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978-3-437-44446-3
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a bis f Röntgenanatomie des Schluckakts mit korrespondierender anatomischer Zeichnung: a) Der Bolus liegt schluckfertig zwischen Zunge und Gaumen. b) Der Bolus wird Richtung weicher Gaumen und Zungengrund bewegt. c) Der Bolus tritt durch die Schlundenge bei velopharyngealem Abschluss. d) Der Bolus hat bei Zungenbein-Kehlkopf-Anhebung und Zungengrundrückverlagerung den Hypopharynx erreicht. e) Der Bolus passiert den OÖS. f) Der Bolus ist vollständig im Ösophagus. Die Pfeile geben die Bewegungsrichtung der Schluckorgane an.
[L234, M857]

Kehlkopfschema mit Lokalisation von Residuen (1–5) Penetration (6–9) und Aspiration (10) bei Laryngoskopie (Schröter-Morasch & Ziegler, 2002)
[L234]

Sensomotorische Innervation Schlucken/Schluckvorgang:sensomotorische Innervationbeim HypopharynxSchluckvorgang
Struktur | Muskeln | motorisch | sensibel |
harter Gaumen, Oberkiefer | N. V2 | ||
Unterkiefer, Kiefergelenk | Kaumuskeln | N. V3 | N. V3 |
Lippe, Wange | mimische Muskeln | N. VII | Nn. V2, V3 |
Zunge | Zungenmuskeln | N. XII | N. V3 Zungengrund: N. IX |
Gaumensegel | Gaumensegelheber, Gaumensegelspanner, Gaumenbogenmuskeln | N. V3, N. IX, N. X | oral N. V3, pharyngeal N. IX |
Wand des Oro- und Hypopharynx | Schlundschnürer, Schlundheber | N. IX N. X |
N. IX, N. X |
Kehlkopf als ganzes, Zungenbein | obere und untere Zungenbeinmuskeln | Nn. V3, VII, XII, C1-C3 | N. X |
Stimm- und Taschenfalten | Kehlkopfmuskeln | N. X | N. X |
Ösophaguswand | Ösophagusmuskeln | N. X Sympathikus |
N. X Sympathikus |
Plexus cervicalis C1–C3: Geflecht aus den Spinalnerven des 1. bis 3. Halssegments des Rückenmarks
N. sympathicus: Teil des vegetativen Nervensystems
Medikamente mit Schluckstörungen:medikamentös induzierteunerwünschter Wirkung auf Schluckvorgang
Medikamentengruppe | Indikation | Wirkung auf Schlucken |
Anticholinergika | Bronchialerweiterung, Harnabflussbesserung | Trockenheit |
Antidepressiva | Depression | Trockenheit, Sedierung |
Antihistaminika | Allergie | Trockenheit, Sedierung |
Antihypertensiva | Bluthochdruck | Trockenheit |
Botulinustoxin | Erhöhter Muskeltonus | Muskellähmung |
Lipidsenker | erhöhte Blutfette | Muskelschwäche |
Lokalanästhetika | örtliche Betäubung | Sensibilitätsstörung |
Kortikosteroide | Asthma, Rheuma, Autoimmunerkrankung | Muskelschwäche |
Neuroleptika | Schizophrenie, psychotischer Wahn, Delir |
schmerzhafte Zungen- und Kieferkrämpfe, unwillkürliche Bewegungen der Zungen-, Mund-, Kaumuskeln, Auslösen des Parkinson-Syndroms (Kap. 9.6) |
Protonenpumpenblocker | Magensäurerückfluss | Trockenheit |
Tranquilizer | Schlafstörung, Angst | Trockenheit, Muskelschwäche, Zittern |
Schluckstörung nach tumorchirurgischen Schluckstörungen:nach tumorchirurgischen ResektionenHypopharynx:TeilresektionResektionen
Operation | nasale Pen. | laryngeale Pen./Asp. | T.-Behinderung in Mundhöhle und Oropharynx | T.-Behinderung am OÖS |
Velum-/Oropharynxresektion | + | - | + | - |
vordere Zungenteilresektion | - | + | + | |
Zungengrundteilresektion | + | ++ | ++ | - |
Hypopharynxteilresektion | - | + | + | + |
obere Ösophagusteilresektion | - | - | - | ++ |
horizontale, offene Kehlkopfteilresektion | - | ++ | + | - |
vertikale, offene Kehlkopfteilresektion | - | + bis ++ | - | + |
endoskop. Teilresektion des Hypopharynx oder Larynx | - | + bis ++ | - | |
Laryngektomie | - | - (+∗) | - | + |
Neck Dissection | - | - | (+∗∗) | (+∗∗∗) |
Tracheotomie | - | - | - | + |
Pen: Penetration, Asp: Aspiration, T: Transport
- Störung unwahrscheinlich + Störung möglich ++ Störung wahrscheinlich
∗
Ausnahme: undichte Ventilprothese +
∗∗
Bei Hypoglossusparese +
∗∗∗
Bei Vagusparese
Schweregradeinteilung der Schluckstörungen:AspirationAspiration:SchweregradeinteilungAspiration:SchluckstörungenAspiration nach dem klinischen Befund (Miller & Eliachar, 1994)Hypoxie
Grad | klinischer Befund |
I | gelegentliche Aspiration ohne Komplikation |
II |
|
III |
|
IV |
|
Schweregradeinteilung der Schluckstörungen:AspirationAspiration:SchweregradeinteilungAspiration:SchluckstörungenAspiration nach dem laryngoskopischen Befund (Schröter-Morasch, 1996)
Grad | Aspirationssymptomatik |
0 | keine Aspiration |
I | gelegentliche Aspiration bei erhaltenem Hustenreflex |
II | permanente Aspiration bei erhaltenem Hustenreflex oder gelegentliche Aspiration ohne Hustenreflex mit gutem willkürlichem Abhusten |
III | permanente Aspiration ohne Hustenreflex mit gutem willkürlichem Abhusten |
IV | permanente Aspiration ohne Hustenreflex, ohne willkürliches effektives Abhusten |
Schweregradeinteilung der Aspiration:SchweregradeinteilungAspiration nach dem radiologischen Befund (Hannig et al., 1995)Schluckstörungen:AspirationAspiration:Schluckstörungen
Grad | Aspirationssymptomatik |
I | Aspiration des im Aditus∗ und Ventriculus laryngis retinierten Materials bei erhaltenem Hustenreflex |
II | Aspiration von ca. 10 % des Bolusvolumens bei erhaltenem Hustenreflex |
III | Aspiration von unter 10 % des Bolusvolumens bei reduziertem Hustenreflex oder Aspiration von über 10 % des Bolus bei erhaltenem Hustenreflex |
IV | Aspiration von über 10 % des Bolusvolumens bei fehlendem Hustenreflex |
∗∗Ventriculus laryngis: Raum zwischen Taschen- und Stimmfalte
∗
Aditus laryngis: Kehlkopfeingang
Übungen zur Zungenkraftübung, SchluckstörungenShaker-Manöver, SchluckstörungenSchluckstörungen:MuskelkräftigungSchluckreflexauslösung:SchluckstörungenPerlman-Übungen, SchluckstörungenMasako-Manöver:SchluckstörungenLee Silverman Voice Training (LSVT):SchluckstörungenMuskelkräftigung
Übung („Manöver“) | Ziel | Durchführung |
Shaker-Manöver: Kopfhebe-Übung |
Kräftigung der suprahyoidolaryngealen Muskulatur |
wiederholtes Anheben des Kopfs in Rückenlage liegend und 1 min in angehobener Position halten |
Masako-Manöver: Zungenhalte-Übung |
Kräftigung der Rachenhinterwand und der Zungenbasis | Zunge zwischen die Zähne halten und „Leerschlucken“ |
Lee-Silverman-Voice treatment | Besserung der schluckrelevanten Muskeln als Nebeneffekt der Schluckfunktion | spezielle Stimm- und Artikulationsübungen |
Schluckreflexauslösung | Beschleunigung der Auslösung durch erhöhten sensorischen Input | taktil-thermale und gustatorische Stimulation der Gaumenbögen mit Eisstab und Geschmack |
Zungenkraftübung | Kräftigung der Zunge | isometrische Zungenübung |
Perlman-Übungen | Kontraktion des oberen Rachens und Velums | Trockenschlucken, Valsalva∗ mit [k] oder [hɔ:k] sprechen |
∗
Valsalva-Manöver: Nasenflügel zusammenpressen, Luft in Ohren drücken durch Erhöhung des intrathorakalen Drucks
Throatclearing (Rachenputzen, Schluckstörungensupraglottische Kipptechnik, SchluckstörungenSchlucktechnikenMendelsohn-Technik:SchluckstörungenSchlucktechniken
Schlucktechnik | Ziel | Durchführung |
kraftvolles Schlucken | Schubkraft der Zunge und Zungenbasis-Rachenannäherung | bewusstes, hartes Schlucken |
supraglottisches Schlucken |
willkürlicher Kehlkopfverschluss während des Schluckens und Reinigung | Einatmen, Atemanhalten, Schlucken, Abhusten |
super-supraglottisches Schlucken | willkürlicher Kehlkopfverschluss während des Schluckens und Reinigung | Einatmen, Atemanhalten mit Pressen, Schlucken, Abhusten |
supraglottische Kipptechnik |
Füllen des Rachens mit Flüssigkeit bei gleichzeitigem Kehlkopfverschluss | Einatmen, Atemanhalten mit Pressen, Flüssigkeit in Mund nehmen, durch Kopfhebung in Rachen kippen, mehrmals Schlucken, Abhusten |
Mendelsohn-Technik | Verbesserung Zungenschubkraft und Kehlkopfhebung, Verlängerung der Öffnungszeit des oberen Ösophagus | Schlucken, Kehlkopf willkürlich 2 Sekunden vorne-oben lassen mit Pressen des Zungengrunds, dabei Zungenkörper gegen Gaumendach entspannen |
Reinigung Throat Clearing („Rachenputzen“) |
Entfernung von Residuen aus Pharynx, Larynx, evtl. Trachea | Räuspern, bewusstes Husten, erneutes Schlucken, evtl. Ausspucken |
Schluckstörungen
Lernziele
•
Phasen des Schluckvorgangs und ihre Störungen
•
klinische, endoskopische und radiologische Diagnostik
•
relevante neurologische und strukturelle Störungsbilder
•
Grundzüge der operativen und nichtoperativen Therapie
10.1
Physiologie und Pathophysiologie
10.1.1
Terminologie
•
ausreichende Respiration, um sich eine Atempause von mehreren Sekunden leisten zu können
•
ausreichende Sensibilität und Motilität in den beteiligten Strukturen Mundhöhle, Rachen, Kehlkopf, Ösophagus
•
Koordination und Innervation von annähernd 50 Muskelpaaren für den motorischen Schluckvorgang.
