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Überweisende Kliniken, Psychosomatischer CL-Dienst am Klinikum Nürnberg 2015 (n = 4 627)
[L106]

Interventionen im CL-Dienst, Klinikum Nürnberg 2015 (in % der aufgewandten Zeit; n = 4 627)
[L106]

Konsiliar- und Liaisondienste
-
48.1
Begriff und Geschichte525
-
48.2
Bedarf und Inanspruchnahme von CL-Diensten526
-
48.3
Ziele, Funktion und Organisationsform von CL-Diensten527
-
48.4
Diagnostik und Behandlung im CL-Dienst527
-
48.5
Die Vernetzungsfunktion des CL-Dienstes532
-
48.6
Qualitätssicherung und Evaluation533
-
48.7
Fort- und Weiterbildung533
-
48.8
Ökonomische Aspekte und künftige Entwicklung533
48.1
Begriff und Geschichte
48.2
Bedarf und Inanspruchnahme von CL-Diensten
-
•
Psychische Störungen mit somatischen Beschwerden und Symptomen (z. B. somatoforme Störungen)
-
•
Psychische Störungen als Folge medizinischer Erkrankung und/oder Behandlung (z. B. delirante Symptome, Anpassungs- und Belastungsstörungen, Angst, Depression)
-
•
Körperliche Erkrankungen mit psychischer (Mit-)Verursachung oder Auslösung
-
•
Vorbestehende, häufig bisher unentdeckte psychische Störungen (z. B. Substanzmittelmissbrauch)
48.3
Ziele, Funktion und Organisationsform von CL-Diensten
-
•
Das KonsiliarmodellKonsiliarmodell entspricht der im Krankenhaus üblichen ärztlichen Konsultation und zielt vorrangig auf eine bessere direkte Versorgung und Unterstützung von Patienten und Angehörigen, indem patientenbezogen psychosoziale Aspekte bei Diagnose- und Indikationsstellung berücksichtigt und in den Behandlungsplan integriert werden. Diese konsiliarische Kooperation kann auch für bestimmte Gruppen, z. B. Patienten nach Suizidversuchen oder bei umschriebenen Erkrankungen und Behandlungsangeboten (z. B. onkologischen Zentren), vertraglich vereinbart sein (KontraktmodellKonsiliar- und LiaisondiensteKontraktmodell). Es schließt bei entsprechender Indikationsstellung die Förderung der Motivation zu einer poststationären psychosozialen Behandlung wie auch ihre Bahnung durch den CL-Dienst ein.
-
•
Das LiaisonmodellLiaisonmodell strebt zusätzlich zur konsiliarischen Mitbehandlung die Verbesserung der psychosozialen Kompetenz der Behandler durch Fort- und Weiterbildung an. Diese Kompetenz kann sowohl niederschwellig und fallbezogen (z. B. durch persönliche Rückmeldung nach einem Konsil, gemeinsame Gespräche mit Patienten oder Fallbesprechungen im Team) als auch durch strukturierte Fortbildung (Vorträge, Communication-Skills-KurseCommunication-Skills-Kurse, CL-DiensteKonsiliar- und LiaisondiensteCommunication-Skills-Kurse), Supervision und Balint-Gruppen gefördert werden. Liaisonmodelle streben eine strukturelle Verankerung in den Alltagsbetrieb der somatischen Klinik an. Dazu gehört eine regelmäßige Präsenz des Konsiliars auf Station. Je enger der Kontakt zum „somatischen“ Behandlungspersonal ist, desto eher werden Fortbildungseffekte erreicht und die Empfehlungen des CL-Mitarbeiters befolgt und desto effektiver ist das Konsil (Huyse et al 1993).
48.4
Diagnostik und Behandlung im CL-Dienst
-
•
Konsiliar- und LiaisondiensteBehandlungDie Behandlung erfolgt im Rahmen einer somatisch-medizinischen Station oder Ambulanz. „Auftraggeber“ der (Mit-)Behandlung ist daher nicht nur der Patient, sondern auch der zuweisende Arzt (die zuweisende Pflegeperson). Der geschützte Rahmen der therapeutischen Beziehung muss mit dem Patienten und den anderen Therapeuten in jedem Einzelfall definiert und aktiv hergestellt werden. Systemische Aspekte der Behandlung im Krankenhaus müssen besonders beachtet werden.
-
•
Die Motivation zur psychosomatischen Mitbehandlung liegt zunächst in der Regel beim zuweisenden Arzt und nicht bei Patienten.
