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Dimensionen kultureller Kompetenz
(Pavkovic 1999, zit. nach Westphal 2009: 96)
Dimensionen | Beschreibung |
Migrationsspezifische Dimension | berücksichtigt die gesellschaftliche Dynamik asymmetrischer Beziehungen im Mehrheiten-/Minderheitenverhältnis, die Erfahrung von Diskriminierung und Rassismus, die Motivationen, Formen und Verläufe von Migrationen, die gesellschaftliche Partizipation und Integration sowie Prozesse von Zugehörigkeit und Ausgrenzung |
Kulturspezifische Dimension | bezieht sich auf relevante Formen der alltäglichen sozialen Praxis, wie soziokulturelle Milieus, soziale Rollen von Frau und Mann, Religion, Sprache, Kommunikationsstile/-formen, Verhältnis zu Zeit, zur Natur, zum Individuum, kulturelle Selbst- und Fremdortungen, veränderte Einwandererkulturen, Jugendkulturen |
Psychologische/pädagogische Dimension | erfasst psychodynamische Prozesse in zwischenmenschlichen Beziehungen, u. a. Familiendynamiken, geschlechts- und altersspezifische Entwicklungstypien, Stereotypenbildungen, Wirkungen von Vorurteilen, eigene Schulerfahrungen |
Soziale/sozialstrukturelle Dimension | berücksichtigt den Einfluss der sozialen Lebensbedingungen im konkreten Alltag wie soziale Lage, Wohn- und Einkommensverhältnisse, berufliche Situation, soziale Netze im Lebensumfeld/Stadtteil etc. |
Dimensionen für kulturelle Orientierungenkulturelle Orientierungen
(Mayer 2006: 174ff.)
Kulturelle Orientierung | Kurzbeschreibung |
Zeitkonzepte | monochron vs. polychron Konzentration von Zeit: fest und fließend Vergangenheits-, Gegenwarts- und Zukunftsorientierung |
Raumorientierung | Privatheit und Öffentlichkeit |
Aktion und Handlungsorientierung | Aktivität und Passivität Sein und Tun |
Kommunikation | High Context vs. Low Context direkt vs. indirekt expressiv/instrumentell |
Individualismus vs. Kollektivismus | gemeinschafts- bzw. persönlichkeitsorientiert Universalismus vs. Partikularismus |
Denkstile | induktives Denken deduktives Denken |
Macht | Gleichheit vs. Ungleichheit Hierarchie und hierarchische Strukturen |
Kausalattribution vs. Zuschreibung von Ursachen | eigene Leistung Zufall/Schicksal |
Ausgewählte Aspekte kulturspezifischen nonverbalen Kommunikationsverhaltens
Nonverbales Verhalten | Besonderheiten |
Gestik und Mimik | Große Variationsbreite in unterschiedlichen KulturkreisenGefahr der Bildung von Nationalstereotypen: temperamentvolle, stark gestikulierende Südeuropäer vs. unterkühlte, starre NordeuropäerMimik gilt als Anzeichen von Gemütsverfassungen und spiegelt die Einstellung zum Gegenüber wider (Heringer 2004), neutral wirkende Mimik ist kulturspezifisch geprägtLächeln kann leicht Missverständnisse auslösen, weil es kulturspezifisch divergierende Bedeutungen hat; im westlichen Kulturkreis etwa gilt Lächeln als Ausdruck von Freude, in vielen asiatischen Ländern als Ausdruck von Scham und Befangenheit (Guirdham 1999) |
Blickkontakt | Prägt die Gesprächsatmosphäre nachhaltig, weil Sympathie und Antipathie sowie Zuneigung, Misstrauen und Einverständnis deutlich markiert werden könnenDauer und Intensität hängen von Kulturspezifika und der Beziehung zwischen Gesprächspartnerinnen ab:
|
Proxemik | Der von Gesprächspartnerinnen als angemessen und angenehm empfundene Raumabstand variiert kulturspezifisch erheblich:In eher kollektivistischen Gesellschaften Lateinamerikas, Afrikas, des Vorderen Orients, Indiens und Pakistans sind die Abstände eher geringer als in stark individualisierten Gesellschaften wie USA, Deutschland oder Japan (Lüsebrink 2005) |