10.1.2
Anatomische Grundlagen
Bewegte Strukturen
Verschlussmechanismen
•
Abschluss der Mundhöhle nach außen: Lippen- und Zahnreihenschluss durch Kieferschluss und mimische Muskulatur
•
Abschluss der Mundhöhle zum Oropharynx: Velum in Anteriorposition, Isthmus faucium verengt, Zungengrund angehoben
•
velopharyngealer Verschluss (Kap. 5.1.1): Gaumensegelmuskulatur und oberer Schlundschnürer heben Gaumensegel und bilden Passavant-Wulst
•
laryngealer Verschluss auf drei Ebenen (Kap. 6.1.1)
–
Dorsalkippung des Kehldeckels gegen Zungengrund durch hyolaryngeale Exkursion (Zungenbein-Kehlkopf-Bewegung)
–
Annäherung der Aryknorpel, der aryepiglottischen Falten, der Taschenfalten
–
feste Adduktion der Stimmlippen
•
pharyngo-ösophagealer Verschluss: OÖS (Kap. 5.1.1)
•
ösophago-gastraler Verschluss: UÖS (Kap. 5.1.1).
Steuerung
•
doppelseitig zu jedem motorischen Trigeminuskern, unteren Fazialiskern:oberer/untererFazialiskern, Glossopharyngeus- und Vaguskern
•
einseitig gekreuzt zum gegenseitigen oberen Fazialiskern und Hypoglossuskern.
•
limbisch: zum limbischen System gehörend, einem Gebiet des Großhirns, das saumartig (lat. limbus: Saum) das Zwischenhirn umgibt
•
sensomotorisch: sensible afferente und motorische efferente Bahnen und Kerngebiete des Nervensystems betreffend
•
vegetativ: zum unwillkürlichen, autonomen („selbstregulierenden“) Nervensystem gehörend
10.1.3
Schluckphasen
Orale Vorbereitungsphase
-
•
Umfang: Nahrungsaufnahme Schlucken/Schluckvorgang:orale Vorbereitungsphaseund Bolusbereitung in der Mundhöhle
-
•
Dauer: abhängig von Konsistenz (Art, Beschaffenheit) der Nahrung Sekunden bis Minuten
-
•
Steuerung: willkürlich, beeinflusst von der Schluckbereitschaft, die wiederum von Anblick, Geruch, Geschmack der Nahrung sowie Hunger- und Durstgefühlen abhängt
-
•
Vorgang
-
–
Aufnahme der Nahrung: Saugen, Trinken, Abbeißen, Einschieben
-
–
Abdichten der Mundhöhle durch Lippenschluss, Wangenanspannung und Anteriorstellung des Gaumensegels und Anheben des Zungenrückens zur Verengung des Isthmus faucium
-
–
Prüfung der Nahrung hinsichtlich Geschmack, Geruch (gustatorisches Riechen), Temperatur, Festigkeit
-
–
Bolusbereitung: Zerkleinerung der Nahrung, Mischen mit Speichel und Formung durch Kauen, Zungen- und Wangenbewegung
-
–
Platzierung des Bolus auf dem Zungenrücken
-
–
beim Schlucken von flüssigem Material ist keine Bolusbildung, sondern nur portionsweise Platzierung auf dem Zungenrücken nötig.
-
Orale Transportphase
-
•
Umfang: Schlucken/Schluckvorgang:orale TransportphaseBolusbeförderung aus der Mundhöhle in den Oropharynx und Auslösen des Schluckreflexes
-
•
Dauer: 0,9 bis 1,5 Sekunden
-
•
Steuerung: willkürlich ausgelöst
-
•
Vorgang
-
–
Lippenschluss und Wangenanspannung bewirken Sog auf Bolus in Richtung der hinteren Mundhöhle, Kieferschluss verhindert Abgleiten des Bolus in Mundvorhof
-
–
in der Zungenmitte bildet sich eine Furche als Gleitrinne für den Bolus
-
–
Zungenbewegung nach vorne und oben schiebt Bolus zu den vorderen Gaumenbögen und zum Zungengrund
-
–
Schluckreflex wird ausgelöst bei Berührung des Gaumensegels und des Zungengrunds (Triggerareale)
-
–
flüssiges Material wird direkt an die Triggerareale „gespritzt“.
-
Pharyngeale Phase
-
•
Umfang: Bolusbeförderung Schlucken/Schluckvorgang:pharyngeale Phase(bzw. der Flüssigkeitsportion) vom Oropharynx über Oropharynxden Hypopharynx in Hypopharynxden Ösophagus unter Verschluss der Atemwege
-
•
Dauer: (0,7–1 Sekunde) beginnt mit Auslösung des Schluckreflexes
-
•
Auslösung und Steuerung: reflektorisch
-
•
Vorgang
-
–
Atemreflex wird unterbrochen
-
–
velopharyngealer Abschluss: Abschluss des Nasopharynx zum Oropharynx durch Anhebung und Rückkippung des Gaumensegels sowie durch Zusammenziehen der Rachenhinter- und Rachenseitenwände. Ausbildung einer horizontalen Muskelvorwölbung im Nasopharynx (Passavant-Wulst), die mit dem Gaumensegel kontaktiert
-
–
Retraktion der Zungenwurzel mit Annäherung an die Rachenhinterwand
-
–
Anhebung (Elevation) des Zungenbeins und Kehlkopfs nach oben und vorne. Dadurch wird der Kehldeckel nach hinten geneigt, der Hypopharynx weitet sich, der obere Ösophagussphinkter erschlafft.
-
–
Larynxverschluss in 3 Etagen
–
Dorsalkippung des Kehldeckels gegen Zungengrund
–
Annäherung der Aryknorpel, der aryepiglottischen Falten, der Taschenfalten
–
feste Adduktion der Stimmlippen
-
-
-
–
Öffnung des oberen Ösophagussphinkters
-
–
Bolusbeförderung durch Zungendruck nach hinten, wellenartige Kontraktion der Rachenschnürer (Peristaltik) und Sogwirkung durch Unterdruck im dorsalen Hypopharynx, Durch diesen hypopharyngealen Saugpumpenstoß wird das Material über die Recessus piriformes in den oberen Ösophagus geschoben.
-
–
danach gehen Zunge, Gaumensegel, Zungenbein mit Kehlkopf in die Ausgangsposition zurück. Der obere Ösophagussphinkter schließt. Die Atmung setzt ein.
