich 0 sein. Abhilfe kann nur Kenntnis der Struktur des Moleküls schaffen.
Achtung
Bei den Elektronegativitäten haben wir gelernt, dass eine Bindung zwischen Wasserstoff und Kohlenstoff aufgrund ähnlicher Elektronegativitäten als unpolar bezeichnet wird (Kap. 4.1). Trotzdem wird das bindende Elektronenpaar bei der Bestimmung der Oxidationszahlen dem Kohlenstoff zugewiesen!
Da eine
Reduktion mit der Aufnahme von Elektronen verbunden ist, bewirkt sie eine
Erniedrigung der Oxidationszahl, während eine
Oxidation mit einer
Erhöhung der Oxidationszahl verbunden ist.
Lerntipp
Wenn man nicht mehr weiß, ob eine Oxidation zu einer Erhöhung oder Erniedrigung der Oz führt, muss man nur genau hinschauen: Denn das Wort Oxidationszahlen enthält bereits ein +, es ist lediglich ein bisschen gekippt.
Die letzten Definitionen, die man kennen sollte:
Ein Reduktionsmittel hilft seinem Reaktionspartner, indem es ihn reduziert. Folglich muss es selbst Elektronen abgeben, also oxidiert werden, was mit einer Erhöhung der Oxidationszahl einhergeht.
Ein Oxidationsmittel hilft seinem Reaktionspartner, indem es ihn oxidiert. Folglich muss es selbst Elektronen aufnehmen, also reduziert werden, was mit einer Erniedrigung der Oxidationszahl einhergeht.
10.2
Spannungsreihe
Man kann bestimmen, ob ein Stoff gerne Elektronen abgibt, also leicht oxidiert wird, oder eben nicht. Diese „Abgabefähigkeit“ kann man sogar quantifizieren, dazu aber später mehr. Zunächst solltet ihr nur wissen, dass man Stoffe nach ihrem Bestreben Elektronen abzugeben ordnen kann und zwar in der
elektrochemischen Spannungsreihe (
Abb. 10.3) (die ihr natürlich nicht auswendig lernen müsst).
Man sieht: Die Stoffe sind so sortiert, dass die oxidationsfreudigen Stoffe, die ihre Elektronen leicht abgeben, oben stehen, und die, die ihre Elektronen gerne behalten (wie das sehr elektronegative Fluor) unten. Anders gesagt: Die Oxidationskraft nimmt von oben nach unten zu, da das Fluor auch gerne mal Elektronen aufnimmt, also einen anderen Stoff oxidiert, und zum F−-Ion wird. Die Reduktionskraft nimmt von oben nach unten ab, da das Fluor sicherlich keine Elektronen abgeben wird, und somit keinen anderen Stoff reduzieren wird.
Übrigens: Die Metalle, die weit unten in der Spannungsreihe stehen, ihre Elektronen also nicht gerne abgeben, heißen Edelmetalle. Andere Metalle wie etwa Natrium sind dagegen unedel.
Betrachtet man nun einen Stoff in der Spannungsreihe, steht links seine oxidierte Form. Nimmt er die Elektronen auf, gelangt er zur rechts-stehenden reduzierten Form.
Eine Reaktion kann also nur stattfinden, wenn die Elektronen „von rechts oben nach links unten“ fließen. Die reduzierte Form des unedleren Stoffes spendet also die Elektronen, die die oxidierte Form des edleren Stoffes benötigt, um in die reduzierte Form überzugehen.
Wenn zwei Reaktionspartner in der Spannungsreihe sehr weit voneinander entfernt sind, ist die
Triebkraft der Reaktion sehr stark und es wird viel Energie frei.
Für die Klausur
Ihr solltet ein Metall grob als edel oder unedel einordnen können. Außerdem schadet es nicht, wenn man aus der Spannungsreihe bestimmen kann, ob eine Reaktion freiwillig abläuft.
10.3
Nernst-Gleichung
In der Spannungsreihe findet ihr die sogenannten Normalpotenziale (E0). Wie diese Werte bestimmt wurden, ist für eure weitere Karriere eher nachrangig. Ihr solltet aber wissen, dass man bei einer Redoxreaktion die Differenz der Normalpotentiale der beiden Reaktionspartner bilden kann, um damit die Triebkraft der Reaktion abschätzen zu können. Je größer die Differenz (also je weiter die Entfernung der Elemente voneinander in der Spannungsreihe) desto größer ist die Triebkraft der Reaktion.
