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978-3-437-47784-3
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Abb. 3.1

[R370]
Klassifikation von Sprachentwicklungsstörungen:KlassifikationSprachentwicklungsstörungen (Kauschke und Siegmüller 2010)
Abb. 3.2

[L157]
Entwicklung von Late Talkers: Schaubild
Abb. 3.3

[M860]
Einfluss- und Faktorenmodell der kindlichen Wortfindungsstörung
Altersabhängiges Vorgehen bei Late Late Talker:altersabhängiges VorgehenTalkers
Alter | Klinisches Vorgehen |
24 Mon. |
|
30 Mon. |
|
36 Mon. |
|
fortlaufend |
|
Relevante Therapiebereiche und -methoden des Patholinguistischen Therapieansatzes
Therapiebereiche | Therapiemethoden |
Erwerb und Festigung von Wörtern und Wortbedeutungen | Modellierung |
einfache Übungen |
Abgrenzung der Wortfindungsstörungen:Differenzialdiagnosesemantische Störungen:Differenzialdiagnoselexikalische Störungen:DifferenzialdiagnoseWortfindungsstörungen von anderen Störungsausprägungen auf der lexikalisch-semantischen Ebene
Störungsbild | Störungsausprägung |
Lexikalische Störungen | Speicherstörung oder Inventarbeschränkung |
Störung der Wortfindung | |
Semantische Störungen | Störung der semantischen Organisation |
Untersuchung der diagnostischen Parameter
Parameter | Beschreibung Verhalten | Diagnostische Verfahren |
Benenntempo | Abruf ist langsamer als bei ungestörten gleichaltrigen Kindern | automatisiertes Schnellbenennen |
Benennkonsistenz | Kind benennt das Wort bei mehreren Gelegenheiten nicht immer gleich | Benenntest (min. 2×), automatisiertes Schnellbenennen |
Benenngenauigkeit | Kind benennt das Wort nicht zielgenau, z. B. Tier für Hund | Benenntest (einmalig), automatisiertes Schnellbenennen |
Störungsbilder auf der semantische Störungensemantische Störungenlexikalische Störungenlexikalische Störungensemantischen und lexikalischen Semantik-LexikonSemantik-LexikonEbene
Schwerpunkt | Inventar und Bedeutung | Vernetzung und Strukturierung | Wortform: Speicherung und Zugriff |
Problem |
|
unzureichende Organisation und Vernetzung erworbener Wörter | instabile phonologische Repräsentation oder Abrufproblem |
Modalität | rezeptive und/oder expressive Einschränkungen möglich | rezeptive und/oder expressive Einschränkungen | nur expressive Einschränkung |
sonstige Befunde | nicht alle alterserwartbaren Wortarten verfügbar | Begriffsklassifikation eingeschränkt | ggf. lexikalisches Entscheiden (Wort – Nichtwort) eingeschränkt |
Konstanz | eher konstante Benenndefizite | geringerer Einfluss von Priming | fluktuierende und inkonsistente Benennleistung |
Benennlatenz | kann Abrufgeschwindigkeit beeinflussen | verminderte Abrufgeschwindigkeit | |
Fehlertypen |
|
|
|
Reaktion auf Hilfen | semantische Hilfen wirken positiv | semantische Hilfen wirken positiv | Anlauthilfe und Informationen über Wortstruktur wirken sich förderlich aus |
Aufstellung von Grammatikstörungen:TherapieansätzeTherapieansätzen zu bestimmten Störungsschwerpunkten, wenn diese als explizite Therapieziele im jeweiligen Ansatz benannt werden
Störungsbereich | Therapieansatz |
Erste Wortkombinationen | Patholinguistischer Therapieansatz |
Erwerb der Verbzweitstellung | Strikt entwicklungsproximaler Ansatz |
Psycholinguistische Therapie nach Hansen | |
Patholinguistischer Therapieansatz | |
Entwicklungsproximaler Ansatz | |
Konstruktivistischer Ansatz | |
Kontextoptimierung | |
Artikeleinsetzungsregel | Strikt entwicklungsproximaler Ansatz |
Patholinguistischer Therapieansatz | |
Entwicklungsproximaler Ansatz (als allgemeinerer Abbau von Auslassungen bei der Artikelverwendung) | |
Aufbau der verschiedenen morphologischen Systeme | Psycholinguistische Therapie nach Hansen |
Konstruktivistischer Ansatz | |
Handlungsorientierter Therapieansatz | |
Patholinguistischer Therapieansatz | |
Entwicklungsproximaler Ansatz | |
Kontextoptimierung | |
Textgrammatik | Handlungsorientierter Therapieansatz |
Patholinguistischer Therapieansatz |
Phasen des Handlungsorientierten Handlungsorientierter Therapieansatz (HOT):PhasenTherapieansatzes
Strukturebene | Prinzip | Erläuterung | |
1 | Planungsebene | Vorstellen der Zutaten/Materialen und Geräte | Arbeit an Realgegenständen, Benennungen durch die Therapeutin und das Kind, Frage-Antwort-Situationen |
2 | Sprachebene | Übertragen der Begriffe auf die Bildebene | Kategorisierung des Materials in verschiedene Felder |
3 | Bild- und Planungsebene | Handlungsplanung | Festlegen der einzelnen Schritte, gemeinsame Planung |
4 | Handlungsebene | Durchführung der Handlung | möglichst selbstständige Umsetzung der Handlungsplanung bis zur Erstellung des Ergebnisses |
5 | Bild- und Planungsebene | Versprachlichung der Handlung auf Bildebene | Kind soll Serialität der Handlung selbstständig memorieren und anhand von Bildmaterial verinnerlichen |
Theorien der Pragmatik:TheorienPragmatik (Einteilung nach Achhammer et al. 2016)
Sprachliche Dimension der Pragmatik | Nonverbale und paraverbale Dimension | Basiskompetenzen in Bezug auf Pragmatik |
|
|
|
Ursachenhypothesen nach Perkins (2007)
Primäre pragmatische Störung | Sekundäre pragmatische Störung | Multiple pragmatische Störung |
Kognitive Dysfunktionen in den Bereichen:
|
Probleme in den sprachlichen Bereichen:
|
Defizite in den sensomotorischen Bereichen:
|
Zentrale Verfahren im deutschsprachigen Raum (Achhammer et al. 2016)pragmatische Störungen:Testverfahrenpragmatische Störungen:Interaktionsanalysepragmatische Störungen:Erzählfähigkeitpragmatische Störungen:Befragung
Erhebungsmethode | Verfahren |
Interaktionsanalyse |
|
Befragung |
|
Testverfahren mit Untertest zur Pragmatik |
|
Erzählfähigkeit |
|
Inhalte (Therapie) pragmatischer pragmatische Störungen:TherapieStörungen (Achhammer et al. 2016)
Kommunikationsverhalten/Gesprächsführung | Textverarbeitung/Textverständnis | Situations- und Kontextverhalten |
|
|
|
Aufstellung von profilbezogenen pragmatische Störungen:Therapieansätze, profilbezogeneTherapieansätzen
Profil nach dem Rahmenplan | Therapieansatz |
Verzögerte kommunikative Kompetenz | Ansätze aus der Therapie für Late-Talker (Kap. 3.2.2) |
Sprachstrukturelle Defizite |
|
Sprachlich-pragmatische Defizite |
|
Sozial-kommunikative Defizite |
|
Dauerhaft eingeschränkte kommunikative Kompetenz | Therapieansätze aus dem Bereich Unterstützte Kommunikation |
Aufbau der prosodischen prosodische Kompetenz:AufbauKompetenz
Sind die Silbenpaare gleich lang? | mooom-mom; mooom-mooom; mom-mooom; mom-mom |
Sind die Silbenpaare gleich? | sooosi-sooosi, sooosi-sosi, sosi-sosi, sosi-sooosi |
Wann verändert sich die Silbenkette? | momomomdomdomdom |
Sind die Silbenpaare gleich? | baad-daad; baad-baad; baad-baad, daad-baad |
Sind die Silbenpaare gleich? | kreedo-kreendo; kreedo-kreedo; kreendo-kreendo; kreendo-kreedo |
Sind die Wörter gleich? | schreiben-schreiten; schreiben-schreiben; schreiten-schreiten; schreiten-schreiben |
Aufbau der prosodischen Kompetenz für morphologische Merkmale
Sind die Silbenpaare gleich? | om-om, on-on, on-om, om-on |
Sind die Silbenpaare gleich? | braato-braatos; braato-braato; braatos-braatos; braatos-braato |
Sind die Wörter gleich? | schrieb-schritt; schrieb-schrieb; schritt-schritt; schritt-schrieb |
Sind die Sätze gleich? | Kevin schrieb oft in den Ferien-Kevin schritt oft in den Ferien; Kevin schritt oft in den Ferien-Kevin schritt oft in den Ferien; Kevin schrieb oft in den Ferien-Kevin schrieb oft in den Ferien; Kevin schritt oft in den Ferien-Kevin schrieb oft in den Ferien |
Sprachentwicklungsstörungen (SES)
-
3.1
Einleitung Julia Siegmüller60
-
3.2
Frühe Sprachauffälligkeiten Christina Kauschke62
-
3.3
Störungen der Prosodie Meike Otten, Wenke Walther72
-
3.4
Lexikalische Störungen76
-
3.5
Semantische Störungen bei Kindern Julia Siegmüller89
-
3.6
Störungen der Grammatik Julia Siegmüller92
-
3.7
Störungen der Pragmatik104
-
3.8
Schnittstellen und Spracherwerbsstörungen Meja Kölliker Funk111
3.8.1
Morphonotaktik in Diagnostik und Therapie Susan Ott113
-
3.9
Sukzessive Mehrsprachigkeit und spezifische Sprachentwicklungsstörung Solveig Chilla114
3.1
Einleitung
Umschriebene Sprachentwicklungsstörung (USES)
•
sensorische Schädigungen
•
schwerwiegende neurologische Schädigungen
•
emotionale Schädigungen
•
kognitive Schädigungen, z. B. geistige Behinderungen (nichtsprachliche Testintelligenz im Normalbereich, d. h. mind. IQ 85; Grimm 2012)
Entwicklungsprofile der Umschriebenen Sprachentwicklungsstörung
-
•
verspäteter Spracherwerbsbeginn verlangsamter Spracherwerb, v. a. zu Beginn verlangsamter Lexikonerwerb:verlangsamterLexikonerwerb, im frühen Stadium als Late Talker bezeichnet (Kap. 3.2.1; Kauschke 2012)
-
•
im Kindergartenalter typischerweise Verlagerung zu formalen (phonologischen bzw. grammatischen, v. a. syntaktischen) Anteilen (Paul 2000)
-
•
im Vorschulalter häufiges Auftreten von Wortfindungsstörungen:VorschulalterWortfindungsstörungen, oft mit Übergang in Lese-Rechtschreib-Probleme
-
•
Aufholeffekte ohne Therapie werden nach 3;0 J. kaum noch beobachtet (Paul 2000)
-
•
Sprachproduktion stärker betroffen als Sprachrezeption (Kap. 3.2.1; Grimm 2012)
-
•
Profile sind unterschiedlich und entwickeln sich über das Vorschulalter
-
•
ebenenübergreifende Störungen häufiger als isolierte (Kauschke 2012)
-
•
Profile weisen synchrone oder asynchrone Ausprägung auf den unterschiedlichen sprachlichen Ebenen auf
-
•
Symptome sind als ein Verharren auf Zwischenstrukturen bzw. auf früheren Entwicklungsstufen beschreibbar (Kauschke 2012)
•
übergreifende Störungen häufiger als isolierte: Kombinationen von Phonologie-Phonetik, Lexikon-Semantik und Syntax-Morphologie. Auch pragmatische Störungen können mit den verschiedenen Ausprägungsebenen kombiniert auftreten
•
neue Störungskomponente im Bereich der Textverarbeitung (Bishop und Dolan 2005; Botting 2002; Siegmüller et al. 2011)
•
zunehmende Festigung des Ausprägungsprofils (Conti-Ramsden und Botting 1999)
•
Spätprofil der SES auch noch bei Jugendlichen und Erwachsenen mit SES-Diagnose in der Kindheit nachweisbar; SES beeinflusst weiterhin nachhaltig Wortabruf-, Lese- und Textverarbeitungsleistungen sowie syntaktische Fähigkeiten (Wetherell et al. 2007; Ringmann et al. 2011)
Diagnostik der Umschriebenen Sprachentwicklungsstörung
•
Erfassung von Symptomen
•
Ermittlung von Störungsschwerpunkten und Profil der Störung
•
Trennung von therapiepflichtigen Störungen und förderungsbedürftigen Auffälligkeiten
•
Verwendung von reliablen Testverfahren
3.2
Frühe Sprachauffälligkeiten
3.2.1
Late Talker
Wichtige statistische Fakten
Symptomatik und Verlauf
Eigenschaften von Late Talkers bis zu 2 Jahren (Desmarais et al. 2008; Hachul 2015)
-
•
ggf. auffällige Schreimuster; vermindertes, verspätetes oder ausbleibendes kanonisches Babbeln
-
•
ggf. Einschränkungen in der frühen Sprachperzeption
-
•
ggf. verspätete Produktion der ersten Wörter
-
•
ausbleibender Vokabularspurt
-
•
Meilensteine werden nicht im erwarteten Altersrahmen erreicht
-
•
Rückstand in der produktiven Lexikonentwicklung im Alter von 24 Mon.