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Die Patienten sind häufig in einem sehr geschwächten körperlichen Zustand, manchmal existenziell bedroht oder sterbend. Manche Patienten sind durch ihre Erkrankung oder deren Behandlung kognitiv beeinträchtigt.
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•
Die immer kürzer werdende Verweildauer im Krankenhaus verlangt eine rasche diagnostische Klärung und die Entwicklung eines Behandlungsplans. Die psychotherapeutische Behandlung beschränkt sich in der Regel auf kurze Interventionen und die Stärkung der Motivation zu einer weiterführenden ambulanten Behandlung.
Patientengeschichte
Konsilanforderung Die Intensivstation eines Schwerbrandzentrums fordert ein psychosomatisches Konsil mit der „Bitte um Mitbetreuung, Verbrennung, Z. n. Ablation bds., Anus praeter“ für einen 25-jährigen Pat. an.
Vorinformation Vom medizinischen Behandlungsteam erfährt die CL-Mitarbeiterin, dass der Pat. Ralph S. vor 30 Tagen alkoholisiert gegen einen Baum gefahren sei, wobei das Auto in Brand geriet. Der Pat. habe Grad-III-Verbrennungen von über 50 % der Körperoberfläche sowie ein Inhalationstrauma erlitten. Unmittelbar nach dem Unfall sei er ober- bzw. unterschenkelamputiert und ein Anus praeter gelegt worden. Seitdem hätten mehrere Hauttransplantationen stattgefunden. Nach 22 Tagen im künstlichen Koma habe der noch tracheostomierte Pat. seit 1 Tag eine Sprechkanüle. Neben sedierenden Schmerzmitteln sei „prophylaktisch“ ein Antidepressivum verordnet worden. Der Pat. müsse noch mehrfach operiert werden; ein längerer Aufenthalt auf der Intensivstation sei zu erwarten. Um psychosomatische Mitbetreuung sei gebeten worden, weil der Pat. passiv und wenig kooperativ sei. Den behandelnden Ärzten sei auch nicht klar, ob er den Verlust beider Beine realisiert habe. Im Vorgespräch wird spürbar, dass das Schicksal des Pat. viel Mitleid hervorruft, das Behandlungsteam andererseits aber auch ungeduldig über den langen stationären Aufenthalt auf der Intensivstation und die geringen Fortschritte ist.
Erstkontakt Die CL-Mitarbeiterin findet einen schmächtigen, jugendlich wirkenden Pat. vor, der Kontakt aufnimmt, dabei jedoch zurückgezogen bleibt. Er hat noch deutliche Schwierigkeiten mit der Nutzung der Sprechkanüle. Er gibt an, diffuse Schmerzen zu haben und müde zu sein. Ansonsten ginge es ihm gut. Auf die CL-Mitarbeiterin macht er einen fragilen, traurigen und angespannten Eindruck. Da das kurze Gespräch den Pat. erschöpft, schlägt die CL-Mitarbeiterin Herrn S. einen erneuten Besuch am nächsten Tag vor. Der Pat. stimmt lächelnd zu.
Zweitkontakt Im zweiten Kontakt ist Herr S. deutlich wacher und auch im Umgang mit der Sprechkanüle geübter. Er freue sich über den Besuch der CL-Mitarbeiterin, da er aufgrund der erheblichen Entfernung zu seiner Familie nur einmal in der Woche Besuch erhalte. Obwohl er sich gut betreut fühle, sei ihm manchmal langweilig und er habe Heimweh; das habe er aber „im Griff“. Vor der am nächsten Tag anstehenden Hand-OP habe er keine Angst. Was genau gemacht würde, wolle er nicht wissen. Auf die Frage, welche Verletzungen er habe, sagt er, dass seine Füße und Beine und sein Arm verbrannt seien. Er könne sich weder an den Unfall noch an die unmittelbare Zeit davor erinnern. Man habe ihm gesagt, er sei „im Suff gegen einen Baum gefahren“. Er könne sich dies jedoch nicht vorstellen.
Der CL-Mitarbeiterin fällt auf, dass der Pat. angespannt und ängstlich wirkt, sich aber als selbstsicher und stark bezeichnet und bemüht ist, die Situation und seine Emotionen zu kontrollieren. Um Herrn S. nicht durch eine emotionale Überflutung zu labilisieren, der angespannt-ängstlichen Stimmung aber trotzdem Rechnung zu tragen, schlägt ihm die CL-Mitarbeiterin eine Entspannungsübung mit geleiteter Imagination vor, was der Pat. dankbar annimmt. Er kann sich gut entspannen und schläft während der Fantasiereise ein. Im Nachgespräch teilt das Behandlungsteam mit, dass der Pat weiterhin passiv sei und die sofortige Erfüllung seiner Wünsche einfordere. Bei der Stomapflege würde er wegschauen und sei zu keiner Mithilfe zu motivieren.
