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Erwerbskontinuum und Erwerbsmodelle des ungesteuerten Zweitspracherwerbs
(aus Chilla 2012)
Form | Alter zu Beginn des Erwerbs der zweiten Sprache | Modelle |
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ab der Geburt bis max. 3 Jahre |
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ab ca. 2;9 bis ca. 4;6 Jahre |
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ab ca. 5 Jahre bis zur Pubertät |
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ab der Pubertät |
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Charakteristika von Spracherwerbstypen mit einer Übersicht der StrukturenSpracherwerbstypen
(aus Chilla 2012)
Gruppe/Erwerbstyp | monolinguale Kinder | Beispiel | sukzessiv-zweisprachige Kinder ohne SSES (Erwerbsbeginn mit ca. 3 Jahren) | einsprachig deutsche Kinder mit SSES | Beispiel | sukzessiv-zweisprachige Kinder mit SSES (Erwerbsbeginn mit ca. 3 Jahren) |
Alter/Kontakt mit dem Deutschen | ca. 3 Jahre | ca. 4–5 Jahre8–20 Monate Kontakt zur Zweitsprache | ca. 4–6 Jahre | ca. 4–6 Jahrebis zu 30 Monate Kontakt zur Zweitsprache | ||
Aspekt der Grammatik | wesentliche Elemente der deutschen Satzstruktur, der Verbstellung und der Verbflexion gemeistert | wesentliche Elemente der deutschen Satzstruktur, der Verbstellung und der Verbflexion gemeistert | wesentliche Elemente der deutschen Satzstruktur, der Verbstellung und der Verbflexion nicht gemeistert | wesentliche Elemente der deutschen Satzstruktur, der Verbstellung und der Verbflexion nicht gemeistert | ||
Subjekt-Verb-Kongruenz ist überwiegend korrekt, d. h. finites Verb und Subjekt müssen in Person und Numerus übereinstimmen | du geh-st, er geh-t, wir geh-en | Subjekt-Verb-Kongruenz ist überwiegend korrekt, d. h. finites Verb und Subjekt müssen in Person und Numerus übereinstimmen | Subjekt-Verb-Kongruenz ist nicht korrekt | so mach-en das statt das macht soer mach-_du spiel-_ | Subjekt-Verb-Kongruenz ist nicht korrekt | |
Verbzweitstellung im Hauptsatz wird gekonnt | mama holt ballstattmama ball holen | Verbzweitstellung im Hauptsatz wird gekonnt | überwiegend Ein- und ZweiwortäußerungenBevorzugung der Verbendstellung | er mama geh-en; ich rot ball kauf | überwiegend Ein- und ZweiwortäußerungenBevorzugung der Verbendstellung | |
korrekte Nebensätze, bei denen das finite Verb am Satzende steht | ich weiß, dass du mein eis gegessen hast; ich komme erst, wenn du aufgeräumt hast | korrekte Nebensätze, bei denen das finite Verb am Satzende steht | Nebensätze werden selten produziert | Nebensätze werden selten produziert | ||
Wenn Nebensätze gebildet werden: | Wenn Nebensätze gebildet werden: | |||||
Sätze mit Verbdritt- und Verbviertstellung | und dann da darf man auch nicht; pferd auch da geht rein | Sätze mit Verbdritt- und Verbviertstellung | ||||
Infinitive in Verbzweitstellung im Hauptsatz | ich kucken da. schwein machen so | Infinitive in Verbzweitstellung im Hauptsatz |
Diagnostik bei mehrsprachigen Kindern mit Hilfe der ICF-CY
Erfasste Inhalte | Methode | Bewertungsebenen | |
Körperfunktion |
|
Je nach Theorie zur Ursache von SSES:
|
b167 b164 |
Körperstruktur | an Stimme und Sprechen beteiligte Strukturen | Zustand von Artikulationsorganen, Atmung | s3 |
Aktivitäten und Partizipation | Sekundärphänomene wie z. B.(vor)schulische Leistungen, psychische Befindlichkeit, Rückzugsverhalten; beeinträchtigte Peer-Beziehungen; Schwierigkeiten beim Schriftspracherwerb | z. B. http://www.sdqinfo.com/a0.html
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d1 d3 d7 d8 d9 |
Umweltfaktoren | Qualität und Quantität des Inputs;sozioökonomischer Status; Erstspracherwerbsfaktoren; familiäre Unterstützung; Sprachförderprogramme; Einstellungen der Umwelt zur Bilingualität, zum Spracherwerb und zu Spracherwerbsstörungen; familiäre Vorstellungen zu Bildung und Erziehung | vgl. Chilla et al. (2010/2013), z. B.