-
•
Beeinträchtigungen des Wortverständnisses möglich (nicht zwingend)
-
•
eingeschränkte phonologische und prosodische Fähigkeiten (Konsonanteninventar und Silbenstrukturen eingeschränkt)
-
•
ausbleibende oder geringe Produktion von Wortkombinationen
-
•
Verzögerungen im Symbolspiel und in den Kategorisierungsfähigkeiten möglich
Meilensteine des ungestörten Lexikonerwerbs im 2. Lj
-
•
erste Wörter mit ca. 12–13 Mon. Lexikonerwerb:ungestörter
-
•
ab ca. 18 Mon. Wortschatzspurt
-
•
produktiver Vokabularumfang von 50 Wörtern im Alter von etwa 18–19 Mon. erreicht
-
•
Beginn der Produktion von Wortkombinationen ab ca. 18 Mon.
-
•
hohe interindividuelle Variation ist zu beachten
Verlauf im dritten Lebensjahr
•
Late Bloomer („Spätblüher“): Late Bloomerca. ⅓ der LT holt Defizite bis zum Erreichen des 3. Geburtstages auf, anschließend weitgehend unauffällige Sprachentwicklung. Forschungslage zum genauen Prozentsatz der Aufholer ist uneinheitlich
•
Die restlichen Kinder (ca. ⅔) zeigen ab dem 3. Geburtstag sprachliche Auffälligkeiten, entweder im Sinne von schwachen Sprachleistungen oder im Sinne einer spezifischen/umschriebenen Sprachentwicklungsstörung (SSES/USES)
Nicht alle LT entwickeln eine USES, aber die meisten Kinder mit USES gehen aus der Gruppe der LT hervor. Die frühe lexikalische Verzögerung ist deshalb als Risiko für eine spätere Sprachentwicklungsstörung zu werten (Kühn, Sachse und von Suchodoletz 2016).
Die Wahrscheinlichkeit für Sprachauffälligkeiten im Vorschulalter ist bei LT gegenüber sprachunauffälligen Kindern um das 20-fache erhöht (Kühn und v. Suchodoletz 2009)!
Weiterer Verlauf
-
•
reduzierte Äußerungslänge
-
•
Einschränkungen der syntaktischen Komplexität, z. B. Auslassungen obligatorischer Konstituenten, geringe Flexibilität der Satzstrukturen, Wortstellungsfehler
-
•
fehlende oder falsche morphologische Markierungen, z. B. Fehler in der Subjekt-Verb-Kongruenz
-
•
spezifische Einschränkungen umschriebener sprachlicher Leistungen, z. B. im Erwerb der Verbbedeutung oder in der Wortprosodie (Schulz 2007)
-
•
Einschränkungen in der Verarbeitung komplexerer grammatischer Strukturen
-
•
eingeschränkte Erzählfähigkeiten
-
•
ggf. Einschränkungen in der phonologischen Bewusstheit
-
•
trotz meist durchschnittlicher Testleistungen oft noch deutliche sprachliche Schwächen
-
•
nonverbale Fähigkeiten und Leistungen im Arbeitsgedächtnis meist vergleichbar mit Probanden ohne LT-Vergangenheit
-
•
Lese- und Rechtschreibfähigkeiten können, müssen aber nicht eingeschränkt sein
Prädiktoren
•
rezeptive Sprachleistungen (Einschränkungen im WortverständnisstörungenWortverständnis)
•
prosodische Auffälligkeiten
•
Komplexität des Babbelns
•
Symbolisierungsfähigkeiten
•
sozio-ökonomischer Status, elterlicher Bildungsgrad
•
nonverbale kognitive Leistungen
•
familiäre Disposition für Sprach-, Lese- oder Lernprobleme
Nichtsprachliche Entwicklungsbereiche
•
externalisierende Verhaltensweisen wie Destruktivität oder Aggressivität
•
internalisierende Verhaltensweisen wie Scheu, Schüchternheit oder Rückzugsverhalten
•
Sprachprobleme verringern die Möglichkeit zu positiven Kommunikationserfahrungen, dies kann die psychosoziale Entwicklung des Kindes beeinträchtigen und familiäre Belastungen auslösen
•
Assoziation (Kookkurrenz) von Sprach- und Verhaltensproblemen ist häufig, aber keine eindeutige Wirkungsrichtung. Sprachdefizite können auch ohne vorliegende Verhaltensprobleme persistieren oder erst später zu zusätzlichen Verhaltensauffälligkeiten führen. Soziale Probleme verändern sich nicht zwangläufig, wenn sich die Sprachfähigkeiten verbessern. Vorliegen früher Verhaltensauffälligkeiten erlaubt keine klare Prognose über die weitere Sprachentwicklung
Klinisches Vorgehen (Tab. 3.1)
Entwicklung zwischen 24 und 30 Mon. besonders beachten: gibt es in dieser Phase keine deutlichen Fortschritte, wird die Wahrscheinlichkeit für ein Aufholen geringer.
3.2.2
Frühintervention
Ziele
-
•
frühzeitige Dynamisierung Sprachentwicklungsstörungen:Frühinterventiondes kindlichen Sprachsystems und Aktivierung sprachspezifischer Entwicklungsprozesse
-
•
Verhinderung des Auftretens späterer Sprachentwicklungsstörungen oder Reduzierung des Schweregrads späterer SES
-
•
Vermeidung von Stagnationen und/oder Kompensationsmechanismen
-
•
Vermeidung von negativen psychosozialen Folgen
Kontroverse um den richtigen Zeitpunkt
Befürworter einer Abwartehaltung
-
•
frühe Sprachentwicklungsdefizite verbessern sich im Laufe des Vorschul- und Schulalters oft auch ohne Therapie so weit, dass ein sprachliches Leistungsniveau im unteren Normbereich erreicht werden kann
-
•
Kosten- und Zeitfaktoren von Interventionsmaßnahmen sind zu beachten
-
•
Effektivität von Frühinterventionsmaßnahmen noch nicht ausreichend und zufriedenstellend nachgewiesen
Befürworter einer frühen Intervention
-
•
Entwicklungsorientierung: verzögerte oder stagnierte Sprachentwicklung soll möglichst früh aktiviert und vorangetrieben werden. Ohne Erreichen der grundlegenden Meilensteine (Kap. 3.2.1) können sich sprachliche Fähigkeiten nur unzureichend weiterentwickeln, die Mechanismen des Bootstrapping Late Talker:Bootstrappingkönnen nicht effektiv ablaufen
-
•
neurobiologische BootstrappingArgumente: Erstspracherwerb hängt von neurobiologischen Reifungsprozessen ab. In den ersten Lj. entsteht eine Vielzahl synaptischer Verbindungen; die Sprachverarbeitung geht nach anfänglicher rechtshemisphärischer Dominanz zunehmend auf die linke Hemisphäre über (Locke 1997; Friederici und Hahne 2000). Das frühe Kindesalter kann somit als sensible Phase für den Spracherwerb angesehen werden. Eine frühe Intervention nutzt diese Phase, indem sprachliches Wissen zugänglich gemacht wird, bevor es zu Kompensationsstrategien kommt. Bei einer frühzeitigen Intervention im Rahmen des günstigen Zeitfensters ist eine bessere Prognose zu erwarten
-
•
frühe Intervention trägt zur Vermeidung sozial-emotionaler Probleme als mögliche Folge eingeschränkter Kommunikationsfähigkeiten bei
-
•
zunehmende Wirksamkeitsnachweise steigern die Akzeptanz früher Intervention. Die systematischen Überblicksarbeiten von Cable und Domsch (2011), Hachul (2013) sowie Roberts und Kaiser (2011) kommen auf der Basis der verfügbaren empirischen Evidenz übereinstimmend zu einer positiven Einschätzung der Qualität vorliegender Wirksamkeitsstudien und der Effektivität von Frühintervention
Interventionsformen
•
elternbasierte Interventionsformen: Eltern erlernen optimiertes Kommunikationsverhalten; die dadurch verbesserten Sprachlernbedingungen sollen sich positiv auf die Sprachentwicklung des Kindes auswirken
•
kindzentrierte Ansätze: direkte Arbeit einer Fachkraft mit einem Kind unter Einsatz spezifischer therapeutischer Methoden; kindzentrierte Ansätze unterscheiden sich dahingehend, wie ausgeprägt die sprachsystematischen Anteile der Therapie sind
Elternzentrierte Maßnahmen
Domänenübergreifende kindzentrierte Ansätze
Sprachspezifische kindzentrierte Ansätze
•
Aktivierung und Aufbau sprachsystematischen Wissens
•
allgemeine Kommunikationsförderung ist nicht primäres Ziel, kommunikativer Kontext bildet jedoch den Rahmen der Therapie
•
ggf. parallele Förderung nichtsprachlicher Bereiche, diese sind jedoch nicht Gegenstand der Sprachtherapie
•
Entwicklungsorientierung: anhand des ungestörten Spracherwerbs Festlegung, welcher Lerngegenstand in der Zone der nächsten Entwicklung liegt und damit sinnvoller Ansatzpunkt der Therapie ist
•
Angebot eines besonders aufbereiteten Inputs, den das Kind gewinnbringend verarbeiten kann
•
Kombination unterschiedlicher Methoden
Exemplarischer Aufbau einer kindzentrierten, sprachspezifischen Frühintervention
Therapieziele bei Kindern mit frühen Auffälligkeiten der Sprachentwicklung ab 2 J
•
wenn nötig, Aufbau Sprachentwicklungsstörungen:frühe, Therapiezielegrundlegender kommunikativer Fähigkeiten, z. B. Sprechfreude, Blickkontakt (vorbereitend), Symbolisierungsfähigkeiten/Symbolspiel
•
Wahrnehmung und Aufbau prosodischer Strukturen der Muttersprache: im Deutschen Erkennen des typischen Wortbetonungsmusters (zweisilbiger Trochäus) als Grundstruktur für Wortformen (Kap. 2.3.3)
•
Aufbau eines ausreichenden und differenzierten Vokabulars für verschiedene Wortarten (Wortverständnis und -produktion, Kap. 2.4)
•
Einstieg in die Semantik: Aufbau von sprachlichen Kategorien und von Wörtern als Gattungsbegriffen
•
Einstieg in die Syntax: Aufbau von Wortkombinationen
•
später: Aufbau und Erweiterung syntaktischer Strukturen (Satzverständnis und Satzproduktion)
Wortschatzaufbau
•
Grundlage ist Konzeptbildung mit begleitendem Sprachangebot. Bei jüngeren Kindern ist Begriffsbildung durch Erfahrungen mit Gegenständen und Ereignissen in der Umwelt besonders wichtig. Kopplung des Konzeptaufbaus mit den entsprechenden sprachlichen Formen (Wörtern)
•
rezeptive und produktive Wortschatzarbeit: zunächst wird das Verstehen, dann die Produktion von Wörtern erarbeitet
•
bei Kindern mit Wortarten:in der Frühinterventioneinem produktiven Vokabular unter 50 Wörtern Einstieg über typische Wortarten des frühkindlichen Lexikons (Kap. 2.4.1, Kasten S. 33, exemplarische Wortauswahl in Siegmüller und Kauschke 2016):
–
personal-soziale Wörter (Grüße, Floskeln, Interjektionen) und Lautmalereien: greifen die expressive Funktion der Sprache auf und motivieren zum unmittelbaren Gebrauch, ohne bereits eine symbolische Verwendung zu erfordern
–
relationale Wörter wie „da“ oder „weg“ erlauben Hinweise auf das Auftauchen und Verschwinden von Objekten, ohne dass Objektbenennung erforderlich ist. Verbpartikeln wie „auf“ drücken gewünschte oder erfolgte Handlungen mit Objekten aus (z. B. Dose aufmachen) und gelten als Vorläufer für Verben
•
nach Erreichen der 1. Stufe der Lexikonkomposition Angebot von Inhaltswörtern mit stärkerer Symbolfunktion, insbesondere Nomen und Verben. Da Nomen im Deutschen vor Verben erworben werden, ist diese Reihenfolge für die Therapie sinnvoll. Nach dem Aufbau eines ersten Nomenrepertoires sollten bald Verben hinzukommen
•
Wortarten, die für spätere Phasen der Lexikonentwicklung typisch sind (Funktionswörter wie Präpositionen, Artikel, Fragewörter) sowie semantisch komplexere Adjektive sind für die Frühintervention ungeeignet
•
Auswahl der Zielitems nach Familiarität, Erwerbsalter, Frequenz, Alltagsrelevanz, Vertrautheitsgrad, Interessen des Kindes (z. B. Verbauswahl in Siegmüller und Kauschke 2016)