Biografischer Hintergrund Ein Jahr nach der Geburt hätten sich die Eltern von Herrn S. getrennt; die Mutter habe erneut geheiratet, als er 11 Jahre alt war. Er hätte drei wesentlich jüngere Halbgeschwister. Zum leiblichen Vater bestünde kein Kontakt; der Pat. schimpft über ihn. Die Mutter sei eine wichtige Vertrauensperson für ihn. Die Beziehung zum Stiefvater sei seit der Pubertät konflikthaft und durch Rivalität um die Mutter geprägt; durch die aushäusige Berufstätigkeit des Stiefvaters könnten sie sich jedoch aus dem Weg gehen. Wenn der Stiefvater da sei, ziehe sich Herr S. in sein Dachgeschosszimmer zurück, bekomme dort auch das Essen von der Mutter hingestellt. Obwohl er gut verdiene, lebe er nach wie vor zu Hause und würde dort sehr umsorgt. Trotz schlechter Schulleistungen habe er durch Eigeninitiative eine Lehrstelle in der Autoindustrie gefunden und sich dort hochgearbeitet. In wenigen Wochen wäre er nach seinem Zivildienst in einem Behindertenheim in die Firma zurückgekehrt. Die Arbeit mit den Behinderten gefalle ihm; er habe sich auch nie vor körperlichen Berührungen geekelt. Die 7-jährige Beziehung zu seiner Freundin habe er 2 Wochen vor dem Unfall beendet, da er sich eingeengt gefühlt habe.
Verlauf Die CL-Mitarbeiterin vereinbart mit dem Pat., ihn während seines stationären Aufenthalts regelmäßig zu besuchen, um ihn bei der Verarbeitung seiner Situation zu unterstützen. Während der nächsten Wochen sieht die CL-Mitarbeiterin den Pat. regelmäßig zweimal pro Woche. Die Gespräche, die insbesondere auf der Intensivstation durch die körperliche Verfassung und die insgesamt 15 Folgeoperationen geprägt sind, werden zunehmend intensiver. Der Wundverlauf ist komplikationsträchtig; immer wieder muss nachoperiert und transplantiert werden. Nach Revision einer seiner Beinstümpfe realisiert der Pat., dass er beinamputiert ist. Seine Stimmung wird mürrisch-gereizt, er wird ungeduldig und anspruchsvoll, was zu Konflikten mit dem Pflegeteam führt. Trotz des deutlichen Schocks über die Folgen des Unfalls und der Fassungslosigkeit und Traurigkeit zeigt der Pat. eine unbekümmert optimistische, auch unrealistische Seite: Er sei froh, überlebt zu haben; er sei immer ein Glückskind gewesen und habe auch jetzt wieder mal Glück gehabt. Er sei sicher, dass er es schaffen werde, wieder wie früher zu leben. Die Stimmung wechselt zwischen kämpferischem Optimismus und vorwurfsvollem innerem Rückzug. Nach und nach stellt sich auch die Erinnerung an die Zeit vor dem Unfall ein. Aus dem Gefühl heraus, nach der langjährigen Beziehung endlich „mal frei zu sein“, habe er in einer Diskothek kräftig gefeiert und sei dann angetrunken ins Auto gestiegen.
Beurteilung Herr S. leidet unter einer AnpassungsstörungAnpassungsstörungenTrauma nach einem lebensbedrohlichen Verkehrsunfall. Die Suchtanamnese ist unauffällig. In der Bewältigung seiner Situation schwankt er zwischen tiefer Verzweiflung und Ohnmacht und einer verleugnenden Fehleinschätzung seiner Situation. Die Behandlungskomplikationen verstärken die Gefühle des Ausgeliefertseins und der geringen Selbstwirksamkeit. Noch wenig abgelöst aus einer engen Bindung an die Mutter und einer rivalisierenden Beziehung zum Stiefvater verstärken die Bedingungen der Intensivstation und die körperlichen Einschränkungen den Autonomie-Abhängigkeits-KonfliktAutonomie-Abhängigkeits-Konflikt. Über seine Gefühle kann Herr S. erst am Ende der stationären Behandlung sprechen: Bei der Verlegung von der Intensiv- auf die Normalstation und später in eine Reha-Einrichtung kann er seine Angst vor dem Verlust des Vertrauten und des Umsorgtseins ausdrücken.
