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Abb. 7.1

[L261]
Vorgehen beim Neugeborenen-Hörscreening
Abb. 7.2

[L261]
Modell der auditiven Verarbeitung nach Lauer (2014)
Mindestanforderungen an die frühkindliche Hörentwicklung, frühkindlicheHörentwicklung
Alter | Entwicklungsschritt |
0–3 Lm. |
|
3–6 Lm. |
|
6–12 Lm. |
|
12–18 Lm. |
|
18–24 Lm. |
|
Entwicklungsschritte des Hören:EntwicklungsschritteHören:EntwicklungsschritteHörens
Alter | Entwicklungsschritte |
20. SSW |
|
22. SSW |
|
kurz nach der Geburt |
|
2. Mon. |
|
4. Mon. |
|
bis 9. Mon. |
|
bis ca. 6. Lj. |
|
Grundschulalter |
|
Entwicklung von Einflussfaktoren, auditive Verarbeitungsstörungen:Einflussfaktorenauditive Verarbeitungsstörungen:Einflussfaktorenauditiven Teilfunktionen und Klassifikationsprozessen
Funktionen | Entwicklungsschritte |
Einflussfaktoren | |
Aufmerksamkeit |
|
Speicherung/Sequenz |
|
Auditive Teilfunktionen | |
Lokalisation |
|
Diskrimination |
|
Selektion |
|
Dichotische Diskrimination |
|
Klassifikationsprozesse | |
Analyse |
|
Synthese |
|
Ergänzung |
|
Audiometrische Testverfahren (Nickisch et al. 2005)UnbehaglichkeitsschwelleSummationstest, binauralerStapediusreflexschwellenmessungSprache:zeitkomprimierte, TestSprachaudiometrie:im StörgeräuschRichtungshörmessungOrdnungsschwellenmessungkortikale evozierte Potenziale (CERA)HörfeldskalierungGap-Detection-Testdichotische Diskriminationstestsbinauraler Summationstest
Audiometrische Verfahren | Getestete auditive Leistung |
Objektive Verfahren | |
Stapediusreflexschwellenmessung | Schutzfunktion |
kortikale evozierte Potenziale (CERA) | Potenziale N1, P2, P3; mismatch negativity |
Subjektive Verfahren | |
Richtungshörmessung | Lokalisation |
Sprachaudiometrie im Störgeräusch | Selektion |
Binauraler Summationstest | binaurale Summation |
Dichotische Diskriminationstests | Separation |
Test mit zeitkomprimierter Sprache | Zeitauflösung |
Hörfeldskalierung Unbehaglichkeitsschwelle |
Hördynamik |
Gap-Detection-Test Ordnungsschwellenmessung |
Musteranalyse |
Heidelberger Heidelberger Auditives Screening in der Einschuldiagnostik (HASE)Lautdifferenzierungstest (HLAD)Heidelberger Sprachentwicklungstest (HSET)Heidelberger Vorschulscreening (HVS)Intelligence and Development Scales (IDS)Kaufman Assessment Battery for Children (K-ABC)KNUSPEL-L (Knuspels Leseaufgaben)Münchner Auditiver Screeningtest für Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen (MAUS)Psycholinguistischer Entwicklungstest (PET)Test:für Phonologische Bewusstheitsfähigkeit (TBP)Verbaler Lern- und Merkfähigkeitstest (VLMT)Test:zur Erfassung von Konzentration und Aufmerksamkeit im Kindergartenalter (TEA-Ch-K)Oldenburger Kinder-Satz-Test
Psychometrische Testverfahren (Lauer 2014) | Funktion |
Einflussfaktoren | |
Vigilanzprüfung über das PC-Programm AudioLog, TEA-Ch-K | Aufmerksamkeit |
Zahlen: AGTB 5–12, HASE, HAWIK-IV, HVS, IDS, K-ABC, PET Silben/Pseudowörter: AGTB 5–12, BISC, HASE, IDS, MAUS, Mottier-Test Wörter: AGTB 5–12, K-ABC, VLMT Sätze: HASE, HSET Texte: HSET, IDS |
Speicherung und Sequenz |
Auditive Verarbeitung | |
Richtungshörmessung bzw. AudioLog | Lokalisation |
Unterscheidung gleich-verschieden: BLDT, MAUS phonologische Differenzierung: Bildwortserie zur Lautagnosieprüfung, H-LAD, HVS, MAUS |
Diskrimination |
Wörter im Störgeräusch: MAUS Sätze im Störgeräusch: OLKISA Wörter, Silben oder Laute im Störgeräusch über AudioLog |
Selektion |
siehe aud. Tests bzw. Wörter, Silben oder Laute über AudioLog | Dichotische Diskrimination |
Klassifikation | |
Silbensegmentierung: BISC, HVS, TPB Lautidentifikation: BAKO 1–4, BISC, H-LAD, HVS, KNUSPEL-L, MAUS, TPB Lautkategorisierung, -ersetzung, -vertauschung: BAKO 1–4, TPB Reimen: BISC, HVS, TPB |
Analyse |
Laute verbinden: BISC, PET Wortumkehr: BAKO 1–4 |
Synthese |
Wörter ergänzen: PET | Ergänzung |
AGBT: Arbeitsgedächtnisbatterie für Kinder (5–12 J.), BAKO 1–4: Basiskompetenzen für Lese-Rechtschreibleistungen (1.–4. Klasse), BISC: Bielefelder Screening zur Früherkennung von Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten (Vorschulalter), BLDT: Bremer Lautdiskriminationstest (2. Klasse), HAWIK-IV: Hamburg-Wechsler Intelligenztest für Kinder – IV (4–16 J.), HASE: Heidelberger Auditives Screening in der Einschuldiagnostik (4–6 J.), HLAD: Heidelberger Lautdifferenzierungstest (2./4. Klasse), HSET: Heidelberger Sprachentwicklungstest (3–9 J.), HVS: Heidelberger Vorschulscreening (3–7 J.), IDS: Intelligence and Development Scales (5–10 J.), K-ABC: Kaufman Assessment Battery for Children (3–12 J.), KNUSPEL-L: Knuspels Leseaufgaben (1.–4. Klasse), MAUS: Münchner Auditiver Screeningtest für Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen, OLKISA: Oldenburger Kinder-Satz-Test (4 J. bis Grundschulalter), PET: Psycholinguistischer Entwicklungstest (3–9 J), TBP: Test für Phonologische Bewusstheitsfähigkeit (4 J. bis Ende 1. Klasse), TEA-Ch-K: Test zur Erfassung von Konzentration und Aufmerksamkeit im Kindergartenalter (4–6 J.), VLMT: Verbaler Lern- und Merkfähigkeitstest (ab 6 J.)
Teilfunktionsorientierte Therapieprogramme zum auditiven Training
Burger-Gartner u. Heber (2003) | Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen bei Vorschulkindern |
Brunner u. Waibel (2011) | Sprachspiele zur auditiven Wahrnehmung und Sprachverarbeitung im Vorschulalter |
Lauer (2014) | Auditive Verarbeitungsstörungen im Kindesalter |
Nickisch, Burger-Gartner u. Heber (2005) | Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen bei Schulkindern |
Signer (1979) | Hörtraining bei auditiv differenzierungsschwachen Kindern |
Spiel, Karlon u. Kuster (1985) | Lautwahrnehmung |
Wilhelm (2007) | Hörschmaus |
Leitlinien zu Auditiven Verarbeitungsstörungen
Gesellschaft | Leitlinie | Jahr |
American Academy of Audiology (AAA) | Clinical Practice Guidelines. Diagnosis, Treatment and Management of Children and Adults with Central Auditory Processing Disorder | 2010 |
American Speech-Language-Hearing Association (ASHA) | (Central) Auditory processing disorders. Technical Report | 2005 |
British Society of Audiology (BSA) | Position Statement Auditory processing disorder (APD) | 2011 |
Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP) | Leitlinie Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen (S1-Leitlinie) | 2010 |
Schweregradeinteilung der geistige Behinderung:Schweregradegeistigen Minderbegabungintellektuelle BehinderungImbezilitätGrenzdebilitätDebilitätBehinderung
Schweregrad | ICD-10 | Intelligenzbereich | Symptomatik |
Minderbegabung, Grenzdebilität | IQ 70–80 | Kinder häufig in der Schule überfordert, manche können Grund- und Hauptschule abschließen, die meisten sind später sozial und beruflich unabhängig | |
Leichte intellektuelle Behinderung, Debilität | F70 | IQ 50–69 | praktische Begabung häufig besser als theoretische, Sonderschule für Lernbehinderte im Erwachsenenalter, z. T. selbstständig (Entwicklungsalter als Erwachsene: 7–10 Lj.) |
Mäßige intellektuelle Behinderung, Imbezilität | F71 | IQ 35–49 | Sonderschule für praktisch bildungsfähige Kinder, als Erwachsene nicht selbstständig, einfache Tätigkeiten in Behindertenwerkstätten (Entwicklungsalter als Erwachsene: 4–6 Lj.) |
Schwere intellektuelle Behinderung | F72 | IQ 20–34 | können einfache Verrichtungen erlernen, müssen jedoch ständig betreut leben, meist Heimunterbringung (Entwicklungsalter als Erwachsene: 2–4 Lj.) |
Schwerste intellektuelle Behinderung, Idiotie | F73 | IQ < 20 | ständige Betreuung, oft wird weder Laufen noch selbstständiges Essen oder Sprechen erlernt (Entwicklungsalter als Erwachsene: 0–2 Lj.) |
Eine genauere Beschreibung der Schweregradeinteilung findet sich in den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie (2003)
Zusammenfassung der verschiedenen Ergebnisse bei FraX-Sprachentwicklungsstudien (Siegmüller et al. 2001)Fragiles-X-Syndrom:Sprachentwicklungsstudien
Linguistische Ebene | Symptomatik |
Phonologie |
|
Syntax |
|
Semantik/Lexikon |
|
Pragmatik |
|
Eingebettete Sprachentwicklungsstörungen
-
7.1
Hörstörungen Johannes Fellinger164
-
7.2
Auditive Verarbeitungsstörungen Norina Lauer171
-
7.3
Blinde Kinder Julia Siegmüller182
-
7.4
Geistige Behinderung Ernst G. de Langen185
-
7.5
Genetische Syndrome Julia Siegmüller189
7.5.1
Häufige Formen genetischer Störungen190
7.5.2
Sprachentwicklungsstörungen bei genetischen Syndromen191
7.5.3
Angelman-Syndrom Klaus Sarimski192
7.5.4
Cornelia-de-Lange-Syndrom Klaus Sarimski194
7.5.5
Cri-du-Chat-Syndrom Julia Siegmüller196
7.5.6
22q11-Deletionssyndrom Julia Siegmüller197
7.5.7
Down-Syndrom Klaus Sarimski199
7.5.8
Fragiles-X-Syndrom Julia Siegmüller201
7.5.9
Klinefelter-Syndrom Jeannine Schwytay204
7.5.10
Prader-Willi-Syndrom Klaus Sarimski206
7.5.11
Opitz-G/BBB-Syndrom Marita Böhning207
7.5.12
Rett-Syndrom Julia Siegmüller, Peter B. Marschik und Christa Einspieler209
7.5.13
Smith-Lemli-Opitz-Syndrom Dorothea Haas, Klaus Sarimski212
7.5.14
Triple-X-Syndrom Jeannine Schwytay213
7.5.15
Williams-Beuren-Syndrom Julia Siegmüller, Klaus Sarimski215
-
7.6
Mutismus Astrid Fröhling, Ulrike Krüger217
-
7.7
Autismus Kristin Snippe, Svenja Ringmann221
-
7.8
Fötales Alkoholsyndrom Julia Siegmüller225
7.1
Hörstörungen
7.1.1
Hörvorgang
Physiologisches Hören
-
•
Trommelfell: gerät durch Hören:physiologischesSchallwellen aus dem äußeren Gehörgang in TrommelfellSchwingung
-
•
Mittelohr: leitet die Schallimpulse vom Trommelfell durch die am MittelohrTrommelfell befestigte Kette aus Hörknöchelchen (Hammer, Amboss, Steigbügel) zum runden Fenster des Innenohrs
-
•
Innenohr: Stimulation des Sinneszellsystems (innere und äußere Haarzellen) Innenohrdurch Bewegung der Basalmembran
-
•
Schnecke (Cochlea): Umwandlung von mechanischer Energie in Schnecke (Cochlea)elektrische Information durch die Sinneszellen in der Schnecke
-
•
Hörbahn: die Fasern des Hörnervs (N. Hörbahnstatoacusticus Nervus(-i):statoacusticusoder Hörnervvestibulocochlearis; VIII. Hirnnerv) nehmen die Information in der Schnecke auf und leiten sie über die Kerngebiete im Hirnstamm und nach Kreuzung beider Seiten in den Schläfenlappen (primäre, sekundäre und tertiäre Hörrinde)
-
•
Hörrinde: Dekodierung der Sprache und Verknüpfung mit Informationen aus Hörrindeanderen Sinnessystemen
Frühkindliche Hörentwicklung (Tab. 7.1)
7.1.2
Audiologische Grundbegriffe
Schall
Tonhöhe
Lautstärke
Hörfeld – Sprachfeld
-
•
Schmerzschwelle: Dezibelverläuft relativ geradlinig „Sprachfeld“unterhalb 130 dB HörfeldSchallpegel
-
•
Hörschwelle ist stark frequenzabhängig: zwischen 250 Hz und 5.000 Hz ist das Ohr besonders empfindlich. Hauptsprachbereich liegt in diesen Frequenzen bei Lautstärken von 40–70 dB
7.1.3
Einteilung der Hörstörungen
Nach Lokalisation der Schädigung
-
•
Dämpfung der Hörstörungen:EinteilungSchallwellen im Schallleitungsstörungenäußeren Gehörgang oder Mittelohr
-
•
Ursachen: z. B. Ergüsse im Mittelohr, Veränderungen am Trommelfell, Veränderungen der Gehörknöchelchenkette
-
•
mechanische Schallwellen gelangen bis in die SchallempfindungsstörungenSchnecke, das Cortiorgan kann sie nicht oder nicht ausreichend in elektrische Signale umwandeln
-
•
Ursachen: angeborene oder erworbene Schädigung des Innenohrs
-
•
Informationsverarbeitung in nachgeschalteten SchallwahrnehmungsstörungenTeilen der Hörbahn oder in den entsprechenden Großhirnregionen beeinträchtigt
-
•
Ursache: schwere Hirnschädigungen, z. B. Infektionen oder Entwicklungsstörungen
Nach dem Schweregrad der Hörstörung
-
•
leichtgradig: Hörverlust ≤ 40 Hörstörungen:SchweregradedB
-
•
mittelgradig: Hörverlust 40–60 dB
-
•
hochgradig: Hörverlust 60–90 dB
-
•
an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit: Hörverlust ≥ 90 dB
-
•
Taubheit: keinerlei Hörwahrnehmung
Nach Zeitpunkt des Eintritts der Hörschädigung
-
•
prälingual: Eintritt der Hörstörung vor Spracherwerb
-
•
perilingual: Eintritt der Hörstörung bei noch nicht abgeschlossenem Spracherwerb
-
•
postlingual: Eintritt der Hörstörung nach Abschluss des Spracherwerbs
Nach Ursachen der Hörschädigung
-
•
hereditär bedingte Hörstörungen (Hörstörungen:Ursachendominanter oder rezessiver Erbgang): im Rahmen von Syndromen oder isoliert (> 50 %)
-
•
postinfektiöse Hörstörungen: z. B. nach Röteln, Masern, Zytomegalie, Meningokokken
-
•
posttraumatische Hörstörungen: z. B. Knalltrauma, chronischer Lärm, Schädelbasisbruch
-
•
toxische Hörstörungen: z. B. nach Chemotherapien, Antibiotika
-
•
degenerative Hörstörungen (Alter)
Gehörlosigkeit
7.1.4
Diagnostik
Neugeborenen-Hörscreening
Objektive Verfahren
Otoakustische Emissionen (OAE)
Tympanometrie
Hirnstammaudiometrie (BERA, Brainstem Electric Response Audiometry)
Subjektive Verfahren
Stimmgabelprobe
•
Weber-Versuch: Vergleich beider Ohren über Weber-VersuchKnochenleitung. Dazu wird die schwingende Stimmgabel in Schädelmitte am Scheitel aufgesetzt und abgewartet, wie lange in welchem Ohr der Ton wahrgenommen wird
•
Rinne-Versuch: Vergleich von Knochenleitung und Luftleitung Rinne-Versuchdes einzelnen Ohres, indem die Stimmgabel zunächst am knöchernen Schädel aufgesetzt und nach Abklingen des Tones vor das Ohr gehalten wird
Sprachabstandsprüfung
•
Innenohrschwerhörigkeit: Innenohrschwerhörigkeitgroßer Unterschied in der Hörweite für Flüstersprache und Umgangssprache
•
Mittelohrschwerhörigkeit: Mittelohrschwerhörigkeitannähernd gleiche Einschränkung des Flüster- und Umgangsspracheverstehens
Verhaltensbeobachtungsaudiometrie
Spielaudiometrie (ab 2–4 Jahren)
Tonaudiometrie (ab 3–4 Jahren)
Sprachaudiometrie
7.1.5
Allgemeine Therapiemaßnahmen
Um einem Menschen mit Hörbeeinträchtigung gerecht zu werden, muss man ihn „bevorzugen“.