•
Orientierung am ungestörten Verberwerb: hochfrequente Allzweckverben (wie „machen“, „kommen“, „gehen“, „haben“) zu Beginn der Therapie, dann spezifische Verben
•
Auswahl der Nomen nach den semantischen und syntaktischen Erfordernissen der ausgewählten Verben (z. B. zum Verb „schneiden“ verschiedene Lebensmittel, die geschnitten werden können)
Semantische Arbeit
Einstieg in die Syntax
-
•
zu Beginn Wortkombinationen:FrühinterventionFrühintervention:WortkombinationenKombination relationaler Wörter bzw. Verbpartikeln mit Nomen („da Ball“, „Kiste auf“); derartige Kombinationen sind typisch für frühe Phasen des normalen Spracherwerbs und eignen sich gut für die Anbahnung von Wortkombinationen
-
•
Verbindungen von Verben mit relationalen Wörtern oder Pronomen („auch malen“, „der rennt“)
-
•
Kombination von Nomen und Verben: Kombinationen von Verben mit Objekten („Käse essen“, „Bus haben“) sind anfangs oft leichter als Kombinationen von Verben mit Subjekten („Oma lacht“)
Methoden in der Frühintervention
•
intensive Inputspezifizierung: optimiertes Sprachangebot, das sprachliche Lernprozesse in Gang setzt und zur Weiterentwicklung des Sprachsystems beiträgt
•
Reduktion der syntaktischen Komplexität des Sprachangebots ist nicht sinnvoll, da Kinder mit ausreichenden Informationen über die Strukturen der Zielsprache konfrontiert werden müssen. Dies erfordert ein flexibles und informationshaltiges Sprachangebot, das inhaltlich an das Niveau des Kindes angepasst wird
•
für Kinder mit geringer Sprachproduktion sind zusätzlich rezeptive Übungen (z. B. zum Wortverständnis) geeignet
•
expressiven Übungen (z. B. Benennen) kommt in der Frühintervention geringeres Gewicht zu
•
Modellierungstechniken greifen elizitierte oder spontane Äußerungen des Kindes auf und spiegeln bzw. erweitern diese
•
Unterstützung der kindzentrierten Arbeit durch Elternberatung und Arbeit am elterlichen Sprachangebot und -modell
Empfehlungen zur Frühintervention
•
strukturiertes Elterntraining für Eltern von Late Talkers ab dem Alter von 2 J. hat positive Auswirkungen auf die weitere Sprachentwicklung der Kinder. Sinnvoll v. a. für Eltern von Kindern mit rein expressiver Verzögerung
•
kindzentrierte Frühintervention ist bereits im 3. Lj. bei Late Talkers mit zusätzlichen rezeptiven Defiziten und/oder weiteren Risikofaktoren (v. a. familiäre Disposition, Kap. 3.2.1) empfehlenswert. Bereiche der Therapie sind Anregung der Vokabularentwicklung, Auslösung des Wortschatzspurts, Erhöhung der Sprechfreudigkeit, Einstieg in die syntaktische Strukturbildung
•
kindzentrierte Frühtherapie setzt v. a. rezeptionsorientierte Methoden ein, produktionsorientierte Methoden können im Verlauf der Therapie ggf. zusätzlich eingeführt und durch Modellierungstechniken ergänzt werden
3.3
Störungen der Prosodie
•
phonetisch-rezeptive phonetisch-rezeptive StörungStörung durch eingeschränkte auditive Diskriminationsfähigkeit für prosodische Merkmale; z. B. kann ein betroffenes Kind Tonhöhenveränderungen, Lautstärkevariationen, Pausen oder Vokallängen unzureichend unterscheiden
•
phonetisch-expressive phonetisch-expressive StörungStörung durch mangelnde motorische Kontrolle der Stimmproduktion; z. B. kann ein betroffenes Kind die Lautstärke oder die Tonhöhe nicht gezielt variieren
•
phonologisch-rezeptive phonologisch-rezeptive StörungStörung durch unzureichende Interpretation prosodischer Merkmale; betroffene Kinder können z. B. ohne lexikalische Hinweise keine Frageintonation erkennen oder zusammengesetzte Wörter nicht von Aufzählungen unterscheiden
•
phonologisch-expressive phonologisch-expressive StörungStörung durch Nicht-Beachtung der Funktionsweise prosodischer Merkmale; z. B. werden wichtige Informationen im Satz nicht entsprechend betont
•
bei kindlicher (und erworbener) Sprechapraxie: gleichförmige Wortbetonung („level stress“) durch das Unvermögen, unbetonte Silben zu produzieren; falsche Satzbetonungen, skandierendes Sprechen durch intersilbische Pausen und reduzierte Sprechgeschwindigkeit (Shriberg et al. 1997; Lauer und Birner-Janusch 2007)
•
bei Redeflussstörungen: bei Poltern erhöhtes Sprechtempo, unrhythmisches Sprechen, fehlerhafte Pausensetzung und Wort- und Satzakzentuierungen (Sick 2004); bei stotternden Menschen z. T. Veränderung von Betonungsmustern, Sprechgeschwindigkeit oder Lautstärke als Coping-Strategie (Sandrieser und Schneider 2008)
•
bei Hörstörung (Versorgung mit Hörgerät oder Cochlea-Implantat): eingeschränkte Übertragung akustischer Parameter, daher prosodische Auffälligkeiten bereits auf phonetischer Ebene in Form von Störung der Perzeption für Lautstärke- und Tonhöhenvariationen; Auswirkungen auf das Erkennen und Produzieren von Satzmodi und Satzakzenten sowie auf das Hören im Störschall (Meister 2011)
•
bei Autismusspektrumstörung: Verarbeitungsprobleme phonetischer und phonologischer Prosodie, z. B. ungewöhnliche Satzbetonung, zu laute und zu hohe Sprechstimme, überhöhte Sprechgeschwindigkeit (Shriberg et al. 2001; Peppé et al. 2007)
•
aber auch bei Stimmstörungen, Laryngektomie und Dysarthrophonie (vorwiegend expressive Defizite) sowie bei Aphasie
3.3.1
Diagnostik
•
Differenzierungsprobe (DP 0, DP I, DP Differenzierungsprobe (DP 0, DP I, DP II)II, Breuer und Weuffen 2006): 4–7 Jahre
•
Tübinger Luria-Christensen Neuropsychologische Untersuchungsreihe für Kinder (Tübinger Luria-Christensen Neuropsychologische Untersuchungsreihe für Kinder (TÜKI)TÜKI, Deegener et al. 1997): 5–16 Jahre
•
Prosodie-Analyse (ProsA, Walther und Otten 2015): 4–8 Prosodie-Analyse (ProsA)Jahre
•
Allgemeiner Deutscher Sprachtest (ADST, Steinert 2011): Allgemeiner Deutscher Sprachtest (ADST)3.–10. Klasse (Satzakzent)
•
Hörverstehenstest (HVT, Urban 1986): 4.–7. Klasse (Emotionen)Hörverstehenstest (HVT)
•
Prosodie-Analyse (ProsA, Walther und Otten 2015): 4–8 Jahre (Wortgrenzen, Satzmodus, Satzfokus, Emotionen)
•
Allgemeiner Deutscher Sprachtest (ADST, Steinert 2011): 3.–10. Klasse (Satzakzent, Wortakzent)Allgemeiner Deutscher Sprachtest (ADST)
•
Patholinguistische Diagnostik bei Sprachentwicklungsstörungen (PDSS, Kauschke und Siegmüller 2010): 2–6 Jahre (lexikalischer Wortakzent)Patholinguistische Diagnostik bei Sprachentwicklungsstörungen (PDSS)
•
Tübinger Luria-Christensen Neuropsychologische Untersuchungsreihe für Kinder (TÜKI, Deegener et al. 1997): 5–16 Jahre (Tonhöhen, Melodien, Rhythmen)
•
Analyse anhand bildgebender Verfahren, z. B. Sprachentwicklungsstörungen:bildgebende VerfahrenPRAAT
3.3.2
Therapie
•
ist rezeptive Prosodieverarbeitung betroffen, gehen rezeptive Übungen expressiven Übungen voraus
•
Unterscheidung in Arbeit an:
–
phonetischen Merkmalen (Tonhöhenverläufe, Lautstärkevariation, Pausensetzung, Vokallänge)
–
phonologischer Funktion (Satzmodus, Satzfokus, Satzgrenzen, Dialogssteuerung, Emotionen)
•
falls erforderlich, erfolgen phonetische Übungen vor phonologischen Übungen
•
Otten und Walther (2009, 2012) zeigen Bausteinsystem mit Übungen zur rezeptiven und expressiven phonetischen und phonologischen Prosodie auf
•
„SmileyOne“, PC-Programm mit rezeptiven und produktiven Übungen für Kinder auf phonetischer und phonologischer (Satzfokus, Satzmodus) Ebene
•
„AudioLog“, PC-Programm u. a. mit Übungen zur auditiven Diskrimination von Tonhöhe und Laustärke
3.3.3
Störungen des Wortprosodieerwerbs
Zuordnung
Verlauf
Diagnostik
-
•
verändertes Silbendauerverhältnis innerhalb eines Wortes
-
•
abweichende Realisierung der Schwa-Silbe bzgl. Dauer oder Intensität, z. B. /hazə/ wird realisiert als /haze:/
Differenzialdiagnostik
Therapie
•
Therapiematerial muss auf individuelles Stagnationsmuster zugeschnitten sein und das prosodische Muster enthalten, das der Stagnationsphase des Kindes folgt
•
Präsentation des Musters: frequent, prägnant, kontrastierend, aber dennoch variabel und natürlich, d. h. in sinnvollen kommunikativen Zusammenhängen dem Entwicklungsniveau und Interesse des Kindes angepasst
•
kontrastierende Darbietung ist ausschlaggebend
•
Verdeutlichung häufig anhand prosodischer Wortbildungsregeln
Therapie mit Übernamen (Fikkert et al. 1998)
•
Paar-Zuordnungsspiel mit Bildern von Personen und Haustieren, deren Eigennamen dem Kind vertraut sind. Die Eigennamen werden im Spiel auf einen Trochäus reduziert (Andreas wird zu Andi, Alexandra wird zu Alex) und kontrastierend zu den Eigennamen angeboten
•
im beschriebenen Einzelfall (Alter 3;8) deutliche Erhöhung von Trochäen in der Sprachproduktion sowie Weiterentwicklung in Richtung der nachfolgenden Erwerbsphase
Beispiel: Therapie mit Pluralbildung (Penner 2002)
3.4
Lexikalische Störungen
3.4.1
Allgemeine Ansätze in der Lexikontherapie bei Sprachentwicklungsstörungen
Arbeit in semantischen Feldern
•
je mehr Informationen zu einem Wort gespeichert sind, desto besser und flexibler ist die Verwendung → reichhaltiges Wortwissen aufbauen (Kannengieser 2015)
•
Wortauswahl exemplarisch, Wortschatzerweiterung als Folge einer erfolgreichen Therapie nicht als primäre Zielstellung (Siegmüller und Kauschke 2006; Kannengieser 2015)
•
Therapiegegenstand (Wortauswahl) wird gegenstands-, handlungs-, themen- und wirklichkeitsbezogen ausgewählt. Sprache wird sinnvoll in Therapiehandlung eingebettet (Kannengieser 2015)
•
Methoden spielerisch: Rollenspiel, Handlungsspiel, teilweise Regelspiele, wenn Sprache dort sinnvoll verwendet werden kann
•
Erweiterung/Aufbau der semantischen Felder: im Spiel werden neue Begriffe angeboten und in der gespielten Interaktion verdeutlicht, sodass allmählich eine Kategorie aufgebaut bzw. weiter gefüllt wird
•
i. d. R. werden im Rahmen einer Therapie mehrere Felder nacheinander bearbeitet
•
außerdem innerhalb des Spiels Differenzierung von zwei mehr oder weniger relatierten Kategorien möglich
Aufbau eines Grundwortschatzes?
•
auch eine darauf abzielende Sprachtherapie wird nicht verhindern können, dass der Abstand zwischen dem betroffenen Kind und anderen Kindern des gleichen Alters eher größer als kleiner wird
•
Wortschatztherapie als eine Art der „Hilfe zur Selbsthilfe“: Ziel muss sein, dem Kind Strategien zu vermitteln, wie es selbst auch außerhalb der Therapie Wortschatz aufnehmen und semantische Einträge in seinem Kategoriensystem aufbauen kann (Füssenich 1994)
Wortschatztherapie oder Semantiktherapie?