48.4.1
Besonderheiten des Erstinterviews im CL-Dienst
Klärung des Behandlungsauftrags
-
•
Schwerkranken oder Sterbenden die emotionale Unterstützung anbieten, die zuweisende Ärzte wegen zu starker persönlicher Betroffenheit bzw. mangelnder Abgrenzung vermeiden;
-
•
schwierige oder unkooperative Patienten in seine Verantwortung „übernehmen“;
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•
im Fall von Therapieversagen, Nebenwirkungen der Therapie oder Behandlungsfehlern das Behandlungsteam von Schuldgefühlen entlasten;
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•
bei Unstimmigkeiten zwischen Arzt und Patient oder im Behandlungsteam quasi als „Schiedsrichter“ fungieren.
Beachten der szenischen Information
Konzentration auf die aktuell nötigen Aufgaben unter Berücksichtigung der Ressourcen des Patienten
Einbeziehung von Angehörigen
Patientengeschichte (Forts.)
Betreuung der Angehörigen In Absprache mit Herrn S. nimmt die CL-Mitarbeiterin Kontakt mit der Mutter des Pat. Frau T. auf. Dem medizinischen Behandlungsteam fiel auf, dass die Mutter bei den wenigen Besuchen psychisch sehr belastet wirkte. Sie würde viel weinen, könne sich kaum beruhigen und sei eher eine Belastung für den Pat. als eine Unterstützung. Der Stiefvater dagegen wirke dem Pat. gegenüber abweisend und vorwurfsvoll. Auf das telefonische Angebot der CL-Mitarbeiterin zur psychosozialen Unterstützung reagiert die Mutter erleichtert. Allerdings könne sie nur am Sonntag in die Klinik kommen, da sie selbst nicht Auto fahre und ihr Mann sie aus beruflichen Gründen wochentags nicht fahren könne. Wir vereinbaren daher telefonische Gespräche. Frau T. ist psychisch völlig erschöpft. Sie äußert große Sorge um den Sohn und Angst vor der Zukunft. Sie habe niemanden, mit dem sie über ihre Ängste oder auch praktische Dinge sprechen könne. Innerlich ist sie völlig zerrissen zwischen der Loyalität gegenüber ihrem Sohn einerseits und ihrem Ehemann andererseits. Die beiden seien seit Jahren zerstritten. Sie äußert Schuldgefühle, nicht genügend für ihren Sohn da sein zu können. Sie könne nachts nicht mehr schlafen, würde viel weinen und käme überhaupt nicht mehr zur Ruhe. In dem Telefongespräch kann Frau T. motiviert werden, mit ihrem Hausarzt über ihre aktuelle psychische Verfassung zu sprechen. Im Folgekontakt 1 Woche später ist sie deutlich ruhiger; ihr Hausarzt habe ihr Unterstützung angeboten und ein Beruhigungsmittel verschrieben. Nun könne sie endlich wieder schlafen und komme langsam zu Kräften.
Beim dritten Telefongespräch ist sie auch bzgl. ihres Sohnes entspannter. Sie habe den Eindruck gewonnen, dass ihr Sohn die Situation psychisch besser verkrafte, und sie hätten angefangen, miteinander Pläne zu schmieden, wie das Leben nach dem Unfall konkret aussehen könne. Dabei habe sie gespürt, wie wichtig es für ihren Sohn sei, dass sie zu ihm stehe.
48.4.2
Weiterführende patientenbezogene Interventionen
-
•
Der körperlich schwerkranke PatientKrankheitsverarbeitungCL-DiensteKonsiliar- und LiaisondiensteKrankheitsverarbeitungsprobleme mit Problemen der Krankheitsverarbeitung: Patienten mit ausgeprägten akuten Belastungsreaktionen im Rahmen der Mitteilung belastender Diagnosen, bei Rezidiven oder Fortschreiten einer ErkrankungKörperliche Erkrankungenschwere, CL-Dienste oder mit länger dauernden Problemen der Krankheitsbewältigung (Anpassungsstörungen) benötigen in erster Linie ressourcenorientierte supportive psychotherapeutische InterventionenSupportive PsychotherapieCL-Dienste. Je nach theoretischer Orientierung wird sich der Therapeut dabei eher auf verhaltensmedizinische oder psychodynamische Konzepte stützen. Im Falle schwerer körperlicher Erkrankung gründet der therapeutische Ansatz aber meist sehr „pragmatisch“ auf einem Verständnis des Verhaltens und emotionalen Erlebens des Patienten. Verschiedene spezifische KurztherapieverfahrenKonsiliar- und LiaisondiensteKurztherapieverfahren sind dazu entwickelt worden, z. B. psychodynamische/expressiv-supportive Psychotherapie (Guthrie et al. 1991), kognitiv-existenzielle Therapie (Kissane et al. 2004), oft kombiniert mit Entspannungsübungen sowie imaginativen und kunsttherapeutischen Methoden (Söllner 2016). Hilfreich erscheint uns die Fokussierung der therapeutischen Kurzintervention auf die aktuellen Leitaffekte, vor allem der Angst, aber auch der Trauer, Wut und Scham (Wentzlaff et al. 2007, 2008Wentzlaff et al. 2007Wentzlaff et al. 2008).