-
Ösophageale Phase
-
•
Umfang: Bolusbeförderung bis in den Schlucken/Schluckvorgang:ösophageale PhaseMagen
-
•
Dauer: 8–20 Sekunden für festen Bolus, 4–8 Sekunden für Flüssigkeit
-
•
Steuerung: reflektorisch
-
•
Vorgang
-
–
die peristaltischen Schubbewegungen werden primär durch den Schluckreflex, sekundär durch bolusbedingte Dehnungsreize der Speiseröhrenwand ausgelöst. Die ösophageale Peristaltik besteht aus rhythmischen, wellenartigen Kontraktionen der Ringmuskulatur.
-
–
mit Eintritt des Materials in den abdominalen Teil des Ösophagus erschlafft der untere Ösophagussphinkter
-
–
nach Eintritt des Bolus in den Mageneingang (Kardia) endet der Schluckvorgang.
-
Kindliches Schlucken
Schlucken des Säuglings
•
die Mundhöhle ist kleiner, Zunge, Gaumen und Epiglottis liegen näher zueinander
•
der Rachen ist kürzer, Zungenbein und Kehlkopf stehen höher
•
die Anhebung des Kehlkopfs ist geringer, die Vorwärtsbewegung der Rachenhinterwand ist größer
•
bis zum 4. Monat sind Saugen und Schlucken ohne Unterbrechung der Atmung wegen des Kehlkopfhochstandes möglich, allerdings ist freie Nasenatmung erforderlich
•
das Schluckmuster des Neugeborenen zeigt einen festen Rhythmus von Saugen, Schlucken und (ab dem 4. Monat) Atemunterbrechung. Während des Saugens ist der Rachen offen und es wird durch die Nase geatmet. Ab dem 4. Monat ist wegen der veränderten Anatomie die reflektorische Unterbrechung der Atmung erforderlich.
Entwicklung des reifen Schluckmusters
-
•
bis zum 6. Lebensmonat erfolgt das Schlucken/Schluckvorgang:reife Muster, EntwicklungSaugen durch horizontale Zungenbewegungen vor und zurück mit losem Lippenschluss
-
•
ab dem 4. bis 6. Monat erfolgt das Saugen durch vertikale Zungenbewegungen nach oben und unten mit festem Lippenschluss
-
•
ab dem 5. Monat ist Löffelfütterung mit Breikost möglich, erste vertikale Kieferbeißbewegungen
-
•
ab dem 7. Monat beginnen Kiefermahlbewegungen und seitliche Zungenbewegungen
-
•
ab dem 9. Monat ist Trinken aus einer Tasse möglich
-
•
ab dem 12. Monat ist selbstständige Nahrungsaufnahme mit Halten von Löffel und Tasse möglich.
•
Suchreflex, SchluckenSuchreflex: Bei Wangenberührung dreht der Säugling den Kopf zur vermeintlichen Nahrungsquelle und öffnet Mund; bis 4.–9. Monat
•
kombinierter Saug- und SchluckreflexSaug- und Schluckreflex, kombinierterSchluckreflex: Bei Lippenberührung beginnen die Lippen und die Zunge mit Saugbewegung, nach 2–3 Saugbewegungen wird der Schluckreflex ausgelöst. Ab dem 4. Monat erweitert sich die Zungenmotilität und der feste Rhythmus zwischen Saug- und Schluckreflex wird abgebaut. Ab dem 6.–12. Monat wird das reflektorische Saugen durch willkürliche Nahrungsaufnahme und willkürliche Zungen-, Kieferbewegung ersetzt. Der oropharyngeale Schluckreflex persistiert.
•
Beißreflex:Beißreflex Das schnappartige Schließen der Kiefer als Vorstufe zum Kauen besteht zwischen 5. und 9. Monat
•
Würgreflex:Würgreflex Bei Berührung von Zungengrund oder Gaumensegel erfolgen eine Anhebung des Gaumensegels und Vorstoß der Zunge, der Reflex persistiert.
Schlucken im Alter
Primäre Presbyphagie
-
•
Schleimhauttrockenheit in den oberen Speisewegen und verminderter Speichelfluss durch vermindertes Durstgefühl, weniger Flüssigkeitsaufnahme und austrocknende Medikamente
–
Blutdruckmittel, insbesondere die weitverbreiteten Diuretika (Wasserausscheider)
–
Psychopharmaka (Schlafmittel, Antidepressiva, Neuroleptika)
–
Protonenpumpenblocker (eingesetzt bei Magensäurerückfluss)
-
•
Zahnverlust, Abbau der Alveolarfortsätze, Kiefergelenksarthrose mit Kaustörung und verändertem Kiefer- und Lippenschluss
-
•
Kehlkopfverknöcherung
-
•
Abnahme der Muskelkraft und Muskelmasse mit verminderter Kehlkopf-Zungenbein-Anhebung
-
•
Abnahme der Gewebeelastizität, Auftreten von Divertikeln (Ausstülpungen)
-
•
Abnahme der Leitungsgeschwindigkeit in sensorischen und motorischen Nervenfasern, verspätete Schluckreflexauslösung:verspäteteSchluckreflexauslösung nach Boluskontakt
-
•
verminderte Sensibilität (auch durch Zahnprothesen), vermindertes Riech- und Schmeckvermögen.
-
•
vorzeitiger Bolusübertritt aus Presbyphagieder Mundhöhle in den Oropharynx
-
•
verlängerte Gesamttransitzeit
-
•
spätere Schluckreflexauslösung
-
•
geringere Zungenbein-Kehlkopfanhebung
-
•
häufiger unvollständige Entspannung des oberen Ösophagussphinkters
-
•
pharyngealer Rückbehalt von Nahrung wegen eingeschränkter Sensomotorik
-
•
mehrfaches Schlucken für einen Bolus nötig
-
•
häufig Inspiration nach dem Schlucken, normalerweise erfolgt Exspiration
-
•
häufig Hustenreiz während und nach dem Schlucken.
Sekundäre Presbyphagie
•
zerebrovaskuläre Erkrankungen
•
neurodegenerative Erkrankungen wie Parkinson, Amyotrophe Lateralsklerose, Demenz
•
degenerative Erkrankungen der Halswirbelsäule
•
Zenker-Divertikel (Kap. 5.3.5)
•
Medikamenten-Nebenwirkung: Medikamente, die auf zentrales und peripheres, sensomotorisches und vegetatives Nervensystem, Muskulatur, Schleimhaut oder Speicheldrüsen wirken, können den Schluckvorgang erheblich beeinträchtigen (Tab. 10.2).
•
BolusBolus: schluckfertige Portion von 5–20 ml
•
(neuro)degenerativ: Abbauvorgänge (des Gehirns) betreffend
•
zerebrovaskulär: die Hirndurchblutung betreffend
10.1.4
Pathophysiologie und Symptomatik
Allgemeine Pathophysiologie
•
aufgehobener (Aphagie) oder
•
Aphagieschmerzhafter (Odynophagie) OdynophagieTransport von der Mundhöhle in den Magen.
•
unvollständiger Transport
–
Retention: Zurückhalten von Material, führt zu
–
Residuum: liegen gebliebene Substanz, die als Pooling („See“) und Coating (Überzug) bezeichnet wird
•
falscher Weg
–
Drooling („Trielen“): Austritt von Speichel, Flüssigkeit oder Nahrung aus dem Mund
–
Leaking (Entgleiten): Bolus fällt ohne Schluckreflexauslösung von Mundhöhle nach außen (anteriores Leaking, Drooling) oder in den Oropharynx (posteriores Leaking)
–
nasale Schluckstörungen:Penetration, nasalePenetration: Eindringen von Flüssigkeit oder Speise in den Nasopharynx oder die Nasenhöhle, wird auch (sprachlich unkorrekt) als nasale Regurgitation bezeichnet
–
laryngeale Penetration: Eindringen von Material in den supraglottischen Kehlkopf
–
Aspiration: Eindringen von Material in die subglottischen Atemwege (Abb. 10.2)
•
Rücktransport
–
Regurgitation: Aufsteigen von Speise aus dem Ösophagus in den Rachen ohne Würgereiz
–
Schluckstörungen:Reflux/RegurgitationReflux: Rückfluss von Mageninhalt oder Magensäure in den Ösophagus oder Rachen.
Aspiration
•
je nach Auslösbarkeit des Hustenreflexes mit Hustenstoß oder stumm verlaufen
•
vor, während oder nach Auslösung des Schluckreflexes eintreten
•
anterograd (über den Pharynx) oder retrograd (nach Regurgitation aus dem Ösophagus) auftreten
•
alle oder einzelne Substanzen betreffen, wie
–
Speichel und/oder Nasenrachensekret
–
feste oder breiige Nahrung, Flüssigkeit, Röntgenkontrastmittel
–
Magensaft (Refluat).
-
•
Hustenreiz beim oder nach dem Schlucken
-
•
Druckgefühl oder Schmerz beim Schlucken
-
•
verlängertes oder unmögliches Schlucken
-
•
gurgelndes Geräusch beim Sprechen
-
•
Atemnot nach dem Schlucken, im Extremfall Erstickungstod.
-
•
Malnutrition (Unterernährung), liegt vor bei einem Body-Mass-Index unter 18,5 kg/m2, bei älteren Menschen unter 20 kg/m2
-
•
Dehydratation (Exsikkose, Austrocknung), erkennbar an der Feuchtigkeit der Mundschleimhaut und Haut sowie an der ausgeschiedenen Urinmenge
-
•
Abwehrschwäche und Infektionsgefahr
-
•
bei Aspiration: Fieber, Bronchitis, Pneumonie
-
•
Notwendigkeit der Sondenernährung
-
•
Notwendigkeit der Trachealkanüle
-
•
eingeschränkte Lebensqualität und Tod.
-
•
AspirationAspiration: „Anatmen“
-
•
Globus Globus:pharyngispharyngis: „Rachenkloß“; Kloßgefühl, unabhängig vom Schluckakt bestehend, v. a. beim Leerschlucken (ohne Nahrung)
-
•
DeglutitionDeglutition: „Hinabschlingen“; Schluckakt, speziell Schluckreflex
-
•
Penetration: „Eindringen“
-
•
-phagie: griech. Suffix mit der Bedeutung Schlucken
Phasenbezogene Pathophysiologie
Orale Vorbereitungsphase
-
•
unvollständiger Schluckstörungen:orale VorbereitungsphaseLippenschluss
-
•
reduzierte Lippen- und/oder Wangenspannung
-
•
eingeschränkte Kieferöffnung und/oder Kieferbewegung
-
•
Störungen des Kauens
-
•
verminderte Zungenbeweglichkeit, Zungenausformung oder Zungenkraft
-
•
exzessive und/oder falsche Zungenbewegungen
-
•
persistierende Reflexe: Beißreflex, Saugreflex
-
•
gestörte Sensibilität von Zunge und Mundhöhle, Gaumensegel
-
•
intraorale Sensibilitätsstörungen
-
•
verminderter Speichelfluss (Sialopenie), Sialopenieveränderte Speichelkonsistenz
-
•
übermäßiger Speichelfluss (Sialorrhoe) Sialorrhoedurch
–
übermäßige Produktion (Hypersalivation)Hypersalivation
–
vermindertes Abschlucken mit Herauslaufen.
-
•
gestörte Bolusbereitung und Positionierung
-
•
Drooling und Leaking.
Orale Transportphase
-
•
Schluckstörungen:orale Transportphasereduzierte Lippen- und/oder Wangenspannung
-
•
unzureichender velarer oder labialer Abschluss der Mundhöhle
-
•
verminderte Zungenbeweglichkeit, Zungenausformung oder Zungenkraft
-
•
exzessive und/oder falsche Zungenbewegungen
-
•
intraorale Sensibilitätsstörung
-
•
verzögerte Auslösung des Schluckreflexes: Verlängerung der Zeit zwischen Ankunft des Bolus an den Gaumenbögen und Beginn der anterior-superioren Zungenbein-Kehlkopf-Bewegung (hyolaryngeale Exkursion).
-
•
verlangsamter oder unmöglicher Transport
-
•
nasale Penetration
-
•
Drooling, Leaking
-
•
Retention in Mundvorhof oder Mundboden, Coating am Gaumen
-
•
prädeglutitive Penetration oder Aspiration.
Pharyngeale Phase
-
•
velopharyngeale Insuffizienz durch Schluckstörungen:pharyngeale PhaseLähmung oder anatomische Veränderung
-
•
unzureichender laryngealer Abschluss durch
–
verzögerte oder eingeschränkte hyolaryngeale Exkursion mit fehlender Epiglottiskippung und unvollständiger Öffnung des oberen Ösophagussphinkters
–
anatomische Defekte an Zungengrund, Epiglottis, Aryregion
-
•
Sensibilitätsstörung des Endolarynx kann stumme Aspiration auslösen
-
•
Pouch („Beutel“): laterale Wandschwäche des Pharynx mit Retention und postdeglutitivem Abrutschen des Residuums
-
•
krikopharyngeale Dysfunktion: Öffnungsstörung des oberen Ösophagussphinkters (OÖS) aufgrund unzureichender muskulärer Relaxation oder ungenügender hyolaryngealer Exkursion
-
•
verminderte Pharynxperistaltik.
-
•
nasale Penetration
-
•
pharyngeale Retention in den Valleculae oder den Recessus piriformes
-
•
intra- oder postdeglutitive laryngeale Penetration oder Aspiration.
Ösophageale Phase
-
•
ungenügende fehlende Schluckstörungen:ösophageale Phaseperistaltische Kontraktionen
-
•
verzögerte oder fehlende Öffnung des UÖS
-
•
unzureichender Schluss des UÖS: Reflux von Magensäure
-
•
erhöhter Druck im OÖS und Muskelwandschwäche
-
•
Engstelle (Stenose).
-
•
Retention in Divertikeln oder im Ösophaguslumen
-
•
Regurgitation in Pharynx und retrograde laryngeale Penetration/Aspiration
-
•
Reflux in den Ösophagus und Pharynx (Kap. 5.3.5)
-
•
Transportverzögerung oder vollständiger Transportstopp.
10.2
Ätiologie und Klinik
•
Störung der sensomotorischen neuralen Steuerung und muskulären Ausführung des Schluckvorgangs: neurogene Ursachen
•
Beeinträchtigung der am Schluckvorgang beteiligten anatomischen Strukturen: Schleimhaut, Muskeln, Gelenke, Knochen: strukturelle Ursachen
•
psychische Störungen wie Globus-Globus:pharyngispharyngis-Syndrom als „Globus Globus:hystericushystericus“ (Kap. 5.3.5) oder Essstörung (Bulimie, Anorexie) mit Schluckverweigerung oder psychotische Phagophobie (PhagophobieAngst vor Schlucken)
•
neurogene und strukturelle Ursachen können gemeinsam vorliegen, insbesondere bei muskulär bedingten Schluckstörungen, nach Verletzungen mit Nervenbeteiligung, bei angeborenen oder altersbedingten Schluckstörungen.
10.2.1
Neurogene Ursachen
Zentrales Nervensystem
•
der Neurone der motorischen Schluckstörungen:ZNS-Läsionenund sensiblen Hirnrinde und der extrapyramidalen subkortikalen Motorik
•
der kortikonukleären Bahnen
•
der Neuronen der Schluckmusterzentren und der Hirnnervenkerne der Nn. V, VII, IX, X, XII im Hirnstamm
•
der afferenten zentralen Bahnen für die Oberflächen- und Tiefensensibilität.
-
•
Fehlbildung des Schädels und/oder Gehirns
-
•
prä- und perinatale Hirnschädigung, wie infantile Zerebralparese, infantile:SchluckstörungenZerebralparese (Kap. 9.6.1)
-
•
genetisch bedingte Syndrome
-
•
neurologische Schluckstörungen:EntwicklungsstörungenEntwicklungsstörungen: verzögerte Hirnreifung durch genetische, hypoxische, meningoenzephalitische und andere Ätiologien. Kennzeichen sind persistierende „primitive“ Saug-Schluck-Beiß-Reflexe und mundmotorische Ungeschicklichkeit.
Peripheres Nervensystem
•
Operationen an der Schädelbasis
•
Operationen der Halsregion
–
ventraler Zugang zur Halswirbelsäule und zur A. carotis
–
Schilddrüsen-Operation (N. X)
–
Neck Neck dissection:SchluckstörungenDissection (Kap. 7.4.2) (N. X, XII)
•
Operationen im oberen Thoraxbereich, z. B. an der Aorta oder dem Ösophagus (N. X)
•
Operation an der Ohrspeicheldrüse (N. VII)
•
Radiotherapie an der Schädelbasis (alle Nerven)
•
Radiotherapie im Pharynxbereich und an Halsorganen (N. IX, X, XI, XII)
•
N. facialis: periphere FazialispareseFazialisparese:periphere (Kap. 2.3.11)
•
N. vagus oder seine laryngealen Äste: periphere VaguspareseVagusparese:periphere (Kap. 6.3.6).
Neuromuskulärer Übergang
Systemische Muskulatur
•
Myotonia Myotonia congenitacongenita (Curschmann-Steinert-Curschmann-Steinert-SyndromSyndrom): Erkrankung mit verzögerter Erschlaffung von Muskelfasern
•
progressive Muskeldystrophie, progressive, SchluckstörungenMuskeldystrophie: erbliche, im Kindesalter oder später beginnende fortschreitende Muskelfaserdegeneration
•
angeborene metabolische Störungen des Stoffwechsels in Muskelzellen.
•
Hypo- und Hyperthyreose: verminderter oder vermehrter Schilddrüsenhormonspiegel im Blut
•
Cushing-Syndrom: erhöhter Kortisonspiegel im Blut.
10.2.2
Strukturelle Ursachen
Pathophysiologie
•
angeborene Fehlbildungen und Entwicklungsstörungen
•
akute und chronische Entzündungen sowie Systemerkrankungen
•
gut- und bösartige Tumoren, nichttumoröse Hyperplasien
•
Verletzungen und Fremdkörperverlegung
•
degenerative Veränderungen.
•
Blockade des Lumens, beispielsweise durch Fremdkörper
•
Kompression von außen, z. B. durch die Halswirbelsäule oder Blutgefäße
•
Gewebevermehrung, z. B. Gaumenmandelhyperplasie:SchluckstörungenGaumenmandelhyperplasie (Kap. 5.3.3)
•
Gewebeverlust, z. B. durch Tumorresektion
•
Gewebeveränderung, z. B. Schleimhauttrockenheit, Muskelatrophie
•
Beeinträchtigung von peripheren Nerven, z. B. durch Tumorresektion.
Angeborene Fehlbildungen
•
Choanalatresie/-stenose:SchluckstörungenChoanalatresie (Kap. 4.3.1): durch die behinderte Nasenatmung sind Saugen und Schlucken des Neugeborenen unmöglich
•
Lippen-Kiefer-Gaumen-Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte:SchluckstörungenSpalte (Kap. 5.3.1)
•
kraniofaziale Fehlbildungen und Syndrome
•
Pierre-Robin-Pierre-Robin-Syndrom:SchluckstörungenSyndrom: Mikrogenie (Unterkieferunterentwicklung), Glossoptose (Zungenrückfall), Mikroglossie (Zungenunterentwicklung), oft Gaumenspalte
•
Ösophagusatresie:SchluckstörungenÖsophagusatresie: Speiseröhre ist nicht vollständig angelegt, das obere Lumen endet blind
•
tracheoösophageale tracheoösophageale Fistel:SchluckstörungenFistel: Verbindung zwischen Luft- und Speiseröhre
•
Pylorusstenose:SchluckstörungenPylorusstenose: Verengung des Magenausgangs
•
Blutgefäßanomalien mit Kompression des Ösophagus außen
•
perinatale iatrogene Schäden: Geburtsverletzungen.
Verletzungen und Fremdkörper
-
•
Fremdkörperingestion Schluckstörungen:VerletzungenSchluckstörungen:Fremdkörperin Hypopharynx oder Ösophagus (Kap. 5.3.2)
-
•
Ösophagusverätzung mit Narbenbildung und Stenose (Kap. 5.3.2)
-
•
Frakturen von Ober- und/oder Unterkiefer oder des Kehlkopfskeletts.
-
•
Fehlintubation in Hypopharynx statt Larynx
-
•
Schleimhautverletzung mit Narbenbildung durch Ösophagoskopie
-
•
Operationen bei gutartigen Krankheiten
–
in Gesicht, Mundhöhle, Rachen, z. B. nach Uvulapalatopharyngoplastik (rachenerweiternde Operation bei schlafbezogenen Atemstörungen)
–
Operation an Blutgefäßen des Halses oder des oberen Brustkorbs
–
bei ventralem Zugang zur Halswirbelsäule, z. B. für Bandscheiben-Operation oder Wirbelstabilisierung nach Fraktur
–
Schilddrüsen-Operation
-
•
Langzeitintubation und (selten) Tracheotomie (Kap. 6.4.3)
Entzündungen und Systemerkrankungen
•
systemischer Lupus erythematodes: Schluckschmerz durch Myalgie
•
systemische Sklerose (systemische Sklerodermie): häufig mit Ösophagusmotilitätsstörung durch Wandstarre
•
Sjögren-Syndrom (Kap. 7.2.3): Xerostomie, Parotisschwellung
•
Dermatomyositis, Polymyositis (Kap. 10.2.1)
•
granulomatöse Polyangiitis (Wegener-Granulomatose) (Kap. 4.3.3).
Motilitätsstörung des Ösophagus
•
Ösophagusstenose, Ösophagusstriktur (Einschnürung) als Entzündungsfolgen
•
gastroösophagealer gastroösophagealer Reflux:SchluckstörungenReflux (Kap. 5.3.5)
•
krikopharyngeale Dysfunktion nach Laryngektomie, Operationen am Ösophaguseingang, neurogene Läsion
•
Achalasie („Achalasiefehlendes Nachlassen“): fehlende Erschlaffung des UÖS durch eine Störung der vegetativen nervalen Versorgung der unteren glatten Ösophagusmuskulatur, dadurch weitet sich der Ösophagus auf.
•
diffuser Ösophagusspasmus, diffuserÖsophagusspasmus: die zeitliche Abfolge der peristaltischen Kontraktionen ist bei dieser vegetativ nervalen Störung aufgehoben.
Formveränderungen der Halswirbelsäule
•
Hyperlordose der HWS: ventralkonvexe Form der HWS ist verstärkt
•
Spondylarthrose (Wirbelgelenkverschleiß): Spondylophyten/Osteophytenbildung
–
Spondylosis deformans: degenerative Wirbelsäulenerkrankung mit Ausbildung von Osteophyten (Knochenspangen) an der ventralen Wirbelkörperfläche
•
Diffuse idiopathische Skeletthyperostose (DIHS, Morbus Forestier): gehäufte Osteophytenbildung an der Wirbelvorderseite
•
überlanger Processus styloideus temporalis (Griffelfortsatz des Schläfenbeins)
•
Formveränderungen mit Kompression des Spinalkanals können über Schädigung der Zervikalnerven C1 bis C4 neurogene Schluckstörungen hervorrufen.
Hyperplasien und Tumoren
•
Struma:SchluckstörungenSchluckstörungen:Kompression von außenStruma (Kap. 7.3.2)
•
Aneurysma (Ausweitung) des Aortenbogens
•
pathologischer Gefäßverlauf der A. subclavia dextra
•
Tumor im Mediastinum.
Altersdegeneration
•
Hypopharynxdivertikel:SchluckstörungenHypopharynxdivertikel (Zenker-Zenker-Divertikel, SchluckstörungenDivertikel) (Kap. 5.3.5) mit fauligem Aufstoßen und Regurgitation von geschluckter Nahrung als Leitsymptomatik
•
primäre und sekundäre Schluckstörungen:Strukturveränderungen nach TumorbehandlungenPresbyphagie:SchluckstörungenPresbyphagie (Kap. 10.1.2)
•
HWS-Degeneration.
Strukturveränderung nach Tumorbehandlung
-
•
Gewebeverluste durch Tumorresektion und Neck Dissection (Op)
-
•
Narbenbildung und Gewebeschrumpfung durch Tumorresektion, Neck Dissection, Bestrahlung
-
•
Schädigung peripherer Nerven mit sensiblen und motorischen Ausfällen (Op, Rad)
-
•
Schleimhautschädigung mit verminderter Sensibilität durch Austrocknung, Entzündung, Atrophie (Rad, ChT)
-
•
Wundheilungsstörung mit Fistelbildung der Schluckorgane nach außen oder zu den Atemwegen (Op, Rad, ChT)
-
•
Schmerz, Übelkeit, Erbrechen, Infektneigung durch verminderte Immunabwehr (ChT) reduzieren die Schluckbereitschaft.
•
Verringerung der Muskelkraft zur Bolusformung und Transport
•
verminderte Sensibilität der Schleimhaut und Kinästhetik zur Boluskontrolle
•
verzögerte Schluckreflexauslösung mit verspäteter Larynxexkursion anterior-superior
•
Transportstopp durch Stenosen
•
Insuffizienz der Abdichtung zu den Atemwegen (Velum, Rachen, Kehldeckel, Glottis) und nach außen (Lippen)
•
ungenügende Zungenwurzelretraktion und Pharynxkontraktion
•
ungenügende hyolaryngeale Exkursion mit insuffizientem Endolarynxverschluss und insuffizienter Öffnung des OÖS
•
narbige Stenose des OÖS oder des Hypopha-rynx.
10.3
Diagnostik
10.3.1
Anamnese
Grunderkrankung
•
neurologische Grunderkrankung
•
Operation im Kopf- und Halsbereich, insbesondere Tumor-Operationen
•
Radiotherapie im Kopf-Hals-Bereich, Chemotherapie
•
Halswirbelsäulenerkrankungen
•
Refluxsymptome: Sodbrennen
•
Medikamente
•
bisherige endoskopische und radiologische Diagnostik
•
bisherige Schlucktherapie.
Schlucksymptome
-
•
Gewichtsabnahme,Schluckstörungen:Symptome unbeabsichtigter Gewichtsverlust
-
•
verminderte Nahrungs- oder Trinkmengen
-
•
Passagehindernis, Nachschlucken, Kloßgefühl oder Gefühl des „Steckenbleibens“ beim Schlucken
-
•
Dauer der Nahrungsaufnahme
-
•
Verschlucken, Verschleimung, Trockenheitsgefühl beim Schlucken
-
•
Schmerzen beim Schlucken
-
•
Haltungsänderung zum Schlucken
-
•
Einfluss der Konsistenz der Nahrung auf Schluckablauf (ist nur eine Konsistenz betroffen oder alle?).
•
„gurgelndes“ Atemgeräusch
•
Husten oder Räuspern
•
Luftnot, Erstickungsanfall, schneller Puls
•
Verschleimung im Rachen, „gurgelnder“ Stimmklang
•
bei bestehendem Tracheostoma Austritt von geschlucktem Material aus dem Stoma oder der Trachealkanüle.
•
vermehrtes Räuspern, Husten, Verschleimen
•
brodelndes Atemgeräusch
•
Kurzatmigkeit
•
Fieber
•
Zeichen von Bronchitis, Pneumonie, COPD, Hypoxie.
•
COPD: chronisch obstruktive („blockierende“) COPD (chronisch obstruktive Lungenerkrankungen):SchluckstörungenLungenerkrankung
•
Hypoxie:SchluckstörungenHypoxie: zu wenig Sauerstoff in den Geweben
10.3.2
Körperliche Untersuchung
Klinische Eingangsuntersuchung
•
Beurteilung der Haltung: Ist Sitzen möglich oder nur Liegen? Ist Kopf- und Rumpfkontrolle möglich?
•
orientierende Prüfung der Hirnleistung und Kommunikationsfähigkeit: Ist der Patient wach, kooperationsfähig? Ist das Gehör ausreichend (mit/ohne Hörhilfe)? Liegt eine Sprach-, Sprech- oder Stimmstörung vor?
•
orientierende Prüfung der Muskelkraft am Händedruck
•
Beurteilung der Atmungssituation: physiologische Atmung oder Trachealkanüle (geblockt/ungeblockt/Sprechkanüle)? Zeichen von erschwerter Atmung oder Luftnot?
•
Beurteilung Ernährungssituation: oral, nasogastrale Sonde, PEG (Kap. 10.4.1), intravenös?
•
unregelmäßige Atmung mit vermehrter Anstrengung
•
sitzende Atemposition, Hochatmung, Einsatz der Atemhilfsmuskulatur
•
schnappende Einatmung, Husten
•
Angst, Schweißperlen auf der Stirn
•
Stridor: streichendes Atemgeräusch
•
blasse Haut, zunehmende Blauverfärbung (Zyanose), v. a. der Lippen
•
Einziehung der Bauchdecke und Brustwand beim Einatmen (inverse Atmung).
-
•
gurgelnder Stimmklang Schluckstörungen:auditive Beurteilungbei Penetration von Speichel oder Flüssigkeit in den Kehlkopf
-
•
offenes Näseln ist Hinweis auf velopharyngeale Insuffizienz
-
•
Aphonie oder hochgradige Behauchtheit ist Hinweis auf Stimmlippenparese
-
•
willkürliches Räuspern und Husten möglich?
•
Öffnungsgeräusche der Tube (Kap. 2.1.1) und des oberen Ösophagussphinkters
•
brodelnde Atemgeräusche im Fall einer laryngealen Penetration oder Aspiration.
-
•
Palpation des orofazialen Schluckstörungen:oro-fazio-zervikale PalpationMuskeltonus
-
•
enorale Palpation von Zunge und Velum
-
•
Überprüfung der Kehlkopf-Zungenbein-Bewegung beim Schlucken durch bimanuelle Palpation. Wenn möglich, steht der Untersucher hinter dem Patienten und legt den Zeigefinger unter das Kinn, den Mittelfinger auf das Zungenbein, den Ringfinger auf den Schildknorpel.
•
Prüfung von Sensibilität und Motilität von Zunge, Lippe, Wangen, Gaumensegel, Rachen, Kehlkopf, Unterkiefer
•
Prüfung der Auslösbarkeit des Schluck-, Würge-, Hustenreflexes
•
Prüfung der Speichelsekretion nach Drüsenkompression
•
LupenlaryngoskopieLupenlaryngoskopie oder flexible Laryngopharyngoskopie vor, während (flexibel) und nach dem Schluckakt (Kap. 6.2.2)
•
orientierende Hörprüfung (Kap. 2.2.3).
•
Ruhebeobachtung: Atmung, Stimmklang, Husten, Drooling von Speichel
•
Prüfung schluckrelevanter Strukturen und Abläufe ohne Schluckmaterial
–
Sensibilitätsprüfung von Mundhöhle, Zunge, Velum
–
Würgereflex und orale „Primitivreflexe“ bei Säuglingen und Patienten mit schweren Hirnverletzungen
–
Prüfung von willkürlichen Bewegungen: Mundöffnung, Zungenbewegung, Velum bei Phonation [a:], Räuspern, Husten
•
Schluckversuch mit verschiedenen Konsistenzen
–
Trocken- (Leer-) bzw. Speichelschlucken
–
Flüssigkeit, beginnend mit Wasserschluck von 1 bis 5 ml.
–
breiige Nahrung
–
feste Nahrung.
10.3.3
Endoskopische Untersuchung
Basisdiagnostik
•
Ruhebeobachtung: Speichel, Strukturen, Spontanbewegungen
•
Funktionsprüfungen ohne Nahrung: Phonation, Leerschlucken, Hustenstoß
•
Funktionsprüfungen mit Nahrung in verschiedenen Konsistenzen
•
Überprüfung verschiedener Schlucktechniken, z. B. Kopfhaltungen und Reinigungsmanöver.
Spezielle Diagnostik
10.3.4
Radiologische Untersuchung
Basisdiagnostik
Spezielle Diagnostik
-
•
Röntgenaufnahme der Lunge bei Schluckstörungen:BildgebungVerdacht auf Aspiration oder Pneumonie
-
•
Röntgenaufnahme der Halswirbelsäule bei Formveränderungen mit Auswirkungen auf Rachen und Speiseröhre
-
•
Sonografie der Schilddrüse zur Größenbeurteilung
-
•
CT oder MRT zur genauen anatomischen Beurteilung der am Schluckakt beteiligten Strukturen bei Tumorerkrankungen im Gesichts-Hals-Bereich oder zur Beurteilung von Gehirn, Spinalkanal und Nerven bei neurogener Dysphagie.
Fluoroskopie: „Betrachtung des Fließens“ von (lat.) fluor: Fluss und (griech.) skopia: Umschau
10.3.5
Weitere Diagnostik
Basisdiagnostik
Spezielle Diagnostik
10.4
Therapie
•
die kurzfristige medizinische Basisversorgung zum Schutz der tiefen Atemwege und zur Sicherstellung der Ernährung einschließlich Notfallmaßnahmen
•
die kausale oder symptomatische Therapie der zugrunde liegenden Nosologie
•
die langfristige funktionelle Wiederherstellung oder Besserung der Schluckfunktion.
10.4.1
Medizinische Basisversorgung
•
Maßnahmen zum Schutz der tiefen Atemwege
–
Nahrungs- und Flüssigkeitskarenz
–
kompensatorische und adaptive Maßnahmen
–
Intubation
–
Tracheotomie
–
Schlucktherapie
•
Maßnahmen zur Sicherstellung der Ernäh-rung
–
kompensatorische und adaptive Maßnahmen
–
non-orale Ernährung
–
pernasale Magensonde
–
perkutan-endoskopische Gastrostomie
–
parenterale Ernährung
•
Begleitmaßnahmen
–
Mundpflege, Hygiene bei Nahrungsaufnahme
–
Therapie bei Hypersalivation, Xerostomie, Muskelverhärtung
•
Notfallmaßnahmen
–
Fremdkörper- und Aspiratentfernung
–
Sicherung der Atmung.
Schutz der tiefen Atemwege
•
Optimierung der Nahrungskonsistenz
•
Änderung des Essverhaltens
•
Haltungsänderung beim Schlucken
•
Anwendung spezieller Schlucktechniken (Kap. 10.4.3)
•
Anwendung spezieller Reinigungstechniken.
Sicherstellung der Ernährung
•
parenteral („unter Umgehung des Darmtrakts“): intravenöse Infusionen ermöglichen Vollversorgung bei stationärem Aufenthalt.