•
Verben: Schnittstelle zur Syntax, Verb bildet das Zentrum des Hauptsatzes (Kap. 3.6). In seinen verschiedenen Erscheinungsformen nimmt das Verb unterschiedliche morphologische Aspekte in sich auf (kongruierende Verbflexion, Partizipien, Partikel). Eine Produktion erscheint dem Kind lediglich auf Satzebene sinnvoll
•
Präpositionen: benötigen zur Produktion eine adverbiale Bestimmung (auf dem Markt, im Wald, neben dem Stuhl), die in einer Präpositionalphrase geäußert wird. Diese verlangt die Abfolge Präposition – Artikel – Nomen. Eine Produktion erscheint dem Kind lediglich auf Satzebene sinnvoll
•
Artikel: syntaktische Anteile überwiegen, Therapie findet in der Grammatiktherapie statt (Kap. 3.6.4)
•
Fragepronomen: benötigen die Informationsfragestruktur, besitzen jedoch eine komplexe Semantik (Fragepronomen steht als Variable für einen dem Sprecher unbekannten und daher zu erfragenden Satzteil), die u. U. im Wortschatzbereich eigenständig angegangen werden muss
3.4.2
Störungen des Wortverständnisses
•
Defizit im Aufbau von neuen Wortrepräsentationen (Störungsschwerpunkt Wortaufnahme)
•
Defizit bei der Verarbeitung bestehender Wortrepräsentationen (Störungsschwerpunkt Wortspeicherung)
•
Defizit bei der Ausdifferenzierung von bestehenden Wortrepräsentationen (Störungsschwerpunkt Wortspeicherung)
Erscheinungsbild
-
•
bei jungen Kindern leitsymptomatischer Charakter: früheste Ausprägungen von Sprachentwicklungsstörungen. In einigen Ansätzen Late Talker:Wortverständnisstörungenzu Late Talkern (Kap. 3.2.1 und Kap. 3.8) werden Störungen des Wortverständnisstörungen:Late TalkerWortverständnisses vor dem Alter 3;0 bereits als Kriterium zur Unterscheidung zwischen einem Late-Talker-Risikokind und einem Kind, das eine Sprachentwicklungsstörung ausgebildet hat, benutzt (Rescorla et al. 1997; Kauschke 2000)
-
•
immer begleitend ist die Störung der Wortproduktion. Dies ergibt sich aus dem allgemeinen Entwicklungsprinzip, wonach das Rezeptive dem Produktiven in der Sprachentwicklung vorausgeht (Bates et al. 1988; Bishop 1997)
Störungsschwerpunkte
-
•
Wortaufnahme: das betroffene Kind lernt weniger Wörter als das sprachgesunde Kind
-
•
Wortspeicherung: das betroffene Kind lernt zwar genauso viele Wörter wie das sprachgesunde Kind, behält diese jedoch schlechter und kann später nicht mehr/nur schlecht darauf zugreifen
-
•
Kombination beider Schwerpunkte möglich
Störungsschwerpunkt Wortaufnahme
Sprachsystematische Ursache
Symptomatik
-
•
Folgen sind wenig Wortschatzzuwachs, Missmatch von Wortformen und Bedeutungen, Unsicherheiten in der Abgrenzung von Begriffen
-
•
zum Lernen eines Begriffes werden mehr Präsentationen/Input des zu erwerbenden Wortes und des entsprechenden Referenten benötigt; kaum Aufnahme neuer Wörter aus Alltagsinput
Grundlegende Diagnostik
-
•
Elternfragebögen für die Früherkennung von 2-jährigen Kindern mit erhöhtem Risiko (z. B. ELFRA 2, Grimm und Doil 2000; FRAKIS, Szagun et al. 2009)
-
•
Kurzformen Elternfragebögen (SBE-2-KT, auch als SBE-3-KT von Suchodoletz und Sachse 2008). Übersetzungen in verschiedene Sprachen auf der gleichen Kurzformen Elternfragebögen (SBE-2-KT)Internetplattform vorhanden
-
•
Elternfragebögen für die Früherkennung von 2-jährigen Kindern (ELFRA 2)Untersuchung des Wortverständnisses für verschiedene Wortarten, z. B.:
–
Patholinguistische Diagnostik bei Sprachentwicklungsstörungen (PDSS, Kauschke und Siegmüller 2010)Patholinguistische Diagnostik bei Sprachentwicklungsstörungen (PDSS)
–
Marburger Sprachverständnistest für Kinder (MSVK, Elben und Lohaus 2000)Marburger Sprachverständnistest für Kinder (MSVK)
–
Sprachentwicklungstest (SET):für 5–10-jährige KinderSprachentwicklungstest für 5–10-jährige Kinder (SET, Petermann 2010)
Qualitative Lerndiagnostik
-
•
Auswahl von Lerndiagnostik:qualitativeFast-Mapping:Untersuchungzwei dem Kind bekannten Objekten, sowie zwei Objekten, für die ein Kind keinen Namen hat, z. B. Werkzeuge, Küchengeräte
-
•
Benennung der nicht bekannten Objekte mit phonologisch einfachen Wörtern, z. B. Laht
-
•
Einführung aller vier Objekte nacheinander mit Benennung (echte bzw. künstliche Namen) sowie Beschreibung der Bedeutung, Funktion
-
•
notieren, wie oft die einzelnen Objekte vom Untersucher benannt wurden (mind. 1× bis ca. 4×)
-
•
eines der dem Kind nicht bekannten Objekte vom Kind fordern: „Gib mir das Laht!“
-
•
Reaktion vermerken, kein korrigierendes bzw. bestätigendes Feedback geben
-
•
Wiederholung mit einem anderen Set aus zwei bekannten und zwei unbekannten Begriffen
Therapie
•
Prinzip: Entwicklung von Wortschatz, Prosodie (Kon-Lab-Ansatz Kap. 2.3) und Grammatik (Kap. 2.6); Hilfe bei der Ableitung der zielsprachlichen Regeln für Phonologie (Prosodie) und Grammatik; Aktivierung lexikalischer Erwerbsmechanismen in Zusatzmodul, Wortschatztherapie nicht als Kernbereich
•
Interventionsbereiche: Aufbau von Kategorien, Prinzip der Objektganzheit, taxonomisches Prinzip, Prinzip der Formpräferenz, Prinzip der Mutual Mutual ExclusivityExclusivity (beidseitig exklusive Beziehung zwischen Wortform und Referent), weiterer Aufbau des Lexikons
-
•
Therapie patholinguistischer Ansatz:Wortaufnahmestörungendes Wortverständnisses Wortaufnahmestörungen:patholinguistischer AnsatzKernarbeit der frühen Therapiephasen, da lexikalische Ausprägung bzw. Symptomatik entwicklungschronologisch sehr früh liegt und somit in der entwicklungsproximalen Therapie entsprechend früh behandelt werden sollte
-
•
Baukastensystem zur Ausrichtung auf individuelle Störungsschwerpunkte des jeweiligen Kindes; für jedes Kind werden Therapieanteile und -methoden zusammengesetzt
-
•
Odd-Name-Odd-Referent (Crais 1992): einem „Odd-Name-Odd-Referentseltsamen“ (unbekannten) Namen wird ein „seltsames“ (unbekanntes) Objekt zugeordnet. Das Kind nimmt nun grundsätzlich an, dass unbekannte Wortformen eine ihm ebenfalls unbekannte Referenz besitzen, die es zu finden gilt – oder umgekehrt
-
•
kontrollierte Auslösung des Fast-Mapping-Prozesses in der Therapie
Störungsschwerpunkt Wortspeicherung
Sprachsystematische Ursache
•
neu gelernte Wortform wird nicht so sicher eingebettet, dass sie bei einer späteren Präsentation von Wortform und Referent wiedererkannt, verarbeitet und ausdifferenziert werden kann. Speichermerkmale von Wörtern sind zu wenige vorhanden, bzw. es besteht keine Routine zum Aufbau des Vernetzungsprozesses
•
betroffene Kinder „vergessen“ neu gelernte Wörter eher als sprachgesunde Kinder
•
Folgen: Wortschatz bleibt rezeptiv und produktiv klein, i. d. R. Frequenzeffekt, d. h. mittel- und niedrigfrequente Wörter kaum im Wortschatz vertreten, schwierig zu erwerben
Symptomatik
-
•
rezeptive Symptomatik: schlechte Leistung in Wortverständnisaufgaben, bei Wort-Bild-Zuordnungen Zeigen von frequenteren, nah verwandten Begriffen
-
•
produktive Symptomatik: in Benenntests häufig allgemeine Umschreibungen von Objekten, Ersetzungen durch allgemeinere höher frequente Begriffe
-
•
pro Wort als konstantes Phänomen sichtbar (Wort ist produzierbar oder nicht), im Gegensatz zum fluktuierenden Abruf als Leitsymptom einer Wortfindungsstörung (Kap. 3.4.4)
Grundlegende Diagnostik
•
Untersuchung des Wortverständnisses für verschiedene Wortarten, z. B.
–
Patholinguistische Diagnostik bei Sprachentwicklungsstörungen (Patholinguistische Diagnostik bei Sprachentwicklungsstörungen (PDSS)PDSS, Kauschke und Siegmüller 2010)
–
Marburger Sprachverständnistest für Kinder (MSVK, Elben und Lohaus 2000)
–
Sprachentwicklungstest für 5–10-jährige Kinder (SET, Petermann 2010)Sprachentwicklungstest (SET)Marburger Sprachverständnistest für Kinder (MSVK)
•
Parallel auch Untersuchung der Wortproduktion
–
Patholinguistische Diagnostik bei Sprachentwicklungsstörungen (PDSS, Kauschke und Siegmüller 2010)
–
Aktiver Wortschatztest, revised (AWST-R, Kiese-Himmel 2005)Aktiver Wortschatztest, revised (AWST-R)
–
Wortschatz- und Wortfindungstest für 6- bis 10-jährige Kinder (Glück 2011)Wortschatz- und Wortfindungstest:für 6- bis 10-jährige Kinder
Qualitative Lerndiagnostik
-
•
Durchführung Fast Mapping:Wortspeicherungsstörungenwie bei Informelle Fast-Mapping-Untersuchung unter „Störungsschwerpunkt Wortaufnahme“ Wortspeicherungsstörungen:Fast Mapping
-
•
Erweiterung: am Ende der gleichen Diagnostiksitzung die erfolgreich erkannten Vierersets dem Kind noch einmal vorlegen (nicht erneut einführen!)
-
•
vom Kind noch einmal jeweils das gleiche unbekannte Objekt zeigen lassen wie zu Beginn der Sitzung
-
•
ggf. Wiederholung dieses Vorgehens zu Beginn der nächsten Therapiesitzung
Therapie
-
•
Reduktion des Angebots neuer Wörter mit langsamer Steigerung der Anzahl im Therapieverlauf, jede Sitzung Einführung neuer Wörter mit absteigender Frequenz
-
•
konsequente Wiederholung der eingeführten Wörter, Vermittlung von Informationen des Wortwissens zur besseren Vernetzung der ausgewählten Wörter im Laufe der folgenden Sitzungen als rezeptive Verarbeitungsphase (festgelegte Dauer)
-
•
häufige Überprüfung, ob das Kind die Wortformen erkennt, Möglichkeiten zum spontanen Gebrauch anbieten
-
•
systematische Überführung der bereits trainierten Wörter in Produktionsübungen
-
•
Kombination mit Gedächtnistraining
3.4.3
Störungen der Wortproduktion
Modalitätenunterschiede
Wortartenunterschiede
Diagnostik
•
Patholinguistische Diagnostik bei Sprachentwicklungsstörungen (Patholinguistische Diagnostik bei Sprachentwicklungsstörungen (PDSS)PDSS, Kauschke und Siegmüller 2010)
•
Aktiver Wortschatztest, revised (AWST-R, Kiese-Himmel 2005)Aktiver Wortschatztest, revised (AWST-R)
•
Wortschatz- und Wortfindungstest für 6- bis 10-jährige Kinder (Glück 2011)Wortschatz- und Wortfindungstest:für 6- bis 10-jährige Kinder
•
BenenntestSprachentwicklungstest für 2-Jährige (SETK-2, Grimm 2000)
Therapie
Zur Wortproduktion gehört neben einer genügenden Ausdifferenzierung der Repräsentationen auch der Wille zur Kommunikation (Kap. 3.7). Ist dieser nicht gegeben, ist der produktive Wortschatz therapeutisch schwer aufzubauen.
