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978-3-437-21833-0
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Multifaktorielle KarzinogeneseKarzinogenese, multifaktorielle
[L106]

Mögliche Wirkungsweisen direkter psychosozialer Risikofaktoren
[L106]

Mögliche Wechselwirkungen zwischen Umwelt, Patient und Neoplasie
[L106]

EinflussfaktorenTumorassoziierte Fatigue (CrF)Einflussfaktoren und behandelbare UrsachenTumorassoziierte Fatigue (CrF)Ursachen, behandelbare der tumorassoziierten Fatigue (aus Weis und Brähler 2013)
[L231]

Psychische Reaktionen und Copinganforderungen im Verlauf einer Tumorerkrankung (nach Stein et al. 2002) Krebserkrankungenpsychische ReaktionenKrebserkrankungenCopinganforderungen im Verlauf
Phase | Psychisches Erleben | Copinganforderungen |
Diagnosemitteilung | Schock, Angst, Depression, Todesangst, Ungläubigkeit, Scham- und Schuldgefühle, Unsicherheit, Aggression, Wut, Verzweiflung, Konfrontation mit Todesbedrohung | Akzeptieren der Diagnose, Ertragen von heftigen Emotionen und Stress, Entscheidung über Behandlung, Akzeptieren von Hilfe und Abhängigkeit, Mitteilung der Erkrankung im sozialen Umfeld, Anpassung und Reorganisation des Alltags |
Primäre Behandlungsphase | Furcht, Angst, Depression, Schmerzen, Behandlungsnebenwirkungen (Übelkeit, Erbrechen, Haarausfall, körperliche Erschöpfung, Fatigue), Kontroll- und Autonomieverlust, Verlust der körperlichen Integrität, Körperbildveränderung, Verlust der sozialen und familiären Rolle, Trennung, Einsamkeit, Verlust von Intimität und sexuellen Kontakten | Akzeptanz der chronischen Erkrankung und Behandlung; aktive, positive Bewertung der Behandlung, Aufbau von tragfähigen Beziehungen zum Behandlungsteam, aktive Teilnahme an der Behandlung, Integration der Behandlung in familiäres und berufliches Leben, Ertragen von emotionalen Belastungen und Ambivalenzen, Entwicklung von Hoffnung und Zuversicht, Wiedererlangung des psychischen und körperlichen Selbstwertgefühls |
Remission | Erleichterung, Dankbarkeit, Angst vor Rezidiven, Metastasen, hypochondrische Selbstbeobachtung, verstärkte Wahrnehmung von Körpersensationen, Gefühl von Überforderung, Einsamkeit, Enttäuschung über langsame Fortschritte, Optimismus | Rückkehr in den Alltag; Leben mit Unsicherheit; Wiedererlangung des körperlichen Gleichgewichts; Ertragen von Behandlungsfolgen; Bekämpfung von Angst vor Rezidiven, Rückfällen; Wiedererlangung des Selbstvertrauens in sich und die Umwelt; Akzeptanz, dass sich das Leben verändert hat; Entwicklung neuer Lebensperspektiven; beruflicher Wiedereinstieg; Abschied von Mitpatienten und Behandlungsteam; Verarbeitung des Traumas |
Rückfall, Rezidiv | Schock, Angst, Depression, Verleugnung, Verlust der Hoffnung und des Vertrauens, Kontrollverlust, erhöhte Verletzbarkeit, Sinnsuche, Schuldgefühle | Akzeptieren der Zukunftsunsicherheit, Mitteilung des Rückfalls an das soziale Umfeld, erneute Reorganisation des Alltagslebens, erneute Integration der Krankheit und Behandlung in den Alltag, Entscheidung über neue Behandlungswege, Akzeptanz der fortschreitenden Art der Erkrankung und der Wahrscheinlichkeit des Todes, Anpassung der Lebensperspektive an die neue Situation, Aufrechterhalten von Hoffnung, Vertrauen in Behandlungsteam und Behandlung |
Terminales Stadium | Todesangst, Verleugnung, Depression, Demoralisierung, selbstdestruktives Verhalten, Kontrollverlust, Schmerzen, Leiden, Angst vor Einsamkeit, zunehmende Abhängigkeit, Rückzug, Auseinandersetzung mit Leben nach dem Tod, Wut, Ärger | Auseinandersetzung mit dem Tod und dem eigenen Sterben, Akzeptieren des eigenen Todes, Akzeptanz des körperlichen Verfalls und der Prognose, Betrauern des Verlustes, Regelung der familiären und rechtlichen Angelegenheiten, Abschiednehmen von Familie und Freunden, Rückblick auf das eigene Leben, Auseinandersetzung mit spirituellen Themen |
Übersicht über gängige Hornheider FragebogenFragebogenzur Belastung von KrebspatientenDisstress-Thermometer (DT)ScreeninginstrumentePsychoonkologieScreeninginstrumenteHADS (Hospital Anxiety and Depression Scale)onkologische PatientenPHQ (Patient Health Questionnaire)onkologische Patienten
Instrument | Autoren | Zielmerkmale | Erhebungsmethode | Zahl der Items | Anmerkungen |
HADS (Hospital Anxiety and Depression Scale) | Zigmond und Snaith (1983); dt. Herrmann (1997) | Angst, Depressivität | Fragebogen (Selbsteinschätzung) | 14 | Häufig benutztes zweidimensionales Instrument, nicht krebsspezifisch |
PHQ-9, PHQ-4 (Patient Health Questionnaire) | Kroenke et al. (2010); dt. Löwe et al. (2002) | PHQ-9: DepressivitätPHQ-4: Kurzscreening, 2 Fragen zu Depressivität, 2 Fragen zu Angst | Fragebogen (Selbsteinschätzung) | 9 bzw. 4 | Häufig benutztes Instrument, nicht krebsspezifisch |
Disstress-Thermometer (DT) | Hoffman et al. (2004); dt. Mehnert et al. (2006) | Globalbelastung, ergänzend Fragen (5 Skalen) zu verschiedenen Stressdimensionen | Selbsteinschätzung, visuelle Analogskala von 0 = kein Stress bis 10 = maximaler Stress | 1 | Für rasches Screening im klinischen Betrieb (z. B. durch geschultes Pflegepersonal) gut geeignet; Schwellenwert ≥ 5 für weiterführendes psychisches Assessment |
Hornheider Fragebogen, Kurzform | Strittmatter (1997), Rumpold et al. (2001) | Tumorspezifische Belastungen, soziale Unterstützung (Selbsteinschätzung) | Fragebogen (Selbsteinschätzung) | 9 | Erlaubt rasches Screening; ausreichende Validierung bisher nur für Haut- und Gesichtstumoren |
Hornheider Screening-Instrument | Strittmatter (1997) | Tumorspezifische Belastungen, soziale Unterstützung | Halb-strukturiertes Interview (Fremdeinschätzung durch Behandler) | 9 | Erlaubt rasches Screening; Validierung bisher nur für Haut- und Gesichtstumoren |
Fragebogen zur Belastung von Krebspatienten (FBK-10 und FBK-R23) |
Herschbach et al. (2004) | Tumorspezifische Belastungen, soziale Unterstützung (Selbsteinschätzung) | Fragebogen (Selbsteinschätzung) | 10 bzw. 23 | Ausführlichere Erhebung verschiedener tumorspezifischer Belastungen |
In die Tabelle wurden (auch in der deutschen Version) nur valide und reliable Instrumente aufgenommen, bei denen in Studien mit Krebspatienten Schwellenwerte etabliert wurden.