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e3 e4 e5 |
Personenbezogene Faktoren | Geschlecht, Alter, AoO; motivationale Faktoren; individuelle Bildungsbedürfnisse und Ziele | Erhebung des Alters zu Beginn des Spracherwerbs etc. |
Grundfragen der Diagnostik im Kontext von Mehrsprachigkeit und Synopse diagnostischer Verfahren
Die sprachtherapeutischen Veröffentlichungen zum Thema Mehrsprachigkeit:DiagnostikMehrsprachigkeit der letzten zehn Jahre erwecken den Eindruck, die drängendste Frage in diesem Zusammenhang sei die nach einer umfassenden und eindeutigen DiagnostikDiagnostik. Eine Vielzahl von Studien und Beiträgen widmet sich dabei der Frage, wie typische ErwerbsphänomeneErwerbsphänomene, die durch die Mehrsprachigkeit selbst bedingt sind, von ErwerbsauffälligkeitenErwerbsauffälligkeiten unterschieden werden können, die auf eine genuine Spracherwerbsstörung (z. B. Spezifische SSES (spezifische Sprachentwicklungsstörung)Sprachentwicklungsstörung, SSES) (Schöler et al. 1997; Rothweiler 2006; Chilla 2008) zurückgehen.
Für die Praktikerinnen ist es schwierig, aus den derzeitigen Angeboten an diagnostischen Verfahren das passende auszuwählen. Nicht zuletzt, weil die Forschungslage lückenhaft ist, denn sowohl die Datenbasis als auch die Forschungsergebnisse sind so unterschiedlich und z. T. widersprüchlich, dass es in der Praxis schwerfällt, klare diagnostische Entscheidungen zu treffen.
In diesem Beitrag werden aktuelle Ergebnisse zum Entwicklungsstand diagnostischer Kriterien („klinische klinische MarkerMarker“) und Verfahren zusammengefasst. Es stellt sich heraus, dass gegenwärtig kein Erhebungsinstrument zur Verfügung steht, mit dem eine eindeutige Abgrenzung von SSES und Kontaktsprachphänomenen bzw. Auffälligkeiten im mehrsprachigen Erwerb für alle Kinder und Jugendlichen möglich ist. Stattdessen wird vorgeschlagen, eine andere Perspektive einzunehmen und unter Berücksichtigung des ICF- und bio-psycho-sozialen Modells von Behinderung und Benachteiligung zu einem alternativen Verständnis von Diagnostik zu gelangen: Anzustreben ist eine Erhebung der sprachlichen sprachliche FörderbedürfnisseFörderbedürfnisse des einzelnen mehrsprachigen Kindes mit dem Ziel, eine optimale sprachliche sprachliche FörderungFörderung und/oder Therapie zu gewährleisten.
5.1
Sprachdiagnostik bei Mehrsprachigkeit
5.1.1
Erhebungen zu Sprachstörungen
5.1.2
Erkenntnisse der Spracherwerbsforschung
1.