3.4.4
Kindliche Wortfindungsstörungen
Erklärungsansätze
Speicherhypothese
•
Wortfindungsstörungen treten nicht isoliert auf, sondern als Beiprodukt der USES
•
Symptomatik: überwiegend semantische Paraphasien
•
mentale Repräsentationen bleiben grob, pro semantischer Kategorie sind vergleichsweise wenige Vertreter vorhanden, pro gespeichertem Konzept sind nur wenige semantische Merkmale repräsentiert
•
Speicher- und Abrufprozesse interagieren (Leonard 1998)
•
Therapiegegenstand ist eine semantische Störung
Abrufhypothese
•
isoliertes Problem der Sprachverarbeitung
•
semantische und phonologische Paraphasien
•
Speicherung der mentalen semantischen und phonologischen Repräsentationen intakt; Qualität der Speicherprozesse hat keinen Einfluss auf den Abruf beim Benennen
Einfluss lexikalischer Faktoren
•
Erwerbsalter nimmt von Beginn des Wortschatzerwerbs an Einfluss ab und verliert diesen im Schulalter (German und Newman 2004)
•
Frequenz gewinnt in der Schulzeit an Bedeutung (Siegmüller 2005)
•
Ausdifferenzierung phonologischer Nachbarschaft entwickelt sich bis ins späte Grundschulalter und ist geprägt vom Verarbeitungswechsel von holistischen zu segmentalen Wortformen (Metsala 1997)
Neueinordnung der Wortfindungsstörung
•
ausbleibender Entwicklung der phonologischen Bewusstheit, teilweise mit behandelten bzw. nicht-behandelten Aussprachestörungen in der Vergangenheit
•
sich später entwickelnder Lese-Rechtschreib-Problematik
•
Störungen der Erzählfähigkeit
1.
Defizit im phonologischen phonologisches Kurzzeitgedächtnis:DefizitKurzzeitgedächtnis
2.
Defizit in der phonologischen phonologische Bewusstheit:DefizitBewusstheit
3.
Defizit im Abruftempo bekannter Wörter
Besonderheit im Kindesalter: Frequenzeffekt in der Semantik
•
hoch-frequente Repräsentationen sind so klar repräsentiert, dass eine Verbindung zum Zielwort hergestellt werden kann
•
niedrig-frequente Wörter sind nicht semantisch repräsentiert und können keine Verbindung zum phonologischen Outputlexikon aufbauen
•
mittlere Frequenzen lösen Wortfindungsstörungen aus. Deren Repräsentation ist bereits oberflächlich vorhanden, aber nicht präzise genug, um eine eindeutige Verbindung zum Zielwort herzustellen
Erscheinungsbild Wortfindungsstörung
Symptome (Auszug)
-
•
Umschreibungen, Kind gibt durch Gesten oder Mimik zu verstehen, dass es um die Semantik des Wortes weiß
-
•
Herantasten an das Zielwort in Reihen mit oder ohne Zugriff auf das gewünschte Wort am Schluss der Reihe, z. B. Zebra, Esel, Pferd, Pony für Pony
-
•
neologistische Wortformen mit und ohne Bezug zur Semantik des Wortes
-
•
vollständige Blockaden (grobmotorische Löser von Blockaden, die das Kind selbstständig einsetzt)
-
•
semantische Paraphasien (Fallbeispiel bei McGregor und Appel 2002)
-
•
phonologische Paraphasien (Fallbeispiel bei Constable et al. 1997)
-
•
stereotype Phrasen, häufige Wiederholungen mit Pausenfüllern
-
•
auf Satzebene pronominale Ersetzungen ohne Referenz
-
•
Sprechunlust, Nuscheln
-
•
Satzabbrüche
Diagnostik
•
Nachsprechtests
•
Benenntests
•
Tests zur phonologischen Bewusstheit
•
Automatisiertes Schnellbenennen:automatisiertesSchnellbenennen:
–
informelle Varianten, z. B. TASB (Glück 1998)
–
normierter Subtest im Test zur Erfassung der phonologischen Bewusstheit und der Benennungsgeschwindigkeit (Test zur Erfassung der phonologischen Bewusstheit und der Benennungsgeschwindigkeit (TEPHOBE)TEPHOBE, Mayer 2013)
•
1–2malige Durchführung Benenntest
Differenzialdiagnostik
-
•
differenzierender Parameter zu lexikalisch-semantischen Entwicklungsstörungen (Kap. 3.4.2, Kap. 3.4.3): Benennkonsistenz
-
•
differenzierende Parameter innerhalb der Wortfindungsstörung: Benenngenauigkeit, Benenntempo
-
•
differenzierender Parameter zur Entwicklungsdyspraxie:DifferenzialdiagnoseEntwicklungsdyspraxie (Kap. 5.4): Wortfindungsstörung nur bei lexikalischen Stimuli, nicht bei Lauten und Unsinnssilben
-
•
differenzierender Parameter zu Stottern (Kap. 15.1): Wortfindungsstörung auch bei rhythmischem Material, z. B. Lieder, Reime
Therapie
•
Elaborationstherapie (Aufnahme und Speicherung von Wörtern). Ziel: Optimierung der Speicherorganisation
•
Abruftherapie (Erarbeitung von Selbsthilfemöglichkeiten, Verbesserung der Vernetzung und Speicherfähigkeiten führen zu besserem Abruf). Ziel: Verbesserung des Abrufs
•
Strategietherapie (bewusster Umgang mit eigenem Defizit, Reflexion eigener Wortgedächtnisleistungen). Ziel: Förderung des Metawissens/Selbstmanagement ab Schulalter
-
•
Verbesserung der Speicherqualität durch reicheres, besser organisiertes Wortwissen auf semantischer und/oder phonologischer Ebene: Ausdifferenzierung und Verknüpfung der Einträge
-
•
Verbesserung des Abrufs: durch Abrufhinweise (auf der Basis des gespeicherten Wortwissens) und häufige Nutzung von Abrufprozessen
-
•
Metawissen zur Speicherung und zum Abruf sowie eigenaktive strategische Nutzung dieses Wissens
•
semantische Elaborationstherapie: Erweiterung/Ausdifferenzierung des semantisch-konzeptuellen Wissens hinsichtlich Wortbedeutungen sowie semantischer Verknüpfungen
•
phonologische Elaborationstherapie: Ausdifferenzierung der phonologischen Form durch metaphonologische Arbeit und durch Herstellung von phonologischen Verknüpfungen; Verbesserung von Abrufgeschwindigkeit, -genauigkeit und -stabilität durch Erarbeitung des automatisierten und des kontrollierten Abrufs (Abrufhilfe)
-
•
Aufbau der eigenaktiven Mitarbeit des Kindes durch metasprachlich geprägte Arbeit, v. a. in der Vorbereitung zur Überwindung der Wortfindungsstörung und zur Bewältigung einer akuten Zugriffsstörung
–
Entwicklung der phonologischen Bewusstheit zur Ausdifferenzierung der phonologischen Wortformen
–
Konzentration des Kindes auf die phonologische Form
–
Training des phonologischen Kurzzeitgedächtnisses zur Unterstützung des Abruferfolgs
-
•
Differenzierung von prosodisch-phonologischen und semantischen Aspekten mit Fokussierung der prosodisch-phonologischen Aspekte
-
•
Verbesserung der Abrufmöglichkeiten durch verstärkte Vernetzung in den phonologischen Nachbarschaften
•
Übungsbereiche der rezeptiven Phase:
–
Identifikation von Wörtern (Konzentration auf die Wortform)
–
Wort-/Nichtwort-Entscheidung
–
phonologische und prosodische Charakteristika von Wortformen wahrnehmen
•
Übungsbereiche der expressiven Phase:
–
Analyse und Synthese
–
Merkfähigkeit für Wörter
–
Wortabruf von Einzelwörtern
3.5
Semantische Störungen bei Kindern
3.5.1
Erscheinungsbild
1
Mangelnde Kategorisierung
-
•
das Kind baut keine/nur sehr grobe taxonomisch strukturierte semantische Kategorien auf
-
•
das Kind Kategorisierung, mangelndebenutzt kaum oder keine semantischen Merkmale zur Strukturierung der Semantik und verbleibt auf einer Stufe der allgemeinen Assoziation, um Verbindungen zwischen Konzepten herzustellen
-
•
semantisches Netzwerk bleibt an konkreten Ereignissen orientiert, es findet keine Abstraktion vom realen Erlebnis zum mentalen Konzept statt
-
•
konkrete Erlebnissituation kann nicht durch die Verwendung semantischer Merkmale in eine taxonomische Struktur eingebettet werden
-
•
symptomatisch ist die unsichere Zuordnung der Konzepte zu Kategorien
-
•
spontansprachlich durch „seltsame“ Kommentare (z. B. „der Fotoapparat gehört zur Schulter, da hängt er dran“)
-
•
Einbeziehung thematisch verwandter Ablenker in die entsprechende Zielkategorie (z. B. Zusammenlegen von Hund und Knochen)
2
Mangelnde Abgrenzung semantischer Felder
-
•
semantische semantische Felder:Abgrenzung, mangelndeFelder grundsätzlich vorhanden, semantische Merkmale werden über- oder unterdehnt („Hund“ für alle Vierbeiner oder „Hund“ nur für kleine Hunde)
-
•
Über- bzw. Untergeneralisierungen als spontansprachliche Symptome
-
•
semantische Organisation zu unflexibel, Kind neigt zu 1:1-Beziehungen zwischen Repräsentation und Merkmal („eine Paprika ist grün, die kann man nicht gekocht essen“)
-
•
kein Verständnis von semantischen, wortartenspezifischen Relationen
3.5.2
Diagnostik
Begriffsklassifikation
-
•
Grundgedanke: Kind soll Kategorisierungen vornehmen, d. h. eine Reihe von Objekten einer bestimmten semantischen Kategorie zuordnen. Für das Kind besteht keine sprachlich produktive Anforderung
-
•
Testverfahren mit semantischer Überprüfung in Form einer Begriffsklassifikation:
–
Heidelberger Sprachentwicklungstest für Kinder (HSET, Grimm und Schöler 1991)Heidelberger Sprachentwicklungstest (HSET)
–
Marburger Sprachverständnistest für Kinder (MSVK, Elben und Lohaus 2000) Marburger Sprachverständnistest für Kinder (MSVK)
–
Patholinguistische Diagnostik bei Sprachentwicklungsstörungen (PDSS, Kauschke und Siegmüller 2010)Patholinguistische Diagnostik bei Sprachentwicklungsstörungen (PDSS)
3.5.3
Therapie
Patholinguistischer Ansatz von Siegmüller und Kauschke (2006)
•
Antonymie: zwei Begriffe bilden einen inhaltlichen Gegensatz/schließen sich gegenseitig aus
•
Synonymie: vollständige Gleichheit der Bedeutung
•
Meronymie: Teil-Ganzes-Relation
•
Lokation: ein Begriff und sein typischer Ort
•
Hyperonymie: Oberbegriff
•
Hyponymie: Unterbegriff
•
Homonymie: Gleichheit der phonologischen Form („Teekesselchen“)
3.5.4
Zusammenfassung Semantik-Lexikon (Tab. 3.5)
3.6
Störungen der Grammatik
•
isolierte grammatische Sprachentwicklungsstörungen:gramatische, isolierteSprachentwicklungsstörung
•
Ausprägung der Sprachentwicklungsstörung typischerweise ab dem dritten Geburtstag und parallel zu phonologischen Störungen (Kap. 5.3)
3.6.1
Ursachen
•
biologisch: multikausaler Störungskomplex mit Grammatikstörungen:multikausalewahrscheinlich biologischer Ursache, wahrscheinlich angeborene Komponente. Familienhäufungen sind beschrieben, jedoch nicht für alle dysgrammatischen Kinder. Nativistisch orientierte Ansätze verweisen ebenfalls häufig auf genetische Ursache mit Defizit beim Aufbau von Repräsentationen oder Erkennen von Abhängigkeiten zwischen syntaktischen Strukturen (Guasti 2002)
•
Stagnation (Plateaubildung) in der Phase der frühen Sprachwahrnehmung:StagnationSprachwahrnehmung (Kap. 2.2): grammatische Störungen als späte Ausprägung eines sehr frühen, nicht optimalen Entwicklungsverlaufes im 1. Lj. (Penner 2000, 2004)
•
auditives auditives VerarbeitungsdefizitVerarbeitungsdefizit: Informationsverarbeitungsdefizit durch zu langsame und zu wenig segmental orientierte Verarbeitung auditiven Materials, Auftreten simultan zum Spracherwerb, nicht Teil des sprachlichen Lernprozesses. Symptom ist phonologisches, teilweise auch auditives Gedächtnisdefizit, welches sich als eigene Störung niederschlagen kann (Kap. 7.2). GedächtnisdefiziteGedächtnisdefizite (gemessen an Nachsprechleistungen) sind bei Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen ab 5 J. zu beobachten (Grimm 1999)
•
Qualität des mütterlichen Inputs: v. a. in den 1970er-Jahren als Ursache für Dysgrammatismus angenommen, inzwischen weitgehend widerlegt, da keine überzeugenden Belege dafür, dass Mütter von dysgrammatischen Kindern schlechtere Sprachmodelle anbieten als Mütter ungestörter Kinder. Der mütterliche Input allein ist nicht kausal für einen Dysgrammatismus
•
Defizit im Verarbeiten von entwicklungsauslösenden Inputinformationen. Annahme einer über die Grammatik übergreifenden Sprachentwicklungsstörung (Bishop 2000)