Haptik | Das Berührungsverhalten der Gesprächspartnerinnen hängt vor allem vom Geschlecht und den Beziehungen zueinander ab:
|
Beratungsmethoden in der Übersicht
Interventionsstrategien in Therapie und Beratung | Methoden | Beschreibung |
Unterbrechen von Handlungsketten | Neue Fragestellungen formulieren, Ausnahmen finden, Skalierungsfragen stellen, z. B. „Wie hoch schätzen Sie das Problem des Stotterns Ihres Kindes auf einer Skala von 1–10 ein?“Reframing: positives Umformulieren | Starre und wiederkehrende Denk- und Handlungsmuster sollen „aufgeweicht“ und infrage gestellt werden.Im Beratungsprozess eignet sich das Reframing besonders gut: Durch positives Umdeuten werden festgefahrene Sichtweisen oder Positionen infrage gestellt und verändern sich. |
Vereinfachen | Ratsuchenden helfen, sich abzugrenzen, auszuwählen, zu strukturieren. Manche Ratsuchende können Inhalte evtl. besser über Symbole beschreiben und wiedergeben. | Komplexe Situationsbeschreibungen und Probleme werden in lösbare kleinschrittige Aufgaben aufgeteilt. |
Konfrontieren | Ratsuchende mit ihren Problemen konfrontieren, Diskrepanzen zwischen Verhalten und Erzähltem ansprechen (verbales Spiegeln) | Vermeidungsverhalten soll verhindert werden. Die Beraterin macht z. B. darauf aufmerksam, dass der Ratsuchende die Hand zur Faust geballt hat, während er erzählt, er sei bei einem Ereignis ganz entspannt gewesen. |
Selbstaktivieren | Aufgaben zur Selbstbeobachtung und -beurteilung im Alltag stellen, z. B. auch als kleine Hausaufgaben | Die Ratsuchenden sollen sich stärker an der Problembewältigung beteiligen. |
Attribuieren | Die Beraterin formuliert ihre Hypothese und die Ratsuchende kann sie annehmen oder ablehnen. | Es werden Erklärungen für unverstandene Konflikte und Probleme angeboten. |
Rückmelden | Bei einem Rollentausch kann die Beraterin eine ihr von der Ratsuchenden zugewiesene Rolle einnehmen und im Anschluss eine Rückmeldung über ihre Empfindungen und ihr Erleben geben. | Die Ratsuchende erhält dadurch eine Rückmeldung über sich, über ihr Verhalten und ihre Beziehungskonstellationen. |
Elternberatung
15.1
Einleitung
Eltern, die eine andere Sprache als Deutsch sprechen und/oder in anderen kulturellen Kontexten sozialisiert wurden und werden, sind in Bezug auf ihre Nationalität, ihren sozioökonomischen Status und ihre ethnischen sowie religiösen Zugehörigkeiten eine sehr heterogene Gruppe.
15.2
Interkulturalität im Beratungskontext
•
professionelle Fachkräfte internationaler und globalisierter Arbeitsmärkte (Jain 2003),
•
eine migrationsbedingte Dimension pädagogischen Handelns im Erziehungs- und Bildungssystem (Hinz-Rommel 1994, Seitz 2005, Castro-Varela 2002) und
•
durch Migrationsbiografien erworbene Aspekte der Identitäts- und Persönlichkeitsentwicklung (Westphal 2007, Jain 2003).
1
Mit kultureller Imagination meint Mecheril Bilder, „in denen […] zwischen ‚Wir‘ und ‚Nicht-wir‘ unterschieden wird“ (2004: 297). An anderer Stelle beschreibt er Imaginationen als Versuch, „die Undefinierbarkeit der definierenden Zugehörigkeit zu heilen. In kulturellen Imaginationen aktualisieren sich Bilder, die in kollektiven Praxen und Wissensbeständen gepflegt, entwickelt und reproduziert werden und in die Individuen verstrickt sind“ (2004: 297).
Beispiele
Fragen im Beratungsraum
•
Führt die einbezogene Dimension der Interkulturalität tatsächlich zu einer Aufklärung von Schwierigkeiten in Beratungsprozessen?
•
Inwieweit wird die interkulturelle Dimension überdeutet und verdeckt somit weitere Perspektiven auf Differenzen wie z. B. die Zugehörigkeit zu einer Klasse, zu einem Geschlecht, zur Sexualität oder zum Alter?
