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Codierung von Trauerreaktionen nach ICD-Trauerprozess/-reaktionnormaleTrauerprozess/-reaktionICD-10-CodierungTrauerprozess/-reaktionAnpassungsstörungenTrauerprozess/-reaktionabnormeDepression/depressive StörungenTrauerAnpassungsstörungenTrauerAngst(störungen)Trauer10
Normale Trauerreaktionen | Z63.4 | Tod eines Partners oder Ehegatten |
Z71.9 | Beratungsgespräch | |
Z73.3 | Belastung, nicht anderorts klassifiziert | |
Abnorme Trauerreaktionen | F43.2 | Anpassungsstörung (Beginn innerhalb von 1 Monat, Dauer < 6 Monate) |
F43.21 | Längere depressive Reaktion (sehr heftige Trauerreaktion, Dauer > 6 Monate) | |
F43.22 | Angst und depressive Reaktion gemischt | |
F43.23 | Mit vorwiegender Beeinträchtigung von anderen Gefühlen | |
F43.24 | Mit vorwiegender Störung des Sozialverhaltens | |
F43.25 | Mit gemischter Störung von Gefühlen und Sozialverhalten |
Trauerprozess und Trauerprozess/-reaktionselbstpsychologische AspekteSelbstobjektbeziehungenTrauerprozessSelbstobjektbeziehung
Unterbrechung der Selbstobjektbeziehung und Versuche der Wiederherstellung der Beziehungen zum verlorenen Selbstobjekt | Schockphase und Suchen |
Desintegration des Selbst | Psychische Desorganisation |
Wiederherstellung des Selbst und dessen kreative Neuorganisation | Psychische Reorganisation und neue Identität |
BindungstypologieBindung(sbeziehungen)Typologie nach Bowlby bei Kindern und Bindung(sbeziehungen)ErwachseneBindung(sbeziehungen)unsicher-vermeidendeBindung(sbeziehungen)unsicher-ambivalenteBindung(sbeziehungen)sichereBindung(sbeziehungen)desorientierteBindung(sbeziehungen)desorganisierteErwachsenenBindung(sbeziehungen)KinderAdult Attachment Interview (AAI)
FST | AAI | ||
B | sicher | F (free): | sicher/autonom |
A | unsicher-vermeidend | Ds (dismissive): | unsicher-distanziert |
C | unsicher-ambivalent | E (enmeshed): | verstrickt |
D | desorganisiert/desorientiert | U (unresolved): | unverarbeitetes Trauma |
Diagnostik von TrauerTrauerprozess/-reaktionDSM-5-KlassifikationTrauerprozess/-reaktionICD-10-CodierungTrauerprozess/-reaktiondiagnostische Merkmale und Trauerprozess/-reaktionposttraumatische BelastungsstörungenTrauerprozess/-reaktionpathologischeTrauerprozess/-reaktionnormaleTrauerprozess/-reaktionkomplizierteTrauerprozess/-reaktionDysthymiaTrauerprozess/-reaktiondepressive EpisodeTrauerprozess/-reaktionMajor DepressionPosttraumatische Belastungsstörung (PTBS)TrauerDysthymiaTrauerDepressive EpisodeTrauerDepression/depressive StörungenTrauerDepressionPersistent Complex Bereavement Disorder
Diagnostische Merkmale | DSM-5-Klassifikation | |
Normale Trauer (erfasst über Z-Codierungen) |
Dauer < 6 Mon., aber nicht zwingend | Bei Dauer der Symptomatik 2 Wo.: Major Depression |
Komplizierte/pathologische Trauer (erfasst über F43) |
Auslösbar durch geringfügige Verluste, durch die frühe Verluste wiederbelebt werden; Risikofaktor für Depression. Im Unterschied zur Major Depression bzw. depressiven Episode ist die Trauer auf die verlorene Person bezogen; es besteht weiterhin Interesse an Erinnerungen der verlorenen Person, Schuldgefühle fokussieren auf Interaktionen mit der verlorenen Person; in Anspruch genommen von positiven Gedanken über die verlorene Person | Persistent Complex Bereavement Disorder (noch weitere Studien notwendig) Normale Aktivitäten und Verantwortlichkeiten des Individuums werden mehr als 6 Monate nach Verlust nicht wieder aufgenommen (Symptomatik: Denken und Verhalten unangemessen, andauernde emotionale Dysregulation, soziale Isolation und Suizidideen) |
Dysthymia (F34.1) | Depressive Reaktion > 2 Jahre | Dysthyme Störung |
Anhaltende affektive Störung (F34.8) | Weniger schwer oder weniger lang andauernd als bei Dysthymia | |
Depressive Episode (F32) | u. a. gedrückte Stimmung, Interessenverlust, Verlust des Selbstwertgefühls, Schuldgefühl, Versagensgefühle, Freudlosigkeit, Antriebsverminderung | Major Depression |
Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) (F43.1) | Ausgelöst durch traumatisches Ereignis, Schockgefühl, Hilflosigkeit, Intrusionen, Vermeidungsverhalten. Im Unterschied zur komplizierten Trauer ist die PTBS ausgelöst durch körperliche Bedrohung; dominierende Emotion ist Furcht (anstatt Trauer), Albträume sind die Regel | Posttraumatic Stress Disorder (PTSD) |
Vier Phasen des Trauerprozesses bei Erwachsenen
Die Verarbeitung eines Verlust(erlebnisse)VerarbeitungVerlusts hängt beim Erwachsenen von mindestens vier Faktoren ab:
-
1.