3.6.2
Erscheinungsbild und Verlauf
•
grammatische Störungen zeigen sich früh und begleiten die Erscheinungsform der USES durch das gesamte Kindergarten- und Vorschulalter (Kap. 3.2.1):
–
verlängerte Einwortphase: erste Wortkombinationen häufig mehr als ein Jahr verspätet (Dannenbauer 2003)
–
verlängerte Phase der Wortkombinationen mit und ohne Verben, teilweise ohne Verbargumente. Es entsteht der Eindruck einer reduzierten Äußerungslänge
–
typischerweise lange Stagnation auf der Ebene der Verbendstellung (fehlende Verbzweitstellung im Hauptsatz)
–
keine Nebensatzproduktion
–
betroffene Kinder fallen immer weiter zurück: je älter sie werden, desto stärker tritt die Störung in den Vordergrund (Grimm 1999)
Modalitätenunterschiede
•
Sprachverständnis ist nicht unbetroffen, Grad der Betroffenheit der Sprachperzeption kann sich im Laufe der Entwicklung ändern (Dannenbauer 2003) und so ein uneinheitliches Bild ergeben
•
Defizite in der Sprachproduktion sind konstant vorhanden
•
rezeptive Anteile der grammatischen Störung können bis ins Jugendalter persistieren
Leitsymptome im Vorschulalter
-
•
VerbendstellungVerbendstellung Grammatikstörungen:Leitssymptome im Vorschulalter(flektiert oder unflektiert), Ausbleiben der Verbzweitstellung. Flektierte Verbendstellung ist als stärkeres Symptom zu werten (Penner und Kölliker Funk 1998)
-
•
starre und verkürzt wirkende Satzstruktur mit festem Muster in der Abfolge Subjekt – Prädikat – Objekt mit sehr häufiger Verwendung von Modalverbstrukturen oder Kopula (Siegmüller 2012)
-
•
in beiden Fällen: Kind produziert keine Fragen (außer evtl. sehr frequente Fragestrukturen mit wo, die nicht als grammatische Produktion gewertet werden), keine Nebensätze (Penner und Kölliker Funk 1998), keine Strukturen mit einer anderen Wortreihenfolge als S-P-O
-
•
morphologische Auffälligkeiten bei Kasus, Aspekt, Tempus und Plural und/oder in der Herstellung der Subjekt-Verb-Kongruenz (SVK) bleiben persistent
Weiterer Verlauf
Leitsymptome im Grundschulalter
-
•
Veränderung des Profils: Grammatikstörungen:im GrundschulalterDefizite auf der Textebene treten in den Vordergrund
-
•
mangelnder Einsatz von Kohärenz- und Kohäsionsmitteln wie Verbindung von Sätzen zu Texten
-
•
fehlende bzw. falsche oder referenzlose Pronominalisierungen
-
•
im Schulalter Entwicklung von festen „Störungstypen“, die persistent scheinen
Kompensierter Dysgrammatismus
•
syntaktisch scheinen die Kinder häufig aufzuholen: keine Verbendstellung mehr, sondern zielsprachliche Strukturen mit der typischen Abfolge S-V-O
•
zu große Präferenz für SVO, keine Nebensätze oder Fragen → Erwerb der V2 bleibt eigentlich aus, statt der V2 wurde eine Satzstruktur „auswendig“ gelernt, die zielsprachlich angenähert ist (Penner und Kölliker Funk 1998; Siegmüller 2003b)
•
morphologische Störungen in der Markierung des Kasus
3.6.3
Diagnostik
Diagnostische Verfahren
-
•
rezeptive Verfahren: Marburger Sprachverständnistest für Kinder (MSVK, ab 5 Jahre, Elben und Lohaus 2000), Marburger Sprachverständnistest für Kinder (MSVK)Patholinguistische Diagnostik bei Sprachentwicklungsstörungen (PDSS, Kauschke und Siegmüller 2010), Sprachentwicklungstest für drei- bis fünfjährige Kinder (SETK 3–Sprachentwicklungstest (SET):für drei- bis fünfjährige Kinder (SETK 3–5)5, Grimm 2015), Heidelberger Sprachentwicklungstest (HSET, Grimm und Schöler 1991)
-
•
produktive Verfahren: Patholinguistische Diagnostik bei Sprachentwicklungsstörungen (Patholinguistische Diagnostik bei Sprachentwicklungsstörungen (PDSS)PDSS, Kauschke und Siegmüller 2010), Heidelberger Sprachentwicklungstest (HSET, Grimm und Schöler 1991), Psycholinguistischer Entwicklungstest (PET, Angermaier 1977), Sprachstandserhebungstest 5–10 (SET, Petermann et al. 2010)
-
•
entwicklungschronologisch frühe Verfahren: Sprachentwicklungstest für zweijährige Kinder (SETK-2, Grimm 2000), Patholinguistische Diagnostik bei Sprachentwicklungsstörungen (PDSS, Kauschke und Siegmüller 2010)
-
•
SpontansprachanalyseSpontansprachanalysen für die Überprüfung der Produktion: Evozierte Sprachdiagnose grammatischer Fähigkeiten (ESGRAF, Motsch und Rieth 2016), Profilanalyse, PC-gestützte Grammatikanalyse, PC-gestützteGrammatikanalyse in der PDSS (PDSS, Kauschke und Siegmüller 2010)
-
•
Morphologie: Patholinguistische Diagnostik bei Sprachentwicklungsstörungen (PDSS, Kauschke und Siegmüller 2010), Heidelberger Sprachentwicklungstest (HSET, Grimm und Schöler 1991), Sprachentwicklungstest für drei- bis fünfjährige Kinder (SETK 3–5, Grimm 2015), Sprachscreening für das Vorschulalter (Sprachscreening:für das Vorschulalter (SSV)SSV, Grimm 2003), Psycholinguistischer Entwicklungstest (PET, Angermaier 1977)Psycholinguistischer Entwicklungstest (PET)
-
•
SpontansprachanalyseSpontansprachanalysen: qualitative Verfahren, die Auskunft über den Sprachentwicklungsstand geben. Sind aufwändig, geben aber immer noch den detailliertesten Überblick über die Sprachproduktion: ESGRAF (alte Version: Motsch 1999; aktuelle Version ESGRAF-R: Motsch und Rietz 2016), PC-gestützte Analyse in der PDSS (Kauschke und Siegmüller 2010)
-
•
standardisierte oder normierte rezeptive Verfahren für verschiedene Altersgruppen:
–
Satz-Bild-Satz-Bild-ZuordnungZuordnung: Sprachentwicklungstest für zweijährige Kinder (SETK-2, Grimm 2000), Test of Reception of Grammar – Deutsch (TROG-D, Fox 2006)
–
Ausagieren: Patholinguistische Diagnostik bei Sprachentwicklungsstörungen (Patholinguistische Diagnostik bei Sprachentwicklungsstörungen (PDSS)PDSS, Kauschke und Siegmüller 2010), Heidelberger Sprachentwicklungstest (Heidelberger Sprachentwicklungstest (HSET)HSET, Grimm und Schöler 1991), Sprachentwicklungstest für drei- bis fünfjährige Kinder (SETK 3–5, Grimm 2015)
–
Frage-Antwort-Situation: Patholinguistische Diagnostik bei Sprachentwicklungsstörungen (PDSS, Kauschke und Siegmüller 2010)
-
•
Standardisierte oder normierte produktive Testverfahren sind seltener:
–
BildbeschreibungenBildbeschreibungen: Patholinguistische Diagnostik bei Sprachentwicklungsstörungen (PDSS, Kauschke und Siegmüller 2010)
–
BildergeschichtenBildergeschichten: PDSS (Kauschke und Siegmüller 2010), SET 5–10 (Petermann et al. 2010)
–
Vorgabe von Wörtern, die das Kind zu Sätzen zusammensetzen soll: Heidelberger Sprachentwicklungstest (HSET, Grimm und Schöler 1991)
–
Vorgabe von Lückensätze, VorgabeLückensätzen, die vervollständigt werden sollen: Psycholinguistischer Entwicklungstest (Psycholinguistischer Entwicklungstest (PET)PET, Angermaier 1977)
–
Elizitierungsverfahren (ESGRAF 4–8, Motsch und Rietz 2016)
-
•
Morphologische Subtests: testen meistens Pluralbildung, außerdem:
–
Heidelberger Sprachentwicklungstest (HSET, Grimm und Schöler 1991): Komparativ- und Superlativbildung (von Adjektiven)
–
Patholinguistische Diagnostik bei Sprachentwicklungsstörungen (PDSS): Akkusativ und Dativ (PDSS, Kauschke und Siegmüller 2010)Patholinguistische Diagnostik bei Sprachentwicklungsstörungen (PDSS)
–
Psycholinguistischer Entwicklungstest (Psycholinguistischer Entwicklungstest (PET)PET, Angermaier 1977): auch Partizipien, Komparativbildungen von Adjektiven
3.6.4
Therapieansätze (Tab. 3.6)
Veraltete Herangehensweise
Satzmustertraining (Pattern Drill)
-
•
durch Einüben Aufbau des einfachen Satzes mit der Struktur SPO, z. B. verschiedene Subjekte am Satzanfang werden mit gleichem Verb und Objekt kombiniert
-
•
Nachsprech- und Satzkonstruktionsübungen mit fester Verteilung der Subjekt- und Objektposition
•
Vernachlässigung der rezeptiven sprachlichen Dimension, Satzmusterübung ist eine rein produktiv orientierte Therapieform
•
Vernachlässigung der sozial-kommunikativen Seite von Sprache (Anwendung der Sätze in „Zwangskommunikation“)
•
Verzicht auf grammatisches Regellernen zugunsten vom Memorieren ganzer Sätze in verzögerter Imitation
Ganzheitliche Ansätze
Kommunikationstherapeutische Ansätze: Kommunikationstherapie
-
•
Kommunikation mit dem Kind soll erfreulich und positiv sein
-
•
Therapeutenverhalten bezieht sich auf die Förderung positiv-kommunikativen Verhaltens beim Kind
-
•
spezifische grammatische Störungen werden nicht therapiert
-
•
oft wird keine ausreichende Diagnostik durchgeführt oder gefordert
Konstruktivistischer Ansatz: Therapie von Dezentrierung und Perspektivenwechsel (Kruse 2002)
•
Abstraktion geschieht durch temporale (habe gemalt) und Dezentrierungmodale (kann malen) Sprachstrukturen
•
kognitive, den Spracherwerbsschritten vorausgehende Erkenntnisschritte:
–
Erkennen von Handlungsresultaten
–
referenzieller Blickkontakt
–
Konzept von Planung und des Imaginären (Planung einer Spielidee)
–
alle drei Erkenntnisprozesse werden zwischen 1. und 2. Lj. durchlaufen und gehen dem Grammatikerwerb voraus, den Kruse als zentrales Thema des 3. Lj. ansieht
-
•
Entwicklung der Aufmerksamkeitslenkung auf der FokussierungBasis der Reizselektion
-
•
frühe Reizverarbeitung lässt keine gleichzeitige (bimodale) Verarbeitung zu, d. h. es wird nur ein Teil der Inputreize von der Wahrnehmungsverarbeitung weitergeleitet
-
•
Ausbau der Aufmerksamkeitslenkung als längere Aufmerksamkeit pro Reiz
-
•
Methode der Reizverarbeitung: Figur-Hintergrund-Kontrast. Stärkere Kontraste werden als Einzelreize früher verarbeitet/erkannt als weniger starke Kontraste
-
•
Entwicklungsebene 1: Kind fokussiert sich Grammatikerwerb:FokussierungFokussierung:Grammatikerwerbauf semantische und lexikalische Anteile des Wortes (symbolische Anteile des Sprachzeichens, ikonische Anteile des Sprachzeichens, z. B. Lautmalereien)
-
•
Entwicklungsebene 2: erst nach ausreichendem Bedeutungserwerb kann die Aufmerksamkeit auf andere Elemente des Begriffs gelenkt werden
-
•
Entwicklungsebene 3: handlungsbegleitende Sprache: Satzebene, einfache grammatische Grundformen der Sprache werden erworben
-
•
Entwicklungsebene 4: Aufmerksamkeitslenkung auf formale Aspekte, Morphologie. Markiertere Anteile werden interessant für das Kind (Deiktika, bezeichnen zeitliche und räumliche Distanz, z. B. ging vs. werde gehen und identifizieren Gegenstände in der Grammatik eindeutig)
•
Zielformulierung 1: Zusammenstellen der notwendigen Fähigkeiten dieser Entwicklungsphase
•
Zielformulierung 2: Zusammenstellen der Entwicklungsschritte in der nächstfolgenden Phase
-
•
Perspektivenwechsel (im Spiel vor Sprache): Aspekt, Tempus, Modus (Dezentrierung), Verbflexion (Perspektivenwechsel im Personenparadigma)
-
•
Fokussierung: Wortartenverwendung
-
•
beide Aspekte: Satzbau, Fragestrukturen
HOT – Handlungsorientierter Therapieansatz (Weigl und Reddemann-Tschaikner 2002)
-
•
Zielkomplex verbaler Bereich: Sprachverständnis, Dialog, Aussprache, Wortschatz, Wortfindung, Grammatik, Textgrammatik, Selbstvertrauen
-
•
Zielkomplex Bereich der Handlungskompetenz: Serialität von Handlungen, Antizipationsfähigkeit, Problemlöseverhalten
-
•
Zielkomplex nonverbaler Bereich: Aufmerksamkeit, intrinsische Motivation, Eigenaktivität, Kreativität, Freude, Selbstvertrauen
•
Skripte: schematisierte Handlungsabläufe, Drehbücher
–
Bekanntheitsgrad, da bekannte alltägliche Handlungsinhalte (Teil der Umgebungskultur)
–
festgelegte Funktion und Reihenfolge von Teilhandlungen
–