Bei überdurchschnittlich vielen mehrsprachig aufwachsenden Kindern wird möglicherweise eine Sprachstörung diagnostiziert (over-over-diagnosisdiagnosis). Dies lässt sich dadurch erklären, dass sie mit für monolinguale Kinder entwickelten Verfahren getestet und ihre Zweitspracherwerbsfortschritte mit der sprachlichen Kompetenz monolingual deutschsprachiger Gleichaltriger verglichen werden.
2.
Aufgrund von Verordnungszwängen in der Pädiatrie und wegen der Vielzahl von Sprachförderungsaktivitäten vor der Einschulung speziell für mehrsprachige Kinder geschieht es aber häufiger, dass mehrsprachige Kinder mit SSES nicht als solche identifiziert werden (under-under-diagnosisdiagnosis).
•
Entweder werden sie mit dem Stigma „Sprachstörung“ versehen, obwohl bei ihnen ein – für Zweisprachige – regelrechter Erwerbsverlauf mit typischen Abweichungen vorliegt, und ggf. in eine entsprechende schulische Einrichtung überwiesen, was Konsequenzen für ihren Bildungsverlauf hat (vgl. aber Moser 2007).
•
Oder es wird ihnen im Fall einer unerkannten SSES bei Mehrsprachigkeit das Recht auf Recht auf TherapieTherapie vorenthalten, indem eine störungsspezifische Intervention ausbleibt.
Vor der Diagnostik ist es wichtig zu klären, ob sprachspezifische und/oder sprachunspezifische Erwerbsaspekte überprüft werden sollen. Diese Frage hängt eng mit dem eigenen Verständnis von Spracherwerb und Spracherwerbsstörungen zusammen. Denn je nach der ursächlichen Begründung, die man einer SSES zuschreibt, wird sich das diagnostische Vorgehen anders gestalten.
•
Aus einer Erwerbsstörung der Subjekt-Verb-Kongruenz von monolingualen Kindern im Deutschen lässt sich folglich für mehrsprachige Kinder mit einer SSES nicht ableiten, dass der Erwerb der Verbflexion in allen Sprachen betroffen ist.
•
Eine im Türkischen in der Kasusflexion ausgeprägte Störung (Chilla & Babur 2010) bedeutet nicht, dass auch der Erwerb des deutschen Kasussystems in Gänze von der SSES betroffen ist (Eisenbeiss, Bartke & Clahsen 2005/2006; Schönenberger et al., im Druck).
Ergebnisse zu sprachübergreifenden Fähigkeiten
Exekutive Funktionen
Verarbeitungsgeschwindigkeit
Phonologisches Arbeitsgedächtnis
•
Nachsprechen:von NichtwörternNachsprechen von Pseudo- oder Nichtwörtern und
•
Wiederholen von Zahlenfolgen.
Nachsprechen von Sätzen
Ergebnisse zu sprachspezifischen Fähigkeiten
Lexikon
Grammatik
Erzählfähigkeiten: Erzählen und Nacherzählen
Elternfragebögen
Zwischenfazit
5.2
Ziele der Diagnostik bei Mehrsprachigkeit
Diagnostik von SSES bei Mehrsprachigkeit
1.
Welche Ziele verfolge ich mit der Diagnostik?
a.
Verifizierung der Diagnose SSES (spezifische Sprachentwicklungsstörung):Diagnostik bei MehrsprachigkeitSSES
b.
Förderplanung
c.
Therapieplanung
2.
Welche Annahme(n) zu den Ursachen von SSES liegt/liegen meiner Arbeit zugrunde?
a.
Sprachspezifische Ausprägung der Störung
b.
Sprachunspezifische Ausprägung der Störung
3.
Ist die Erhebung der Erstsprachfähigkeiten sprachwissenschaftlich und sprachpädagogisch fundiert möglich?
4.
Welche praktikablen Verfahren stehen mir zur Verfügung?