Elternberatung
•
sensible Diagnoseeröffnung mit anschließender Verfügbarkeit für Fragen und Begleitung zu einer positiven Sicht der neuen Herausforderung, Trauerarbeit
•
ausreichende Information und Kontakte zu Gleichbetroffenen
•
neben audiologisch rehabilitativen Bemühungen Unterweisungen in nonverbaler Kommunikation und klarer Körpersprache, damit die Eltern von Anfang an kompetente Kommunikationspartner ihres Kindes sind
•
gute Bindungsentwicklung (stabile Bezugsperson, ausreichend Körperkontakt) ist Grundvoraussetzung für spätere psychosoziale Gesundheit
•
Weiterbildung: elterliche Fähigkeit, auf kindliche Signale feinfühlig und angemessen zu reagieren, ist ständig weiterzuentwickeln (Responsivität). Dem heranwachsenden Kind wird so die Chance gegeben, selbst zu erleben, wie es kommunikativ seine Umwelt beeinflussen kann. Unter anderem können auch Videoanalysen dabei hilfreich sein. In der Förderdiagnostik sind Entwicklungshorizonte regelmäßig und offen mit den Eltern zu erörtern
Frühtherapie
Kinder mit Hörstörungen und Mehrfachbeeinträchtigungen
Schule und Ausbildung von Kindern mit Hörstörungen
-
•
Kinder mit Hörschädigungen sollten in ihrer Hörstörungen:Schule/Ausbildunggewohnten Umgebung und in ihrem natürlichen Umfeld aufwachsen. Soziale Integration (im Kindergarten und der ersten Grundschulzeit meist kein Problem) hat Indikatorfunktion für weitere Entscheidungen. Bei Störungen der Gesamtentwicklung und bedeutungsvollen sprachlichen Rückständen Beschulung in Spezialeinrichtungen für Hörgeschädigte
-
•
beiläufiger Wissenserwerb ist oft erschwert (Gespräche anderer können oft nicht verfolgt werden), dadurch Wortschatzentwicklung und Ausmaß des erworbenen Weltwissens stark zuwendungsabhängig. Für eine adäquate Berufsausbildung oft Assistenz (Dolmetscher) vonnöten
Hörbeeinträchtigung und seelische Gesundheit
Kommunikation mit Menschen mit Hörbeeinträchtigungen
-
•
Aufmerksamkeit gewinnen
-
•
Hörstörungen:KommunikationBlickkontakt halten
-
•
auf gute Lichtverhältnisse achten (Lichtquelle hinter dem Betroffenen)
-
•
Hintergrundgeräusche vermeiden
-
•
klare, kurze Sätze verwenden
-
•
deutlich artikulieren
-
•
nicht schreien
Gebärdensprache
7.1.6
Technische Hilfsmittel
Hörgeräte
•
unterschiedliche Gerätetypen
•
Aufbau: Ohrpassstück (Otoplastik), Mikrophon zur Aufnahme des Schalls, elektronische Bauteile zur Bearbeitung des Signals, Verstärker und Lautsprecher
•
Bauart: Hinter-dem-Ohr-Geräte (HdO) und Im-Ohr-Geräte (IO)
•
Art der Schallbearbeitung: analog, digital programmierbar und voll digital
•
für kindgerechte Hörgerätversorgungen sind spezielle Kenntnisse erforderlich
Cochlea-Implantat (CI)
•
bei taub geborenen Kindern liegt das optimale Implantationsalter im 1. Lj.
•
normale Sprachentwicklung bei Implantation vor dem 4. Lj. in etwa 50 % der Fälle
•
Aufbau: aus zwei Teilen, dem eigentlichen Implantat und dem außen getragenen Sprachprozessor. Dieser wandelt die akustischen Signale in elektrische Impulse um, die über die Sendespule mittels Funkwellen an den implantierten Empfänger/Stimulator übertragen werden. Von dort gelangen sie an die in die Cochlea platzierten Elektroden, die je nach Gerätetyp nach unterschiedlichen Strategien direkt den Hörnerv stimulieren
•
in der ersten Zeit nach der Operation und der zeitlich versetzten Anpassung der Sprachprozessoren muss der Patient die neuen Höreindrücke richtig erkennen lernen
FM-Anlagen
Weitere Möglichkeiten zur Störschallreduktion
Alltagserleichternde Hilfsmittel
7.2
Auditive Verarbeitungsstörungen
7.2.1
Theoretische Aspekte der auditiven Verarbeitung
•
je höher die Verarbeitungsebene, umso komplexer die Verarbeitung. Die komplexeste Verarbeitung findet in den primären akustischen Projektionsfeldern sowie in den sekundären und tertiären akustischen Rindenfeldern des Großhirns statt
•
je analytischer die Verarbeitung, desto mehr linkshemisphärische Aktivität
•
Verarbeitung außersprachlicher und sprachlicher Stimuli erfolgt in unterschiedlichen Hirnregionen
Leistungen des auditiven Systems
•
Verarbeitung von auditives System:LeistungenLautstärke
•
Verarbeitung von Tonhöhe
•
Verarbeitung der Dauer akustischer Reize
•
Lokalisation von Schallquellen
•
Verarbeitung außersprachlicher Reize (Geräusche, Musik)
•
Verarbeitung sprachlicher Reize
Modell der auditiven Verarbeitung, ihrer Einflussfaktoren und nachfolgender Klassifikationsprozesse (Abb. 7.2)
•
auditive TeilfunktionenAufmerksamkeit: bewusstes Wahrnehmen auditiver Stimuli generell (tonische und phasische Wachheit), selektiv (auf bestimmte Ereignisse gerichtet) oder geteilt (auf parallele Reize gerichtet). Vigilanz: längerfristige Beanspruchung der Aufmerksamkeit, bei der relevante Stimuli in unregelmäßigen Intervallen oder selten vorkommen
•
Speicherung/Sequenz (auch: auditive Merkspanne bzw. Merkfähigkeit, Hörmerkspanne): kurzfristige Speicherung auditiver Stimuli im Arbeitsgedächtnis (Speicherung) unter Berücksichtigung der Reihenfolge (Sequenz)
•
Lokalisation: Erkennen von Richtung und Entfernung auditiver Reize
•
Diskrimination (auch: Differenzierung): Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen auditiven Reizen erkennen (z. B. „ta – ta“ gleich, „ka – ta“ verschieden)
•
Selektion (auch Figur-Hintergrund-Unterscheidung): Unterscheidung bedeutungsvoller Informationen von Umgebungsgeräuschen
•
dichotische Diskrimination: Unterscheidung akustischer Stimuli, die beiden Ohren gleichzeitig präsentiert werden
•
Analyse: Herauslösen eines einzelnen Elements aus einer akustisch komplexen Gestalt. Sprachspezifisch bedeutet dies Fähigkeit zur Identifikation (z. B. „Ist ein /t/ in Tasse?“) und Positionsbestimmung von Lauten (z. B. „Ist das /t/ in Tasse vorne oder hinten?“)
•
Synthese: Zusammensetzen einer akustisch komplexen Gestalt aus Einzelelementen (z. B. „t – a – l“ = Tal)
•
Ergänzung: Vervollständigung fragmentarischer akustischer Gebilde zu sinnvollen Informationen (z. B. „Re-enschirm“ = Regenschirm)
•
„bottom-up“: von der akustischen Stimulation über Wahrnehmungs- und Klassifikationsprozesse bis hin zu mentalen Prozessen
•
„top-down“: mentale Prozesse wie Erwartungen, Wissen oder Motivation beeinflussen Reizaufnahme und Reizverarbeitung
7.2.2
Entwicklung der auditiven Verarbeitung
7.2.3
Diagnostik
•
aus phoniatrisch-pädaudiologischer Sicht liegen audiologisch messbare Auffälligkeiten auf Ebene der zentralen Hörbahn vor
•
die Störung ist von allgemeinen Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen sowie kognitiven Defiziten abzugrenzen
•
die DGPP (2010) fordert in ihren Leitlinien die Einbeziehung sprachfreier und sprachorientierter Tests in die Diagnostik, angloamerikanische Leitlinien empfehlen demgegenüber ausschließlich sprachfreie Tests (ASHA 2005)
Audiologische Testverfahren (Tab. 7.4)
•
erfordern im Gegensatz zu subjektiven Verfahren keine aktive Mitarbeit des Patienten, motorische Unruhe kann aber die Testergebnisse beeinflussen
•
liefern erst ab einem Alter von 7 J. zuverlässigere Ergebnisse
•
das Ergebnis eines einzelnen Tests ist zur Diagnosestellung nicht geeignet, einen übereinstimmenden Einsatz von Testverfahren gibt es aber nicht
•
eine hohe Anzahl von Tests erhöht die Sensitivität der Verfahren, vermindert gleichzeitig aber die Spezifität (AAA 2010)
Psychometrische Testverfahren (Tab. 7.5)
-
•
werden von Logopäden bzw. Sprachtherapeuten psychometrische Testverfahreneingesetzt
-
•
Richtungshörmessungauch bei psychometrischen Verfahren kann ein Test allein keine gesicherte Diagnosestellung ermöglichen
-
•
sind nur einzelne Funktionen auffällig, sollte nicht die Diagnose AVS gestellt, sondern die jeweils gestörte Funktion benannt werden
Zusammenhänge mit anderen Störungsbildern
-
•
AVS und umschriebene Hörstörungen:Sprachentwicklungsstörungen, spezifsche (SSES)auditive Verarbeitungsstörungen:HörstörungenSprachentwicklungsstörungenSprachentwicklungsstörungen:spezifsche (SSES) (USES): werden häufig zusammen beobachtet. Studien lassen vermuten, dass es sich um parallel auftretende Störungsbilder handelt (Kiese-Himmel 2011)
-
•
AVS und phonologische phonologische Bewusstheit:auditive VerarbeitungsstörungenBewusstheit: umstritten, ob auditive Verarbeitung Basis für phonologische Bewusstheit ist oder voneinander unabhängige Störungen vorliegen
-
•
AVS und Merkfähigkeit: unklar, ob Merkfähigkeitsstörungen:auditive VerarbeitungsstörungenMerkfähigkeitsstörungen Teil der AVS oder davon dissoziiert sind
-
•
AVS und Aufmerksamkeitsdefizit-(Hyperaktivitäts-)Störung (AD[H]S): AS(H)S kann die Diagnostik der AVS erheblich beeinflussen
7.2.4
Therapie
Beratung von Eltern und Pädagogen
Modifikation der Hörumgebung
-
•
Schulkinder mit AVS sollten möglichst weit vorne sitzen (< 5 m Entfernung), um den Lehrer zu verstehen und bei Störlärm das Mundbild sehen zu können (Lippenlesen)
-
•
kann mit einem Ohr besser gehört werden, ist dieses auf den Sprecher auszurichten
-
•
Hörumgebung stabil halten, daher möglichst selten Sitzplatz wechseln
-
•
Klassen mit mehreren Kindern mit AVS:
–
Sitzordnung in Form eines Halbkreises
–
max. 12 Schüler pro Klasse
–
< 50 % Schüler mit AVS pro Klasse mit sonst peripher hörgeschädigten Kindern
-
•
deutlich und betont Sprechverhalten:auditive Verarbeitungsstörungensprechen
-
•
Mimik und Gestik einsetzen
-
•
zu lautes oder überdeutliches Sprechen vermeiden (mindert Sprechverständlichkeit)
-
•
für eine ruhige Hörumgebung sorgen
-
•
kurze und eindeutige Instruktionen, mit Beispielen verdeutlichen
-
•
Vorträge des Lehrers kurz halten
-
•
natürliche Sprechpausen verlängern, um mehr Zeit für Verstehen zu geben
-
•
Aufmerksamkeit über direkte Ansprache sichern
-
•
Blickkontakt zum Hörenden halten
-
•
Wiederholung und Betonung einsetzen
-
•
schriftliche Hinweise, Skripte und Tafelanschriebe einsetzen
-
•
nicht gleichzeitig sprechen und an die Tafel schreiben
-
•
Sprech- und Sprachverstehen über Nachfragen sicherstellen
Auditives Training
Teilfunktionsorientierte Therapie (Tab. 7.6)
•
als Einzel- und ggf. Gruppentherapie
•
Einzeltherapie: beste Möglichkeit, um auf die individuellen Schwierigkeiten des Kindes einzugehen
•
Gruppentherapie: motivierend und unterstützend. Je spezifischer gearbeitet werden soll, umso homogener muss die Zusammensetzung der Gruppe sein
•
Arbeit an den als auffällig diagnostizierten Teilfunktionen, unspezifische Arbeit an allen Teilfunktionen mit unspezifischen Reizen ist zu vermeiden
•
unterstützend computerunterstützte Verfahren
Prinzip
•
Laute, Silben, Wörter, Sätze, Texte
•
zusätzlich sind die Einflussfaktoren Aufmerksamkeit und Speicherung/Sequenz sowie die höheren kognitiven Funktionen der Analyse, Synthese und Ergänzung zu berücksichtigen
•
Computerprogramme können unterstützend eingesetzt werden, sollten aber nicht als alleinige Behandlungsmethode gewählt werden. Bei Selektion und dichotischer Diskrimination bietet sich der PC-Einsatz besonders an, um Signal und Störgeräusch kontrolliert bzw. Signale parallel anzubieten
Beispiele für einsetzbare Computerprogramme
•
AudioLog (Flexoft): sehr auditive Verarbeitungsstörungen:Computerprogramme, einsetzbareumfassendes und gut strukturiertes Übungsprogramm zu allen auditiven Teilfunktionen auf außersprachlicher und sprachlicher Ebene, insbesondere auf der für die Therapie relevanten Laut-, Silben- und Wortebene viele Übungen; auch Selektion und dichotisches Hören trainierbar; individuelle Übungskonzeption sehr gut möglich
•
Hören-Sehen-Lernen: außersprachliche und sprachliche Stimuli, insbesondere für Training von Diskrimination, Analyse und Synthese geeignet
•
MiniLÜK Hörspaß: Übungsprogramm mit außersprachlichen und sprachlichen Stimuli, wenig Anpassungsmöglichkeiten, für häusliches Üben geeignet
•
Multimediaspiele aus dem Würzburger Trainingsprogramm: Übungsprogramm mit außersprachlichen und sprachlichen Stimuli zur Vorbereitung auf Schriftspracherwerb, individuelle Anpassung eingeschränkt, für häusliches Üben geeignet
Effektivität des auditiven Trainings
Psychomotorische Therapieansätze
Technische Therapieansätze und Klangtherapie
Effektivität technischer Therapieansätze
7.2.5
Leitlinien zu AVS
7.3
Blinde Kinder
Maßgebliche statistische Fakten
•
Einteilung der SehbehinderungSehbehinderung in SehbeeinträchtigungSehbeeinträchtigung, wesentliche Sehbeeinträchtigung und Blindheit
•
Häufigkeit: 1:4.000–1:6.000 Lebendgeburten
•
Bei 10–20 Fällen auf 10.000 Lebendgeburten zeigen sich Folgen der Sehstörung in der Schullaufbahn der betroffenen Kinder (McConachie und Carr 2008; Zahl gilt außerhalb der dritten Welt)
•
Anteil Blinder bei Frühgeborenen 3–7 %; 40 % tragen Netzhautschädigungen davon
Ursachen
-
•
Blindheit, kongenitale:Ursachenerblich: z. B. Missbildung des Auges (z. B. Mikrophtalmus), Fehlbildung des Sehnervs (z. B. Hypoplasie)
-
•
erworben: Schädigungen der äußeren Augenpartien (z. B. Katarakt)
-
•
iatrogene Faktoren: z. B. Operationsschäden, Fehlbehandlungen
-
•
entzündliche Formen: rückläufig, z. B. Meningitis
-
•
Frühgeborenenblindheit: zunehmend! pathologische Wachstumsprozesse der noch unreifen Netzhaut
-
•
kortikale Schäden: z. B. Verletzungen des primär visuellen Kortex verursachen Gesichtsfeldausfälle unterschiedlicher Ausdehnung
7.3.1
Erscheinungsbild
Neuere Studien zeigen, dass blinde Kinder sich als Ersatz für den visuellen Sinn vermehrt auf den Tastsinn und nicht auf auditiven Input verlassen.