Ängste bei Krebskranken (nach Meerwein 1991)
Angst(störungen)KrebserkrankungAngst vor
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•
Fortschreiten der Erkrankung, Rückfällen und Unheilbarkeit
-
•
Verlassenwerden, Trennung und sozialer Isolation
-
•
Schuldgefühlen
-
•
Passiver Auslieferung und Überwältigung durch unkontrollierbare Kräfte
-
•
Neid und Eifersucht auf die Gesunden
-
•
Verstümmelnden chirurgischen Eingriffen
-
•
Überempfindlichkeit und leichter Kränkbarkeit
-
•
Verlust von Autonomie und Lebensqualität
-
•
Eigenen bösen Gedanken
-
•
Schmerzen
Risikofaktoren für eine psychische Dekompensation bei der Diagnosemitteilung oder bei einem Rezidiv
Krebserkrankungen psychische Dekompensation, Risikofaktoren
-
•
Frühere und bestehende psychische Probleme (v. a. Depression, Alkoholismus, frühere Suizidversuche)
-
•
Mangelnde soziale Einbindung und Unterstützung
-
•
Aktuelles Erleben von Trennung, Tod
-
•
Ehe- und Familienprobleme
-
•
Finanzielle, berufliche Probleme
-
•
Negative Krankheitserfahrungen
-
•
Unkontrollierbare Schmerzen
-
•
Ungünstige Prognose
-
•
Fortgeschrittener Tumor
-
•
Körperliche und emotionale Erschöpfung
Ursachen depressiver Störungen bei Krebs
-
•
Aktivierung einer vorbestehenden Depression
-
•
Mangelnde soziale Unterstützung
-
•
Depressive Krankheitsverarbeitung
-
•
Tumorbedingte Schmerzen und Fatigue
-
•
Desynchronisierung zirkadianer Rhythmen
-
•
Endokrinologische Ursachen (Dysregulation der HPA-Achse)
-
•
Immunologische Ursachen (sickness behavior)Sickness BehaviorKrebserkrankungen
-
•
Nebenwirkung von Antitumor-Medikamenten
-
•
Komorbidität mit anderen chronischen Erkrankungen (z. B. Herzinsuffizienz)
Weitere häufige Abwehrmechanismen
Abwehrmechanismen
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•
ProjektionProjektionAbwehrmechanismenProjektion: „Meine Frau macht sich über meinen Zustand große Sorgen. Ich bitte Sie, ihr beizustehen, denn ihre Angst belastet mich mehr als alles andere.“
-
•
Kontraphobische Abwehr: „Meines Wissens beträgt die Gefahr der Erkrankung der zweiten Brust nach Brustkrebs etwa 15 %. Ich schlage vor, dass sie mir sofort beide Brüste amputieren, damit ich mich als endgültig geheilt betrachten kann.“
-
•
Rationalisierung und VerschiebungAbwehrmechanismenVerschiebungAbwehrmechanismenRationalisierung: „Die Krankheit als solche macht mir keine Angst. Hingegen fürchte ich die Einnahme der Medikamente. Wenn ich gelegentlich Angst verspüre, sind die starken Medikamente daran schuld.“
-
•
Verleugnung und Projektion im Rahmen einer Partnerschaft: Eine Patientin mit fortgeschrittenem Zervixkarzinom verhält sich gegenüber Ärzten und Schwestern so, als wisse sie nichts über ihre Krankheit. Sie zeigt sich hingegen bestürzt über ein Ulcus duodeni, das bei ihrem Ehemann festgestellt worden war.
Ziele psychoonkologischer Unterstützung von Tumorpatienten und ihren Angehörigen
Tumorpatienten siehe Onkologische Patienten Psychoonkologie Interventionen Ziele
-
•
UnterstützungOnkologische Patientenpsychoonkologische Interventionen bei der Verarbeitung und Integration der Krankheitserfahrung
-
•
Verringerung von psychischer Belastung und Beschwerden (Angst, Depressivität)
-
•
Verminderung körperlicher Beschwerden infolge von Erkrankung und Therapie
-
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Unterstützung und Mobilisierung persönlicher und sozialer Ressourcen (ggf. Unterstützung von Angehörigen)
-
•
Erhalt/Wiedergewinn von Selbstbestimmung, Kontrolle und Selbstwirksamkeit
-
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Förderung der Mitentscheidung und Verantwortung für die onkologische Behandlung
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•
Bewältigung von irreversiblen Verlusten und Beeinträchtigungen
-
•
Erhalt/Wiedergewinn sozialer Beziehungen und Funktionen, Anpassung an veränderte soziale Rollen
-
•
Ggf. begleitende Unterstützung für ein Sterben in Würde
Onkologie
-
85.1
Psychische und soziale Faktoren bei der Entstehung und im Verlauf von Krebserkrankungen Christoph Hürny und Reinhold Schwarz (†)947
-
85.2
Psychische Belastungen und Krankheitsbewältigung bei Krebs Kurt Fritzsche und Wolfgang Söllner956
-
85.3
Psychoonkologische Interventionen Wolfgang Söllner und Monika Keller965
85.3.1
Einleitung965
85.3.2
Psychoonkologische Mitbehandlung: Identifizierung von Behandlungswunsch und Behandlungsbedürftigkeit966
85.3.3
Psychoonkologische Interventionen während der onkologischen Behandlung967
85.3.4
Psychotherapeutische Interventionen nach Abschluss der Primärbehandlung970
85.3.5
Wirksamkeit psychoonkologischer Interventionen970
85.3.6
Schlussfolgerungen971
Psychische und soziale Faktoren bei der Entstehung und im Verlauf von Krebserkrankungen
Im Onkologische PatientenAufbau dieses Kapitels spiegelt sich die geschichtliche Entwicklung der psychoonkologischenPsychoonkologie Forschung in Wechselwirkung mit dem ärztlichen Umgang mit Krebspatienten in der Praxis wider. In den 1950er- und 1960er-Jahren versuchten psychoanalytische Forscher, eine ausschließliche und hinreichende Krebsursache im psychischen Bereich zu definieren: Persönlichkeit und frühkindlicher Verlust. Zu dieser Zeit wurden Patienten nicht über ihre Krankheit informiert. Die Krankheit selber war also kein Thema. In den 1970er-Jahren ereignete sich diesbezüglich in Mitteleuropa und den USA ein eindeutiger Wandel. Krebspatienten wurden nun von ihren Ärzten informiert. Die Krankheit wurde in der Arzt-Patient-BeziehungTherapeutische Beziehungonkologische Patienten zum Thema. In der Forschung interessierte jetzt der Einfluss der KrankheitsverarbeitungOnkologische PatientenKrankheitsverarbeitungEinfluss auf Krankheitsverlauf auf den Krankheitsverlauf. Wie in den 1960er-Jahren bleibt die Hypothese, dass Psychisches Körperliches bewirkt; es wird aber bereits eine Wechselwirkung postuliert.
In den 1980er-Jahren, einer Zeit mit wenig onkologischem Fortschritt, richtet sich das Interesse der psychoonkologischen Forschung auf das subjektive Empfinden der Krebspatienten, auf ihre Lebensqualität. LebensqualitätLebensqualitätonkologische Patienten wird als neuer Erfolgsparameter in klinisch-onkologische Studien eingeführt. Das subjektive Befinden der Patienten wird also in die Beurteilung der onkologischenOnkologische PatientenLebensqualität Therapie integriert. Die Frage, ob Psychisches Körperliches beeinflusst, tritt in den Hintergrund. In den 1990er-Jahren werden mit dem Ziel der Verbesserung der Lebensqualität von Krebspatienten psychosoziale Interventionsstudien durchgeführt. Nachdem nachgewiesen werden kann, dass diese die Lebensqualität effektiv verbessern können, stellen die Forscher abermals die Frage, ob die psychosozialen Interventionsstudien auch das Überleben verbessern, also wiederum, ob Psychisches Körperliches beeinflussen kann. Im ersten Jahrzehnt des 21. Jh. muss der fehlende Einfluss dieser Interventionen auf das Überleben zur Kenntnis genommen werden, woraufhin sich die Aufmerksamkeit vermehrt auf die Optimierung der Gesamtbehandlung richtet.