15.3
Beratung
•
In der InformationsberatungInformationsberatung gibt der Berater oder die Beraterin sein oder ihr Wissen weiter.
•
In der ProzessberatungProzessberatung kann nur der Ratsuchende selbst die Neustrukturierung und Neubewertung vorhandener Informationen vornehmen. Somit hat die Beraterin hier eine prozessbegleitende Rolle.
15.4
Beratungsbeziehung, Mehrsprachigkeit und kulturelle Vielfalt
Mögliche Anforderungen an Vermittlungspersonen
•
Sie beherrschen beide Sprachen und können in beide Richtungen kompetent übersetzen.
•
Sie kennen die Lebenssituation von Angehörigen der Sprachgruppen, für die sie agieren.
•
Sie sind sich der unterschiedlichen persönlichen, familiären und kulturellen Hintergründe von Einheimischen und Eingewanderten – wie innerhalb beider Gruppen – bewusst.
•
Sie kennen das Bildungssystem (und auch Gesundheitssystem) hier und im u. U. relevanten Herkunftsland.
•
Sie kennen die hiesigen Institutionen, besonders im Sozialbereich.
•
Sie sind pädagogisch ausgebildet oder verfügen sonst über entsprechende Kenntnisse.
•
Sie genießen das Vertrauen der Schule oder einer anderen Bildungseinrichtung, wie z. B. des Kindergartens, und gleichzeitig auch das Vertrauen der Eltern mit Migrationsgeschichte.
•
Sie können sich in die Rolle der Eltern und der/des Therapierenden gleichermaßen hineinversetzen.
•
Sie sind verschwiegen.
•
Sie wohnen in der Gemeinde oder Region.
15.5
Gesprächsführung und Herausforderungen interkultureller Kommunikation
1.
Bei der Themenklärung ist zu beachten, dass Themen entweder von der Beraterin oder von der Klientin intendiert sein können oder dass Themen im Beratungsprozess selbst entstehen, denen dann ggf. ungeplant Raum gegeben werden muss.
2.
Um Probleme genauer beschreiben zu können, sollte gefragt werden, wer alles beteiligt ist oder war, wann und wo ein Problem auftrat bzw. auftritt und wie Beteiligte reagieren bzw. reagiert haben.
3.
Erst die konkrete Zielformulierung ermöglicht eine konkrete Lösung, deren Beschreibbarkeit und Bewertung.
Ziele gut zu formulieren bedeutet, sich aus einer als problematisch empfundenen Gegenwart in eine sich positiv anfühlende Zukunft hineinzudenken.
4.
Für eine Lösungsfindung hilft es nachzufragen, ob in der mittelbaren Vergangenheit bestimmte Versuche schon erfolgreich verliefen. In einer anschließenden Reflexion sollten neue Erfahrungen und gefundene Lösungen bewertet werden. Fällt die Bewertung eher negativ aus, sollten die Ziele konkreter und kleinschrittiger entwickelt werden. Eventuell wird es sogar notwendig sein, Probleme und Anliegen neu zu formulieren.
Günstiges Verhalten
| Ungünstiges Verhalten
|
Günstiges Verhalten
| Ungünstiges Verhalten
|
•
Bei Weinen
Günstiges Verhalten
| Ungünstiges Verhalten
|
•
Bei Wut
Günstiges Verhalten
| Ungünstiges Verhalten
|
Weitere Schwierigkeiten
1.
Die häufigste Schwierigkeit stellt die Kommunikationshürde bei begrenztem sprachlichem Repertoire dar, wenn nicht alles in der gewünschten Nuancierung ausgedrückt werden kann. Zudem entgehen auch Empfängerinnen manchmal Feinheiten einer Botschaft (vgl. Guirdham 1999). So werden z. B. Ironie oder Nuancen unterschiedlicher Varietäten evtl. nur eingeschränkt verstanden.