Hypersensitivität im Mundraum
•
Schwierigkeiten bei Umstellung auf feste Nahrung
•
Hemmung der Selbstständigkeit bei der Nahrungsaufnahme
Kognitive und emotionale Entwicklung
-
•
kontroverse Dikussion, ob Kinder mit kongenitaler BlindheitBlindheit, kongenitale:emotionale/kognitive Entwicklung ein erhöhtes Risiko zu Störungen der Ich-Entwicklung aufgrund mangelnder Selbstrepräsentation tragen
-
•
Bindungsverhalten normal, kindliche Reaktionen aufgrund von auditivem Stimulus (Stimme der Eltern)
-
•
frühes Explorationsverhalten normal, starkes Ertasten von Gesichtern
-
•
Wahrnehmungsentwicklung verzögert, v. a. Wahrnehmung anderer Personen, dadurch verzögerte soziale Entwicklung
-
•
verzögerte Theory of mind (McConachie und Carr 2008); kann sich im Erwerb bis ins Jugendlichenalter ziehen
-
•
Symbolspiel stark verzögert; v. a. weniger Gebrauch von Ersatzobjekten im Spiel
Sprachentwicklungsstörung
-
•
Sprachentwicklungsstörungen:Blindheit, kongenitaleBlindheit, kongenitale:Sprachentwicklungsstörungenaufgrund geringer Zahl blinder Kinder ist kein unauffälliger Sprachentwicklungsverlauf (allein durch Blindheit beeinflusst) in Abgrenzung zu Blindheit und Sprachentwicklungsstörung beschrieben (Mills 1988)
-
•
ca. bis ins Jahr 2000 wurde beginnende SprachproduktionSprachproduktionsstörungen generell als verzögert beschrieben. Neue Fallstudien belegen unauffälligen Start des produktiven Wortschatzerwerbs bei kleineren Studien. Von der Entwicklung im 1. Lj. werden keine Auffälligkeiten beschrieben
-
•
im Bereich Artikulation vorübergehend Fehlbildungen von Lauten mit gut sichtbarem Artikulationsvorgang
-
•
lexikalische lexikalische Entwicklungund syntaktische Entwicklung:syntaktische Entwicklung v. a. Verblexikon und Schnittstelle der Verben zur grammatischen Entwicklung (Kap. 3.4.3) von Auffälligkeiten betroffen. Ursächlich hierfür sind die fehlenden Erfahrungsmöglichkeiten (Beobachten von Handlungen), die durch visuellen Input optimal gestützt würden. Bei blinden Kindern ohne eigenständige Sprachentwicklungsstörung werden dagegen i. d. R. Verben mit taktiler Wahrnehmungsmöglichkeit gut erworben (z. B. baden). Insofern wird die syntaktische Ebene von der lexikalischen Störung beeinflusst. Eine Differenzialdiagnostik zwischen Lexikon und Syntax muss entscheiden, ob daneben eine eigenständige syntaktische Störung vorliegt.
-
•
Überwindung der Einwortebene kann sich bis zum Ende des 3. Lj. ziehen
-
•
besondere Schwierigkeiten beim Erwerb der Wortbedeutung (Semantik, Kap. 3.5). Dabei werden konkrete Objekte besser gelernt als abstrakte. Generell werden Wortbedeutungen selten auf handlungsbezogene Kontexte abgebildet (Beelmann und Hecker 1998). Auswirkungen auf Entwicklung des Symbolspiels: semantische Aspekte von Wörtern werden weniger elaboriert
-
•
besondere Probleme bereiten daneben:
–
räumlich-deiktische Begriffe wie Adverbiale (z. B. hier, dort)
–
lokale Präpositionen (z. B. auf, in)
–
Personalpronomen, die sich mit einem Sprecherwechsel verändern (z. B. ich, du)
–
EcholalieBlindheit, kongenitale:Echolalie: kann bis zu 25 % aller Echolalie:Blindheit, kongenitaleSprachäußerungen ausmachen. Ursachen sind autistische Züge, v. a. bei Mehrfachbehinderung, oder Kommunikationsstrategie, bei der das Kind zunächst unanalysierte Sprachteile ganz übernimmt, um das Kommunikationserlebnis zu erfahren und zu erproben (Beelmann und Hecker 1998). Bei Kindern ohne Mehrfachbehinderung teilweise Abbau im/ab dem 3. Lj. (McConachie und Carr 2008)
7.3.2
Diagnostik
•
semantisch-lexikalische Ebene: Verteilung der Wortarten im Wortschatz, v. a. schwierige Wortarten (Verben) dokumentieren. Rückgriff auf Spontansprachprobe
7.3.3
Therapie
Behandlung der Sprachstörung
-
•
Sprechfreude im Alltag: räumliche Sicherheit ist Voraussetzung für den Versuch der eigenständigen Kommunikationsaufnahme. In Kita daher häufiger Kommunikation mit Kindern innerhalb der Gruppe als im Außengelände; hier häufig sehr zurückgezogen bis autistisch. Aufbau Kommunikationsverhalten innen stärken und nach außen übertragen; hier ebenfalls Aspekt der räumlichen Sicherheit (z. B. Sandkiste als Spielfläche für blindes Kind begreifbar eingrenzen) Sprachentwicklungsstörungen:Blindheit, kongenitaleBlindheit, kongenitale:Sprachentwicklungsstörungen
-
•
Entwicklung des Lexikons muss im Vordergrund stehen, wobei die Untersuchung der Welt ohne visuelle Verarbeitung in der Therapie geübt werden muss. Entsprechend muss der Aufbau semantischer Felder erfolgen, ohne visuell orientierte semantische Merkmale einzubeziehen. Die Etablierung erster Wörter muss im wahrsten Sinne des Wortes die Begreifbarkeit der Konzepte beinhalten. So wird die vermehrte Fokussierung auf den Tastsinn geübt
-
•
Entwicklung der Semantik erfolgt in Interaktionssituationen bekannter Routineabläufe, in denen räumliche Orientierung der Kinder gewährleistet ist. In diesem Setting Merkmalsaspekte von Objekten besser integrierbar, mehr Explorationsaktivität beim Kind stimulierbar
-
•
Aufbau des Verblexikons: Idee des Handlungsbezeichnens kann an körperlich erfahrbaren Verben, z. B. sitzen, berühren, streicheln, angebahnt werden. Direkt danach sollte sich eine Therapie transitiver Verben mit vollständigen syntaktischen Rahmen anschließen, um den Einstieg in die Mehrwortebene zu ermöglichen
-
•
Abbau der Echolalie: als letztes Ziel, da sie als Ersatzstrategie betrachtet werden sollte, durch die das Kind die Generierung eigener Sätze ersetzt. Das positive Kommunikationserlebnis, das das Kind hierdurch erlebt, kann nur durch ein anderes positives Kommunikationserlebnis, nämlich die Generierung eigener Mehrwortäußerungen, ersetzt werden
Behandlung der orofazialen Störungen
7.4
Geistige Behinderung
Niederländische und deutsche Studien berichten über folgende Prävalenz der geistigen Behinderung bezogen auf die Gesamtpopulation:
•
IQ < 50: 0,4 %
•
IQ 50–70: 2,5–2,9 %
Ursachen
•
> 50 % der schweren Behinderungen haben pränatale Ursachen, v. a. chromosomale und nicht chromosomale Dysmorphiesyndrome (Sarimski 2001). Es dominiert das Down-Syndrom mit ca. 30 %
•
In vielen Fällen bleibt die Ursache für eine geistige Behinderung ätiologisch unklar, d. h. weder metabolisch-genetische noch chromosomale oder exogene Faktoren können eindeutig festgestellt werden. Remschmidt (1979) nennt eine Anzahl von ca. 75 % ungeklärter Fälle. Erhebliche Fortschritte in der Humangenetik und daraus folgende Beschreibungen weiterer genetischer Syndrome führen dazu, dass die Anzahl ungeklärter Fälle zurückgeht (Kap. 7.5)
7.4.1
Erscheinungsbild und Klassifikation
Definitionen (Tab. 7.8)
-
•
geistige Behinderunggeistige Behinderung:Definitionen: die intellektuellen Fähigkeiten liegen psychometrisch um mehr als zwei Standardabweichungen unter dem Durchschnitt der jeweiligen Altersgruppe bei bedeutsamem Entwicklungsdefizit der sozial-adaptiven Fähigkeiten
-
•
Oligophrenie: Oligophreniepsychiatrischer Oberbegriff der verschiedenen Formen der intellektuellen Minderbegabung, wenn diese angeboren, ererbt oder frühkindlich vor, während oder nach der Geburt erworben ist. Die Defekte sind dauerhaft
-
•
Intelligenz: in Intelligenzminderungder Psychologie das Ganze der Denkvollzüge und ihre Anwendung auf die praktisch-theoretischen Aufgaben des Lebens sowie Fähigkeit, unter zweckmäßiger Verfügung über Denkmittel neuartige Situationen und Probleme zu meistern (Martin 1979)
Sprachentwicklungsstörung
•
keine sprachliche Kommunikation: 80,9 %
•
gestörte sprachliche Kommunikation: 15,4 %
•
Verwendung von Sprache und Zeichen: 0,6 %
•
Verwendung von Zeichen und Symbolen: 2,6 %
•
nicht zu beschreiben: 0,5 %
•
störende stereotype Verhaltens- und Sprachmuster
•
Blickkontaktvermeidung
•
unzureichende Abstimmung des thematischen Bezugs der Äußerungen
•
unzureichende Mitteilung inhaltlich notwendiger Informationen
•
fehlende Strategien zur Auflösung von Missverständnissen
7.4.2
Diagnostik
Altersnormierte Sprachentwicklungstests
-
•
sind bei einem Teil der geistige Behinderung:SprachentwicklungstestsKinder mit geistiger Behinderung sinnvoll; nicht angebracht bei Kindern mit Mehrfachbehinderungen, die oft ein invariables Nullprofil zeigen
-
•
Ziel: Aufdeckung dissoziativer Entwicklungen des Spracherwerbs, um durch eine spezifische phonetische bzw. linguistische Therapie im Bereich von Artikulation, Phonologie, Lexikon, Semantik oder Morphologie und Syntax funktional bedeutsame Fortschritte im Spracherwerb zu erzielen
-
•
Vergleich mit nicht behinderten Altersgenossen wenig hilfreich
Differenzialdiagnostik
7.4.3
Therapie
Förderung der Kommunikation
•
somatischer Dialog
•
basale Kommunikation
•
Gestalttherapie
•
nonverbale Kommunikationsförderung
•
Förderung von emotionalem Ausdruck und Gestik
•
Gebärden
•
Zeichen und Symbole
•
technische Kommunikationshilfen
•
allgemeine Sprachentwicklungsförderung
Neuropsychologische Förderung
•
neuropsychologische Förderunggeistige Behinderung:neuropsychologische Förderung basaler kognitiver Kompetenzen, wie verbalem Kurzzeitgedächtnis und Aufmerksamkeit, da diese für weiterführende Therapien notwendig sind
•
früher standen eher verhaltenstherapeutisch strukturierte Übungssituationen im Vordergrund, heute besteht die kommunikative Sprachanbahnung bei geistig behinderten Kindern aus der Förderung von Gelegenheiten zur Kommunikation und der Beratung der Eltern in der alltäglichen Interaktionsgestaltung (Sarimski 2001)
7.5
Genetische Syndrome
Beziehung Genetische Syndrome – seltene Erkrankungen
•
Dachorganisation der seltenen Erkrankungen ist die ACHSE (Allianz chronischer seltener Erkrankungen), die die Einzelverbände zusammenführt, Adressenlisten, Beratung etc. anbietet
•
Onlinekataloge mit gelisteten Phänotypenbeschreibungen
–
OMIM (www.omim.org)
–
Orphanet (www.orpha.net)
–
SE-Atlas (deutsch) (www.se-atlas.de)
7.5.1
Häufige Formen genetischer Störungen
Beim gesunden Menschen besteht das Erbgut in einem diploiden Chromosomensatz aus 46 Chromosomen, davon 22 identische Paare (nummeriert nach abnehmender Größe von 1 bis 22), das letzte ungleiche Paar bilden die Geschlechtschromosomen (XX bei Frauen und XY bei Männern).
Chromosomenabberationen
-
•
Monosomie: Fehlen MonosomieChromosomenaberrationen:nummerischevollständiger Chromosomen. Einzige lebensfähige Monosomie ist das Turner-Syndrom (X0)
-
•
Turner-Syndromvermehrtes Auftreten vollständiger Chromosomen: Trisomie weitaus am häufigsten. Wurde für alle Chromosomen Trisomienachgewiesen (z. B. Down-Syndrom, Kap. 6.5.7)
-
•
Deletion: große „eletionChromosomenaberrationen:strukturelleAnteile eines Chromosoms fehlen, z. B. Cri-du-Chat-Syndrom (Cri-du-Chat-SyndromKap. 7.5.5)
-
•
Mikrodeletion: Deletion einer kleinen Anzahl eng zusammenMikrodeletion liegender Gene. Zur Manifestierung eines Syndroms Verlust von ca. 20–30 Genen notwendig. Zytogenetisch nicht nachweisbar. Durch molekulare Techniken bislang > 20 Mikrodeletionssyndrome bekannt (z. B. Williams-Beuren-Syndrom, Williams-Beuren-Syndrom Kap. 7.5.15)
-
•
Translokation: ein Arm eines Chromosoms wird auf ein „Translokationanderes übertragen. Unbalancierte Translokationen führen zu Trisomien
Mutationen
•
Punktmutation ist die Veränderung von nur einem Gen
•
PunktmutationKeimbahnmutationen entstehen in Samen- oder Eizelle Keimbahnmutationund werden an die Nachkommen weitergegeben. Neue Punktmutationen in männlicher Keimbahn (Spermatogenese) mit zunehmendem Alter immer wahrscheinlicher
•
Mosaik: Mutationen während der Mosaik, genetischesEmbryogenese/Entwicklung betreffen nur einen Teil der Körperzellen
Multifaktorielle Störungen
Mitochondriale Störungen
Störungen aufgrund von gestörter Genaktivität
•
ererbten genetischen Faktoren (Epigenetik)
•
endogenen biologischen Faktoren wie Hormonen (Stresshormone, Sexualhormone)
•
Umweltfaktoren (Toxine, psychologischer Stress ausgelöst durch Mutter)
7.5.2
Sprachentwicklungsstörungen bei genetischen Syndromen
•
i. d. R. ist die Sprache schwerer betroffen als nicht-sprachliche Kognition (z. B. Down-Syndrom, Kap. 7.5.7)
•
Ausnahme ist das Williams-Beuren-Syndrom (Kap. 7.5.15): sprachliche Entwicklung kann weiter voranschreiten als die nichtsprachliche kognitive Entwicklung (Rondal und Edwards 1997)
Sprachproduktion und Sprachrezeption
•
defizitäre Sprachproduktion ist bei vielen genetischen Syndromen Leitsymptom
•
Sprachrezeption ist i. d. R. besser entwickelt, zumindest das Wortverstehen oder das Anwenden einer Schlüsselwortstrategie beim Satzverständnis ist den meisten Kindern auch mit schweren geistigen Behinderungen möglich. Die Anteile des Satzverstehens entwickeln sich dann normalerweise stark verzögert, d. h. bis ins Schulalter hinein
Variation und Prognose
7.5.3
Angelman-Syndrom
Ursachen
Maßgebliche statistische Fakten
•
Häufigkeit: 1 : 10.000–1 : 20.000
•
gleiches Verhältnis von Jungen zu Mädchen
•
Lebenserwartung: normal
•
klinische Diagnose kann in > 80–85 % durch molekulargenetische Analyse bestätigt werden
Erscheinungsbild
-
•
schwere Entwicklungsstörung (geistige Behinderung):geistige Behinderung:Angelman-Syndrom IQ < 40 (Sarimski 2003); schwere Sprachentwicklungsstörung, meist völlig ausbleibende produktive Sprachentwicklung; rezeptive und nonverbale Kommunikationsfähigkeiten besser ausgebildet als produktive verbale Kompetenzen
-
•
Bewegungs- oder Gleichgewichtsstörungen: ataktisches Gangbild, zitternde Bewegungsmuster
-
•
Verhaltensauffälligkeiten: häufiges Lächeln oder Lachen (oft ohne erkennbaren Anlass), ausgeprägte Fröhlichkeit, Impulsivität, hypermotorisches Verhalten, kurze Aufmerksamkeitsspanne
-
•
verlangsamtes, disproportionales Kopfwachstum, führt im Alter von 2 J. zu Mikrozephalie
-
•
Krampfanfälle, setzen vor Vollendung des 3. Lj. ein
-
•
verändertes EEG-Muster
-
•
flacher Hinterkopf, okzipitale Furche, hervorstoßende Zunge, prominentes Kinn, weiter Zahnabstand
-
•
Ernährungsprobleme im Kleinkindalter durch Schluck- und Saugstörungen, Speichelfluss, exzessives Kauen und in den Mund nehmen von Objekten
-
•
Strabismus
-
•
hypopigmentierte Haut, helles Haar und helle Augen (nur bei Mikrodeletion, s. o.)