Von der Beziehungsqualität zu der Person, die verloren wurde
-
2.
Von den frühen Bindungserfahrungen des den Verlust erleidenden Subjekts
-
3.
Von den subjektiven Abwehrmechanismen gegen Verlust
-
4.
Vom Vorhandensein sozialer Unterstützungssysteme für die Person, die einen Verlust erlitten hat
Verlust und Trauer
-
15.1
Einleitung171
15.1.1
Begriffsklärung und diagnostische Einordnung171
-
15.2
Erscheinungsformen und Verlauf von Trauerprozessen171
-
15.3
Trauer und Verlust in der Bindungstheorie172
-
15.4
Trauer, Bindung und Embodiment174
-
15.5
Trauer und Depression174
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15.6
Zur Psychobiologie von Trauerprozessen177
-
15.7
Therapeutische Begleitung bei Trauerprozessen178
Patientengeschichte
Herr A. wurde vom Hausarzt wegen einer akuten Lebenskrise ½ Jahr nach dem Tod der Ehefrau in der Ambulanz einer Psychosomatischen Universitätsklinik angemeldet. Schon lange vor dem vereinbarten Termin erschien Herr A. und ging angespannt auf dem Flur auf und ab. Er hatte langes, ungepflegtes Haar und seine Kleidung wirkte unordentlich, so als ob er sich nur mit Mühe ankleiden könnte. Um Haltung bemüht, saß er kerzengerade auf seinem Stuhl, wirkte verschlossen, angespannt, ängstlich. Es hatte ihn offensichtlich große Überwindung gekostet, sich Hilfe zu suchen. Hinter diesem ersten Eindruck verbarg sich ein sportlicher, früher sicher gut aussehender 50-jähriger Mann, der es nicht gewohnt war, von sich selbst zu sprechen und seine Gefühle mitzuteilen.
Im vergangenen Sommer war seine Ehefrau verstorben, mit der er seit 20 Jahren verheiratet war. Etwa 3 Jahre nach der Hochzeit wurde bei ihr ein bereits metastasiertes Mammakarzinom entdeckt. Mit starkem Überlebenswillen nahm die Frau alle Behandlungen auf sich. Nach verschiedenen Operationen ging es ihr zunehmend besser; sie schien für einige Jahre rezidivfrei zu sein. Für die behandelnden Ärzte unerwartet entdeckte sie, etwa 12 Jahre nach Krankheitsbeginn, neue Metastasen und verstarb 2 Jahre später trotz verzweifelter Therapieanstrengungen.
Herr A. sprach von seiner Frau liebevoll und so, als ob sie noch lebte. Er berichtete über den Krankheitsverlauf in sachlichem Ton, schilderte die Beerdigung in allen Einzelheiten und beschrieb seinen inneren Kampf, nicht von den eigenen Gefühlen und einer für ihn unerklärlichen Todessehnsucht „übermannt“ zu werden. Nach einem Sommerurlaub nahm er seine Tätigkeit als höherer Verwaltungsangestellter wieder auf und trieb gleichzeitig in jeder freie Minute mit größter Anstrengung Sport, um sich zu ermüden und von Gefühlen und vom Denken abzulenken. Er unternahm immer neue Anstrengungen, um seine sportlichen Leistungen zu steigern; trotzdem ließen sich die Gedanken an seine Frau nicht ganz vertreiben. Nach einigen Wochen dieses intensiven Trainings fiel ihm auf, dass seine Leistungsfähigkeit wider Erwarten abnahm. Bei der hausärztlichen Untersuchung musste ein Belastungs-EKG wegen gefährlich hoher Blutdruckwerte abgebrochen werden. Herr A. wurde sofort krankgeschrieben und jeder Sport bis zur erneuten Arbeitsfähigkeit verboten.
Nach den Worten des Pat. kam damit eine Spirale in Gang, bei der es ihm ständig schlechter ging. Er fühlte sich niedergeschlagen, initiativlos und nichts machte ihm mehr Freude. Er zog sich von seinen Bekannten zurück und konnte selbst Hausarbeiten oder seine Korrespondenz nicht mehr erledigen. Diese Unfähigkeit beschämte ihn außerordentlich. Der einzig tragfähige Kontakt bestand zu seinem 21-jährigen Sohn, der allerdings in einer fernen Stadt arbeitete. Obwohl Herr A. bemüht war, seine Problematik herunterzuspielen, wurde er während des ersten Gesprächs förmlich von Affektausbrüchen geschüttelt. Da er keinen Appetit verspürte, hatte er erheblich an Gewicht abgenommen, wie er gestisch an den viel zu großen Hosen demonstrierte. In den folgenden Stunden hatte er sich und seine Emotionen wieder besser unter Kontrolle und schien nur noch wenig Zugang zu seinen Affekten und zu seiner inneren Welt zu haben. Es wurde deutlich, wie wenig Herr A. den Verlust seiner Frau bisher verarbeitet und sich innerlich von ihr getrennt hatte. Offensichtlich hatte er bislang nicht die Stärke gefunden, sich dem Trauerprozess zu stellen.