85.1.1
Psychosoziale Risikofaktoren für die Krebsentstehung
Patientengeschichte
Frau M. wird 1944 als uneheliche Tochter einer Näherin geboren. Ihren Vater kennt sie nicht. Fünf Jahre später heiratet die Mutter einen Alkoholiker. Da es der Mutter schlecht geht, beginnt sie, die Tochter täglich zu schlagen. Mit 8 Jahren kommt das Mädchen zu einer alleinstehenden Pflegemutter, wo sie es gut hat, aber hart arbeiten muss. Dann macht sie eine Lehre als Schneiderin. In der Pubertät hat sie schwierige Auseinandersetzungen mit der Pflegemutter. Die Pat. geht frühe, multiple und unbefriedigende sexuelle Beziehungen ein. Mit 22 Jahren kommt es zur „Muss-Heirat“ mit einem italienischen Maurer. Zwei Kinder werden geboren.
Der Mann ist krankhaft eifersüchtig und schlägt die Pat. von Anfang an. Neben dem Haushalt arbeitet Frau M. hart als Putzfrau, da sonst das Geld nicht reicht, muss aber ihren ganzen Lohn dem Mann abgeben. Nach 14 qualvollen Ehejahren ringt sich die Pat. zur Scheidung durch. Um sich und die beiden halbwüchsigen Kinder über Wasser zu halten, übernimmt sie eine Hauswartstelle und arbeitet weiter als Putzfrau. Sie fühlt sich allein, hilf- und hoffnungslos. Ein Jahr später beginnen Zwischenblutungen, nach weiteren 6 Monaten wird die Diagnose eines inoperablen Zervixkarzinoms gestellt. Bei der onkologischen Erstuntersuchung wirkt die Pat. wie erstarrt und versteinert. Sie kann ihre Gefühle kaum ausdrücken, hat sich sozial isoliert und lebt zurückgezogen mit ihren beiden Kindern.
-
•
Indirekte psychosoziale Faktoren: KrebserkrankungenÄtiologiepsychosoziale RisikofaktorenEin bestimmtes, meist komplexes menschliches Verhalten führt zu vermehrter Karzinogenexposition, z. B. Rauchen → Lungenkrebs; Sonnenexposition → Melanom; frühes Alter beim ersten Geschlechtsverkehr, große Anzahl Sexualpartner, Papilloma-Virusexposition → Zervixkarzinom.
-
•
Direkte psychosoziale Faktoren: Psychosozialer Stress (z. B. Verlust des Ehepartners) führt über psychische Prozesse (z. B. Trauer) zu somatischen Veränderungen, etwa im Bereich des Immun- oder des endokrinen Systems. Eine Funktionsstörung (z. B. der Lymphozyten) begünstigt das Entstehen eines malignen neoplastischen Prozesses.
Hypothesen: Verlust, Trauern und Erkrankung
„… Lasst mich zu euch jetzt von den Dingen reden, vor denen ihr euch hüten sollt; dass ihr in Wut geratet und von Zeit zu Zeit euch austobt, das gefällt mir, denn dies erhält die Hitze der Natur; was mir aber nicht gefällt, ist, wenn ihr bekümmert seid und alle Dinge euch zu sehr zu Herzen nehmt. Denn, wie die Gesamtheit der Physik uns lehrt, ist es dies vor allen Ursachen, das unserem Leib am meisten Schaden zufügt.“
Das Drama beginnt mit dem Tod oder der definitiven Abwesenheit eines Elternteils in früher Kindheit. Das führt zum Gefühl von Verlassenheit oder Einsamkeit. Das Kind erlebt diesen Zustand z. T. als selbstverschuldet. Es fühlt sich abgelehnt, und seine späteren Beziehungen sind oberflächlich und unstet. Trotzdem gelingt es später, eine dieser schwierigen Beziehungen etwas zu vertiefen und aufrechtzuerhalten. Ein zweiter, entscheidender Verlust dieser Bezugsperson reaktiviert die alten Gefühle von Hoffnungslosigkeit. Monate bis Jahre nach diesem zweiten Verlust manifestieren sich die ersten Krankheitszeichen von Krebs. Die vorhin geschilderte Lebensgeschichte der Patientin mit Zervixkarzinom passt recht gut in dieses Muster.
Bei derart unklaren Resultaten drängt sich die prospektive Überprüfung der Hypothese auf, d. h. dass man nicht nach Verlusten in der Vorgeschichte von bereits erkrankten Krebspatienten sucht, sondern gesunde Probanden, die einen schweren Verlust erleiden, über Jahre hinweg nachkontrolliert und prüft, ob im Vergleich zu Probanden, die keinen Verlust durchmachen, vermehrt Karzinome auftreten. Ein solches Design vermeidet das Problem des Bias durch den Vergleich mit ungeeigneten Kontrollgruppen, der vor allem bei kleinen Untersuchungskollektiven die Daten verfälschen kann.
Das Risiko, in den Jahren nach dem Verlust des Ehepartners zu sterben, und zwar auch an Krebs, ist erhöht, und zwar für Männer mehr als für Frauen. Verlust muss aber als spezifischer Risikofaktor für Krebs verworfen werden, d. h. es ist nach Verlust des Ehepartners nicht wahrscheinlicher, an Krebs als an etwas anderem zu sterben.
Resümee
Gemäß Hamer et al. (2009) wird aufgrund methodischer Mängel der Zusammenhang zwischen psychischem Stress und Krebsmortalität häufig überschätzt. Die Frage, ob Depression oder Depressivität ursächlich an der Entstehung von Krebs beteiligt ist, bleibt also trotz großer prospektiver Studien offen. Bei den meisten Untersuchungen sagt Depression eine erhöhte Gesamtmortalität voraus, bei etwa der Hälfte der Studien besteht auch ein erhöhtes allgemeines Krebsrisiko oder ein Risiko für spezifische maligne Krankheiten. Das verminderte Krebs- und Lungenkrebsrisiko in den VHA-Studien ist erstaunlich. Bei diesem Resultat könnte es sich um ein Artefakt im Sinne eines Selektionseffekts handeln. Patienten der VHA sind eine spezielle Population (z. B. praktisch nur Männer), die nicht der Allgemeinbevölkerung entspricht. Insgesamt ist also Depression kein wesentlicher spezifischer Risikofaktor für Krebs
Psychobiologische Verbindungsglieder
Verlust
Depression
Schlussfolgerung
85.1.2
Psychosoziale Faktoren beim Verlauf maligner Erkrankungen
Soziale Schicht und Krankheitsverlauf
Gute Qualität und Quantität der sozialen Beziehungen reduziert Morbidität und Mortalität i. Allg. um bis zu 50 % (Holt-Lunstad et al. 2010, Metaanalyse).
Krankheitsverarbeitung und Krankheitsverlauf
Patientengeschichte
Kurz nach der vorzeitigen Pensionierung ihres Ehemannes entdeckt die 55-jährige Frau W. einen Knoten in der rechten Brust. Innerhalb von 1 Woche muss wegen Karzinom eine Mastektomie durchgeführt werden. Der histologische Befund ergibt befallene axilläre Lymphknoten; 5 Monate später beginnen ziehende Schmerzen in beiden Flanken. Nach langwieriger Abklärung ohne Befund tritt nach weiteren 2 Monaten eine unvollständige Querschnittslähmung auf. Die Pat. wird notfallmäßig laminektomiert; epidural und in mehreren Brustwirbelkörpern finden sich Metastasen. Unter Bestrahlung der Brustwirbelsäule gehen die Schmerzen langsam zurück.
Die Pat. wird anschließend zur Rehabilitation in unsere Klinik verlegt. Bei Eintritt ist die Pat. vollständig bettlägerig; es besteht eine rechtsbetonte Paraspastik mit Miktions-, Defäkations- und Sensibilitätsstörungen. Frau W. ringt mit dem Schicksal, sie versucht gegen ihre Krankheit zu kämpfen, ist oft dem Weinen nahe. Einen Zusammenhang zwischen dem Krebsleiden und der Lähmung will sie nicht wahrhaben. In harter Arbeit mit Pflegefachfrau, Physio- und Ergotherapeutin, unterstützt von ihrem fürsorglichen Ehemann, erkämpft sich Frau W. in kleinen Teilschritten mehr Selbstständigkeit. Sie kann im Rollstuhl mobilisiert und mithilfe der Pflegenden oder des Ehemanns vom Bett auf den Rollstuhl, vom Rollstuhl aufs WC gebracht werden.
Nach 7 Monaten ist nach entsprechender Anpassung der Wohnung und mit einer Haushaltshilfe die Rückkehr nach Hause möglich. Nach unserer Ansicht stellt sich in Bezug auf die Fortschritte ein Plateau ein, und wir sind bei Fragen der Pat. bzgl. des weiteren Verlaufs skeptisch. Unter ambulanter Chemo-, Hormon- und Physiotherapie macht Frau W. unter großer Anstrengung weitere Fortschritte, sodass sie am Rollator wieder gehen lernt und hofft, doch noch einmal mit ihrem Mann in das geliebte Berghaus im Wallis ziehen zu können. Vor Jahresfrist hatte sie kaum gewagt, diesen Wunsch zu äußern!
Psychosoziale Faktoren und Krankheitsverlauf bei Brustkrebspatientinnen
Psychosoziale Interventionsstudien
Obwohl der Einfluss der Krankheitsverarbeitung auf das Überleben kontrovers beurteilt wird, interessierte bei den internationalen Interventionsstudien auch das Überleben als Erfolgsparameter. Das Hauptziel psychotherapeutischer Interventionsstudien bei Brustkrebspatientinnen ist jedoch der Nachweis einer Verbesserung des subjektiven Befindens und der Lebensqualität. Der Einfluss auf das Überleben ist nur in zweiter Linie von Interesse.
85.1.3
Schlussfolgerungen
Literaturauswahl
Antoni, 2013
Coates et al., 2000
Dalton et al., 2007
Everson-Rose et al., 2004
Goodwin et al., 2001
Gross et al., 2010
Holt-Lunstad et al., 2010
Kissane et al., 2007
Küchler et al., 2007
Nakaya, 2014
Psychische Belastungen und Krankheitsbewältigung bei Krebs
85.2.1
Psychische Belastungen und Störungen
Patientengeschichte 111
Für die Überlassung der Patientengeschichte danken wir Prof. Dietmar Richter.
1
Für die Überlassung der Patientengeschichte danken wir Prof. Dietmar Richter.
Onkologische PatientenKrankheitsbewältigungKrankheitsverarbeitungKrebserkrankungPsychische StörungenKrebserkrankungOnkologische Patientenpsychische BelastungenDie sehr sportlich und jünger aussehende 48-jährige Frau F. war von ihrer Brustkrebserkrankung völlig überrascht worden. Alles hätte sie in ihrem Leben für möglich gehalten, nur nicht, dass sie eines Tages an Krebs erkranken würde und dann noch an Brustkrebs. Wegen der ungünstigen histologischen Diagnose und Tumorausbreitung konnte nicht brusterhaltend operiert werden.
Frau F. war vor ihrer Erkrankung lebenslustiger, gern gesehener Mittelpunkt im örtlichen Reitverein und Golfclub. Herr F., ihr 2 Jahre älterer Ehemann, ist als persönlicher Referent eines Personalpolitikers im Tag- und Nachteinsatz und nur selten und unregelmäßig zu Hause. Der 21-jährige Sohn ist bei der Bundeswehr, kommt nur noch am Wochenende, die 19-jährige Tochter steht vor dem Abitur, wohnt noch zu Hause.
Nach ausgeprägter Schockreaktion lässt sich bei Frau F. eine 3-monatige ausgeprägte Depression beobachten. Sie bricht alle sozialen Kontakte ab. Während dieser Zeit finden vier familientherapeutische Sitzungen statt. Es wird offen über den Brustkrebs, das Tumorstadium und die Prognose gesprochen. Die verkrustete Beziehungsstruktur von Frau und Herrn F. kommt rasch zutage. Die erwachsenen Kinder sind es, die der Mutter aus der Depression heraushelfen durch realistische Vorschläge einer Neuorientierung, unabhängig vom Ehemann und Vater, der sich als schwach, hilflos und unbeteiligt erweist. Frau F. kehrt zurück in die Gesellschaft, wobei sie – wie sie sagt – Freunde und Bekannte ganz neu sortiert. Der Sport hilft ihr beim Überwinden der längere Zeit als narzisstische Kränkung erlebten Brustamputation. Sie fängt an zu reisen, sich für alte Kulturen zu interessieren. Nach 2 Jahren wird von ihr über einige Wochen das Thema „Wiederaufbau der Brust“ intensiv hin und her bewegt. Schließlich beendet sie diese Diskussion und lässt sich nicht plastisch operieren.
Wenn die Diagnose Krebs lautet …
Psychische Reaktionen im Verlauf der Krebserkrankung
-
•
Todesdrohung: Diagnose Krebs wird immer noch als gleichbedeutend mit dem baldigen Tod assoziiert, quasi als „Todesurteil“ („Sturz aus der normalen Wirklichkeit“)
-
•
Beeinträchtigung durch eingreifende Behandlungsmaßnahmen (Radio- und Chemotherapie, antihormonelle Behandlung, immunmodulierende Behandlung, Chirurgie)
-
•
Schmerzen, Verletzung der körperlichen Unversehrtheit und veränderte Körperwahrnehmung
-
•
Verlust der Selbstbestimmung über das eigene Schicksal
-
•
Verlust von gewohnten und alltäglichen Aktivitäten
-
•
Verlust sozialer Rollen
-
•
Angst vor Stigmatisierung und sozialer Isolierung
-
•
Bedrohung der sozialen Identität und des Selbstwertgefühls
-
•
Anhaltende Ungewissheit auch bei günstigem, aber kaum vorhersehbarem Krankheitsverlauf
Psychische Belastungen im Langzeitverlauf
85.2.2
Spezifische Probleme
Müdigkeit und Erschöpfung (Fatigue)
-
•
Müdigkeit, Energiemangel oder unverhältnismäßig gesteigertes Ruhebedürfnis
-
•
Gefühl der generalisierten Schwäche oder Gliederschwere
-
•
Konzentrationsstörungen
-
•
Mangel an Motivation oder Interesse, den normalen Alltagsaktivitäten nachzugehen
-
•
Gestörtes Schlafmuster (Schlaflosigkeit oder übermäßiges Schlafbedürfnis)
-
•
Erleben des Schlafs als wenig erholsam
-
•
Gefühle, sich zu jeder Aktivität zwingen zu müssen
-
•
Ausgeprägte emotionale Reaktionen auf die empfundene Erschöpfung (z. B. Niedergeschlagenheit, Frustration, Reizbarkeit)
-
•
Schwierigkeiten bei der Bewältigung des Alltags
-
•
Störungen des Kurzzeitgedächtnisses
-
•
Nach körperlicher Anstrengung mehrere Stunden andauerndes Unwohlsein
Progedienzangst
Kinder krebskranker Eltern
Krebserkrankung und Partnerschaft
-
•
Intensität und Ausmaß der psychischen Belastungen und die Anpassungsprobleme an eine Krebserkrankung sind bei Patient und Angehörigen gleich stark.
-
•
Starke Belastung des Patienten bedingt auch starke Belastung des Partners und umgekehrt.
-
•
Weibliche Partner geben häufiger eine starke Belastung an als männliche Partner (51 vs. 29 %; Zwahlen et al. 2011).
-
•
Ehepartner berichten häufiger über psychische Probleme als die Patienten selbst.
-
•
Ehepartner sind nicht von vornherein als Unterstützung anzusehen. Sie sind selbst belastet und brauchen oft selbst Hilfe. Eine schlechte Qualität der Partnerschaft ist eine zusätzliche Belastung für den Patienten.
-
•
Gerade Patienten, die sich schlecht abgrenzen können, denen es schwerfällt, auf sich selbst zu achten, fühlen sich durch Angst und depressive Symptomatik des Partners zusätzlich belastet.
-
•
Die psychische Belastung ist besonders groß, wenn kleine Kinder zu versorgen sind.
-
•
Die Krankheitsverarbeitung des von der Diagnose Betroffenen ist immer im familiären Kontext zu verstehen (Patientengeschichte 2).
Patientengeschichte 2
Der 37-jähige Pat. wurde 1 Woche zuvor wegen eines Rektumkarzinoms (T3/N2/M0) operiert und zur Radiochemotherapie auf eine internistische Station verlegt. Im Kontakt ist der Pat. freundlich, sucht das Gespräch; es besteht jedoch eine deutliche depressive Symptomatik bis zu Suizidgedanken. Weiterhin wird er von starken Ängsten in Bezug auf seine berufliche Zukunft und vor allem auch in Bezug auf seine Ehe und den Kinderwunsch seiner Frau beherrscht.
Beim Pat. selbst sind keine ernsthaften Vorerkrankungen bekannt. Jedoch ist der Vater an Blasenkrebs verstorben, und in der Familie der Mutter sind gehäuft Tumorerkrankungen bekannt. Nach seiner Lehre als Kfz-Mechaniker war er 4 Jahre bei der Marine, hat dann zum Qualitätsingenieur umgeschult und ist seit vielen Jahren in diesem Beruf erfolgreich tätig. Vor 5 Jahren lernte er seine jetzige Ehefrau kennen; vor 3 Jahren haben sie geheiratet. Bei beiden besteht ein starker Kinderwunsch.
Der Stationsarzt mit Qualifikation in psychosomatischer Grundversorgung und einem spezifischen Training zur Gesprächsführung bei onkologischen Pat. nimmt sich jeden Tag 10–15 Minuten Zeit, um mit dem Pat. und seiner Ehefrau zu sprechen. Die deutlich depressive Stimmung bildet sich zurück, die manifesten Suizidgedanken treten in den Hintergrund. Weiterhin herrschen jedoch starke Ängste vor der Zukunft vor. Im Gegensatz zum Pat. ist die Ehefrau eher optimistisch und zukunftsorientiert. Der Pat. beschreibt sie folgendermaßen: „Sie ist der Sonnenschein – ich bin der Regen.“ Aber auch bei ihr bestehen Ängste vor Unfruchtbarkeit und Kinderlosigkeit.
Nachdem die ersten Chemotherapiezyklen trotz einiger starker Nebenwirkungen gut bewältigt wurden, lässt die depressive Stimmung weiter nach, und ein vorsichtiger Optimismus in Bezug auf die Wiederaufnahme seiner beruflichen Tätigkeit tritt hervor. Jetzt auf einmal zeigt sich die Ehefrau von einer anderen Seite: Sie müsse oft stundenlang weinen, fühle sich so müde und ausgelaugt, gehe kaum noch aus dem Haus. Offensichtlich hat sie sich angesichts der Depression, der Verzweiflung und des Pessimismus ihres Ehemannes verpflichtet gefühlt, eine optimistische kämpferische Einstellung anzunehmen. Mit der Besserung des körperlichen und seelischen Befindens des Pat. hatten nun auch ihre Zweifel, Ängste und Erschöpfung Platz.
Die seelischen Reaktionen des Pat. und seiner Ehefrau wurden als gut nachvollziehbare Verhaltensweisen angesichts dieser lebensbedrohlichen Erkrankung verstanden und beiden Partnern auch so vermittelt. Nach Abschluss der Radio- und Chemotherapie und auch bei den ambulanten Nachgespräche traten zwar immer wieder Phasen von Zweifel und Unsicherheit auf, die im Gespräch aber jedes Mal gut aufgefangen werden konnten. Die schrittweise Wiederaufnahme der Berufstätigkeit erbrachte eine weitere psychische Stabilisierung des Patienten. Eine Überweisung in eine fachpsychotherapeutische Behandlung war zu keinem Zeitpunkt notwendig.
Krebskranke in der terminalen Lebensphase
Die frühzeitige Einbindung palliativmedizinischer MaßnahmenKrebserkrankungenpalliativmedizinische Maßnahmen kann nicht nur die Lebensqualität der Patienten verbessern, sondern möglicherweise auch die Lebenszeit verlängern (Temel et al. 2010; Bakitas et al. 2009; Zimmermann et al. 2014).
„Warum begreifen die Ärzte nicht die Bedeutung ihrer schieren Gegenwart? Warum können sie nicht erkennen, dass gerade der Augenblick, in dem sie sonst nichts mehr zu bieten haben, der Augenblick ist, in dem man sie am nötigsten hat?“
Eine respektvolle und an den Bedürfnissen des Kranken ausgerichtete Begleitung kann eine gelassenere Haltung unterstützen. Der Sterbende braucht das Gefühl, nicht allein gelassen zu werden (Kappauf und Gallmeier 1995).
85.2.3
Krankheitsverarbeitung
Coping
-
•
Kognitive Verarbeitungsweisen wie z. B. der Versuch, die Entstehung der Krankheit zu verstehen, Zweifel an der Richtigkeit der Diagnose, ermutigende Selbstdialoge oder das Haftbarmachen anderer Menschen für die Erkrankung.
-
•
Auf der emotionalen Ebene finden sich gereiztes Reagieren, Grübeln, Hadern, Galgenhumor etc. Während in der frühen Copingforschung vor allem die negativen Affekte Beachtung fanden, hat sich das Interesse nun auf die positiven Emotionen (Freude an schönen Erlebnissen, Erleichterung, Hoffnung) verschoben. Besonders die Arbeitsgruppe um Susan Folkman leitete durch ihre Forschung zur Krankheitsverarbeitung bei AIDS-Patienten und deren Partnern diese Wende in der Copingforschung ein (Folkman 1997; Folkman und Moskowitz 2000). Dabei wurde insbesondere die Bedeutung der Hoffnung für die Verarbeitung einer schweren Erkrankung hervorgehoben (Folkman 2010).
-
•
Die Verarbeitung der Belastung durch aktives Handeln, z. B. Dinge (endlich) erledigen, nach vorn schauen, sich ablenken, sich etwas Gutes tun, sich dadurch Sicherheit geben, dass der ärztliche Rat akribisch befolgt wird, etc. Genauso kommt es aber auch zu sozialem Rückzug als einer eher defensiven Copingstrategie auf Verhaltensebene.
Abwehrmechanismen
Verleugnung hat die Funktion eines Art Notfallmechanismus, bei dem die Realität der Erkrankung und die damit verbundenen Folgen partiell oder total ausgeblendet werden: „Ich habe keine Angst, ich komme gut damit zurecht, ich bin auf alles vorbereitet.“ Nicht selten werden solche Reaktionen als pathologisch verstanden.
Patientengeschichte 3
Eine 34-jährige Pat. mit akuter lymphatischer Leukämie und Rezidiv nach Knochenmarktransplantation, wenige Tage vor ihrem Tod, hält fest die Hand der Psychotherapeutin und macht Pläne für die Zukunft. Durch eine Spaltung zwischen Selbst und Körperselbst gelingt es ihr, den Körper und sein Sterben als „nicht zu ihr gehörig“ zu erleben.
Copingstrategien: Was ist hilfreich?
Resümee
Zusammengefasst ist Krankheitsbewältigung ein hochindividuelles Geschehen, bei dem je nach spezifischer Situation und einem lebensgeschichtlich determinierten individuellen Bewertungsprozess Bewältigungsressourcen aktiviert werden (Tschuschke 2011).
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Art der Krebserkrankung, Nebenwirkungen der Chemotherapie/Bestrahlung und die Folgen der operativen Eingriffe sowie das Vorliegen weiterer einschränkender körperlicher Erkrankungen (z. B. KHK, Diabetes mellitus)
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Soziale Unterstützung
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Ökonomische Ressourcen
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Intrapsychische Faktoren (z. B. bestimmte emotionale Muster, auf Stress zu reagieren) sowie prämorbide psychische Störungen wie Depression oder Angststörungen
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Zeitlicher Abstand zum letzten Behandlungszyklus
Subjektive Krankheitstheorien
Patienten, die eine psychische Ursachenvorstellung entwickeln und sich selbst damit eine Mitschuld an der Entstehung des Tumors zuschreiben, sind emotional stärker belastet, depressiver und weniger hoffnungsvoll (Riehl-Emde et al. 1989; Wolf et al. 1995; Faller et al. 1995; Costanzo et al. 2005b).
Selbstwirksamkeit, Resilienz und posttraumatisches Wachstum
Krebs und Familie
Cancer is a family affair.
Baider (2013: 33)
Krankheitsbewältigung von Kindern krebskranker Eltern
Literaturauswahl
AWMF – Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlicher Medizinischer Fachvertreter, 2014
Baider, 2013
Breitbart et al., 2000
Folkman, 2010
Fritzsche et al., 2004
Harrington et al., 2010
Herschbach, 2013
Kvillemo and Bränström, 2014
Mehnert et al., 2014
Pirl et al., 2014
Rajandram et al., 2011
Singer et al., 2009
Söllner et al., 2001
Söllner et al., 2016
Psychoonkologische Interventionen
85.3.1
Einleitung
Patientengeschichte
Hannelore K. (49) hatte sich endlich entschlossen, ihrem Übergewicht zu Leibe zu rücken. Sie hatte bereits mehr als 20 kg abgenommen, als sie zu erbrechen begann und weiter an Gewicht verlor. Zunächst vermutete man eine Essstörung, bis sich bei der Gastroskopie ein Magenkarzinom fand. So wie sie die Gastrektomie bravourös überstanden hatte, war sie auch während der adjuvanten Chemotherapie (wegen Lymphknotenbefalls) darum bemüht, eine tapfere, unkomplizierte Pat. zu sein. Den Pflegenden fiel jedoch ihre ausgeprägte Anspannung und Nervosität und die spürbare Anstrengung auf, mit der sie um Haltung bemüht war. Das Angebot zu einem psychoonkologischen Konsilgespräch nahm sie mit Skepsis und leichter Beschämung auf.
Im ersten Gespräch mit der Pat. war zu erfahren, dass sie in ihrem Leben schon viele schwierige Situationen gemeistert hatte – nach dem Motto: Schwierigkeiten sind dazu da, um bewältigt zu werden. Den Magenkrebs, so vermutet sie, hat sie sich wohl selbst zuzuschreiben, weil sie allen Kummer in sich hineingefressen hat. Von der Psychotherapeutin erhofft sie sich ein paar Tipps, um bald wieder so leistungsfähig zu sein wie früher. Vor dem Tod hat sie keine Angst. Jetzt heißt es, die Zähne zusammenzubeißen, schließlich ist sie selbst schuld, dass sie unter der Chemotherapie so faul und erschöpft ist. Wenn sie so viel jammert, kann sie sich selbst nicht leiden.
Die Psychotherapeutin nimmt bei Frau K. ein Gefühl von Ratlosigkeit und schmerzlicher Verlassenheit wahr. Mit ihrer kämpferischen Haltung schützt sich die Pat. vor der bodenlosen Verunsicherung, mit der die Krebserkrankung ihr Selbst getroffen und ihre bisher erfolgreichen Bewältigungsmodi infrage gestellt hat. Lieber lastet sie sich Mitschuld an ihrem Krebs an, bezichtigt sich vermeintlicher „Faulheit“, um nicht die existenzielle Verunsicherung, die Angst vor dem Ausgeliefertsein wahrzunehmen. Gegenüber der Pat. äußert die Therapeutin, wie deutlich sie die Kraft und Energie wahrnimmt, mit der Frau K. um ihr Leben kämpft und die enormen Belastungen der Behandlung durchsteht. Gäbe es einfache Tipps, sie hätte sie längst selber herausgefunden. Viele Pat. hätten während der Chemotherapie solche Beschwerden des Energieverlusts und der Erschöpfung; manchen tue es gut, auch einmal zu „jammern“ oder sich vorübergehende Durchhänger zu erlauben, ohne sich einer vermeintlichen Schwäche zu bezichtigen. Zweifellos kann Frau K. ihre Krankheit und die Behandlung genauso erfolgreich wie bisherige Anforderungen in ihrem Leben und ohne Hilfe von außen bewältigen. Aber vielleicht gibt es etwas, womit Frau K. es sich leichter machen und wobei ihr die Therapeutin nutzen kann.
Zu ihrer Lebensgeschichte schilderte Frau K., dass ihre Mutter bei ihrer Geburt erst 18 Jahre alt war. Um ihre Ausbildung abzuschließen und Geld zu verdienen, gab sie ihre Tochter die ersten 4 Jahre in die Obhut der Großmutter, die Frau K. als liebevolle Ersatzmutter erinnert. Die Mutter hätte ihr wiederholt vermittelt, dass sie, die Tochter, ihr Leben ruiniert habe. Ihre Beziehung blieb gespannt; auch nach der Heirat der Mutter fühlte sie sich in der neuen Familie mit Stiefvater und Halbgeschwistern nicht dazugehörig und kehrte mit 11 Jahren zur Großmutter zurück. Von ihrem eigenen Ehemann trennte sie sich nach kurzer Ehe und zog ihre beiden Töchter (24 und 28) allein groß. Um nicht abhängig zu sein, verzichtete sie auf Unterhaltszahlungen und sorgte selbstständig für den Familienunterhalt.
Jetzt möchte sie nicht, dass die Töchter merken, wenn es ihr schlecht geht; sie sollen nicht denken, sie sei undankbar, wenn sie oft wütend und gereizt ist, und möchte ihnen keinesfalls mit ihren Wünschen und Ansprüchen zur Last fallen. Sie betont mit Nachdruck, dass sie bisher immer die Starke war, die alles allein geschafft hat. Auf Nachfragen der Therapeutin, ob die Mutter von ihrer Erkrankung wisse und wie sie wohl damit umgehe, entgegnete Frau K., dass sie keinen Kontakt mehr zur Mutter habe: „Damit bin ich fertig; das ist kein Thema mehr.“ Die Therapeutin spürt, dass es ihr damit gelungen war, den Schmerz über das Alleingelassensein durch die Mutter in Enttäuschung und Wut zu verwandeln und kein Gefühl der Abhängigkeit aufkommen zu lassen.
85.3.2
Psychoonkologische Mitbehandlung: Identifizierung von Behandlungswunsch und Behandlungsbedürftigkeit
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Durch Einsatz von einfachen (Screening-)Instrumenten, mit denen sich eine psychische Belastung oder Störung im klinischen Alltag identifizieren lässt,
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Durch entsprechende Schulung des ärztlichen und/oder pflegerischen Personals onkologischer Einrichtungen, um sie besser zu befähigen, Belastungen und psychische Störung ihrer Patienten zu erkennen.
Screeninginstrumente
Resümee
Die Wirksamkeit von BelastungsscreeningOnkologische PatientenBelastungsscreening auf die Versorgungsqualität ist umstritten: Zwar kann dadurch die Aufmerksamkeit des onkologisch tätigen Personals auf psychosoziale Belastungen der Patienten und die Inanspruchnahme psychoonkologischer Unterstützung erhöht werden (Söllner et al. 2004; Carlson et al. 2012; Mitchell 2013), aber eine Verminderung von psychosozialer Belastung im Langzeitverlauf konnte bislang nicht nachgewiesen werden (Meijer et al. 2013).
Verbesserung der diagnostischen Treffsicherheit onkologisch tätiger Ärzte
Ein umfassendes Assessment sollte mehr als nur die Messung von Symptomen beinhalten. Es sollte auch Patientencharakteristika wie Geschlecht, Alter, soziale Lage, Ethnizität und die Verfügbarkeit von psychosozialer Versorgung berücksichtigen und im Verlauf einer Krebserkrankung wiederholt durchgeführt werden (s. Empfehlungen des National Institute of Health 2004).
85.3.3
Psychoonkologische Interventionen während der onkologischen Behandlung
Basale psychosoziale Unterstützung im onkologischen Behandlungskontext: Arzt-Patient-Beziehung
Spezielle psychoonkologische Unterstützung in onkologischen Zentren
Während der stark belastenden Phase der diagnostischen Abklärung und der intensiven onkologischen Behandlung ist der Wunsch nach professioneller psychosozialer Unterstützung und die Bereitschaft, eine solche auch anzunehmen, besonders ausgeprägt.
Psychotherapeutische Kurzinterventionen zur Bewältigung von krankheits- und behandlungsbedingten Belastungen
Aus dem Narrativ der subjektiven Krankheitsgeschichte im biografischen Kontext ergeben sich wichtige Hinweise auf das individuelle Krankheitserleben und seine Bedeutung, auf subjektive Krankheitskonzepte, bedeutsame Vorerfahrungen und auf Beziehungen zu nahen Personen (s. Patientengeschichte). Es erlaubt zudem eine diagnostische Orientierung über vorherrschende Abwehrformen, Konflikte und Vulnerabilitäten, eine mögliche Aktualisierung von belastenden oder traumatischen Erlebnissen sowie über personale und soziale Ressourcen (Keller 2007).
Patientengeschichte (Forts.)
In den folgenden Gesprächen zeigte sich die Pat. immer öfter von ihrer verletzlichen, bedürftigen Seite. Anfangs von ihren Tränenausbrüchen zutiefst irritiert, erlebte sie im Weiteren das Aufbrechen ihrer Gefühle als entlastend. Sechs Wochen später berichtete sie, dass sie mit der Mutter Kontakt aufgenommen habe, zunächst brieflich. „Durch die Gespräche“ sei sie auf diese Idee gekommen. Sie habe damit gerechnet, dass ihre Krankheit die Mutter gar nicht interessieren würde, und sei von der Anteilnahme und Sorge um sie ganz überrascht gewesen. Zum ersten Mal in ihrem Leben konnte sie sich auf ihre Mutter verlassen und stellte dankbar fest, wie gut ihr das tat – ganz ohne zu kämpfen und ohne sich abhängig zu fühlen. Sie telefonierten jetzt regelmäßig, erzählten sich gegenseitig ihr Leben, auch all den Groll. Nie habe sie gedacht, dass sie sich mit der Mutter aussöhnen würde.
Gegen Ende der Chemotherapie fühlte sie sich körperlich immer stärker belastet. Nachdem sie von der Therapeutin erfahren hatte, dass es vielen Patienten ganz ähnlich gehe, musste sie sich dafür weniger als faul und antriebslos anklagen. Es tat ihr gut zu spüren, dass die Töchter für sie da waren und auf ihre vorsichtig geäußerten Wünsche eingingen. Trotzdem musste sie das Heft nicht aus der Hand geben; sie konnte entscheiden, ob und was sie gerade brauchte.
Die frühere Wut war kaum noch spürbar. Dafür war sie oft traurig, spürte die Angst als Kloß im Hals, wenn sie daran dachte, wie es mit ihrer Krankheit weiterginge. Der Therapeutin konnte sie von ihrer Angst berichten. Diese fand es ganz normal, wunderte sich nicht, dass sie Angst hatte, wiegelte nicht ab und erschrak auch nicht. Aber mit ihren Töchtern konnte sie auf keinen Fall darüber sprechen: „Das würde die beiden nur runterziehen.“ Andererseits wurde deutlich, wie viel ihr daran lag. Die Therapeutin suchte mit ihr nach passenden Wegen, die sie ausprobieren könnte, um sich ihren Töchtern mitzuteilen. Dann ging es plötzlich ganz einfach; sie war erleichtert, dass es ihr möglich war, mit den Töchtern über ihre Gedanken und die Angst vor dem Sterben zu sprechen.
Patienten machen die Erfahrung, dass sie selbst aktiv gegen behandlungsbedingte Beschwerden angehen und ihr Wohlbefinden verbessern können.
Psychopharmakologische Interventionen
Resümee
Die Verordnung psychotroper Medikamente muss immer in eine vertrauensvolle Arzt-Patient-Beziehung „eingebettet“ sein und sollte niemals unkritisch oder gar „reflexhaft“ beim Auftreten von Angst oder Depressivität erfolgen. Die Indikation für psychotherapeutische Maßnahmen ist dabei immer zu bedenken.
85.3.4
Psychotherapeutische Interventionen nach Abschluss der Primärbehandlung
PsychotherapiePsychotherapieonkologische PatientenGrundsätze mit schwer kranken Menschen sollte immer
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das Thema der existenziellen Bedrohung berücksichtigen,
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die realen Auswirkungen von Krankheit und Behandlung in somatischer, psychischer und sozialer Hinsicht einbeziehen,
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Fragen nach der persönlichen Bedeutung der Erkrankung und ihrem Zusammenhang mit Sinnfragen im Leben aufgreifen,
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die etwaige zeitliche Begrenztheit des Lebens und mit der Erkrankung einhergehende körperliche Einschränkungen berücksichtigen sowie
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personale und soziale Ressourcen aktiv mobilisieren und nutzen.
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Strukturierte edukativ-supportive Kurzzeittherapien wurden für PatientinnenMammakarzinom(patientinnen)edukativ-supportive Kurzzeittherapien mit Brustkrebs (Andersen et al. 2004; Weis et al. 2007), Melanom (Melanom, malignesedukativ-supportive KurzzeittherapienFawzy et al. 1993; Trask 2003), ProstatakrebsProstatakarzinomedukativ-supportive Kurzzeittherapien (Penedo et al. 2004) oder für gemischte Gruppen von KrebspatientenOnkologische Patientenedukativ-supportive Kurzzeittherapien (Jacobsen et al. 2002) entwickelt. Sie verbinden Informationen mit kognitiven Orientierungshilfen, Bewältigungs- und Problemlösestrategien und Entspannung/Imagination zur Stressreduktion.
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Die auf der existenziellen psychodynamischen PsychotherapiePsychodynamische Psychotherapiesupportiv-expressive Therapie von Yalom (1977, 2004) basierende supportiv-expressive Therapie (SETSupportiv-expressive Therapie (SET), Spiegel und Classen 2000) kombiniert einen unterstützenden Ansatz mit Methoden, die Wahrnehmung und Ausdruck von Gefühlen fördern, und nutzt als Gruppentherapie die gegenseitige Unterstützung der Patienten. Sie wird entweder als strukturierte Kurztherapie (12–24 Sitzungen) oder in Form von Langzeittherapien über 1 Jahr oder länger angewandt.
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Verschiedene Formen kognitiver VerhaltenstherapieKognitive Verhaltenstherapieonkologische Patienten (KVT) wie z. B. die adjuvante PsychotherapiePsychotherapieadjuvante (Greer et al. 1992) und die Problemlösetherapie (Nezu et al. 2003) wurden an die spezifischen Bedürfnisse von Krebspatienten angepasst.