-
•
hyperaktive Muskeleigenreflexe der unteren Gliedmaßen; gebeugte, erhobene Armhaltung beim Laufen
-
•
erhöhte Hitzeempfindlichkeit, Schlafstörungen
-
•
Faszination durch Wasser
Sprachliche Symptomatik
•
produktiver Wortschatz meist < 5 Wörter, oft völlig ausbleibende Sprachproduktion (Jolleff und Ryan 1993; Andersen et al. 2001); bei Patienten mit UPD oder Imprinting-Mutation etwas günstigere Prognose (Wortschatzumfang 10–30 Worte; Loosie et al. 2001); Wörter semantisch unpräzise und phonologisch auffällig (Alvares und Downing 1998)
•
einfache Aufforderungen und Sätze werden verstanden
•
Dissoziation von rezeptiven und produktiven sprachlichen Leistungen durch motorische Einschränkungen des Sprechapparates mitbedingt, aber nicht vollständig zu erklären
•
nonverbale Kommunikationsformen:
–
Gebärdensprache durch eingeschränktes Imitationsverhalten und motorische Probleme erschwert (Laan et al. 1999)
–
Einsatz von Gestik oder Bildern ebenfalls nicht so erfolgreich, wie aufgrund der rezeptiven sprachlichen Leistungen zu erwarten wäre (Alvares und Downing 1998); häufiger körpernahe Gesten als Gebärden zur Verständigung; in Einzelfällen ist der Aufbau eines umfangreichen Handzeichen-Repertoires möglich (Clayton-Smith 1993)
Diagnostik
•
Untersuchung von symbolischer Entwicklung, rezeptivem und produktivem Wortschatz
•
im Elterngespräch klären, ob Patient mithilfe von Gesten und Gebärden interagieren kann
•
Einschränkungen von Sprechmotorik und visuellen Fähigkeiten abklären
Therapie
•
defizitäre SprachproduktionSprachproduktionsstörungen:Angelman-Syndrom: Einsatz von Gesten und Vokalisationen (Alvares und Downing 1998). Ziel ist der Einsatz von Handzeichen (Gebärden) oder der Gebrauch eines Kommunikationssystems mit Symbolen (z. B. Bildkarten als nicht-elektronisches Kommunikationsmittel oder einfache elektronische Kommunikationsgeräte)
•
seltene oder gar keine Kommunikation: bevorzugten Kommunikationsweg ermitteln und ausbauen. Ein wichtiges Ziel ist die Einbeziehung von Kommunikationspartnern aus dem sozialen Umfeld und Anleitung zum Gebrauch unterstützter Kommunikationsformen im Alltag
•
Förderung des Verstehens von Wortbedeutungen, Aufforderungen und Sätzen mit Alltagsrelevanz
•
chronische Mittelohrentzündungen behandeln lassen, da sonst weitere Verzögerungen bei der Ausbildung sprachlicher Fähigkeiten
•
mundmotorische Übungen, z. B. zur Behandlung des Speichelflusses
7.5.4
Cornelia-de-Lange-Syndrom
Ursache
Maßgebliche statistische Fakten
•
Häufigkeit: noch unklar, Schätzungen reichen von 1 : 10.000–1 : 30.000
•
ausgeglichenes Verhältnis von Jungen zu Mädchen
Erscheinungsbild
-
•
Hirsutismus (ausgeprägte Körperbehaarung)
-
•
vorgeburtliche Wachstumsverzögerung, Minderwuchs
-
•
Telekanthus (vergrößerter Abstand zwischen den medialen Augenlidwinkeln), zusammengewachsene, dichte, buschige Augenbrauen (Synophrys); lange, dichte Wimpern und andere craniofaziale Merkmale
-
•
Mikrozephalie
-
•
Vierfingerfurche, proximal ansetzender Daumen
-
•
Sichelfuß, Syndaktylie der Zehen, kurzer Fuß/Brachydaktylie der Zehen
-
•
Hyperreflexie, muskuläre Hypertonie, Rigidität und Spastik
-
•
gastroösophagealer Reflux, schwere Ernährungsprobleme
-
•
geistige Behinderunggeistige Behinderung:Cornelia-de-Lange-Syndrom (meist schweren Grades)
-
•
Sprachentwicklungsstörungen
-
•
Hörbeeinträchtigung (geringgradig bis hochgradig)
-
•
Reduktionsfehlbildungen der Arme, Hände oder Finger, Oligodaktylie (Hemmungsfehlbildung mit verringerter Finger- oder Zehenzahl)
Sprachliche Symptomatik
-
•
sehr Sprachentwicklungsstörungen:Cornelia-de-Lange-Syndromheterogenes Sprachprofil von weitgehend ausbleibender produktiver Sprachentwicklung bis zu relativ umfangreichem Wortschatz und der Fähigkeit zur Formen- und Satzbildung (Sarimski 2003)
-
•
häufig phonetisch-phonologische Störungen: phonetisch-phonologische Störungen:Cornelia-de-Lange-Syndromz. B. Substitution oder Elision von Konsonanten, sprechdyspraktische Symptome
-
•
rezeptive Sprachleistung meist besser als produktive: etwa ⅔ der Kinder mit CdLS verfügen im Alter von 4 J. über einen Wortschatz von 3–10 Worten (Goodban 1993)
-
•
sowohl bei nicht sprechenden Kindern als auch bei Kindern mit sprachlichen Kompetenzen häufig geringe kommunikative Eigeninitiative und soziales Rückzugsverhalten (Sarimski 2002a)
-
•
Geburtsgewicht < 2.500 g
-
•
mäßigen oder schweren Hörbehinderungen
-
•
Reduktionsfehlbildungen der oberen Extremitäten
-
•
geringer sozialer Kontaktfähigkeit
-
•
stark verzögerter motorischer Entwicklung
Diagnostik
-
•
reguläre Sprachentwicklungsdiagnostik auf den linguistischen Ebenen Lexikon/Semantik, Phonetik/Phonologie und Syntax/Morphologie
-
•
Überprüfung des Hörvermögens, um einen möglichen Einfluss auf sprachliche Leistungen einschätzen zu können
-
•
Abklärung entwicklungsdyspraktischer Probleme
Therapie
-
•
Cornelia-de-Lange-Syndrom:Therapiesprachtherapeutische Intervention möglichst frühzeitig
-
•
bei Bedarf Behandlung von Ernährungsproblemen, z. B. Therapie des Schluckaktes
-
•
Wortschatzarbeit besonders wichtig, bei geringem Wortschatz steht Alltagsrelevanz im Vordergrund
-
•
wenn ein Grundwortschatz vorhanden ist und/oder erste Mehrwortäußerungen produziert werden, ist auch Arbeit auf syntaktischer Ebene sinnvoll
-
•
Auffälligkeiten auf phonetisch-phonologischer Ebene sollten einbezogen werden. Abgeklärt werden muss, ob die Probleme in der Artikulation liegen oder ob das Lautsystem noch nicht voll entwickelt ist (Kap. 5.3 und Kap. 5.2Kap. 5.3Kap. 5.2)
-
•
Aufmerksamkeit und Motivation zur Kommunikation berücksichtigen
7.5.5
Cri-du-Chat-Syndrom
Ursache
Maßgebliche statistische Fakten
•
Häufigkeit: 1:50.000
•
Verhältnis Mädchen zu Jungen ca. 4:3
Erscheinungsbild
-
•
monotoner, schriller Schrei im Säuglingsalter (bis 24 Mon., dann Rückgang bei 30 %)
-
•
monotoner Klang der Sprache mit relativ hoher Stimmlage (Sarimski 1997)
-
•
Mikrozephalie, kraniofaziale Dysmorphien
-
•
vermindertes Wachstum, psychomotorische und orthopädische Störungen (Hypotonie) bzw. verzögerte Entwicklung
-
•
Atembeschwerden, Herzfehlbildungen, erhöhte Anfälligkeit für (Mittelohr-)Entzündungen
-
•
Hyperaktivität gepaart mit Handstereotypien
-
•
schwere geistige Behinderunggeistige Behinderung:Cri-du-Chat-Syndrom, Einzelfälle mit IQ im Bereich der Lernbehinderung
Sprachliche Symptomatik
-
•
Spanne Sprachentwicklungsstörungen:Cri-du-Chat-Syndromzwischen Verstehen und Produzieren oft vergrößert, bzw. es bleibt v. a. die Sprachproduktion aus. Sprachliches Leitsymptom ist starkes Sprachproduktionsdefizit. Grund für den teilweise fehlenden oder extrem späten Übertrag des passiven Wortschatzes in die Sprachproduktion ist unbekannt
-
•
oft Schlüsselwortstrategie beim Verstehen auf Satzebene; auch bei vollständig ausbleibender Sprachproduktion
-
•
wesentlich besser entwickeltes Wortverständnis mit erkennbarer semantischer Struktur (Kauschke und Siegmüller 1998)
-
•
außersprachliche Anteile, die für den markanten Schrei verantwortlich sein könnten und sich auf die Sprachentwicklung übertragen lassen, wurden bislang vergebens im Kehlkopfbereich gesucht
•
erstes Wort kann zwischen dem 12. und 72. Lm. auftreten
•
Einwortebene erreichen etwa ⅔ der Kinder (Sarimski 1997)
•
einfache Sätze bzw. Mehrwortäußerungen entwickelten in einer deutschen Stichprobe 4–15 %, amerikanische Daten nennen ca. 25 %
Diagnostik
•
Wortverständnis für relevante Wortarten (Nomen, Verben, Adjektive)
•
Satzverständnis (Schlüsselwortstrategie?)
•
Wortproduktion
•
Wortkombinationen (in freier Situation)
Therapie
-
•
Wortverständnis: Förderung v. a. alltagsrelevanter semantischer Kategorien, Aufbau der lexikalischen Einträge in diesen Kategorien. Ziel ist Festigung und Elaboration des Wortverständnisses, um Einstieg in die Produktion evtl. zu ermöglichen
-
•
semantische Therapie zur Absicherung einer adäquaten semantischen Vernetzung (rezeptiv)
-
•
alternative Kommunikationsmittel bei Ausbleiben der produktiven Sprachentwicklung: v. a. ist der Einsatz von Gebärden oder Kommunikationsbüchern Erfolg versprechend. Diese greifen auf semantische Basis der Kinder zurück, daher erst nach semantischer Therapie einsetzen!
-
•
Kombination von Wortverständnis und Gebärden/Kommunikationsbüchern als Übergang zur Sprachproduktion und/oder als Alternative zur verbalen Kommunikation sinnvoll
7.5.6
22q11-Deletionssyndrom
Ursache
-
•
Verlust von Genmaterial auf Chromosom 22. Deletionsbereich wahrscheinlich uneinheitlich groß und umfasst mehrere Gene, Genort ist 22q11.2. Anteil vererbter Deletionen liegt bei 6 %, dann autosomal dominant; präferiert über das mütterliche ErbgutCATCH 22
-
•
Hemmungsfehlbildung der 3. und 4. Schlundtasche in der Embryonalphase
Maßgebliche statistische Fakten (Valsangiacomo 2002)
-
•
Häufigkeit: 1:3.000–1:5.000
-
•
Letalität im Kindesalter sehr hoch
-
•
Art des Syndroms: Immundefekt
Erscheinungsbild
-
•
große klinische Bandbreite, klinische Phänotypen überlappen mit Shprintzen-Syndrom (auch Velo-cardio-faziales Syndrom), das teilweise auch als Synonym genannt wird
-
•
Leitsymptomatik: Thymushypoplasie oder -aplasie mit nachfolgendem Immundefekt (hohe Infektanfälligkeit), primärer Hypoparathyreoidismus durch fehlende Anlage der Nebenschilddrüsen
-
•
Herzfehler im Ausflusstrakt des Herzens und an den großen Arterien
-
•
typische Gesichtsmerkmale, u. a. weiter Augenabstand, ungewöhnliche Gesichtsform, unterentwickeltes Kinn, dreieckiger Mund
-
•
leichte bis mittlere geistige Behinderung, psychomotorischer Entwicklungsrückstand
-
•
sehr häufig Schluckstörungen und starke Überempfindlichkeit im Mundbereich
-
•
gespaltenes Zäpfchen, Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, oft isolierte Gaumenspalte (teilweise verdeckt als submuköse oder okkulte Gaumenspalte)
-
•
Gaumensegelverschluss-Insuffizienz auch teilweise funktionell bedingt durch syndrombedingte muskuläre Hypotonie (Wegener et al. 2008)
-
•
Stimme hat typischerweise näselnden Klang durch die Anomalien in Hals und Kehlkopf
Sprachliche Symptomatik
•
bei ca. 37 % veränderter Schrei in Säuglingszeit: hoch, klar, monoton
•
Lallphasen werden durch die starke orofaziale Belastung beeinträchtigt (Position verändert), dadurch atypischer Verlauf mit wenig Lallproduktion
•
Sprachentwicklung wird generell als verzögert eingeschätzt und folgt verlangsamt den normalen Entwicklungsmeilensteinen des Spracherwerbs; erste Wörter nach deutschen Daten etwa um 21. Lm. Wortkombinationen mit 36 Lm.
•
teilweise Ausbleiben der Sprachproduktion, wobei unklar ist, ob es sich um organische Ursachen handelt oder um Störungen im Sprachsystem; auch Atemkoordinationsstörungen, Stimmstörungen
•
kognitive Entwicklung ist sprachlicher Entwicklung voraus mit zunehmendem Abstand über Vorschulzeit
•
bei ca. 30 % als eigenständige Störungen eingeschätzte Sprachentwicklungsstörungen (Valsangiacomo 2002), in etwa gleichem Ausmaß Hörstörungen
•
Sprechentwicklung: Lautrepertoire von Beginn an eingeschränkt mit inkonstanten, atypischen Lautbildungen. Ersatzlaute aus 4. oder 5. Artikulationszone
Diagnostik
-
•
Sprachentwicklungsdiagnostik muss alle Anteile des Sprachsystems umfassen (Einsatz grundlegender sprachdiagnostischer Verfahren wie bei Umschriebener Sprachentwicklungsstörung USES, Kap. 3)
-
•
zusätzlich sollte eine genaue Untersuchung der orofazialen Peripherie erfolgen
-
•
gesonderte Untersuchung der Sprechentwicklung (Artikulation, Kap. 5.2)
-
•
Schluckdiagnostik: apparative Diagnostik durch Nasenpharyngoskopie und Videofluoroskopie
Therapie
-
•
Förderung sollte abgestimmt erfolgen, Erfolg versprechend im multidisziplinären Team
-
•
je nach Ausprägung (z. B. Spaltung des Zäpfchens oder LKG) operative Eingriffe erforderlich, die anschließend einer genau abgestimmten Therapie (Kap. 4) bedürfen
-
•
Desensibilisierung im Mundraum, v. a. oft bei Kindern mit Sondenernährung. Elternberichten zufolge Sondenentwöhnungen ab ca. 18 Lm. (z. B. orofaziale Programme, wie Castillo-Morales-Therapie)
-
•
Aussprachestörungen mit stark phonetischen, aber auch maßgeblichen phonologischen Anteilen, notwendig ist eine individuell auf das Verhältnis von Phonetik und Phonologie abgestimmte Therapie der Aussprache. Bei starker Hypotonie besteht die Gefahr der Vernachlässigung der phonologischen Komponente!
-
•
Sprachtherapie bei 22q11-Kindern muss genauso strukturiert angeboten werden wie für andere Kinder. Keine Belege für andersartige Entwicklungswege von Betroffenen, sodass die Maßstäbe einer spezifischen Sprachentwicklungstherapie angelegt werden können
-
•
in später Kindheit Motivationsprobleme durch starke Stimmungsschwankungen
7.5.7
Down-Syndrom
Ursache
•
meist freie Trisomie 21: Verdreifachung des gesamten Chromosoms 21
•
seltener Translokationstrisomie 21: ein Abschnitt von Chromosom 21 ist dreimal vorhanden
•
Mosaik-Trisomie 21: Teilungsfehler erst während der ersten Zellteilungen nach der Befruchtung, Patient besitzt Körperzellen mit 46 und mit 47 Chromosomen. Klinische Symptome schwächer ausgeprägt
Maßgebliche statistische Fakten
•
Häufigkeit: 1 : 600–1 : 700
•
Lebenserwartung: 50–60 J.