Der Therapeut fragte sich, ob der Pat. angesichts der eigenen Hilflosigkeit bei der progredient verlaufenden Krebskrankheit der Ehefrau unbewusst Schuldgefühle hatte. In der Gegenübertragung wurde er bei Herrn A.s Schilderungen sehr traurig, dachte an eigene verstorbene Angehörige und Kollegen. Er bemerkte beim Zuhören, wie schwer es ihm fiel, die Worte des Pat. in sich aufzunehmen und das Gesagte empathisch zu begleiten. Auch er spürte den Impuls wegzuhören und sich diese für ihn schreckliche Geschichte vom Leib zu halten. Da Herr A. trotz schwerer psychischer Krise zu keiner stationären Behandlung bereit war, entschloss sich der Therapeut zunächst zu einer hochfrequenten ambulanten Krisenintervention in Form von täglichen Telefonaten und zwei Gesprächsterminen pro Woche. In den Gesprächen vereinbarten Pat. und Therapeut für jeden Tag eine Aufgabe, die im Wesentlichen auf eine Stärkung der Selbstwirksamkeit des Pat. abzielte. Außerdem besprachen sie, dass der Pat. seinen Sport vorsichtig wiederaufnehmen solle.
Im ErwachsenenbindungsinterviewErwachsenen-Bindungsinterview (Adult Attachment Interview, AAIAdult Attachment Interview (AAI); George et al. 1985) schilderte Herr A. seine Mutter als eine überängstliche, besitzergreifende und überemotional reagierende Frau. Sie duldete in seiner Kindheit keinen Widerspruch, war nachtragend und kränkbar. Bei Konflikten redete sie in seiner Kindheit häufig tagelang nicht mit ihm. Der vorwiegend abwesende Vater reagierte gegenüber den Wünschen des Sohnes intolerant und bei Streitigkeiten rechthaberisch. Auf die junge Generation war er neidisch, weil diese es seiner Meinung nach besser hatte. Im Vergleich zu den Eltern wurde die Großmutter dagegen idealisiert.
Auf eine der integrativen FragenFragenintegrativeIntegrative Fragen1
1
Eine integrative Frage versucht zu ergründen, ob der Befragte kritische Lebensereignisse verarbeitet hat und in selbstreflexiver Weise mit der eigenen Geschichte umgehen kann, sodass z. B. damalige eigene und fremde Motive für den Interviewer ersichtlich werden. Die integrativen Fragen des AAI können einen Hinweis für eine sichere Bindung trotz traumatisierender Ereignisse in der Anamnese ergeben.
2
So wie die desorganisierte Bindung im Kindesalter (Bindungstyp D, Tab. 15.2) ist auch die Bindungsklassifikation U (unverarbeitetes Trauma) im Erwachsenenalter lediglich als Zusatzklassifikation und nicht als Hauptbindungsstrategie zu verstehen.
Herr A. vermied es, über negative Gefühle zu sprechen, und blendete bedrohliche Gefühle wie z. B. Reaktionen auf Zurückweisungen der Bezugspersonen aus. Er ließ nur positive Gefühle zu und benötigte scheinbar keine emotionale Unterstützung. Er schilderte die Beziehung zu seiner Frau so, als ob diese noch lebe; entsprechend benutzte er die Gegenwartsform, auch wenn es sich um vergangene Ereignisse handelte. Über den Tod seiner Ehefrau konnte er nur oberflächlich und intellektualisierend sprechen, und seine Antworten fielen außergewöhnlich kurz aus. Ihren Verlust hatte er emotional noch nicht verarbeitet. Das Bindungsmuster war beziehungsvermeidend (Ds 3) bei unverarbeitetem Verlust (Ul; Fn. 2).
Verlauf: In den Stunden sprach der Pat. über seine Arbeit, Schwierigkeiten mit Kollegen, er schnitt philosophische Themen an oder führte tagespolitische Themen ein. Wegen der abwehrenden Haltung überkamen den Therapeuten immer wieder Zweifel, ob der Pat. überhaupt an einer Therapie interessiert war. Über andere soziale Beziehungen wie Freunde oder Bekannte berichtete er nur ausnahmsweise. Der einzige Freund litt unter Eheproblemen und Alkoholabhängigkeit. Die stärkste emotionale Beziehung verband Herrn A. mit seinen australischen Freunden, die er allerdings aus verständlichen Gründen nur selten sah.
Wenn die Sprache darauf kam, nutzte der Therapeut die Gelegenheit, ausführlicher über die Lebensführung, die Ernährung oder das sportliche Training des Pat. zu sprechen. Auch gab er ihm Hilfen zur Wahrnehmung der Blutdruckkrisen, Möglichkeiten der Selbstregulation und beriet ihn in Fragen seines Blutdrucks. Allmählich schien der Pat. ein Gespür dafür zu bekommen, wann der Blutdruck eine bestimmte Höhe überschritt.