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Affektive Störungen Affektive StörungenCL-Diensteals Komorbidität bei „körperlichen“ Erkrankungen: Körperliche Erkrankungenaffektive StörungenDepressive Syndrome können begleitend zu jeder schweren oder chronischen Erkrankung auftreten, bei bestimmten internistischen (Herzinfarkt, Diabetes), neurologischen (Apoplex, Morbus Parkinson, multiple Sklerose) und onkologischen Erkrankungen treten sie jedoch gehäuft auf. Sie sind in ihrem Erscheinungsbild heterogen, oft nicht direkt mit der Schwere der körperlichen Erkrankung korreliert und multifaktoriell bedingt (Kap. 55). Vorhergehende affektive Störungen, Probleme der Krankheitsbewältigung, mangelnde Unterstützung aus dem sozialen Netzwerk und neuroimmunologische Veränderungen tragen zu ihrer Entstehung bei. Neben den erwähnten psychotherapeutischen Maßnahmen sind pharmakologische und sozialtherapeutische Interventionen angezeigt (Kap. 43).
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Der „somatisierende“ Patient: PatientenPatientensomatisierende mit SomatisierungsstörungenSomatisierung(sstörungen)CL-DiensteKonsiliar- und Liaisondienstesomatisierende Patienten, funktionellen und dissoziativen Syndromen (Kap. 66 und Kap. 62) sind das „tägliche Brot“ in Notaufnahmen. Da ihre diagnostische Abklärung schwierig ist, landen sie – je nach Hauptsymptomatik – häufig zur weiteren Diagnostik auf internistischen, neurologischen oder anderen Stationen. Der psychosomatische CL-Dienst wird – wenn überhaupt – meist kurz vor der Entlassung hinzugezogen, wenn somatisch „nichts gefunden“ wurde. Dies führt zur Frustration aller Beteiligten, vor allem aber des Patienten, der sich im Stich gelassen und als „Psychofall“ stigmatisiert fühlt. Eine enge Liaisonkooperation mit der Notaufnahme und der daran angeschlossenen Fast-Track-StationFast-Track-Station, CL-Dienstekann zu einer frühzeitigen Mitwirkung der Psychosomatischen Medizin bei diesen Patienten führen und zu einer integrierten psychosomatischen Sichtweise bei den behandelnden Kollegen und beim Patienten beitragen (Stephenson und Price 2006; Schweickhardt et al. 2007; Söllner und Stein 2015Stephenson und Price 2006Schweickhardt et al. 2007Söllner und Stein 2015).
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Der akut traumatisierte PatientKonsiliar- und Liaisondiensteakut traumatisierte Patienten, Patientenakut traumatisierteObwohl ca. ein Fünftel aller verunfallten Patienten eine akute BelastungsreaktionBelastungsreaktion(en)CL-Dienste zeigt und 1 Jahr nach dem Unfall bei ca. 15 % eine PTBS festzustellen ist, werden akut traumatisierte Patienten selten psychosomatisch betreut. Gezielte Krisenintervention und supportive Entlastung zeitnah nach dem Unfall können dazu beitragen, die Entwicklung einer psychischen Störung bei Patienten und Angehörigen zu vermeiden.
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Der verwirrte PatientPatientenverwirrteKonsiliar- und Liaisondiensteverwirrte Patienten: Postoperative delirante „DurchgangssyndromeDurchgangssyndromCL-Dienste“, delirante und demenzielle Syndrome bei neurologischen Störungen und Hospitalismusfolgen bei älteren Patienten sind häufige Komorbiditäten des Krankenhauspatienten. Sie führen oft zur Inanspruchnahme eines CL-Dienstes und erfordern zur Abklärung und Therapieplanung psychiatrische Fachkompetenz. Hierzu wurden von den amerikanischen (APM) und europäischen (EAPM) Fachgesellschaften klinische Empfehlungen publiziert (Leentjens et al. 2012; Kap. 99).
