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Unsere Sprache gründet auf einer angeborenen Sprachlernfähigkeit, wird durch die soziale Umwelt geformt und kommt durch unsere Persönlichkeit zum Ausdruck. Spracherwerb findet im Zusammenspiel von intrapsychischen Voraussetzungen mit umweltlichen Gegebenheiten statt.
[M781]

Sprachliche Lebenslinien
Die Bedeutung der persönlichen Sprachbiografie für das Sprach(en)lernen und -lehren
„In Klängen, Logiken leben, die von dem nächtlichen Gedächtnis des Körpers, dem bittersüßen Schlaf der Kindheit abgeschnitten sind. Sie in sich tragen wie eine geheime Gruft oder wie ein behindertes Kind, geliebt und unnütz – diese Sprache von einst, die verblasst, aber euch nie verlässt.“ (Kristeva 1990: 24)
3.1
Einleitung
1
Dialekte: lokale oder regionale Sprachvarietäten; Ideolekte: individuelle Sprachen der einzelnen Menschen; Soziolekte: Gruppensprachen, die auf gesellschaftlichen Faktoren beruhen; Technolekte: Fachsprachen.
3.2
Die Bedeutung der sozialen Umwelt für den Spracherwerb
2
„Kultur“ umfasst nach Deutscher (2013: 17) „alle Aspekte unseres Verhaltens, die sich als gesellschaftliche Konventionen herausgebildet haben und durch Lernen von Generation zu Generation weitergegeben werden“. Im Folgenden werden deshalb die Begriffe „Kultur“ und „Gesellschaft“ als gleichbedeutend verwendet.
3.3
Spracherwerb in verschiedenen sozialen Umwelten
3.3.1
Kulturelle Umwelt
3.3.2
Sozioökonomische Umwelt
•
In Unterschichtsfamilien kommunizieren Eltern mit einem restringierten restringierter CodeCode. Dieser ist durch eine funktional enger begrenzte kontextabhängige Sprache gekennzeichnet.
•
Westliche Mittelschichtseltern bedienen sich eines elaborierten Codes, elaborierter Codeeiner vom sprachlichen Kontext unabhängigen Sprache.
3
Ähnliche Diskussionen zum Auseinanderklaffen der sozialen Umwelt zwischen Elternhaus und Schule werden fast unverändert für die heutige Situation der Migrantenkinder und ihrer Eltern in unserem Schulsystem übernommen (vgl. Lin-Huber 2009).
3.3.3
Persönliche Umwelt
3.4
Spracherwerb als Sozialisierungsprozess
Anhand ethnografischer Aufzeichnungen aus verschiedenen Gesellschaften auf der ganzen Welt wird deutlich, wie kulturelle Wertüberzeugungen das Kommunikationsverhalten der erwachsenen Betreuungspersonen beeinflussen und sich wiederum im Sprachverhalten der Kinder widerspiegeln (Shatz 1991; Lin-Huber 1998, 2007).
Kinder lernen von ihren Betreuungspersonen, Sprache so zu gebrauchen, wie es den Konventionen ihrer sozialen Umwelt entspricht. Die Übermittlung und Verwendung von solchen kulturspezifischen Kommunikationsmuster:kulturspezifischeKommunikationsmustern durch die Betreuungspersonen geschieht – im Gegensatz zur Vermittlung von Sprachmustern – nicht bewusst.
Wir alle haben uns die für unsere Gesellschaft geltenden Gesprächskonventionen als implizites Wissen im Laufe unserer primären Sozialisation angeeignet (Lin-Huber 1998, 2007). In diesem Sinn ist der Prozess des Spracherwerbs Teil eines umfassenden Sozialisierungsprozesses (Bruner 1997; Ochs 1986; Lin-Huber 1998, 2007).
3.5
Sprachliche Lebenslinien
3.5.1
Spracherwerb als dynamisches Modell
3.5.2
Schmuggelpfade der Kindheitssprache
Beispiele
•
Eine gebürtige Athenerin, die ihr Leben lang in der Migration lebte, spricht vor dem Sterben plötzlich griechisch.
•
Ein alter Mann, der behauptet, „in guten Treuen“ sich gar nicht an seine Muttersprache zu erinnern, spricht während einer Operation in der Sprache seiner Kindheit.
Ähnlich gelagerte Beispiele sind aus der Rehabilitation von Menschen mit Aphasie bekannt.
3.5.3
Der mehrsprachige Mensch
Lebensweltliche und innersprachliche Mehrsprachigkeit
4
Mit Code-Switching oder Code-Mixing wird die Vermischung verschiedener Sprachen bezeichnet (Clyne 1987). Die Problematisierung solcher Sprachmischungen geht auf Weinreich (1953) zurück. Heute wird Code-Switching als übergeordneter Begriff für alle Formen der Sprachvermischungen verwendet, als normales Diskursmuster in einer bilingualen Kommunikation (vgl. Lin-Huber 2007).