Während der Therapiestunden vermied es Herr A., sich an seine Ehe und seine Frau zu erinnern. Er reagierte sehr unwillig oder brach das Gespräch ab, wenn der Therapeut Verbindungen zu seiner Ehe und zur Verlusterfahrung herstellte. Er kämpfte unablässig gegen seine Gefühle und Erinnerungen an. Der Widerstand in der Übertragung und die vorsichtigen Versuche einer Bearbeitung machten dem Therapeuten deutlich, dass der Pat. ein inneres Arbeitsmodell (inner working model nach Bowlby) als eine unbewusste Überzeugung internalisiert hatte, wonach das Zulassen von Affekten bei allen bindungsrelevanten Themen für ihn höchst gefährlich ist. Seine Emotionen könnten ihn überschwemmen und völlig handlungsunfähig machen. Die Angst vor Ohnmacht und Ausgeliefertsein wurde gerade dann aktiviert, wenn der Therapeut den Verlust ansprach. Abhängigkeit verband der Pat. mit der Möglichkeit manipuliert zu werden, so wie er das von den primären Bezugspersonen kannte.
Das psychische Befinden besserte sich zum Erstaunen des Behandlers, auch ohne dass der Pat. über seine Frau und seine Gefühle ihr gegenüber sprach. Als der Therapeut die Zurückhaltung des Pat. thematisierte, reagierte dieser vehement mit dem Argument, dass er sich seine Frau nicht wegnehmen lassen wolle; er sei auch nicht bereit, seine Gefühle ihr gegenüber mitzuteilen, gefühlsmäßig solle alles so bleiben, wie es ist. Der Therapeut konnte nur bestätigen, dass er die vom Pat. selbst gesetzten Grenzen achten würde, äußerte aber auch Bedenken, ob die Anstrengung nicht sehr hoch sei, wenn der Pat. das Vergangene als Gegenwart aufrechterhalten wolle. Bis zum Beginn der Sommerferien wurden die Gespräche seltener, weil sich der Pat. besser fühlte und die Behandlungsfrequenz reduzieren wollte.
Nach dem Urlaub rief er notfallmäßig 1 Woche vor dem vereinbarten Termin an und bat um einen sofortigen Termin. Er hatte zuvor einige Wochen bei seinen Schwiegereltern verbracht. Dort besuchten ihn auch seine australischen Freunde, um mit ihm den Jahrestag des Todes seiner Frau zu verbringen. In dieser Zeit ging es ihm überwiegend gut, und er fühlte sich in der Familie seiner Frau aufgehoben. Erst am Tage seiner Rückkehr kam ihm alles leer vor; er verspürte eine eisige Einsamkeit und war sehr niedergeschlagen. Am ersten Arbeitstag erlebte er sich so depressiv, gehemmt und suizidal, dass er sich krank meldete. Es wurde jetzt erneut eine Krisenintervention notwendig, in der der „blockierte“ Trauerprozess wie auch die Vermeidung der traurigen Gefühle besser zu verstehen waren. Therapeutisch wurde es möglich, den Trauerprozess zu fokussieren und die Vermeidung von Erinnerungen und traurigen Affekten anzusprechen.
Auf die Krisenintervention sprach Herr A. gut an, seine Stimmung und auch seine Arbeitsfähigkeit verbesserten sich zunehmend, sodass er nach 10 Tagen seine Arbeit wiederaufnehmen konnte. Es folgte jetzt ein intensiver psychotherapeutischer Prozess, bei dem sich der Pat. aktiv und anhaltend motiviert beteiligte. In manchen Stunden schien er die Trauerstadien wie im Zeitraffertempo zu durchlaufen: Zu Anfang schien er sich gegen die Tatsache zu wehren, überhaupt von seiner Frau getrennt zu sein; es folgten Verzweiflung und Trauer, wenn er sich intensiv mit seinen Erinnerungen an die Verstorbene beschäftigte, in die sich auch Schuldgefühle wegen möglicher Unterlassungen und Wut über das Verlassen-worden-Sein und seine Einsamkeit mischten. Allmählich lösten sich Trauer und Verzweiflung und er wandte sich zunehmend mehr seinem Beruf zu, der ihm Struktur und Anerkennung gab. Seither fühlte er sich stabilisiert, und auch sein Blutdruck sank weiter; allerdings nahm auch die vermeidende Bindungsstrategie wieder zu. Etwas über 1 Jahr nach dem Erstkontakt konnte die Behandlung beendet werden, und bei einer katamnestischen Nachuntersuchung ein weiteres ½ Jahr später war sein psychisches Befinden unverändert stabil, und sein Blutdruck hatte sich normalisiert.
15.1
Einleitung
15.1.1
Begriffsklärung und diagnostische Einordnung33
Die entwicklungspsychologische Einordnung des Affekts der Trauer erfolgt in Kap. 12.
3
Die entwicklungspsychologische Einordnung des Affekts der Trauer erfolgt in Kap. 12.
Die Anzeichen der Anpassungsstörungenklinisches BildAnpassungsstörung sind unterschiedlich und umfassen depressive Stimmung, Angst, Besorgnis, das Gefühl, unmöglich zurechtzukommen, vorauszuplanen oder in der gegenwärtigen Situation fortzufahren, ferner eine gewisse Einschränkung bei der Bewältigung der alltäglichen Routine. Besonders bei JugendlichenJugendlicheTrauerprozess kann eine Störung des SozialverhaltensstörungenJugendlicheJugendlicheSozialverhaltensstörungenSozialverhaltens, z. B. aggressives oder dissoziales Verhalten, zu dieser Störung gehören. Bei Kindern sind regressive Phänomene wie das Wiederauftreten von BettnässenBettnässen, BabyspracheBabysprache oder DaumenlutschenDaumenlutschen häufig zu beobachten.
15.2
Erscheinungsformen und Verlauf von Trauerprozessen
4
Unter einem Selbstobjekt versteht man dabei nach Kohut (1971, 1977) diejenige Dimension unseres Erlebens eines Mitmenschen, die mit seiner Funktion als Stütze unseres Selbst verbunden ist. Das Selbstobjekt ist also der subjektive Aspekt einer das Selbst erhaltenden Funktion, zustande gekommen durch die Beziehung zwischen Selbst und Objekt.
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grief: Leiden über den Verlust (Traurigkeit, Kummer, Verlustschmerz)
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mourning: Ausdruck von Trauer (Handlungen, Gefühle) durch Trauernde
5
Neuerdings wurde im MRT nachgewiesen, dass der Ncl. accumbens, ein Teil des Belohnungssystems, bei Personen mit pathologischer Trauer besonders intensive Signale abgibt. Diese Hirnstruktur spielt bei Drogensucht eine Rolle, und ähnlich wie bei dieser bleibt dann ein dauerhaftes Verlangen (Craving) nach der Gegenwart des Verstorbenen bestehen (O'Connor et al. 2008).
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von der Natur und Qualität der Objektbeziehungen zur verlorenen Person,
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vom Ausmaß des Erreichens von Selbst-Objekt-Differenzierung in der Kindheit,
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von einem Dispositions- bzw. Vulnerabilitätsfaktor (frühere Verluste und Traumata) und
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von den besonderen Umständen des Verlusts.
15.3
Trauer und Verlust in der Bindungstheorie
6
Es gibt sogar Hinweise dafür, dass nach Verlust ähnliche Hirnstrukturen (Ncl. caudatus) im MRT aktiviert sind wie bei romantischer Liebe (s. Gündel et al. 2003.). Diese Aktivierung kann auf der Aktivierung autonomer motorischer Programme basieren, die mit dem Gefühl, sich zu jemandem hingezogen zu fühlen, in Verbindung stehen könnten.
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Unerwartete Trauer (bei schweren und unerwarteten Trauerprozess/-reaktionunerwarteteVerlusten) ist charakterisiert durch Schock und Ungläubigkeit sowie die Überzeugung, dass die tote Person noch lebt. In einer Untersuchung von Parkes (1991) hatten alle sicher gebundenen Personen mit pathologischer Trauer plötzliche, unerwartete oder mehrfache Verluste erlitten.
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Verzögert auftretende Trauer tritt vor allem bei Trauerprozess/-reaktionverzögert auftretendevermeidendem Bindungsstil auf und ist charakterisiert durch fehlende emotionale Reaktion, Unfähigkeit zu weinen und Beruhigung und Befriedigung in anderen Beziehungen zu erfahren (vgl. Fallbeispiel).
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Chronische (prolongierte) Trauer ist Folge von Trauerprozess/-reaktionprolongierteTrauerprozess/-reaktionkonflikthafteTrauerprozess/-reaktionchronischeTrauerprozess/-reaktionambivalenteVerzweiflungszuständen, aus denen es kein Entkommen zu geben scheint.
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Konflikthafte (ambivalente) Trauer ist bei vorbestehenden konflikthaften Beziehungen zu beobachten und führt u. U. zunächst zu Gefühlen von Entlastung und später zu heftigen Selbstvorwürfen.
Abschließend sei noch auf die aktuelle Diskussion zum Thema Fortsetzung der Bindungsbeziehungen über den Tod oder Verlust hinaus hingewiesen (Klass et al. 1996). Es scheint nach diesen Untersuchungen keineswegs notwendig, Bindungen nach Verlust oder Trennung aufzugeben, um neue Bindungen eingehen zu können. Die Frage ist jedoch auch hier noch ungeklärt, wie die neuen Bindungen dann beschaffen sind (Bindungstyp?) und wie sie vorher waren.
15.4
Trauer, Bindung und Embodiment
15.5
Trauer und Depression
15.5.1
Gesundheitsrisiken und Erkrankungen
Risikomerkmale für ErkrankungenTrauerprozess/-reaktionRisikomerkmale für Erkrankungen sind Todesart und -umstände, soziale Begleitumstände, Merkmale der Beziehung zum Verstorbenen und Merkmale der Hinterbliebenen. Bei gewaltsamen, ungewöhnlichen, mit einer persönlichen Bedrohung einhergehenden oder gehäuften Verlusten besteht ein erhöhtes Risiko für eine PTBS bzw. pathologische Trauer. Die Fähigkeit zu trauern kann durch eine orale Fixierung beeinträchtigt sein, ausgerichtet auf das passive Aufnehmen von körperlicher und seelischer Nahrung und Zuwendung und eine geringe Toleranz für Versagungen und Enttäuschungen. Personen, die zur Entwicklung von Depressionen neigen, sind auch aufgrund ihrer mangelhaften Reifung und Integration von Ich-Ideal und Über-Ich besonders auf die reale und ständige Präsenz idealisierter Objekte für Wohlgefühl, Sicherheit und Selbstachtung angewiesen.