•
enteral non-oral („über den Darmtrakt, nicht über den Mund“): flüssige und breiige Kost kann über eine Sonde gegeben werden.
Begleitmaßnahmen
-
•
Händedesinfektion der Kontaktpersonen
-
•
regelmäßiges Absaugen von Mund, Rachen, Trachealkanüle
-
•
Vermeidung exsikkierender und schluckerschwerender Medikamente
-
•
Behandlung von Infekten der oberen und unteren Luftwege.
-
•
Zahn- bzw. Schluckstörungen:MundpflegeProthesenreinigung
-
•
Mundreinigung durch Mundspülung
-
•
Schleimhautbefeuchtung mit künstlichem Speichel bei Xerostomie
-
•
Speichelflussanregung mit Pilocarpin
-
•
Lokalanästhesie vor Nahrungsaufnahme aufsprühen
-
•
Lokaltherapie bei Soor (Mundpilzbesiedlung).
-
•
Massage zur Narbenlockerung Schluckstörungen:physikalische Therapieund Lymphabflussförderung
-
•
Muskelmobilisation und -relaxation, Mobilisierung
-
•
Atemgymnastik, Atemtherapie.
•
funktionelle Schlucktherapie mit Shaker-Manöver, SchluckstörungenShaker-/Mendelsohn-TechnikMendelsohn-/Masako-Übung Masako-Manöver(Kap. 10.4.3)
•
Injektionen mit Botulinustoxin in den M. cricopharyngeus transkutan oder endoskopisch
•
endoskopische Dilatation (Aufdehnung) mittels eines aufblasbaren Ballons
•
krikopharyngeale Myotomie: operative Durchtrennung des M. cricopharyngeus.
Notfallmaßnahmen
•
Entfernung von blockierendem Material aus den Atemwegen
–
manuelle (Finger-)Entfernung aus Mundhöhle und dem Oropharynx
–
Absaugen transoral, wenn Tracheostoma vorhanden ist, transstomal
–
Aufforderung zum Husten mit Beklopfen des oberen Rückens
–
Heimlich-Heimlich-Manöver:SchluckstörungenManöver
•
Sicherung der Atmung, wenn Lumen für Spontanatmung nicht ausreicht
–
Notfallintubation, Koniotomie (Kap. 6.4.2)
•
wenn Atmung gesichert ist
–
endoskopische Fremdkörperentfernung
–
Bronchiallavage (Durchspülen und Absaugen) bei flüssigem Aspirat.
Fremdkörperaspiration
Bei Anzeichen für Fremdkörperaspiration:NotfallmaßnahmenLuftnot ist unverzüglich zu handeln:
•
bei vorhandenem Tracheostoma wird durch die Kanüle abgesaugt
•
falls kein Tracheostoma besteht und der Patient über 8 Jahre alt ist
–
Auffordern zum kräftigen Husten
–
Vorbeugen des Patienten und fünf Schläge mit der flachen Hand zwischen die Schulterblätter
–
wenn erfolglos, dann Manöver nach Heimlich: vorgebeugten Oberkörper des Patienten von hinten mit beiden Armen unterhalb des Rippenbogens umfassen. Eine Faust liegt unterhalb des Brustbeins, die andere Hand umfasst die Faust. 5-mal ruckartig die Faust nach hinten-oben drücken. Bei am Boden liegendem Patienten erfolgt Faustdruck durch sitzenden Helfer.
•
Vorgehen bei Kindern von 1 bis 7 Jahren: Kind wird beim Beklopfen des Rückens mit dem Oberkörper nach vorn über den Arm des Helfers gebeugt. Das Heimlich-Manöver erfolgt wie beim Erwachsenen.
•
Vorgehen beim Säugling von 0 bis 1 Jahr: Säuglinge werden beim leichten Beklopfen des Rückens in waagerechter Position mit Gesicht nach unten auf dem Arm gehalten. Das Heimlich-Heimlich-Manöver:FremdkörperaspirationManöver erfolgt in Rückenlage des Säuglings durch 5-maligen leichten, schnellen Druck auf das Brustbein.
•
HautturgorHautturgor: Flüssigkeitsdruck in der Haut, wird klinisch bestimmt durch Anheben einer Hautfalte
•
Perkutane endoskopische Gastrostomie, perkutane, endoskopische (PEG)Gastrostomie (PEG): Bildung einer Magenmündung durch Endoskopie und Durchbohrung der Haut
10.4.2
Therapie der Grunderkrankung
Neurogene Ätiologie
•
Thrombolyse bei ischämischem Schluckstörungen:neurogeneSchlaganfall:SchluckstörungenSchlaganfall (Kap. 9.4.3)
•
antibiotische/antivirale Therapie bei Meningitis, Enzephalitis, Neuritis
•
immunmodulierende Therapie bei Multipler Sklerose, Myasthenia gravis pseudoparalytica
•
Substitution von Neurotransmittern bei Myasthenia, Parkinson.
•
erfolgreiche Entfernung eines Tumors im Gehirn oder an einem peripheren Nerv, wenn die für das Schlucken wichtigen neuralen Funktionen erhalten oder wiederhergestellt werden können.
•
erfolgreicher Verschluss eines Aneurysmas und Ausräumung des Hämatoms (Blutansammlung) nach einem hämorrhagischen Schlaganfall
•
tiefe Hirnstimulation beim Parkinson-Syndrom:SchluckstörungenParkinson: bringt für Dysphagie derzeit nichts.
Strukturelle Ursachen
•
antientzündliche und antibiotische Schluckstörungen:strukturelle UrsachenTherapie bei akuten Entzündungen, z. B. Tonsillitis
•
Fremdkörperextraktion bei Ösophagusfremdkörper
•
immunsupprimierende Therapie bei autoimmunbedingten Fazialis- oder Rekurrensparesen.
•
Verschluss von Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten
•
Beseitigung von Narben, Strikturen, Divertikeln
•
Tonsillektomie:SchluckstörungenTonsillektomie (Kap. 5.4.2), Strumektomie, SchluckstörungenStrumektomie (Kap. 7.4.1)
•
Tumorresektion (Kap. 5.4.2)
•
Tracheotomie und Versorgung mit blockbarer Kanüle verhindert Aspiration
•
Divertikelschwellendurchtrennung beim Zenker-Zenker-Divertikel, SchluckstörungenDivertikel (T, Kap. 5.3.5)
•
krikopharyngeale Myotomie bei Funktionsstörung des OÖS (T, A)
•
Stimmlippenmedialisation zur Verbesserung des Glottisschlusses (A)
•
Kehlkopfanhebung und Befestigung an Zungenbein und Unterkiefer (Larynxsuspension) zum Ausgleich einer verminderten hypolaryngealen Exkursion (T, A)
•
plastisch-rekonstruktive Chirurgie nach Tumordefekten (T, A, Kap. 5.4.2)
•
Verschluss des Larynx supraglottisch oder glottisch, bei nicht anders beherrschbarer Aspiration (A); Voraussetzung ist eine Tracheostomie
•
Verengung des UÖS bei Refluxerkrankung (Fundoplicatio, T, Kap. 5.3.5).
10.4.3
Funktionelle Wiederherstellung der Schluckfunktion
Restitution
-
•
Verbesserung der Motorik: Tonus, Kraft, Bewegungsausmaß
-
•
Normalisierung der taktilen Sensibilität
-
•
Abbau pathologischer und infantiler Reflexe und Anbahnung altersphysiologischer Reflexe.
-
•
vorbereitende Stimuli: passive Reize, die aktivierend oder hemmend auf Muskeltonus und fördernd auf die Sensibilität bzw. dämpfend auf Schmerzempfinden wirken. Die Reize werden orofazial appliziert: manuelle Berührung, Pinselung, Druck, Dehnung, thermische Reize: Eis. Patient ist passiv. Wird auch bei Kindern mit Zerebralparese eingesetzt.
-
•
Schluckstörungen:MobilitationsübungenMobilitationsübungen: z. B. Widerstandsübungen, Lippenschluss, Zungenvorstoß. Patient übt mit Therapeutin die dynamische Muskelarbeit mit Bewegung, statische Muskelarbeit bei unveränderter Muskelstellung sowie Anspannen/Entspannen
-
•
autonome Bewegungsübungen zur Muskelkräftigung (Tab. 10.7): Patient übt selbstständig nach Erlernen der Übung.
Kompensation
-
•
Haltungsänderungen, insbesondere der Kopfposition, nutzen die Schwerkraft zum Bolustransport, ändern die Pharynxöffnung und vermeiden eine gelähmte Pharynxseite
–
Kopfneigung nach vorne verengt den Eingang der Luftwege. Zungengrund und Epiglottis werden nach hinten gedrängt. Verhindert ein zu frühes Nach-hinten-Gleiten des Bolus. Bei reduzierter Boluskontrolle, verzögerte Schluckreflexauslösung.