Beispiele
Typische Probleme je nach Gesprächskonstellation
•
In Konstellation 1 etwa verfügen beide Sprecherinnen nicht über eine gemeinsame Muttersprache und müssen sich deshalb in einer Fremdsprache verständigen. KommunikationsschwierigkeitenBeratungsgespräch:KommunikationsschwierigkeitenKommunikationsschwierigkeiten entstehen hier z. B. aufgrund eines zu geringen Wortschatzes, durch Fehler in der Grammatik und in der Aussprache. Trotzdem dürfte diese Konstellation beide für die Kommunikationsprobleme sensibilisieren und ihre Toleranz gegenüber Ausdrucksschwierigkeiten erhöhen.
•
Deutlich schwieriger ist Konstellation 2, in der eine Sprecherin über muttersprachliche Kompetenz und die andere nur über begrenzte Zweitsprachenkenntnisse in der Kommunikationssprache verfügt. Damit sind der zweiten Sprecherin Grenzen in der Ausdrucksfähigkeit gesetzt. Hier ist von der ersten Sprecherin besondere Sensibilität gefordert, weil sie auf das sprachliche Niveau der anderen eingehen kann.
•
In Konstellation 3 bedienen sich beide Sprecherinnen lediglich unterschiedlicher Varietäten, was aber ebenfalls zu Kommunikationsschwierigkeiten führen kann.
2.
Kommunikationsprobleme auf der Inhaltsebene treten auf, wenn Diskrepanzen hinsichtlich des kulturellen Wissens oder des Werte- und Normensystems der Gesprächspartnerinnen bestehen. Auernheimer (2006) geht davon aus, dass größere Probleme nur dann zu erwarten sind, wenn ein komplexes Hintergrundwissen relevant wird, z. B. gesellschaftliche Teil- oder Glaubenssysteme. Zu beachten gilt es hingegen, dass Tabuthemen kulturell verschieden belegt sein und zu erheblichen Kommunikationsschwierigkeiten führen können. So sind in islamischen Kulturkreisen Gespräche über den Körper oder die Sexualität tabuisiert (z. B. Lüsebrink 2005).
3.
Probleme auf der Beziehungsebene entstehen durch Missverständnisse in der Interpretation des Verhaltens von anderen. Wenn Verhaltenssignale in Begrüßungen, in der Gesprächsorganisation oder in Strategien der Konfliktbewältigung nicht dem Gewohnten entsprechen, kann es zu Irritationen vor allem hinsichtlich der Einschätzung der eigenen Person durch die Gesprächspartnerin (Auernheimer 2006) kommen.
4.
Nonverbale Codes bilden einen wichtigen Teil des Kommunikationsverhaltens ab (Tab. 15.3). Sie können in Wechselwirkung zur mündlichen Kommunikation stehen oder als unabhängig davon interpretiert werden. Für die kulturelle Variabilität nonverbaler Codes fehlt häufig ein Bewusstsein. Gestische und mimische Kommunikation wird oftmals für angeboren gehalten (Heringer 2004). Doch zahlreiche Komponenten sind kulturspezifisch (Erll & Gymnich 2011). Nonverbales Verhalten umfasst Gestik, Mimik, Blickkontakt, Proxemik (körperlicher Abstand zwischen Gesprächspartnerinnen), Haptik (Berührungsverhalten) und paralinguistische Codes (Modulation der Stimme, des Stimmvolumens, der Stimmlage, der Intonation).
15.6
Beratungsmethoden
15.7
Fazit
Literatur
Auernheimer, 2006
Bastine, 1976
Beamer and Varner, 2001
Blickensdorfer, 2009
Büttner and Quindel, 2005
Castro-Varela, 2002
Erll and Gymnich, 2011
Filipp and Brauckmann, 1990
Guirdham, 1999
Hall, 1959
Hamburger, 2000
Heringer, 2004
Hinz-Rommel, 1994
Iven, 2000
Jain, 2003
Kroffke and Meyer, 2007
Krüger-Potratz, 1999
Lazarus, 1995
Lüsebrink, 2005
Mayer, 2006
Mayer and Boness, 2004
Mecheril, 2002
Mecheril, 2004
Niebuhr-Siebert and Wenger, 2012
Pavkovic, 1999
Pavkovic, 2004
Sarimski, 1993
Schäfter, 2010
Schlegel, 2009
Schwarzer and Posse, 2005
Seitz, 2005
Sickendiek et al., 2008
Westphal, 2003
Westphal, 2007
Westphal, 2009
Willmann and Hüper, 2004
Wulff, 1999