Erscheinungsbild
-
•
flaches, rundes Gesicht
-
•
schräg gestellte Augen mit Epikanthus; weiße Flecken am Rand der Iris
-
•
leicht abgeflachter, breiter Kopf (Brachyzephalie) und Mikrozephalie
-
•
weiche, glatte Haare
-
•
kleine Extremitäten und Ohren
-
•
Muskelhypotonie
-
•
kleine, breite Hände mit kurzen Fingern; Vierfingerfurche
-
•
verminderte Körpergröße
-
•
Herzfehler (bei 40 %): offenes Foramen ovale (Kammerseptumdefekt), Funktionsstörungen der Herzklappen oder Verengungen großer Gefäße
-
•
Mundhöhle mit schmalem, hohem Gaumen; oft ungenügender Mundschluss; Makroglossie
-
•
intellektuelle Fähigkeiten variabel, meist im Bereich einer mittelgradigen geistigen Behinderung
Sprachliche Symptomatik
-
•
Sprachverständnis ungefähr auf dem Niveau nicht sprachlicher kognitiver Leistungen
-
•
Sprachproduktion oft stärker verzögert als allgemeines kognitives Niveau vermuten lässt
-
•
qualitativ kaum Unterschiede zu sprachlichen Leistungen jüngerer, nicht behinderter Kinder (Laws und Bishop 2003)
-
•
produktiver Spracherwerb setzt später ein und wird später abgeschlossen
-
•
Syntax/Morphologie schwerer betroffen als Lexikon/Semantik
-
•
pragmatische Fähigkeiten gut, solange kein oder wenig linguistisches Wissen notwendig ist
•
Patienten brauchen länger für die Überwindung phonologischer Prozesse (Kap. 5.3). Lange Substitutionsprozesse oder Auslassungen unbetonter Silben. Teilweise werden die Prozesse auch im Erwachsenenalter nicht überwunden
-
•
erste Wortbildung Semantik:Down-SyndromLexikon:Down-Syndromsetzt meist verspätet ein (Stoel-Gammon 2001)
-
•
Wortschatzentwicklung ist auch nach dem Auftreten erster Wörter langsamer als bei Kindern ohne Down-Syndrom; etwa ⅔ haben im Alter von 5 J. einen Wortschatzumfang von mind. 50 Worten erreicht (Berglund et al. 2001)
-
•
Erwerb offener Wortklassen wie Nomen, Verben, Adjektive und Adverbien fällt leichter als der Erwerb geschlossener Wortklassen, z. B. Funktionswörter. Bedeutungserwerb von Verben wird nicht vollständig abgeschlossen (Naigles et al. 1995)
-
•
Zweiwortkombinationen Syntax:Down-SyndromMorphologie:Down-Syndromab 4.–5. Lj. (Schaner-Wolles 2000): viele Kinder mit Down-Syndrom haben dann ein Entwicklungsalter von ca. 24 Mon. und beginnen somit im gleichen mentalen Alter mit Wortkombinationen wie nicht behinderte Kinder
-
•
Störungsschwerpunkt: Flexionsmorphologie und Morphosyntax, Probleme halten bis ins Erwachsenenalter an. In der Spontansprache Auslassen von Funktionswörtern (z. B. bestimmter Artikel oder Präpositionen), Fehler in der Kasusmorphologie und der Subjekt-Verb-Kongruenz
-
•
im Kindesalter entspricht das Satzverstehen dem von Kindern im gleichen nonverbalen Entwicklungsalter, bei älteren Patienten liegt es unterhalb ihres mentalen Alters
-
•
durch Anomalien im Sprechstörungen:Down-SyndromArtikulationsapparatRedeflussstörungen:Down-Syndrom und Probleme bei der Kontrolle der Artikulationsmotorik (Schaner-Wolles 2000)
Diagnostik
-
•
reguläre Sprachentwicklungsdiagnostik zu den linguistischen Ebenen Lexikon/Semantik, Phonetik/Phonologie und Syntax/Morphologie (Kap. 5.3.3 und Kap. 3.6.3Kap. 5.3.3Kap. 3.6.3)
-
•
Überprüfung des Hörvermögens, um einen möglichen Einfluss auf sprachliche Leistungen einschätzen zu können
-
•
Untersuchung von Anomalien im Artikulationsapparat und deren Folgen auf die Artikulationsmotorik
-
•
Abklärung von Redeflussstörungen
Therapie
•
Förderung von Basiskompetenzen für die Sprachentwicklung, z. B. Mundmotorik, Kurzzeitgedächtnis
•
Förderung sprachlicher Kompetenzen: Therapieschwerpunkt meistens im Bereich Syntax/Morphologie. Oft muss Produktion auf allen linguistischen Ebenen gefördert werden. Grobes Ziel ist die Erhöhung der Äußerungslänge und die Verbesserung der Verständlichkeit:
–
Phonologie: Überwindung phonologischer Prozesse
–
Lexikon/Semantik: Förderung kategoriellen Wissens, Wortschatzarbeit mit Fokus auf Verben
–
Syntax/Morphologie: Erarbeitung einfacher bis komplexer Sätze sowie von Flexions- und Kasusmorphologie
–
bei Schwierigkeiten, Wörter aus dem Lautstrom zu filtern, weil prosodische Muster der Muttersprache nicht entdeckt werden, Einbeziehung einer entsprechenden Förderung, z. B. in die Wortschatzarbeit
7.5.8
Fragiles-X-Syndrom
Ursache
Maßgebliche statistische Fakten
•
Häufigkeit der voll ausgeprägten Form bei Männern: 1:2.000–1:5.000 (Sarimski 1997), bei Frauen 1:8.000
•
zweithäufigstes genetisches Syndrom mit einer geistigen Behinderung nach dem Down-Syndrom (Kap. 7.5.7); häufigste vererbte geistige Behinderung
•
Häufigkeit des Überträgerstatus bei Frauen 1:4.200. In der Regel dann weniger ausgeprägter Phänotyp bei Vollmutation, hier geistige Behinderung bei ca. 50 % der Betroffenen (Paul 2006)
Erscheinungsbild (Paul 2006)
-
•
geistige Behinderung oder beeinträchtigtes Lernvermögen mit IQ um 50, teilweise mit abnehmendem IQ ab/nach der Pubertät
-
•
uneinheitliches kognitives Profil mit Störungen in der sequenziellen Verarbeitung
-
•
langes, schmales Gesicht, große Ohren, große Hoden, überstreckbare Gelenke
-
•
kardiologische Auffälligkeiten
-
•
Hyperaktivität, Aufmerksamkeitsprobleme
-
•
erhöhtes Risiko für Epilepsien
-
•
erhöhte Anzahl Otitis media
Sprachliche Symptomatik
-
•
Sprachentwicklungsstörung kann Leitsymptom der Störung sein, allerdings:
–
Sprachentwicklungsstörungen:Fragiles-X-Syndromsehr heterogene sprachliche Symptome
–
Sprachstörung schwankt zwischen vollständig fehlenden sprachlichen Strukturen und lediglich subtilen Kommunikationsdefiziten (Fowler 1998); teilweise auch Kommunikationsstörung mit sozialem Rückzug. Kommunikationsverhalten bei einigen Kindern in Zusammenhang mit kognitivem Niveau (Paul 2006)
–
detailliertere sprachsystematische Untersuchungen zum FraX-Syndrom kommen zu sehr uneinheitlichen Ergebnissen (Tab. 7.9) und weisen nicht immer auf Störungen hin
-
•
WortfindungsstörungenWortfindungsstörungen:Fragiles-X-Syndrom
-
•
vermehrt Echolalie bzw. Echolalie:Fragiles-X-SyndromPerseverationen, häufig Perseverationen:Fragiles-X-Syndrom“als Wiederholungen von Wörtern, Sätzen oder Phrasen. Beides erscheint sehr früh in der Spontansprache. Einige Autoren stellen die Perseveration in Beziehung zu den Wortfindungsstörungen
-
•
Selbstgespräche
-
•
Prognosestellung für Sprachentwicklung kaum möglich, erreichbarer Level der Sprachentwicklung individuell unterschiedlich. In Einzelfallbeschreibungen lässt das chronologische Alter bei FraX keine Aussage über das Spracherwerbsalter oder den Zustand des Sprachsystems zu. Kinder mit einem Altersunterschied von < 1 J. können sich auf völlig unterschiedlichen Sprachentwicklungsniveaus bewegen. Die Spanne reicht dabei von altersgemäß entwickelter Grammatik bis zu dem noch nicht erfolgten Auftreten des ersten Wortes (Siegmüller et al. 2001)
-
•
Langzeitgedächtnis häufig eine Stärke, kann Leseerwerb unterstützen
-
•
Artikulationsprobleme durch niedrigen Muskeltonus im orofazialen Bereich
-
•
auffälliges Sprechtempo (Poltern)Redeflussstörungen:Fragiles-X-SyndromArtikulationsstörungen:Fragiles-X-Syndrom
-
•
Impulsivität der Äußerungen
-
•
verspätete Sprachentwicklung mit ersten Wörtern zwischen dem 2. und 6. Lj.; ein Teil der FraX-Kinder verbleibt auf dieser Stufe
-
•
bei weiterer Sprachentwicklung sind Artikulation und Grammatik besonders betroffen
-
•
Hauptauffälligkeiten: betreffen pragmatischen Bereich (Kommunikationsstörung)
-
•
Redeflussstörungen oft als Poltersymptomatik, teilweise gemeinsam mit genereller Hyperaktivität (Siegmüller et al. 2001)
-
•
Teile der sprachlichen Entwicklung – v. a. Wortschatzumfang und Wortverständnis – sind stärker entwickelt als andere, nichtsprachliche Bereiche der Kognition
Diagnostik
Therapie
-
•
kommunikativer Bereich (Kap. 3.7)
-
•
Phonologie bzw. Phonetik (Kap. 5.3 und Kap. 5.2Kap. 5.3Kap. 5.2)
-
•
teilweise Grammatiktherapie (Kap. 3.6)
-
•
Aufbau der ersten Wörter bzw. im Bereich der Prosodie, wenn das entsprechende Kind den Spracherwerb noch nicht aktiv begonnen hat
7.5.9
Klinefelter-Syndrom
Ursachen
-
•
numerische gonosomale Chromosomenaberration: Überzahl eines X-Chromosoms beim männlichen Geschlecht
-
•
meist 47, XXY Karyotyp, seltener höhergradige X- und Y-Aneuploiden, Mosaikformen oder strukturell abnorme X-Chromosomen
Maßgebliche statistische Fakten
-
•
Häufigkeit: 1–2:1000 Jungen (z. B. Nielsen und Wohlert 1991)
-
•
Lebenserwartung: normal
-
•
klinische Diagnose wird aufgrund fehlender ausgeprägter Merkmale vermutlich nur in 10 % der Fälle vor der Pubertät gestellt (z. B. Bojesen et al. 2003)
Erscheinungsbild
-
•
abhängig vom Alter
-
•
im Kindesalter äußerliches Erscheinungsbild in den meisten Fällen unauffällig und ohne besonders ausgeprägte physische Merkmale (z. T. überproportionale Beinlänge bzw. unterdurchschnittliches Hodenwachstum)
-
•
Diagnose erfolgt meist erst im Pubertätsalter aufgrund bestimmter Symptomkonstellationen oder aufgrund einer Infertilität im Erwachsenenalter
-
•
Störungen in der Motorik
-
•
muskuläre Hypotonie
-
•
Beinvarikosis
-
•
Klinodaktylie
-
•
Plattfuß
-
•
Hypermobilität von Ellbogen- bzw. Hüftgelenken
-
•
im Allgemeinen im Normbereich liegende Intelligenz, aber auch leichte nonverbale und/oder verbale Intelligenzminderung möglich
-
•
Spracherwerbsstörung (Sprache kann ausschließlich gestört sein)
-
•
Kommunikationsstörungen aus autistischem Formenkreis (Kap. 7.7)
-
•
Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom mit/ohne Hyperaktivität
-
•
ab Eintritt ins Pubertätsalter: vergrößerte Brustdrüsen, kleinen Hoden, geringer Bartwuchs, wenig ausgeprägter Stimmbruch, Hochwuchs, erhöhte Ausbildung von Fettgewebe infolge von Testosteronmangel
Sprachliche Symptomatik
-
•
Variabilität: häufig nur Sprachentwicklungsstörungen:Klinefelter-Syndromleichte sprachliche Auffälligkeiten oder unauffälliger Spracherwerb
-
•
Verzögerungen beim Erreichen der sprachlichen Meilensteine möglich (Lautimitation, Babbeln)
-
•
sowohl rezeptive als auch expressive sprachliche Leistungen können unterdurchschnittlich entwickelt sein
-
•
beschriebene Symptome: phonetische und phonologische Auffälligkeiten, lexikalisch-semantische Auffälligkeiten, Wortfindungsstörungen, syntaktische Auffälligkeiten (Strukturierung von Sätzen, Verständnis komplexer Sätze), Probleme der auditiven Verarbeitung und Wahrnehmung
-
•
bestehende sprachliche Auffälligkeiten persistieren bis ins Grundschulalter hinein
-
•
zwei Fallbeschreibungen in Schwemmle, Jungheim und Ptok (2013)
Diagnostik
-
•
umfassende Sprachentwicklungsdiagnostik aller Anteile des Sprachsystems (Einsatz grundlegender sprachdiagnostischer Verfahren wie bei USES, Kap. 3)
-
•
zusätzlich Einschränkung der orofazialen Fähigkeiten (Kap. 4) abklären
-
•
Untersuchung auf Verbale Entwicklungsdyspraxie (Kap. 5.4)
-
•
Untersuchung des auditiven Kurzzeitgedächtnisses
-
•
Untersuchung der visuellen Merkfähigkeit
Therapie
-
•
sprachtherapeutische Intervention möglichst frühzeitig
-
•
Orientierung an ungestörter Entwicklungschronologie sowie an therapeutischen Maßstäben, wie sie für Kinder mit spezifischer Sprachentwicklungsstörung angesetzt werden
-
•
ggf. Therapie dyspraktischer Störungsanteile (Kap. 5.4)
-
•
ggf. Therapie von Primärfunktionen (orofaziale Funktionen, Schluckfunktion, auditives Kurzzeitgedächtnis) notwendig
7.5.10
Prader-Willi-Syndrom
Ursachen
Maßgebliche statistische Fakten
•
Häufigkeit: 1 : 10.000–1 : 15.000
•
Lebenserwartung: bei guter Gewichtskontrolle normal
Erscheinungsbild
-
•
Kleinwuchs, schwere muskuläre Hypotonie im Säuglingsalter, Skoliose
-
•
mandelförmige Augen, dreieckiger Mund, schmale Stirn
-
•
kleine Hände und Füße (Akromikrie)
-
•
anfänglich Ernährungsprobleme, später Adipositas bei Hyperphagie (ab 6. Lm.)