–
Kopfneigung nach hinten fördert den Bolustransport
–
Kopfdrehung zur kranken (paretischen) Seite verschließt den Recessus piriformis dieser Seite, die Nahrung wird über die andere Seite transportiert
–
Kopfkippung zur Seite bewirkt durch die Schwerkraft einen bevorzugten Transport auf der unten liegenden Seite
–
die Haltungsänderungen werden auch kombiniert angewandt
-
•
spezielle Schlucktechniken dienen dem verstärkten Schutz der unteren Luftwege und fördern den Transport. Sie erfordern Kooperationsfähigkeit des Patienten und ausgiebiges Training (Tab. 10.8).
Adaptation
•
diätetische Maßnahmen: Anpassung des Bolusvolumens und Nahrungskonsistenz
–
flüssigere Nahrung eignet sich gut bei Störungen der Kaubewegung, der lingualen Funktion, der pharyngealen Peristaltik und des pharyngoösophagealen Sphinkters
–
breiigere Nahrung eignet sich eher bei verspäteter Auslösung des Schluckreflexes und bei unvollständigem Larynxverschluss
–
Kontrolle von Bolusgröße, Temperatur, Geschmack und Geruch der Nahrung
•
Änderung des Essverhaltens: häufige, volumenmäßig kleinere Mahlzeiten, Pause zwischen den Schluckakten, Vor- und Nachtrinken, „Throat Clearing“ (Räuspern, Husten)
•
bewusste Platzierung der Nahrung mit Löffel oder Spatel
–
auf die Seite mit erhaltener Sensibilität
–
weit nach hinten bei postoperativen Defekten der Zunge
•
Essenbegleitung: durch Angehörige oder Pflegende mit Unterstützung bei den o. a. Maßnahmen, insbesondere Aufforderung zum „Throat Clearing“ und Reaktion auf Aspirationszeichen
•
Trink- und Esshilfen, z. B.
–
Flaschen, die das Einspritzen oder Ansaugen von Flüssigkeit ermöglichen
–
Becher mit Nasenausschnitt, Dosierungseinrichtung oder Trinkrohr
–
Tellerranderhöhung zum leichteren Aufnehmen
–
Schiebelöffel zur exakten Nahrungsplatzierung auf der Zunge
•
intraorale Obturatorprothese: wird vom Zahnarzt hergestellt und ermöglicht bei Substanzdefekten oder Lähmungen der Zunge oder des Gaumens den lingual-palatinalen Kontakt.
•
Refluat: durch Reflux in den Rachen gelangte Substanz
•
Restitution: Wiederherstellung
•
Kompensation (lat.): Ausgleichen
•
Adap(ta)tion: Anpassung
•
Fazilitation: Anbahnung, Erleichterung
•
Obturator („Verstopfer“): prothetisches Mittel zum Verschluss von anatomischen Öffnungen
Zusammenfassung
Schlucken ist der Schlucken/SchluckvorgangTransport von Speichel, flüssiger und fester Nahrung aus der Mundhöhle in den Magen unter Schutz der Atemwege.
Am Schluckvorgang sind Mundhöhle, Oropharynx, Hypopharynx, Ösophagus und Kehlkopf sowie die zugehörige Muskulatur direkt beteiligt. Die Steuerung des Schluckakts erfolgt über Schluckzentren (Schluckmustererzeuger) im Hirnstamm mit Verbindungen zu den sensiblen und motorischen Hirnrindenfeldern sowie den Hirnnerven V, VII, IX, X, XII. Für einen störungsfreien Schluckablauf ist außer der motorischen Versorgung die ausreichende Oberflächensensibilität der Schleimhaut, die Propriozeption von Muskeln und Gelenken, die Steuerung der Speichelsekretion, die Geschmackssensorik und die reflektorische Unterbrechung der Atmung nötig.
Am Schluckvorgang lassen sich vier Phasen unterscheiden:
•
orale Vorbereitungsphase: umfasst Nahrungsaufnahme und Bolusbereitung und wird willkürlich gesteuert
•
orale Transportphase: ebenso willkürlich gesteuert und betrifft den Bolustransport aus der Mundhöhle in den Oropharynx mit Auslösung des Schluckreflexes
•
pharyngeale Phase: reflektorisch ablaufend, der Bolus wird unter Abdichten des Nasopharynx und des Endolarynx in den oberen Ösophagus befördert
•
ösophageale Phase: der peristaltische Weitertransport in den Magen läuft ebenso reflektorisch ab.
Das Schlucken des Säuglings unterscheidet sich anatomisch und funktionell erheblich vom Schluckmuster des Erwachsenen. Wegen des hoch stehenden Kehlkopfs ist bis zum 4. Monat Schlucken ohne Unterbrechung der Atmung möglich. Der Saug-Schluck-Reflex des Neugeborenen mit ausschließlicher Vor- und Rückbewegung der Zunge wird im ersten Lebensjahr zunehmend durch die umfassende, willkürlich steuerbare Zungen- und Kaubewegung abgelöst.
Auch die Altersinvolution verändert den Schluckablauf. Durch Schleimhautaustrocknung, abnehmende Gewebeelastizität und Muskelkraft sowie verlangsamte sensomotorische Steuerung treten Schwierigkeiten und Risiken für das Schlucken auf, die als primäre Presbyphagie bezeichnet werden. Treten typische Alterskrankheiten und schluckbeeinflussende Medikamente hinzu, liegt eine sekundäre Presbyphagie vor.
Eine Schluckstörung ist ein gestörter, aufgehobener oder schmerzhafter Transport von der Mundhöhle in den Magen. Ein subjektives Kloß- oder Engegefühl im Rachen ohne objektive Schluckbeeinträchtigung wird als Globus Globus:pharyngispharyngis bezeichnet.
Eine Transportstörung zeigt sich in drei Ausprägungen:
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unvollständiger Transport mit der Retention von Schluckmaterial
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falscher Weg mit nasaler oder laryngealer Penetration und schlimmstenfalls Aspiration von Schluckmaterial
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Rücktransport von Schluckmaterial
Aspiration kann mit oder ohne Hustenreiz einhergehen und löst akute und chronische Komplikationen aus: Dyspnoe, Fieber, Lungenentzündung, Dehydration, Mangelernährung, die Notwendigkeit der Tracheotomie und Sondenernährung.
In den oralen Phasen sind Drooling und Leaking sowie Retention die wichtigsten Pathophysiologien. In der pharyngealen Phase können außer Retention auch Penetration und Aspiration ausgelöst werden. Die ösophageale Phase ist durch erschwerten Transport oder Rücktransport charakterisiert.
Ätiologisch werden bei Schluckstörungen neurogene und strukturelle Ursachen unterschieden. Neurogene Ursachen betreffen Krankheitsbilder des zentralen oder peripheren Nervensystems, des neuromuskulären Übergangs und systemische Muskelerkrankungen. Häufigste Ätiologie ist die Parkinson-Erkrankung.
Strukturelle Ursachen betreffen Fehlbildungen, Entzündungen, Tumoren und degenerative Veränderungen der beteiligten Strukturen oder pathoanatomische Veränderungen als Folge von chirurgischer, radio- und chemotherapeutischer Behandlung bösartiger Tumoren.
Die Diagnostik stützt sich, ergänzend zur Anamnese, auf drei Säulen:
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die klinische Untersuchung mit neurologischer, HNO-ärztlicher und schlucktherapeutischer anatomisch-funktioneller Diagnostik
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die videogestützte starre und insbesondere flexible Pharyngolaryngoskopie, die als flexible endoskopische Evaluation des Schluckens (FEES) systematisiert ist
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die röntgenologische Diagnostik mit der Videofluoroskopie (VFSS), die den Bolustransport in alle Phasen erkennen lässt.
Weitere Methoden sind die Manometrie und pH-Metrie des Ösophagus sowie die strukturelle Bildgebung mit CT und MRT.
Auch die Therapie steht auf drei Säulen:
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die medizinische Basisversorgung zum Schutz der Atemwege und zur Sicherstellung der Ernährung, z. B. durch non-orale Ernährungsformen und Versorgung mit einer aspirationsverhindernden Trachealkanüle
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die Therapie des Grundleidens durch pharmakotherapeutische und plastisch-chirurgische, rekonstruktive Maßnahmen
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die funktionelle Wiederherstellung oder Verbesserung des Schluckens durch funktionelle stimulierende und übende Schlucktherapie einschließlich adaptiver technischer Hilfsmittel.