Allerdings hängt die tatsächliche Triebkraft der Reaktion, die in eurem Reagenzglas abläuft, noch von anderen Faktoren ab, wie z. B. der Temperatur oder den Konzentrationen von Oxidations- und Reduktionsmittel. Diese Faktoren sind im sogenannten spezifischen Potenzial berücksichtigt, das man mittels der Nernst-Gleichung berechnen kann. Diese wird euch in der Physiologie, vor allem in einer etwas einfacheren Form begegnen. Die Formel sieht imposant aus, die meisten Komponenten sind aber entweder konstant oder problemlos messbar.
R (allgemeine Gaskonstante) = 8,31 kJ/mol × K
E0 = Normalpotenzial
F = Faraday-Konstante
T = Temperatur in Kelvin
n = Anzahl der übertragenen Elektronen
[Ox][Red] = Konzentrationen von Oxidations- und Reduktionsmittel
Ein Fakt, den ihr euch einfach (für das Physikum) merken solltet: Da bei der Oxidation von Hydrochinon Protonen entstehen, hängt dabei das spezifische Potenzial auch vom pH-Wert der Lösung ab.
10.4
Elektrochemische Zelle
Betrachten wir nun die Metalle Kupfer und Zink, erkennen wir, dass Kupfer das edlere Metall ist. Taucht man einen Zinkstab (Zn) in eine Kupfersulfat-(CuSO
4-)Lösung, also eine Lösung, die aus Cu
2+ und SO
42−-Ionen besteht, so gehen die Elektronen vom elementaren Zink auf die Kupfer-Ionen über. Diese werden zu elementarem Kupfer reduziert, was sich in einer Kupferschicht auf der Zinkelektrode äußert. Die Zink-Ionen, die aus dem Zink entstehen, gehen nun ihrerseits in Lösung. Die Sulfat-Ionen sind an der Reaktion nicht beteiligt.
Zn+Cu2+→Cu+Zn2+
Um sich den Elektronenstrom, der uns Energie liefern könnte, zunutze zu machen, benötigen wir allerdings einen anderen Versuchsaufbau: Taucht man eine Zinkelektrode in eine Zinksulfatlösung (also eine Lösung, die Zink-Ionen enthält) und verbindet diese über einen Draht mit einer Kupferelektrode, die wiederum in eine Kupfersulfatlösung getaucht ist, passiert zunächst nichts. Man könnte zwar glauben, dass das unedlere Zink Elektronen abgibt, sodass die entstehenden Zink-Ionen in Lösung gehen, während die Elektronen zur Kupferelektrode wandern, um dort Kupfer-Ionen aus der Lösung zu Kupfer zu reduzieren (den Elektronenstrom könnte man dabei nutzen), aber das passiert nicht, da sich dabei die Kupfer
halbzelle gegenüber der Zinkhalbzelle negativ aufladen würde. Die Natur strebt schließlich nach Ausgleich! Man kann allerdings Abhilfe schaffen: Indem man es den negativ geladenen Sulfat-Ionen ermöglicht, von der Kupferhalbzelle in die Zinkhalbzelle zu wandern –, etwa über eine
Salzbrücke oder durch eine
selektiv permeable Membran – können sie den Elektronenfluss in die Kupferhalbzelle ausgleichen, indem sie selbst „auswandern“ (negativ geladene Elektronen rein – negativ geladene Sulfat-Ionen raus) (
Abb. 10.4).
Im Zusammenhang mit Elektroden sind auch die Begriffe Anode und Kathode wichtig:
Die
Anode ist der Ort der Oxidation. In diesem Beispiel ist die Zinkelektrode die Anode, da hier ein Stoff Elektronen abgibt. Folglich ist die
Kathode der Ort der Reduktion. In unserem Beispiel werden an der Kupferelektrode die Kupfer-Ionen zu elementarem Kupfer reduziert.
Lerntipp
Anode = Oxidation … das ist das A und O! (Berlin-Regel)
10.5
Übungen
Bestimmt ohne zu zeichnen die Oxidationszahlen der Atome in den folgenden Verbindungen: