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Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (OPD)
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26.1
Einleitung281
-
26.2
Operationalisierung psychoanalytischer Konstrukte281
-
26.3
Kurzdarstellung der Achsen282
-
26.4
Status- oder Prozessdiagnostik: Möglichkeiten der Fokusbildung284
-
26.5
Fazit286
26.1
Einleitung
1
OPD-Koordinationsrat: Manfred Cierpka, Rainer W. Dahlbender, Harald J. Freyberger, Tilman Grande, Gereon Heuft, Paul L. Janssen, Franz Resch, Gerd Rudolf, Henning Schauenburg, Peter Buchheim, Gerhard Schüßler, Michael Schulte-Markwort, Michael Stasch, Matthias von der Tann
26.2
Operationalisierung psychoanalytischer Konstrukte
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Achse I: Krankheitserleben und Behandlungsvoraussetzungen
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Achse II: Beziehungen
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Achse III: Konflikte
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Achse IV: Struktur
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Achse V: Syndromal (nach Kapitel V (F) der ICD-10
Das OPD-System ist ein beobachtungsnahes und theorienübergreifendes diagnostisches Instrumentarium, das die Kommunikation innerhalb der Psychoanalyse und mit den Nachbardisziplinen fördert. Dazu musste in der OPD-Gruppe eine Einigung darüber erzielt werden, wie groß bzw. wie klein das Ausmaß an indirekter Schlussbildung (z. B. auf unbewusste Anteile) in der klinischen Beurteilung von Verhaltensweisen sein darf.
26.3
Kurzdarstellung der Achsen
26.3.1
Achse I: Krankheitserleben und Behandlungsvoraussetzungen
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Im Basismodul werden die gegenwärtige Schwere und Dauer der Störung, das Krankheitserleben, Krankheitserlebendie Krankheitsdarstellung Krankheitsdarstellungund die Krankheitskonzepte Krankheitskonzeptedes Patienten sowie Veränderungsressourcen und -hemmnisse auf 19 Items abgebildet. In einem Psychotherapie-Modul und weiteren Modulen, z. B. einem Modul zum forensischen Kontext (Cierpka et al. 2015) und einem Modul für Abhängigkeitserkrankungen (AG Abhängigkeitserkrankungen der OPD 2013) können dann noch spezifische Items zur Beurteilung herangezogen werden.
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•
Das Psychotherapiemodul Psychotherapiemodul, OPDOPD (Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik)Psychotherapiemodulbildet den Wunsch des Patienten nach einer spezifischen Psychotherapie und seine Offenheit für eine Psychotherapie sowie den sekundären Krankheitsgewinn abKrankheitsgewinn, sekundärer.
26.3.2
Achse II: Beziehungen
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Wie erlebt sich der Patient selbst in den Beziehungen?
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Wie erlebt der Patient das Beziehungsverhalten Beziehungsverhaltenanderer?
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Wie erlebt der Therapeut die Beziehungsaufnahme durch den Patienten?
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•
Wie erlebt sich der Therapeut selbst in der Beziehung zum Patienten?
26.3.3
Achse III: Konflikt
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1.
Individuation Individuations-Abhängigkeits-Konfliktvs. Abhängigkeit
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2.
Kontrolle Kontrollevs. UnterwerfungUnterwerfung
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3.
Versorgung Versorgungvs. AutarkieAutarkie
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4.
SelbstwertkonfliktSelbstwertkonflikt
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5.
SchuldkonfliktSchuldkonflikt
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6.
Ödipaler KonfliktÖdipale KonflikteKonflikteödipale
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7.
IdentitätskonfliktIdentitätskonflikt
Beispiel
Im passiven Modus Konfliktepassiver Modusist der Patient an andere Menschen gefühlsmäßig stark gebunden und äußert Wünsche nach Geborgenheit und Versorgung. Trennungen, Zurückweisungen und Alleingelassenwerden werden mit depressiver Verstimmung oder/und Angst beantwortet. Der Patient ist ausgeprägt abhängig, anklammernd und fordernd. In der Gegenübertragung KonflikteGegenübertragungGegenübertragungKonflikteerlebt der Untersucher Gefühle von Sorge, Anklammerung, Erpressung und Ohnmacht. Die Partnerschaft wird so gestaltet, dass Trennung „unmöglich“ scheint (z. B. finanzielle Verflechtungen), und kann durch eine quälende Enge charakterisiert sein. AnklammerungstendenzenBeziehungenhäufig wechselnde Anklammerungstendenzenwerden durch häufig wechselnde Beziehungen reaktiv abgewehrt. Die Versorgungswünsche führen dazu, dass der Patient lange und überloyal im Verbund der HerkunftsfamilieHerkunftsfamilie bleibt. Im Arbeitsleben Arbeitslebenist der Patient darauf aus, sich Verbündete und Helfer zu sichern; berufliche Anforderungen werden als Entzug von Unterstützung erlebt und depressiv beantwortet. Im sozialen Umfeld Soziales Umfeldist der Patient auf versorgende Beziehungen ausgerichtet; wegen seiner Wünsche und Ansprüche wird er von anderen als fordernd und anstrengend erlebt. Bei Erkrankung zeigt der Patient eine passive, anklammernde Erwartungshaltung an den Behandler; wegen seiner Versorgungsansprüche ist der Patient in Bezug auf seine Erkrankung nur schwer zu rehabilitieren.
26.3.4
Achse IV: Struktur
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•
Das Niveau der guten Integration bedeutet, dass ein autonomes Selbst über einen psychischen Binnenraum verfügt, in dem intrapsychische Konflikte ausgetragen werden können.
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Das Niveau der mäßigen Integration lässt eine geringere Verfügbarkeit über regulierende Funktionen und eine schwächere Ausdifferenzierung psychischer Substrukturen Psychische Substrukturen, Ausdifferenzierungerkennen.
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Das Niveau der geringen Integration ist dadurch gekennzeichnet, dass der seelische Binnenraum und die psychischen Substrukturen wenig entwickelt sind, sodass Konflikte kaum intrapsychisch, sondern vorwiegend interpersonell Konflikteinterpersonelleausgetragen werden.
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•
Das desintegrierte Niveau ist durch Fragmentierungen und psychotische Restitutionen der Struktur charakterisiert.
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1.
Selbst- Selbstwahrnehmungund Objektwahrnehmung (Objektwahrnehmungdas Selbst und die Objekte wahrnehmen)
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2.
Steuerung (das Selbst und den Bezug zu den Objekten regulieren)
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3.
Emotionale Kommunikation (KommunikationemotionaleEmotionale Kommunikationnach innen und mit anderen)
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4.
Bindung (an innere Objekte und an äußere Objekte)ObjekteäußereBindung(sbeziehungen)ObjekteObjekteinnere
26.4
Status- oder Prozessdiagnostik: Möglichkeiten der Fokusbildung
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Befunde der Achse I können die grundsätzliche Einstellung der Patienten gegenüber einer Psychotherapie klären helfen.
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Einschätzungen des StrukturNiveaueinschätzungStrukturniveaus (Achse IV) sind mitentscheidend für die Wahl geeigneter psychotherapeutischer Verfahren, vor allem in der Alternative zwischen mehr stützenden und strukturierenden oder deutend-aufdeckenden Vorgehensweisen, u. U. auch für die Alternative von stationärer oder ambulanter Psychotherapie.
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•
Darüber hinaus geben die OPD-Befunde im Einzelnen konkrete Hinweise auf die therapeutisch zu bearbeitenden Themen: Dysfunktionale BeziehungendysfunktionaleBeziehungsmuster (Achse II) erfordern im Sinne pathogener Überzeugungen spezielle therapeutische Aufmerksamkeit und evtl. auch spezielle Interventionen, um die Behandlung nicht an interaktionellen Komplikationen scheitern zu lassen.