-
•
überwiegend leichte oder mittelgradige geistige Behinderung (nur leichte kognitive Einschränkungen, d. h. IQ > 70, bei bis zu ¼ der Fälle)
-
•
Hypogenitalismus, Hypogonadismus (hormonale Unterfunktion der Keimdrüsen)
-
•
Zahnschmelzhypoplasien und Karies
-
•
Hypopigmentierung
-
•
Strabismus (Schielen)
-
•
Wutanfälle und zwanghaftes Verhalten
-
•
Herzinsuffizienz infolge der Adipositas, Diabetes (Typ 2)
-
•
nasale Stimmgebung
Sprachliche Symptomatik
-
•
heterogenes Sprachentwicklungsstörungen:Prader-Willi-Syndrom“Sprachprofil, fast immer verzögerte Sprachentwicklung entsprechend der allgemeinen kognitiven Entwicklung (Akefeldt et al. 1997)
-
•
eingeschränkter Wortschatz (Kleppe et al. 1990)
-
•
syntaktische und morphologische Defizite (Kleppe et al. 1990; Akefeldt et al. 1997)
–
es werden v. a. Inhaltswörter benutzt
–
Funktionswörter werden ausgelassen
–
morphologische Markierungen fehlen
–
einfacher und häufig fehlerhafter Satzbau
-
•
Begleitsymptome: erhöhter Speichelfluss, hypotone Sprechmuskulatur, Stimmprobleme, Dysarthrie
-
•
häufig Redeflussstörungen (Defloor et al. 2000)
-
•
fehlerhafte Steuerung des Luftstroms bei Frikativen, Affrikaten und teilweise bei Plosiven (Hypernasalität; Kleppe et al. 1990; Akefeldt et al. 1997)
-
•
verspäteter Beginn der Wortbildung (Wortschatz von > 10 Wörtern oft erst mit 3 ½ Jahren)
-
•
mit 3–5 J. Verbesserung der sprachlichen Leistungen. Einige Kinder entwickeln große Sprechfreude
-
•
phonetisch-phonologische Probleme (z. B. Substitutionen und Elisionen) bleiben bis ins Erwachsenenalter auffällig; phonologische Prozesse werden mit steigendem Alter weniger, phonetische Probleme halten an (Defloor et al. 2002)
Diagnostik
-
•
reguläre Sprachentwicklungsdiagnostik zu den linguistischen Ebenen Lexikon/Semantik, Phonetik/Phonologie und Syntax/Morphologie (Kap. 3)
-
•
Nachweis/Ausschluss von Stimmstörungen, Untersuchung bei erhöhtem Speichelfluss (Schwäche der orofazialen Kontrolle) und Dysarthrie, welche die Sprachtherapie beeinflussen
Therapie
•
Wortschatzerweiterung
•
Überwindung phonologischer Prozesse
•
Ausbau oder Korrektur der Satzstrukturen
•
Einbau von Funktionswörtern
•
Einführung oder Korrektur morphologischer Markierungen
•
unterstützte Kommunikation sehr selten erforderlich (nur in wenigen Fällen ausbleibende Sprachentwicklung; Kleppe et al. 1990)
7.5.11
Opitz-G/BBB-Syndrom
Ursachen
-
•
Opitz-Syndrom Typ I: Genmutation (MID1 = midline 1) auf dem kurzen Arm des X-Chromosoms (Xp22.3)
-
•
Opitz-Syndrom Typ II: autosomal dominant durch Deletion genetischen Materials auf dem langen Arm von Chromosom 22 (22q11.2)
Maßgebliche statistische Fakten
Erscheinungsbild
-
•
Epikanthus (Lidfalte am äußeren Augenwinkel), Hypertelorismus (überweiter Abstand zwischen den Augen), vorgewölbte Stirn, breite Nasenwurzel; Adontie oder Oligodontie (Fehlen oder verminderte Zahl der Zähne), dorsal rotierte, tief angesetzte Ohren; ausladender Hinterkopf
-
•
Hypospadie oder Epispadie (Mündung der Harnröhre auf der Penisunter- oder -oberseite)
-
•
Anomalie des Pharynx (Schluckstörung), Anomalie des Kehlkopfs (Laryngomalazie); komplette Gaumenspalte, beidseitige Lippenspalte, Ösophagusatresie oder ösophago-tracheale Fistel
-
•
leichte geistige Behinderung, Gedeihstörung, Tod im Kindesalter (meist Folge von Aspiration)
-
•
einseitige Hyperreflexie, vermindertes Schwitzen, angeborene Herzerkrankung
-
•
Hodenektopie oder Kryptorchismus
-
•
Nierenektopie oder Hufeisenniere, Harnleiteranomalie, Nierenbecken und Nierenkelchen
-
•
Skelettanomalie
-
•
imperforierter Anus, rekto-vaginale Fistel
-
•
Schallleitungsschwerhörigkeit
-
•
Lippenspalte, submuköse Gaumenspalte oder gespaltenes Zäpfchen, Gaumenspalte, breite, flache Nase
-
•
Tracheomalazie
-
•
Telekanthus (vergrößerter Abstand zwischen den medialen Augenlidwinkeln)
-
•
Heterochromie der Iris
-
•
Hypoplasie oder Aplasie der Lungen
-
•
Sakralgrübchen, Pilonidalsinus
Sprachliche Symptomatik
Einzelfallstudie: Sprachentwicklung eines 9-jährigen Jungen, USA
•
erstes Wort mit 3 Lj.
•
enormer Wortschatzspurt zwischen 3 und 4 Lj.
•
Beginn von Zweiwortäußerungen mit 3;4 Lj.
•
Vier- und Fünfwortsätze mit 4 Lj., enthalten noch Vereinfachungen z. B. in der Flexion
•
syntaktischer Entwicklungsstand mit 9;0 Lj.: korrekte Sätze, W-Frageelemente, Nebensätze
•
Restauffälligkeiten durch Stimmproblematik und Hypotonie der orofazialen Muskulatur
•
besucht 3. Klasse einer integrativen Schule
•
gute Lesefähigkeiten
•
Beeinträchtigung des Spracherwerbs durch Hypersensibilität im Mundraum aufgrund einer LKG- und einer Kehlkopfspalte sowie durch Mittelohrentzündungen
•
Kehlkopfspalte führte im Kleinkindalter zu Aspiration und dadurch zu Lungeninfektionen
•
Stimme durch Kehlkopfspalte heiser und krächzend
•
sprachtherapeutische Schwerpunkte (im Alter von 3 Lj.) lagen im Bereich des Wortschatzes und später in der Artikulation
Sprachentwicklung
-
•
meist verspäteter Spracherwerb, oft bis ins Erwachsenenalter nonverbale Kommunikation
-
•
Sprach- und Sprechentwicklungsprobleme durch organische Störungen im Mund- und Rachenraum, Schluck- sowie Atemstörungen. Geistige Behinderung ist leicht bis gar nicht vorhanden und daher nicht primäre Ursache
-
•
Schallleitungsschwerhörigkeit kann Spracherwerb beeinflussen
-
•
autistische Verhaltensweisen in einigen Fällen für beeinträchtigte kommunikative Fähigkeiten verantwortlich
-
•
Stimme teilweise schwach, pfeifend oder heiser, oft durch Luftröhrenerweichung (Tracheomalazie)
-
•
Schluck- und Atemstörungen
Diagnostik
-
•
vornehmlich Untersuchungen der rezeptiven Fähigkeiten auf den linguistischen Ebenen Lexikon/Semantik, Phonetik/Phonologie und Syntax/Morphologie (Kap. 3)
-
•
Abklärung einer Hörstörung
-
•
Diagnostik der orofazialen Fähigkeiten, einer evtl. vorliegenden Dysphagie und von Respirationsstörungen
Therapie
•
Förderung der sensorischen und motorischen Fähigkeiten mit orofazialem Behandlungsschwerpunkt, z. B. orofaziale Regulationstherapie nach Castillo Morales
•
Arbeit am rezeptiven Wortschatz (je nach Sprachentwicklungsstand) und – unter Berücksichtigung einer evtl. Überempfindlichkeit im Mund- und Rachenraum – an produktiver Sprache; je nach Entwicklungsgrad Arbeit auf Satzebene, dabei Beachtung der Alltagsrelevanz
•
Atem- und Schlucktherapie
7.5.12
Rett-Syndrom
Erscheinungsformen
-
•
klassisches Rett-SyndromRett-Syndrom
-
•
kongenitale Variante (Rolando Variante): deutliche Auffälligkeiten bereits in den ersten Lebensmonaten
-
•
Preserved Speech Variante (Zappella Variante): sprachliche Fähigkeiten und zielgerichteter Handgebrauch vergleichsweise besser erhalten
-
•
Early Seizure Variante (Hanefeld Variante): früh auftretende EEG-Abnormalitäten
Ursache
Maßgebliche statistische Fakten
•
Häufigkeit: 1 : 10.000–1 : 15.000 (Sarimski 2002b; Laurvick et al. 2006)
Erscheinungsbild
•
Phase 1 (1. Lj.): scheinbar unauffällige Entwicklung; bei genauerer Analyse jedoch subtile neurologische Auffälligkeiten erkennbar (z. B. Einspieler, Freilinger, Marschik 2016)
•
Phase 2 (Regression: 8.–18. Lm.): Verlangsamung und Stillstand der Entwicklung; langsamer Rückzug von der Umwelt; in kurzer Zeit Verlust bisher erworbener Fähigkeiten die Lokomotion, den Handgebrauch und die Sprache betreffend; Auftreten stereotyper Handbewegungen; häufige Schreiattacken
•
Phase 3 (im Anschluss an die Regression): relative Stabilisierung des Entwicklungsniveaus; Wiedererlangung einzelner Fähigkeiten, insbesondere im Kommunikationsbereich; autistische Merkmale; apraktisches Verhalten; Epilepsie
•
Phase 4 (spätes Stadium): motorische Beeinträchtigungen; Dystonie; Muskelschwäche; orthopädische Probleme (Skoliose); kardiovaskuläre und respiratorische Auffälligkeiten; Kommunikationsfähigkeiten bleiben stabil (Elternhilfe Rett-Syndrom 2003; Marschik et al. 2010b; Neul et al. 2010)
•
teilweiser oder vollständiger Verlust bereits erworbenen zielgerichteten Handgebrauchs
•
teilweiser oder vollständiger Verlust kommunikativ-sprachlicher Kompetenzen
•
Auffälligkeiten in der Lokomotion: dyspraktischer Gang bzw. kein selbstständiges Gehen möglich
•
Handstereotypien (reibende, knetende, waschende Bewegungen, Klatschen, repetitive Handbewegungen zum Mund)
•
ein abnehmendes Kopfwachstum nach dem 1. Lj. (sekundäre Mikrozephalie)
•
epileptische Anfälle bei etwa 60 % der Mädchen
•
Atemstörungen im Wachzustand (Hyperventilation)
•
Bruxismus
•
Schlafstörungen
•
Dystonie
•
periphere Durchblutungsstörungen
•
Skoliose, Kyphose
•
Wachstumsstörung
•
inadäquates Schreien und Lachen
•
herabgesetzte Schmerzempfindlichkeit
•
stark ausgeprägtes Blickverhalten
Sprachstörung
-
•
Phase 1: scheinbar normale sprachliche Entwicklung im 1. Lj. (Kap. 2.2), Meilensteine werden z. T. erreicht, jedoch qualitativ abweichend (Marschik et al. 2010a, c, 2013). Bestenfalls Produktion der ersten Wörter, meist Protowörter – phonetisch konsistente Form, jedoch idiosynkratisch und kontextgebunden; geringe phonologische Komplexität. Wahrscheinlich Durchlaufen der Phasen der frühen Sprachwahrnehmung
-
•
Phase des Verlusts kommunikativer Fähigkeiten:
–
Sprachproduktion geht verloren
–
vereinzelt Verlust des Wortverständnisses
–
Sarimski (1997) berichtet von Fällen, in denen keine Objektpermanenz mehr festgestellt wurde
–
allgemeine Motorik: Dyspraxie mit unbekannter Auswirkung auf die Sprache (generalisierte Dyspraxie)
–
Informationsverarbeitungsproblematik
–
autistische Merkmale
–
Zunahme der Handstereotypien
–
viele Mädchen entspannen sich in dieser Phase v. a. in musik-, hydro- oder hippotherapeutischer Behandlung
Diagnostik und Therapie
•
Einübung von einfachen (non-)verbalen Interaktionsformen wie Blickkontakt und -lenkung sowie der Einsatz von Körpersprache
•
Etablierung systematischer nonverbaler Kommunikationsformen, z. B. Gebärden, ist abhängig vom Ausmaß der Handstereotypien, u. U. kann auf Kommunikationsbilder und -bücher ausgewichen werden
•
bei leichteren Fällen kann Ausweitung des Wortverständnisses sinnvoll sein
•
jede Sprachtherapie sollte mit Entspannungsmethoden arbeiten
•
Förderung von Nachahmungsfähigkeiten
•
orofaziale Therapie, z. B. die Verbesserung des Lippenschlusses
Differenzialdiagnostik
7.5.13
Smith-Lemli-Opitz-Syndrom
Ursache
Maßgebliche statistische Fakten
•
Häufigkeit: 1 : 40.000–1 : 60.000 (Kelley und Hennekam 2000), Verhältnis von Mädchen zu Jungen ausgewogen
•
Lebenserwartung abhängig von organischen Fehlbildungen; Überlebenschancen bei Plasmacholesterolkonzentration < 20 mg/dl geringer
Erscheinungsbild (Haas et al. 2001)
-
•
Fehlbildungssyndrom mit leichter bis schwerster geistiger Behinderung, psychomotorischer Entwicklungsverzögerung, muskulärer Hypotonie, Ernährungsproblemen, Gedeihstörung, Mikrozephalie, Kleinwuchs
-
•
mögliche Fehlbildungen und Dysmorphiezeichen:
–
bei 95 % aller Patienten Syndaktylie des 2. und 3. Zehs (zusammengewachsene 2. und 3. Zehen)
–
Mikrozephalie, Mikrognathie, Ptosis (hängende Augenlider), antevertierte Nasenlöcher, tief sitzende, posterior rotierte Ohren, hoher Gaumen, evtl. Gaumenspalte, Katarakt (grauer Star)
–
Hypospadie (Mündung der Harnröhre auf der Unterseite des Penis), Kryptorchismus (Hodenhochstand), Intersexualität
–
Polydaktylie der Finger und/oder Zehen
–
oft zusätzliche Fehlbildungen der Extremitäten und der inneren Organe
-
•
Hyperaktivität, Aufmerksamkeitsstörung, autistische Verhaltensweisen, Autoaggressivität
Orofaziale und Schluckproblematik
-
•
Mundschluss teils nicht vorhanden oder nicht vollständig mit übermäßigem Speichelfluss
-
•
gestörter Kau- und Schluckakt
Sprachliche Symptomatik
-
•
sehr heterogenes sprachliches Sprachentwicklungsstörungen:Smith-Lemli-Opitz-SyndromProfil: einige Patienten sprechen gar nicht (Nwokoro und Mulvihill 1997), andere erwerben gute Sprachkenntnisse (breiteres Spektrum, seitdem mittels biochemischer und molekulargenetischer Diagnostik zunehmend milde Verlaufsformen diagnostiziert werden)
-
•
Dissoziation zwischen rezeptiven und produktiven Leistungen (Tierney et al. 2000)
-
•
oft phonetisch-phonologische Auffälligkeiten
•
geistige Behinderung
•
Vermeidung von Reizen in Mund- und Rachenraum aufgrund hoher Sensibilität in diesem Bereich, lässt im Vorschul- und Schulalter nach
•
mitunter auftretende Hörstörungen: Innenohrschwerhörigkeit und Schallleitungsstörungen bei wiederkehrenden Mittelohrentzündungen
Diagnostik
-
•
reguläre Sprachentwicklungsdiagnostik auf den linguistischen Ebenen Lexikon/Semantik, Phonetik/Phonologie und Syntax/Morphologie (Kap. 3)
-
•
Überprüfung des Hörvermögens, um einen möglichen Einfluss auf sprachliche Leistungen einschätzen zu können
-
•
Untersuchung von Anomalien im Artikulationsapparat und deren Folgen auf die Artikulationsmotorik (myofunktionelle Untersuchung)
-
•
Abklärung von Kau- und Schluckstörungen
Therapie
•
Förderung der sensorischen und motorischen Fähigkeiten mit orofazialem Behandlungsschwerpunkt, z. B. orofaziale Regulationstherapie nach Castillo Morales
•
Förderung des rezeptiven Wortschatzes und – wenn es der Patient trotz Hypersensibilität im Orofazialkomplex zulässt – der produktiven Sprache. Je nach Entwicklungsgrad kann auf Satzebene gearbeitet werden. Dabei spielt Alltagsrelevanz eine große Rolle
7.5.14
Triple-X-Syndrom
Ursachen
-
•
numerische gonosomale Chromosomenaberration: Überzahl eines X-Chromosoms beim weiblichen GeschlechtTriple-X-Syndrom
-
•
meist Nichtmosaik-Karyotyp 47, XXX, seltener Mosaikformen
-
•
Häufigkeit nimmt mit Alter der Mutter (≥ 33 J.) bei der Befruchtung zu (z. B. Hook 1983, Hassold und Hunt 2001)
Maßgebliche statistische Fakten
-
•
Häufigkeit: 1:1000 Mädchen (z. B. Bishop et al. 2011)
-
•
Lebenserwartung: normal
-
•
klinische Diagnose wird aufgrund fehlender ausgeprägter Merkmale vermutlich nur in 10 % der Fälle gestellt (z. B. Tartaglia et al. 2010; Bishop et al. 2011)
Erscheinungsbild
-
•
keine syndromspezifischen klinischen Merkmale: Erscheinungsbild in den meisten Fällen unauffällig
-
•
Merkmalskonstellationen können auf Syndrom hinweisen
-
•
extreme phänotypische Unterschiede möglich
-
•
im Kindes- und Jugendalter akzeleriertes Längenwachstum (> 75ste Perzentile) und überproportionale Beinlänge (Geburtsmaße jedoch normal, differierende Befunde im Erwachsenenalter)
-
•
faziale Aufälligkeiten mit Epikanthusfalte
-
•
muskuläre Hypotonie
-
•
Verstopfung/abdominale Schmerzen
-
•
Klinodaktylie
-
•
Verzögerung in motorischer Entwicklung (Krabbeln, Laufen)
-
•
bis ins Jugend- und Erwachsenenalter anhaltende Gleichgewichts- und Koordinationsprobleme möglich
-
•
leichte nonverbale und/oder verbale Intelligenzminderung (aber auch überdurchschnittliche oder durchschnittliche intellektuelle Fähigkeiten möglich)
-
•
Spracherwerbsstörungen (Sprache kann ausschließlich gestört sein)
-
•
(autistische) Verhaltensauffälligkeiten
-
•
Angststörungen
-
•
Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom mit/ohne Hyperaktivität
Sprachliche Symptomatik
-
•
große Variabilität: ca. 50 % der Betroffenen zeigen einen unauffälligen Spracherwerb
-
•
bei bestehenden sprachlichen Auffälligkeiten zeigen pränatal diagnostizierte Betroffene mildere Probleme im Vergleich zu postnatal diagnostizierten (z. B. Linden und Bender 2002)
-
•
ca. 50 % der Betroffenen zeigen Late Talker Profil (Kap. 3.2.1) mit verzögertem Late Talker:Triple-X-SyndromSprachbeginn (erste Wörter mit 3 J.)