15.5.2
Klinische Kriterien zur Abgrenzung von Trauer und Depression
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Kulturübergreifende mimische Ausdrucksmuster von Trauerprozess/-reaktionmimische Ausdrucksmuster, kulturübergreifendeTraurigkeit (Senken der Mundwinkel, Heben des inneren Teils der Augenbrauen und Herunterziehen der Unterlippe) wurden bereits von Darwin beschrieben. Er sah sie als Resultat des Drangs, wie Kinder auf eine Trennung hin laut aufzuschreien, und seine Hemmung an. Affektstudien wiesen bei depressiven Verstimmungen (Beutel 1996) eine komplexe Mischung von Wut, Angst und Ekel nach.
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In der Gegenübertragung wecken Trauerprozess/-reaktionGegenübertragungGegenübertragungTrauerTrauernde Mitgefühl, Traurigkeit oder Peinlichkeit und vermögen beim Gegenüber eigene Trauer wiederzubeleben. Hingegen mischen sich in die Gegenübertragung mit zunehmender Schwere einer depressiven Reaktion Distanziertheit, Ungeduld oder Gereiztheit als Reaktionen auf Negativismus, narzisstische Selbstbezogenheit und Selbstmitleid. Monoton wiederholte Selbstbezichtigungen, letztlich verdeckte Anklagen gegen das enttäuschende Objekt, können beim Untersucher gleichfalls schwer erträgliche Gefühle von Macht- und Nutzlosigkeit, Hoffnungslosigkeit oder Ärger hervorrufen.
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Vorwiegend gute, kostbare ErinnerungenTrauerprozess/-reaktionErinnerungen an den Verstorbenen rufen bei Trauernden intensive Sehnsucht und Traurigkeit hervor, die in Wellen verlaufen (s. Fallbeispiel). Anhaltende depressive Verstimmung, innere Leere, Ärger oder Feindseligkeit können Ursache und Folge schlechter, enttäuschender Erinnerungen sein oder Anklagen gegen das Objekt („Du hast mich im Stich gelassen“).
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Der Trauernde beschäftigt sich intensiv mit dem verlorenen Objekt: „Ein trauriger Mensch weiß, wen (oder was) er verloren hat, und sehnt sich nach seiner (oder dessen) Rückkehr“, während Depression oft unpersönlichen Charakter zeigt („Es drückt mich nieder“ statt „Ich trauere um …“). Daher spricht Freud (1917) von einem „dem Bewusstsein entzogenen Objektverlust“. Durch die Beschäftigung mit eigenem Leiden und Selbstmitleid wird die Lösung vom Verstorbenen gemieden. Der Depressive, nicht aber der Trauernde erlebt sich selbst als leer, schlecht, wertlos, unfähig oder verachtungswürdig.
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•
Die intensive Auseinandersetzung mit dem Verstorbenen in der Trauerarbeit kann zu vorübergehender Einengung von Interessen und sozialen Bezügen führen. Die Befriedigung ist bei zuvor hoch geschätzten Aktivitäten vermindert, wenn diese schmerzliche Erinnerungen an das verlorene Objekt wecken. Anhaltende Beeinträchtigungen gewohnter Interessen, Aktivitäten und Leistungsfähigkeit, vor allem aber eine ausgeprägte AntriebshemmungAntriebshemmung/-mangel deuten hingegen auf depressive Zustände hin. Generalisierte Hemmungen können dazu dienen, Feindseligkeit abzuwenden und den Schmerz abzustumpfen.
-
•
Die Hoffnung auf Erholung bzw. Überwindung der Trauer gründet sich auf die Wiedergewinnung von verinnerlichten „guten“ Erfahrungen (Klein 1940) und die Möglichkeit des Trauernden, bei anderen Trost zu suchen: Der Trauernde „glaubt irgendwo in seinem Innern, mit der Zeit und mit Unterstützung werde er fähig sein, sich wieder zu erholen, und sei es nur ein wenig“ (Bowlby 1987). In depressiven Zuständen hingegen erscheint das Ich hilf- und hoffnungslosIchhilf- und hoffnungsloses, ohnmächtig, Trauerprozess/-reaktionHoffnungmutlos und resigniert. Der Depressive fühlt sich nicht nur unfähigDepression/depressive StörungenHoffnungslosigkeit, das sehnlichst erwünschte Liebesobjekt und damit verbundene Wünsche oder Ziele zu erreichen, sondern oft auch unfähig, irgendetwas zu erreichen. Depressive Verarbeitungsmuster wie Selbstanklagen, -mitleid, latente Feindseligkeit und generalisierte Hemmung können andere in ihren hilfreichen Bemühungen entmutigen und den Depressiven daran hindern, Trost anzunehmen.
Nach psychoanalytischem Verständnis spielen unbewusste Identifikations- oder Verlust(erlebnisse)Identifikations- oder IntrojektionsvorgängeTrauerprozess/-reaktionIdentifikations- oder IntrojektionsvorgängeIntrojektionsvorgänge eine entscheidende Rolle für die Verarbeitung eines Verlusts. Freud (1917) erklärte die Neigung Depressiver zur Identifikation mit dem verlorenen Objekt damit, dass diese Menschen sehr auf das Liebesobjekt angewiesen seien, zu dem sie zugleich auch zwiespältige Gefühle haben. Kommt es bei Enttäuschung oder Verlust zur Identifizierung mit dem aufgegebenen Objekt, werden Wut und Enttäuschungsgefühle gegen die eigene Person gewendet. Hinterbliebene nehmen als Ausdruck der Identifikation Züge an, die denen des Verstorbenen ähneln.