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Der substanzabhängige PatientPatientensubstanzabhängigeKonsiliar- und Liaisondienstesubstanzabhängige Patienten: Suchterkrankungen sind ein häufig unterschätztes Phänomen im Krankenhaus und – falls unbehandelt – ein erheblicher Risikofaktor für das Fortschreiten bestimmter chronischer Erkrankungen. Eine Alkoholabhängigkeit wird, wenn sie im Krankenhaus nicht in ein Entzugssyndrom mündet, in etwa der Hälfte der Fälle nicht diagnostiziert und noch häufiger nicht im Behandlungsplan berücksichtigt (Smith et al. 1995a). Neben der psychiatrischen Behandlung der akuten Folgen der Suchterkrankung (Entzugssyndrom, Psychosen) liegt die Aufgabe des Konsiliars darin, die Krankenhausärzte für das Erkennen von Suchterkrankungen zu sensibilisieren und die Patienten zu einer Suchttherapie zu motivieren.
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Der suizidale PatientPatientensuizidaleKonsiliar- und Liaisondienstesuizidale Patienten bzw. der Patient nach Suizidversuch: Patienten, die wegen eines Suizidversuchs akutmedizinisch behandelt werden, benötigen eine KriseninterventionKonsiliar- und LiaisondiensteKriseninterventionKriseninterventionCL-Dienste. Die im Moment günstigsten individuellen Bewältigungsstrategien müssen mit dem Patienten erarbeitet und ein „Handlungsplan“ für die Zeit im Krankenhaus oder unmittelbar danach entworfen werden (Brakoulias et al. 2006).
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Bei Erkrankungen, die eine Änderung von LebensgewohnheitenKonsiliar- und LiaisondiensteLebensstiländerung und Rollenfunktionen erfordern (z. B. KHK oder Diabetes) sind BeratungKonsiliar- und LiaisondiensteBeratung und PsychoedukationPsychoedukationCL-DiensteKonsiliar- und LiaisondienstePsychoedukation (Kap. 36) hilfreich.
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Störungs- und problemspezifische PsychotherapiemethodenPsychotherapiestörungsspezifischeCL-DiensteKonsiliar- und Liaisondienstestörungs-/problemspezifische Psychotherapie – oft in Kleingruppen – können vom CL-Dienst während der stationären Behandlung begonnen und evtl. ambulant weitergeführt werden. Sie sind meist multimodal und umfassen psychoedukative Elemente, Methoden der Stressverarbeitung, interaktionell-psychodynamische und interdisziplinäre Ansätze. Sie sind u. a. für Patienten mit somatoformen Störungen, chronischen Schmerzerkrankungen, Krebserkrankungen, KHK und Tinnitus entwickelt und evaluiert worden (Literatur s. entsprechende Kapitel).
Patientengeschichte (Forts.)
Fallbesprechung Aufgrund der zunehmenden Konflikte zwischen dem Pat. und dem medizinischen Behandlungsteam bietet die CL-Mitarbeiterin eine Fallbesprechung zu Herrn S. an. Das Pflegepersonal von zwei Schichten, der stationsleitende Anästhesist und – zeitlich begrenzt – der Plastische Chirurg nehmen an der 40-minütigen Besprechung teil. Als Einstieg bittet die CL-Mitarbeiterin, alle Informationen zusammenzutragen, die das Team zu diesem Zeitpunkt über Herrn S. hat. Nachdem alle über den gleichen Kenntnisstand über die medizinische und soziale Situation des Pat. verfügen, berichten die Teilnehmer über ihre individuellen Erfahrungen mit dem Pat. Dabei wird deutlich, dass Herr S. heftige und kontroverse Reaktionen auslöst. Einige bedauern den Pat. sehr: Dies sei doch keine Lebensqualität mehr und ob es nicht besser gewesen wäre, er hätte den Unfall nicht überlebt. Emotional ist dabei eine Vorwurfshaltung spürbar. Andere ärgern sich über die Passivität und die fordernd vorgetragenen Wünsche des Pat. Sie fordern von ihm mehr Engagement, er solle sich zusammenreißen und aktiv mitmachen, dann würde es auch schnell besser werden. Hier schwingt gegenüber dem Pat. der Vorwurf mit, am Unfall und seinen Folgen selbst schuld zu sein, während die erste Gruppe in der Identifikation mit dem Pat. den behandelnden Chirurgen die Verantwortung für den aktuellen Zustand zuweist.