-
•
sowohl rezeptive als auch expressive sprachliche Leistungen können unterdurchschnittlich entwickelt sein
-
•
beschriebene Symptome: artikulatorische Auffälligkeiten, lexikalisch-semantische Auffälligkeiten, syntaktische Auffälligkeiten (Strukturierung von Sätzen, Verständnis komplexer Sätze), Probleme der auditiven Verarbeitung und Wahrnehmung,
-
•
bestehende sprachliche Auffälligkeiten persistieren bis ins Schulalter hinein
-
•
Fallbeschreibung in Schwemmle und Ptok (2013)
-
•
z. T. allgemeine Entwicklungsverzögerung
-
•
teilweise assoziiert mit kognitiver Störung
-
•
in einigen Fällen zusätzliches Vorliegen von Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom mit/ohne Hyperaktivität, Angststörung oder autistischer Störung (Kap. 7.7)
-
•
teilweise Hörstörung bzw. zentral-auditive Verarbeitungsstörung (Kap. 7.1, Kap. 7.2)
-
•
Risiko zur Entwicklung von Lernschwächen (Dyskalkulie, Lese-Rechtschreib-Störung Kap. 6.3).
Diagnostik
•
zusätzlich Einschränkung der orofazialen Fähigkeiten (Kap. 4) abklären
•
Untersuchung auf Verbale Entwicklungsdyspraxie (Kap. 5.4)
•
Untersuchung auf zentral-auditive Verarbeitungsstörung (Kap. 7.2)
•
Untersuchung visueller Wahrnehmung
Therapie
-
•
sprachtherapeutische Intervention möglichst frühzeitig
-
•
Orientierung an ungestörter Entwicklungschronologie sowie an therapeutischen Maßstäben, wie sie für Kinder mit spezifischer Sprachentwicklungsstörung angesetzt werden
-
•
ggf. Therapie dyspraktischer Störungsanteile (Kap. 5.4)
-
•
ggf. Therapie von Primärfunktionen (orofaziale Funktionen, Schluckfunktion, auditives Kurzzeitgedächtnis) notwendig
-
•
in sehr seltenen schweren Fällen kann unterstützte Kommunikation hilfreich sein
-
•
Sprachtherapie kann auch in der Grundschulzeit noch notwendig sein
7.5.15
Williams-Beuren-Syndrom
Ursache
Maßgebliche statistische Fakten
•
Häufigkeit: 1 : 10.000–1 : 20.000
•
Lebenserwartung: normal
Erscheinungsbild
-
•
typische Gesichtsdysmorphien, sog. „Elfengesicht“
-
•
supravalvuläre Aortenstenose (Aortenverengung dicht oberhalb der Aortenklappe) oder Pulmonalstenose (angeborene Verengung des Truncus bzw. einer Arteria pulmonalis)
-
•
infantile Hyperkalzämie (vermehrter Kalziumgehalt im Blut) in den ersten Lj.
-
•
verlangsamtes Körperwachstum
-
•
sternförmige Irismuster (Iris stellata)
-
•
Hypogenitalismus
-
•
Zahnanomalien
-
•
Geräuschüberempfindlichkeit (Hyperakusis)
-
•
auffällig tiefe und raue Stimme
-
•
Gesamt-IQ zwischen < 40 und 90, durchschnittlich ca. 70, wobei Handlungs-IQ < verbaler IQ
-
•
beeinträchtigte visuell-räumliche Wahrnehmung, relative Stärken im auditiven Kurzzeitgedächtnis
-
•
verzögerte Sprachentwicklung; Aufholphase in der späten Kindheit/Pubertät, die bis zur sprachlichen Unauffälligkeit führen kann
Sprachliche Symptomatik
-
•
erste Wörter oft erst im 2. oder 3. Lj., teilweise durch Aussprachestörungen schwer verständlichSprachentwicklungsstörungen:Williams-Beuren-Syndrom
-
•
Wortschatz entwickelt sich langsamer als im ungestörten Spracherwerb (aber durchschnittlich 100 Wörter im Alter von 3;4 J.; Mervis 2003). Faktoren:
–
Mechanismen zur Erschließung des Wortschatzes werden nicht optimal genutzt
–
Defizite im sprachlichen Langzeitgedächtnis verhindern die Speicherung neuer Wörter
–
Mittelohrentzündungen beeinflussen die auditive Wahrnehmung negativ
-
•
Echolalien im frühen Spracherwerb: echolaliertes Wort kann gut verständlich sein, das selbe Wort in einer spontanen Äußerung jedoch phonologischen Prozessen unterliegen
-
•
Wortschatz von Jugendlichen und Erwachsenen kann trotz des verzögerten Erwerbs ein sehr hohes Niveau erreichen, in seltenen Fällen bis zu einem verbalen IQ über 100
-
•
gelegentlich Wortfindungsprobleme
-
•
Stärken in Erzählfähigkeiten (Nutzung prosodischer Details, Lautmalereien, Emotionswortschatz u. a.)
-
•
gemeinsames Merkmal mit Down-Syndrom-Kindern ist im Vorschulalter der Telegrammstil bei Mehrwortäußerungen, d. h. es werden Funktionswörter wie Artikel oder Präpositionen ausgelassen. Im Bereich Morphologie fällt eine falsche Verwendung des grammatischen Geschlechts (Genus) auf. Die Spontansprache der erwachsenen Patienten ist meist grammatisch unauffällig (Siegmüller et al. 2000)
-
•
Einwortäußerungen häufig länger verwendet als im ungestörten Spracherwerb
-
•
Satzverständnis ist ab dem späteren Spracherwerb gut entwickelt, erreicht jedoch nur selten das Niveau der ungestörten Erwachsenensprache. Es liegt meist oberhalb des nicht sprachlichen Entwicklungsalters, aber unterhalb des chronologischen Alters (Brock 2007)
Diagnostik
-
•
reguläre Sprachentwicklungsdiagnostik auf den linguistischen Ebenen Lexikon/Semantik, Phonetik/Phonologie und Syntax/Morphologie (Kap. 3)
-
•
Überprüfung des Hörvermögens, um einen möglichen Einfluss auf sprachliche Leistungen einschätzen zu können. Außerdem kann die Überempfindlichkeit für Geräusche Auswirkungen auf die sprachlichen Leistungen haben, was jedoch leider schwer zu überprüfen ist
-
•
Untersuchungen zum sprachlichen Kurz- und Langzeitgedächtnis, deren Ergebnisse Einfluss auf das therapeutische Vorgehen haben
Therapie
-
•
ggf. Probleme im orofazialen Bereich und phonologische Auffälligkeiten behandeln (Kap. 4 und Kap. 5.3Kap. 4Kap. 5.3)
-
•
Nutzung der spezifischen Stärken der Kinder: ausgeprägtes Neugierverhalten, gute Fähigkeiten im rhythmischen und musischen Bereich, hohe Motivation zum Kontakt mit anderen Menschen, teilweise gute Fähigkeiten in der auditiven Wahrnehmung
-
•
Sprachtherapie wird durch Schwächen der Kinder beeinflusst: z. B. verkürzte Aufmerksamkeitsspanne, verlangsamtes Lerntempo, kognitive Schwierigkeiten, Hörproblematik (Hyperakusis oder Schwerhörigkeit), Störungen der visuell-räumlichen Wahrnehmung, beeinträchtigte grob- und feinmotorische Entwicklung
•
bei Verzögerung kann Wortschatzaufbau mit Auftreten der ersten Wörter beginnen
•
Einstieg in Wortkombinationen begleiten bzw. ermöglichen
•
grammatische Förderung, sobald Grundwortschatz vorhanden
Mutismus
Auch: psychogenes Schweigen, Schweigen, angstbedingtes/psychogenespsychogenes SchweigenMutismusSprachverweigerung, SprachverweigerungSprechhemmung, SprechhemmungSprachneurose, Sprachneuroseangstbedingtes angstbedingtes SchweigenSchweigenMutismus:elektiver
7.6.1
Ausprägungsformen
(S)elektiver Mutismus
-
•
Beginn meist zwischen 3–4 J. (Damerau und Subellok 2015)
-
•
Prävalenz zwischen 0,2–2 % mit größerer Prävalenz bei Kindern mit Migrationshintergrund (Gensthaler et al. 2016)
-
•
bisweilen nahezu normale Kommunikation
-
•
Schweigen partiell gegenüber einer bestimmten Personengruppe, welche nicht zum engeren Familienkreis gehört und/oder in definierten Situationen (im Kindergarten, in der Schule)
-
•
häufig zwei Seiten einer Person: introvertierter, gehemmter Schweiger und sprechfreudiger, anhänglicher und lebhafter Mensch, je nach Situation und Personenkreis (Hartmann 2004)
-
•
Schweigen zeigt sich häufig von Sozialängsten oder anderen Angststörungen begleitet. Den kommunikativen Rückzug wertet Bahr (2002a, b) als „sinnvolle Bewältigungsstrategie“, um in ihrem Lebenskontext zu bestehen
ICD-10 Code für F94.0 (s)elektiven Mutismus
Totaler Mutismus
•
häufig traumatisch, bei psychischer Grunderkrankung (Psychose, endogene Depression) oder als dramatische Verlaufsvariante eines in der Kindheit begonnenen partiellen Schweigens (Hartmann 2003)
•
häufig werden sämtliche anderen phonischen Leistungen verweigert, z. B. Weinen, Husten, Lachen, Atemgeräusche
•
ausdrucksarme Mimik, Blickkontakt wird vermieden
•
betroffene Person agiert durch Einsetzen kommunikativer Hilfsmittel (Gestik, schriftliches Aufzeichnen)
Akinetischer Mutismus
7.6.2
Ursachen und Differenzialdiagnosen
Ursachen
•
Diathese-Stress-Modell (Hartmann 1997): „Wechselhaftigkeit von Prädispositionen und seelischer Verarbeitung von negativ empfundener Umweltkonfiguration“
•
diskutiert werden neurobiologische Bedingungsfaktoren für Angststörungen; Neurotransmitterstörungen
•
möglicherweise als Vermeidungsstrategie anzusehen, um emotionalen und physiologischen Stress in Angstsituationen zu verhindern (Klein et al. 2016)
•
Modellverhalten der Eltern
•
überprotektives Verhalten von Bezugspersonen
•
anamnestisch häufig verzögerte Sprachentwicklung (Bahr 2002a), Sprachentwicklungsstörung und/oder Artikulationsprobleme sowie andere Sprech- und Stimmstörungen
•
sensible Phasen sind Eintritt in Kindergarten und Schule
•
Immigrationsproblematik
•
Misshandlung und sexueller Missbrauch
Anteile einer grundlegenden Anamnese und Diagnostik
-
•
allgemeine Patienten- und Familienanamnese
-
•
fachärztliche Untersuchungen (Pädiatrie, HNO, Neurologie)
-
•
psychische Diagnostik
-
•
sprachtherapeutische Diagnostik, z. B. Patholinguistische Diagnostik bei Sprachentwicklungsstörungen (Kauschke und Siegmüller 2010)
-
•
Ermittlung des zugrundeliegenden Kommunikationsverhaltens und der emotionalen Motivationskriterien, z. B. Evaluationsbogen für das sozialinteraktive Kommunikationsverhalten bei Mutismus (Hartmann und Lange 2003)
Differenzialdiagnosen
Prognose (Klein et al 2016)
•
guter Mitarbeit der Eltern
•
geringerem Schweregrad der Störung
•
kürzerer Dauer
•
jüngeren Kindern
7.6.3
Intervention und Therapie
Theraplay
SYMUT (Konzept der systemischen Mutismustherapie, Hartmann 2004)
1.
präverbale PhaseSYMUT (systemische Mutismustherapie)
2.
lexikalisch-syntaktische Phase
3.
kommunikativ-sozialinteraktive Phase
4.