Exkurs: Trauerprozesse nach dem Verlust einer Schwangerschaft und eines Kindes
Der Tod eines Trauerprozess/-reaktionVerlust eines KindesKindstod, TrauerKindes durch Fehl- oder Totgeburt ist ein „unzeitgemäßer“, der Generationenfolge widersprechender Verlust. Schwer zu begreifen ist, wie die Geburt, welche das Paar wochen- und monatelang herbeigesehnt hat, zugleich der Tod ihres Kindes ist. Im Unterschied zum Verlust einer nahestehenden Person fehlt jedoch eine greifbare Beziehungserfahrung mit einer lebendigen Person. Vor allem die erste Schwangerschaft ist eine verwundbare Phase, in der Selbstbild, soziale Beziehungen, Partnerschaft und Lebensgestaltung neu organisiert werden. Ungelebt bleibt nicht nur die Entwicklung des Kindes, sondern auch ein wesentlicher Teil der Lebensentwürfe der Eltern. Zum Schmerz über den Verlust kommen Scham- und Versagensgefühle, als Frau dem eigenen Ideal von Mütterlichkeit nicht genügt und kein lebensfähiges Kind hervorgebracht zu haben (Beutel 2002; Scheidt et al. 2007).
War die Schwangerschaft gewünscht und besteht eine ausgeprägte Bindungsbereitschaft zum Kind, ist Trauer ein notwendiger und schmerzlicher Prozess, der in ähnlichen Phasen wie nach dem Verlust einer nahestehenden Person verläuft.
Risikomerkmale Depression/depressive StörungenVerlusterlebnissefür eine depressive Reaktion sind eine zwiespältige Einstellung zur Schwangerschaft, frühere Depressionen, Ängste, unverarbeitete Belastungen im vorangegangenen Jahr, ungünstige Begleitumstände, mangelnde Gesprächsmöglichkeit, fehlende Anerkennung des Kummers und fehlende Unterstützung. Wenn nur geringe Hoffnung auf eine neuerliche Schwangerschaft besteht, kann es zur Entwicklung einer chronischen Trauer kommen.
15.6
Zur Psychobiologie von Trauerprozessen
Wesentliche Quelle der Trauerprozess/-reaktionBelastungenBelastungen bei Trauerprozessen ist die Abwesenheit der verstorbenen Person, während bei der PTBS Furcht vor dem Wiedererleben des Stressereignisses besteht.
Verlust(erlebnisse)psychoneuroimmunologische AspektePsychoneuroimmunologisch scheint Einsamkeit die entscheidende Komponente von Verlusterlebnissen zu sein (Hennig 1998). Erlebte EinsamkeitEinsamkeit, Verlusterlebnisse geht mit einer Reduktion der Immunkompetenz einher. Es gibt Hinweise dafür, dass eine verminderte In-vitro-Lymphozytenproliferationsrate nach dem Tod eines Partners nachweisbar ist (Schedlowski und Tewes 1996). Bei Primaten führt die Trennung von der Mutter zu Veränderungen der Immunregulation. Diese Trennungs-(Verlust-)Erfahrungen scheinen sich, bei großen individuellen Unterschieden, auch langfristig (d. h. für 1–2 Jahre) auf das Trennungs-/VerlusterfahrungenImmunsystemImmunsystemTrennungs-(Verlust-)ErfahrungenImmunsystem auszuwirken (verminderte Lymphozytenaktivierung).
15.7
Therapeutische Begleitung bei Trauerprozessen
Eine therapeutische Begleitung ist indiziert, wenn der Trauerprozess durch pathologische Trauerprozess/-reaktiontherapeutische BegleitungTrauer, Depression oder Angsterkrankung kompliziert wird (Stroebe et al. 2005). Das therapeutische Vorgehen richtet sich nach Symptomatik, Art und Umständen des Verlustes und der verstrichenen Zeitdauer:
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Es kann in Form einer Einzelberatung oder -psychotherapie und/oder als Trauerberatung in einer Gruppe bzw. Trauerprozess/-reaktionGruppentherapieGruppenpsychotherapieTrauerGruppentherapie stattfinden.
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Bei massiven Angstzuständen kann teilstationäre Behandlung indiziert sein. Stationäre Behandlung empfiehlt sich bei deutlicher Beeinträchtigung von Alltagsfunktionen in Kombination mit möglicher Einschränkung der Steuerungsfähigkeit bei stärkeren depressiven Reaktionen und Panikreaktionen.
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Bei pathologischer TrauerTrauerprozess/-reaktionpathologische kann eine konfrontative und bewältigungsorientierte ExpositionsbehandlungExpositionstherapieTrauer, pathologischeExpositionstherapiebewältigungsorientierte hilfreich sein (Znoj 2004). Noch wirksamer ist eine psychodynamischePsychodynamische PsychotherapieTrauer, pathologische Kurztherapie, besonders wenn sie Beziehungsaspekte einschließt, weil damit die unsicheren Bindungsmuster der Betroffenen am ehesten eine Korrektur erfahren können (Strauß et al. 2002).