Generalisierung: durch Übung in der Therapie kann Handlungssequenz im Alltag erfolgreicher durchgeführt werden
•
Handlung: Strukturierung nach Gegenstandsbezug, Zielgerichtetheit, Ergebnisorientierung. Den verschiedenen Strukturebenen werden verschiedene sprachliche Störungsbilder und Funktionen zugeordnet
Spezifisch an den Grammatikerwerb ausgerichtete Ansätze
Ökolinguopädischer Ansatz (Homburg 1991)
•
Entwicklungsnähe
•
Strukturzentrierung
•
Wissensaufbau
•
Kommunikationszentrierung
Psycholinguistisch begründete Therapie anhand von Inputspezifizierungen (Hansen 1996)
-
•
Sprache ist ein zumindest z. T. angeborener Mechanismus, der von psycholinguistischen Erwerbsmodellen beschrieben wird
-
•
linguistische Detailanalysen ermöglichen vor dem Hintergrund der psycholinguistischen Erwerbsmodelle eine präzise symptomorientierte Lernzielbestimmung
-
•
Therapieziel ist die Beseitigung der spezifischen dysgrammatischen Symptomatik
-
•
Unterstützung von Lernstrategien, die im ungestörten Grammatikerwerb wirken. Diese helfen dem dysgrammatischen Kind, notwendige Prinzipien zur Identifizierung und Kategorisierung grammatisch relevanter Informationen aus dem Input zu entschlüsseln
•
Therapieziele orientieren sich an der spontansprachlichen Symptomatik der Kinder, wobei durch die linguistische Detailanalyse die gesamte Breite der Grammatik als möglicher Therapieinhalt in Betracht gezogen wird
•
beispielhaft aufgeführte Therapieinhalte fokussieren die morphologischen Bereiche der Grammatikentwicklung
Strikt entwicklungsproximaler Ansatz (Penner und Kölliker Funk 1998)
•
durch Erhöhung der Grammatikstörungen:Triggerrelevanten Strukturen in dem an das Kind gerichtete Input Ausgleich der defizitären grammatischen Kapazitäten. Dem Kind wird so die Möglichkeit zur Überwindung der Stagnation gegeben
•
Fokus liegt auf der Bereitstellung der relevanten Zielstruktur, diese muss nicht in dialogisches Wechselspiel eingebettet sein, um die eigenaktiven Kapazitäten des Kindes zu stimulieren
•
relevante Sprachstrukturen (Trigger)Sprachstrukturen (Trigger) sind durch empirische und theoretische Grundlagenforschung festgelegt und entsprechen nicht in jedem Fall dem spontansprachlichen Symptom
Entwicklungsproximaler Ansatz (Dannenbauer 2002, 2003)
•
ausschlaggebend ist der momentane Entwicklungsstand des Kindes; Größe der Sprachstörung und Ausmaß der Verzögerung treten in den Hintergrund
•
nicht Erwachsenensprache ist die Vergleichsdimension für die Therapie, sondern die ungestörte Kindersprache auf dem jeweilige Entwicklungsniveau bzw. der nächsthöheren Entwicklungsphase
•
das dysgrammatische Kind verfügt prinzipiell über alle und die gleichen grammatischen Entwicklungsparameter wie das ungestörte Kind
•
grammatische Störung ist definiert als Verzögerung des Lerntempos, Verlangsamung des Lerntempos kann bis zum Stillstand gehen
•
Therapie wird von den bereits erworbenen Kompetenzen abgeleitet, die als Auslöser für die nächste Entwicklungsphase genutzt werden sollen
•
auf direktiv ausgerichtetes Vorgehen wird verzichtet, um Kompensationsreaktionen beim Kind durch die Wahrnehmung einer Störung zu verhindern
•
mit „minimaler Druckanwendung“ wird direkt in der spontanen Sprachverwendung des Kindes in der Spielsituation interveniert
-
•
Konzentration auf das sprachliche Interaktionsgeschehen, wobei die Therapeutin eine eher reagierende Grammatikstörungen:Inputsteuerung/Feedbacksund nicht stark stimulierende Haltung einnehmen soll
-
•
Formulierung von 12 Handlungsleitlinien, welche die Vorbereitung der Therapie und Interaktion in der Therapie umrahmen:
–
auf Lebenswirklichkeit und Kommunikationsfähigkeit des Kindes einlassen und die Beziehungsbasis mit dem Kind so etablieren, dass es sich als anerkannten Kommunikationspartner empfindet
–
optimale Rolle des Erwachsenen ist die eines Modells, wobei sich der Modellcharakter in sprachlicher Hinsicht, aber auch in Form von zunehmend gemeinsamer Kommunikation und Handlungsausrichtung zeigen soll
–
therapeutische Intervention bezieht auch andere Anteile der sprachlichen und nichtsprachlichen Entwicklung ein
-
•
Interventionsmethode ist die Modellierung, die durch verschiedene Techniken angewandt wird:
–
Zielstruktur soll frequent und als einzige Konstante in der Modelläußerung erscheinen
–
umrahmende Anteile der Äußerungen sind in ihrer Struktur variabel, der Situation angemessen und relevant
–
Modelläußerung als Input-gebende Maßnahme und Feedbackäußerungen als modellierende Maßnahme sollen gleichermaßen genutzt werden und sich durch den Dialog zwischen Kind und Therapeutin auf natürliche Weise abwechseln
Kontextoptimierung (Motsch 2003, 2004)
-
•
Grammatikstörungen:KontextoptimierungGrundannahme: Sprachentwicklungsfortschritte können erreicht werden, wenn durch die Therapie die planbaren Kontextkomponenten einer sprachlichen Situation so verändert werden, dass Blockaden im grammatischen Lernen beseitigt werden. Dabei richtet sich die Planung der Lernsituation an den Gegebenheiten des Kindes aus (Formate für das Kind finden)
-
•
Basisannahme: Kinder sind im frühen Spracherwerb nicht auf die formalen Aspekte der Sprache fokussiert, verarbeiten anhand von Schlüsselwörtern. In der Therapie wird der für das Kind mit USES bisher bedeutungslose formale Aspekt der Sprache in den Fokus gerückt
-
•
Therapieziele:
–
Kind wird zur optimalen Fokussierung der kritischen Merkmale von sprachlichen Zielstrukturen führen. Dies erhöht die Verarbeitungswahrscheinlichkeit.
–
konkrete Therapieziele orientieren sich an der Phaseneinteilung nach Clahsen (1988) (Kap. 2.7)
-
•
Vorgehen:
–
Kombination aus Inputgabe (rezeptive Arbeit), kompensatorisch-reflexiver Arbeit und produktionsanstoßender Therapie. Input ist auf die Zielstrukturen hin betont. Gegensatz zu generativ ausgerichteten Ansätzen: Verwendung der kürzesten Zielstruktur; keine grammatisch reichen Strukturen im Input anbieten, um das Kind nicht zu „verwirren“. Input ist Vorstufe der produktionsorientierten Therapie in Kombination mit sprachbewusstseinsfördernden Anteilen. Produktive Therapie wird in der Arbeit mit „Pattern“ realisiert, d. h. kommunikativ funktionale Sprachpattern werden als Anstoß für die Sprachproduktion verwendet
Patholinguistischer Ansatz (Siegmüller und Kauschke 2006)
-
•
Das Grammatikstörungen:patholinguistischer Ansatzdysgrammatische Kind patholinguistischer Ansatz:Grammatikstörungenbesitzt zu wenig eigenaktive Kompetenzen, um grammatische Regeln ableiten zu können. Dadurch verzögerter Grammatikerwerb mit Verlangsamung oder Stagnation
-
•
Grammatikerwerb ist eine weitgehend eigenständige Entwicklung, wobei es an bestimmten Schnittstellen zu Interaktion mit anderen sprachlichen Ebenen kommt
-
•
Spracherwerb ist ein kontinuierlicher Verlauf auf den verschiedenen sprachlichen Ebenen, Entwicklungstempo kann von Ebene zu Ebene variieren
-
•
grammatische Ebene als regelbasierter Erwerb wird früh abgeschlossen, gedächtnisbasierte Erwerbsbereiche dauern länger (z. B. Lexikon)
-
•
diagnostische Vergleichsdimension ist das Niveau des ungestörten Spracherwerbs von ungestörten Kindern im gleichen Alter
-
•
Diagnostik kombiniert spontansprachliche Daten, rezeptive und produktive Elizitierungsverfahren, die in jedem Fall psycholinguistisch basiert sind und die notwendige Detailinformation zur Verfügung stellen
-
•
Ziel: Aktivierung und Umorientierung des eigenen Lernpotenzials des Kindes. Das Kind soll wahrgenommene Sprachreize aus dem Input neu oder anders analysieren
-
•
Zielstrukturen entsprechen, ausgehend vom Entwicklungsstand des dysgrammatischen Kindes, der nächsten Stufe des ungestörten Spracherwerbs
-
•
Flexibilisierung eines vereinfachten bzw. starren Sprachsystems steht neben dem systematischen Nachholen von Entwicklungsschritten im Zentrum. Dies richtet sich v. a. an ältere Kinder, die aufgrund von kommunikativen Misserfolgen Kompensationsstrategien anwenden (Auswendiglernen von sprachlichen Strukturen). Die kompensierten Defizite können spontansprachlich (annähernd) zielsprachlich wirken
-
•
deutliche Abwendung von programmatischer Therapie. Aus der Diagnose folgt nicht automatisch eine bestimmte Therapie, stattdessen Baukastensystem aus Therapiebereichen und Therapiemethoden, aus der die individuelle Therapie für das jeweilige Kind zusammengestellt wird
•
unbewusste Therapiemethoden: Inputspezifizierungen (als Inputsequenz oder als interaktive Inputspezifizierung im Freispiel), Modellierung, Übungen
•
bewusste Therapiemethoden: metasprachliche Übungen, Kontrastierungen, Metasprache
3.7
Störungen der Pragmatik
3.7.1
Pragmatik
Theorien der Pragmatik
3.7.2
Pragmatische Störungen
•
als Primär- oder Sekundärstörung
•
über die Lebensspanne
•
mit unterschiedlicher Ätiologie
•
verzögerte kommunikative Kompetenz
•
sprachstrukturelle Defizite
•
sprachlich-pragmatische Defizite
•
sozial-kommunikative Defizite
•
dauerhaft eingeschränkte pragmatische Kompetenz
Erscheinungsbild
-
•
Probleme beim Turn-Turn-Taking, ProblemeTaking mit langen Pausen oder Überschneidungen der Gesprächsbeiträge
-
•
unangemessener Rededrang mit unnötig viel Information
-
•
Beharren auf besonderen/eigenen Themen, Bedürfnisse des Gesprächspartners werden nicht berücksichtigt
-
•
Sprunghaftigkeit in den Themen ohne Überleitungen oder Einführen des neuen Themas
-
•
unangemessene Präsupposition, das Hintergrundwissen des Gesprächspartners wird falsch eingeschätzt
-
•
Sprachverständnisprobleme (insbesondere bei nichtwörtlicher Bedeutung, z. B. Ironie, Witze und Metaphern) und mangelnde Reparaturmechanismen
-
•
Probleme bei der Inferenzziehung
-
•
Probleme bei Kohärenz und Kohäsion (Erzählfähigkeit)
-
•
Wortschatzdefizite und Wortfindungsprobleme
-
•
mangelnde nonverbale Kommunikation und Emotionsdeutung
•
Probleme bei sozialer Interaktion insbesondere beim Schließen und Aufrechterhalten von Freundschaften
•
mangelnde Akzeptanz der Betroffenen; werden von Bezugspersonen, Kindergärtnerinnen und Lehrern als unreifer eingeschätzt und auch von Peers negativer beurteilt als sprachunauffällige Kinder
•
Entwicklung eines niedrigen Selbstwertgefühls, negative Eigenbeurteilung, Rückzug auf Außenseiterposition
•
Sprachentwicklungsstörungen
•
Autismus-Spektrum-Störungen
•
Verhaltens- und emotionalen Störungen
•
kognitive Beeinträchtigungen
•
Redeflussstörungen
•
Stimmstörungen
Ursachen
Verlauf
•
Störungen der Entwicklungsperiode (0–7 Jahre) vor dem Hintergrund von Sprachentwicklungsstörungen, in Verbindung mit Autismus-Spektrum-Störung sowie Auffälligkeiten in den Bereichen Emotionalität, Verhalten und Aufmerksamkeit
•
Störungen in der älteren Kindheit/Jugendalter (7–18 Jahre) als manifestierte Störung oder bei Schädigungen nach Abschluss der Sprachentwicklung mit Defiziten bei komplexer pragmatischer Verarbeitung
•
Störungen im Erwachsenenalter als manifestierte pragmatische Störungen sowie infolge neurologischer, psychischer und degenerativer Erkrankungen
Wichtige statistische Fakten
•
Prävalenz: 22 % der Kinder mit Sprachförderbedarf in Großbritannien weisen eine pragmatische Störung auf (Botting und Conti-Ramsden 1999)
•
im deutschsprachigen Raum bisher keine gesicherten Erkenntnisse
3.7.3
Diagnostik pragmatischer Störungen
1.