5.2.1
Erhebung der Erstsprachfähigkeiten
5.2.2
Alternatives Verständnis von Diagnostik bei Mehrsprachigkeit
5.3
Diagnostik der sprachlichen Förderbedürfnisse mit der ICF-CY
ZUSAMMENFASSUNG
Diagnostisches Vorgehen bei mehrsprachigen Kindern
•
Ziele der Diagnostik klären:
–
Bestätigung der Diagnose oder
–
Grundlage von Förder-/Therapiemaßnahmen
•
Erstellung eines Profils anhand der ICF-CY
–
Nutzung der verfügbaren Verfahren zum Deutschen – Konzentration auf die Zweitsprache Deutsch, sofern keine Fachkraft für die L1 vorhanden ist
–
Erhebung der Erstsprachfähigkeiten nur durch eine Fachkraft und mit einem im Migrationskontext genügend gut evaluierten Verfahren
–
Elterngespräch gegenüber Elternfragebogen bevorzugen
–
Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge kritisch hinterfragen
–
Konsequent mehrsprachig/mehrkulturell denken, ohne reine Addition der beiden
•
Vorsichtige Interpretation der gewonnenen Ergebnisse
•
Berücksichtigung aktueller Forschungsergebnisse
Literatur
Adams and Gathercole, 1996
Armon-Lotem and Chiat, 2011
Armon-Lotem et al., 2011
Asbrock et al., 2011
Baddeley, 1996
Baddeley, 2003
BAR, 2008
Barmer, 2011
Behörde für Schule und Berufsbildung, 2011
Bishop, 2002
Bishop et al., 1996
Blom and Vasic, 2011
Chilla and Babur, 2010
Chilla, 2008
Chilla, 2012
Chilla and Bonnesen, 2011
Chilla et al.
Choudhury and Benasich, 2003
Clahsen, 1986
Clahsen, 1991
Clahsen et al., 1983
Cobo-Lewis et al., 2002
Conti-Ramsden et al., 2001
DIMDI, 2005
Dos Santos et al., 2011
Eisenbeiss et al.
Gagarina et al., 2012
Genesee et al., 2004
Gillam and Carlisle, 1997
Goldberg et al., 2008
Grötzbach and Iven, 2009
Gutiérrez-Clellen and Kreiter, 2003
Håkansson
Håkansson and Nettelbladt, 1996
Haman and Łuniewska, 2013
Hamann, 2012
Hayward et al., 2007
Henry et al., 2012
Iluz-Cohen, 2010
Jedik, 2006
Jensen de López and Baker, 2011
Kannengieser, 2012
Kany and Schöler, 2010
Klassert, 2011
Kohnert et al., 2009
Kroffke and Meyer, 2007
Laloi, 2011
Leonard, 1998
Lindner, 2003
Luria et al., 1964
Marinis, 2011
Meisel, 2004
Meisel, 2010
Merritt and Liles, 1987
Montanari, 2010
Montgomery et al., 2010
Moser, 2007
Motsch, 2011
O'Brien et al., 2003
Oller, 2005
Paradis, 2010
Pearson and Fernandez, 1994
Redder et al., 2011
Rice and Wexler, 1996
Rothweiler, 2004
Rothweiler, 2006
Rothweiler, 2007
Ruberg, 2013
Sachse and Suchodoletzv, 2010
Scheele et al., 2010
Schöler, 2012
Schöler et al., 1998
Schöler and Kany, 2012
Schönenberger et al.
Schönenberger, M., Rothweiler, M., & Sterner, F. (in print): Case marking in child L1 and early child L2 German. Hamburg Studies on Multilingualism 13.Schulz, 2010
Schulz and Grimm, 2010
Schulz and Tracy, 2012
Siegmüller and Bartels, 2011
Stokes and Klee, 2009
Tomblin et al., 1997
Tracy, 1991
Ullmann and Pierpoint, 2005
Wagner, 2008
WHO, 2007
WHO, 2011
Wojtecka and Schulz, 2011
Yan and Nicoladis, 2009
Zurer-Pearson, 2010