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•
Akzentsetzungen inKonflikteAkzentsetzungen den vorherrschenden Konflikten (Achse III) bzw. Verknüpfungsmuster von verschiedenen Konflikten und zugehörige differenzialdiagnostische Überlegungen begründen wiederum spezielle therapeutische Vorgehensweisen; Inhalte der strukturellen Auffälligkeiten, welche die Vulnerabilität des Patienten ebenso wie seine verfügbaren Ressourcen deutlich machen, können frühzeitig in therapeutische Planungen einbezogen werden.
Fokusbildung, OPDAls Foki gelten diejenigen Merkmale des OPD-Befunds, welche die Störung mitverursachen und aufrechterhalten und deshalb für die Psychodynamik des Krankheitsbildes eine bestimmende Rolle spielen.
Falldarstellung
Beziehungsepisode in Erstgespräch
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Typische interaktionelle Verwicklung (Beziehungsfokus): Die OPD (Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik)BeziehungsfokusInteraktionelle VerwicklungPatientin kümmert sich sehr um andere, wird aber immer wieder im Stich gelassen und entwertet. Sie reagiert darauf mit verstärkter Anpassung, Harmonisierung und Autonomie. In der Übertragung wird ihre Selbstentwertung und Autonomietendenz deutlich, was bei anderen dazu führen kann, dass sie nicht wahrgenommen wird. Dies kann im Zirkelschluss bei ihr dazu beitragen, dass sie sich im Stich gelassen fühlt.
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Konfliktfokus: Die Patientin stellt sich OPD (Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik)KonfliktfokusKonfliktfokusselbst zurück, um Anerkennung und Geborgenheit zu bekommen (Versorgungs- und Autarkiekonflikt). Zusätzlich entwertet sie sich und überhöht geliebte Objekte (Selbstwertkonflikt).
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Struktureller Fokus: Die Patientin wird von AffektenOPD (Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik)Strukturfokus geflutet; bekommt keinen Abstand, um ihre Erregung steuern und verstehen zu können (Selbststeuerung: Affekttoleranz). Sie verachtet ihren Körper (Körper-Selbst) und gOPD (Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik)StatusdiagnostikStatusdiagnostikOPDProzessdiagnostik, OPDOPD (Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik)Prozessdiagnostikeht sFokusbildung, OPDOPD (Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik)Fokusbildungchonungslos mit ihm um.
26.5
Fazit
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Die OPD kann klinisch-diagnostische Leitlinien für den klinischen Gebrauch OPD (Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik)klinisch-diagnostische LeitlinienLeitlinienklinisch-diagnostische, OPDvorgeben, die dem Anwender aufgrund relativ offen formulierter diagnostischer Kriterien („Leitlinien“) einigen diagnostischen Spielraum lassen. Die OPD trägt so zu einer größeren Transparenz im Sinne der Qualitätssicherung bei.
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Die OPD kann für die Ausbildung in der psychodynamischen OPD (Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik)AusbildungPsychotherapie von großem Nutzen sein, weil die operationalisierten psychischen Phänomene beobachtungsnah formuliert werden, sodass die psychodynamische und phänomenologische Klassifikation geübt werden kann.
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Die OPD kann als Forschungsinstrument für wissenschaftliche OPD (Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik)ForschungsinstrumentUntersuchungen eingesetzt werden, um über striktere diagnostische Kriterien zu einer stärkeren Stichprobenhomogenisierung in Studien beitragen zu können.
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Die OPD kann zu einer besseren Kommunikation innerhalb der scientific communityOPD (Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik)Kommunikation (im weiteren und engeren Sinne) über die Konstrukte der psychodynamischen Theorie beitragen. Vor dem Hintergrund einer deutlich verbesserten Reliabilität gegenüber der herkömmlichen Diagnostik führt die OPD zu einer besseren Kommunizierbarkeit von psychodynamischen Formulierungen.
Literaturauswahl
Arbeitskreis, 1996
Arbeitskreis
Arbeitskreis, 2013
Arbeitskreis, 2014
Cierpka et al., 2007
Dinger et al., 2014
Rudolf, 2004
Rudolf et al., 2000
Stasch et al., 2014
Zimmermann et al., 2012