Nachbetreuungsphase
KoMut (Kooperative Mutismustherapie, Feldmann, Kopf und Kramer 2012)
DortMuT (Dortmunder Mutismus Therapie, Subellok et al. 2012)
IMT (Integrative Mutismustherapie, Lepper, Braun-Scharm 2009)
The Selective Mutism Resource Manual (Johnson, Wintgens 2001)
Mutari-Methode nach Starnberg
Mutismus und Sprachentwicklungsstörung
•
Kind kann den kommunikativen Anforderungen sprachlich (z. B. durch zu geringen Wortschatz) nicht entsprechen, entwickelt für diese Interaktionsfrustrationen ein Störungsbewusstsein und zeigt sich gehemmt in ihm nicht vertrauten Umfeldern
•
frühzeitige spezifische Sprachentwicklungstherapie, um die Sprachentwicklungsstörung als primäre Verursachung zu beheben (Kap. 3)
Mutismus im Heilmittel-Report
Leitlinien
AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften 2007)
-
•
die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie wird zurzeit überprüft
-
•
sie bietet Hinweise zur Differenzialdiagnostik sowie für die Therapie im ambulanten, teilstationären und stationären Bereich
-
•
das interdisziplinäre Arbeiten wird sehr befürwortet, ausschließlich logopädische Therapie bei Personen mit Mutismus wird als unzureichend angesehen
IMF-Leitlinien für die Mutismustherapie bei Kindern- und Jugendlichen (Subellok und Starke 2015)
-
•
entworfen durch eine Kooperation vonMutismustherapie:bei Kindern und Jugendlichen, IMF-Leitlinien;bei Kindern und Jugendlichen Psychotherapeuten, Sprachtherapeuten und Sonderpädagogen
-
•
Mutismus wird hier als Umgang mit Konflikten verstanden
-
•
der Patient bestimmt das Tempo in der Therapie
-
•
auch hier sprechen sich die Autoren für eine interdisziplinäre Herangehensweise mit Einbezug aller Lebenskontexte aus
SRMT-Stuttgarter Rahmenempfehlungen zur Mutismustherapie (Hartmann et al. 2013)
-
•
Empfehlungen wurden von der Mutismus-SelbsthilfeMutismustherapie:SRMT-Stuttgarter Rahmenempfehlungen ausgearbeitet
-
•
soll Angehörigen und Betroffenen als Instrument zur Bewertung der Therapie dienen
Weiterführende Praxisliteratur
Hartmann, 2013
Bahr, 2002a
7.7
Autismus
-
•
frühkindlicher Autismus, auchAutismus:kindlicher „Kanner-Syndrom“ (Kanner 1943): Kanner-SyndromStörungen der sozialen Interaktion, verbalen und nonverbalen Kommunikation sowie repetitives und stereotypes Verhalten
-
•
Asperger-Syndrom (Asperger 1944): frühe formal-sprachliche Asperger-SyndromEntwicklung kaum beeinträchtigt; kognitive Entwicklung weitgehend unauffällig, IQ teils überdurchschnittlich, jedoch ebenfalls Störungen der sozialen Interaktion und repetitives und stereotypes Verhalten
-
•
atypischer Autismus: Autismus:atypischerebenso Auffälligkeiten in sozialer Interaktion, Kommunikation und stereotypes/repetitives Verhalten, es werden jedoch nicht alle drei Diagnosekriterien erfüllt oder sind nicht dokumentierbar
-
•
von einigen Autoren wird weiterhin der High Functioning AutismusHigh Functioning Autismus abgegrenzt (stellt jedoch keine offizielle Diagnose dar): IQ im Normalbereich bei Störung der Sprachentwicklung
-
•
Rett-Rett-Syndrom:AutismusSyndromFragiles-X-Syndrom:Autismus (Kap. 7.5.12)
-
•
tuberöse Sklerose
-
•
Fragiles-X-Syndrom (Kap. 7.5.8)
-
•
desintegrative Störung des Kindesalters
Ursache
Maßgebliche statistische Fakten
•
Prävalenz: 0,9–1,1 % (Fombonne et al. 2011)
•
Verhältnis von Jungen zu Mädchen ist vermutlich 3:1
7.7.1
Erscheinungsbild
•
bei Autismus-Spektrum-Störungen ist jeder IQ denkbar; ca. 76 % haben jedoch einen IQ von unter 70 (NICE 2011)
•
gestörte Verarbeitung und Interpretation von Sinneseindrücken im Gehirn. Daraus resultiert häufig Reizüberflutung (mögliche Folgen: z. B. Verhaltensauffälligkeiten, Impulsdurchbrüche, Rückzug, Nullreaktionen auf Anforderungen, gestörtes Essverhalten) oder einseitige Beschäftigung mit spezifischen Reizen
•
Defizit im Verstehen von Gedanken und Gefühlen anderer Menschen, ihrer Motivationen und Intentionen („Theory of Mind“)
•
teilweise Beschäftigung mit ausgeprägten Sonderinteressen, z. B. Waschmaschinen oder Zugfahrpläne, hierdurch oft Spezialwissen in bestimmten Bereichen. Selten auch spezifische Talente aufgrund der Besonderheiten der Wahrnehmungsverarbeitung
•
Bedürfnis nach Strukturiertheit und Verlässlichkeit der Umgebung (ritualisierter Tagesablauf, gleichbleibende Raumstrukur)
•
repetitive Verhaltensweisen, z. B. motorische Stereotypien
Sprachliche Symptomatik
-
•
Pragmatik: Sprachprofil:Autismus“Leitsymptomatik ist die Störung der PragmatikPragmatikstörungen:Autismus. Sprache bleibt oft völlig aus oder wird zur Selbststimulation bzw. zur Befriedigung eigener Bedürfnisse, nicht zum kommunikativen Austausch genutzt. Das Fehlen eines vorsprachlichen gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus mit einer Bezugsperson (Joint Attention) setzt sich in der Sprachentwicklung fort. Problematik, das Gesagte dem Wissensstand des Zuhörers anzupassen, gegebene von neuer Information zu unterscheiden, Themen außerhalb der Sonderinteressen zu besprechen und Turn Taking aufrecht zu erhalten (Tager-Flusberg et al. 2005). Sprachgebrauch teilweise ganzheitlich an den Kontext geknüpft, klassisches Beispiel von Kanner (1943): Ein Junge mit Autismus wiederholte den Satz „Wirf den Hund nicht vom Balkon!“ immer, wenn er den Impuls hatte, etwas Verbotenes zu tun. Er hatte den Satz einmal von seiner Mutter gehört, als er einen Spielzeughund vom Balkon werfen wollte. Speicherung ganzer Sätze als „Labelling“ zu Einzelaspekten von Situationen möglich. Satzproduktion ist daher häufig reine Nachsprechleistung (Echolalie) und nicht im Sinne flexibler Satzbildung zu verstehen
-
•
Prosodie und Prosodie:AutismusStimme: Intonation, Rhythmus und Wortbetonung häufig auffällig. Sprache wird teilweise als monoton, mechanisch oder arhythmisch beschrieben. Erschwerte Verarbeitung prosodischer oder emotionaler Merkmale. Unangebracht leises oder lautes Sprechen möglich
-
•
Phonologie: Auffälligkeiten entsprechen weitgehend denen nicht autistischer Kinder, meist am besten entwickelte sprachliche Ebene
-
•
Wortschatz: Wortschatz:Autismusverspätete und langsamere Entwicklung als bei normal entwickelten Kindern. Expressiver und rezeptiver Wortschatz liegen im Alter von 2 J. auf einem lexikalischen Entwicklungsstand von 9 Mon. (Lord und Paul 1997). Idiosynkrasien, sog. Privatsprache, häufig, werden aber meist mit steigendem Alter und wachsendem Sprachverständnis weniger
-
•
Syntax: Syntax:AutismusEntwicklung verzögert, aber nicht abweichend zur ungestörten Entwicklung (Kastner-Koller und Deimann 2000)
-
•
weitere Merkmale: symptomatischer Mutismus (Autismus:symtomatischerabzugrenzen von Diagnose Mutismus Kap. 7.6). Echolalien, oft Echolalie:Autismusvermutlich, um Kommunikation aufrecht zu erhalten. Ihr Anteil nimmt mit steigenden sprachlichen Fähigkeiten ab (Prizant 1996). Pronomenverwechselung und -vermeidung, vermutlich bedingt durch mangelndes Verständnis des Wechsels der Sprecher-Hörer-Perspektive (Fay 1993) und ganzheitliche Sprachwahrnehmung. Häufig auch Störung des Verstehens von Pronomen in gesprochener und Schriftsprache
-
•
im 1. Lj. werden weniger Laute, v. a. weniger Konsonanten produziert als bei gleichaltrigen Kindern (Kastner-Koller und Deimann 2000; Prizant 1996)Sprachentwicklungsstörungen:Autismus
-
•
wenig nonverbale Kommunikationsmittel, z. B. der sog. gemeinsame Aufmerksamkeitsfokus (joint attention) zwischen Kind und Erwachsenem, Zeigegesten
-
•
weniger Symbolspiel als Vorausläufer der Sprachentwicklung (Paul 2006)
-
•
später Sprachbeginn und langsamerer Spracherwerb
-
•
ca. 60 % der Kinder entwickeln keine produktive Sprache (Remschmidt 2001), deren Anteil nimmt jedoch ab durch frühere Identifikation und Intervention (Rogers 2006). Ausbleibende Sprache wird nicht durch kommunikative Gesten ersetzt, teils maladaptive Strategien, z. B. Schlagen mit dem Kopf, um Ablehnung auszudrücken oder Kneifen anderer Kinder, um in Kontakt zu kommen
-
•
ca. 25 % der Kinder erwerben einige Wörter bis zum Alter von 18 Lm., verlieren diese aber wieder oder lernen keine neuen Wörter hinzu (Lord et al. 2004), evtl. aufgrund ganzheitlicher statt analytischer Spracherwerbsstrategie oder hirnfunktionellen Ursachen
7.7.2
Diagnostik
•
Untersuchungsraum darf das Kind nicht zu sehr mit Sinneseindrücken belasten
•
in diagnostischen Sitzungen aufeinander folgende, ähnliche Aufgabenstellungen vermeiden, da die Gefahr besteht, dass das Kind an einem Aufgabentyp festhält und z. B. beim Wort-Bild-Zuordnen die Bilder benennt, weil dies vorher Aufgabe war
•
rezeptive Aufgaben spiegeln die Sprachkompetenz des Kindes eher wider als produktive, da Nullreaktionen auf produktive Aufgaben eher pragmatisches Problem als Problem sprachlicher Kompetenzen sind. Nullreaktionen oder abweichende Reaktionen bei rezeptiven Aufgaben spiegeln jedoch ebenfalls nicht zwingend das Sprachvermögen wider. Hoher Stellenwert des Eltern-Interviews und der Beobachtung im Alltagskontext
•
neben sprachsystematischer Diagnostik Erfassen der sprachlichen Vorausläuferfähigkeiten wie Joint Attention und Symbolspiel und der kommunikativen Fähigkeiten, dynamisches Assessment: Was erleichtert/erschwert die Kommunikation des Kindes? Zum Beispiel taktile und visuelle Reize, Unterstützung durch Schriftsprache (Paul 2006), Unterstützung durch visuelle Strukturierung, bestimmte Arten der Ansprache (z. B: laut und melodiös). Auch bei formell gut entwickelter Sprache hoher Stellenwert der Diagnostik pragmatischer Kompetenzen, da Sprachfertigkeiten nicht unbedingt adäquat eingesetzt werden können.
7.7.3
Therapie
Kommunikationsförderung/verhaltenstherapeutische Maßnahmen
•
neue Bezugsperson, z. B. der Sprachtherapeut, richtet sein Handeln nach dieser Methode aus
•
entwickelt sich das Kind aufgrund dieser verhaltenstherapeutischen Maßnahmen positiv, können weitere Bezugspersonen ihr Verhalten ebenso ausrichten
Beispiele möglicher Vorgehensweisen
•
im Spiel benötigte Gegenstände werden erst freigegeben, wenn danach in irgendeiner Form verbal gefragt wird
•
eine Handlung wird vom Therapeuten erst fortgeführt, wenn verbale Kommunikation stattfindet
•
Hilfen werden erst auf verbale Anforderung gegeben
•
Nutzung bevorzugter Spielaktivitäten oder Objekte, um positiven „Kommunikationsdrang“ zu erzeugen
•
Erzeugung von gemeinsamer Freude an Aktivitäten, um Interesse an sozialem Kontakt zu stärken, „Therapeut als Lieblingsspielzeug“
Schwerpunkte sprachtherapeutischer Arbeit
-
•
Entwicklung des SymbolverständnissesSprachtherapie:Autismus Autismus:Sprachtherapieals Voraussetzung zum Erwerb von Wortbedeutungen und für das Verständnis, dass Wörter zum Kommunizieren benötigt werden. Setzt ein Kind beim Spielen kein Symbolspiel (z. B. Verwendung eines Bauklotzes als Auto) ein, hat es wahrscheinlich noch kein Symbolverständnis entwickelt
-
•
Aufbau von Joint Attention und gestischer und verbaler Imitation (Paul 006)
-
•
Aufbau von Sprachproduktion oder sonstiger gezielter Kommunikation (Bildkarten)
-
•
Aufbau vom Verstehen von Kausalitäten
-
•
je nach individuellem Entwicklungsstand Arbeit auf allen sprachlichen Ebenen denkbar, für Kinder mit formalsprachlichen Auffälligkeiten eignet sich ggf. Therapiemethodik für Kinder mit spezifischen Sprachentwicklungsstörungen (Kap. 3)
-
•
pragmatische Ebene: Orientierung an der Abfolge der kommunikativen Entwicklung im ungestörten Erwerb; Training funktionaler kommunikativer Situationen in natürlichen Interaktionen; Ausweitung des Lexikons für soziale und mentale Wörter (Paul 2006); Zuordnung von Gefühlen oder Geisteshaltungen, z. B. mithilfe von Bildern oder Fotos, üben
-
•
alternative Kommunikationsformen: autistisches Kind kann expressive Sprache u. U. nicht erreichen, aber per Gebärden, Schriftsprache, Kommunikationstafeln oder Computereinsatz mit der Umwelt in Kontakt treten. Aufbau von verbal-expressiver Sprache im Vordergrund, da Erwerb verbaler Sprache bis zum Schuleintritt neben dem IQ entscheidender Prädiktor für den weiteren Verlauf ist (Howlin 2005)
7.8
Fötales Alkoholsyndrom
Maßgebliche statistische Fakten
•
FAS seit 1974 wissenschaftlich beschrieben
•
Feststellung von FAS oder FAE häufig erst im 3. Lj.
•
Häufigkeit:
–
USA: 1,9 : 1.000 (Carmichael-Olson und Burgess 2000)
–
Deutschland: pro Jahr ca. 2.200 Neugeborene mit FAS (geschätzte Häufigkeit 1 : 500–1.000), FAE-Kinder sind häufiger (Drozella 2001)
7.8.1
Erscheinungsbild
•
Kleinwuchs und Untergewicht
•
spezifisches Muster Gesichtsdysmorphien
•
neurobehaviorale Effekte
•
Mikrozephalie teils schon bei der Geburt möglich; häufig Entwicklung im späteren Leben
•
charakteristische kraniofaziale Dysmorphie (bildet sich mit zunehmendem Lebensalter zurück): niedrige Stirn, Epikanthus, Blepharophimose, Ptose, abfallende Lidachse, kurzer Nasenrücken, fehlendes oder abgeflachtes Philtrum, schmale Oberlippe, hoher Gaumen oder Gaumenspalte, hypoplastischer Unterkiefer, dysplastische, tief sitzende Ohren
•
Hände: Klinodaktylie 5 und veränderte Hautlinien (z. B. tiefe Daumenfurche und stark abknickende Dreifingerfurche, die zwischen Zeige- und Mittelfinger endet)
•
Herzfehler (30 %): meistens Ventrikelseptumdefekt und Vorhofseptumdefekt
•
Genitalanomalien (30–40 %): z. B. Hodenhochstand, Hypoplasie der Labia maiora
•
Nierenfehlbildungen (10 %)
•
Skelettfehlbildungen: z. B. Trichterbrust
•
fein- und grobmotorische Störungen
•
Wahrnehmungs- und Verhaltensstörungen: z. B. Konzentrationsschwäche, Impulsivität, Stimmungslabilität, erhöhte Risikobereitschaft, fehlende soziale Kompetenz, Distanzlosigkeit
•
Epilepsien, Tremor
•
Ess- bzw. Schluckstörungen im Säuglingsalter (30 %) teilweise mit Hypersensibilität im Mundraum
•
Schlafstörungen: extremer Wechsel zwischen Tiefschlaf- und Schreiphasen
•
leichte bis mittlere geistige Behinderung bei ca. 75 % aller FAS-Kinder, ebenfalls mit asynchronem Profil über die verschiedenen kognitiven Bereiche
-
•
Aufmerksamkeitsstörung, Hyperaktivität
-
•
Gedächtnisstörungen
-
•
Lernstörung
-
•
unstabiles Lerntempo
-
•
Störung im Erkennen des Ursache-Wirkung-Prinzips
-
•
Störungen im Sozialverhalten und in der sozialen Kognition
-
•
Störungen der mentalen Planung, Merkfähigkeit bleibt erhalten
-
•
DyskalkulieDyskalkulie:Alkoholsyndrom, fötales
-
•
Einschränkung z. B. von logischem Denken
-
•
Abstraktionsvermögen, Störungen im Erkennen von Zusammenhängen
Sprachentwicklung
Die Sprachentwicklung ist bei ca. 80–95% der Kinder mit FAS gestört (Drozella 2001), wobei sich ein ebenso heterogenes Bild zeigt wie bei den nicht sprachlichen Entwicklungsbereichen. Die Sprachentwicklung ist der am wenigsten untersuchte Störungsbereich von FAS-Kindern.
•
Wortschatz und Pragmatik sind zentrale Auffälligkeitsbereiche; gepaart mit sozialer AuffälligkeitSprachentwicklungsstörungen:Alkoholsyndrom, fötales
•
erste Wörter werden verspätet produziert
•
Sprachproduktion auf Satzebene wird als verkürzt beschrieben
•
Sprache wirkt inhaltsleer, was auf semantische Störungsaspekte schließen lässt; häufig gepaart mit starken Arbeitsgedächtnis- und/oder Langzeitgedächtnisbeeinträchtigungen
•
formal-sprachliche Bereiche (Phonologie, Syntax) eher weniger betroffen
•
häufig Störungen der Artikulation, die teilweise mit Gaumenspalten oder kieferorthopädischen Störungsbildern einhergehen
•
Stottern
•
starke Kommunikationsstörung (Carmichael-Olson und Burgess 2000): während der Kindheit erweisen sich die schlechten sprachlich-kommunikativen und sozial-kognitiven Fähigkeiten der Kinder als Störungsherde, die die Eingliederung der Kinder sowie die Akzeptanz sozialer Normen negativ beeinflussen bzw. verhindern
Störungen an der Schnittstelle Semantik und Pragmatik
•
Semantik:Alkoholsyndrom, fötalesPragmatikstörungen:Alkoholsyndrom, fötalesInformationsentnahme aus dem Input (Satz, Kontext, Dialog)
•
Informationsintegration in bestehenden Kontext und Weltwissen
•
Informationsspeicherung (wird durch die allgemein bestehende Gedächtnisstörung zusätzlich beeinflusst)
•
Abruf komplexerer Informationen in neuen Situationen (Übertragung von Informationen)
•
Leistung abhängig von der Tagesform!
Lesen und Schreiben
-
•
Lese-Rechtschreiberwerb verläuft verzögert
-
•
Analyse der Phoneme einer Wortform scheint am wenigsten gestört zu sein
-
•
im Jugendlichenalter Gedächtnisstörungen:Alkoholsyndrom, fötalesGedächtnisstörungenLese-Rechtschreib-Störungen:Alkoholsyndrom, fötales und Störungen im logischen Denken
7.8.2
Therapie
Problem Reizüberflutung
-
•
mehrere Stimuli zur gleichen Zeit können leicht zur Reizüberflutung führen
-
•
auch ein Raum voller Spielzeug kann bereits eine Reizüberflutung auslösen (Drozella 2001)
-
•
Zeichen der Reizüberforderung:
–
Vermeidung von Blickkontakt
–
Weinen
Vorgehen
•
langsame Folge von Reizen und Aufgaben
•
starke Strukturierung sprachlicher Aufgaben
•
wenige Arbeitsschritte pro Anforderung
•
Herleiten der Lernanforderung direkt aus der Alltagswelt des Kindes, da die abstrakte Einordnung von Informationen zu den stärker gestörten Bereichen zählt