Im Gespräch wird den Teilnehmern deutlich, dass dieser junge Pat. das Behandlungsteam aufgrund seines Verletzungsausmaßes, seiner langen Liegezeit auf der Intensivstation und des schwierigen, mit Rückschlägen geprägten Behandlungsverlaufs emotional besonders belastet. Auch für sehr erfahrene Pflegepersonen stellt dieser Pat. hohe Anforderungen an die Verarbeitung der beruflichen Belastungen. Es kann mit dem Team erarbeitet werden, dass die widersprüchlichen Gefühle, die der Pat. im Team auslöst, die Gefühlslage des Pat. widerspiegeln. Es wird erlebbar, dass auch Herr S. sich manchmal wünscht, diesen Unfall nicht überlebt zu haben, und sich fragt, wie es mit ihm weitergehen solle. Das Behandlungsteam kann nachvollziehen, dass die Verzweiflung und Hilflosigkeit des Pat. in Passivität münden. Aus Angst vor Überforderung und aus einem Ohnmachtsgefühl heraus wandeln sich die Autonomiewünsche des Pat. in das Gegenteil und werden vom Pflegeteam als Vorwürfe und Ansprüche an die Versorgung wahrgenommen. Im letzten Teil der Fallbesprechung wird gemeinsam überlegt, wie Herrn S. vermittelt werden kann, dass auch er Möglichkeiten habe, die Gestaltung seines Behandlungstages zumindest teilweise mitzubestimmen. Mit konkreten Vorschlägen, auch für die Art, wie mit dem Pat. umgegangen wird, endet die Fallbesprechung.
48.4.3
Auf das Behandlungsteam bezogene Interventionen
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die Vermittlung ausreichender Informationen bei Zuweisung des Patienten zum CL-Dienst in strukturierter und schriftlicher Form (z. B. Zuweisungsformular),
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den (wenn möglich) mündlichen Austausch vor und nach der CL-Intervention mit den Zuweisern,
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•
die rasche und strukturierte Kommunikation des psychosomatischen Befunds und der Behandlungsempfehlung in schriftlicher Form (Konsilbefund) und
-
•
die schriftliche Vermittlung des Konsilbefundes an den poststationären Nachbehandler im Rahmen des Arztbriefes der Abteilung oder direkt durch den CL-Dienst.
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Informelle KontakteKonsiliar- und LiaisondiensteKooperationsmöglichkeiten: Wenn nach einiger Zeit der CL-Mitarbeiter als vertrauter Kooperationspartner erlebt wird, werden die Kontakte von den Ärzten und Pflegepersonen der kooperierenden Abteilung häufig genutzt, um differenzialdiagnostische Fragen, Probleme der Arzt-Patient-Beziehung und eigene berufsbezogene Probleme zu besprechen.
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Gemeinsame FallbesprechungenKonsiliar- und LiaisondiensteFallbesprechungen/Visiten: Am einfachsten organisierbar sind solche, wenn der CL-Mitarbeiter zu bestehenden regelmäßigen Fallkonferenzen oder Pflegeübergaben eingeladen wird. In besonders schwierigen und belastenden Behandlungssituationen (z. B. bei Complianceproblemen oder nach dem Tod eines Patienten, um den sich ein Team intensiv bemüht hat) haben sich nach unserer Erfahrung Ad-hoc-Fallbesprechungen als hilfreich erwiesen (s. Patientengeschichte).
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•
Teilnahme an Visiten: Aus ökonomischen Gründen ist diese meist auf eine oder einige wenige Visiten pro Woche begrenzt. Dadurch kann der Liaisonmitarbeiter auf belastete Patienten aufmerksam werden, die ihm ansonsten nicht zugewiesen würden. Die Teilnahme an Visiten hat sich besonders in Abteilungen bewährt, in denen viele Schwerkranke behandelt werden; sie fördert die Integration des CL-Dienstes in die Arbeit der Abteilung.
-
•
Balint-GruppenBalint-GruppenCL-DiensteKonsiliar- und LiaisondiensteBalint-Gruppen: Eine wesentliche Voraussetzung für die Akzeptanz von Balint-Gruppen ist, dass Ärzte oder Pflegepersonal einen Psychosomatiker in Krisensituationen als hilfreich erlebt haben. Nach unserer Erfahrung haben sich abteilungsübergreifende Balint-Gruppen für bestimmte Berufsgruppen (Ärzte, Pflege, Ergo- und Physiotherapeuten) besser bewährt als abteilungs- oder stationsbezogene Gruppen. Auf Abteilungs- oder Stationsebene sind eher Angebote von Teamberatung förderlich (Schaub et al. 2006).