3.6
Zum Konzept „Sprachbiografie“
3.6.1
Wurzeln der Biografieforschung
3.6.2
Sprachbiografie als Rekonstruktion
5
Mit dem Begriff des kommunikativen Gedächtnisses unterstreicht Welzer (2008) die soziale Bedingtheit des Erinnerns. Welzer geht davon aus, dass das Gedächtnis eng mit dem Schaffen von Bedeutungen verbunden ist, die sich erst in der Kommunikation mit anderen generieren.
3.6.3
Sprachbiografische Forschung
6
Anmerkungen zum autobiografischen Gedächtnis: Kap. 3.5.2 und Kap. 3.6.2.
3.7
Sprachbiografische Reflexionen
3.7.1
Literarische Sprachbiografien
„Mein tägliches Notieren von neuen seltsamen Worten aus meiner Umgebung machte zusammen mit dem Abschreiben von merkwürdigen oder gar schönen Stellen aus Büchern ein unentwegt schreibendes Kind aus mir …“ (Ortheil 2009: 288)
„So zwang sie mich in kürzester Zeit zu einer Leistung, die über die Kräfte jedes Kindes ging, und dass es ihr gelang, hat die tiefe Natur meines Deutsch bestimmt, es war eine spät und unter wahrhaftigen Schmerzen eingepflanzte Muttersprache.“ (Canetti 2011: 90)
„Wenn ich jetzt polnisch spreche, ist es infiltriert, durchdrungen vom Englisch in meinem Kopf: Jede Sprache modifiziert die andere, kreuzt sich mit ihr, befruchtet sie. Jede Sprache relativiert die andere. Wie jeder Mensch bin ich die Summe meiner Sprachen – der Sprache meiner Familie und meiner Kindheit, meiner Erziehung und Freundschaften und Lieben und der weiten veränderten Welt …“ (Hoffman 1995: 299)
„Ich habe diese Sprache nicht gewählt. Sie ist mir aufgedrängt worden vom Schicksal, vom Zufall, von den Umständen. Ich bin gezwungen auf Französisch zu schreiben … eine Herausforderung für eine Analphabetin.“ (Kristof 2005: 75)
„Das zweifache Kleid der Bedeutung und Deutung der Welt trägt mich und umhüllt mich. Unterhemd der kroatischen Sprache, ikavischer Dialekt welche unsichtbar für die anderen ist durchlöchert durch Jahre des Vergessens weil sich die Bedeutungen des deutschen Wörters erhellt haben.“ (Rajčić 2010: 74)
„Die Welt ist durch die Mutterworte schon ausgebildet, hat mich geformt. Ich kann bis heute kaum auf Deutsch fluchen, betten [beten; M. L.] oder zählen; Kosewörter einem Baby sagen …“ (Rajčić 2010: 74)
3.7.2
Methodische Zugänge zur sprachbiografischen Reflexion
Autobiografische Erzählungen
Sprachenporträts
7
Language Awareness (LA) (wörtlich: Sprachbewusstheit) wurde in den 1970er-Jahren in Großbritannien als didaktisches Konzept entwickelt. Es soll das Sprechen und Nachdenken über Sprache fördern sowie Sensibilität für Sprache(n), ihre Strukturen, Formen, Funktionen und ihren Gebrauch entwickeln (Morkötter 2005).
Sprachenportfolios und Sprachlerntagebücher
8
Das Europäische Sprachenportfolio (ESP) dient der reflexiven Begleitung kultureller und sprachlicher Erfahrung und soll auf diesem Wege europäische Sprachenvielfalt und interkulturelles Bewusstsein fördern.
Rekonstruktion von Lernerfahrungen
1.
Rekonstruktion des eigenen Lernweges, von wichtigen Szenen und Atmosphären durch kreativ-gestalterische Mittel der Gestalttherapie: Die Teilnehmenden sollen an ihre in- und außerhalb der Schule gelernten Sprachen denken und sie nach ihrer Erinnerung symbolisch gestalten. Anschließend werden diese Arbeiten in der Gruppe präsentiert und in verschiedenen Settings kommentiert und reflektiert.
2.
Rekonstruktion von Szenen und Atmosphären im Zusammenhang mit dem Sprachenlernen mittels Phantasiereisen (Teml & Teml 1993): So werden die Teilnehmenden in die Schule zurückgeführt oder mit Situationen konfrontiert, in denen sie Fremdsprachen verwendet haben (oder verwenden sollten), um die Aufmerksamkeit auf belastende Situationen zu richten.
3.
Verwendung einzelner Übungsformen der Psychodramaturgie Linguistique (PDL) (Dufeu 1992, 1994) in verschiedenen Sprachen (Gombos 1995).
3.7.3
Metasprachliche Reflexion
„Da unsere Sprache sehr komplex ist, Begriffe mehrdeutig und Missverständnisse durch die Ungenauigkeit alltäglich sind, soll jedem deutlich werden, wie er Sprache gebraucht.“
(Camhy 1996: 37)
3.8
Bedeutung der sprachbiografischen Reflexion für das Sprach(en)lernen und -lehren
3.9
Fazit
Literatur
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