Im Vordergrund der therapeutischen Arbeit stehen eine sichernde Halt gebende Funktion (holding function; Winnicott 1974) und das aktive Unterstützen des Ausdrucks von Gefühlen.
“The relationship (between patient and therapist) must be real enough that patient and therapist care about each other, but never so intimate that one cannot step back and observe, learning what is going on in the relationship and why.”
zit. nach Spiegel und Classen (2000)
85.3.5
Wirksamkeit psychoonkologischer Interventionen
Resümee
Alle untersuchten Verfahren zeigen positive Auswirkungen auf die Lebensqualität von Patienten mit unterschiedlichen Tumorarten und Krankheitsstadien – in Form verminderter körperlicher und psychischer Beschwerden, besserer Krankheitsbewältigung, Nutzung von sozialer Unterstützung und besserem psychosozialen Befinden.
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Entspannung, Imagination, Hypnotherapie, PsychoedukationPsychoedukationKrebspatientenOnkologische PatientenPsychoedukation, Musiktherapie und Verhaltenstherapie sind als adjuvante Therapiemaßnahmen zur SchmerzbehandlungSchmerzenonkologische Patienten während der onkologischen Therapie bzw. in fortgeschrittenen Krankheitsstadien geeignet (Luebbert et al. 2001; Devine 2003; Rajasekaran et al. 2005; Tatrow und Montgomery 2006; Cepeda et al. 2008).
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Durch EntspannungEntspannungsübungen/-verfahrenonkologische Patienten und Verhaltenstherapie kann therapieinduzierte Übelkeit im Zusammenhang mit Chemotherapie und Stammzelltransplantation besser kontrolliert werden (Burish et al. 1991; Syrjala et al. 1992, 1995; Vasterling et al. 1992; Luebbert et al. 2001; Given et al. 2004).
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Einige RCTs belegen die Wirksamkeit von Entspannung und supportiver Beratung zur Verminderung von Dyspnoe bei fortgeschrittenem Lungenkrebs (Sloman 1995; Corner et al. 1996; Bredin et al. 1999).
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Metaanalysen zur Effektivität nichtpharmakologischer Behandlungen zeigen, dass psychotherapeutische Interventionen (KVT, SET, sog. restorative Ansätze) und sportmedizinische Maßnahmen FatigueFatigueonkologische Patienten reduzieren und Vitalität verbessern können. Die dabei gefundenen kleinen bis mäßigen Effektstärken werden stärker, wenn die Behandlungsmethoden speziell auf die Verminderung von Fatigue ausgerichtet sind. Die Kombination psychotherapeutischer und sportmedizinischer Maßnahmen scheint die Ergebnisse zu verbessern (Rao und Cohen 2004; Jacobsen et al. 2007; Kangas et al. 2008; Goedendorp et al. 2009; Horneber et al. 2012).
85.3.6
Schlussfolgerungen
“Addressing psychosocial needs should be an integral part of quality cancer care.”
(2005: 55)
“Evidence supports the effectiveness of services aimed at relieving the emotional distress that accompanies many chronic illnesses, including cancer, even in the case of debilitating depression and anxiety.”
(2005: 65)
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Die psychosoziale Belastung von Krebspatienten und Angehörigen sollte in allen onkologischen Behandlungseinrichtungen aktive Beachtung finden.
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Alle Berufsgruppen, die in die Behandlung von Krebspatienten eingebunden sind, sollten im Erkennen psychosozialer Belastungen und in kommunikativer Kompetenz geschult und unterstützt werden.
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Ein Screening auf psychosoziale Belastung sollte dann angeboten werden, wenn es systematisch in die medizinisch-onkologische Behandlungsplanung einbezogen wird.
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In onkologischen Zentren und Schwerpunktpraxen sollte ein psychoonkologischer Dienst etabliert werden, der vorzugsweise multiprofessionell organisiert ist.
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Psychoonkologische Unterstützung sollte möglichst an die jeweilige Problemlage angepasst werden und ist vorrangig Hilfe zur Selbsthilfe. Dies reicht von einmaligen psychoedukativen Sitzungen über einige supportive Gespräche, Kurztherapien bis hin zu länger dauernden psychotherapeutischen Interventionen.
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Die Angehörigen von Krebspatienten – dazu zählen auch Kinder – sollten dabei nicht vergessen werden. Sie tragen oft den Großteil der Belastungen. Wo immer möglich und gewünscht, sollten Partner und/oder Familienangehörige in psychoonkologische Interventionen eingeschlossen werden (Paar- und Familiengespräche, Angehörigengruppen).
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Wenn Patienten sich in Gruppen wohlfühlen, sind Selbsthilfegruppen oder Psychotherapiegruppen sehr gut geeignet, um Unterstützung zu vermitteln.
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Künftig sollten Stepped-Care-ProgrammePsychoonkologieStepped-Care-Programme entwickelt und auf ihre Effektivität untersucht werden. Die einzelnen Behandlungsstufen könnten folgendermaßen aussehen:
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a.
Unkomplizierte und kurzdauernde psychosoziale Belastung, die durch die Patienten und ihre Angehörigen nicht ausreichend bewältigt werden kann, sollte durch onkologische Behandler (z. B. cancer nurses), die in einfachen supportiven Techniken geschult sind, aufgefangen werden. Selbsthilfemaßnahmen in Selbsthilfegruppen oder durch internetbasierte SelbsthilfeprogrammeSelbsthilfeprogramme, internetbasierte können dabei unterstützend wirken.
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b.
Wenn dies nicht ausreicht oder wenn komplexe Belastungen und ausgeprägte psychische Störungen vorliegen, wird eine psychotherapeutische Intervention durch Fachärzte oder psychologische Psychotherapeuten angeboten.
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Psychoonkologisch tätige Therapeuten sollten in den spezifischen Erfordernissen der Behandlung von existenziell bedrohten PatientenPatientenexistenziell bedrohte geschult sein. Wegen der eigenen emotionalen Belastung sollten sie selbst Unterstützung in einer fortlaufenden Supervision oder Intervision suchen.
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Effektive patientenzentrierte onkologische Versorgung kann nur gelingen, wenn alle in der Behandlung von Tumorpatienten involvierten Behandler – Ärzte, Pflegekräfte, medizinische Assistenzberufe und psychosoziale Professionelle – mit der besonderen Herausforderung und emotionalen Beanspruchung wie auch einem erhöhten Burnout-Risiko wahrgenommen und angemessen mit effektiven Verfahren (Fortbildung, Supervision, Verbesserung kommunikativer und interaktiver Kompetenz) und durch strukturelle Verbesserung von Arbeitsbedingungen und Förderung interprofessioneller Kooperation und Kommunikation regelhaft und systematisch unterstützt werden. Hierbei ist immer der Kontext der sich rasant verändernden onkologischen und palliativmedizinischen Behandlungsmodalitäten mit Auswirkungen sowohl auf die Erfahrungen von Patienten als auch ihre onkologischen Behandler zu berücksichtigen.)PsychoonkologieVersorgungsleitlinienPsychoonkologiePraxisleitlinien
Praxisleitlinien zur psychoonkologischen Behandlung
AWMF – Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlicher Medizinischer Fachvertreter, 2014
Institute of Medicine, 2007
Holland, 2009
NICE Practice Guidelines, 2004
Literaturauswahl
Breitbart et al., 2004
Carlson, 2012
Faller et al., 2013
Fritzsche, 2005
Herschbach and Weis, 2008
Keller, 2007
Kissane et al., 2004
National Institute of Health State-of-the-Science Panel, 2004
Pirl, 2004
Söllner et al., 2004
Söllner, 2016
Spiegel and Classen, 2000
Stiefel et al., 2010
Weis and Domann, 2006
Williams and Dale, 2006