-
•
FortbildungKonsiliar- und LiaisondiensteFortbildung(sangebote)sangebote: Neben der regelmäßigen Mitwirkung an der internen Fortbildung einer Abteilung haben sich strukturierte Fortbildungskurse in ärztlicher Gesprächsführung und kommunikativer Kompetenz bewährt. Solche Kurse werden an verschiedenen Zentren vom psychosomatischen CL-Dienst für Krankenhausärzte bzw. für Pflegepersonal angeboten. Die Evaluation der Fortbildung zeigt, dass dadurch Patienten mit psychischer Belastung oder Komorbidität eher erkannt werden und Ärzte/Pflegepersonal sich im Umgang mit schwierigen Interaktionen sicherer fühlen (Langewitz et al. 1998; Söllner et al. 2007bLangewitz et al. 1998Söllner et al. 2007b).
48.5
Die Vernetzungsfunktion des CL-Dienstes
48.5.1
Horizontale Vernetzung im Krankenhaus
Ein sinnvolles Case-Management im Krankenhaus (horizontale Vernetzung) und auf den ambulanten Sektor übergreifend (vertikale Vernetzung) ist nur dann möglich, wenn es in Kooperation mit den anderen daran beteiligten Berufsgruppen (Krankenhaus- und Hausärzte, stationäre Pflege, Übergangs- und Hauskrankenpflege, Sozialarbeiter) erfolgt.
48.5.2
Vertikale Vernetzung mit dem ambulanten und rehabilitativen Versorgungssektor
48.6
Qualitätssicherung und Evaluation
48.6.1
Qualitätsmanagement (QM)
Erfolgreiches QM setzt eine Zieldefinition des CL-Dienstes, die Bereitstellung von Ressourcen und Zeit für regelmäßige Qualitätszirkel sowie klar definierte Qualitätsziele und umschriebene Qualitätsprojekte voraus (Stein et al. 2000).
48.6.2
Basisdokumentation
48.7
Fort- und Weiterbildung
48.8
Ökonomische Aspekte und künftige Entwicklung
Bisherige Studien zeigen, dass psychische Komorbidität die Verweildauer (VWD) und die Behandlungskosten im Krankenhaus erhöht (Friederich et al. 2002) und zu einer kostenintensiven „Fehlinanspruchnahme“ somatischer Diagnostik und Behandlung führt (Smith et al. 1995b; Gündel et al. 2000; Kathol et al. 2006Smith et al. 1995bGündel et al. 2000Kathol et al. 2006).
-
•
Durch die CL-Tätigkeit kann die VWD bestimmter Patientengruppen mit langer Liegedauer verkürzt werden (Strain et al. 1994; de Jonge et al. 2003). Dieser Effekt auf die VWD von „Langliegern“ kann zwar ökonomisch für das einzelne Krankenhaus durchaus relevant sein, der Effekt auf die allgemeine VWD wird aber durch die insgesamt drastisch reduzierten durchschnittlichen VWD „maskiert“ (Levenson et al. 1992).
-
•
Relevanter ist die Kostenreduktion durch die Vermeidung von „Fehlbelegungen“ auf somatischen Abteilungen und unnötigen Wiederaufnahmen von Patienten mit somatoformen Störungen durch rasche Liaisontätigkeit, insbesondere in den Aufnahmebereichen von Krankenhäusern (Ehlert et al. 1999).
-
•
Durch die Diagnose und Behandlung psychischer Komorbidität werden zurzeit nur bei wenigen Erkrankungen zusätzliche Erlöse im DRG-System erzielt (Häuser et al. 2005). Hier sind weitere Datensammlungen und deren Analysen sowie Verhandlungen mit dem Institut für Entgeltkalkulation (InEK) nötig.
-
•
Ein die Erlöse eines Krankenhauses nicht unwesentlich beeinflussender Aspekt der CL-Tätigkeit ist die Akquirierung und Bindung von Patienten an das Krankenhaus, weil die erzielte Fallzahl im DRG-System den wichtigsten Erlösfaktor ausmacht. Ein gut funktionierender CL-Dienst kann als Qualitätsvorteil zur Attraktivität eines Hauses wesentlich beitragen.
Diese Untersuchungen zeigen, dass das Screening psychischer Komorbidität zu einer besseren multidisziplinären Therapieplanung und zu einem effektiveren Case-Management führt, wenn die Ergebnisse des Screenings den behandelnden Ärzten unmittelbar rückgemeldet werden oder der CL-Dienst bei Vorliegen erhöhter Werte direkt beigezogen wird.
Literaturauswahl
Burgmer et al., 2004
Friederich et al., 2002
Häuser et al., 2005
Herzog et al., 2003
Huyse et al., 2000
Kathol et al., 2006
Leentjens et al., 2009
Lippsit, 2001
Söllner, 2012
Söllner and Creed, 2007a
Stein et al., 2006
Wulsin et al., 2006