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Mittlerweile wurde ein spezifisches EMDR-Protokoll zur Bearbeitung von Trauerprozessen entwickelt (Solomon und Rando 2007, 2012Solomon und Rando 2007Solomon und Rando 2012). Dabei werden vor allem die Hindernisse, die den Trauerprozess erschweren, in den Blick genommen und mittels EMDR prozessiert. Die Erfolge bei Verlust und Trauer sind vielversprechend.
-
•
Die möglichst konkrete Beschreibung der äußeren Umstände des Verlustes und der emotionalen Reaktionen hilft, die Realität des Verlustes anzuerkennen und Blockaden bei der Trauerarbeit zu erkennen.
-
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Hierzu gehört die Klärung der Beziehung, positiver und negativer Einstellungen zum Verstorbenen.
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Wichtig ist, sich ein genaues Bild über die Folgen des Verlusts für das Selbstkonzept und die Lebensentwürfe zu machen.
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Zu eruieren sind frühere, möglicherweise ungelöste Verluste, die Verlust(erlebnisse)ungelösterzu erhöhter Verwundbarkeit und eingeschränkten Bewältigungsmöglichkeiten beitragen. Dabei kann es sich auch um verschwiegene oder tabuisierte Verluste in der Familie handeln (z. B. Fehl- oder Totgeburten und der Tod von Geschwistern).
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Die empathische Zuwendung des Therapeuten ermöglicht dem Patienten, Traurigkeit, Ärger, scham- und schuldbesetzte Gefühle auszudrücken. Tiefe Hilflosigkeit und Verzweiflung kann das Bedürfnis beim Therapeuten auslösen, voreilig zu handeln, zu trösten oder sich zu distanzieren. Eine medikamentöse Therapie (v. a. Gabe von Anxiolytika) kann den Verlauf einer normalen Trauer blockieren.
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Gegenstände können helfen, den „unfassbaren“ Verlust eines KindesTrauerprozess/-reaktionVerlust eines KindesKindstod, TrauerVerlust(erlebnisse)eines Kindes in der Schwangerschaft zu konkretisieren: Erinnerungen an das verlorene Kind (Fotos, Ultraschallaufnahmen), „Tröster“ (z. B. dem Kind zugedachte Stofftiere), Namen oder „Brückenobjekte“, die unbewusst eine Verbindung zum verlorenen Kind herstellen. Ähnliches gilt auch bei Verlusten älterer Menschen, wo die trauernden Personen aufgefordert werden, Fotografien des Verstorbenen mitzubringen sowie zugehörige Lebensumstände und Geschichten zu erzählen.
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Überlebende Personen sind nicht nur für verwaiste Kinder hilfreich und unverzichtbar, sondern auch für Erwachsene, die einen schweren Verlust erleiden (Hagman 1996). Nach dem Verlust eines Kindes erscheint die Einbeziehung des Partners als Schlüsselperson sinnvoll. Paarberatung oder -therapie helfen, anstelle von Entfremdung und Missverständnis gegenseitige Unterstützung zu finden. Sind bereits Kinder vorhanden, ermöglicht die Hilfe bei deren Bewältigung des Verlusts, Kompetenz und elterliches Selbstwertgefühl zurückzugewinnen. Der Anschluss an eine Selbsthilfegruppe kann sehr entlastend sein (Beutel et al. 1997).
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Selbst wenn tiefgreifendere neurotische Entwicklungen erkennbar werden, ist die Bereitschaft zu intensiver Psychotherapie begrenzt, Verlust(erlebnisse)PsychotherapieTrauerprozess/-reaktionPsychotherapiePsychotherapieTrauerwennPsychotherapieVerlust Patienten durch ihre akute Trauer beansprucht sind.
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Sozialer Druck, rasch über denTrauerprozess/-reaktionsozialer Druck Verlust hinwegzukommen, kann zu Unterdrückung von Trauer und zur Verunsicherung über die Angemessenheit eigener Reaktionen führen (Beutel et al. 1997). Präventiv kann die Beratung helfen, Ärger auf den Verstorbenen als Auflehnung gegen unerwartete, bedrohliche Verluste anzuerkennen, halluzinatorische Erfahrungen oder „Dialoge“ mit dem Verstorbenen als Ausdruck anhaltender Bindung oder Wege zu finden, positive Erinnerungen zu bewahren (entgegen der belastenden Vorstellung; sich verabschieden hieße, den Verstorbenen zu „vergessen“).
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In Fokaltherapien, in denen Trauerprozess/-reaktionFokaltherapieFokaltherapieTrauerzuvor blockierte Trauer erlebt wird, entsteht oft eine intensive Übertragungsbeziehung. Die Trauerarbeit über die Therapiebeendigung und die Begrenzung der in der beschränkten Zeit bearbeitbaren Themen kann als „Modell“ dienen, um mit der Begrenzung der realen Lebensmöglichkeiten aufgrund des erlittenen Verlusts umzugehen und die Krisensituation konstruktiv zu nutzen.
Literaturauswahl
Allegra et al., 2015
American Psychiatric Association, 2013
Assareh et al., 2015
Bowlby, 1980
Freud, 1917
Parkes, 1991
Schultze-Florey et al., 2012
Spangler and Schieche, 1995
Worden, 1999