Anamnese
2.
Analyse der Basiskompetenzen
3.
Überprüfung der sprachstrukturellen Fähigkeiten
4.
Analyse der pragmatischen Fähigkeiten
•
Interaktionsanalyse: direkte Verhaltensbeobachtung, Beurteilung der Situations- und Kontextangemessenheit der Sprachverwendung in Realsituation
•
Befragung: Datengenerierung nach Angaben/Erinnerung von Bezugspersonen, Beurteilung mehrerer unterschiedlicher Situationen und Kontexte möglich
•
Testverfahren mit Untertest zur Pragmatik: Elizitationsverfahren, auf Grund der Testsituation inhaltliche und situative Komplexität eingeschränkt, nur isolierte Teilaspekte der Pragmatik
•
Erzählfähigkeit: Einschätzverfahren in Einzel- oder Gruppensetting oder als Untertest einer Testdiagnostik
3.7.4
Therapie pragmatischer Störungen
Therapieinhalte
Therapieansätze nach dem Rahmenplan
•
verzögerte kommunikative Kompetenz: Erweiterung pragmatischer Fähigkeiten
•
sprachstrukturelle Defizite: Verbesserung sprachstruktureller Defizite und deren Transfer in den Alltag
•
sprachlich-pragmatische Defizite: Verstehen sozialer Bedeutungen von Sprache, Organisation von Gesprächen, von mündlichen und schriftlichen Erzählungen
•
sozial-kommunikative Defizite: Kommunikationsorganisation, Interpretation sozialer Kontraste und Konventionen, Anpassung des Kommunikationsstils sowie Erkennen und Klären von Missverständnissen
•
dauerhaft gravierend eingeschränkte kommunikative Kompetenz: erfolgreiche und sozial akzeptierte Mitteilung der eigenen Intentionen durch effektivere kommunikative Strategien
Therapieansätze zur Behandlung pragmatischer Störungen
•
Kohärenzspiele
•
Kohäsions- und Sprachspiele
•
Ko-Konstruktion eines Kontextes
•
Entwicklung einer Handlung
•
Etablierung eines Planbruchs
•
kontextbezogene Versprachlichung einer Handlung
•
modellhaftes Erzählen der Fachperson
•
Erarbeiten der Erzählstruktur
•
Kinder erzählen – kontextunabhängige Erzählinteraktion
•
Dokumentation
•
metasprachliche Reflexion
•
Ebene 1: Impuls nehmen/geben, Zusammenarbeit in der Gruppe, Wahrnehmung
•
Ebene 2: Sprachverwendung im Kontext (Status und Emotionen)
•
Ebene 3: Storytelling (Erzählfähigkeit mit Kohärenz und Kohäsion)
Evidenzbasierung
3.8
Schnittstellen und Spracherwerbsstörungen
Prosodische Kompetenz
•
Unterteilung der Silben in Laute
•
Aufbau der Wörter aus Silben
•
Veränderung der Wörter bezogen auf Art ihrer Silben
•
Bildung von Sätzen bezogen auf Unterscheidung der Inhalts- und Funktionswörter und ihre Anpassung an die syntaktischen Regeln
Schnittstellentherapie: phonologisch-lexikalisch
•
Unterscheiden von langen und kurzen Silben
•
Erkennen, wann ein Laut in einer Silbenkette wechselt
•
Entscheiden, ob zwei Silben gleich sind oder nicht
Schnittstellentherapie: lexikalisch-morphologisch
Schnittstellentherapie: semantisch-syntaktisch
3.8.1
Morphonotaktik in Diagnostik und Therapie
Morphonotaktik im gestörten Spracherwerb
•
deutsche USES-Kinder flektieren 3. Person Singular häufiger korrekt, wenn hochfrequente Strukturen resultieren: hochfrequente VCt]σ (z. B. /alt/ wie in knallt – Wald, alt, bald) häufiger korrekt als niedrigfrequente VVCt]σ (z. B. /a:lt/ wie in malt) (Ott 2010)
•
englische dysgrammatische Kinder produzieren das /ed/-Morphem an Verbstämmen häufiger korrekt, wenn hochfrequente Strukturen hervorgehen: z. B. hochfrequentes /ɔst/ (z. B. in crossed – cost, frost, lost) häufiger korrekt als niedrigfrequentes /ʊʃt/ (z. B. in pushed) (Marshall und van der Lely 2006; vgl. auch van der Lely und Ullman 2001)
Morphonotaktik in der Diagnostik der Verbflexion
•
Hinweis auf einen stabilen Erwerb der morphologischen /t/-Verbflexionsregel bei Produktion /t/-flektierter Verbformen mit phonotaktisch niedrigfrequenten VVCt]σ-Verbindungen (z. B. schläft, malt, fliegt, wohnt) → morphologische /t/-Verbflexionsregel wird hier weitgehend unabhängig von phonotaktischen Frequenzeinflüssen umgesetzt
•
kein Rückschluss auf einen stabilen Erwerb der morphologischen /t/-Verbflexionsregel bei Äußerung /t/-flektierter Verbformen mit phonotaktisch hochfrequenten VCt]σ-Strukturen (z. B. fällt, kommt, schwimmt, guckt) → ggf. instabile Verbflexionsregel durch Dominanz phonotaktischer Frequenzeffekte
Morphonotaktik in der Therapie der Verbflexion
•
morphonotaktische Spezifität von VVCt]σ kann USES-Kindern das morphosyntaktische bootstrapping erleichtern: bestmögliches Ableiten des /t/ als regelbasiertes Flexionsaffix → optimale Aktivierung von Lernmechanismen und eigendynamischen Entwicklungsprozessen (Bishop 2000)
•
Reduktion phonotaktischer Frequenzeffekte in Anpassung an den ungestörten Spracherwerb → stabiler Erwerb der morphologischen /t/-Verbflexionsregel
3.9
Sukzessive Mehrsprachigkeit und spezifische Sprachentwicklungsstörung
Definition
Epidemiologie
Klinik
-
•
im simultanen und im sehr frühen sukzessiven Erwerb einer weiteren Sprache wirkt sich eine USES wie im monolingualen Erwerb beider Sprachen aus (Paradis et al. 2003)
-
•
Erwerbsbeginn weiterer Sprachen nach dem Alter von ca. 3 J.:
–
heterogenes Störungsbild!
–
Grammatik: deutsche Satzstruktur und SVK: Gemeinsamkeiten zwischen monolingualer USES und USES in der L2 Deutsch (z. B. Infinitive in V2, V3-Sätze, Chilla 2008; Rothweiler et al, 2012)
–
Erwerb der deutschen Satzstruktur/SVK dauert deutlich länger als im frühen sukzessiven Spracherwerb (> 18 KM)
-
•
Phonologie verzögert bzw. auffällig (vgl. mit mehrsprachigen Kindern ohne USES), Bspl. Türkisch
-
•
Erwerbsbeginn weiterer Sprachen nach dem Alter von ca. 5 J.: bisher nur wenige systematische Untersuchungen, „mistaken identity“ zwischen USES und typischen L2-Erwerbsstrukturen mistaken identitymöglich
-
•
im kindlichen Zweitspracherwerb konfundieren USES und erwerbstypische Besonderheiten. Dies ist ein diagnostisches Problem, weil grammatische Abweichungen bei spezifischer Sprachentwicklungsstörung und bei typischem Zweitspracherwerb dieselben Strukturbereiche betreffen können (Kap. 2.9.2)
Diagnostik
•
interdisziplinäre Abklärung der USES-Ausschlusskritierien (IQ, HNO, sozial-emotionale Beeinträchtigung, Mundmotorik, psychologische Abklärung)
•
Erhebung der Erwerbsbedingungen in beiden Sprachen: ab welchem Alter, wie intensiv und wie viele Monate bzw. Jahre das Kind mit Deutsch in Kontakt ist; welche sprachliche Entwicklung ist unter diesen Bedingungen erwartbar
•
Gespräche mit Eltern (mit Dolmetscher; Kroffke und Meyer 2007), Erzieherinnen, Lehrkräfte, dabei Nutzung des PABIQ-Elternfragebogens (Tuller 2015) und Erhebung von Informationen über
–
deutliche Erwerbsverzögerung in beiden Sprachen (im Vergleich mit mehrsprachigen Kindern identischer Sprachkonstellation [Bspl. Türkisch-Deutsch] mit vergleichbaren Erwerbsbedingungen)
–
Familienhäufung von Sprachauffälligkeiten
–
übliche Frühindikatoren für eine USES (Alter bei Sprechbeginn, 50-Wort-Stadium und Wortschatzspurt, Ausspracheprobleme, erste Sätze usw.)
•
Erstsprache: aktueller Sprachentwicklungsstand:aktuellerSprachentwicklungsstand
–
sprachspezifische Ausprägungen in der L1, z. B. Arabisch: Tempus (Abdalla 2002); Türkisch: Kasus, Verbflexion: Endungen können nicht funktional eingesetzt werden (Babur et al. 2007; Chilla und Babur 2010); Englisch: Tempus, SVK; Französisch: Klitika (Paradis et al. 2003) etc.
–
Dokumentation von Ergebnissen der L1-Erhebung (Bsp.: [T]-SALT; HAVAS-5; CITO; SCREEMIK; TROG) und Reflexion der Ergebnisse vor dem Hintergrund des Erwerbskontextes (die meisten Verfahren sind nicht für den Migrationserwerbskontext normiert/standardisiert!)
•
Aussprache: im bilingualen Kontext typische phonologische Prozesse sind bis KM 18 nicht überwunden (z. B. Plosivierungen bei Türk.-Dt.-Kindern noch mit 5;6 = KM 30)
•
Sprachentwicklung im Deutschen:
–
Diagnose USES auf Basis verfügbarer Verfahren nicht möglich
–
erste Einschätzung des abweichenden Sprachstandes durch Screening: z. B. HAVAS-5, LiSe-DaZ
–
SpontansprachanalyseSpontansprachanalyse (ESGRAF, COPROF, TOGA)
–
Erhebung des Sprachstandes zur Therapieplanung mit den für USES im Deutschen entwickelten Verfahren in Kombination mit Spontansprachanalyse (PLAKSS, PDSS, TROG-D) und Kombination mit phonologischer Diskriminierung und auditiver Verarbeitung (HASE)
Therapie
-
•
Therapie in der Zweitsprache wie bei monolingualen Kindern mit USES unter Berücksichtigung der kindlichen Mehrsprachigkeit und der sprachlichen Handlungsfähigkeit
-
•
möglichst in beiden Sprachen, angepasst auf das sprachspezifische Störungsmuster
-
•
Therapie in der L2 hat positiven Effekt auf identische Störungsbilder in L1, z. B. Aussprache
-
•
auf Basis des durch Diagnostik erstellten Profils Arbeit an den Störungsschwerpunkten der L2 Grammatik (Kap. 3.5.4).
Praktisch weiterführende Literatur
Armon-Lotem, 2015
Chilla and Haberzettl, 2014